Erinnerungswürdig - Walter Thaler - E-Book

Erinnerungswürdig E-Book

Walter Thaler

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Beschreibung

Nicht irgendwer! Man weiß in Salzburg, wer Konstanze Mozart, Herbert von Karajan, H.C. Artmann oder Carl Zuckmayer war. Wer aber war Franz Michael Vierthaler? Oder Barbara Krafft? Oder Rosa Kerschbaumer-Putjata? Es ist beeindruckend, was Menschen erreichen können, wenn sie sich etwas zutrauen, herrschende Tabus brechen und abgestandene Wertvorstellungen über den Haufen werfen – oder, wenn sie weitsichtig genug sind, Entwicklungen zu erkennen und diese beschleunigen! Viele der in diesem Buch beschriebenen Persönlichkeiten mussten sich gegen Benachteiligungen ihren Platz erkämpfen und sich gegen die starren Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft auflehnen. Mit Mut und Zuversicht haben sie ihren Weg gemeistert und einige sind zu Vorbildern für uns alle geworden. Manch andere der hier Porträtierten aber haben durch ihr Handeln auch großes Unrecht begangen und sind für Leid und Tod vieler Menschen verantwortlich. Walter Thaler hat die Lebenswege von 65 Salzburger Männern und Frauen aus drei Jahrhunderten feinfühlig nachgezeichnet – er lässt uns teilhaben an den Höhen und Tiefen im Leben dieser Menschen. Viele Namen sind bekannt, andere wiederum sind es wert entdeckt zu werden. Er hat Schutzschichten der Verdrängung und Verleugnung aufgedeckt, um die Geschichte gegen das Vergessen neu auszuleuchten und in dokumentarisch-literarischen Porträts anschaulich zu machen.

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Gedruckt mit freundlicher Unterstützungder Euro-Finanz-Service-Vermittlungs AG, Salzburg unddes Amtes der Salzburger Landesregierung, Abteilung Kultur, Bildung, Gesellschaft und Sport.

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2021 Verlag Anton Pustet

5020 Salzburg, Bergstraße 12

Sämtliche Rechte vorbehalten.

Lektorat: Anja Zachhuber

Grafik und Produktion: Nadine Kaschnig-Löbel

Coversujet: Franto Andreas Uhl, Kopfgeburt I, 2017, Ölkreide auf Papier

eISBN 978-3-7025-8086-5

auch als gedrucktes Buch erhältlich: ISBN 978-3-7025-1033-6

www.pustet.at

WalterThaler

ERINNERUNGSWÜRDIG

Prägende Persönlichkeitender Salzburger Geschichte

Inhalt

Feuer gefangen!?

Einführung

ELISABETH OBERBÜCHLER

Das Schicksal einer protestantischen St. Johanner Bauerntochter

FRANZ MICHAEL VIERTHALER

Salzburgs erster großer Schulreformer

CONSTANZE MOZART

Mozarts erste Biografin

BARBARA KRAFFT

Sie schuf das Porträt Mozarts

EMILIE KRAUS VON WOLFSBERG

Einst Geliebte Napoleons, dann Hundsgräfin von Gnigl

PETER KARL THURWIESER

Der „Gamspeter“: Theologe, Meteorologe und Salzburgs erster Alpinist

FRANZ STELZHAMER

Der gefeierte Mundartdichter bediente gefährliche Klischees

CHRISTIAN DOPPLER

Seine Forschungen haben die Welt verändert

JOSEF MAYBURGER

Der Botschafter der Schönheit Salzburgs

ALBERT POLLAK

Salzburgs erster Jude

JOSEF WESSICKEN

Schloss-Baumeister des Pinzgaus und Gestalter des Manhattans der Alpen

HANS MAKART

Der Maler der Sinne und der Dekadenz prägte ein Vierteljahrhundert

HERMANN SCHMIDTMANN

Kunstdüngerfabrikant und Pinzgauer Schlossherr

ERZHERZOG LUDWIG VIKTOR VON HABSBURG

Der verbannte Habsburger im Schloss Kleßheim

IRMA VON TROLL-BOROSTYÁNI

Die Vorkämpferin der Frauenemanzipation in Salzburg

ROSA KERSCHBAUMER-PUTJATA

Eine gebürtige Russin wird Salzburgs erste Augenärztin

HERMANN BAHR

Ein kultureller Seismograph und „intellektueller Herr von Adabei“

MARGIT GRÄFIN SZÁPÁRY

Eine sächsische Gräfin wird im Krieg zur Mutter des Lungaus

ISAAK ARDITTI

Der jüdische Hotelier verliert drei Hotels in Fusch und Zell am See

EDUARD RAMBOUSEK

Salzburgs höchster Beamter unterschlägt 7 Millionen Kronen im Kriegsjahr 1918

ALOIS GRASMAYR

Der Barfuß-Millionär und „Faust“ vom Mönchsberg

POLDI WOJTEK – HELENE VON TAUSSIG

Die konträren Schicksalswege zweier Salzburger Künstlerinnen

JOHANNES FREUMBICHLER

Der erste und wichtigste Lehrer Thomas Bernhards

ALEXANDER MORITZ FREY

Hitlers Frontkamerad wird vom Führer ins Exil getrieben

FRIDERIKE M. ZWEIG

Die Frau im Schatten des Literaturgiganten

LILLY VON EPENSTEIN

Der mysteriöse Tod der Burgherrin von Mauterndorf

DAGOBERT PECHE

Ein Lungauer ist „das größte Ornamentgenie seit der Barockzeit“

VICKI BAUM

Literaturstar verliebt sich in Zeller Bademeister

LOIS WELZENBACHER

Der Gegner der Einheitsarchitektur hinterlässt zwei architektonische Juwele in Zell am See

JOSEF THORAK

Der Kampf von Hitlers Lieblingsbildhauer um Schloss Prielau

FRANZ LÖSER

Der ländliche Hofmannsthal

ERNST LOTHAR

Trotz Vertreibung und Demütigung ein glühender Patriot

GRETE TRAKL

Die einzig wichtige Frau in Georg Trakls Leben

LEO REUSS

Zeller Bergbauer narrt die Wiener Theaterwelt

THEODOR HERZ

Der jüdische Arzt aus Piesendorf wird „Gringo-Doctor“ im argentinischen Regenwald

MAX ZWEIG

Stefan Zweigs Cousin Max lebt 20 Jahre im politischen und sprachlichen Exil in Israel

EDUARD BÄUMER

Seine Kunst ist ausschließlich auf das Schöne gerichtet

KAROLINA WEISS

Das Schicksal der Pflegemutter Thomas Bernhards zwischen den Weltkriegen

MAX PEIFFER-WATENPHUL

Die Vaterfigur einer in den Startlöchern scharrenden jungen Künstlerschar

CARL ZUCKMAYER

Seine frühen Erfolgsdramen entstehen in der Henndorfer „Wiesmühl“

ALJA RACHMANOWA

Ein Leben voller Heimsuchungen, Katastrophen und Geheimnisse

JAKOB HARINGER

Der François Villon von Ebenau bleibt ein einsamer Vagant

MELA (KENT) STEINHARDT

Zeller Seevilla als Domizil einer Künstlerin

MARTIN BORMANN

„Der böse Geist Hitlers“ und seine Pläne in Zell am See

MAGDA GOEBBELS

Die „Gefährtin des Teufels“ erholt sich in Bad Gastein vom Ehekrieg

WILHELM KAUFMANN

Maler, Weltbürger und Aktivist für die Stadtgestaltung Salzburgs

PAULA FICHTL

Das Gnigler Dienstmädchen ist „eingegangen in die Weltgeschichtl“

GRETE WEISKOPF

Salzburgerin wird berühmte DDR-Kinderbuchautorin

HERBERT VON KARAJAN

Der Stardirigent wäre fast zum Thumersbacher geworden

SIGFRIED UIBERREITHER

Das zweite Leben des Gauleiters und Germanisierungsfanatikers

LEOPOLD KOHR

Der Philosoph des menschlichen Maßes

IRMA RAFAELA TOLEDO

Die Bergeinsamkeit wird zum künstlerischen Erweckungserlebnis

TONI SCHNEIDER-MANZELL

Der berühmte Bildhauer wird von Fuscher Hotelier um sein Honorar geprellt

HERMANN HÖFLE

Der Adolf Eichmann von Salzburg

LUCAS SUPPIN

In Frankreich „Ritter der Ehrenlegion“, in Salzburg Nonkonformist

SIMON SCHMIDERER

Saalfeldener Eisenbahnerbub heiratet Tiffany-Erbin und wird Stararchitekt in den USA

WALTER FELIX SUESS

Der Bad Gasteiner Arzt und Dirigent wird Opfer des Holocaust

AGNES MUTHSPIEL

Die Malerin der untergehenden Welt

ROSA (RATZI) HOFMANN

Ein grausames Schicksal wie das der Geschwister Scholl

TRUDE ENGELSBERGER

Frauen in einsamen Paradiesgärten

ILSE AICHINGER

Ihr einziger Roman war der Beginn von Österreichs Nachkriegsliteratur

H.C. ARTMANN

Salzburgs Universität ehrte den Dichter mit dem Dr. h.c.

SEPP HÖDLMOSER

Der Festungskünstler als malerischer Exzentriker

RUDOLF HRADIL

Der meisterhafte Gestalter des Atmosphärischen

HERBERT BREITER

Majestäten, Monumente, Miniaturen

GEROLD FOIDL

Schreiben war der Schrei seines Scheiterns in der Gesellschaft

CLEMENS EICH

Ein Grenzgänger zwischen verschiedenen Welten

Danksagung

Literatur- und Quellenhinweise

Karl Müller

Feuer gefangen!?

Walter Thaler und sein Lesepublikum haben Feuer gefangen und brennen seit Jahren! Denn einerseits lässt Thaler seine Leser*innen seit einigen Jahren in sein über die Jahrzehnte hinweg angesammeltes Menschenarchiv seiner Salzburger Heimat schauen und andererseits kriegt sein Lesepublikum nicht genug davon. Seit Mitte der 2010er-Jahre veröffentlicht Thaler unentwegt ein Menschenporträt nach dem anderen – inzwischen sind es fast 300 – und die meisten Lesenden sagen wohl heimlich zu sich selbst: „Welche Zusammenhänge tun sich da auf! Ich sehe die Welt um mich herum jetzt anders!“

Zuerst waren es hauptsächlich die auf verschiedenste Weise künstlerisch tätigen Menschen aus dem Pinzgau, wo Walter Thaler mit seiner Familie ansässig geworden ist und wo er auch in führenden politischen Funktionen tätig war: „Kunst und Literatur im Pinzgau. Die Kraft der Provinz“ (2015), so hieß seine erste Porträt-Sammlung. Dann folgten 2017 seine Pinzgauer „Helden“ und „Pioniere“, die auf ihren jeweiligen Gebieten so viel Gutes und Bewunderungswürdiges bewirkt haben. Zugleich bot Thaler auch Porträts von „Nicht-Helden“ an, also von bedenklichen Menschengestalten, die er vornehm zurückhaltend als „Narren“ bezeichnete. Sodann erschien 2019 eine Sammlung zahlreicher Lebens- und oft genug Leidenswegen von Menschen, die eng mit dem nachbarlichen Pongau verbunden waren und sind – jenseits aller üblichen Provinz-Klischees und schönfärberischer Tourismuswerbung.

Thalers Erkundungs- und Schreibprojekt zog immer weitere Kreise. Jetzt folgen an die 70, sehr behutsam, weil exemplarisch ausgewählte und – wie schon immer – auf wenige Seiten eingeschmolzene Biografien von Menschen, die irgendwann in ihrem Leben etwas mit Salzburg zu tun hatten, geboren zwischen 1713 und 1954. Es handelt sich allerdings um mehr als herkömmliche Lebensabrisse, es geht um das Herausschälen von Lebensessenzen in den jeweiligen Umständen ihrer Zeit. So werden die Porträts zu lebendigen und anschaulichen Erscheinungen. Viele der Porträtierten flößen Ehrfurcht und Bewunderung ein, viele von ihnen bereiten aber auch Entsetzen und Abscheu – jenseits von Allzumenschlichem. Kein Leben ist zu groß oder zu gering, zu vorbildhaft oder zu verachtenswert, um nicht Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Bemühens, Gelingens und Scheiterns auszuloten und auf diese Weise das vielfältige Panorama menschlicher Existenzen schreibend zu verfeinern: Salzburg – eine Gegend, in der weibliches und männliches Menschsein seine Probe hält: Bauernkinder, Maler*innen, Bildhauer,

Schulreformer, Ehefrauen, Geliebte, Gräfinnen, Gehilfinnen und sich emanzipierende Frauen, Theologen, Meteorologen, Alpinisten, Physiker, Schönheitstrunkene, Unternehmer, Baumeister, Architekten, Plastiker, Dramatiker, Sprachbastler, Schauspieler, Düngemittelfabrikanten, Flüchtlinge und Vertriebene, Adabeis, Sozialreformer*innen, Jüdinnen und Juden, Protestant*innen, Katholiken, Frontkameraden, Schreibende aller Arten, Kriminelle verschiedener Profession, Priester, Ärztinnen und Ärzte, Dirigenten, Philosophen, Bohemiens, Vagabunden, Abenteurer, Menschenfreunde und Menschenfeinde, Grenzgänger, Manager, Moralisten, Widerstandskämpfer*innen ...

In der „Einführung“ zu seinem neuen Buch bietet Thaler Einblicke in die Motivationen seines Schreibens. Sie machen einen selbstreflexiven Autor sichtbar, der sich nicht nur über die immer prekäre Auswahl seiner Menschenbilder kritische Gedanken macht, sondern auch über jene glatt polierten Bilder Salzburgs, die sich als von mächtigen wahrnehmungslenkenden Instanzen kollektiv eingeschliffene Geschichtskonstruktionen herausstellen. Diesen wollen seine Porträts Paroli bieten. Thaler ist sich der virulenten „Geschichtsvergessenheit“ beziehungsweise des „Schattendaseins“ objektiver Erinnerung unseres Zeitalters bewusst. Er weiß um die schwierig zu erschütternde Mächtigkeit derartig verhärteter und oft ideologiegetränkter Erinnerungskultur und hat ein anderes, wirklichkeitsnäheres „Zeitgewebe“ im Sinn. Dazu braucht es freilich aufmerksame, aufgeschlossene Leser*innen, die befähigt sind, hinter die Fülle von empirischen Daten und Fakten – jeweils den aktuellen Forschungsständen vertrauend (vgl. Literatur- und Quellenhinweise) – zu blicken. Thaler gibt sich nicht mit einer Wirklichkeit zufrieden, die wider besseres Wissen harmonisierend daherkommt. Er hat sich – ein Kind aus einfachsten Verhältnissen – ein Sensorium für jene erarbeitet, die nicht (mehr) im Rampenlicht der Erinnerung stehen oder noch nie im Rampenlicht gestanden sind – aus welchen Gründen immer: Bloßes Vergessen oder doch Verdrängung, oft wohl auch Vertuschung, Zufall oder doch Strategie?

Wie in allen Büchern Thalers dürfen sich die Leser*innen auf einen glasklaren Schreibstil freuen – da gibt es keine Schnörkel und Manierismen. Was Thalers Porträts, seine biografischen und zugleich zeitgeschichtlichen Erkundungen so eindringlich machen, ist nicht nur die Grundsatzentscheidung, uns, den Leser*innen, das biografische Geschehen im historischen Präsens nahe zu bringen, es also als unmittelbar gegenwärtig erscheinen zu lassen und nachvollziehbar zu machen. Es ist auch das G’spür für das Relevante des jeweiligen Lebens zu sehen, also für den roten Faden in einer Biografie, und jeweils jene Achse zu entdecken, die das jeweilige Leben zu einem mehr oder weniger gelungenen beziehungsweise einem mehr oder weniger verpfuschten gemacht hat, zu einem vorbildhaften oder gar verwerflichen Leben. Thalers Bemühungen haben ein geistiges Fundament – seine Überzeugung vom Individuum als einem in alle Richtungen offenen und freien Potenzial an eigenen Voraussetzungen, aber auch vom Individuum als einem Ort geschichtlicher Möglichkeiten und zugleich von Zufällen und Schicksalen. Besonders auffällig ist Thalers Neigung, immer wieder ganz bestimmte Aspekte zu betonen – etwa Kinderschicksale in den Blick zu nehmen, atemberaubende Karrieren, wirtschaftliche Grundlagen und Besitzverhältnisse zu beachten sowie überraschende familiäre Vernetzungen und überraschende private und soziale Beziehungen nicht unerwähnt zu lassen. Auch Kurioses und Herzzerreißendes haben Platz.

Ein Warnbuch? Ein Eye-Opener-Buch? Eine Wissensbereicherung? Ein Sensibilisierungsbuch jedenfalls.

Einführung

Es sind Personen und Naturgewalten, die unsere Welt stets neu gestalten.

Wie in meinen früheren Sammelbänden über Lebenswege und Leidensgeschichten von bedeutenden Pinzgauer*innen und Pongauer*innen betreibe ich auch in diesem Buch eine Art Spurensuche nach Persönlichkeiten, die im Orkus des Vergessens gelandet sind. Denn die Tsunamis an Informationen, die uns täglich überfluten, besonders aber das Gezwitscher (die Twitteria) der „social media“ und des Boulevards übersteigen die Fassungskraft der Aufnahme- und einer dauerhaften menschlichen Erinnerungsfähigkeit. Wir leben in einem Zeitalter der Geschichtsvergessenheit, in dem einige Medien mit ihrem Voyeurismus, den man in Österreich auch als „Lugnerismus“ bezeichnen könnte, dem wahrhaft Wichtigen den Boden entziehen. Gratiszeitungen, die mit ihren Trash-Programmen eine neue Gegenaufklärung betreiben, wetteifern mit den „Seitenblicke“-Programmen der TV-Kanäle zu zentralen Sendezeiten. Doch statt Seitenblicken wäre mehr Tiefblick gefragt!

Das Bundesland Salzburg hat eine Vielzahl von Persönlichkeiten hervorgebracht oder als Landesbürger*innen aufgenommen, die der Entwicklung der Welt einen deutlichen Schub verpasst, also nachhaltige Entwicklungen ausgelöst haben. Diese Menschen mit Vorbildcharakter haben es gewagt, die herrschenden Tabus und abgestandenen Wertvorstellungen eines jahrhundertelang erzkonservativen Fürsterzbistums zu durchbrechen. Sie waren weitsichtig genug, Entwicklungen zu erkennen und zu beschleunigen. Zu ihnen zählen der Pädagoge Franz Michael Vierthaler, der kulturelle Seismograph Österreichs, Hermann Bahr, der Maler Hans Makart, der die Kunst und das Gesellschaftsleben Wiens ein ganzes Vierteljahrhundert geprägt hat; dazu gehören später der Regisseur und Schriftsteller sowie das Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele, Ernst Lothar, der Philosoph des menschlichen Maßes Leopold Kohr, die Vorkämpferin der Frauenemanzipation Irma von Troll-Borostyani und viele Künstler*innen und Geistesmenschen. Sie und viele andere Salzburger*innen, die der Welt so viel gegeben haben, dürfen nicht in Vergessenheit geraten.

Manche der hier Porträtierten aber haben durch ihr Handeln großes Unrecht begangen und sind für den Tod vieler Menschen verantwortlich. Sie haben sich zu Unmenschen entwickelt, weil sie sich dem mörderischen Unrechtsregime des Dritten Reiches angedient haben. Daher wird hier das Leben des aus Salzburg stammenden steirischen Gauleiters Sigfried Uiberreither wie auch Adolf Höfles, des Adolf Eichmann von Salzburg, beleuchtet. Auch sie müssen dem Vergessen entrissen werden, weil das Böse auch in unserer Zeit latent vorhanden ist und daher den Anfängen gewehrt werden muss. Dem Verfasser wird manchmal gesagt, er solle doch die unrühmliche Vergangenheit ruhen lassen. Dem muss ich entgegenhalten, dass die Kultur der objektiven Erinnerung in Österreich immer noch ein Schattendasein führt. Sie wird verdeckt von den Schutzschichten der Verdrängung, der Verschleierung und der Verleugnung des Mitwissens. Daher ist es dringend geboten, auch deren Opfer zu benennen, etwa den Schauspieler Leo Reuss, den Schriftsteller Carl Zuckmayer, den Hotelier Isaac Arditti und Hitlers Frontkamerad, den Schriftsteller Alexander Moritz Frey, die allesamt den Verfolgungen des Nazi-Regimes und der Verdrängung der Nachkriegszeit ausgesetzt waren.

Weil es im Bundesland Salzburg so viele Menschen gibt, die als „historisch“ eingestuft werden können, fiel es mir auch diesmal schwer, eine gerechte Auswahl zu treffen. Gewisse Einschränkungen konnten aber leicht vorgenommen werden. Das musikalische Weltgenie Mozart, über das bereits ganze Bibliotheken geschrieben worden sind, habe ich bewusst ausgeklammert. Nicht jedoch Mozarts Ehefrau Constanze, die lange Zeit als geistlos und raffgierig Geschmähte, die Mozarts erste Biografie verfasst hat. Von Salzburgs größtem Lyriker Georg Trakl gibt es eine Fülle von Monografien und literaturwissenschaftlichen Abhandlungen, daher habe ich stattdessen den Leidensweg seiner Schwester Grete aufgezeichnet, der mit dem ihres Bruders schicksalhaft verstrickt ist. Der Literaturgigant Stefan Zweig ist in Salzburg ohnehin eine fest verortete Größe, daher versuche ich, dessen erste Ehefrau Friderike und seinen Cousin Max dem Vergessen zu entreißen. Keineswegs wollte ich den bedeutenden Salzburger Mathematiker, Physiker und Astronomen Christian Doppler ausblenden, denn dieser ist bei Weitem nicht so präsent im Bewusstsein der Bevölkerung, hat aber das Leben der Menschheit durch seine Forschungen extrem revolutioniert und verbessert.

Aufgenommen habe ich auch Persönlichkeiten wie die junge Pongauer Protestantin Elisabeth Oberbüchler, die durch die brutale Politik des Landesfürsten Erzbischof Firmian den Bauernhof in St. Johann verlassen und nach Ostpreußen emigrieren musste. Nicht übergehen konnte ich die Hausgehilfin Paula Fichtl aus Gnigl, die jahrzehntelang dem großen Psychoanalytiker Sigmund Freud und seiner Tochter Anna als Haushälterin zur Seite stand und mit ihm auch ins Exil nach England ging.

Ein besonderes Anliegen war es mir, bedeutende Frauengestalten im Buch zu porträtieren. Die meisten der hier beschriebenen Frauen mussten sich gegen Widerstände und Benachteiligungen ihren Platz erkämpfen, auch im Widerstreit gegen das Unwissen des eigenen Geschlechts. Zu groß waren die Übermacht der Männer und die starren Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft in der Vormoderne. Aber mit Mut und Zuversicht haben sie zu ihrem eigenen Leben gefunden und sind zu Vorzeigefiguren unseres Bundeslandes geworden. Sie sind Ikonen dafür, was Frauen erreichen können, wenn sie sich etwas zutrauen. So etwa die Vorkämpferin der Frauenemanzipation in Salzburg, Irma von Troll-Borostyani, oder die Powerfrau des Lungaus, Margit Gräfin Szápáry.

Neben den biografischen Darstellungen finden sich im Buch auch blitzlichtartig ausgeleuchtete Ereignisse, in denen strukturell und gesellschaftlich gut vernetzte Personen versucht haben, ihre Machtinstrumente zu ihrem persönlichen Nutzen einzusetzen. Diese kurzen Lebensausschnitte solcher Menschen sollen als Warnschilder aufgestellt sein, um Wiederholungen zu verhindern. Ihnen gegenüber stehen Künstler*innen-Persönlichkeiten, die im Stillen und konsequent an ihrem Lebenswerk gearbeitet und den Ruf Salzburgs als Kulturland gestärkt haben. Entstanden ist so ein Zeitgewebe über vier Jahrhunderte, dargestellt an Menschen der verschiedensten Sozialschichten, die es gilt, ins kollektive Bewusstsein zurückzuholen.

Walter Thaler

ELISABETH OBERBÜCHLER

* ca. 1713Todestag unbekannt

Das Schicksal einer protestantischen St. Johanner Bauerntochter

In den Salzburger Gebirgsgauen Pongau und Pinzgau fallen die Lehren Martin Luthers auf einen besonders fruchtbaren Boden. Die Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen im streng katholischen Kirchenstaat Salzburg scheinen sich unter den Erzbischöfen Johann Ernst Graf von Thun und Hohenstein und Franz Anton Graf von Harrach zu beruhigen. Doch als Leopold Anton von Firmian den erzbischöflichen Stuhl besteigt, ist es mit dem Religionsfrieden vorbei. Das Ziel des neuen Landesfürsten ist es, die katholische Kirche in Salzburg wieder zur alten „Macht und Herrlichkeit“ zu führen. Der von einer hemmungslosen Religiosität charakterisierte Landesherr formuliert seine Überzeugung in bildhafter Sprache: „Lieber Dornen und Disteln auf den Äckern als Protestanten im Lande.“

Firmian schickt 200 Soldaten in die Gebirgsregionen des Pongaus und Pinzgaus, um seine Macht zu demonstrieren und sie durchzusetzen. Protestanten werden zu Rebellen erklärt und fallen damit nicht mehr unter die Religionsfreiheit des Westfälischen Friedens. Der fanatische Landesfürst lässt zudem Jesuiten aus Bayern holen, die auf den Dorfplätzen predigen und die Evangelischen zur Rückkehr zum alten Glauben zwingen wollen. Als der Erfolg ausbleibt, lässt er in den Jahren 1731/32 auf Rat seines Hofkanzlers Hieronymus Cristani von Rall alle Protestanten des Landes verweisen. Firmian unterzeichnet am 31. Oktober 1731 das Emigrationspatent, das in offenem Widerspruch zur Vereinbarung des „Westfälischen Friedens“ von 1648 steht. In diesem ist ausdrücklich eine dreijährige Frist für eine Ausweisung vorgesehen. Der österreichische Kaiser Karl VI. ist zwar mit Firmians Vorgangsweise nicht einverstanden, begnügt sich jedoch, den erzbischöflichen Landesherrn zu einer milden Anwendung zu mahnen.

„Angesessene“ (d.h. Grundbesitzer) müssen je nach Größe ihres Grundbesitzes und Vermögens zehn Prozent als „Nachsteuer“ bezahlen, um die leeren Kassen des Fürsterzbischofs aufzufüllen. Innerhalb weniger Monate werden durch Firmians gnadenlose Härte mehr als 20 000 protestantische Salzburger*innen aus dem Land vertrieben. Auch die erst 18-jährige Bauerntochter Elisabeth Oberbüchler muss dieses grausame Schicksal erleiden und landet schließlich in der ostpreußischen Provinz rund um Königsberg (heute: russische Enklave Kaliningrad).

Bereits im Juli 1731 schickt Firmian Soldaten in die südlichen Salzburger Landesteile und lässt wichtige Orte und Pässe besetzen. Die Ankündigung von Truppen des österreichischen Kaisers Karl VI. führt zur Versammlung von etwa 150 Pongauer Protestanten des „Salzbundes“, die durch Eintauchen der Finger der rechten Hand in ein Salzfass bekunden, dass sie sich vom Lutherischen Glauben nicht werden abbringen lassen. Für den Erzbischof stellt dies das Verbrechen der Rebellion dar.

Doch dann kommt Rettung vom preußischen König Friedrich Wilhelm I., denn dieser unterzeichnet am 2. Februar 1732 das Immigrationspatent, in dem er die heimatlosen Salzburger*innen unter den Schutz des preußischen Staates stellt und ihnen eine neue Heimat in Ostpreußen anbietet. Das Gebiet zwischen den Flüssen Memel und Ister ist zwischen 1709 und 1711 durch die Pest drastisch entvölkert worden. Er schickt seinen Kommissar Göbel, der ein paar hundert Menschen erwartet. Doch zwischen dem 30. April 1732 und dem 15. Juli 1733 ziehen nicht weniger als 14 700 Salzburger Protestant*innen Richtung Norden. Der größte Teil der Exulant*innen wird von Stettin per Schiff nach Königsberg gebracht. Am 28. Mai 1732 kommt das erste Schiff in Königsberg an. Die beschwerliche Reise per Schiff fordert allerdings zahllose Todesopfer, vor allem unter den Kindern. So sterben von den 10 700 Personen auf 19 Seetransporten 515 Menschen.

Unter den Neuankömmlingen ist auch die erst 18-jährige Elisabeth Oberbüchler aus St. Johann im Pongau. Mit acht Geschwistern wächst sie auf einem Bergbauernhof auf. Sie ist von Kindheit an nach dem evangelischen Glauben aufgezogen worden und mit der Bibel bestens vertraut. Als am 20. Juli 1731 in St. Johann eine Kommission mit dem Hofkanzler Cristani von Rall auftaucht, bekennen sich allein in diesem Pongauer Ort 2700 Menschen zum Lutherischen Glauben, darunter auch die gesamte Familie Oberbüchler. Am 24. November 1731 erscheinen Soldaten auf dem Oberbüchler-Hof und zwingen die Familie mit roher Gewalt mitzukommen. Die erwachsene Elisabeth und zwei ihrer Brüder werden nach Salzburg verfrachtet, um sie aus dem Land zu vertreiben. Die Ausstellung der Auswanderungspässe dauert jedoch fünf Wochen, so dass bereits Schnee gefallen ist, als sie sich in Richtung Bayern auf den Weg machen müssen. Über Rosenheim und Schongau kommen sie am 27. Dezember endlich nach Kaufbeuern, wo Katholiken und Protestanten konfliktfrei leben.

Die gastfreundliche Stadt nimmt die ca. 750 Exulant*innen auf, kann sie aber auf Dauer weder beherbergen noch ihnen Arbeit verschaffen. Elisabeth und ihre Schwester allerdings kommen bei einem Goldschmied unter. Als dann aber das Angebot des preußischen Königs eintrifft, machen auch sie sich auf den Weg. Als sie hören, dass sich auch ihre Brüder in Preußen ansiedeln wollen, schließen sie sich dem immer stärker werdenden Strom der Emigranten in Richtung Norden an. Nach einem langen und beschwerlichen Fußmarsch kommen die Salzburger Exulant*innen endlich in Brandenburg an, wo sie vom Herrscherpaar Friedrich Wilhelm I. und seiner Gattin, Kurfürstin Sophie Dorothea, empfangen werden. Die Kurfürstin ist vom Anblick der Exulant*innen in Salzburger Tracht so angetan, dass sie dem Hofmaler Antoine Pesne den Auftrag erteilt, drei von ihnen zu porträtieren: einen alten Mann, eine Frau und das junge Mädchen Elisabeth Oberbüchler. So entsteht das reizende Porträt der jungen Protestantin in ihrem roten Wams. Sie scheint die Strapazen der Auswanderung während der Wintermonate glänzend überstanden zu haben, denn sie wirkt auf dem Ölbild in keiner Weise übermüdet oder krank. Der Glaube und der Zusammenhalt untereinander dürfte sie gestärkt haben. Von da an verlieren sich ihre Lebenslinien. Es ist anzunehmen, dass ihr Weg mit Heirat und Familiengründung vorgezeichnet war.

Sie dürfte wie der Großteil der Salzburger Vertriebenen nach Ostpreußen gekommen sein. Vor allem in den Kreisen Gumbinnen, Pillkallen, Stallupönen und Darkehmen werden nämlich den Salzburger*innen landwirtschaftliche Flächen zur Verfügung gestellt. So werden im Jahr 1734 in diesen Regionen bereits mehr als 11 500 Salzburger*innen angesiedelt. Als Bergbäuerinnen und Bergbauern verstehen sie sich hervorragend auf die Pferde- und Viehzucht und mit ihrem Einzug in das flache ostpreußische Gebiet an der Ostsee bringen sie auch den Kartoffelanbau nach Norddeutschland, der in Salzburg schon länger bekannt ist.

Zwei Jahrhunderte später werden die Nachfahren der protestantischen Salzburger Aussiedler*innen genau in diesem Gebiet Ostpreußens an der Nordsee erneut zu Emigrant*innen. Denn in den Märztagen 1945 wird die Schlacht von Heiligenbeil (heute: Mamonowo) zu einer der letzten großen Kesselschlachten des Zweiten Weltkrieges. Im Rahmen der Schlacht um Ostpreußen wird die 4. Armee von den sowjetischen Truppen mit dem Rücken zum zugefrorenen Haff eingeschlossen. Diese deutsche Armee hatte es im Winter 1944/45 geschafft, die Zivilbevölkerung Ostpreußens zu einem großen Teil über das gefrorene Haff nach Westen zu schleusen. Doch nun sind sie von den deutschen Truppen abgeschnitten und von der russischen Armee eingekesselt. In einem zweimonatigen Kampf im März und April 1945 fallen 80 000 deutsche Soldaten oder werden verwundet, 50 000 kommen in russische Gefangenschaft.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden die Landkreise, in denen die Salzburger Protestant*innen eine neue Heimat gefunden haben, als russische Enklave aus dem alten deutschen Gebiet ausgegliedert und als Enklave Kaliningrad zu einem russischen Sperrgebiet erklärt. Für die verbliebene deutsche Bevölkerung (ca. 25 000 Menschen), die gegen Kriegsende nicht vor den Russen in den Westen fliehen können, besteht zunächst ein Ausreiseverbot. Ihre Vertreibung beginnt erst auf Befehl Stalins vom 11. Oktober 1947. Bis 1992 ist die Enklave Kaliningrad (Oblast Kaliningrad) für westliche Besucher*innen gesperrt. So sind die Nachfahr*innen der Salzburger Exulant*innen mehr als 200 Jahre später wieder zu Vertriebenen geworden. Als Erinnerung an ihre Verbundenheit mit der ursprünglichen Heimat wird von der Sektion Königsberg des Deutschen Alpenvereins im Jahr 1927 in 1 630 Metern Höhe direkt vor dem Massiv des Hochkönigs die Ostpreußenhütte errichtet.

FRANZ MICHAEL VIERTHALER

1758–1827

Salzburgs erster großer Schulreformer

Franz Michael Vierthaler wird wegen seiner umwälzenden Schulreformen mit Fug und Recht als einer der größten Pädagogen Österreichs eingestuft. Es ist die Zeit der Aufklärung, in die Vierthaler hineinwächst. Den alten Autoritäten der Kirche und der königlichen Macht wird nun die Vernunft gegenübergestellt. Ausgehend vom französischen Philosophen René Descartes gehen Voltaire und Jean-Jacques Rousseau von konkretem Wissen und freiem Denken aus. Rousseau fordert in seinem Werk „Émile oder Über die Erziehung“ in Vorwegnahme der Französischen Revolution das Prinzip der Gleichheit.

Im Sinne der Aufklärung löst Vierthaler in Salzburg das Schulwesen aus der Hörigkeit der Kirche und des Militärs und führt als erster eine geregelte Lehrerausbildung ein. Mit seinen Standardwerken zur Pädagogik und seinen zahllosen philosophischen und geografischen Schriften übt er einen großen Einfluss auf die gesamte Bildungspolitik des Habsburgerreiches aus. Durch sein Wirken als Direktor des Waisenhauses in Wien, das 2 500 Zöglinge betreut, verbessert er die medizinische und hygienische Versorgung und wird zum Vorbild für die im 20. Jahrhundert entstehenden Kinderdörfer.

Vierthaler wird am 25. September 1758 als fünftes Kind des Maurermeisters und Stuckateurs Jakob und seiner Gattin Maria Anna Vierthaler in Mauerkirchen im bayerischen Innviertel geboren, wo er die Pfarrschule besucht. Wegen seiner schönen Singstimme empfehlen ihn der örtliche Pfarrer und seine beiden geistlichen Onkel dem Benediktinerstift Michaelbeuern als Sängerknabe. Dort kommt er erstmals mit der lateinischen Sprache in Kontakt, für die er zeit seines Lebens Begeisterung zeigt. Ein Jahr später tritt er zu den fürsterzbischöflichen Sängerknaben in Salzburg über und wird Schüler des mit der Benediktineruniversität verbundenen Gymnasiums. Später setzt er seine Studien im bayerischen Burghausen fort. Im Herbst 1775 inskribiert er an der Universität Salzburg. Zu Beginn des Studiums muss er die zweijährige philosophische Fakultät absolvieren, die für alle weiteren Studien als Vorstufe verpflichtend ist. Er wählt sodann die juridischen Fächer, obwohl seine Vorliebe den klassischen Sprachen und der Geschichte gilt.

Eine Zeitlang versucht er sich als Dramatiker und kann sein Trauerspiel „Der englische Spion“ mit Erfolg im Salzburger Hoftheater aufgeführt sehen. Als am Kollegium Virgilianum, einem Institut für junge Adelige zur Erklärung und Wiederholung des universitären Lehrstoffes, eine Instruktorenstelle frei wird, bekommt er diese. Doch als ihm kurz darauf ein Theologe als erster Instruktor vorgesetzt wird, verlässt er das Institut und widmet sich erneut der schriftstellerischen Tätigkeit. Schon bald erscheint der erste Band seines siebenteiligen Werkes „Philosophische Geschichte der Völker und Menschen“ (1787).

In der Habsburgermonarchie hat Maria Theresia 1774 mit ihrer „Allgemeinen Schulordnung“ maßgebliche Schulreformen durchgeführt und die Unterrichtspflicht auf alle Schichten der Bevölkerung ausgeweitet. Es ist dies die erste Maßnahme für eine verpflichtende und egalitäre Grundschulbildung. Daher erkennt es auch der geistliche Landesfürst Hieronymus Graf Colloredo im Fürsterzbistum Salzburg als Notwendigkeit, eine moderne leistungsfähige Staatsbürokratie einzurichten. Diese führt über die Ausweitung der Bildung und die Einbeziehung bürgerlicher Akademiker anstatt bloß adeliger Funktions- und geistlicher Würdenträger in die Staatsführung. Eine verpflichtende Grundschulbildung für breite Bevölkerungsteile ist dafür die wesentlichste Voraussetzung. Der Nützlichkeitsgedanke überwiegt dabei die Vorteile einer humanistischen Bildung. Das Haupthindernis für eine tiefgreifende Änderung liegt in der mangelnden pädagogisch-didaktischen Ausbildung der Lehrer. Daher kommt die von Colloredo eingesetzte Schulreformkommission zur Einsicht, dass ein Lehrerseminar eingerichtet werden müsse.

Nach jahrelangem Zögern betraut Colloredo schließlich Vierthaler mit dem Aufbau eines Lehrerseminars. Dieses wird im sogenannten Ritzerbogenhaus (heute: Buchhandlung Höllrigl) eingerichtet. Mit der Verpflichtung für die Lehramtskandidaten zu hospitieren und mit praktischen Lehrversuchen schafft Vierthaler die Grundlagen für die moderne Pädagogik. Er verfasst zudem zahlreiche pädagogische Schriften und Lehrbücher und übernimmt zusätzlich die Ordnung und Katalogisierung der erzbischöflichen Bibliothek. Auf Wunsch des Landesfürsten übernimmt er auch die von Lorenz Hübner geleiteten Zeitungen „Staatszeitung von Salzburg“ und „Literaturzeitung von Salzburg“. Seine naturkundlichen und historischen Reisen gibt er unter dem Titel „Reisen durch Salzburg“ (1799) heraus. Er nimmt auch am zweiten Versuch der Erstbesteigung des Großglockners teil. So kann Vierthaler in Salzburg als Begründer der Reiseliteratur bezeichnet werden.

Als Vierzigjähriger heiratet er Josefa Kleinmayrn, die älteste Tochter des Hofratsdirektors Franz Thaddäus von Kleinmayrn und bezieht eine Wohnung am Waagplatz 72. Als am 26. Dezember 1802 das Fürsterzbistum Salzburg endgültig säkularisiert wird, übernimmt der Bruder des Kaisers, Erzherzog Ferdinand, bisher Großherzog von Toskana, als Entschädigung für das verlorene italienische Gebiet das Erzstift, das damals noch Teile von Bayern umfasst (Berchtesgaden und die Bistümer Passau und Eichstätt). Als einziger aus der von Fürsterzbischof Colloredo eingesetzten Schulkommission behält Vierthaler sein Amt. Und er übernimmt alle Schulen und Erziehungsanstalten des Landes mit Ausnahme der Universität und des ihr angegliederten Gymnasiums. Er steigt damit zum allmächtigen Landesschulinspektor im Fürsterzbistum Salzburg auf.

Doch damit scheint sein Aufgabenbereich noch zu knapp bemessen. Denn der neue Landesherr Erzherzog Ferdinand überträgt ihm auch die Verwaltung der beiden Waisenhäuser in der Vorstadt Mülln. Die Sorge um verwaiste Kinder ist bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ausschließlich Aufgabe der Geistlichen. Die Waisenhäuser an der Salzach sind wirtschaftlich und administrativ ruinös geführt und dem Verfall preisgegeben. Erst durch die Verdrängung des Prinzips der göttlichen Vorsehung durch den Verstand im Sinne der Aufklärung und durch die Forderung des Gemeinwohls als staatliche Aufgabe geraten soziale Fürsorgeeinrichtungen in den Fokus der Herrschenden. Dem jungen Kurfürstentum Salzburg ist noch keine politische Ruhe beschieden. Denn 1806 stürmen wieder bayerische und französische Truppen ins Land. Vierthaler hat schon bei der ersten Besetzung Salzburgs durch die Franzosen die berühmte erzene Statue des Jünglings von Helenenberg, die sich seit 1506 in Salzburg befindet, versteckt und so einem Kunstraub durch die feindlichen Truppen vorgebeugt. Nun wird er im Oktober 1806 zum Direktor des Wiener Waisenhauses ernannt. Vierthalers Bedeutung als reformatorischer Pädagoge und Wissenschafter wird also noch durch seine sozialpädagogischen Verdienste gesteigert.

Der von pädagogischen Motiven geprägte Wissenschafter tritt nun vehement dafür ein, dass auch diesen Kindern eine gründliche Schulbildung zuteil wird und fähiges Lehrpersonal die Bildung und Erziehung übernimmt. Bisher hatten Offiziere und Invaliden diese Aufgaben inne gehabt. Vierthaler ersetzt diese durch ausgebildete Lehrer, unter denen sich auch Ferdinand Schubert, der Bruder des Komponisten Franz Schubert, befindet.

In Wien ist der inzwischen berühmt gewordene Schulreformer und Sozialpädagoge ein gern gesehener Gast im Haus der bekannten Schriftstellerin Karoline Pichler (1769–1843), wo er die Crème de la Crème der Wiener Künstler*innen und Schriftsteller*innen trifft und Teil des intellektuellen Lebens wird. Er verkehrt mit den Dichtern Franz Grillparzer, Ferdinand Raimund und Clemens von Brentano sowie dem Komponisten Franz Schubert. Als die Franzosen 1809 neuerlich in Wien einrücken, vertraut Kaiser Franz I. dem Pädagogen seine Porträtsammlung an, die dieser im Keller des Wiener Waisenhauses vor den französischen Heerscharen versteckt. In den zwanzig Jahren seiner Wiener Zeit arbeitet Vierthaler weiter an seinem siebenbändigen Werk „Philosophische Geschichte der Menschen und Völker“. In Folge eines Schlaganfalls stirbt der 69-jährige Pädagoge und Humanist und wird auf dem Währinger Friedhof zur letzten Ruhe gesetzt. Im Salzburger Stadtteil Schallmoos ist eine Straße nach ihm benannt. Durch sein umsichtiges pädagogisches und soziales Wirken gilt Vierthaler als „Österreichs Pestalozzi“ und „Vater der Waisen“.

CONSTANZE MOZART

1762–1842

Mozarts erste Biografin

Mozarts Frau, mit der er neun Jahre verheiratet ist, steht zeitlebens und bis heute im Schatten des musikalischen Weltgenies. Die Urteile über sie sind stets extrem emotionsgeladen und reichen von „geistlos, egoistisch, raffgierig, triebhaft“ bis zu „liebende Ehefrau“. Überwiegend wird sie als „graues Aschenputtel“ an der Seite des Genies beschrieben und ihr jede Intellektualität abgesprochen. Sogar eine Mitschuld an seinem frühen Tod wird ihr angelastet. Wenn man Mozarts Briefen Glauben schenken kann, so scheint die Ehe glücklich gewesen zu sein. Viele Biografien beschäftigen sich mit der Frage, warum sie sich nicht um Mozarts Grab gekümmert habe. Selbst Albert Einstein stimmte in die Herablassungen ein: „Constanzes Ruhm besteht darin, dass Mozart sie geliebt hat und damit in die Ewigkeit mitgenommen, so wie der Bernstein die Fliege.“

Die Liste der Verunglimpfungen befindet sich bis in unsere Zeit auf dem Niveau der Klatschpresse und dürfte eher einem frauenfeindlichen Verständnis entspringen. Der schon zu Constanzes Lebzeiten entstehende Geniekult um Mozart gestattet wohl keine adäquate Partnerin neben ihm. Jedenfalls hat sie mit ihrer ersten Biografie Mozarts diesen Geniekult erst richtig ausgelöst und ist als eine faszinierende Frau, Bannerträgerin und Nachlassverwalterin Mozarts in die Musikgeschichte eingegangen. Gemeinsam mit ihrem zweiten Mann Georg Nikolaus Nissen (1761–1826) ist es ihr Verdienst, dass die Musik Mozarts im 19. Jahrhundert nicht der Vergessenheit anheimgefallen ist.

Constanze Mozart wird am 5. Jänner 1762 als dritte von vier Töchtern des Bassisten und Kopisten Franz Fridolin Weber und seiner Frau Maria Cäcilia in Zell im Wiesental in Baden-Württemberg geboren und wächst in Mannheim auf. Im Jahr 1777 macht Mozart auf seiner Reise nach Paris in Mannheim Zwischenstation und lernt Constanze Weber im Hause ihres Vaters kennen. Mozart verliebt sich in Constanzes Schwester Aloysia und fasst sogar den Plan, mit ihr als Primadonna, ihrem Vater als Impresario und Constanze als Hausgehilfin eine Konzertreise nach Italien zu unternehmen. Doch Mozarts Vater befiehlt ihm, die bereits zugesagte Reise zusammen mit der Mutter Maria Anna nach Paris anzutreten. Aloysias Mutter ist darüber nicht unglücklich, denn sie will unbedingt eine Heirat ihrer musikalisch begabten Tochter mit dem Musikgenie verhindern.

In Paris stirbt Mozarts Mutter. Als Mozart am Weihnachtstag 1778 nach Mannheim zurückkehrt, zeigt Aloysia kein Interesse mehr an ihm. Deshalb setzt sich dieser ans Klavier und soll gesungen haben: „Leck mich das Mensch am Arsch, das mich nicht will“ (zit. nach Rieschel, 35).

In Salzburg ist Mozart ständig in Konflikt mit dem Landesfürsten Erzbischof Colloredo, der ihn wie einen Kammerdiener behandelt und ihn ohne seine Genehmigung nicht auftreten lässt. Der Fürsterzbischof beschuldigt Mozart der Flegelhaftigkeit, und nach einem Wortwechsel soll ihn dessen rechte Hand, Graf Karl Joseph Arco, mit einem Tritt hinausbefördert haben. So wird Mozart in einer Zeit, da Musiker nur an einem Fürstenhof oder im Dienste der Kirche überleben können, zu einem freischaffenden Künstler. Als die Familie Weber 1781 nach Wien übersiedelt, gerät Mozart wieder in den Bannkreis der äußerst musikalischen Familie. Aloysia hat inzwischen den Maler Joseph Lange geheiratet, von dem die bekanntesten Bilder der Familie Weber und auch ein populäres Bild Mozarts stammen. Nach dem Tod des Vaters muss die Witwe Weber in dem alten Haus mit dem Namen „Auge Gottes“ Zimmer vermieten, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Mozart lebt in Wien sogar eine Zeitlang bei den Webers, muss aber ausziehen wegen des „Geredes der Leute“.

Am 4. August 1782 heiratet Mozart gegen den Willen seines Vaters und seiner Schwester Maria Anna („Nannerl“) Constanze Weber im Stephansdom. Sowohl Vater als auch Schwester weigern sich, an der Hochzeit teilzunehmen. Besonders die erfolgreiche Pianistin Nannerl macht in Briefen an Mozart immer wieder klar, dass eine „Weberische“ im Tanzmeisterhaus (Mozarts Wohnhaus, Makartplatz 8) höchst unwillkommen ist. Mozart droht seiner Schwester darauf mit einem Dutzend Ohrfeigen.

Scheinbar ist es der Ruf über die Freizügigkeit von Constanzes Lebenswandel, der mit den biederen Vorstellungen von Leopold Mozart nicht in Einklang zu bringen ist. Man sagt ihr eine gewisse Leichtfertigkeit im Umgang mit Männern nach, doch eheliche Untreue lässt sich nicht nachweisen. Der Hofmusiker und Komponist Peter Winter bezeichnet Constanze bereits im Jahr 1781 Mozarts Vater gegenüber als „Luder“. Mozart wehrt sich und bezeichnet Winter in einem Brief an seinen Vater als „hundsföttig“. Mozart sieht sich daher genötigt, über seine junge Frau an den Vater Folgendes zu schreiben: „Sie ist nicht hässlich, aber auch nichts weniger schön, ihre ganze Schönheit besteht in zwei kleinen schwarzen Augen und in einem schönen Wachstum. Sie hat keinen Witz, aber gesunden Menschenverstand, genug um ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllen zu können.“ Er berichtet ihm aber auch über das „fürstliche“ Hochzeitsmahl, das Baronin Elisabeth Waldstätten für das Brautpaar gegeben hat und schließt den Brief mit den Worten: „Nun freuet sich meine liebe Constanze noch hundertmal mehr, nach Salzburg zu reisen!“ Seiner jungen Frau legt Mozart aber nahe, „auf seine und ihre Ehre Rücksicht zu nehmen.“ Mozart selbst aber nimmt es mit seiner ehelichen Treue nicht allzu genau, denn er fühlt sich immer wieder auf seinen Reisen zu anderen Frauen hingezogen. Das Musikgenie denkt aber gar nicht daran, seinem Vater und Nannerl seine junge Frau vorzustellen, obwohl der Vater in Briefen ständig darauf drängt. Der Umstand, dass Constanze schwanger ist, zögert die beschwerliche drei- bis viertägige Kutschenfahrt zusätzlich hinaus. Mitte Februar 1782 steckt Mozart zudem in einer schweren Finanzkrise, weil er einem Kaufmann eine Menge Geld schuldet. Die Baronin Waldstätten hilft ihm allerdings aus der Patsche. Erst ein Jahr später, am 26. oder 27. Juli 1793 kommen Mozart und Constanze mit der Postkutsche vor dem Tanzmeisterhaus in Salzburg an, wo sie trotz des eisigen Empfangs 14 bis 16 Wochen bleiben. Von den sieben großen Kutschenreisen, die Mozart in seinen letzten 12 Lebensjahren unternimmt, führt ihn nur diese eine in seine Heimatstadt. In Salzburg vollendet Mozart die Messe, die er für seine Frau nach einer geglückten Entbindung gelobt hatte zu komponieren, er schreibt für Michael Haydn zwei Duette und zwei Akte einer Oper von Giambattista Varesco (1735–1805), die allerdings nie vollendet wird. Ob die Wurzeln für die Entstehung der Oper „Die Zauberflöte“ auf die zahlreichen Besuche Mozarts im Aigner Park mit seiner geheimnisvollen Illuminatengrotte zurückgehen, bleibt wohl ungeklärt. Mozart und Constanze treffen im 1760 gegründeten Kaffeehaus (Zillnerhaus) am Alten Markt auch den Sänger Josef Tomaselli. Constanze kann damals nicht ahnen, dass sie rund 40 Jahre später in einem oberen Stockwerk des Hauses wohnen wird.

Das Leben Constanzes an der Seite Mozarts ist keineswegs leicht, denn er kann mit Geld nicht umgehen und ist ständig verschuldet. Seine Hyperaktivität ist zudem eine schwere Belastung für die sensible junge Frau. Constanze wird in den neun Ehejahren mit Mozart sechsmal schwanger, doch nur die Söhne Carl Thomas (1784–1858) und Franz Xaver Wolfgang (1791–1844) überleben. Nach Aussage ihrer Schwester Sophie leidet Constanze an einer Beinkrankheit, die ihr immer wieder große Schmerzen bereitet. Die Behandlungskosten engen in der Folge den finanziellen Spielraum des Musikgenies noch mehr ein.

Constanze, die eine schöne Stimme hat und auch sehr gut Klavier spielt, erreicht allerdings nicht das stimmliche Niveau ihrer Schwester Aloysia. Mozart aber zieht sie als Beraterin ständig heran und spielt ihr auch seine neuen Kompositionen vor. Constanze hat Mozart durchaus inspiriert. Daher widmet Mozart seiner Frau mehrere Werke, darunter die Sopranpartie der großen c-Moll-Messe. Als Mozart in der Nacht zum 5. Dezember 1791 stirbt, ist Carl sieben Jahre und Wolfgang sechs Monate alt. Er hinterlässt seiner Frau enorme Schulden, eine unfertige Partitur seines „Requiems“, für das er entlohnt worden ist, und einen ganzen Stapel ungeordneter und unvollständiger Musikautografen. Trotz der enormen Not verkauft Constanze jedoch die Manuskripte zunächst nicht, für die sie wegen des bereits großen Ruhms Mozarts großzügig entlohnt worden wäre, sondern bewahrt sie sorgfältig auf.

Nach dem Tod des musikalischen Genies gelingt es ihr dank hochherziger Hilfen, ein Abgleiten in äußerste Not zu verhindern. So ist es ihr großes Verdienst, dass die Autografen nicht in alle Welt verstreut sind. Trotzdem ist sie von manchen Biografen als raffgierige und betrügerische Geschäftemacherin diffamiert worden. Die Ursache dafür mag in der Tatsache begründet sein, dass zwei Fragen bislang nicht ausreichend beantwortet werden können: Warum hat sie sich nie um Mozarts Grab gekümmert? Und warum hat sie bezüglich des „Requiems“ verschwiegen, dass der Komponist Franz Xaver Süßmayr (1766–1803) nach Mozarts Tod das „Requiem“ vervollständigt hat? Unbezweifelbar steht jedoch fest, dass es ein lebenslanges Anliegen der Witwe Mozarts war, sein Andenken wachzuhalten.

Gemeinsam mit ihrer Schwester Aloysia unternimmt Constanze 1795/96 eine Konzertreise mit Mozarts Werken durch Deutschland. Die beiden Söhne bringt sie auf das Landgut Villa Bertramka des befreundeten Ehepaares Josepha und Franz Xaver Duschek bei Prag. Erst zur Jahreswende 1799/1800 verkauft sie die noch vorhandenen Autografen Mozarts an den Offenbacher Musikverleger Johann Anton André.

Im Jahr 1797 lernt Constanze den dänischen Legationssekretär und Diplomaten Georg Nikolaus Nissen kennen. Sie kann ihn erst 1809 auf der Flucht vor Napoleon im damals ungarischen Preßburg heiraten, da im österreichischen Teil des Habsburgerreiches religiöse Mischehen verboten sind. Constanze führt ab dem Winter 1800 in Wien einen der wichtigsten musikalischen Salons am Michaelerplatz, um Mozarts kammermusikalische Werke zur Aufführung zu bringen. Als der Diplomat 1810 nach Kopenhagen berufen wird, lebt Constanze mit ihm zehn Jahre in der dänischen Hauptstadt. Zwischen 1820 und 1824 bereist das Ehepaar Nissen Deutschland, bevor es sich 1824 endgültig in Salzburg niederlässt.

Nissen ist den beiden überlebenden Söhnen Mozarts ein liebevoller Vater. Carl, den Constanze zum Kaufmann ausbilden lässt, wird von ihr nach Italien geschickt, wo er als Verwaltungsbeamter der Monarchie lebt und 1858 als letzter Mozart stirbt. Sein Bruder Franz Xaver Wolfgang, ein begabter Sänger, Komponist und einer der renommiertesten Pianisten der Zeit, arbeitet in Lemberg beim Grafen Viktor von Baworowski, da er in der Pubertät mit seinen Eltern ständig in Konflikt geraten ist. In Salzburg machen sich Constanze und Nissen daran, das Leben Mozarts aufzuarbeiten und eine erste Biografie zu verfassen. Doch Constanze schildert ihrem Gatten hauptsächlich vordergründige Begebenheiten und kann über seine Musik nur Oberflächliches berichten. Daher stützt sich Nissen auf die Aufzeichnungen des Philosophen und Musikkritikers Franz Xaver Niemetschek. Zudem ist Nissen bemüht, alle ihm unschicklich erscheinenden Ereignisse im Leben Mozarts auszublenden, denn er will dem Ruhm des Meisters keinesfalls schaden. Als Nissen – der kein Adeliger war – 1826 stirbt, nimmt Constanze ein „von“ in ihren Namen auf. Sie vervollständigt Mozarts Lebensbericht. Das Buch „Biographie W.A. Mozarts“ erscheint 1828 und wird in Europa viel gelesen und in mehrere Sprachen übersetzt. In ihren letzten Lebensjahren in Salzburg darf auch ihr Beitrag für die Gründung des Mozarteums und die Errichtung der Mozartstatue auf dem Mozartplatz nicht unterschätzt werden.

Constanze stirbt am 6. März 1842 in Salzburg an einer Lungenentzündung und überlebt damit Mozart um ein halbes Jahrhundert. Ihre jüngere verwitwete Schwester Sophie, die mit ihr im ehemaligen Domherrenstöckl Mozartplatz 8 wohnt, kann wenige Wochen nach Constanzes Tod ihre Blicke auf das neu errichtete Mozartdenkmal richten. Der „Witwe Mozart“, wie Constanze sich auch in ihrer Ehe mit Nissen stets bezeichnet hat, ist dieser sehnsüchtige Rückblick nicht mehr gegönnt.

Drei weniger biografische als fiktionale, allerdings sehr lesenswerte Romane über Constanze Mozart haben die österreichische Schriftstellerin Renate Welsh („Constanze Mozart. Eine unbedeutende Frau“), die Münchener Kunsthistorikerin und Schriftstellerin Lea Singer („Das nackte Leben“) sowie die aus Constanze Mozarts Geburtsort stammende Schriftstellerin Heidi Knoblich („Constanze Mozart geb. Weber“) verfasst. Der Tiroler Dramatiker Felix Mitterer hat das Leben der Familie Weber in seiner musikalischen Komödie „Die Weberischen“ dramatisch gestaltet.

BARBARA KRAFFT

1764–1825

Sie schuf das Porträt Mozarts

Fast niemand kennt ihren Namen. Auch sind kaum dokumentarische Materialien wie Briefe, Tagebucheintragungen oder andere persönliche Zeugnisse von ihr erhalten. Nur Kunstexperten wissen um ihre wichtigsten biografischen Lebensstationen und kennen ihre bedeutendsten Bildnisse. Aber fast alle kennen das von ihr geschaffene Porträt Mozarts, das sogar Mozartkugeln ziert. Barbara Krafft hat 28 Jahre nach dem Tod Mozarts im Jahr 1819 nach den Angaben von Mozarts Schwester Nannerl das am häufigsten reproduzierte und inzwischen bekannteste Bildnis Mozarts gemalt. Sie gehört zu den bedeutendsten Porträtmalerinnen des Klassizismus und verstand es als Künstlerin, sich ein Netzwerk von Auftraggebern zu schaffen und Verkaufsausstellungen zu organisieren. Kurzum: Sie ist nicht nur eine bedeutende Malerin, sondern auch ein Marketingtalent des 18. und 19. Jahrhunderts.

Barbara Krafft wird am 1. April 1764 in Iglau an der böhmisch-mährischen Grenze als Tochter des k. u. k. Hofmalers Johann Nepomuk Steiner geboren. Er porträtiert Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Joseph II., bleibt aber trotzdem ein von Geldsorgen geplagter Künstler. Die Mutter Maria Anna verfügt deshalb in ihrem Testament, dass nur das Kind erbberechtigt sein soll, das einen „ordentlichen“ Beruf ergreift. Daher erhält Barbara nach deren Tod nur den Pflichtteil, Bruder Franz Xaver, der Chirurg ist, wird Universalerbe. Schon in ihren Kinderjahren erhält Barbara Malunterricht von ihrem Vater, mit dem sie nach Wien übersiedelt und dort 1786 ihr erstes Bild ausstellt. Sehr rasch macht sie sich als Porträtmalerin einen Namen.

1789 heiratet sie den Apotheker Josef Krafft. Im Jahr 1792 wird ihr Sohn Johann August geboren, den sie zum Maler ausbildet und der später in München als Lithograf tätig wird. Die Tochter Barbara wird 1801 in Prag geboren. In der Folge signiert sie ihre Bilder mit „Barbara Krafft nata Steiner pixit“ (Barbara Krafft, geb. Steiner hat es gemalt), um ihres Vaters Bekanntheit und ihre Herkunft als Qualitätsmerkmale anzuführen. 1794 zieht Barbara mit ihrem Mann und Sohn Johann August in die fürsterzbischöfliche Residenzstadt Salzburg, weil sie sich dort weniger künstlerischer Konkurrenz stellen muss. Die Stadt zählt damals 16 000 Einwohner und ist bereits vom Geist der Aufklärung geprägt. Sehr rasch erhält sie Aufträge für großformatige Repräsentationsporträts durch Salzburger Adelsfamilien, so etwa von Graf und Gräfin Kuenberg oder von Franz Xaver Altgraf von Salm-Reifferscheidt, aber auch von wohlhabenden Bürgerfamilien. Alle hier geschaffenen Porträts bemühen sich um eine Deutung des Charakters der dargestellten Person, was sich besonders in den Mund- und Augenpartien abzeichnet. Die Porträts der Salzburger Bürger*innen zeugen durch die genaue Darstellung von teuren Stoffen und prachtvollem Schmuck von der Wohlhabenheit der Dargestellten. Obwohl sie nur zwei Jahre in der Stadt verbringt, entstehen damals viele bedeutende Porträts, von denen das Salzburg Museum eine Reihe besitzt.

Von Salzburg übersiedelt sie in ihre Geburtsstadt Iglau und geht 1797 nach Prag. Die Gründe für ihren oftmaligen Ortswechsel sind unbekannt. Vermutlich hat die Adelsfamilie Kuenburg eine Vermittlerrolle gespielt. Zudem ist Prag weitaus größer als Salzburg und zeigt ein reges kulturelles Leben. In den sieben Prager Jahren entstehen wieder eine Reihe von Porträts und auch ihr einziges Altarbild für die Pfarrkirche von Bubeneč, einem Stadtteil von Prag.

Als Barbara Krafft 1804 nach Salzburg zurückkehrt, ist Salzburg mittlerweile durch die Napoleonischen Feldzüge zu einem Spielball der europäischen Politik geworden. Das geistliche Fürsterzbistum ist jetzt ein weltliches Kurfürstentum, das 1806 unter die Habsburgerherrschaft, 1809 unter französische, 1810 unter bayerische Verwaltung und schließlich ab 1816 endgültig ins k. u. k. Reich eingegliedert und zu einem Bezirk Oberösterreichs degradiert wird. Durch die Kriegsgeschehnisse leidet das Kulturleben enorm. Doch die ehemals als Auftraggeber für ihre Porträts aufgetretenen reichen Bürgerfamilien übernehmen nun wichtige Verwaltungsaufgaben, was sich für die Künstlerin wirtschaftlich positiv niederschlägt. Im Jahr 1819 entsteht das Mozartporträt im Auftrag Joseph Sonnleitners nach den Angaben von Mozarts Schwester Nannerl. Sonnleitner ist Librettist, Theaterdirektor, Archivar und Gründer der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Das Porträt des Musikgenies soll Mozart nach den Angaben Nannerls am treffendsten darstellen.

Nach 16 Jahren verlässt Barbara Krafft erneut Salzburg und zieht mit ihrem bereits künstlerisch tätigen Sohn Johann August und ihrer noch minderjährigen Tochter Barbara nach Bamberg. Auch diese Residenzstadt war ursprünglich ein geistliches Hochstift und vom Wittelsbacher Herzog Wilhelm übernommen worden. Obwohl Bamberg nur halb so viele Einwohner wie Salzburg zählt, von denen sich die meisten aus Militärangehörigen, Beamten und Handwerkern zusammensetzen, hat sich ein reges Kulturleben entwickelt. Es entsteht ein Theater, eine Stadtbibliothek und ein Museum. In den vier Jahren ihres Bamberger Aufenthaltes soll Barbara Krafft, wie in einem Nekrolog festgehalten wird, nicht weniger als 145 Porträts geschaffen haben. Tatsächlich haben Kunsthistoriker aus der Bamberger Zeit aber nur 42 ermitteln können.

Barbara Kraffts Bedeutung liegt in der genauen Beobachtungsgabe der von ihr Porträtierten und ihren geglückten Versuchen, deren Charakterzüge durch den Gesichtsausdruck zu vermitteln. In einer Zeit, da Frauen noch kein Zugang zu Kunstakademien gewährt wird, gelingt es ihr, zu einer der bedeutendsten klassizistischen Porträtmalerinnen zu werden. Mit ihrer großen Verkaufs- und Selbstvermarktungsgabe und ihren organisierten Verkaufsausstellungen schafft sie als Frau eine beachtliche künstlerische Karriere und wird von ihrem Mann, von dem sie sich während ihrer zweiten Salzburger Periode trennt, wirtschaftlich unabhängig. Das Salzburg Museum hat ihr um die Jahreswende 2019/2020 eine Ausstellung mit ihren bedeutendsten Porträts gewidmet.

EMILIE KRAUS VON WOLFSBERG

1785–1845

Einst Geliebte Napoleons, dann Hundsgräfin von Gnigl

Die attraktive, erst zwanzigjährige Emilie Victoria von Kraus wird nach dem Einmarsch Napoleons in Wien dessen Geliebte und begleitet ihn, als Adjutant Felix verkleidet, auf all seinen Kriegszügen. Nach Napoleons Heirat mit Erzherzogin Marie-Louise von Österreich erhält sie eine stattliche Apanage und lebt dann im Schlösschen Rauchenbichler Hof in Salzburg-Schallmoos ein fürstliches Leben mit 160 Haustieren. Sie endet allerdings völlig verarmt und stirbt 60-jährig im unbeheizten Fischerhäusl am Alterbach.

Emilie Victoria Kraus wird als Tochter des Bergwerk-Schichtmeisters Jože und seiner Frau Rosalia in Idria im Herzogtum Krain geboren. Als der Vater stirbt, übergibt die Mutter die außergewöhnlich hübsche Tochter zur weiteren Ausbildung in Wien dem k. u. k. Offizier Philipp von Mainoni, der später Hofrat im Kriegsministerium wird. Obwohl in sehr ärmlichen Verhältnissen sozialisiert, gelingt es Emilie durch ihre gute Erziehung und hofgerechtes Auftreten in der Wiener Aristokratie gesellschaftsfähig zu werden. Als Napoleon 1805 in Wien einmarschiert, schafft es Mainoni, Emilie zu einem Empfang ins Schloss Schönbrunn mitzunehmen, wo sich Napoleon leidenschaftlich in sie verliebt. Er lässt sie vom damals berühmtesten Porträtisten Johann Baptist Lampi als nackte Venus malen.

Von nun an begleitet Emilie Napoleon auf all seinen Kriegszügen durch Europa, wobei sie stets als Page Felix verkleidet in seiner Nähe ist. Am Hof in Paris allerdings darf sie nicht vor der ersten Gattin Napoleons, Josephine, auftreten, sondern muss versteckt in den Tuilerien leben. Später erklärt Emilie beharrlich, dass Napoleon sie geheiratet habe, wobei ein Graf von Montholon als Trauzeuge gedient haben soll. Madame de Rémusat, die Palastdame der Kaiserin Josephine, schreibt in ihren Memoiren über Napoleons Moralität gegenüber Frauen:

„Sobald er eine neue Geliebte hatte, theilte er es ohne Verzug seiner Frau mit und äußerte ein beinahe rohes Erstaunen, wenn sie gegen Vergnügungen eiferte […] Er sei kein Mensch wie ein anderer, sagte er, und die Gesetze des Anstandes und der Sittlichkeit seien nicht für ihn gemacht“ (Wittmann, 13).

Nach der neuerlichen Besetzung Wiens im Jahr 1809 residiert Napoleon I. wieder im Schloss Schönbrunn, wohin er aus Warschau eine zweite Geliebte, Maria Gräfin Walewska, mitgebracht hat. Beide Mätressen bringen innerhalb von vier Tagen im Mai 1810 zwei Söhne des Franzosenkaisers zur Welt. Einen Monat zuvor hatte Napoleon die Erzherzogin Marie-Louise von Österreich, die Tochter des Kaisers Franz I., geheiratet.

Als Napoleons Heer im Juni 1812 die Grenzen des russischen Zarenreiches übertritt, erlebt Emilie an der Seite des französischen Kaisers alle Schrecken des Krieges. Doch als das Heer im Winter 1812/13 den Rückzug antreten muss, ist auch das Glück an der Seite Napoleons für Emilie zu Ende. Napoleon trennt sich von Emilie, hinterlegt aber für sie auf der Bank von London die stattliche Apanage von 480 000 Gulden, die vom Ziehvater Mainoni verwaltet wird, der ihr jährlich einen Betrag von 24 000 Gulden zukommen lässt. Zudem erhält Emilie den Titel „Baronin von Wolfsberg“, Mainoni wird Mitglied der französischen Ehrenlegion. Die nunmehr Geadelte überlässt ihr Kind Eugen dem kinderlosen Ehepaar Megerle von Mühlfeld. Eugen wird später ein erfolgreicher Advokat und als Eugen Alexander Megerle auch ein bekannter Politiker. Erstaunlich ist, dass in den Biografien Napoleons die abenteuerliche Gestalt des Pagen Felix keinen Niederschlag findet.

Im Jahr 1817 heiratet Emilie den Wiener Rechtsanwalt Michael Schönauer, doch die Ehe geht drei Jahre später in Brüche. Im Jahr 1824 zieht die Baronin mit ihrer Mutter und Schwester nach Bregenz, wo sie sich in den 14 Jahre jüngeren Vorarlberger Barbiergesellen Vinzenz Brauner verliebt, der ihr Lebensgefährte wird. Nach dem Tod ihrer Mutter zieht sie mit Brauner nach Salzburg, da dieser die Stelle eines Kreiswundarztes zugesprochen erhält.

Von Napoleon durch die Apanage finanziell großzügig ausgestattet, kauft die Baronin in Salzburg zwei Häuser; eines in der Dreifaltigkeitsgasse und das Schlösschen Rauchenbichlerhof in Schallmoos. Dort entwickelt sie ein fürstliches Leben, aber auch eine geradezu pathologische Liebe zu Tieren. Sie hat mehr als 30 Hunde aller Rassen, Affen, seltene Raubvögel. Während sie ihren Bediensteten Hungerlöhne zahlt, werden ihre Hunde maßlos verwöhnt. Im „Biographischen Lexikon des Kaiserthums Österreich“ findet sich dazu folgender Eintrag:

„Die Hunde speisten von silbernen Tellern, ein jeder hatte eine eigene Bedienung, sie wurden gepflegt wie ein Schoßkind, gefüttert wie eine Spansau, und starb einer aus der vierfüßigen Sippe, so ward ihm in dem Hausgarten ein Marmordenkmal gesetzt“ (BLKÖ, 2).

So wird sie bald von der Gnigler und Schallmooser Bevölkerung nur mehr als die „Hundsgräfin“ bezeichnet. Ihr Privatzoo verschlingt enorme Summen. Ihren pompösen Lebensstil kann sie sich leisten, solange die Beträge aus Napoleons Apanage regelmäßig fließen.

Doch 1832 kommt die Nachricht vom Selbstmord ihres Ziehvaters und Vermögensverwalters Mainoni. Dieser war dem Glücksspiel verfallen und hatte durch gefährliche Transaktionen ihr Vermögen auf null reduziert. Auch ihr kostbarer Schmuck von Mainoni und der Vertrag Napoleons, mit dem ihre Zuwendungen bisher abgesichert waren, sind nicht mehr auffindbar. Als dann ihr Lebensgefährte Vinzenz Brauner 1838 im Alter von 39 Jahren stirbt, muss die „Hundsgräfin“ ihre Besitzungen verkaufen. Sie wendet sich nun an Marie-Luise, die Witwe Napoleons, und an die österreichische Kaiserin-Witwe Carolina Augusta, die zeitweilig in Salzburg im Toskana-Trakt wohnt, um finanzielle Unterstützungen. Die Gnadenpension, die sie von der Napoleon-Witwe erhält, reicht aber nicht aus, um ihre Tiere zu versorgen. So landet sie schließlich, verarmt und zur Bettlerin herabgekommen, im Fischerhäusl am Alterbach, wo sie am 15. April 1845 im Alter von 60 Jahren stirbt. Ihre letzte Ruhestätte findet sie am Friedhof in Gnigl an der Kirchenmauer. Im Grab werden später aber auch zwei arme Bauern beigesetzt. Der Historiker Anton von Schallhammer hat das Leben der „Hundsgräfin“ anhand von Urkunden erforscht und sein Manuskript dem Salzburg Museum übergeben.

PETER KARL THURWIESER

1789–1865

Der „Gamspeter“: Theologe, Meteorologe und Salzburgs erster Alpinist

Die Stadt Salzburg ist immer schon reich an Originalen und Sonderlingen gewesen. Eines der prägnantesten Originale ist der Theologe Peter Karl Thurwieser. Wegen seiner umfassenden Bildung, aber auch durch seine alpinistischen Erfolge, seine meteorologischen Erkundungen sowie seine sonderbare Aufmachung ist er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Landeshauptstadt allseits bekannt. Mit seinem blauen Frack, seinen Schnallenschuhen und seinem schwarzen Filzhut mit dem Edelweißsträußchen stellt er eine besondere Attraktion dar.

Da Peter Karl Thurwieser für die Landwirtschaft oder ein Handwerk zu schwächlich ist, wird der in Kramsach in Tirol Geborene (damals zum Fürsterzbistum Salzburg gehörig) an die Universität Innsbruck zum Studium der Theologie geschickt. Im Jahr 1810 tritt er in das Priesterhaus in Salzburg ein, wo er im September 1812 zum Priester geweiht wird. Vor allem das Studium der Mathematik und der orientalischen Sprachen (Hebräisch, Chaldäisch, Aramäisch und Arabisch) faszinieren ihn. Er übernimmt zunächst die Katechetenstelle in Mülln, später wird er Hilfspriester in Bergheim und Siezenheim.

Im März 1820 wird er als Professor des Bibelstudiums des Alten Testaments und der orientalischen Sprachen an das Lyceum, das an die Stelle der 1810 von den Bayern aufgelösten Universität getreten ist, berufen. In dieser Funktion wirkt er 43 Jahre. In diesen mehr als vier Jahrzehnten widmet er sich intensiv den mathematischen Wissenschaften, der Meteorologie mit einer präzisen Aufzeichnung der Salzburger Wetterverhältnisse und den orientalischen Sprachen. Vom Salzburger Erzbischof Friedrich Fürst zu Schwarzenberg erhält er die Kustodenstelle an der Salzburger Kollegienkirche. Da die Uhr dieser Kirche sehr unpräzise ist, versucht er sie zur Verlässlichkeit zu bringen, was ihm aber misslingt. Da die Uhr dieser Kirche sehr unpräzise läuft, wird zu Thurwiesers Zeit ein unpünktlicher Mensch in der Stadt auch als „Collegi-Uhr“ bezeichnet (Nora Watteck). Thurwieser versucht, das Uhrwerk zu mehr Verlässlichkeit zu bringen, was ihm aber misslingt.

Als Priester und Wissenschafter ist er in der ganzen Stadt hoch geachtet. Als Mensch lebt er in äußerster Bescheidenheit und trägt bis zu seinem 60. Lebensjahr keinen Mantel und verwendet keinen Regenschirm. Zudem ist er bekannt für seine Wohltätigkeit, da er stets mittellose Studenten finanziell unterstützt.

In einer Zeit, da die Gebirge von den Menschen nicht nur als unwirtliche Gegend, sondern auch als Sitz von verwunschenen Seelen und bösen Geistern betrachtet werden, beginnt Thurwieser die Alpen planmäßig zu ersteigen und zu erforschen. So wird er zum Erstbesteiger des Hochkönigs über die Übergossene Alm zum Gipfel (1826), des Ankogels, des Dachsteins (1834) und der Watzmann-Südspitze sowie Drittbesteiger des Ortlers (1838). Eine der Ortlerspitzen trägt seither den Namen Thurwieser-Spitze. Das Gasteinertal, das Zillertal und die Berge des Berchtesgadener Landes sowie der Tiroler Alpen und die Dolomiten sind seine bevorzugten alpinistischen Ziele.

Dabei trägt der kleingewachsene Theologe immer seine barometrischen Geräte mit. Nur wenn er steile Felsen erklettern muss, legt er seinen blauen Frack ab, der ihm auch bei Übernachtungen im Gelände als Wärme- und Wetterschutz dient. Bei seinen Touren trägt er als Nahrungsmittel gebackene Zwetschken und hartgesottene Eier mit, von denen er sogar ein Dutzend auf einmal verzehren kann. Zum Schutz gegen die Sonnenbestrahlung hängt ein grüner Schleier von seinem Filzhut herab. Wegen seiner sonderbaren Erscheinung jagt er den Sennen auf den Almen, die noch keine Touristen zu sehen bekommen haben, Furcht ein. Bei seinen Gipfelbesteigungen lässt er zumeist selbst gefertigte Feuerwerkskörper und Knallfrösche explodieren, was ihm den Ruf eines Hexers oder Zauberers einträgt.

Viele seiner Bergtouren unternimmt er in Gesellschaft hochstehender Persönlichkeiten, so oftmals mit Erzherzog Johann und mit dem Erzbischof Kardinal Schwarzenberg. Seine alpinistischen Erkundungen und Erfahrungen, die als Meisterstücke touristischer Schilderungen gelten, veröffentlicht er sodann in der Zeitschrift des Innsbrucker Ferdinandeums und im „Salzburger Amts- und Intelligenzblatt“. Den Gaisberg besteigt Thurwieser während seines Lebens 480 Mal.