Ewige Jugend - Nataly von Eschstruth - E-Book

Ewige Jugend E-Book

Nataly von Eschstruth

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es ist ein wunderbarer Frühlingsmorgen, als Oberst von Welten mit seiner Nichte Lobelia und einem ortskundigen Führer in die Masulschlucht oberhalb von Meran wandern. Und doch nimmt dieser schöne Morgen eine unvorhergesehene Wendung, und dies in zweifacher...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 533

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 Nataly von Eschstruth

Ewige Jugend

Roman

Inhaltsverzeichnis
Impressum
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.

Impressum

Instagram: mehrbuch_verlag

Facebook: mehrbuch_verlag

Public Domain

(c) mehrbuch 

 

 

 

 

 

 

 

Erstes Kapitel.

In goldenen Sonnenschein gebadet lag die Welt. Reich, üppig, zauberhaft schön, — verschwenderisch in alle Pracht und Farbenglut getaucht, mit welcher der erste südliche Lenz seinen Malkasten aus des lieben Herrgotts Überfluß gefüllt.

»Lobelia! hast du dich auch nicht auf den hohen Thermometerstand verlassen und in betreffs warmer Kleidung an den Heimweg gedacht?«

Der ältere Herr, welcher mit fröhlich kraftvoller Stimme die Worte gerufen, blieb stehen und atmete in tiefen Zügen die köstliche Himmelsluft. Schon auf zehn Schritte weit sah man ihm den pensionierten Offizier, den kernigen Soldaten an.

Ein scharf gezeichnetes Profil, graumelierter, starker Schnurrbart, noch etwas altmodisch wagrecht gedreht, ein Sportanzug, welcher einen leichten Einschlag in das Weidmännische hatte, und den Ferngucker am Riemen, um den Hals gehängt, war das äußere Signalement des Oberst von Welten, des Onkels der früh verwaisten Nichte Lobelia, welche ihn sowohl wie Tante Adele zum Winteraufenthalt nach Meran begleitet hatte. Herr Aloys Sturmlechner, der freundliche alte Hagestolz und Villenbesitzer in Obermais, welcher Herrn von Welten im Café an der Gilf kennengelernt und sich als leidenschaftlichem Naturschwärmer und Lokalpatriot der Familie für Ausflüge in die Umgebung Merans zur Verfügung gestellt hatte, repräsentierte den Dritten im Bund von der tatenlustigen kleinen Partie, welche heute den Kurs nach Schönna, resp. der Masulschlucht genommen. — Er war groß und hager, hatte enorm lange Beine und kleidete sich mit Vorliebe echt tirolisch, ein wenig mit »Salonbeigeschmack«, ohne jedoch gigerlhaft zu übertreiben. Es waren überraschend frühe Lenzestage in das gottgesegnete Blütental Meran eingezogen.

Die Sonne stand am tiefblauen Himmel und zauberte auf der Gilfe ein wahrhaft italienisches Leben hervor — das Wintergrün in den Gärten stand dunkel gesättigt im grellen Licht, und drunten auf den sammetigen Rasenflächen begann es zu knospen und zu blühen zu duften und zu maien, als ob alle Glocken von nah und fern den Siegeseinzug von Lenz und Liebe in seligen Akkorden verkünden wollten.

Herr von Welten stand einen Augenblick auf der Straße von Obermais still, anfänglich, um noch einmal nach dem Parkhotel, den Fenstern seiner erholungsbedürftigen Frau zurückzuwinken und alsdann den Blick voll Entzücken über das ideale Landschaftsbild schweifen zu lassen.

Welch ein Geflimmer und Geblühe in dem reizenden Chaos von roten und farbigen Dächern drunten, welch ein Riesenstrauß von blühenden Mandelbäumen und Magnolien, von Rhododendron und weißsterniger Klematis in den Gärten! Die Alpen, welche noch ihr majestätisches Gewand von Hermelin um die ragende Zinkenkrone trugen, reckten sich wie gewaltige Wärter am Eingang dieses Paradieses empor, nur daß sie voll stolzer Duldsamkeit kein flammend Schwert zückten, den Fremdenstrom aus nah und fern von der Schwelle zu weisen.

»Ja, es ist ein herrliches Erdenfleckchen, diese Meran!« nickte der Oberst, und er wandte sich und sah der Nichte mit beinah schalkhaftem Blick in das morgenfrische, süße Mädchengesicht: »so ganz dazu angetan Jugend und Schönheit in seinen Grenzen aufzuspeichern. — Da drunten die Löselbuben, mit den flatternden Bändern und Sträußlein am Hut, und hier die wandelnden Blumen in Menschengestalt!«

Herr Sturmlechner verneigte sich wie in selbstverständlicher Ovation vor Lobelia. »Da hat der Herr Onkel recht, Gnädigste! Küß die Hand! Wie ich zum erstenmal Ihren schönen Namen Lobelia gehört habe, gedachte ich meiner Mutter selig, die so viel schöne Lobeliablüten in ihrem Garten gepflegt hat! Akkurat so rosig und sammetigweich wie Ihre Wangen sind!«

Das junge Mädchen lachte.

»Ich bezweifle stark, daß die ›Löselbuam‹ sich mit Lobelias schmücken!« scherzte sie; »wenn du mich im Verein mit ihnen zitieren willst, Onkel, so müßte ich wohl ein ›Buschen‹ von etwas derberem Schrot und Korn sein! Vielleicht ein Almrausch oder so eine schöne, fette Dotterblume —«

»Die wachsen hier, glaub’ ich, gar nicht!«

»Doch, doch . . . auf den Wiesen hinter Planta, was dem Danhardtbauern gehört! — Aber selten freilich schon!« — Herr Aloys zog das Taschentuch mit der breiten grünen Batistkante, auf welche Hufeisen gedruckt waren, und putzte sich den Kneifer, um besser talab schauen zu können.

Fürerst aber fuhr er bedächtig fort und musterte Fräulein von Welten recht ungeniert.

»Wenn ich Sie jetzt aus der Tauf’ heben sollte, Gnädigste, so würde ich den Schalk im Nacken haben und Ihnen einen gar absonderlichen Blumennamen geben.«

»Hört, hört! Jetzt werden Sie wohl galant, Freund Loisl!«

Der Oberst zwirbelte den Bart: »Losschießen!«

»Na, so gar schmeichelhaft ist er am End’ nit! — Ich schaute mir nur grad das flotte, kurze Gewandel mit dem vieltaschigen Jopperl an, und das Grünhütel, na, und nit grad zum Schluß den prallen kleinen Rucksack, den die Baroness’ sich umgeschnallt haben; da wär’ zu den Löselbuam wohl ein Blümerl passend, das man bei uns dahier ›Hirtentäschel‹ nennt!«

Onkel und Nichte lachten hell auf, und Herr Sturmlechner freute sich, daß er einen Witz gemacht hatte.

»Und je mehr Wegzehrung so a Blümerl im Rucksack drinnen hat, um so mehr Herren, die ihm zufliegen!« neckte Lobelia.

»Net zu viel! A Blümerl und a Herz!«

»Zu einseitig gedacht! — Denken Sie doch an die Dielitra, wieviel schöne, rote Herzen schaukeln sich an deren Zauberfädchen, das sich nicht zerreißen läßt!«

»Ja, ja, die Herzblume! — Die fliegenden Herzen!«

»Und fühlen sich doch alle so wohl bei ihr, daß keins freiwillig davonfliegt!«

»Meistens sind’s fünf große und eine ganze Garnitur kleine!«

»Sie scheinen das Blümerl doch schon arg genau studiert zu haben, Gnädigste!«

»Selbstverständlich! Wenn man selber ein Kind der Mutter Flora ist, interessieren einem doch die Geschwister!«

»Sie wandelt im Blumengarten Und mustert den bunten Flor — Und alle die Kleinen warten Und schaun zu ihr empor!«

summte der Oberst sehr vergnüglich und schritt wieder rüstig bergan. »Eigentlich mußt du die Blumensprache doch vorzüglich verstehen, Lobelia, — wie ich mich aber aus meiner Jugend erinnere, war sie sehr geheimnisvoll, ein Buch mit sieben Siegeln, welche nur Verliebte lösen können!«

Ein schalkhafter Seitenblick blitzte aus den großen goldbraunen Augen mit der tiefdunkeln Umrandung zu dem Sprecher auf: »Durchaus nicht, Onkel! Ich trage das Lexikon bei mir im Rucksack!«

»Nanu?«

»Tatsache. Eine Leberwurst; — heißt in der Blumensprache Jelängerjelieber!«

»Bravo! — Das ist ja zum Langhinschlagen, Gnädigste!«

»Dein Regencape hast du hoffentlich auch im Rucksack? Ich fragte dich vorhin schon danach, Kindchen!«

»Was nützt mir der Mantel, wenn er nicht im Rucksack als Wasserrose gerollt ist!«

»Sie tragen ja auch einen, Herr Sturmlechner, und zwar einen ganz respektablen. Sicher führen Sie auch ein Paar hohe Krempstiefeln bei sich?«

»Und ob’s nit recht haben, Gnädigste! Da schauens, ich bin halt ein alter Praktikus, und das Kraxeln hab’ ich seit einigen dreißig Jahren zur Gewohnheit. — Da erlebt man so allerhand. — Sind wir auch mal auf die Cigatspitzen hinauf, just um die erste Frühlingszeit, wie jetzt. Zwei Spezies sind noch mit von der Partie gewesen. Wie wir so hinaufjachtern, sehen wir an Bauer, der balanciert ganz gelassen und guter Ding’ über einen Steg, so zwei breite Bretterln, die über ein Geröll gelegt sind, damit man so recht kommod über ein Wasserl hinüberkam. Arg breit ist’s nit gewesen, auch grad nit so reißend, na, man hat kan Arg gehabt, und ich, als Damscher zuerst, in einen kräftigen Abstoßer aufs Brettel . . . und fang’ mich mit den Armen und ruck rechts und ruck links, und unter mir kracht’s und gibt an Platscher — je du mei! Eh’ ich nur recht gewußt hab’, was die Glocke geschlagen hat, sitz’ ich auch schon bis am Leib im Bach darinnen, und die Spritzer fahren mir über’n Schädel weg!

Na, der Bauer steht und halt sich die Seiten vor Lachen und ruft: ›Wann du lez ’west bist, nachen bist wohl nüchtern geworden, Stoanesel! — Man springt da nöt auf die morschen Planken in der Mitten, sondern nimmt an Felsstuck zum Stütz!‹ Na, der gute Rat kam zu spät, — aber was ich dermalen um ein Paar trockene Stiefel im Rucksack gegeben hätte, Gnädigste, dös könn’ sich vorstellen!«

Fröhliches Gelächter. »Und nun führen Sie welche bei sich!«

»Doch nit! Heut begegnen wir kein’ so heimtückischen Steg!«

»Also Proviant! Wie wir?«

»Laut Verabredung?«

»Dös auch. Aber was Warmes. So eine lichte, warme Sonne ist dahier im Tal, eitel Frühling; aber droben, — da begegnen wir in der Schlucht wohl sicherlich noch Schnee, und wenn der Abend kommt, dann pfeift es doch manchmal recht kalt hier auf der Höhe.«

»Ja, ja, Sie waren so liebenswürdig, uns Vorsichtsmaßregeln zu geben!«

»Ohne Sie hätten wir die Partie ja nie riskiert, Herr Sturmlechner! Wenn man nicht Weg und Steg kennt, wagt man sich nicht in die Alpenwildnis hinaus!«

»Ich kenne Schritt und Tritt seit langen Jahren, da können Sie unbesorgt sein! Ich weiß auch, daß wir jetzt die schönste Maibutter und festen Speck bei der Brunnerwirtin in Schönna zu schlecken kriegen, den sich’s sonst nimmer hätten träumen lassen!«

»Ja, Sie sprachen davon!«

»Und billig ist’s da! Um ein’ Gulden eßt man wie an Kaiser!«

»So schlage ich vor, wir frühstücken dort!«

»Heut nehmen wir kein’ Umweg, wenn wir in die Masulschlucht wollen. Da ist ein so gottherrlicher Weg, den sonst kein Fremder zu sehen kriegt. Ein bisserl abseits in die Schluft hinein. Droben weiß ich eine Senne. Möglicherweise sind schon Leute droben, dann haben wir auch gute Einkehr!«

Fröhlicher Gesang schallte ihnen entgegen. Weinselige Stimmen.

Ein Trupp Löselbuben, die jungen österreichischen Rekruten, welche zur Ausmusterung in die Stadt beordert sind.

Junge, stramme Alpner, flotte, wetterfeste Burschen, sehnig und gebräunt, aus dem südlich gelegenen Tälern, mit einem Einschlag heißen, italienischen Bluts.

Andere blondlockig, mit den großen Blauaugen deutschen Schlags, die Hüte keck auf einem Ohr, Sträuße und flatternde Bänder und glühheiße Gesichter, aus denen grell die Zähne blitzen.

»Angetrunken sind sie alle!« lachte Herr Aloys, »aber an Schaden tuen’s nit!«

Die Straße sperrend, schwanken und stampfen sie heran.

Aller Augen richteten sich auf Lobelia.

Das Entzücken über ihre reizende, jugendfrische Schönheit flammt in den Augen auf.

»Grüaß di Gott, du sakrisch, blitzsauberes Dirndel!« grölt der eine, und ehe sich das junge Mädchen versieht, haben sie zwei starke Arme gefaßt und mit einem sehr charakteristischen Jodler in die Luft geschwenkt. — So ist es beim Schuhplattler Sitte, wenn der Tänzer seine Partnerin hoch emporhebt, in urwüchsiger Galanterie zu zeigen, wie das Madel des Burschen Höchstes und Liebstes ist, welches er in heißem Minnewerben noch über sich selbst erhebt.

Auch bei den Löselbuben herrscht diese verliebte Sitte, aber sie kam der völlig ahnungslosem jungen Dame so überraschend, daß sie einen lauten Schrei des Schreckens ausstieß.

Herr von Welten glaubte auch nicht anders, als daß es sich um die kecke Ungehörigkeit eines angetrunkenen Burschen handele; er sprang jäh herzu und hob den Arm, seine Nichte an sich zu reißen, um sie vor weiteren Frechheiten zu schützen. Da stellte der Rekrut aber sein »I-Tipferl« fein säuberlich und sogar recht sanft auf den Erdboden zurück, sah dem reizenden Mädchen mit blitzenden Augen in das heiß erglühte und erschreckte Antlitz und schwenkte sein Grünhütel so übermütig lachend in der Luft, daß die metallenen Zitternelken zwischen dem farbigen Band lichte Funken sprühten.

»Nex für ungut!« rief er. »Mir san heut all’ außer Rand und Band, und so an Liebeserklärung an ein rosetes Madel is unser gutes Recht . . . Koan Larifari! I’ hab’ kein’ Rauschika! I’ siech alleweil noch sehr genau, wo so zwa Sterndel am Himmel zum Schatz leuchten!«

Wieder ein brausendes Hallo seiner beiden Begleiter, alle wirbelten die Hüte mit Spielhahn, Rosetten und Buschen wie in harmloser und versöhnlicher Kordialität auch gegen die Herrn.

»Der Vinzenz hat recht! — Itz kennet ma den Weg!«

Und dann setzten die frischen, weinfeuchten Kehlen ein:

»Zwoa Sterndel am Himmel, Die leuchten zusamm, Der oan leucht zum Dirndel, Der andre leucht hoam!«

Und nun ein Jodler, so schneidig, so köstlich frisch, echt und gewaltig, daß es weit zu Tal widerhallte.

»Na, wenn’s nur eine Ovation für das hübsche junge Fräulein war, soll’s euch durchgehn, ihr Sakramenter!« lachte der Oberst jovial. »Wenn ihr euch freigelost hättet, ließt ihr die Köpfe wohl anders hangen!«

»So an Tausiwetterschlag, den der liebe Herrgott in hellichter Freud’ geschaffen, der lost sich nöt frei!«

»Die Rösser, die Rösser Die wiehern so hell — Tirolische Buaben — Die reiten gar schnell . . .

Un’ die Kaiserjaga — Dahier in Meran — Die nehma zum Rausa Den Deixel selbst an!«

Und wieder jubelndes Gelächter. — Arm in Arm, von neuem eine Kette bildend, sperrten die Rekruten abermals die Straße, und in flotten Sprüngen ging’s hinab durch Obermais.

Vinzenz schaute noch einmal zurück. Es schien, als könne der den Blick gar nicht von seinem blitzsauberen Madel losreißen.

»Wo soll’s dann hingehn?« rief er noch zurück. »Auf’m Jauffen habt’s noch Schnee bis an die Knie!«

»Ni nöt!« lachte Sturmlechner freundlich zurück. »Grad’ zufrieden sind wir, wann’s bis in die Masulschlucht kommen!«

»Hüt’s Gott! — Da gehabt’s euch wohl!«

Und weiter ging’s.

»Hast dich wohl sehr erschrocken, Lobelia?« fragte der Oberst und neigte sich vor, der Nichte in das immer noch heiß errötete Gesichtchen zu schauen: »Bös gemeint war es nicht, nun — und Publikum hatte das kleine Intermezzo ja auch nicht.«

»Schade!« zuckte Herr Aloys lakonisch die Achseln.

»Schade? Wollen Sie zum Spötterl werden?«

»Im Gegenteil! Ich kenn’ viele, grausig viele Damen, welche solch ein Abenteuer am liebsten vor ganz Obermais Augen erlebt haben möchten!«

»Wie ist das zu verstehen?«

»Nun, es ist eine wirklich sehr große und spontane Ovation, welche Ihnen akkurat gebracht ist, Gnädigste! — Wen die Löselbub’n als schönstes Dirndel auf offner Straße hoch schwenken, von der sprechen’s halt in der ganzen Stadt! — Früher, da kam’s schon öfters vor, da ist’s mehr ein Jux gewesen; aber seit etzlichen Jahren, da scheint es unter den Burschen ein ganz ernsthaftes Abkommen zu sein, nit jedem Fratz so eine Anbetung zu gönnen. Da sind’s gar wählerisch geworden. — Wollen auch ihr herrisches Ansehn haben!«

»Ich habe nie zuvor davon gehört.«

»Moderner Komment der Löselbub’n!«

»Justement fremde Damen lassen’s meist in Ruh’, — solche Ehrbezeigung gebens meist nur den Einheimischen!« fuhr Herr Sturmlechner vertraulich fort. »Da soll’s mal vorgekommen sein, daß ein paar Bub’n auf der Giselapromenad’ ein paar recht feschen Damen begegnet sind. — Leute waren auch viel da, — und ein Bauernsohn aus dem Vinschgau springt daher und kriegt die jüngste und hübscheste zu packen und schmeißt’s hoch in die Luft! Na, und wie’s halt den Schaden besehn haben, da ist’s eine Erzherzogin gewesen, die da prominiert ist, aber net die Kaiserliche Hoheit hat der Loderer derwischt, sondern deren Hofdam’ — na, und da soll die Prinzeß es sich so gewaltig zu Herzen genommen haben, die Schmach, daß sie’s net gewesen ist, daß sie andern Tags gleich weiter nach Bozen hereingefahren ist. — In Meran aber haben’s alle Kruzitürken geschimpft, daß der Lausbub, der dalkete, net die Lange gegriffen hat, — als ob’s bei so einem verliebten Hascherl auf die Länge von einem Weibsbild ankäm’!«

»Und nun sind die Herrn exklusiv geworden?« amüsierte sich Welten. »Nun geht es grad’ nicht mehr nach Rang und Würden, sondern nach dem roseten Lärvchen?!«

»Danke! — Dann bist du ja unter Larven die einzige fühlende Brust, Onkel?«

»Na, na! Der Vinzenz . . .«

»Ich mein’ halt, ich kenn’ den Bub! Es muß der Vinzenz vom Brunnecker gewesen sein, wann ich net irrig bin!«

»Also der Vinzenz vom Brunnecker schien doch die Antike studiert zu haben!«

»Es wird ja immer hübscher. Antike! Nun werde ich schon völlig zum alten Eisen geworfen.«

»Mag schon sein, Gnädigste, so wie die Frau Ninon de Lenclos, — die mit weißen Haaren noch den Enkelsohn närrisch machte!«

»Warum nicht gleich die ›Wala‹?!«

»Wala? Wen verstehen’s unter solcher Dam’?«

»Nun, die Urmutter des Weltenalls, die Urewige, wie uns die alten Göttersagen des Nordens berichten!«

»Jetzt wirst du arrogant, Lobelia! Solche Antike spreche ich dir denn doch nicht zu mit deinen zwanzig Jahren!«

»Zwanzig Jahre? — Ich bitte dringend, mir nicht zwei mühsam abverdiente Jahre, genau genommen sogar drei und ein halbes Jahr zu streichen!«

»Richtig, Kind, ich vergaß nachzuzählen! Die Zeiten vergehen so schnell! Aus kleinen Mädchen werden Leute — und Leute werden Bräute!«

»Du weißt doch, Onkelchen, daß ich zum Verloben absolut noch keine Muse habe!«

»Natürlich! Fürerst bist du ja noch mit deinem Pinsel verlobt!«

»Ja du mei!« schrie Herr Aloys entsetzt. »Mit an Pinsel hat sich die Gnädige verlobt?«

»Nichts für ungut, bester Sturmlechner, fürerst besteht dieser minderwertige Liebhaber aus Dachshaaren und Schweinsborsten!«

»I’ bleib aus! — Nach’ laßt man ja gleich alle Puste fahren!«

»Doch nicht, — mein Pflegetöchterchen hier ist Malerin, bester Herr, und so völlig der Kunst verschworen, daß bisher alle andern Interessen zurücktreten mußten.«

»Na — dann schnauf’ ich wieder! Mit solchem Rivalen, den man noch beliebig aus der Hand werfen kann, nimmt es hoffentlich bald ein schneidiger Kavalier auf.«

Lobelia lachte. »Ich bezweifle, daß es mit Erfolg’ geschieht. ›Wer in sich den Himmel findet, kann die Erde leicht verschmähn!, und da der Parnaß ein Stück Paradies ist, so fühlt man sich auf ihm jedesmal viel tausendmal wohler, als hier im irdischen Jammertal, wenn es auch mit Standesamt und bräutlichem Schmuck locken will. So ist es wenigstens meine Ansicht.«

»Gewiß! So lang bis der Rechte kommt.«

»Ein Rechter muß es auf alle Fälle sein. Die ›Linke‹ ist ja für mich absolut unbrauchbar, und darum spielt sie bei diesem Hasard nicht mit.«

Herr Sturmlechner sah wieder so verständnislos aus, daß der Oberst lachend hinzufügte: »Mit der linken Hand malt man nicht, und eine Ehe zur Linken getraut ist wohl keines Mannes Geschmack. Dies ist nicht nur Lobelias, sondern wohl unser aller Ansicht, die wir uns zu der Liebe Heiligkeit bekennen!«

»Ja, das tun wir alle! Schauens, Gnädige, bei mir ist zwar die Rechte gekommen, — aber es hat mir net viel genutzt’ denn sie hat mich net gemocht, und wenn ich nun so künstlerisch veranlagt wäre wie Sie, so würde ich mir auch meinen Trost in irgendeinem Atelier geholt haben!«

»Die Kunst tröstet nicht immer. Sie geht heutzutage zu sehr nach Semmeln . . .«

»Haha! Besser noch nach belegten Brötchen.«

»Kommt auf deren Art an!«

»Aber sie hilft doch über vieles hinweg; denn wenn man an unglücklicher Liebe krankt, so zeigt das Fräulein, daß man gar schnell Ersatz finden kann.«

»Er ist ein wenig klein!«

»Doch nicht! Mein Liebster ist der ›Vertreiber‹, den alle Maler und Malerinnen mit Recht am meisten schätzen.«

Helles Gelächter.

»I’ kenn’ halt die Fachausdrücke nit, aber der Namen allein sagt ja alles!«

Höher und höher steigen die drei Wanderer empor.

Eine ganz andere Luft strich schon hier um die Stirnen.

Von Zeit zu Zeit blieb das Trio stehn und schaute auf den Weg zurück.

Welch ein Ausblick auf die Alpen, — welch ein Panorama, welches sich im Tal drunten entrollte!

Da jauchzt das Herz bei so viel Kraft, Gewalt und Schönheitswundern.

Lobelia atmete tief auf.

Sie war leichtfüßig vorangeeilt, die nächste Wegbiegung zu erreichen, welche den Ifinger in neuen, grotesken Formen zeigte.

Sie stand und schaute verklärten Blicks ringsum.

Die Herren blieben nach schnellen Schritten an ihrer Seite. Verstohlen beobachteten sie das reizende Mädchen. Fräulein von Westen galt nicht nur für sehr hübsch, sie war es auch.

Eine mittelgroße Gestalt, schlank und dennoch von weicher, üppiger Fülle, eine vollendet schöne Figur — wie jeder Kenner zugeben mußte —, stand sie inmitten des hellen Sonnenlichts wie die verkörperte Jugend und Schönheit. Das reizende Oval ihres Gesichtchens mit der sammetweichen Haut, so auffallend in frischen und doch zarten Farben, daß der Beschauer zuerst in Versuchung kam, an Puder und Schminke zu glauben, bis er sich von der Echtheit solch seltenen Teints überzeugen mußte, hatten Herrn Sturmlechner zuerst geradezu bezaubert, und wenn er dann gar in die großen, weit offenen Augen von goldigem Braun schaute, welche von dunkeln Brauen überwölbt und beinah schwarzen Wimpern beschattet wurden, so konnte er gar wohl den stürmischen Löselbuben begreifen, welcher solch herziges Madel im Triumph auf die Arme hob. Das Haar, in der Farbe der Augen, lag in duftigen Wellen um Stirn und Schläfen, ein Rahmen, wie ihn keine Menschenhand um ein Porträt legen kann.

Klug und lebhaft war der Ausdruck des Gesichts, am anziehendsten, wenn das freundlich schelmische Lächeln die roten Lippen schürzte und die Zähne, gesund und weiß, dahinter blitzten. Wenn Herr Aloys nicht immer noch mit allen Fasern seines Herzens seinem flachshaarigen Nannerl mit den blauen Vergißmeinnichtsguckerln nachgetrauert und nicht schon allzu graumeliertes Gelock gehabt hätte, so würde er sich fraglos bis über die Ohren in das reizende Fräulein Lobelia verliebt haben.

Wenn aber schon der Esel seine Farbe auf die Scheitel streicht, dann soll solche Larifari aufhören, justement, als habe die Natur selber warnen wollen, durch ein Zuwiderhandeln ihrer Gesetze zum Grauschimmel zu werden.

»Gleiches Gut — gleiches Blut — Gleiche Jahre — gibt die allerbesten Paare!«

Und immer weiter führte der Weg in die köstliche Alpwildnis hinein.

In der Schlucht war es kalt, — man freute sich der warmen Hüllen, und Herr Aloys schlug vor, einen felsigen kleinen Seitenpfad einzuschlagen, welcher nach der ihm bekannten Senne emporführte.

Das war ein Weg nach dem Herzen einer Malerin!

Schade, daß man sich nicht auf einen dieser dichtbemoosten Felssteine niedersetzen und sein Skizzenbuch zur Hand nehmen konnte.

Jedes Bild ein Meisterstück!

Diese wundervollen uralten Tannen, über deren Häupter gar viele Jahrhunderte schon hingezogen waren, breiteten die tief dunkelgrünen Nadelarme weit über Weg und Halde hinaus.

Sonnenlichter stiegen flimmernd an den borkigen Stämmen empor, ein fast berauschender Duft strömte von den Latschen herab, und die ersten Fliegen, Käfer und Schmetterlinge blitzten wie kleine Geheimnisse, wohl geschaut, aber viel zu schnell, um erforscht zu werden, um das sprossende und knospende Grün.

An den Südhängen war die Vegetation schon ziemlich vorgeschritten, dieweil an den tief schattenden Nordseiten noch der Schnee in letzten schmalen Streifen lag, nicht zu Matsch und Patsch schmelzend, sondern beinah spurlos einsinkend und vertrocknend, als habe eines barmherzigen Gottes Hand alles Wintereis liebevoll von seinen gequälten Kindern hinweggewischt, so freundlich und gründlich, daß es auch nicht die geringste Spur hinterläßt.

»Es muß doch Frühling werden!«

Von droben grüßen die majestätischen Häupter der Bergweltkaiser.

Sie tragen urewige Kronen, und die Reiche der Welt liegen bezwungen zu ihren Füßen, weit hingestreckt, wie der Körper eines Besiegten.

Droben in blauer Luft, am Saum des Himmels, zieht ein Adler seine stolzen Kreise.

»Ist es auch einer, Herr Sturmlechner?«

Man steht und schaut empor in die leuchtende Bläue.

»Welch große Spannweite der Schwingen! Für einen Sperber oder Habicht viel zu gewaltig und stark.«

»Ein Steinadler ist’s! Da wechselt gar manches Raubzeug von Graubünden zu uns herüber. Kommod genug haben sie es ja, die Unholde; wenn’s drüben mal knapp wird in der Felseinsamkeit, nachen findens bald einen Durchschlupf nach Tirol herein.«

»Ob er hier in der Nähe nistet?«

»Dann werden’s ihm bald eins aufbrennen. Die Jäger sind scharf hinter solch’ seltenem Wild her!«

»Welch eine Staffage für diese wunderbar schöne Landschaft! — Hier sieht man erst, wie hoch und schlüftig die Alpen sind. Ist nicht dort in der breiten Rinne eine Lawine herniedergegangen? Man sieht am Rand der Schlucht noch die Eisblöcke lagern.«

»Ganz recht! Wir haben die kleinen Schneerutsche viel in den Alptälern. Auch die Wasser reißen zur Schmelze ungeheure Mengen an Geröll und Gesperr mit in den Grund. Da schauens hier zur Seite die Prachttannen! Die großen haben getrotzt, aber die kleinen sind scharf niedergerissen . . .«

»Von einem Gebirgswasser?«

»Wann der Schnee droben schmilzt, löst sich das Erdreich und stürzt zur Tiefe, führt allerhand Sammelsuri mit sich und füllt oft ganze Talbecken. — Da kann die Naiv Illustrationen liefern!«

»Ich hörte von den Verwüstungen, die dies kleine, so harmlos aussehende Wässerchen oft schon angerichtet hat!«

»Man hat uns sogar ein so schönes und frommes Wunder im Naivtal gezeigt, welches sich bei dem letzten Hochwasser abgespielt hat.«

»Sie meinen das mit dem gnadenreichen Muttergottesbild?«

»Ganz recht! Eine steinerne Statue der Mutter Gottes!«

»Die Wasser sind voll rasender Wucht zu Tal gestürzt, alles, was sich ihnen in den Weg stellte, herabreißend und zerstörend. — Als die Fluten das Muttergottesbild erreichten, welches frei auf der Wiese im Grund stand, teilten sie sich in zwei Ströme, welche rechts und links neben dem Heiligenbild vorbeibrausten und die Madonna, wie auf einer kleinen, grünen Insel, inmitten der rasenden Gebirgswasser, welche die halbe Umgebung verwüsteten, unbeschädigt stehenließen. — Da lacht einen halt das Gnadenbild so wunderselig an, wann man jetzt dahergeht und es zwischen all seinen Blumen stehen sieht, als wollt’s sagen: ›Dahier der kleine Herrgott Jesus Christ, der hebet nur sein Patscherl und befiehlt dem Wasser und Sturm noch ebenso gewaltiglich, wie ehemals auf dem See Genezareth!«

Ein Augenblick feierliche Stille.

Der Wind strich durch die Baumkronen, und Gras und Halme neigten sich tief zur Erde.

»Später blühen an diesem Fleck die schönsten Alprosen, welche man schauen kann.«

»Auch Edelweiß?«

»Ah na! Da heißt’s noch höher kraxeln. — Am Ifinger findet man es gar viel; seit der Alte aber so morsch geworden, daß mit jedem Jahr das Steinicht mehr zusammenbricht, bringt jeder Schritt und Tritt eine große Gefahr mit sich. Verwegene Bergsteiger klettern auf Socken hinauf, weil Nagelschuh zu schwer sind! Die bringen noch ein Buschen Edelweiß heim, aber für Fremde ist’s nimmer zu wagen.«

»Oh! Was liegt dort im Geröll?«

Mit schnellem Schritt eilte Lobelia herzu, neigte sich und hob ein seltsam schneckenförmig gewundenes Horn empor.

»Alle Wetter, Kind! Das muß von einem Urtier aus der Gletscherzeit stammen!«

»Ein Widderhorn!«

»Vielleicht von dem mythologischen Gespann, welches der Wala goldenen Wagen über den Himmel zog!«

»Die Fricka ist identisch mit ihr?«

»Gewiß! Wodans, des Altvaters, göttliche Gemahlin.«

»Just haben wir von ihr gesprochen, Gnädige, und haben Ihnen den schönen Namen gegeben! Nun findens plötzlich ein gar seltenes Zeichen ihrer Huld.«

»Ja, ja!« lachte der Oberst sehr animiert, »das hat sie dir extra zugeworfen, Mädel! Heb’s zum Andenken auf.«

»Und ob ich das tue!«

Alle standen, schauten, debattierten.

»Welch schöne Zeichnung! Wie ebenmäßig gewunden!«

»Und diese Größe!«

»Das muß ein Riesenbock gewesen sein.«

»Nun, wenn er zu dem Marstall der gewaltigen Götter des Nordens gehörte!«

»Der Gletscherschnee hat diese Rarität wohl seit grauen Jahren geborgen.«

»Wie ein Schauer der Andacht geht es einem über den Leib, wenn man vor dem armseligen Rest eines Geschöpfes steht, welches längst in Staub zerfallen, während die Alpen wie gigantische Marksteine der Zeit noch emporragen zu einem Himmel, welcher wiederum seinerseits auf sie niederschaut, unveränderlich und unvergänglich, die Urewigkeit, deren Sprache mit leuchtenden Sternen in das All schreibt: ›Kennst und suchst du deinen Schöpfer, Menschenkind? Hier bin ich. Dein Herr und dein Gott!‹«

Zweites Kapitel.

»Noch eine Viertelstunde bergauf, dann müssen wir hinter jenem Felsvorsprung die Senne sehen, wo wir hoffentlich unser Mittagessen verzehren können.«

»Und mit welchem Appetit!«

»Man glaubt gar nicht, was diese kräftige, frische Bergluft auftut!«

»Gut, daß die Rucksäcke dann leichter werden.«

»Dafür wollen wir sorgen!«

»Der Wirt vom Parkhotel hat guten Geschmack und weiß schon das Passende einzupacken.«

»Gut, daß es nicht heiße Jahreszeit ist, da macht das Getränk ein Bedeutendes bei der Bagage aus. Wenn wir früher daher wanderten oder gar eine echte, rechte Kraxelpartie machten, dann saß man doch alle naslang mal im Moos und ließ so ein Flascherl gluckern.«

»Jetzt ist der Kognak mehr am Platz!«

»Namentlich droben, in der Nähe des Grats, da merkt man’s an Händ’ und Füßen, wie hoch man gestiegen ist, und wie die Schneeluft daherpfeift.«

»Wollen wir heut auch bis zum Grat?«

»Ich vermein’, das ist a bisserl stramme Tour! Die Aussicht ist ja wunderbar, man hat das Panorama bis zur Marmoletta hin, — aber es rastet sich auf dem Gefrorenen schlecht, und die Nagelschuh von der Gnädigen scheinen mir auch mehr salonfähig wie praktisch!«

»Na ja, Salontiroler! Hörst du, Lobelia, jetzt mokiert er sich über uns!«

Das junge Mädchen lachte.

»Dies alles ist mir nebensächlich! Bei mir spricht mal wieder das Kunstinteresse das Hauptwort.«

»Gehens! Sagens lieber ›Geschäftsinteresse‹. Ich merk’s schon lang — am liebsten hätte es die Gnädige, wir täten an jedem Eckerl lagern und machten ein paar schöne Skizzen für die große Münchner Ausstellung.«

»Das ist’s ja! Aber der gute Willen allein ist kein warmes Sitzkissen in einer Schlucht, und was nützt es mir, ob ich später durch den Erlös der Bilder ein paar Dutzend warme Würstchen kaufen kann, wenn es jetzt dem Ostwind ganz Wurst ist, ob wir hier verklammen oder nicht!«

»Vielleicht schauens mal aus der Senne vom Fensterl aus, ob sich die Aussicht für ein Bilderl lohnt.«

»Wenn grad ein flotter Bursch kommt und fensterlt, — dann sicherlich!«

»Das Flotte und Fesche allein tut’s nicht! Wenn man ihn malen soll, muß er zu interessieren verstehen!«

»Verzeihens die delikate Frag’: Wie macht man dös bei Ihna?«

Der Oberst lachte auf, und seine Nichte stimmte fröhlich ein. »Mit einem Buschen Edelweiß und Alprosen, was sich sonst so poetisch macht, würde er heute wenig Glück in dem Schneewinkel haben.«

»Aber so an Flascherl Kranawitter vom Bayrischen?«

Herr Aloys kniff gefühlvoll die Augen zusammen. »Wär’ dös am End’ so ein ›Sesam öffne dich‹ fürs Fensterl?«

»Selbstredend! Das Dirndel würde sicher heißer dabei für ihn erglühen, wie bei kühlen Mondscheinjodlern.«

»Sag’ ich’s nicht, bester Sturmlechner? Die Kunst ist eine materielle Dame geworden, und weil ich meine kleine Gletscherjungfrau hier kenne, so habe ich für das nötige Medikament gegen zu große ›Abkühlung‹ gesorgt!«

»Ja, ja! Die kleine Schlankhalsige sah recht vielversprechend aus, wie du sie einpacktest, Onkelchen!«

»Da drüben! Da schauens über das niedere Knirksholz das Dach rauslugen?«

»Die Senne?!«

»Nun aber mal trapp!«

»Ich vermisse das einladende Rauchwölkchen über dem Schornstein.«

»So ein Feuerl brennt schnell!«

»Haust ein Senn droben?«

»Du mei! Fünf Mannerleut’ und a paar Weiberl! Mit so viel Vieh gibt’s an ausgiebige Arbeit!«

Herr Aloys stiefelte mit seinen langen Beinen gewaltig bergauf, und als man sich soweit genähert hatte, daß man unter dem felssteinbeschwerten, grünmoosigen Dach die Fensterscheiben unter den schrägen Sonnenstrahlen blinken sah, blieb der Österreicher stehen und legte beide Hände hohl um den Mund.

»Holdrihohoho! — Halltho!«

Das war ein Jodler, welcher Gäste anmeldet, und welcher meist mit einem fröhlichen Juhschrei oder bei ihrerseits musikalischen Sennen einem Gegenjodler beantwortet wurde. Man stand momentan und lauschte. Alles blieb still.

»Na, tritt denn kei Cenzerl unter die Tür, Ausschau zu halten?«

»Die ganze Senne sieht noch recht tot und öde aus!«

»Vielleicht ist noch gar keins hier droben? — So an Infamie, wie das aber wär!«

»Macht nichts!«

»Wir sind noch sehr früh im Jahr.«

»Drunten in Meran blüht und grünt alles um beträchtliche Zeit früher!«

»Ob alles abgeschlossen ist?«

»Wenn man doch an den Herd könnte!«

»Da werdens wohl gut verriegelt haben!«

Noch einmal jodelte Herr Sturmlechner sein Signal hinauf.

Nichts rührte und regte sich.

Ein paar Vogelstimmen schrien aufgeschreckt aus denn Geklüft herüber.

»Seltsam, — jetzt erst merkt man, wie weltfern, wie einsam wir hier sind!«

»Allzu lang halten wir uns ja nicht auf, und die Welt ist schön allüberall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual!«

»Das stimmt, — da erst am schönsten!«

Man war an die Senne herangekommen. Grabesstill lag sie inmitten der schroff aufsteigenden, wild zerklüfteten Felsen, an welchen sich die Schneerillen tief hinab bis auf die Matten zogen.

Man klopfte an den Türen.

Keine Antwort.

Man versuchte in die blindverstaubten, regen- und schneeverwaschenen Fenster zu sehen.

Keine Seele zu erblicken.

Ein Eindringen ohne Axt und Gewalt unmöglich.

»Wenn wir uns nur ein bißchen warm hinsetzen könnten!«

Sturmlechner deutete nach einem Heustadel, welcher, ein wenig höher wie die Sennhütte gelegen, von der ziemlich steil abfallenden Halde herniederwinkte.

Es war ein spitzes Schutzdach, aus grün bemoosten Stämmen roh zusammengefügt, unter welchem sich ein offner Heuboden befand.

Zum Schutz gegen Wildfraß war der Boden wie eine Art Pfahlbaute erhöht, von einer Reihe Stämmen im Viereck gestützt, unter welchen im Sommer oder Herbst die Geiß Schutz bei Regen und Gewitter suchten.

»Hurra! Das Heu ist noch nit vom Stadel abgetragen. Da finden wir ein ganz behaglich weich und warmes Nestchen!«

»Ganz recht! Wir breiten die Plaids aus.«

»Die Sonne hat schon den ganzen Vormittag warm auf das Heu geschienen.«

»Gewiß ein köstlicher Duft!«

»Du mei, Herr Oberst! Zur Manöverzeit habens gewiß auch manch liebes mal im Heu biwakiert!«

»Und ob! So nah dem Himmel allerdings noch nicht.«

»Wie sollen wir aber hinaufkommen?«

»Schauens nöt das Hühnerleiterl zur Seite, Gnädigste? Da steigt ma halt auf!«

Lobelia lachte.

»Die Poesie läßt nichts zu wünschen übrig. Hoffentlich kracht nicht die kippliche Sache unter uns zusammen!«

»Wenn das Fräulein Lobelia da heraufschwebt, so ist’s halt Jakobs Himmelsleiter, an der die Engel auf und nieder steigen!« schmunzelte Herr Aloys galant und nahm die Tete, um als erster bei dem Heuschober anzulangen.

Er faßte an die Leiter und rüttelte daran.

»Na, an bisserl schief und morsch ist die Sach’ wohl, aber ich vermein’, so leichte Ware wie uns halt sie noch aus.«

Die Herrn kletterten Probe und kamen wohlbehalten oben an.

»Hier ist es ideal! Großartig! Das Heu wie von der Sonne geheizt! ›Reich’ mir die Hand, mein Leben — daß ich dir helfen kann!‹« scherzte Herr von Welten, neigte sich und bot der Nichte die Hand entgegen.

»Nimm erst mal hier den Rucksack, Onkelchen!«

»Hat ihm schon!«

»So; eins . . . zwei . . . drei — jupplala!«.

»Oben wären wir!«

»Tatsächlich, das ist ja herrlich hier!«

»Welch ein Speisesaal!«

»Derjenige der Wala aus der Urzeit!«

»Mit all ihrem damaligen Komfort!«

»Als die Götter noch auf Wolkenbetten schliefen, haben sie sicher das weiche Heu geschaffen, um sich ein Blumenlager auf der Erde zu bereiten.«

»Wie danken wir es ihnen in diesem Augenblick.«

»Jetzt spielt die Gnädige Hausfrau! Wir lagern uns hier in die Sonne.«

»Und ich packe aus!«

»Bravo! — Wie geheimnisvoll gut doch so ein Butterbrotpapier raschelt!«

»In diesem Augenblick gebe ich die ganze fünfte Sinfonie dafür hin!«

»Prosit schön’s Jüngferlein! Der erste Schluck diesmal den Damen!«

»Ah — das tut gut, das wärmt!«

»Seltsamerweise empfinde ich keinerlei Kältegefühl.«

»Die Luft ist zu rein und klar dazu.«

»Und so unbeschreiblich aromatisch!«

»Hier vollend’ ich’s, die Gelegenheit ist günstig! Die Felswand hier drüben nehme ich in Bleistiftstrichen mit.«

»Sie malen Landschaft?«

»So nebenbei, — als Staffage. Meine Hauptbeschäftigung ist das Porträtieren.«

»Viel Talent. — Ganz reizende Sachen schon geleistet!« versicherte der Oberst ein wenig undeutlich, denn er kaute grade voll großen Eifers eine Semmel mit Gänsebrust belegt.

»Entschieden das Dankbarste. So ein Bild läßt jeder gern von sich malen, — schon aus Pietät für die Enkelkinder.«

»Habens das ihre schon bestellt, Sie Hagestolz?!«

Da lachten sie wieder, und Herr Aloys biß in sein Schwarzbrot mit Speck und versicherte: »Wann’s ein’ Fleck Leinwand haben, groß genug, dös mein Brummschädel darauf Platz hat, so möcht ich gehorsamst um so ein Meisterstück für meine Kindeskinder bitten.«

»In drei Wochen unmöglich fertigzustellen. Und länger bleiben wir wohl nicht mehr in Meran.«

»Wie gewaltig die Felsen ragen! Dort in der Schlucht muß es wohl schon dunkel werden, wenn die Sonne sonst noch hoch am Himmel steht!«

»Solch eine Einsamkeit hat doch etwas Gewaltiges!«

»Das Schweigen im Wald —«

»Es geht auf die Nerven.«

»Man glaubt gar nicht, was für eine beredte Sprache solch tiefe Stille spricht!«

»Die Donner des Weltenalls.«

»Wie es sich wohl in die tiefe Klamm hier hinter der Halde herniedersieht?«

»Das können wir ja konstatieren.«

»Mir deucht es manchmal, als hörte ich Wasserrauschen . . .«

»Bei der Schneeschmelze gar möglich!«

»Wenn wir fertig diniert haben, werfen wir noch einen Blick hinab, ehe wir uns auf den Heimweg machen.«

»Ich passe!«

»Es hat großartig geschmeckt, aber wir haben alle dreie so tüchtig in die Rucksäcke gehamstert, daß wir noch ein stattliches Quantum Brocken mit nach Hause bringen.«

Lobelia packte die Speisereste zusammen und verstaute sie wieder in dem wasserdichten Segeltuch.

»Ich schlage vor, wir lassen unser Marschgepäck hier auf dem Stadel zurück und wandern erst mal leicht geschürzt und leicht beschwingt, dem Pfadfinder zwischen jenem Felsen dort in das Handwerk zu pfuschen.«

Gesagt, getan.

Man legte allen Ballast auf dem duftenden Heu nieder, klomm unter Lachen und Scherzen die Stiege wieder herab und schlug querfeldein, über wild romantisch getürmtes Geröll und herrliche Moosbildungen, den Weg nach der Klamm ein.

Diese schnitt in scharfer Kurve in die riesigen Felsmassen zur Linken ein, dieweil von droben aus den mächtigen Tannen eine Alpwiese hervorbrach, besät mit Felsstücken und Geröll, so malerisch schön, daß sie im Sommer, mit all der reizenden Alpflora geziert, ein zauberhaftes Bild abgeben mußte. Der auch jetzt schon leicht grünende Hang fiel ziemlich steil zu der Sennhütte ab, während sich über ihm groteske Steinschiebungen lagerten, hoch aufgetürmt, als wollten sie das leuchtende Firmament stützen. — Nur ein kleines Stücklein Himmel sah man in diesem schlüftigen Tal, aber heute war es so hell und licht durchflimmert, daß man äußerst scharf jeden, auch den entferntesten Gegenstand, erkennen konnte.

»Hören Sie doch!« Lobelia blieb plötzlich stehn und hob lauschend das Köpfchen.

»Ist ein Wasserfall in der Nähe? Es rollt eben wieder wie ein so seltsames Getöse . . .«

»Ja, ja! Ich lauschte auch schon. — Kann jetzt schon ein Gewitter im Anzug sein, es klang wie ein ferner Donner!«

»Unmöglich! Da, hier oben, um diese Jahreszeit?«

»Aber was ist es sonst?«

»Hören Sie? Da grollt es wieder.«

»Und diesmal näher, als käme es aus den Felsen hinter der Wiese her.«

Man stand und lauschte.

»Joseph Maria! Heiliger Herr und Gott!«

Herr Aloys Sturmlechner schrie es gellend auf und deutete mit der Hand nach einem vorspringenden Felsblock, — kaum ein paar hundert Meter von ihnen entfernt. »Da schaut’s! A Bär — a Bär!«

Kreideweiß, mit schlotternden Knien stand er. Gleichzeitig rollte es wie ein furchtbares Donnergebrüll über ihnen. Auf dem Felsplateau zeichnete sich die gedrungene Gestalt eines sehr großen und starken braunen Bären ab, den struppigen Kopf vorgestreckt, und die Pranken gegen die Felsschrunden gestemmt.

»Herrgott des Himmels! Wo kommt hier in diese zivilisierte Gegend ein solches Ungetüm her?!« rang es sich voll bebenden Entsetzens von Lobelias Lippen; der Oberst aber riß den Arm seiner Nichte jäh an sich.

»Vorwärts! So schnell wie möglich entfliehen! Die Bären können rasend schnell laufen, und dem Gebrüll nach hat er Hunger!«

»Er sieht uns! Er hat uns entdeckt!« keuchte Sturmlechner mit weit aufgerissenen Augen noch einmal zurückstarrend. »Nun erbarm’ sich die heilige Mutter Gottes, dös koans von uns zu Fall kommt!«

»Er setzt sich in Trab! Er folgt uns!«

Wie ein gellender Aufschrei rang es sich von den Lippen des jungen Mädchens.

»Laufens, was das Zeug haltet!«

»Wohin?!«

»Nach dem Heustadel hinauf! Das ist unsere einzige Rettung!«

In wahnsinniger Flucht stürmten die drei einsamen Menschen dem rettenden Unterschlupf entgegen.

Noch einmal rollte die furchtbare Stimme des Raubtiers, schon bedeutend näher, hinter ihnen, sich an den schroffen Felswänden in grausigem Echo brechend; dann war es still, nur das Poltern und Aufkrachen der Steine in der Klamm zeigte es an, daß der Bär am Rand des Abgrunds einher rannte und jetzt anscheinend auf die Wiesenhalde abbog, seinen Opfern den Weg zum Stadel abzuschneiden.

Wie die Rasenden stürzten sich diese der Leiter entgegen.

Noch nie hatten Weltens Arme solche Kraft entwickelt, als wie in diesem Augenblick, wo er seine halb ohnmächtige Nichte packte und mit sich die morschen Sprossen emporriß.

»Nur jetzt verlaß uns nicht, barmherziger Gott, daß das Holz unter uns bricht, sonst sind wir verloren!« gellte es durch seine Seele wie ein Angstschrei zum Himmel.

Droben!

Gott sei ewig gedankt!

Er stieß Lobelia nach dem Heu zurück, warf sich auf die Knie und streckte die Hand helfend dem Freund entgegen. Ob die Sprossen von der doppelten Last doch eingeknaxt waren, oder ob sie in der wahnwitzigen Hast und Aufregung nicht auf das Schwanken geachtet hatten — zwei der verwitterten Stangen brachen unter Sturmlechners wuchtigen Nagelschuhen.

»Macht nix! I kimm schon hoch!«

»Halten Sie sich an meinem Arm!«

»Nix da! I reiß Ihna ja runter!«

»Da ist ja der Bär! — Ganz dicht schon hinter Ihnen!« schrillte Lobelias Stimme voll Verzweiflung durch die Todeseinsamkeit.

»Na, na! Ich bin ja schon droben!« — Einen letzten energischen Schwung — Herr Aloys krallte sich an den Holzpfosten und zog sich empor.

Der Schweiß rann von seiner Stirn, er stand momentan und atmete schwer auf.

»Nun fassens mit an, Herr Oberst, daß wir die Leiter umstürzen!«

»Glauben Sie, die Bestie folgt uns?!«

Wieder schrie Lobelia gellend auf vor Entsetzen, Welten aber und Sturmlechner radderten mit der Kraft der Verzweiflung an der Leiter.

»Gottlob! Sie ist ja nur hier mit Haken in die Bohle gehängt!«

»Dann nicht umwerfen, heraufziehen!«

»Gewiß noch besser!«

»Sie kommt ganz leicht hoch.«

»Zurück, Gnädige. Gebt’s a Raum!«

Die Leiter schwankte einen Augenblick über dem Köpfchen der jungen Dame, dann fiel sie mit dumpfem Schlag auf das Heu nieder.

»Gerettet!« keuchte Welten auf. — »Soviel ich von Bären gehört habe, folgen sie in keinen geschlossenen Raum, und der Stadel ist ja an den Wetterseiten mit Brettern verschalt.«

»Hier herauf kommt er nimmer!« nickte der Osterreicher und wischte sich mit denn Sacktuch die Stirn. »Das einzige wäre, daß er sich gegen die Balken stemmt und die wurmstichige alte Sache hier ins Wanken bringt!«

»Die Stämme scheinen sehr fest! Sehen Sie doch, die Lasten, welche sie tragen müssen!«

Lobelia war bleich vor Entsetzen auf die Knie gebrochen und hatte die Hände wie in schaudernder Abwehr vor das farblose Antlitz geschlagen.

»Da ist er! — Jetzt, in diesem Augenblick hätte er uns erreicht, wenn der Heuschuppen nicht gewesen wäre!«

»Ein furchtbarer, ein riesiger Kerl!«

»Alt ausgewachsener Bär!«

»Das Herz muß ja dem Mutigsten stocken, daß es zu schlagen aufhört, wenn man so ein Ungeheuer als Feind schaut!«

»Diese gräßlichen Augen! Wie er hier heraufstiert! — Solch ein Anblick ist ja gar nicht zu ertragen!« Herr von Welten legte den Arm beruhigend um die Zitternde.

»Sieh nicht mehr hinab, Kind! — Komm, wir machen dir ein warmes, weiches Lager hier im Heu.«

»Ich habe keine Ruhe dazu, — wie ein Magnet, ein fürchterlicher, zieht mich der Anblick des Ungeheuers an!« schluchzte Fräulein von Welten, und ihre Zähne schlugen hörbar, wie im Schüttelfrost, zusammen.

»Und keiner von uns hat eine Waffe bei sich!«

»Doch, hier — mein Revolver!« Der Oberst sagte es mit einer Stimme, welche die Waffe schon verwarf, ehe sie in Anwendung gebracht war; »von hier oben ist es ja ganz ausgeschlossen, auf das unruhige Tier zu schießen, — das kann nur in einem letzten Ringen, Brust an Brust, im Kampf bis aufs Blut geschehen.«

»Warum das, Onkel?«

»Nur ein Meisterschuß ins Auge kann einen Bär zur Strecke bringen. Auf diese Entfernung hin, selber in der Aufregung mit unsicherer Hand zielen, wäre es ein mehr wie glücklicher Zufall, ja direkt ein Wunder, wenn man so tödlich treffen wollte.«

»Es sind fünf Kugeln!«

»Unsere einzige Hilfe, falls die Bestie uns hierherauf folgen und umklammern wollte.«

»Du bist ein guter Jäger, Onkel!«

»Noch nie habe ich mich in solcher Situation befunden und auf ein derartiges Ungeheuer gezielt.«

Sturmlechner war zur Seite getreten und hatte sich nach dem zu oberst lagernden Heu hinaufgearbeitet.

»I’ hab’ recht vermutet!« schrie er triumphierend: »Da, hierherauf habens die zwei Heugabeln gelegt!«

Er reichte sie aufgeregt herab, und Welten griff aufblitzenden Auges zu.

»Solch ein Ding ist doch ein gutes Gefühl in der Hand! — Fest und massig! Die hält einen gewaltigen Stoß aus. Danke Ihnen, Sturmlechner. Das war ein famoser Fund!«

Herr Aloys kehrte zurück und besichtigte auch seine Forke auf das eingehendste. Blitzblank leuchtete der Stahl.

»Gut und neu! — Wie’s die Sennen dermal hierher geworfen, habens auch nit gedacht, daß ein paar arme Hascherl in Todesgefahr danach greifen würden.«

»Glauben Sie denn wirklich, daß wir die nötig haben?« schluchzte Lobelia und schrie abermals auf, denn der Bär hob sich mit den Vorderpranken an einem der Holzpfeiler empor und brüllte wiederum aus weit geöffnetem Rachen.

»Der Unhold ist ja entsetzlich wild!« murmelte der Oberst durch die Zähne. »Er scheint verfolgt zu sein . . . vielleicht gar angeschossen, man kann in dem dicken Fell nur keine Blutspur entdecken.«

»Sonst sind Bären nicht so wütend, wenn man sie nicht reizt.«

»Gewiß nit! Als mein Vater selig noch lebte, da hatten wir öfters Bären in Obermais! Von Schloß Planta schoß man sie aus dem Fenster! Aber eine solch wilde Bestie ist dermalen nicht dabei gewesen.«

»Sicherlich haben schon Jäger seine Spur aufgenommen und ihn angeschossen.«

»Oder ist’s vielleicht eine Bärin, der man das Lager ausgehoben hat?«

»Nun hält sie uns für ihre Angreifer!«

»Wohl möglich.«

»Ihre Wut ist so grausig!«

»Gibt’s denn jetzt junge Bären?«

»Da hab’ i so gar keine Erfahrung! — Aber im Frühjahr? Man könnt’s halt meinen.«

»Ich habe mich ja auch nie mit derartigem Raubzeug befaßt, — in meiner Heimat pirscht man auf einen Rehbock oder bläst einem Krummen das schwache Lebenslichtlein aus!«

»Gibt es denn hier in der Schlucht immer Bären?«

»O ka Ahnung! Seit Jahren hat man nix mehr davon gehört. — Es wechseln bei besonders strengem Winter wohl mal etzliche aus Graubünden herüber, aber heuer hatten wir kaum Kälte!«

»Wird denn das grausige Tier noch lange hierbleiben?« ächzte Lobelia, und ihr Haupt sank wie tief ermattet zur Brust. »Wenn er Hunger hat, muß er doch Nahrung suchen!«

»Na, na! Nit immer! Grad dann halt so ein rabiates Viech die Wacht bei seinem Feind!«

»Wie sollen wir denn dann jemals von hier erlöst werden?« Lobelia rang die Hände, und ihr Blick irrte wie in Verzweiflung zu dem Himmel, welcher sich von der sinkenden Sonne schon rötlich zu färben begann.

»Fürchtens Ihnen nur nit, Gnädige!« tröstete Herr Sturmlechner und sah doch selber dabei wie eine Kalkwand aus. »So an Bärengebrumm hörens schon weithin ins Tal! — Das dauert gar nit lang, dann wimmelt’s hier auf der Halde von Schützen, die alle kommen, um uns zu retten!«

»Proviant haben wir ja auch noch.«

»Und warme Sachen dito.«

»Wir sitzen ja hier im Heu ganz warm!«

»Wann es sich die Gnädige nur a bisserl kommod machen möcht’!«

»Ich habe keine Ruhe, Herr Sturmlechner!«

»Ich desto mehr!« versuchte der Oberst zu scherzen.

»Jetzt wollen wir uns mal hier einen Gral bauen! Ehe wir anfangen zu frieren, heizen wir ein! So verlangt es die Philosophie der reinen Vernunft! — Komm, Kind! Laß deinen Verehrer da unten ruhig traben! Er scheint jetzt Karussell um das Stadel zu laufen! Das hat er billig!«

»Wir müssen doch beobachten, wo er abbleibt!«

»Warum, Lobelia? Je mehr wir uns hier oben rühren, desto mehr machen wir auf uns aufmerksam! Wir sind ja zwei Herrn und nun auch ganz gut bewaffnet!«

»Jetzt könnten wir auf keinen Fall mehr an den Heimweg denken, die Nacht tät uns ja derquer kommen, und da ist’s nit gut mit einem solchen Mistviech Kirschen essen!«

»Wenn wir nicht nach Hause kommen, werden sie hoffentlich Boten nach uns ausschicken!« flüsterte Fräulein von Welten und zitterte so heftig an allen Gliedern, daß der Oberst sie in das ausgehöhlte Heu mehr tragen mußte, als daß sie ging. »Aber niemand ahnt, wo wir sind, daß wir so querfeldein von dem Weg abgebogen sind!«

»Dann gehens dem Gebrüll nach.«

»Dieses schauerliche Brüllen! Ach, ich habe mich immer so sehr vor Bären geängstigt, grad, als ob mir’s wie eine Vorahnung in allen Gliedern gelegen hätte, daß ich noch einmal etwas so Unbeschreibliches mit solchem Ungeheuer erleben würde.«

»Nur nicht ohne Not sich sorgen! — Der alte, liebe, treue Herrgott lebt noch, der verläßt uns nicht!«

»Und so ein heiliges Madel, wie die Gnädige ist, die hat allerweg ihre Schutzengel.«

»Ein paar Tropfen Kognak! — Komm, wir wollen hoffen, daß auch uns freundlich der Weg aus diesem Tal gezeigt wird. — Bis dahin wollen wir uns die Zeit so gut wie möglich vertreiben, — die Nacht kommt hier in den Alpentälern, in Schlüften und Schluchten wie hier, ganz besonders schnell herauf, und wenn wir auch nicht schlafen, so wollen wir uns doch nicht ohne Not durch nervenmordendes Beobachten und Auflauern schachmatt machen!«

»Von Zeit zu Zeit vorsichtig rekognosziert!«

»In der Dunkelheit nützt das ja nichts.«

»Man sieht nichts!«

»Und unser Kerkermeister, welcher uns hier gefangen hält, ist, so Gott will, beim Morgengrauen über alle Berge.«

»Unwillkürlich achtet man auf jeden Laut und regt sich so auf!« klagte Lobelia mit bebender Stimme.

Die Herren wechselten einen schnellen Blick tiefbesorgten Einverständnisses. Sie waren beide als Soldaten im Krieg gewesen, das Jahr sechsundsechzig hatte es ihnen gezeigt, was es heißen will, in dunkler Nacht angestrengt zu lauschen, auf Vorposten zu stehn und zu wissen, daß der Tod auf leisen Sohlen umherschleicht und jede Sekunde um Sein oder Nichtsein würfelt.

Sie ermaßen die Schauder einer Nacht, wie sie jetzt heraufzog in all ihren ungeheuerlichen Konsequenzen; denn was es besagt, einen gereizten Bären als Todfeind in nächster Nähe zu wissen, ahnungslos, zu was alles Wut und Hunger solch ein Höllenvieh aufstacheln und aufreizen kann, das wußten nur sie als erfahrene Männer allein.

Wahrlich, ihnen selber war nicht wohl zumute, aber trotzdem waren sie energisch genug, durch leis geflüsterte Unterhaltung die Zuversicht und Hoffnung des jungen Mädchens zu kräftigen.

Da wurden allerhand Geschichten erzählt, wie feige im Grunde genommen die Bären sind, wie sie im entscheidenden Augenblick doch die Flucht ergreifen.

»So war es vor Jahren auch einmal in den Schluchten an der Cigatspitze passiert. Hatten sie da auch einen riesigen Bären aufgespürt, und die ganzen Schützen der Umgegend, nicht zum wenigsten die sich freiwillig meldenden Kaiserjäger in Meran hatten sich aufgemacht, die herrliche Jagdbeute heimzubringen. Und sie suchen den Bären. Auf einem schmalen Pirschpfad schieben sich die Jäger, einer hinter dem andern, daher.

Zur einen Seite himmelhoch ragende Felswand, zur andern der turmhochtiefe Abgrund!

Voran ein Jägersmann, groß und stark wie der Riese Goliath!

Und als der Felspfad eine Biegung macht, da starrt der Goliath wie angewurzelt. Vor ihm taucht der Bär auf.

Beide stehen auf dem schmalen Weg einander gegenüber, beide stieren sich voll Entsetzen an, — und dann macht der Bär jählings kehrt und tratscht, so schnell ihn die Pranken tragen, in die Felswildnis zurück, und der Jaga seinerseits tut einen Sprung nach rückwärts und rast zu Tal! — Dahin flüchtete der Bär, — dahin der Schütz’.«

Der Oberst lacht.

Lobelia krampft die eiskalten Hände ineinander und murmelt: »Ich höre ihn nicht mehr . . . ob er drüben an der Seite an einem Pfahl hochklettert?«

Grausige, unaussprechlich fürchterliche Nacht.

Tiefes Dunkel, — man erkennt nicht mehr die Hand vor den Augen.

Der Wind heult in den Schlüften, unbekannte, graulige Geräusche dort und hier, und dann plötzlich das wütende Aufbrüllen des Bären in allernächster Nähe.

Stille . . .

Qual über Qual.

Nun hört man ihn jenseits am Stadel die Pranken in das Holz hauen, es ist, als zittere der ganze morsche Bau.

Leises, jammervolles Weinen des jungen Mädchens. Sie umklammert die Hand des Onkels, und Welten fühlt, daß ihr ganzer Körper wie unter Fieberschauern bebt.

Wie lang ist die Nacht, wie unerträglich lang! Die ersten Frührotlichter, welche über den Himmel zucken.

Es wird heller und heller.

Lobelia liegt bewußtlos in dem Heu, und mit grimmigem Brummen rüttelt der Bär abermals an dem altersschwachen Bau.

Schüsse krachen. Ein lautes Geschrei kräftiger Männerkehlen. Ein Brüllen, Röcheln — und die Sonne hat gesiegt!

Drittes Kapitel.

Als der Vinzenz vom Brunnecker Hof das reizendste Madel, welches er je geschaut, auf seinen starken Armen gehalten und ihr erst so erschrecktes Fratzerl ihn nachher beim »Behüats Gott« so freundlich mit blitzblanken Guckerln angelacht hatte, da wollte ihm so ein Erinnern nimmer aus dem Sinn kommen. Zwar sang er mit schmetternder Stimme ein Rekrutenlied nach dem andern und hakte sich just so fidel wie zuvor bei seinem Jugendgespiel, dem Sepp, in den Arm, aber er wandte doch des öftern den Kopf und schaute dem schmucken Madel nach, bis sie in der Ferne dem Blick entschwanden.

»In die Masulschlucht wollten die Herrischen!« guckte der Sepp ein wenig überrascht, »und nun schwenkens zur Seiten in den Waldpfad ein. — Wetten, dös die Stadtleut’ sich noch verlaufen tun?«

»Nix da! Auf den Langen in der Joppen hab’ i mi auskennt!« rief der Toni, der Knecht beim Seitzerbauer war; »dös is der Aloys Sturmlechner. Derselbe, deß Vater in der Lauben drunten a Bankgeschäft gehalten hat.«

»Just selbiger aus den Wasserlauben. Der is ja uns van’!«

»Und woaß seit Bubenjahren Bescheid dahier.«

»I denk’, sie möchten nach der Senn’ hinauf, nach’m Mirzel oder Anderl schauen.«

»Wann mi nöt so arg lez von selber Nacht her wär’ — da herauf hätt’ i heut auch steig’n mögen.«

»Wann die Almrosen un die Pulsadillern blühn, hast a noch Zeit und kannst an Bleamerl für dein Schatz brocken, an dös d’ dei Herz hangst.«

Die Burschen schritten rüstig aus.

Sie waren von Schönna heruntergekommen und sahen nun die ersten Häuser von Obermais vor sich.

Seitwärts schlängelt sich ein Fußpfad, welcher nach dem Ifinger und den Schluften abstreckt, herab.

Zwei Tiroler Buben sprangen in wilder Hast, atemlos vom Laufen und Schreien daher.

Sie fuchtelten wild mit den Armen durch die Luft.

»Hört’s, ihr Mannerleut’! Stillgestanden, hört’s!«

»Ja du mei, — da brennt’s!«

»Mach’s raus! — Gib’s a Auskunft!«

»Is a Malheur passiert?«

Keuchend standen die Flüchtigen.

»Anderl! Bist jo der Anderl!«

»Sell scho! — Und — droben — droben an der Klamm hab’n ma a Bar aufgespürt!«

»A Bar?«

»Rappelt’s di a nöt?!«

»A Bar in der Masul?«

»Habt’s a nöt an großen Hund derafür angenommen?!«

»Alle Heiligen soan unsere Zeugen!« schrie der Anderl und wechselte vor Entsetzen immer noch die Farben — bald weiß wie Schnee, bald wie im Fieber sah er aus.

»Derzählt’s, Bub’n! Derzählt’s!«

»Der Bauer hat uns naufi g’schickt, mal Umschau zu halten. Auf’m Stadel haben wir noch zentnerweis’ das Heu, und hier drunten wird’s knapp. — Da meint der Alte, woan’s nöt mehr zu viel Schnee hätt’, könnten wir das Vieh am besten hinauftreiben, dann hätt’ ma die Last nöt mit dem Futterholen!«

»Ja, ja — ganz recht!«

»Und — da habt’s an Bär geschaut?«

»Oder nur g’hört?«

»All beides z’samm’!«

»Wie wir so die Senn und den Stadel observiert ham — nachen hörn wir so an narrisches Gebrummel in der Schlucht drunten.«

»Was soll’s denn sein?« meinte der Hias, »steig’n mer mal hinauf und schauen, was es da gibt. — An an Bär hat keiner nöt denkt von uns.«

»Und kraxelt auf die Felsen? Jesus Maria, sell konnte nöt guat wären!«

»Wie mer oben hinaufkommen, — ma braucht’ sich nit weit vorzurecken, — sehen wir unten am Wasser an Riesenpetz, so an Höllenvieh wie an Ochs, der tratscht da im Geschlürf herum.«

»Der Anderl tat vor Schreck laut aufkreischen, sonst hätt’ er uns nöt derschaut.«

»Nu aber guckt er hoch — und richt’ sich auf und schlagts an Gebrüll auf —!«

»An Stutzen had i nöt, aber aufbrennen tu i dem vermaledeiten Mistvieh doch oans!« tobt der Hias, »als ob ihn akkurat der Böse plagt, und packt an großen, damisch schweren Felsblock und schiebt und rollt ihn, und mit an Gekrach, wie wann der Fels z’sammensackt, poltert der Stoan in die Schlucht auf den Bär drauf!«

»Bub’n! Sell soll ma glauben?!«

»Weiter! Da ward er aber furig, der Sakra?!«

»So an Gebrüll hat’s no kan Seel’ gehört, wie der aber aufgeschlagen hat! Und ob’s ihn nu getroffen hat — —«

»Sell is gewiß! An die Schuft hat’s ihn trefft!«

»I sag’ mir: ›Wann der jetzt no klettern kann, dann sin ma alle zwo beide hin!‹ — und nehmens die Bein in die Hand, und nun aber nach Meran, alle Schützen und die Kaiserjäger alarmiern!«

»Die Jaga! — sput’s uns!«

»I lauf’ mit!«

»Malefiz! Dös i ka Büchsen hab’t i rennt’ spornstreichs nach der Masul herein!«

»Jesses! Mei unglückseliges Dearndel!«

»Was ficht di an, Vinzenz?«

»Die Herrischen sind ja in die Schlucht!«

»Der Aloys Sturmlechner!«

»Wenn’s der Bär auswittert und in seiner Wut annimmt, soans verloren!«

»Heilige Mutter Gottes, nur dös nit!«

»So an sauberes Madel!«

»Zu Hilf’! Kommts ihr all zu Hilf’!«

»Schreits die Manner z’samm’!«

»Holts an Waffen!«

»Laufts, ihr Leut’! laufts!«

Wie ein Rasender stürmte Vinzenz voran zu Tal.

Die Burschen folgten in wildem Tumult.

Wer ihnen begegnete, hörte nur die eine Schreckensnachricht: »An Bär ist in der Masul aufgespürt! — Drei Fremde soan noch hinunter’gangen!«

Wie ein Lauffeuer gelt die Schreckensnachricht durch Meran.

Aber die Zeit stand nicht still; die Sonne war schon längst hinter die Alpen gesunken, als sich eine Schar beherzter Männer zusammengefunden hatten, um im Verein mit etlichen Kaiserjägern und Kurgästen, welche sich freiwillig gemeldet hatten, die Bärenjagd zu bestehn. Es ist und bleibt ein heldenhaftes Wagnis, solch einem Ungeheuer in unwirtlichem und kaum übersichtlichem Terrain entgegenzutreten, und das Entsetzen, daß zwei unbewaffnete Herrn und eine junge Dame der wütenden Bestie in Sicht gekommen sein konnten, erfüllte ganz Meran.

»In der Dunkelheit kann man nicht vordringen.«

»Undenkbar, einen Kampf aufzunehmen, wenn man nicht die Hand vor Augen sieht!«

»Und doch darf man nicht zögern!«

»Es gilt drei Menschenleben!«

»Man muß alsbald hinauf und gleich beim ersten Morgengrauen die Spur suchen!«

»Der Vinzenz meint, die Touristen wären nach der Sennhütte hinauf.«

»Wer sind die Herrschaften?«

»Kennt man Namen?«

»Du liebe Zeit, ja! Der Oberst von Welten mit seiner Nichte, einem so bildhübschen Mädchen, welches schon allgemein aufgefallen ist.«

»Herr Sturmlechner macht ihnen den Cicerone!«

»Wo wohnen sie?«

»Im Tiroler Hof.«

»Nein, nein! Im Parkhotel. Die so leidende Gattin vom Oberst ist daheimgeblieben und soll schier Krämpfe haben vor Angst und Aufregung!«

»Gott erbarm’ sich, so eine arme Dam’.«

»Die Jäger rücken aus!«

»Dös is ka Kinderspiel, wanns dös Revier umstellen wollen.«

»Möchten das Teufelsvieh gern einkreisen!«

»Wann die Touristen nur die Fenster in der Senne eingeschlagen und sich in der Stuben versteckt haben.«

»Sind schon Buben droben?«

»Na, nöt fest. Grad die habens vermeldet, wies droben Ausschau gehalten haben!«

»Vor Sonnenaufgang ist’s a stockdunkle Nacht in der Masul.«

»Da laßt sich nix anfangen.«

»Du meiner Seel’! Und vergangenen Herbst bin ich noch mit meinem Sohn und zwei Neffen droben gewesen!«

»Wie lang hat man nichts mehr von Raubzeug gehört!«

»Man fühlte sich ja ganz sicher.«

»Der Winter war streng! In der Schweiz soll der Wildstand so schlecht geworden sein. Da zieht sich das Rackerzeug wieder von Graubünden zu uns herein.«

»Wenn’s bekannt wird, wimmelt’s wieder in Meran von Bärenjägern!«

»Wärens nur schon dahier!«

Zwei ›graue Fräuleins‹ hatten gestanden und schweigend zugehört.

Sie bekreuzten sich.

»Laßt uns für die Menschen, die in so großer Not sind, beten.«

Ein paar Damen grüßten respektvoll und schlossen sich den Nonnen an, in die Kirche einzutreten.

Die Straße nach Mais aber schritten rüstig die beherzten Männer, von Jagdeifer und dem Verlangen beseelt, rechtzeitig den Bedrängten Hilfe zu bringen.

Die Touristen waren nicht heimgekehrt, und bange Sorge erfüllte alle Seelen, ob sich wohl in jener Todeinsamkeit einer herrlich schönen, aber so weltfernen Gegend das grausigste Drama abgespielt habe, welches gedacht werden kann.

Schwarz und schweigend lag der Wald. Da die Touristen den kleinen Pfad nach der Senne eingeschlagen, welchen Herr Sturmlechner bekannterweise sehr liebte, so wollte man zuerst die Schritte nach dort lenken, um den Armen, welche möglicherweise von dem Untier bewacht und gefangen gehalten wurden, aus ihrer qualvollen Lage zu befreien.

Kein Laut nah und fern. Nur der Wind sauste daher, und in den Zweigen knackte und raschelte es, wenn Vögel oder kleines Getier, Eichkätzchen oder gar ein Marder von Ast zu Ast huschten.

Gewehr im Anschlag, drängten die Beherzten sich mutig Schritt um Schritt voran.

Angestrengtes Lauschen. Jeder Laut war ein Ereignis.

Die Felsen hemmen den Schall so sehr; es ist beinah unmöglich, ein noch so starkes Gebrüll bis hierher zu hören.

Der Himmel färbt sich im Osten mit zartem, flimmerndem Grau, welches fürerst nur matten Schein in die tiefen Schatten wirft.

Welch eine Geduldsprobe! Welch eine nervenmordende Wartezeit!

Die Herrn und Männer fiebern vor Aufregung.

Jeder einzelne glaubt, den eigenen Herzschlag hören zu müssen.

Ein rosiges Aufflammen —!

Droben die Schneezinken des Ifingers beginnen sich zu färben.

Die letzten dunklen Wolken der Nacht stieben über den Himmel davon.

Röter und röter färben sich ringsum die Alphäupter. Wie mit einem Zauberschlag wird es sehr plötzlich hell und lebendig im Wald.

Hastige Schritte, ein Aufspringen mit derben Nägelschuhen.

Zwei Löselbuben, der Vinzenz vom Brunnecker Hof und der Sepp, welche waghalsig in den Felskessel vorangeschlichen sind, kommen atemlos.

»Er brummt! — Man hört ihn deutlich, von der Senne klingt’s herüber!«

»Gott helf’! — daß sie noch leben!«

»Leise! leise! So eine Bestie hat ein furchtbar feines Gehör!«

»Wut und Mordgier machen ihn hoffentlich taub.«

»Vielleicht auch Hunger!«

»Gottlob, es wird hell!«

»Hört ihr?!«

»Wahr und wahrhaftig! Dort brüllt er!«

»Noch kann ein Echo täuschen!«

»Jedenfalls ist er nicht in unserer nächsten Nähe!«

»Nun Vorsicht! — Dort um die Felsen herum, dann haben wir die Halde mit der Sennhütte vor Augen!« Vogelschrei hoch in der Luft.

Ein Sperber steigt der Sonne entgegen. Die letzten Schatten verwehen wie Nebel und Rauch.

Scharfe Männeraugen lugen voll heißer Spannung durch das Gezweig.

Wieder ein kurzes, grimmes Aufbrüllen, droben vom Stadel herunter klingt es. Die Aufregung der Jäger erreicht den Höhepunkt.

Der Heuschober steht beinah frei auf der Wiese, — ein Heranpirschen ist kaum möglich — —

Welch ein Meisterschuß, von sicherster Hand gegeben, kann das Untier auf diese Entfernung hin niederstrecken?

»Alle müssens schießen! Je mehr Kugeln, desto besser!«

»Dort hinten! An der Rückwand des Stadels taucht er auf!«

»Er scheint seine Opfer tatsächlich zu bewachen!«

»Ein Bär halt gern gefangen!«

»Jetzt tratscht er nach rechts!«

»Man sieht deutlich, wie er nach dem Heu hinauf wittert —«

»Er will sich an dem Holzpfahl aufrichten!«