Erdlicht - Arthur C. Clarke - E-Book

Erdlicht E-Book

Arthur C. Clarke

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Beschreibung

Wer kontrolliert den Mond?

Unser Sonnensystem in naher Zukunft: Kolonien auf anderen Planeten sind längst Alltag, auf dem Mond existiert eine permanent besetzte Basis. Als Gerüchte umgehen, dass man dort Schwermetalle gefunden hat, die die Erde monopolisieren will, droht zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder Krieg unter den Menschen. Agent Bertram Sadler von der Erde soll herausfinden, was auf dem Mond vorgeht und ob es irgendwo ein Informationsleck gibt. Alles andere als begeistert macht er sich auf den Weg ins All.

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ARTHUR C. CLARKE

ERDLICHT

Roman

I

Die Einschienenbahn verlor an Geschwindigkeit, als sie die Schatten des tiefer gelegenen Geländes hinter sich ließ. Jetzt mussten sie jeden Moment die Sonne eingeholt haben, dachte Sadler. Hier wurde es so langsam dunkel, dass ein Mann mit einiger Anstrengung vor der Nacht davonlaufen konnte, wobei der Stand der Sonne über dem Horizont sich nicht veränderte. Selbst wenn er eine Rast einlegte, würde sie so widerwillig untergehen, dass noch über eine Stunde vergehen musste, bevor ihre letzten Strahlen hinter dem Horizont verschwanden und die lange Mondnacht begann.

Mit der gleichmäßigen und gut erträglichen Geschwindigkeit von 500 Stundenkilometern war er während der Nacht durch das Land gerast, das die ersten Pioniere vor zwei Jahrhunderten der Menschheit erschlossen hatten. Abgesehen von einem gelangweilten Zugbegleiter, dessen einzige Tätigkeit darin zu bestehen schien, auf Wunsch Kaffee auszugeben, waren vier Astronomen vom Observatorium außer ihm die einzigen Insassen der Kabine. Sie hatten ihm zwar freundlich zugenickt, als er an Bord kam, aber dann hatten sie ihre Fachsimpeleien fortgesetzt und Sadler völlig ignoriert. Diese Vernachlässigung kränkte ihn ein wenig, aber dann tröstete er sich bei dem Gedanken, dass sie ihn vielleicht für einen alten Hasen hielten und nicht für einen Neuling auf seiner ersten Mondmission.

Wegen der Innenbeleuchtung war von der dunklen Landschaft, durch die sie fast geräuschlos dahinrasten, wenig zu erkennen. »Dunkel« war natürlich nur ein relativer Begriff. Die Sonne war zwar verschwunden, aber fast im Zenit stand die Erde in ihrem ersten Viertel. Bis zur Mondmitternacht in einer Woche würde sie ständig zunehmen und dann eine gleißendhelle Scheibe sein, die man mit dem ungeschützten Auge nicht mehr betrachten konnte.

Sadler stand von seinem Sitz auf und ging an den immer noch debattierenden Astronomen vorbei nach vorn zu dem Vorhang, der den vorderen Teil der Kabine abtrennte. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass er nur ein Sechstel seines Normalgewichts wog, und bewegte sich mit übertriebener Vorsicht durch den schmalen Gang zwischen den Toiletten und dem kleinen Kontrollraum.

Hier hatte er gute Sicht. Die Beobachtungsfenster waren kleiner, als ihm lieb war, was mit irgendwelchen Sicherheitsbestimmungen zusammenhing. Aber hier gab es keine Innenbeleuchtung, die seine Augen ablenkte, und er konnte den kalten Glanz dieser uralten öden Landschaft genießen.

Kalt – ja, er konnte sich gut vorstellen, dass draußen schon Minustemperaturen von hundertdreißig Grad herrschten, obwohl die Sonne erst vor ein paar Stunden untergegangen war. Irgendetwas an dem Licht, das von den entfernten Meeren und Wolken der Erde herabfiel, ließ diesen Eindruck entstehen. Das Licht schimmerte blau und grün; arktische Strahlen, die keine Wärme abgeben konnten. Sadler fand das paradox, gingen doch diese Strahlen von einer Welt der Wärme und des Lichts aus.

Vor der dahinrasenden Kabine führte die eine Schiene – die Pfeiler, die sie trugen standen besorgniserregend weit auseinander – nach Osten. Auch das war paradox, wie so vieles in dieser Welt. Warum konnte die Sonne nicht im Westen untergehen wie auf der Erde? Dafür musste es eine simple astronomische Erklärung geben. Welche aber? Dann dachte er daran, dass es sich um völlig willkürliche Bezeichnungen handelte, die leicht durcheinandergerieten, wenn eine neue Welt abgesteckt wurde.

Vor ihnen stieg die Landschaft noch immer leicht an, und rechts lag ein Felshang, der die Sicht versperrte. Zur Linken – Moment, das musste Süden sein, nicht wahr? – lag in Schichten abfallendes Gelände, als hätte sich vor Milliarden Jahren die aus dem geschmolzenen Kern des Mondes aufsteigende Lava in aufeinanderfolgenden immer schwächeren Wellen verhärtet. Die Szene ließ einen frösteln. Und doch, auch auf der Erde gab es ähnlich unwirtliche Gegenden. Die Wüsten Arizonas waren genauso öde, die oberen Hänge des Everest noch menschenfeindlicher, denn sie waren ständig von eisigen Stürmen umtost.

Und dann konnte Sadler kaum einen lauten Ausruf unterdrücken. Der Felshang rechts war wie abgeschnitten, als hätte ein riesiger Meißel ihn an dieser Stelle von der Mondoberfläche abgeschlagen. Die Sicht war nicht mehr versperrt, und er hatte freien Ausblick nach Norden. Die improvisierte Kunstfertigkeit der Natur hatte hier so atemberaubende Effekte hervorgerufen, dass man an Zufälligkeit von Zeit und Ort kaum glauben mochte.

Glänzend und in den letzten Strahlen der verborgenen Sonne leuchtend, zogen die Gipfel des Apennin am Himmel vorüber. Sadler war von der plötzlichen Lichtexplosion wie geblendet. Er hielt sich die Hände vor die Augen und wartete eine Weile, bevor er wieder hinsehen konnte. Die Verwandlung war jetzt komplett. Die Sterne, die eben noch den Himmel füllten, waren verschwunden. Er kniff die Augen zusammen, aber er konnte sie nicht mehr sehen. Selbst die strahlende Erde war jetzt nur noch ein grünlich schimmernder Lichtfleck. Der Glanz der sonnenüberfluteten noch hundert Kilometer entfernten Berge ließ jedes andere Licht verblassen.

Wie phantastische Flammenpyramiden schwebten die Gipfel am Himmel. Sie hatten ebenso wenig Verbindung zum Mondboden wie die Wolken, die auf der Erde über der Sonne hängen, wenn sie versinkt. Die Trennlinie zwischen Schatten und Licht war so scharf, dass die unteren Hänge ganz im Dunkel lagen und nur die flammenden Gipfel existierten. Stunden mussten noch vergehen, bevor die Berge ganz im Mondschatten verschwanden und vor der Nacht kapitulierten.

Hinter Sadler teilte sich der Vorhang. Einer der Mitreisenden betrat den vorderen Teil der Kabine und stellte sich an das Fenster. Sadler war unschlüssig, ob er ein Gespräch anfangen sollte. Er war immer noch ein wenig gekränkt, weil man ihn so völlig ignoriert hatte. Aber die Lösung dieses Problems wurde ihm abgenommen.

»Lohnt sich, von der Erde raufzukommen, um das zu sehen, nicht wahr?«, hörte er eine Stimme neben sich.

»Ganz bestimmt«, erwiderte Sadler. »Aber wahrscheinlich gewöhnt man sich im Laufe der Zeit daran«, fügte er hinzu.

Aus der Dunkelheit kam ein leises Lachen.

»Das würde ich nicht sagen. Es gibt Dinge, an die man sich nie gewöhnt, ganz gleich wie lange man hier lebt. Gerade angekommen?«

»Ja. Gestern Abend mit der Tycho Brahe gelandet. Habe noch nicht viel sehen können.«

Unbewusst ahmte Sadler die abgehackte Sprechweise des anderen nach. Ob auf dem Mond wohl alle so redeten? Vielleicht wollten sie damit Luft sparen.

»Werden Sie im Observatorium arbeiten?«

»In gewisser Weise schon, wenn ich auch nicht zum ständigen Personal gehöre. Ich bin Wirtschaftsprüfer und soll über Ihre Arbeit eine Kostenanalyse erstellen.«

Der andere schwieg eine Weile nachdenklich. Dann sagte er in die Stille hinein:

»Unhöflich von mir – hätte mich vorstellen müssen. Robert Molton. Leiter der spektroskopischen Untersuchungen. Gut, dass jemand da ist, der uns bei der Einkommensteuererklärung helfen kann.«

»Ich hatte schon gefürchtet, dass Sie das zu Sprache bringen würden«, sagte Sadler trocken. »Mein Name ist Bertram Sadler. Ich arbeite für den Rechnungshof.«

»Hmm. Glauben Sie, wir verschwenden hier Geld?«

»Das müssen andere entscheiden. Ich soll nur feststellen, wie Sie es ausgeben, nicht warum.«

»Na, da werden Sie viel Spaß haben. Jeder hier kann gute Gründe anführen, warum er doppelt so viel Geld braucht, wie er bekommt. Und ich wüsste gern, wie zum Teufel Sie wissenschaftliche Forschungsprojekte mit Preisschildern versehen wollen.«

Das hatte sich Sadler auch schon gefragt, aber er hielt es für besser, keine weiteren Erklärungen abzugeben. Man hatte ihm seine Geschichte ohne Vorbehalt abgenommen: wenn er jetzt versuchte, die Sache noch überzeugender vorzutragen, würde er sich verraten. Er konnte nicht gut lügen. Er hoffte allerdings, dass er es nach einiger Übung besser können würde.

Was er Molton erzählt hatte, stimmte jedenfalls. Sadler wünschte nur, es wäre die ganze Wahrheit gewesen und nicht nur fünf Prozent.

»Ich hätte gern gewusst, wie wir durch die Berge hindurchkommen«, sagte Sadler und zeigte nach vorn auf die flammenden Gipfel. »Drunterdurch oder drüberweg?«

»Drüberweg«, sagte Molton. »Sie wirken spektakulär, aber in Wirklichkeit sind sie gar nicht so gewaltig. Warten Sie, bis Sie die Leibnitzberge oder die Oberthkette sehen. Sie sind doppelt so hoch.«

Für den Anfang reichen diese, dachte Sadler. Die flache Kabine der Einschienenbahn glitt auf ihrer Spur in zunehmendem Anstieg durch die Schatten. In der Dunkelheit sah er verschwommen Felshänge und scharf gezackte Klippen heranrasen und nach hinten verschwinden. Wahrscheinlich war es nirgends möglich, sich so nahe dem Boden mit solcher Geschwindigkeit fortzubewegen, sagte sich Sadler. Keine Düsenmaschine hoch über den Wolken der Erde konnte je ein derartiges Gefühl reiner Geschwindigkeit vermitteln.

Wäre es Tag gewesen, hätte Sadler erkannt, mit welcher Ingenieurskunst die Bahn über die Ausläufer des Apennin gezogen worden war. Aber die Dunkelheit verhüllte das Filigran der Brücken und die sich an den Schluchten vorbeiwindenden Kurven. Er sah nur die Gipfel, die sich rasch näherten und die immer noch magisch über der Nacht zu schweben schienen.

Dann erschien weit im Osten ein leuchtender Bogen über dem Mondhorizont. Sie waren aus den Schatten aufgestiegen, hatten den Glanz der Berge erreicht und die Sonne selbst eingeholt. Sadler wandte sich von dem gleißenden Licht ab, das in die Kabine flutete, und zum ersten Mal konnte er den Mann neben sich deutlich erkennen.

Doktor (vielleicht sogar Professor?) Molton war Anfang fünfzig, aber er hatte volles schwarzes Haar. Er hatte jenes auffallend hässliche Gesicht, das sofort Vertrauen einflößt. Man meinte, hier den humorvollen, weltweisen Philosophen zu erkennen, den modernen Sokrates, der über den Dingen steht, bereit zu vorurteilsfreiem Rat an alle und dennoch nicht zu erhaben, auch menschliche Kontakte zu pflegen. »Der weiche Kern unter einer rauen Schale«, musste Sadler denken und zuckte im Geiste zusammen, als er die Banalität dieser Redensart erkannte.

Ihre Blicke trafen sich in der schweigenden gegenseitigen Einschätzung zweier Männer, die wissen, dass ihre Tätigkeit sie auch künftig zusammenführen wird. Dann lächelte Molton. Sein Gesicht war fast so zerfurcht wie die Mondlandschaft ringsum.

»Dies muss die erste Morgendämmerung sein, die Sie auf dem Mond erleben. Wenn man es überhaupt eine Morgendämmerung nennen kann … ein Sonnenaufgang ist es auf jeden Fall. Schade, dass er nur zehn Minuten dauert – wenn wir die Berge hinter uns haben, herrscht wieder Nacht. Dann müssen wir vierzehn Tage warten, bis wir wieder die Sonne sehen.«

»Ist es nicht ein wenig – langweilig – vierzehn Tage lang eingepfercht zu sein?«, fragte Sadler und wusste sofort, dass er sich wahrscheinlich lächerlich gemacht hatte. Aber Molton zeigte keine derartige Reaktion.

»Sie werden sehen«, antwortete er. »Tag oder Nacht, das spielt unter dem Mondboden keine Rolle. Im Übrigen können Sie jederzeit nach draußen gehen. Beim Erdlicht kriegen einige romantische Gefühle.«

Die Einschienenbahn hatte jetzt den Gipfel ihrer Spur erreicht. Die beiden Reisenden verstummten, als die Bergkuppen an beiden Seiten anstiegen und dann hinter ihnen versanken. Sie hatten die Grenze durchbrochen, und der Abstieg über die Hänge, die zum Mare Imbrium abfielen, verlief viel steiler. Als sie abstiegen, versank gleichzeitig die Sonne, die sie durch ihre Geschwindigkeit aus der Nacht zurückgeholt hatten. Von einem Bogen schrumpfte sie zu einem Faden, von einem Faden zu einem Lichtpunkt. Dann war sie verschwunden. Im letzten Augenblick dieses falschen Sonnenuntergangs, Sekunden bevor sie wieder in den Mondschatten eintauchten, erlebten sie einen Augenblick, dessen Zauber Sadler nie vergessen würde. Sie bewegten sich über einen Grat, den die Sonne schon verlassen hatte, aber die kaum einen Meter höher gelegene Spur der Einschienenbahn wurde noch von den letzten Strahlen erreicht. Es war, als rasten sie einen schwebenden Lichtstreifen entlang, einen Flammenfaden, den nicht menschliche Ingenieurskunst, sondern Zauberei erschaffen hatte. Dann sank die Dunkelheit herab, und der Zauber endete. Als Sadlers Augen sich an die Nacht gewöhnt hatten, tauchten auch die Sterne wieder am Himmel auf.

»Sie haben Glück gehabt«, sagte Molton. »Ich bin die Strecke hundertmal gefahren, aber das habe ich noch nie gesehen. Gehen wir wieder in die Kabine – gleich wird ein Imbiss serviert. Hier gibt es ohnehin nichts mehr zu sehen.«

Das, dachte Sadler, konnte kaum stimmen. Jetzt, da die Sonne untergegangen war, beherrschte das strahlende Erdlicht wieder den Himmel. Es überflutete die riesige Ebene, die von den alten Astronomen so unzutreffend das Meer des Regens getauft worden war. Verglichen mit den Bergen, die hinter ihnen lagen, war es nicht spektakulär, aber es war dennoch ein atemberaubender Anblick.

»Ich bleibe noch ein wenig«, antwortete Sadler. »Vergessen Sie nicht, dass dies alles neu für mich ist, und ich will nichts verpassen.«

Molton lachte freundlich. »Kann ich Ihnen nicht übelnehmen«, sagte er. »Wir betrachten die Dinge leider als selbstverständlich.«

Die Einschienenbahn raste jetzt einen schwindelerregenden Abhang hinab. Auf der Erde wäre das Selbstmord gewesen. Die kalte, grün beschienene Ebene hob sich ihnen entgegen. Vor ihnen stieg am Horizont eine niedrige Hügelkette auf, die sich gegen die Berge hinter ihnen zwergenhaft ausnahm. Wieder fuhr der unheimlich nahe Horizont dieser kleinen Welt auf sie zu. Sie befanden sich wieder in Höhe des »Meeresspiegels« …

Sadler folgte Molton in die Kabine, wo der Steward für die kleine Reisegesellschaft gerade die Tabletts auftrug.

»Haben Sie immer so wenige Passagiere?«, fragte Sadler. »Das scheint mir nicht sehr ökonomisch zu sein.«

»Kommt darauf an, was Sie unter ökonomisch verstehen«, erwiderte Molton. »Manches hier wird sich in Ihren Bilanzen ein wenig seltsam ausnehmen. Für dieses Fahrzeug entstehen keine besonders hohen Betriebskosten. Das Gerät hält ewig. Kein Rost, keine Korrosionsschäden. Die Kabinen werden nur alle paar Jahre gewartet.«

Das hatte Sadler allerdings nicht bedacht. Er musste noch eine Menge lernen und für manche Dinge wahrscheinlich reichlich Lehrgeld zahlen.

Das Essen war undefinierbar, aber es schmeckte gut. Wie alle Nahrung auf dem Mond stammte wohl auch diese Mahlzeit von den hydroponischen Farmen, deren unter Druck stehende Gewächshäuser sich in Äquatornähe über viele Quadratkilometer hinzogen. Das Fleisch war natürlich synthetisch. Es hätte Rindfleisch sein können, aber Sadler wusste zufällig, dass die einzige Kuh auf dem Mond luxuriös im Hipparchos-Zoo lebte. Derlei nutzlose Informationen hielt sein Verstand auf diabolische Weise beharrlich fest und weigerte sich ebenso beharrlich, sich ihrer wieder zu entledigen.

Vielleicht hatte die Mahlzeit die anderen Astronomen ein wenig günstiger gestimmt, denn sie waren sehr freundlich, als Molton Sadler mit ihnen bekanntmachte. Sie verzichteten sogar eine Weile auf ihre Fachsimpeleien. Es war aber klar, dass sie seinen Auftrag mit einigem Entsetzen zur Kenntnis nahmen. Sadler sah geradezu, wie sie sich alle Gedanken über ihre Etats machten und sich überlegten, welche Argumente sie notfalls vorbringen könnten. Er zweifelte zu keiner Sekunde daran, dass sie alle höchst überzeugende Geschichten erzählen würden. Und wenn er versuchte, sie festzunageln, würden sie versuchen, ihn mit irgendwelchem wissenschaftlichem Kauderwelsch zu blenden. Das kannte er alles schon, nur die Umstände waren diesmal ganz anders.

Die Reise neigte sich ihrem Ende zu, und in wenig mehr als einer Stunde mussten sie das Observatorium erreichen. Die 600-Kilometer-Trasse durch das Mare Imbrium verlief geradeaus und ohne Steigungen. Es gab nur noch einen kleinen Umweg nach Osten, durch den die von riesigen Felshängen eingefasste Archimedesebene umgangen wurde. Sadler nahm in aller Ruhe Platz, holte seine detaillierten Anweisungen aus der Tasche und beschäftigte sich damit. Er faltete den Organisationsplan auseinander, der fast den ganzen Tisch bedeckte. Er war je nach den verschiedenen Abteilungen des Observatoriums in mehreren Farben gedruckt, und Sadler betrachtete ihn mit Widerwillen. Er dachte daran, dass man den Urmenschen einst als Tier definiert hatte, das Werkzeuge herstellt. Sehr oft hatte er das Gefühl, dass man den modernen Menschen am besten als Tier bezeichnen sollte, das Papier verschwendet.

Unter den Kästchen »Direktor« und »Stellvertretender Direktor« gab es eine Dreiteilung: VERWALTUNG, TECHNISCHE DIENSTE und OBSERVATORIUM. Sadler suchte Dr. Molton und fand ihn unter OBSERVATORIUM. Er war dem wissenschaftlichen Leiter unterstellt und führte eine kurze Namensliste mit der Überschrift »Spektroskopie« an. Offenbar hatte er sechs Assistenten. Mit zwei von ihnen – Jamieson und Wheeler – war Sadler soeben bekanntgemacht worden. Er stellte fest, dass der vierte Mitreisende in der Kabine eigentlich gar kein Wissenschaftler war. Er hatte ein Kästchen für sich und unterstand nur dem Direktor. Sadler musste vermuten, dass der Sekretär Wagnall einen nicht ganz unwichtigen Posten bekleidete und dass es sich wahrscheinlich lohnte, seine Bekanntschaft zu pflegen.

Er hatte den Organisationsplan schon eine halbe Stunde lang studiert und sich mit allen Einzelheiten beschäftigt, als jemand das Radio einschaltete. Sadler hatte nichts gegen die leise Musik, die bis in den letzten Winkel der Kabine zu hören war. Seine Konzentrationsfähigkeit hätte wesentlich schlimmeren Bedingungen standgehalten. Die Musik verstummte. Es gab eine kurze Pause und die sechs Pieptöne der Zeitansage. Eine verbindliche Stimme fing an zu sprechen:

»Hier ist die Erde, Kanal zwei, Interplanetarischer Rundfunk. Beim letzten Ton des Zeitzeichens war es einundzwanzig Uhr mitteleuropäischer Zeit. Sie hören Nachrichten.«

Es gab nicht die geringste Störung. Die Worte kamen so deutlich, als handle es sich um einen örtlichen Sender. Aber Sadler hatte das Antennensystem auf dem Dach der Kabine gesehen und wusste, dass es sich um eine Direktübertragung handelte. Die Worte, die er hörte, waren vor anderthalb Sekunden auf der Erde gesprochen worden, und während er sie hörte, waren sie schon auf dem Weg zu fernen Welten. Es gab Menschen, die sie erst Minuten später hören würden – vielleicht sogar Stunden später, falls die Schiffe der Föderation, die jenseits des Saturns standen, den Sender eingeschaltet hatten. Und die Stimme würde noch viel tiefer ins All hinausdringen, weit über die Grenzen des von Menschen erforschten Raumes hinweg, um dann schwächer zu werden, bis sie irgendwo auf dem Weg nach Alpha Centauri von der ständigen Radiostrahlung der Sterne überdeckt wurde.

»Sie hören Nachrichten. Wie aus Den Haag verlautet, wurde die Konferenz über die Erschließung der Planeten ohne Ergebnis abgebrochen. Die Delegierten der Föderation werden morgen die Erde verlassen. Das Büro des Präsidenten gab folgende Erklärung ab …«

Das alles kam für Sadler nicht unerwartet. Dennoch stellt sich immer wieder ein Gefühl der Entmutigung ein, wenn lange gehegte Befürchtungen sich als nur allzu begründet erweisen. Er schaute zu den Mitreisenden hinüber. Wussten sie um den Ernst der Situation?

Sie wussten. Wagnall, der Sekretär, hatte das Kinn in die Hände gestützt und schaute finster vor sich hin. Molton lehnte sich mit geschlossenen Augen in seinem Sitz zurück. Jamieson und Wheeler starrten auf den Tisch und hörten konzentriert zu. Ja, sie hatten begriffen. Ihre Arbeit in dieser Abgeschiedenheit hatte sie nicht isoliert. Sie nahmen immer noch regen Anteil an den brennenden Problemen der Menschheit.

Die unpersönliche Stimme nannte einen ganzen Katalog von Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen, von durch diplomatische Sprache kaum verhüllten Drohungen, und die unmenschliche Kälte der Mondnacht schien durch die Wände in die Kabine zu dringen. Es war schwer, der bitteren Wahrheit ins Auge zu sehen, und Millionen von Menschen würden sich immer noch ihren Illusionen hingeben. Sie würden die Achseln zucken und mit erzwungener Heiterkeit sagen: »Keine Angst – es wird schon nichts passieren.«

Davon war Sadler nicht überzeugt. Während er jetzt in diesem kleinen hell erleuchteten Zylinder saß, der über das Regenmeer nach Norden raste, wusste er, dass die Menschheit zum ersten Mal seit zweihundert Jahren einen Krieg fürchten musste.

II

Wenn es Krieg gab, überlegte Sadler, würde er nicht durch gezielte Politik, sondern durch tragische Umstände herbeigeführt werden. Die harten Tatsachen, die die Erde in Konflikt mit ihren Exkolonien gebracht hatten, kamen ihm manchmal wie ein schlechter Scherz der Natur vor.

Schon bevor er diese ungeliebte und unerwartete Aufgabe übernahm, war sich Sadler über die wesentlichen Tatsachen klar gewesen, die zu der gegenwärtigen Krise geführt hatten. Diese Krise hatte sich seit über einer Generation abgezeichnet und war aus der besonderen Situation des Planeten Erde entstanden.

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