Erzähl mir von der Liebe - Beate Teresa Hanika - E-Book

Erzähl mir von der Liebe E-Book

Beate Teresa Hanika

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Beschreibung

Eine zarte Liebesgeschichte aus der harten Welt der Models Was bleibt von den Träumen von einem Leben voller Glamour und Ruhm auf den Laufstegen der Welt, wenn die Modelkarriere sich mit Mitte Zwanzig dem Ende zuneigt? Es bleibt eine unbestimmte Sehnsucht. Nach einem Platz im Leben. Nach jemandem, der auf einen wartet. So geht es auch Leni, die von ihrer Agentur mit Hannah und Kennedy in einer WG in Berlin zusammengewürfelt wurde. Mit Jobs auf dekadenten Partys halten die drei sich über Wasser, und alte Fotos von weit entfernten Freunden werden zu Rettungsankern. Doch ist eine Rückkehr in ihr altes Leben überhaupt noch möglich? Mit ihrem neuen Roman trifft Beate Teresa Hanika den Nerv der Zeit. Die Schattenseiten der Modebranche und Castingshows bilden die Kulisse für eine der schönsten, bewegendsten und erlösendsten Liebesgeschichten des Jahres – auch wenn das Happy End vielleicht nur eine Phantasie ist.

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Seitenzahl: 169

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Beate Teresa Hanika

Erzähl mir von der Liebe

Roman

Fischer e-books

Für Angel und Sugar.

Die Besten.

Es ist so, sagt Hannah, man muss die Liebe schmecken können. Du küsst einen Typ. Knutschst rum. Er steckt dir seine Zunge in den Mund, und du weißt genau, das ist richtig oder das ist falsch. Es schmeckt süß. Oder du musst kotzen. So ist das.

Es gibt eine Party. Die Party ist in einem Haus, und dieses Haus ist am Ende der Straße.

Es ist groß und blassgrün gestrichen mit weißen Rändern um die Fenster herum. Von der Ferne sieht es fast wie ein Schloss aus. Es sieht aus, als würde ein König einen Ball geben, um für seinen Sohn eine Braut zu finden. Ganz oben ist eine Dachterrasse mit Palmen, die sich weit über die schmiedeeisernen Geländer lehnen und fest von wildem Wein und Efeu umschlungen sind.

Autos parken vor dem Haus, in Zweierreihen, weil alles viel zu eng ist und jeder noch einen Parkplatz ergattern will. Die Leute schreien sich ungeduldig an, und ein Bediensteter winkt sie weiter. Er gibt bedauernd Zeichen: Hier geht nichts mehr, alles ist voll.

Die Sonne geht gerade unter. Es ist Ende August. Die letzten schönen Tage tröpfeln auf die Stadt, aber bald ist der Herbst über Berlin, mit seinen diesigen, grauen Tagen, dem Regen und dem fallenden Laub. In der Stadt ist der Herbst schlecht zu ertragen. Man kann den Verfall spüren, als würde er einen auf die eigene Vergänglichkeit hinweisen. Unerbittlich, jedes Jahr mehr, und immer, wenn der Sommer zu Ende geht, trägt einem der Wind etwas davon entgegen. Man kann es riechen. Ich strecke meine Nase in den Sommerwind und rieche die kühlen Tage und den kommenden Regen.

Wir schlängeln uns an Autos mit laufenden Motoren vorbei, an Frauen in Abendkleidern und Männern im Frack, durch die Pforte und die breite Treppe hinauf.

Drinnen gibt es riesige Berge von Obst. Quer durch die Eingangshalle ist es auf langen Tafeln aufgetürmt: Bananen, Mangos, Trauben, mehr, als hundert Menschen an einem Tag essen können – viel mehr –, und oben drauf sitzen nackte Frauen. Dicke nackte Frauen. So dick, sie könnten zwei Wassermelonen unter ihren Brüsten verschwinden lassen. Oder zehn Kilo Erdbeeren. Einen Strunk Bananen auf jeder Seite. Was man gerade will. Sie sehen gelangweilt aus. Stecken sich ab und zu eine Weintraube in den Mund, als wäre ihnen all dieser Überfluss fad geworden.

Wahrscheinlich wären sie gerade lieber bei McDonald’s, flüstert Kennedy, als wir durch die Schwingtür treten. Ein kleiner, schwarzer Mann in Uniform hält sie auf und verbeugt sich vor uns.

Das wäre ich auch lieber, sage ich und meine es auch so.

 

Hier gibt es viele Models. Alle Agenturen sind vertreten, sie kommen in kleinen Gruppen, wie Paradiesvogelschwärme. Sie flattern herein und lassen sich auf den besten Stellen nieder. Der höchste Baum ist gerade gut genug, um gesehen zu werden. Sie putzen ihr Gefieder, es schillert und glänzt so sehr, dass man kaum hinsehen kann. Auch wir sind dabei.

Wir. Hannah, Kennedy und ich.

Wir machen uns nichts vor, denn wir wissen, warum wir hier sind. Wir sind die Mädchen, die von ihren Agenturen nach Berlin geschickt werden. Nicht nach Paris oder Mailand, denn dort ist man der Mode wegen. Weil es wichtige Magazine gibt, Modenschauen, Designer. In Berlin sind die Partys. Nach Berlin kommen die Mädchen, die für die Couture zu alt geworden sind. Und alt ist ein dehnbarer Begriff. Wir sind die Dreingabe für Männer, die uns bezahlen können. Sie buchen uns, weil wir schön sind und es gut aussieht, wenn schöne Mädchen auf Partys herumstehen. Als ich jünger war, dachte ich, diese Partys sind Sprungbretter. Man wird eingeladen und ist aufgeregt, weil Christian Lacroix da sein soll. Oder Karl Lagerfeld. Dann steht man da und lächelt, bis einem das Gesicht zu einer Maske gefriert. Man wartet darauf, dass einer herkommt und einem einen Job anbietet. Einen richtigen Job.

Meistens kommt keiner von den wichtigen Leuten, und alles, was passiert, ist, dass man sich betrinkt und um vier Uhr früh nach Hause wankt. Wenn man Glück hat, alleine.

Wir schlendern an den nackten Frauen vorbei. Aus den Boxen dröhnt Balkan-Pop. Der Typ, der die Party schmeißt, kommt aus Bulgarien. Er heißt Yunes und soll Produzent sein. Einmal habe ich ihn in der Agentur getroffen. Ein glatzköpfiger, kleiner Mann, den Mund voller Goldzähne. Vielleicht ist er kein Produzent, aber Geld hat er. So viel Geld, dass er ein riesiges, grünes Haus in Dahlem mit nackten Frauen bestücken kann, Models für Partys bucht und immer mehrere Bodyguards im Gepäck hat.

Geh hin, hat Babić, mein Booker, gesagt, er zahlt gut, und außerdem soll Vivienne Westwood da sein.

Ich habe die Augenbrauen hochgezogen.

Lass stecken, wollte ich sagen.

Stattdessen habe ich den Ausdruck mit Yunes’ Adresse in meine Hosentasche geschoben. Schließlich muss man von was leben.

Was machst du für ein Gesicht, sagt Hannah neben mir, wir sind hier, damit wir Spaß haben.

 

Hannah ist ein paar Jahre älter als Kennedy und ich. Vielleicht achtundzwanzig oder neunundzwanzig. Ihr richtiges Alter verrät sie niemandem. Kennedy und ich haben versucht, sie auszuquetschen.

Komm schon, hat Kennedy gesagt, sag uns endlich, wie alt du wirklich bist. Ich bin dreiundzwanzig. Was ist schon dabei? Alle sind jünger als ich. Daran kann man doch sowieso nichts ändern.

Aber Hannah hat hartnäckig geschwiegen. Sie hat sich eine alte Vogue geschnappt und uns ignoriert, und wir haben vor ihr gesessen und gewartet und ihr zugesehen, wie sie eine Seite nach der anderen umblätterte.

Ihr könnt mich mal, hat sie irgendwann geknurrt, ich muss euch gar nichts sagen.

Die Agentur hat Hannah letztes Jahr vom Markt genommen und dieses Jahr mit neuer Biographie wieder ins Rennen geschickt. Auf ihrer Sed-Karte ist sie einundzwanzig. Sie macht wieder Tests. Geht auf ungefähr tausend Castings. Alles von vorne, nur um noch einmal eine Chance zu bekommen. Auf das große Geld und die große Karriere.

Glaubst du denn noch daran?, habe ich sie mal gefragt.

Ich wollte nicht sagen, was ich in Wirklichkeit darüber denke. Die Agenturen wissen genau, dass diese Mädchen keine richtige Chance mehr haben, machen aber immer noch Geld mit ihnen. Man kann sie noch für drittklassige Kataloge verheizen. Die Agenturen lassen sich die Hoffnung der Mädchen gut bezahlen.

Hannah hat mich nur böse angesehen. Den Rest konnte ich mir zusammenreimen.

 

Ich sehe zu den nackten Frauen hinauf, die hoch über unseren Köpfen thronen. Bei der kleinsten Bewegung gerät das Obst unter ihren Schenkeln ins Rutschen. Wie Geröll nach einem sintflutartigen Regen. Pflaumen kullern unter ihren Pobacken weg, Erdbeeren unter ihren rasierten Geschlechtsteilen. Viele stellen sich hin und gaffen ungeniert zu ihnen hinauf. Amüsieren sich auf ihre Kosten. Ein junger Typ mit Presseausweis steckt sich eine der Erdbeeren in den Mund, und die Leute, die um ihn herumstehen, lachen und tun es ihm nach. Die meisten Frauen haben gut lachen. Sie sind schlank und jung mit kleinen, festen Brüsten und faltenloser Haut. Sie tragen Gucci und Prada und winzige Clutches unter dem Arm. Ihre Blicke sind mitleidig.

Wie kann man nur so fett sein, sagt eine entsetzt zu ihrem Begleiter, ich würde mich umbringen, wenn ich so fett wäre.

Ich würde mich umbringen, wenn ich so einen Job machen müsste, denke ich.

Wenn ich so weit bin, werde ich aufhören, schwöre ich mir, wenn ich so weit bin, verschwinde ich von hier.

Aber bis dahin sollte man Spaß haben. Wenn man in diesem Job keinen Spaß hat, läuft etwas falsch.

Ich weiß schon, sage ich zu Hannah und ziehe eine Grimasse, immer glücklich, immer lächeln, niemals beschweren und immer wunderschön aussehen …

 

Das Haus hat mehrere Stockwerke. Geschwungene Treppen führen von einem zum anderen. Auf den Teppichen liegen rote Rosen verstreut. Zu romantisch, um wahr zu sein. Tausende liegen herum, von den Gästen achtlos zertreten.

Kitschig, sagt Hannah und kickt eine mit dem Fuß weg, dieser Yunes hat zu viel Geld. Da wüsste ich was Besseres damit anzufangen.

Ich hebe eine Blüte auf und stecke sie am trägerlosen Ausschnitt meines Kleides fest.

Dann soll er in Zukunft doch dich fragen, sage ich.

 

Ich bin seit vier Wochen in Berlin. Die Agentur zahlt ein Apartment. Das hört sich zunächst gut an, doch meistens sind die Apartments von den vielen Models, die darin gewohnt haben, ramponiert. Niemand streicht neu oder putzt die Fenster. Man kann Sed-Karten finden, die dort vergessen wurden, und winzig kleine Unterhöschen unter dem Bett. Manchmal sind es auch Schimmelflecken im Badezimmer und Vermieter, die einem an die Wäsche wollen.

Als ich vor vier Wochen hier ankam, schleppte ich meine Koffer hoch in den fünften Stock. Steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Drinnen war es still, und ich blieb einen Moment auf der Türschwelle stehen, blickte hinein, auf den Ort, der mich die nächsten Wochen beherbergen sollte. In meinem Kopf hakte ich die vielen Wohnungen ab, denen ich schon den Rücken gekehrt hatte. Kleine, miefige Zimmer, die man mit fünf anderen Mädchen teilen musste. Wohnungen in Vororten von Städten, mit Fabriken vor der Tür, deren giftige Dämpfe man Tag für Tag einatmete. Wohnungen, für die unsere Agenturen einen Spottpreis bezahlten und für die man selbst fast alles hinlegte, was man verdiente.

Diese hier war nicht viel besser. Aber es war ruhig, und die Wände waren hoch. Und aus den Fenstern konnte man über ganz Berlin sehen.

Warum kommst du nicht rein?, fragte jemand.

Es war Hannah. Sie streckte ihren Kopf aus dem Badezimmer.

Auf den ersten Blick sah sie sehr jung aus; zerbrechlich, mit zarten, langen Gliedmaßen. Später erzählte sie mir, dass sie ihr Gewicht nur dadurch hielt, dass sie sich ausschließlich von fettarmem Naturjoghurt und Äpfeln ernährte. Ich hatte solche Geschichten bis dahin für schlechte Modelmärchen gehalten, die in der Szene kursierten, damit man selbst ein schlechtes Gewissen bekam: Ich esse nur Reis … Und ich esse nur Wattebällchen.

Ich ließ meine Koffer im Flur stehen.

Wer wohnt noch hier?, fragte ich misstrauisch.

Es sah nicht nach einem Kerl aus, der einem an die Wäsche wollte. Nicht unbedingt. Eher, als hätte eine alleinstehende alte Dame hier gelebt. Mit Möbeln aus den fünfziger Jahren. Abgegriffen und verstaubt. Vor dem Badezimmer stand ein Korb mit alten Zeitschriften. Ich zog eine Brigitte heraus.

1988, sagte ich.

Hannah lächelte mich an. Sie war gerade dabei, ihre Beine zu enthaaren. Klebte sich Kaltwachsstreifen auf die Haut. Sie hatte ein Bein auf dem Badewannenrand abgestellt und arbeitete konzentriert. Das andere Bein war knallrot und gepunktet, als hätte sie Masern oder eine andere schmerzhafte Krankheit.

Tut scheiße weh, sagte sie, als müsste sie sich dafür entschuldigen, und mit einem Blick auf die Brigitte in meiner Hand:

Ach das … Trainer wohnt hier. Harmloser Kerl. Er hat die Wohnung von seiner Oma geerbt und hält sich mit uns Mädchen über Wasser.

Mit einem Ruck zog sie sich den Wachsstreifen vom Bein.

Scheiße, sagte sie, scheiße! Scheiße! Scheiße!

 

Im ersten Stock ist das Buffet aufgebaut, dafür verzichten wir gerne auf die nackten Frauen und steigen mit anderen Gästen die geschwungene Treppe nach oben. Das Buffet ist für uns Mädchen der wichtigste Ort auf einer Party. Selbst wenn man keine Lust auf Tanzen und Smalltalk hat, am Ende eines Abends hat man wenigstens anständig gegessen.

Kennedy greift sich einen Teller. Sie hat immer Hunger. Großen Hunger.

 

Mit Kennedy kann man in Dönerbuden gehen. Sie bestellt Döner mit allem und Falafel, und die Türken hinter dem Tresen sehen sie misstrauisch an. Zu dünn, um einen ganzen Döner zu verschlingen. Es macht Spaß, Kennedy essen zu sehen. So diszipliniert sie in allen Dingen ist, so maßlos kann sie mit Essen sein. Sie schlingt und kleckert und holt sich dann einen Nachschlag.

Ich kann froh sein, dass ich so groß bin, sagt sie oft, so verteilt sich das Gewicht viel besser.

Das ist natürlich untertrieben. Kennedy ist genauso dünn wie Hannah und ich und all die anderen Models.

Kennedy ist Bulgarin. Sie spricht perfekt Deutsch, mit einem kleinen, sehr charmanten Akzent.

Du könntest studieren, sage ich oft zu ihr, weil sie klug ist. Klug und schön.

Ja, sagt sie dann, irgendwann werde ich studieren.

Wenn das Geld reicht. Wenn sie genug nach Hause geschickt hat, um ihre Familie dort durchzubringen. Sie hat eine Mutter und zwei Schwestern und einen Vater, der zu viel trinkt. Und sie hat einen Freund, den sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen hat. Seit sie hier in Deutschland ist.

Es gibt Probleme mit dem Visum, sagt sie.

Sie hat Angst, dass sie nicht mehr einreisen und arbeiten darf, wenn sie Europa erst mal verlassen hat. Und ganz unrecht hat sie nicht. Die Geschichte mit dem Visum eilte ihr voraus, noch bevor sie selbst in unserer schäbigen kleinen Wohnung eintraf.

Wir bekommen noch ein Mädchen, hatte Hannah gesagt, einen Tag, bevor Kennedy zu uns gezogen ist.

Wir waren nicht scharf auf ein neues Mädchen. Wir hatten es gemütlich. Trainer ließ uns in Ruhe, er wollte nicht mit uns ausgehen und mit uns Wein trinken. Er betatschte uns nicht, wenn wir ihm nachts zufällig über den Weg liefen. Ein neues Mädchen konnte nur alles in Unordnung bringen. Und eine von uns musste das Zimmer mit ihr teilen. Das war vielleicht das Schlimmste.

Peter Lindberg hatte Option auf Kennedy.

Option. Ein Wort, das für uns alles bedeutete: Hoffnung. Warten. Enttäuschung.

Und dann durfte sie nicht einreisen, sagte Hannah und grinste, scheiße auch.

Ich grinste auch und fühlte mich schäbig dabei. Aber warum sollte es ihr bessergehen als uns?

 

Kennedy lädt sich ihren Teller randvoll. Hannah nimmt ein paar Melonenspalten, weil keine Äpfel da sind, und ich stehe daneben, den Kopf voller Bucovina Club.

Es sind haufenweise Mädchen da. Mädchen, die noch keine Ahnung haben und auf Vivienne Westwood warten. Manche sehen aus, als wären sie noch keine sechzehn. Ihre Gesichter sind die Gesichter von Kindern, die man von einer Geburtstagsparty mit Kuchen und Kerzen und Clowns direkt hierher geschafft hat. Ihre Eltern stehen noch zu Hause, den Klang ihrer Stimmen in den Ohren. Sie pusten die Kerzen aus und kehren Konfetti aus ihren Kinderzimmern.

Die Mädchen finden alles cool und aufregend, hängen zusammen in den tiefen Ledersesseln und tuscheln.

Hast du Yunes schon gesehen, sagt eine hinter mir, er soll Produzent sein.

Ich verdrehe innerlich die Augen.

Er ist cool, sagt eine andere, mein Booker will mich ihm vorstellen.

Sie werden vom Strom der Menschen weitergerissen, immer mehr kommen herein und stürzen sich auf die Häppchen, die Luft flirrt, und Kennedy, Hannah und ich werden gegeneinander gedrängt. Kennedy balanciert ihren Teller.

Entschuldige bitte, sagt sie, als ihr Balsamicodressing auf mein Kleid tropft, und lächelt.

 

Auch ich konnte es nicht erwarten, vom Hof, dem ganzen Dreck und der Langeweile fortzukommen. Oft liegt Nebel über unseren Wäldern. Manchmal tagelang. Wochenlang. Der Nebel zieht vom Fluss herauf und hängt sich in die Zweige. Wenn man hinausgeht, durchdringt einen die Nässe. Millionen von Tröpfchen benetzen Gesicht und Haare.

Als ich wegging, war Herbst. Ich hatte Gummistiefel über meinen Feinstrumpfhosen. Damit watete ich durch den Dreck über den Hof bis zum Taxi. Der Taxifahrer weigerte sich auszusteigen. Er ließ den Motor und die Scheibenwischer laufen. Er wischte die Nebeltröpfchen weg und wartete, bis ich mein Gepäck im Kofferraum verstaut hatte. Als ich mich umdrehte, konnte ich Mutter am Fenster stehen sehen. Ihr verschwommenes Gesicht hinter der Scheibe. Verschwommen, schon bevor ich überhaupt weggefahren war.

Mein Vater brachte die Mutterschafe hinaus. Ich hörte sie blöken und seine Stimme, wie er den Hunden kurze Befehle zurief.

Mach, dass du hier wegkommst, dachte ich und machte mich härter, als mir in Wirklichkeit zumute war.

Ich stieg in das Taxi und streifte die Gummistiefel von den Füßen. Stellte sie genau parallel zueinander vor der Autotüre ab. Mutter würde sie später hereinholen.

 

Wir finden einen Platz in der Lounge, auf einer der tausend Couchen. Wir müssen uns dünn machen, aber das ist für uns kein Problem. Das sind wir gewohnt. Ich zwänge mich zwischen Kennedy und einen Typen, der ein Glas mit Wodka Red Bull auf seinen Knien abgestellt hat. Er trägt einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd und sieht damit seltsam ausstaffiert und unbehaglich aus. Als ob er lieber Jeans anhätte, sich aber nicht traut, seinen Willen durchzusetzen. Er sieht aus, als würde er am liebsten von seiner eigenen Kommunionsfeier verschwinden.

Das ist Levi, sagt Kennedy förmlich, wir kennen uns aus Sofia. Wir haben dort dieselbe Agentur.

Levi, das ist Leni.

Wir schütteln uns etwas ungelenk die Hände, steif, weil wir es nicht gewohnt sind, Hände zu schütteln. Man küsst sich. Umarmt sich. Aber man schüttelt sich nicht die Hände. Levi nickt mir zu, und Hannah lacht.

Levi und Leni, sagt sie, na, wenn das kein Zufall ist.

Halt die Klappe, sage ich zu ihr, iss deine Melonen und halt die Klappe.

 

Ich mag Hannah, und das heißt viel, denn normalerweise mag man die anderen Mädchen nicht. Man wohnt mit ihnen, geht zusammen auf Castings, und abends teilt man sich eine Packung Spaghetti Bolognese. Das ist das höchste der Gefühle. Zu viel liegt zwischen einem. Die Sprache, der Ort, von dem man kommt, das Ziel, das man erreichen will. Man kommt sich nicht nahe. Man tauscht keine Geheimnisse aus und vertraut sich nicht. Ein Rest Misstrauen bleibt. Und wozu auch Nähe zulassen, wenn man sich nur für so kurze Zeit berührt, um dann auseinanderzugehen, irgendwohin in die Welt, als kleine, bunte Spielbälle unserer Agenturen. Oft erscheinen einem die anderen Mädchen oberflächlich. Man kann nicht reden und findet keine Gesprächsthemen, außer die Agentur, die Arbeit und wo man als Nächstes hingeht. Man langweilt sich, weil alles ähnlich ist, so wie man sich langweilt, wenn man Jahr für Jahr in denselben Spiegel hineinblickt und immer das gleiche Gesicht sieht. Alterslos, glatt und abgeschliffen, wie ein Stein, den man zwischen vielen anderen ähnlichen Steinen aus dem Meer fischt.

Aber Hannah mag ich. Ihre ruppige Art, die so gar nicht zu ihrem elfenzarten Äußeren passt. Ihren Wortschatz, der hauptsächlich aus Scheiße, Arsch und ficken besteht. Ich mag es, wenn sie mit uns in der kleinen Küche sitzt, ihren fettarmen Joghurt und den Apfel isst und danach ein Bier mit einem Zug hinunterkippt. Sie rülpst.

Scheiße, sagt sie dann, das tut gut.

 

Er versteht sowieso nichts, sagt Kennedy, Levi spricht fast kein Deutsch. Er ist noch nicht so lange hier.

Noch besser, sagt Hannah.

Sie beugt sich vor, damit sie Levi direkt ansehen kann.

Unsere Kleine hier, die Leni, die sucht die große Liebe, sagt sie, mit allem Drum und Dran. Vielleicht bist du ja der Richtige.

Levi sieht nur verständnislos zwischen uns hin und her und verzieht seinen Mund zu einem schiefen Lächeln.

Entschuldige bitte, sagt er, verstehe nichts.

Lass ihn, sage ich böse, musst du immer jeden verarschen?

Hannah zuckt mit den Schultern und schiebt sich ein Stück Melone in den Mund.

Wir sehen uns in die Augen, und ich spüre, wie Kennedy zwischen uns nervös wird. Sie mag nicht, wenn wir streiten und laut werden. Sie mag es nicht, wenn Hannah zu Hause rumbrüllt, weil Trainer und ich unser Geschirr nicht spülen und die verkrusteten Teller sich auf dem Küchentisch und in der Spüle stapeln.

Könnt ihr Arschlöcher euren verfickten Dreck nicht wegmachen?, brüllt sie dann, und Kennedy hält sich die Ohren zu.

Musst du immer Arschloch sagen, sagt sie vorwurfsvoll, und verfickt und Scheiße.

Ich komme aus Marzahn, sagt Hannah gleichgültig, da reden die Leute eben so.

Glaubst du, in Breznik reden die Leute anders?, fragt Kennedy, das bedeutet doch nicht, dass man es genauso machen muss.

Und überhaupt, füge ich hinzu, sag bloß, in Marzahn sind alle so piekfein mit ihrem Geschirr. Ich wette, in Marzahn spült sowieso kein Mensch ab …

 

Die Leni, die sucht die große Liebe.