Fantastische Abenteuer 2 - Michaela Göhr - E-Book

Fantastische Abenteuer 2 E-Book

Michaela Göhr

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Beschreibung

Timo kann es kaum fassen: Er darf seine Osterferien zusammen mit Simon in den Vereinigten Arabischen Emiraten verbringen! Als VIP-Gäste von Scheich Ali wohnen die Jungs im Fünfsternehotel und dürfen mit dem Herrscher des Emirats persönlich zu Abend essen. Bald schon stecken sie bis über beide Ohren in Rätseln und Ermittlungen unterschiedlicher Art. Und manche davon sind keineswegs extra für sie geplant! Nicht nur, dass das Hotel beinah abbrennt und ein Gärtner spurlos verschwindet – auch der Emir selbst gerät in große Gefahr.

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Zur Autorin
Dank
Impressum
Ferienpläne
Klebe-Magie
Das Abenteuer beginnt!
Zu viel Simon und Salzwasser
Zu Gast beim Emir
Alarm!
Der Weg zu Ali
Die Schatzsuche beginnt!
Schwierige Aufgaben
Auf die Palme gebracht
Schauspieltalent
Ein Gärtner wird begossen
Detektivarbeit
Die Schatzsuche geht weiter
Entdeckt und erfrischt
Wo ist Ali?
Ein riskanter Plan
Flaue Gefühle
Mitten im Nirgendwo
Wasser!
Treffende Gedanken
Augensuche
Die Rache des Emirs
Ein cleverer Deal
Niederlagen und Erfolge
Ein Dieb packt aus
Ernsthafte Gedanken auf hoher See
Tauchgang und Geständnis
Verfolgungsflug
Aktion ‚Rettet den Koch!‘
Das letzte Rätsel
Abschied
Worterklärungen
Weitere Abenteuer

Michaela Göhr

 

Fantastische Abenteuer 2

 

Ein Emir in Not

 

 

 

Zur Autorin

 

Michaela Göhr wurde in eine lesebegeisterte Familie hineingeboren und wuchs umgeben von Büchern auf. Schon als Kind schrieb sie leidenschaftlich gern eigene Geschichten und lebte ständig in anderen Welten. Heute wohnt sie mit ihrer eigenen kleinen Familie direkt gegenüber von ihrem Elternhaus, arbeitet als Lehrerin, Hausfrau und Mutter, treibt gern Sport und hämmert nebenbei stundenlang wie wild auf der Tastatur ihres PCs herum, um die Geschichten aus ihrem Kopf zu befreien.

 

 

Dank

 

Ich danke Elisabeth Marienhagen, Christine Föllmer-Maier und allen anderen Menschen, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Außerdem bedanke ich mich bei Kathrin Franke-Mois von Epic Moon – Coverdesign für die schöne Neugestaltung des Umschlags.

 

 

 

Alle Teile dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

 

 

Michaela Göhr

 

Fantastische Abenteuer

 

Ein Emir in Not

 

Impressum

 

Text: © & Urheberrecht Michaela Göhr Birkenweg 24, 58553 HalverMail: [email protected] FB: www.facebook.com/derfantast24/ Homepage: https://derfantast.jimdofree.com

 

Umschlaggestaltung: © Kathrin Franke-Mois Epic Moon – Coverdesign / Münchenhttps://epicmooncoverdesign.com Bildmaterial: Bigstock

 

Bilder Innenteil: ©Michaela Göhr, Pixabay

 

Erstausgabe 2019 Karina-Verlag Wien 2. Auflage 2022 independantly published

 

Ferienpläne

 

„Warum ziehst du jetzt schon deine Jacke an? Du hast noch mindestens zehn Minuten, bis es so weit ist.“

Die Stimme meiner Ma hörte sich leicht belustigt an. Vermutlich hielt sie mich für übereifrig, weil mein bester Freund mich zur Schule bringen durfte.

„Aber Simon steht gleich vor der Tür, Mama“, antwortete ich, hievte den schweren Rucksack auf den Rücken und setzte den Helm auf.

„Woher weißt du, dass er jetzt schon kommt? Ich dachte, ihr hättet gestern etwas anderes ausgemacht.“

„Ja, er ist ’n bisschen früher dran. Ich schätze, er möchte genug Zeit haben, um unser neues Fahrzeug in Ruhe auszuprobieren.“

Es klingelte. Ich war bereits an der Tür, um aufzumachen.

„Hi Simon“, begrüßte ich ihn, bevor er etwas sagen konnte.

„Ah, du bist schon fertig, das ist klasse. Dann hat meine Gedankenbotschaft funktioniert?“

„Aber sicher“, bestätigte ich lachend. „Du hast es mir ja quasi ins Großhirn gehämmert. Beim nächsten Mal reicht es, wenn du so was einmal an mich sendest – und vielleicht etwas weniger kräftig. Deine Nachricht hat mich aus den Socken gehauen.“

„Sorry. Ich wollte, dass es auf jeden Fall klappt.“

„Warum nimmst du dann nicht das Band?“

Ich meinte damit unsere private Telefonverbindung, die mein erfinderischer Freund vor einigen Jahren für uns erdacht hatte.

„Keine Lust. Außerdem hatte ich es eilig und du hättest erst drangehen müssen …“

„… was ungefähr zwei Sekunden länger gedauert hätte“, ergänzte ich spöttisch. „Okay, ich gebe zu, das ist furchtbar lang.“

Ich wandte mich zu meiner Mutter, die hinter mir stand, um mich zu verabschieden. Sie drückte mir meinen Langstock in die Hand und einen Kuss auf die Wange. Derart bewaffnet folgte ich Simon zur Garage, wo mein nagelneues Tandem auf uns beide wartete. Ich hörte, wie das Tor geöffnet wurde und mein Freund anerkennend durch die Zähne pfiff.

„Cool!“

Schon inspizierte er das Teil, das mein Vater in den vergangenen Wochen in mühevoller Handarbeit zusammengeschweißt und -geschraubt hatte.

„Nicht wahr? Mein Papa hat es frisch lackiert und extra einen Fahrradcomputer angebracht. Er meinte, das Teil sei nützlich für dich, damit du die Geschwindigkeitsbegrenzungen einhältst.“

Wie erwartet, löste das einen Heiterkeitsausbruch aus.

„Dein Pa ist ein toller Bastler, nur ein bisschen übervorsichtig.“

„Ich hab ihm gesagt, dass du das Ding nicht brauchst, aber du kennst ja meine Eltern.“

„Ist doch egal. So lange sie uns erlauben, zusammen mit dem Rad überall hinzufahren, bin ich zufrieden. Und du weißt ja, dass ich auch nicht scharf darauf bin, geblitzt zu werden.“

Bei dieser Unterhaltung hatte mein Freund das Tandem aus der Garage geholt und wir nahmen Platz.

„Schnall dich an, es geht los!“

Sofort merkte ich, wie wir beschleunigten und trat automatisch in die Pedale, auch wenn es technisch gesehen nicht unbedingt nötig war. Die Kraft, die uns antrieb, stammte von meinem Freund, war rein gedanklich und viel stärker als unsere Muskelkraft.

„Fahrt vorsichtig!“, rief meine Ma uns aus dem Fenster hinterher. Natürlich musste sie diesen überflüssigen Satz loswerden. Eltern können nun mal nicht aus ihrer Haut.

„Klar doch, versprochen!“, gab Simon lautstark zurück. Und auch diese Antwort war Standardprogramm, obwohl nicht mal gelogen. Mein Freund gab immer gut acht, selbst wenn es manchmal nicht danach aussah.

„Es ist sooo toll, dass wir endlich nicht mehr mit dem Auto fahren müssen“, schwärmte ich und genoss den milden Fahrtwind. Langsam wurde es Frühling, das Wetter war geradezu ideal zum Bewegen an der frischen Luft.

„Ja“, stimmte Simon zu. „Besonders, weil dein Papa sich die ganze Mühe gemacht hat. Als jeder mit seinem eigenen Rad gefahren ist, fand ich es auch okay, aber du konntest ja schlecht damit in der Schule aufkreuzen. Und so muss ich mich wenigstens nicht mehr darauf konzentrieren, dass du den Lenker nicht verreißt oder umfällst, deshalb können wir zügiger fahren.“

„Noch zügiger?“

Mir hatte das Tempo vorher schon gereicht. Aber ich musste zugeben, dass das gemeinsame Trampeln nicht nur spaßig war, sondern sich auch viel sicherer anfühlte. „Klar. Was meinst du, wie schnell wir gerade sind?“

„Äh ... keine Ahnung! Bestimmt nicht langsam. Aber es kommt mir auch nicht wie Höchstgeschwindigkeit vor.“

„Exakt fünfzig. Total vorschriftsmäßig und trotzdem muss der Idiot hinter uns unbedingt überholen. Und das bergauf!“

Ich kicherte. „Ein Königreich für seine Gedanken.“

„Sein Gesichtsausdruck ist auch nicht übel. Er ist platt wie ’ne Flunder und sieht sich überall nach der versteckten Kamera um.“

„Ich sollte meinen Papa fragen, ob er eine Motor-Attrappe anbringen kann. Vielleicht erspart dir das die komischen Blicke.“

„Komische Blicke gehören für mich zum Alltag, Timo, das weißt du doch“, erwiderte mein Freund mit gespieltem Ernst. „Ohne sie würde mir was fehlen.“

„Jetzt weiß ich, warum du ständig Action brauchst – dir fehlt nicht der Adrenalin-Kick, sondern Aufmerksamkeit!“

„Wehe, du sagst so was noch mal, du … blindes Streber-Genie“.

„Ach, hör auf! Ich bin kein Streber. Ich gebe mir nicht mal Mühe in der Schule. Aber du fällst ständig auf mit deinen waghalsigen, lebensgefährlichen oder völlig irrsinnigen Aktionen …“

Es war eine ganz normale Unterhaltung zwischen uns. Wir zogen uns häufig gegenseitig auf und hatten tierischen Spaß daran. Dabei waren weder seine noch meine Bemerkungen aus der Luft gegriffen. Mein großartiger Freund konnte sich einfach alles ausdenken. Ein Antrieb für unser Tandem, der uns genauso rasch voranbrachte wie ein Sportwagen, war überhaupt kein Problem für ihn. Wir hätten nicht mal ein reales Fortbewegungsmittel gebraucht. Aber da niemand außer Simon seine gedachten Erfindungen sehen konnte, war das Fahren mit einem vorgestellten Tandem ziemlich gewagt, vor allem mitten in der Stadt. Wenn wir uns unbeobachtet fühlten, probierte Simon alles Mögliche aus, aber zu seinem Leidwesen war das viel zu selten der Fall.

Was mich betraf, hatte mein Freund allerdings ebenfalls recht. Das mit dem Genie war zwar meiner Meinung nach reichlich übertrieben, gute Noten bekam ich jedoch häufig, sogar noch bessere als er selbst. Und ich war von Geburt an vollkommen blind.

„So, da sind wir“, hörte ich von vorn und vernahm zugleich das typische Geschrei, das vom Schulhof zu uns herüberwehte.

„Das ging ja sogar schneller als mit dem Auto“, gab ich verblüfft zurück.

„Ich hab eine Abkürzung entdeckt, die man mit dem Rad nehmen kann. Komm, steig ab.“

Ich folgte seiner Aufforderung. Gemeinsam schoben wir das Tandem zum Abstellplatz für Fahrräder. Sogleich waren wir von Mitschülern umringt.

„Boa, geiles Teil!“, rief Florian.

Auch andere bewundernde Stimmen wurden laut. Wir sonnten uns kurz im öffentlichen Interesse, beantworteten Fragen und ich war mächtig stolz auf meinen Papa. Selbst zwei Lehrerinnen bestaunten das ungewöhnliche Gefährt und gratulierten mir dazu. Schließlich wurde es Zeit, sich aufzustellen und ins Schulgebäude zu gehen. Leider besuchten Simon und ich an dieser Schule nicht dieselbe Klasse, obwohl wir beide im vierten Jahrgang waren. Inzwischen näherten wir uns mit großen Schritten dem Ende der Grundschulzeit. Immerhin bestand die hoffnungsvolle Aussicht, dass wir nach diesem Sommer im Gymnasium wieder zusammen die Schulbank drücken konnten.

„Bis zur Pause!“, rief ich zum Abschied und ließ mich von Angelika mitschleifen, die sich für mich verantwortlich fühlte.

„Ich hol dich ab!“, brüllte mein Freud mir nach, und ich zuckte mal wieder zusammen. Wann lernte er endlich, dass ich ihn immer hörte, selbst wenn er flüsterte? Wohl zum hundertsten Mal nahm ich mir vor, es ihm deutlich zu sagen. Aber ich wusste genau, dass er es nicht gerne hören würde. Er ging von seinem eigenen Verstehen aus und begriff nicht, dass es bei mir anders war. Im Grunde wollte ich es ihm überhaupt nicht eindringlich klarmachen. Es würde bedeuten, zuzugeben, dass ich viel mehr von seinen Gedanken und Gefühlen mitbekam, als ihm lieb war.

Wie üblich trafen wir uns nach dem Schellen vor meinem Klassenraum, um gemeinsam in die Hofpause zu gehen. Dazu hakte ich mich bei ihm unter und verzichtete auf den unhandlichen Stock, mit dem ich im Gedränge nur den anderen Schülern in die Hacken hauen würde.

„Und? Wie war deine Deutscharbeit?“, fragte er mich.

„Einfach. Leider hat meine Braillezeile zwischendurch gestreikt, sonst wäre ich viel eher fertig gewesen.“

„Und was hast du gemacht?“

„Ich hab’s Herrn Schmitter gesagt. Er hat mir die Aufgaben vorgelesen, ich hab die Antworten ohne Lesekontrolle in die Tastatur gehauen. Bin mal gespannt, was ich da getippt habe.“

„Konntest du es dir nicht vorlesen lassen?“

„So viel Zeit war nachher nicht mehr. Außerdem hätte es die anderen gestört, weil ich die Kopfhörer nicht gefunden hab.“

Mein Freund stöhnte. „Ist echt lästig, dass wir nicht mehr zusammen sind. Aber beim nächsten Mal sagst du Bescheid, dann kriegst du welche von mir.“

Er drückte mir etwas in die Hand, das ich rasch als zwei Ohrstecker mit zusammengerolltem Kabel identifizierte.

„Danke“, murmelte ich verlegen. Ich brauchte so selten die Sprachausgabe meines Laptops, dass ich zu Hause nicht kontrolliert hatte, ob sich die Kopfhörer in der Schultasche befanden. Blöder Fehler, aber es würde mir nicht noch einmal passieren. Wir schwiegen einen kurzen Moment, bevor Simon wieder sprach.

„Sag mal – hast du in den Osterferien schon was vor?“

„Das weißt du doch! Wir fahren an die Nordsee, so wie immer. Ich dachte, du kommst mit.“

Einen Moment lang war ich völlig geplättet. Wie konnte er das nur vergessen! Meine Eltern hatten längst klargemacht, dass mein Freund mich immer in unser Ferienhaus begleiten durfte, sofern er keine eigenen Urlaubspläne mit seiner Familie hatte.

„Ich frag’ ja nur … Würden deine Eltern auch mal elf Tage ohne dich zurechtkommen?“

„Hä? Wieso das denn?“

Meine Begriffsstutzigkeit währte nur einen Moment, bevor mich die Bedeutung dieser Frage überwältigte.

„Du meinst, du fliegst wieder zu deinem Freund, dem Scheich – und ich darf mitkommen? In die Vereinigten Arabischen Emirate?“

Mein Herz machte einen Sprung, um danach doppelt so schnell zu schlagen.

„Ja, stell dir vor! Letzten Herbst wollte Ali mich erst mal alleine kennenlernen. Ich hab ihm damals so viel über dich erzählt, dass du dieses Mal unbedingt dabei sein sollst. Ich wollte es dir schon eher sagen, aber ich durfte nicht. Gestern kam ein Anruf aus dem Emirat, außerdem eine offizielle Einladung per Mail. Inklusive First-Class-Flugtickets und Hotelzimmer im Fünf-Sterne-Resort. Für dich ist auch gebucht! Wir haben ein Zimmer für uns allein.“

„Wow!“

Mehr brachte ich erst mal nicht heraus. Es war ein Traum, der in Erfüllung ging. Wie sehr hatte ich meinen Freund um seine Erlebnisse in den Arabischen Emiraten beneidet, von denen er geschwärmt und die ich zumindest in kleinen Ausschnitten miterlebt hatte. Es musste dort wundervoll sein – immer sonnig, der Strand und das warme Meer zum Greifen nah, die fremdländische Kultur, der Markt mit den exotischen Gerüchen und Geräuschen …

„Ich hoffe, du nimmst mich nicht auf den Arm“, krächzte ich. „Wissen meine Eltern das überhaupt?“

„Na klar. Mein Papa hat es deinem gestern Abend schon gesagt. Deine Eltern mussten ja ihr Einverständnis geben, dass du mit uns fliegen darfst. Sie haben es gemacht, stell dir vor! Wie versprochen haben sie dir nichts davon gesagt, damit ich dich überraschen konnte.“

„Uff, das ist dir gelungen!“

„Ich hab’s auch extra erst jetzt verkündet, damit du dich auf deine Klassenarbeit konzentrieren konntest“, fuhr er fort. „Freust du dich überhaupt?“

„Ah …“ Ich schluckte und merkte, wie meine Ohren zu glühen begannen. Meine Freude verdoppelte sich, als ich die meines Freundes ebenfalls spürte, der mich am Arm fasste. Mittlerweile hatte es zum Pausenende geschellt, was ich zum ersten Mal verpasste. Völlig überwältigt ließ ich mich ins Gebäude ziehen.

„Natürlich freue ich mich“, flüsterte ich und grinste über beide Ohren. „Du glaubst gar nicht, wie sehr.“

Ich hab’s gemerkt, kam es ohne Worte und ganz sanft zurück, nachdem mein Begleiter mich bis zu meinem Klassenraum gebracht hatte und zu seinem eigenen weitergegangen war. Das machte mir Hoffnung. Vielleicht musste ich doch nichts mehr erklären?

 

 

Klebe-Magie

 

Am letzten Schultag gab es eine Überraschung: Mein Klassenlehrer war krank und wir wurden aufgeteilt. Zu meiner größten Freude kam ich in Simons Klasse. Okay, jeder wusste, dass wir die dicksten Freunde waren, da wir ständig zusammen abhingen. Wahrscheinlich war das für die Lehrer auch am einfachsten, weil sie so niemanden brauchten, der besonders auf mich achtgab. Dennoch war es das erste Mal seit unserem Umzug. Wir beide jubelten. Ich durfte sogar neben ihm sitzen, da dort ein Platz frei war und gab mir alle Mühe, aufmerksam und interessiert zu wirken. Denn andernfalls hätte mich Frau Breuer bestimmt zu meinen Mitschülern verfrachtet, die an einem Tisch im Gruppenraum saßen und die Aufgaben erledigten, die sie bekommen hatten.

Bereits in der zweiten Stunde hörten meine scharfen Ohren ein paar fiese getuschelte Bemerkungen aus der Reihe hinter uns.

„Der Blindfisch ist voll die Streberleiche, schleimt sich sofort bei den Lehrern ein. Dem wird das blöde Grinsen noch vergehen. Machste mit, Paule?“

„Klar. Wir präparieren seinen Stuhl, damit er dran festklebt und verstecken seine Jacke. Und den dämlichen Stock hängen wir ganz oben in die Kletterspinne. Soll er sehen, wie er drankommt oder seinen Freund fragen.“

Ich gab die Infos brühwarm an Simon weiter. Wenn wir so dicht nebeneinandersaßen, brauchte ich nicht mal zu flüstern. Es reichte, ihn zu berühren.

Na wartet, ihr Saftsäcke!

Im Gegensatz zu mir wusste mein Sitznachbar sofort, wer da über uns lästerte. Seine Gedanken klangen nicht mal wütend, eher belustigt. Ich freute mich regelrecht darauf, was geschehen würde, wenn die beiden Jungs ihre Pläne wahr machen wollten. Als es zur Hofpause schellte, trödelten wir absichtlich etwas. Einer der Lästerer blieb ebenfalls im Klassenraum zurück. Der zweite verschwand dafür blitzschnell, um meine Sachen zu entwenden. Kurz darauf hörte ich ihn von draußen leise fluchen.

„Was hast du getan?“, murmelte ich, als wir uns endlich auch auf den Weg zur Tür machten.

„Fast nichts. Deine Jacke und den Langstock bekommt der Kerl bloß nicht bewegt, das ist alles. Jetzt gehen wir locker hin, du nimmst deinen Krempel, als wenn gar nichts wäre.“

Ich unterdrückte ein Kichern und bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen, während ich mich absichtlich langsam zum richtigen Haken vortastete. Dabei rempelte ich den Stänkerer an, der anscheinend noch immer verzweifelt versuchte, meine Sachen von der Garderobe zu zerren.

„Oh, das tut mir aber leid, hab dich gar nicht gesehen“, wandte ich mich bedauernd an ihn, nahm lässig die Jacke vom Haken und zog sie an. Er gab ein komisches Geräusch von sich, sagte jedoch nichts. Auch nicht, als ich anschließend ebenso easy meinen Blindenstock griff und den Weg nach draußen damit antrat, ohne auf Simon zu warten. Der war stehengeblieben, folgte mir aber kurz darauf und holte mich noch vor dem Ausgang wieder ein.

„Und?“, fragte ich gespannt.

„Das Gesicht von Paule war saukomisch. Schade, dass du mit dem Bild nichts anfangen kannst. Aber denk dir einfach, er hätte in eine Zitrone gebissen oder in was Schlimmeres. Voll krass!“

Ich lachte kurz und fragte dann: „Was war denn mit dem anderen? Wie heißt er noch?“

„Steffen? Der hat deinen Platz mit Flüssigkleber präpariert. Ganz schöne Sauerei. Am liebsten hätte ich die Stühle einfach vertauscht, aber das hätte er sofort gemerkt. Also hab ich dafür gesorgt, dass er die Schweinerei auf einem gedachten Stück Pappe anrichtet. Das konnte ich anschließend problemlos in den Müll befördern.“

„Warum hast du die Pappe nicht einfach auf seinen Stuhl gelegt?“

„Er hätte das Zeug darauf vielleicht gesehen. Nee, du weißt doch, dass das gar nicht nötig ist. Mein Kleber hält viel besser!“

Wir konnten es kaum erwarten, bis die Pause endlich zu Ende war. Dennoch schlenderten wir scheinbar gleichmütig an den beiden Möchtegern-Stänkerern vorbei, von denen Simon später meinte, sie hätten uns tödliche Blicke zugeworfen. Nicht zum ersten Mal war ich sehr froh, dass der einzige Mensch, dessen Blicke wirklich lebensgefährlich sein konnten, nicht nur mein bester Freund, sondern darüber hinaus äußerst friedfertig war. Er würde nie jemanden mit seinen Kräften ernsthaft verletzen, selbst seine schlimmsten Feinde nicht. Ärgern wollten wir sie allerdings schon ein wenig. Schließlich hatten sie vorgehabt, mir ziemlich gemeine Streiche zu spielen. Noch ahnte Steffen nicht, welches Schicksal ihm blühte. Im Gegenteil, ich hörte ihn schadenfroh kichern und mit seinem Freund tuscheln, als ich mich setzte.

„Er klebt schon“, kam Simons geraunter Kommentar, bei dem ich nicht völlig gleichgültig bleiben konnte. „Aber er hat es noch nicht gemerkt …“

Frau Breuer betrat den Klassenraum, der Unterricht begann. Musik war angesagt. Wir sollten aufstehen, um ein Bewegungslied zu singen. Mit meinem Freund neben mir war das nicht weiter schwer. Ich imitierte einfach seine Bewegungen, die ich spürte wie meine eigenen, wenn ich mich genug darauf konzentrierte. Doch wir kamen nicht weit mit dem Lied. Bereits nach wenigen Takten brach die Lehrerin ab und fragte: „Steffen, was ist los mit dir, warum stehst du nicht auf?“

„Ich ... kann nicht“, brachte er stockend hervor.

„So ein Unsinn! Vorhin konntest du kaum stillsitzen und bist durch die Klasse gerannt. Und jetzt bist du nicht mehr in der Lage, dich hinzustellen? Los, hoch mit dir!“

Steffen blieb stur auf seinen vier Buchstaben hocken. Erst als Frau Breuer damit drohte, ihm für die Mitarbeit in der Stunde eine Sechs aufzuschreiben, erhob der Junge sich. Ich hörte es daran, dass ein gewaltiger Lachsturm losbrach, und musste ebenfalls losprusten. Selbst wenn ich mir nur ungefähr vorstellen konnte, was hinter mir geschah, fand ich die Idee äußerst witzig. Auch Simon kicherte, allerdings nur sehr leise.

„Was soll das jetzt wieder?“

Frau Breuer klang inzwischen reichlich genervt. „Hör sofort auf mit dem Blödsinn, sonst darfst du den Rest der Stunde den Text unseres Liederbuchs abschreiben und die Pause vor dem Lehrerzimmer verbringen!“

Das waren harte Drohungen. Steffen jammerte, weil er nichts daran ändern konnte, dass der Stuhl an seinem Hinterteil klebte.

„Guck, ich halte ihn nicht fest!“, rief er verzweifelt.

Sein Sitznachbar, der anscheinend kräftig an dem Sitzmöbel zerrte, um es zu lösen, ächzte dabei. Steffen schrie auf. „Lass das, du ziehst mir die Hose aus!“

Jetzt brüllte die Klasse vor Lachen. An Singen war nicht mehr zu denken. Die Lehrerin gab ein komisches Geräusch von sich. Ich vernahm es nur, weil sie direkt vor mir stand. Dann bat sie energisch um Ruhe. Meine geübten Ohren hörten das mühsam unterdrückte Lachen in ihrer Stimme, obwohl ihr Tonfall laut und streng war. Endlich verebbten auch die letzten Heiterkeitsausbrüche. Alle durften sich wieder setzen – bis auf Steffen. Mit raumgreifenden, entschlossenen Schritten eilte Frau Breuer auf ihn zu, um das Phänomen persönlich zu untersuchen.

„Das gibt’s doch nicht!“, stöhnte sie gleich darauf. Die Schüler um uns prusteten, kicherten und gackerten unterdrückt. Niemand wagte es mehr, laut zu lachen, aber die Stimmung war dennoch bombig.

„Sie zieht an dem Stuhl und Steffen hält sich an Paule, Henriette und Leoni fest. Es ist ein Bild für die Götter“, flüsterte mir Simon ins Ohr.

„Meinst du nicht, es reicht jetzt?“, hauchte ich zurück.

„Okay – sehr guter Moment!“

Gleich darauf hörte ich einen Aufschrei unserer Pädagogin, die mit einem dumpfen Geräusch irgendwo gegen stieß und ein lauteres Krachen, mit dem der Stuhl auf dem Fußboden aufschlug. Gleichzeitig ertönten Steffens und Paules überraschte Ausrufe sowie das Kreischen der beiden Mädchen.

„Haben Sie sich wehgetan?“, rief eine von Simons Mitschülerinnen besorgt.

„N… nein“, stotterte die Angesprochene verwirrt. „Aber wieso … Was ist nur mit diesem Stuhl passiert? Man sieht gar nichts! Ist etwas an deiner Hose, Steffen?“

Auch dort fand sich natürlich keine Spur von Simons Superkleber. Niemand von den anderen hatte etwas gesehen oder konnte zur Lösung des Rätsels beitragen. Der Junge selbst blieb bemerkenswert still und sagte den Rest der Stunde kein Wort mehr. Zur Sicherheit bekam er einen Ersatzstuhl, auf den er sich nur sehr zögerlich setzte, wie Simon mir mitteilte. Ich konnte es ihm nicht verdenken.

In der zweiten Pause kamen die beiden erfolglosen Streicheplaner in unsere Ecke und drucksten ein wenig herum. Schließlich sprach Steffen mich zögernd an. „Sag mal, Timo, hast du irgendwelche Zauberkräfte oder so?“

„Nein – warum?“

„Na, es sind doch sehr merkwürdige Dinge passiert, seitdem du in der Klasse bist. Erst die Sache mit deinem Stock, den Paule dir wegnehmen wollte und dann das mit dem Stuhl … Also, falls du zufällig irgendwas von dem mitbekommen hast, was mein Freund und ich beredet haben – vergiss es bitte. Tut mir leid, was ich gesagt habe und was ich tun wollte, ehrlich! Es geschieht auch nie wieder. Du bist uns nicht mehr böse, oder? Das war übrigens echt abgefahren, der Trick mit dem unsichtbaren Kleber. Ich wüsste gern, wie du das gemacht hast!“

Ich lachte. „Wie kommst du darauf, dass ich etwas gemacht habe? Man muss nur gute Beziehungen zur ‚Macht‘ haben, das ist alles. Wusstest du nicht, dass die Star-Wars-Filme einen realen Hintergrund haben?“

Simon kicherte neben mir.

„Lach nicht!“, grummelte Paule. „Dein Kumpel hat echt was drauf. Sei froh, dass er nicht sauer auf dich ist.“

„Ich weiß“, gab mein Begleiter trocken zurück. „Deshalb würde ich mich an eurer Stelle möglichst gut mit ihm vertragen. Sonst sucht er euch mit seinen unheimlichen Kräften noch öfters heim. Und das wollt ihr doch nicht, oder?“

„Nein!“, kam es erschrocken im Chor.

Die beiden verzogen sich, nachdem ich ihnen gnädig die Absolution erteilt hatte. Sobald Simon Entwarnung gab, brachen wir förmlich zusammen vor Lachen, lagen uns in den Armen und kriegten uns kaum mehr ein.

„Oh, das ist der beste Schultag dieses Jahres!“, keuchte mein Freund. „Warum kann euer Lehrer nicht öfter fehlen? So einen Spaß hatten wir lange nicht.“

„Stimmt“, gab ich zu. „Aber jetzt halten sie mich für den Magier von uns beiden. Was ist, wenn sie rausfinden, dass ich überhaupt nicht zaubern kann?“

„Ich glaube nicht, dass sie es darauf ankommen lassen. Außerdem sind wir selten so weit voneinander entfernt, dass sie die Chance haben, das Gegenteil zu beweisen. Hauptsache, sie belästigen dich nicht mehr.“

„Ja. Obwohl – schade, dass sie so schnell zu beeindrucken waren. Ich hätte ihnen gern noch ein paar fantastische Pannen gegönnt.“

„Bestimmt hält die Lektion nicht ewig. Die zwei sind echte Nervensägen, die finden immer ein Opfer. Was meinst du, wie oft ich sie schon daran gehindert habe, diverse Schultaschen umzukippen oder irgendwelche Füller zu verstecken? Bisher war ich dabei allerdings eher dezent und unauffällig. Ich glaube kaum, dass sie mich verdächtigen. Dafür haben sie ja jetzt dich. Alles Unerklärliche, das ab sofort geschieht, schiebe ich dir einfach in die Schuhe und deute an, dass du grundsätzlich auf der Seite der Schwächeren stehst. Das ist voll cool!“

 

Das Abenteuer beginnt!

 

In der letzten Nacht vor der Reise konnte ich nicht einschlafen. Deshalb rief ich Simon an, indem ich an dem unsichtbaren, nachgiebigen Band zog, das mich ständig mit ihm verband. Dabei war es egal, ob ich mich zu Hause befand oder auf den Malediven. Mein genialer Freund hatte es vor einigen Jahren erfunden, damit wir uns bei Bedarf mit unserem Privattelefon unterhalten konnten. Es war ein vorgestelltes Gerät und nur so lange da, wie Simon sich daran erinnerte. Da er seine eigene Ausgabe ständig bei sich trug, vergaß er es niemals. Das Tolle an dem Teil war, dass ich ihn damit erreichen konnte. Seine Vorstellungskraft stellte die Verbindung fast von alleine her. Aber um zu wissen, dass ich mit ihm reden wollte, brauchte er einen kleinen Anstoß. Und da kam das bei Bedarf unendlich lange Band ins Spiel, an dem ich ziehen konnte, sodass er es spürte. Meiner Meinung nach war dieses Band völlig unmöglich, aber das durfte ich Simon nicht sagen. Schließlich glaubte er daran, dass es gleichzeitig fest und gasförmig sein konnte. Ausschließlich deshalb existierte dieses Wunder.

Simon meldete sich auf der Stelle, was bewies, dass er ebenfalls noch wach war.

„Ich bin auch ganz schön aufgeregt“, gab er zu. „Es ist schließlich erst das zweite Mal, dass ich mit meinen Eltern dorthin fliege. Beim allerersten Mal war ich ja nicht freiwillig da.“

Die Geschichte seiner Entführung kannte ich in- und auswendig. Etwas über ein Jahr war es nun schon her, dass die Anhänger einer geheimen Bruderschaft meinen Freund in das Emirat verschleppt hatten. Er sollte dort das wertvolle Amulett des Herrschers stehlen. Das war eigentlich nicht möglich, jedenfalls für ‚normale‘ Leute. Aber Simon konnte ja besondere Dinge, deshalb hatte der Anführer dieser Organisation ihn dazu gezwungen. Natürlich war es nicht so einfach, meinen Freund zu irgendwas zu zwingen. Schließlich konnte er sich damals schon eine Menge nützlicher Dinge vorstellen – auch Waffen und einen Riesen, der ihn gegen alle Angreifer verteidigte. Sein einziger Schwachpunkt war seine Liebe für Freunde und Familie. Deshalb hatten die Bösewichte nicht nur ihn selbst gekidnappt, sondern zusätzlich seine Eltern und mich.

Ich schauderte noch immer von Zeit zu Zeit bei der Erinnerung an diese Erlebnisse. Vor allem beunruhigte es mich, dass die Bruderschaft weiterhin hinter dem Amulett her war. Deshalb fand ich die Idee, uns dorthin zu begeben, wo es sich befand, reichlich aufregend.

„Du musst keine Angst haben“, meinte Simon wohl zum hundertsten Mal. „Scheich Ali hat alles perfekt im Griff. Niemand kommt an das ‚Auge des Ra‘ heran, solange der Emir es um den Hals trägt. Er weiß immer, wenn Diebe in seinen Palast kommen und er legt das Amulett niemals ab.“

„Du hast damals geschafft, es ihm zu entwenden“, erinnerte ich ihn. „Und er hat es nicht mal gemerkt, weil du ihn so wirkungsvoll abgelenkt hast.“

„Ja, aber es gelang mir nur, weil Ali wusste, dass ich ihm sein Schmuckstück nicht wirklich stehlen wollte. Ich hab dir doch schon gesagt, dass Ali den Diebstahl extra zugelassen hat, damit der Boss der Bande geschnappt wird. Sonst wäre es mir genauso schlecht ergangen wie all den anderen Dieben, die bisher versucht haben, den Scheich zu bestehlen.“

„Soll das heißen, dass du gegen ihn keine Chance hast?“

„Genau. Das liegt an den starken Kräften des Amuletts. Wenn Ali es trägt, kann er ein Stück weit in die Zukunft sehen. Deshalb weiß er immer schon vorher, was geschieht. Dagegen hilft die beste Vorstellungskraft nichts.“

„Oha! Gut, dass der Scheich dein Freund ist. Ich hoffe, er mag mich auch. Der Kerl ist mir etwas unheimlich mit seinem komischen Augen-Amulett.“

Simon lachte. „Er ist total nett, du wirst schon sehen! Wenn er seine Untertanen empfängt oder öffentlich auftritt, erscheint er immer ernst und würdevoll. Er sagt, dass die Menschen das von ihm erwarten. Und Diebstahl oder andere Verbrechen werden sehr hart bestraft. Aber ich weiß, dass Ali ein gutes Herz hat und gerne lacht. Das einzige Problem ist, dass er noch nicht viel Deutsch kann.“

„Dafür hast du mir doch extra Englisch beigebracht, oder? Das kriegen wir schon hin.“

Schließlich waren wir müde genug, um gute Nacht zu sagen, obwohl es auch danach noch einige Zeit dauerte, bis ich einschlief.

 

Viel zu früh kam meine Ma ins Zimmer und bat mich, möglichst leise zu sein, um den Rest der Familie nicht zu wecken. Mein Koffer stand fix und fertig gepackt im Flur. Fehlten nur noch die wichtigen Dinge fürs Handgepäck, auf die ich auch im Urlaub nicht verzichten wollte: Laptop, Braillezeile und Langstock. Schon stand mein Freund vor der Tür. Seinen Vater hörte ich ebenfalls, der uns leise begrüßte und mein Gepäck nach draußen trug. Dann wurde es Zeit, mich zu verabschieden und einzusteigen. Ich wollte es kurz und schmerzlos machen, aber meine Mutter umarmte mich natürlich doch und platzierte einen peinlichen Schmatzer auf meiner Wange.

„Pass gut auf euch auf“, flüsterte sie mir zu. Ihre Bitte zielte darauf, dass ich meinen Kopf dazu einsetzen sollte, um Simon vor allzu törichten Dummheiten zu bewahren. Ich drückte kurz ihre Hand zum Zeichen, dass ich sie verstanden hatte. Dann ließ ich mich von meinem Freund zum Auto führen und nahm neben ihm auf dem Rücksitz Platz.

„Bereit fürs Abenteuer?“, fragte Simons Mama nach dem Einsteigen.

„Jaaaa!“, jubelten wir wie aus einem Mund. Dann ging die Fahrt los.

Es war meine erste Flugreise, wenn auch nicht mein erster Besuch am Flughafen. Beim letzten Mal sollte ich alleine zu meiner Tante Heli nach Schweden fliegen, aber ich war nicht bis zum Flugzeug gekommen. Vorher hatten mich zwei Mitglieder der Bruderschaft geschnappt und per Auto entführt. Daran musste ich natürlich wieder denken, als wir mit unserem Gepäck durch die riesige Halle marschierten. Doch ich verdrängte diese unangenehmen Erinnerungen und konzentrierte mich lieber auf das Hier und Jetzt. Das Einchecken kannte ich bereits, alles andere war neu und aufregend.

„Wir haben noch genug Zeit bis zum Boarding“, erklärte Simons Vater. „Ich möchte mir eine Zeitschrift für den Flug besorgen. Kommt jemand mit zum Kiosk?“

„Nö, ich zeige Timo lieber den Flughafen“, gab mein Freund zurück, der schon mehrfach geflogen war und sich dementsprechend gut auskannte.

„Okay, ihr dürft durch die Geschäfte bummeln“, stimmte Simons Mutter zu. „Aber stellt nichts an! Wir treffen uns in einer halben Stunde am Gate.“

Rasch zogen wir ab, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

„Was willst du denn in den Geschäften?“, fragte ich.

„Nichts. Ich wollte bloß mal weg von meinen Eltern. Außerdem gibt es hier McDonalds, da kann man die Gäste wunderbar reinlegen.“

„Wir sollen nichts anstellen, hat deine Ma gesagt.“

„Tun wir auch nicht. Oder hast du vor, dich da anzustellen?“

Ich musste kichern, obwohl der Scherz bestimmt einen drei Meter langen Bart hatte.

„Wo möchtest du die Leute denn reinlegen?“, witzelte ich.

„In Himbeeren mit Schlagsahne“, erwiderte mein Freund mit Grabesstimme.

Geschlagene zwei Sekunden lang blieben wir ernst, danach brachen wir gleichzeitig in schallendes Gelächter aus. Bei jedem anderen Jungen hätte ich das als reines Rumalbern empfunden. Aber Simon konnte die Leute wirklich in klebriges Fruchtmus hüllen, wenn er wollte. Deshalb erschien es mir doppelt so lustig.

„Das machst du nicht echt, oder?“, keuchte ich. „Die kriegen einen Anfall …“

„Natürlich nicht. Aber wenn der Cheeseburger nach Himbeeren riecht und schmeckt, ist es urkomisch, die Gesichter zu beobachten. Ich hab einen scharfen Burger auch schon mal richtig scharf gemacht – allerdings nur einmal. Mein Vater hat es spitzgekriegt und danach durfte ich eine Woche lang keine Hörspiel-CDs hören.“

„Wie alt warst du da?“

„Fünf. Das war kurz vor unserem ersten Umzug, bei dem wir uns kennengelernt haben.“

„Ganz schön gemein, aber cool. Wie hat der Burger-Besteller reagiert?“

„Er hat geflucht und gejammert, sein Getränk hinuntergestürzt und sich anschließend beschwert. Ihm kamen die Tränen, so scharf war das Teil. Mehr hab ich leider nicht mitbekommen, weil mein Vater mich in dem Moment aus dem Laden rausgezerrt und mir den Hosenboden lang gezogen hat.“

Ich musste wieder lachen. Dann drückte ich meiner Gewohnheit nach auf die sprechende Uhr und stellte fest, dass unsere Zeit bereits um war.

„Schade“, murmelte mein Begleiter bedauernd. „Der Typ da drüben wäre ein prima Opfer. Er hat gerade den größten Burger ausgewickelt, den es auf der Karte gibt.“

„Komm, lass uns lieber gehen“, drängte ich. „Sonst wird deine Mutter sauer und ich möchte nicht, dass uns das den Urlaubsstart vermiest. So was kann man bestimmt auch prima mit Falafel und anderen arabischen Gerichten anstellen.“

Seufzend folgte Simon meiner Aufforderung. Er bot mir wie üblich zum Führen seinen Arm an. Das große Gebäude mit den mannigfaltigen Geräuschen und den vielen Menschen war ein Albtraum, um darin verloren zu gehen. Deshalb war ich sehr froh, dass mein sehender Begleiter keinerlei Orientierungsprobleme hatte und mich zielstrebig zum richtigen Gate brachte. Wir kamen gerade rechtzeitig zum ersten Aufruf für unsere Maschine und stellten uns mit Simons Eltern gemeinsam an.

„Da seid ihr ja endlich“, begrüßte uns sein Papa.

„Auf Inlinern wären wir schneller gewesen“, entgegnete mein Freund. „Hättet ihr das lieber gehabt?“

„Äh, nein – natürlich nicht. War schon in Ordnung so.“

Simon und ich durften nebeneinander sitzen. Wenn daneben nicht noch ein Platz gewesen wäre, hätte ich erst gedacht, mich in einem Reisebus zu befinden. Allerdings änderte sich das beim Start. Wow, was für ein komisches Gefühl! Aber ich mochte es sehr. Von mir aus hätte es noch viel steiler nach oben gehen dürfen. Ich liebte Achterbahn- und Karussellfahren, das hier war so ähnlich. Schade, dass das Abheben nur so kurz dauerte und der Flug sich danach die meiste Zeit wie eine Busfahrt anfühlte. Nur einmal gab es leichte Turbulenzen. Das heißt, es wackelte ein bisschen. Viel zu wenig für meinen Geschmack. Aber Simons Mama seufzte trotzdem und meinte, wie unangenehm das doch sei. Mein Freund war während des gesamten Fluges sehr schweigsam und irgendwie abwesend. Seine Gedanken, die ich sonst so leicht aufschnappte, wenn wir beieinander waren, wirkten total vernebelt und verwirrt. Ich wusste, dass dies ein seltsames Phänomen war, das ihn bisher bei jedem Flug ereilt hatte. Deshalb ließ ich ihn in Ruhe und hörte mir zwischendurch drei Wissens-CDs an. Eine über den Regenwald, eine über die Wüste und eine über Meeressäugetiere. Diese mochte ich besonders. Walgeräusche waren einfach nur toll! Der Gesang eines Buckelwals erzeugte bei mir ein Kribbeln in der Magengegend, das mich glücklich machte und mich total entspannte. Bei der Landung war ich dementsprechend relaxt und schläfrig. Das änderte sich jedoch schlagartig, als Simon neben mir immer munterer wurde. Ich konnte regelrecht spüren, wie seine Gedanken sich klärten, als wir uns dem Boden näherten.

„Ich freu’ mich schon so auf Scheich Ali!“, jubelte er und wurde ganz hibbelig, als wir die Maschine endlich verlassen durften. „Bestimmt erwartet uns sein Fahrer mit der Limousine und bringt uns ins Hotel.“

Er hatte mir genug über den Herrscher des Emirats erzählt, um ebenfalls gespannt wie ein Flitzebogen zu sein. Aber zunächst wurde ich halb umgerissen von dem warmen Wind, der uns beim Aussteigen empfing. Die Sonne schien heiß und ich musste mich regelrecht am Geländer der Gangway festklammern, um nicht fortgepustet zu werden. Tief atmete ich den Geruch der Wüste ein. Es war etwas ganz Besonderes für mich und ich konnte gut nachvollziehen, wie es meinem Freund ergangen war, als er dies zum ersten Mal erlebt hatte. Wir gingen nur wenige Meter bis zu einem Bus mit Stehplätzen, in dem wir dicht gedrängt zum Flughafengebäude gebracht wurden. Die Fahrt dauerte nicht mal eine Minute.

„Lohnt sich gar nicht“, murmelte Simon. „Aber zu Fuß gehen darf man ja nicht.“

„Du würdest es fertigbringen, die Landebahn zu einem Skater-Parcours umzufunktionieren“, lautete der amüsierte Kommentar seines Vaters.

„Coole Idee“, grinste mein Freund neben mir und schob mich vor sich her nach draußen. Bis zum Flughafengebäude waren es wieder nur wenige Schritte. Drinnen empfing uns angenehm kühle Klimaanlagen-Luft. Nach einigem Anstehen durchquerten wir eine Passkontrolle und ergatterten unser Gepäck. Mit Rollkoffer und Rucksack bewaffnet marschierte ich mit meinen Reisebegleitern Richtung Ausgang. Dort erwartete uns eine Überraschung. Noch bevor wir das Gebäude verließen, sprach uns eine Frau auf Englisch an.

„Hallo Simon“, sagte sie. „Schön, dich wiederzusehen und deine Familie kennenzulernen. Du musst Timo sein. Herzlich willkommen in den Vereinigten Arabischen Emiraten!“

„Sahira!“, rief mein Freund völlig perplex. „Ist ja toll, dass du uns abholst!“

Den Namen hatte ich schon mal gehört, musste allerdings erst ein wenig in meinem Gedächtnis kramen, bevor ich ihn zuordnen konnte. Bis dahin hatte sie sich Simons Eltern und mir bereits selbst vorgestellt.

„Wir kennen uns noch nicht – mein Name ist Sahira Al Raschid, ich bin Alis Schwester.“

Wir begrüßten sie und folgten ihr zu einem Wagen.

„Das ist die Limousine des Scheichs“, raunte Simon mir zu. „Damit sind wir beim letzten Mal auch abgeholt worden. Zwischendurch hat der Fahrer uns die Sehenswürdigkeiten des Emirats gezeigt. Er heißt Kamil und ist total lustig.“

Wir begrüßten den Mann, der meinen Freund lachend auf den Arm boxte und es bei mir ebenfalls probierte. Jedenfalls dachte ich das, denn er lachte genauso und machte das gleiche Geräusch. Aber seine Faust erreichte meinen Arm nicht, weil Simon irgendwas Gedachtes dazwischenschob.

„Nein, lass das lieber“, verstand ich, „mein Freund mag es nicht, wenn man ihn einfach so anfasst oder haut. Er weiß ja nicht, dass da eine Hand kommt.“

Er hätte es ruhig machen können, weil ich es schon bei Simon gespürt hatte und wusste, dass der Schlag völlig harmlos war. Es stimmte, dass ich normalerweise keine plötzlichen, unangekündigten Berührungen mochte. Doch ich überlebte sie im Regelfall, und die Reaktion meines fürsorglichen Begleiters war mir in diesem Moment irgendwie peinlich, weil ich merkte, wie unangenehm es Kamil war. Deshalb streckte ich die Hand aus, lächelte freundlich und sagte rasch: „Kein Problem. Mein Name ist Timo. Ich bin blind, aber du darfst mich trotzdem anfassen. Ich bin hart im Nehmen.“

 

 

Zu viel Simon und Salzwasser

 

Die Fahrt bis zum Hotel verlief angenehm. Ich hatte noch nie zuvor in einem Auto gesessen, das man so wenig hörte und spürte. Sahira wollte alles Mögliche von mir wissen. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich nicht gerne ausführlich über mein Handicap spreche. Aber Sahira stellte ihre Fragen so geschickt, dass ich überhaupt nicht das Gefühl hatte, über meine Behinderung zu reden, sondern eher über meine tollen Fähigkeiten.

---ENDE DER LESEPROBE---