Dezente Weihnacht - Michaela Göhr - E-Book
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Dezente Weihnacht E-Book

Michaela Göhr

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Beschreibung

Wenn etwas Unerwartetes geschieht ...

Ein Bettler offenbart ein Geheimnis. Ein alter Mann entdeckt die Sterne. Eine Eselin begegnet dem Christkind und ein Traum der Realität. Neun ungewöhnliche Kurzgeschichten und zehn Gedichte laden dazu ein, sich dem Weihnachtsfest dezent zu nähern.

Liebevoll illustrierte und um eine Geschichte erweiterte Neuauflage!

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Zur Autorin
Über dieses Buch
geschenkzeit
Dezente Weihnacht
stern
Der Weihnachtsstern
engelsflügel
Weinlose Weihnacht
weihnachtsdunkel
Elli und das Christkind
An das Christkind
Eine unerwartete Bescherung
dezember
Der Bettler
wärmegedanken
Janos Weihnachtswunsch
friedensschritte
Nah der Realität
friedefürst
Kein Wunder
morgenstern

 

Michaela Göhr

 

Dezente Weihnacht

 

 

 

Zur Autorin

 

1972 geboren und aufgewachsen in einer sauerländischen Kleinstadt beendete sie 1992 ihre schulische Laufbahn mit dem Abitur und studierte daraufhin das Lehramt für Sonderpädagogik in Dortmund. Seit vielen Jahren arbeitet sie an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Sehen und lebt mit Mann und Kind fest verwurzelt im Eigenheim gegenüber ihrem Elternhaus. Sie begann früh, ihre Gedanken in Gedicht- oder Liedform, in Tagebüchern sowie als kurze Geschichten und Reisetagebücher zu Papier zu bringen. Seit 2016 veröffentlicht sie als freie Autorin Fantasy- Kinder- und Jugendromane sowie Kurzgeschichten und Gedichte.

 

 

Über dieses Buch

 

Die Geschichten und Gedichte entstanden über viele Jahre, sogar Jahrzehnte hinweg zumeist spontan in der Vorweihnachtszeit, um sie an Heiligabend im Kreis der Familie vorlesen zu können. Sie wurden deshalb für ganz unterschiedliche Zielgruppen konzipiert: zunächst für Eltern und erwachsene Geschwister, später für die kleine Nichte und schließlich für den eigenen Nachwuchs. Ursprünglich für enge Freunde und Verwandte in einem Buch zusammengefasst, erfreuten sich die Texte zunehmender Beliebtheit und wurden im Selfpublishing veröffentlicht. Dies ist eine umfassend überarbeitete, um eine Geschichte ergänzte und liebevoll illustrierte Neuausgabe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© Texte: Michaela Göhr

Birkenweg 24, 58553 Halver

https://derfantast.jimdofree.com

© Bilder: Michaela Göhr, Pixabay

 

Umschlaggestaltung: Kathrin Franke-Mois, Epic Moon – Coverdesign / Münchenhttps://epicmooncoverdesign.com & Michaela Göhr

Überarbeitete und erweiterte Neuauflage 2023

geschenkzeit

 

zeit voller lachen

voller licht

zeit ohne zuhörn

was zeit

zu uns spricht

 

zeit hastet vorüber

ohne uns

anzusehn

bringt uns

geschenke

die wir doch nicht

verstehn

 

zeit war

wie ein engel

zeit begann

im holztrog

zeit war freude

war hoffnung

bis zu viel

uns belog

 

zeit voller farbe

doch blicklos

und leer

 

zeit liegt heut

in scherben –

sie wurd uns

zu schwer

 

zeit geht immer

vorüber

bleibt eng

ohne raum

zeit kehrt doch

immer wieder –

wir bemerken es

kaum.

DezenteWeihnacht

 

Eigentlich hörte sich alles ganz harmlos an, sogar vernünftig, fand Erna.

Die vier ältesten Kinder der Flinks einigten sich mit ihren Familien darauf, sich beim nächsten Weihnachtsfest gegenseitig nichts mehr zu schenken.

„Das machen jetzt viele so“, erklärte Tochter Mara der Mutter und dem Vater schon im April. „Wir wollen von euch keine Geschenke und ihr bekommt von uns auch nichts mehr. So sparen wir alle Geld und können uns dafür etwas wirklich Nützliches kaufen oder es für den Urlaub ausgeben.“

Erna war verwirrt, aber auch erleichtert. Das ersparte ihr viel Mühe und schonte das Portemonnaie erheblich!

Mittlerweile war es Ende September und die ersten Weihnachtsartikel landeten in den Einkaufswagen und Haushalten. Das alte Ehepaar Flink – oder besser gesagt, Erna Flink – fing an zu überlegen, wer wen einladen könnte und welches Festessen es geben sollte. Ein solches Ereignis musste frühzeitig geplant werden, wenn man alle Interessen unter einen Hut bringen wollte. Beim Gedanken an Geschenke fiel ihr siedend heiß wieder ein, was sie schon fast vergessen hatte: Die meisten ihrer Kinder mochten ja gar keine mehr haben! Aber wollten sie deswegen auch nicht zusammen feiern? Das musste erfragt werden. Also rief sie bei ihrem ältesten Sohn Will an, um ihm die Sache zu erklären.

„Jetzt wissen wir nicht genau, was wir tun sollen“, meinte sie abschließend. „Mögt ihr überhaupt noch gemeinsam mit uns Weihnachten feiern?“

„Aber ja doch!“, rief Will entrüstet. „Dass wir uns gegenseitig nichts mehr schenken bedeutet doch nicht, dass wir uns nichts mehr zu sagen haben. Wir sehen uns so selten, da ist das die perfekte Gelegenheit für ein großes Familientreffen. Kommt doch zu uns, hier haben wir genug Platz.“

Dann rief Erna ihre jüngste Tochter Anika an, die von der Abmachung noch gar nichts wusste. Diese zeigte sich nicht ganz so begeistert wie ihre Geschwister, willigte jedoch ein.

„Es nimmt sowieso überhand mit der ganzen Beschenkerei“, sagte sie. „Obwohl ich es bisher immer schön fand. Ihr nicht?“

Erna zuckte mit den Schultern, obwohl Anika das natürlich nicht sehen konnte. „Na ja, eigentlich … Aber man muss sich halt dem Trend der Zeit anpassen.“

Zufrieden brachte sie ihren Mann auf den neusten Stand der Dinge.

„Verstehe ich dich richtig“, meinte dieser stirnrunzelnd, „wir feiern dieses Jahr alle zusammen Weihnachten, aber nur die Kinder kriegen Geschenke?“

„Genauso ist es“, gab Erna zurück. „Du hast es erfasst, alter Brummbär.“

„Und was ist mit mir?“ Gerd setzte seine typische Schmollmiene auf, die er immer dann zur Schau trug, wenn er mit irgendetwas nicht einverstanden war.

„Du kriegst deinen Brandy und einen Teller mit Süßigkeiten, genau wie alle Kinder“, erklärte Erna bestimmt.

Da schwieg der Vater und gab sich zufrieden. In seinen Bart murmelte er aber noch: „So ist das eben – sobald man in Rente geht, wird man mit ’nem Schnaps und ’nem Schokoriegel abgespeist, wo’s früher noch richtige Geschenke gab …“

 

Der November ging rasch vorüber, der erste Advent rückte heran. Erna kramte die alten Schätzchen aus den Kisten, mit denen sie das Haus zur Vorweihnachtszeit zu schmücken pflegte. Einiges davon erschien ihr auf einmal nicht mehr recht passend: Der Weihnachtsmann mit dem großen Sack, der als Fensterbild sonst immer so schön ausgesehen hatte, die winzigen Geschenkpäckchen für den Weihnachtsstrauß, die Glöckchen, die so sehr an frühere Bescherungen erinnerten, sogar die drei Weisen mit ihren Gaben für das Christkind. Auch die Hirten mit den Lämmchen auf den Armen und über den Schultern, die Tochter Mara in ihrer Schulzeit mühsam getöpfert hatte, mussten in die Schachtel zurück. Irgendwie sah die Krippe jetzt unvollständig aus. Trostlos und armselig, wie die paar verbliebenen Gestalten sich um den winzigen Futtertrog scharten, verloren wirkend in dem viel zu großen und leeren Stall. Zunächst dachte Erna daran, die fehlenden Figuren durch andere zu ersetzen, zum Beispiel durch Schafe und Kühe, Hühner und Schweine von Anikas altem Spielzeugbauernhof, der noch auf dem Dachboden stand. Doch als sie die bunten Plastiktiere zu den liebevoll getöpferten Krippenfiguren hinzustellte, kam es ihr vor wie Verrat – ein Attentat auf das Christkind. Sie entfernte sie schnell wieder und fragte ihren Mann um Rat. Der besah sich recht teilnahmslos die verstümmelte Szenerie und meinte: „Schaff doch den Kram zurück auf den Dachboden - gibt ja heuer sowieso kein richtiges Weihnachten …“

Zunächst sträubte die Mutter sich noch gegen den Gedanken, doch dann sah sie ein, dass Gerds Vorschlag sinnvoll war. Schließlich gehörte zu Neuerungen ja auch, dass man sich von alten Dingen und Vorstellungen trennen musste. Schweren Herzens packte sie die Krippe sorgfältig wieder weg und betrachtete den nun etwas kahl wirkenden Wohnraum. Sie schüttelte den Kopf. So ging das nicht! Eine halbweihnachtliche Stimmung war schlimmer als gar keine. Probehalber hängte sie statt des Adventskranzes wieder den silbernen Leuchter in die Halterung, schmückte das Fenster erneut mit den Glaskugeln und stellte an die Stelle des Weihnachtsstraußes die immergrüne Yucca-Palme, die dort sonst auch immer stand. Als Zeichen der Adventszeit arrangierte sie eine farblich zur Einrichtung harmonierende Kerze auf dem Wohnzimmertisch und dekorierte sie mit den kleinen Strohengeln, die sie zuvor aus allen Ecken des Zimmers eingesammelt hatte.

Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Ja, so musste ein modernes Weihnachtszimmer aussehen: Wohnlich, schlicht und dezent festlich geschmückt, kaum merklich die Adventszeit einläutend, die ja auch immer sehr leise kam und rasch vorüberging. Als letztes i-Tüpfelchen stellte sie eine Schale mit selbstgebackenen Keksen auf den Tisch, auf die sich Gerd sofort begeistert stürzte. Sie musste ihn bremsen, denn so viele wie sonst hatte sie dieses Jahr nicht gemacht, und es sollte doch zumindest bis Heiligabend reichen. Irgendwie fehlte ihr plötzlich die Lust an der Weihnachtsbäckerei.

 

Verstohlen schlich sich die Adventszeit vorüber und hinterließ nur die üblichen Spuren – ein paar Pfund mehr auf der Waage und abgebrannte Streichhölzer im Papierkorb. Erna mochte es, in die Stadt zu gehen, wo es vor Weihnachtsstimmung überquoll, blendende Lichterketten den Weg säumten und einem die kitschige, altvertraute Musik überall in den Ohren klang. Die Geschäfte beherbergten nicht nur jede Menge weihnachtlichen Tand, sondern auch eine unüberschaubare Menschenmasse, die mit einem leicht gehetzt und müde wirkenden Einheitsgesichtsausdruck von einem Laden in den nächsten rannte, meist beladen mit Tüten, Taschen, Päckchen jeglicher Art und Größe.

Sie ertappte sich mehrmals dabei, an den Regalen und Tischen mit schönen Dingen stehenzubleiben. Einmal hielt sie einen Pulli in der Hand, den sie sich wunderbar an ihrem Sohn Will vorstellen konnte. Ein anderes Mal befühlte sie seufzend einen Schal aus samtig weichem Material, der ihrer Tochter Mara sehr gut gefallen würde. Dabei wollte sie eigentlich nur Lebensmittel einkaufen, Süßigkeiten und Geschenke für ihre Enkel.

 

Das Weihnachtsfest stand so plötzlich wie jedes Jahr vor der Tür und klopfte an. Diesmal wollte Erna am liebsten gar nicht aufmachen, aus Angst vor der Enttäuschung, die es enthalten musste. Was sollte das für ein Christfest werden, ohne das gegenseitige Beschenken inklusive der Freude, die man dabei empfand, ohne den Christbaum, auf den sie dieses Jahr auch verzichtet hatten und ohne die zugehörigen Weihnachtslieder? Nun gut, die Weihnachtskassetten und CDs waren noch vom letzten Jahr geblieben, doch das alte Ehepaar Flink mochte sie nicht abspielen. Sie hörten sich in ihrer nüchternen, wenig festlichen Umgebung hohl und lächerlich an. Nur Gerd brummte mit seinem Bass dann und wann eine Melodie, die vage an „Oh, Tannenbaum“ oder „Ihr Kinderlein kommet“ erinnerte.

Die Familienmitglieder trafen nachmittags im geräumigen Domizil ihres ältesten Sohnes ein. Will hatte vor einigen Jahren den Familienbesitz der Flinks übernommen, während Erna und Gerd in die moderne Wohnung gezogen waren, die ihr Spross zuvor für sich und seine Familie gekauft hatte.

Nun standen die alten Eheleute etwas verlegen mit der Geschenktasche und dem Korb mit Süßigkeiten in ihrem ehemaligen Haus. Sie bewunderten, wie geschickt Wills Frau Eva alles eingerichtet hatte, so nüchtern und dennoch dezent festlich. Es gab viele zur Tafel passende Kerzen und schöne Servietten, das gute Porzellan, einige wenige Sterne auf der dunkelblauen Tischdecke. Ein kleines Bäumchen, geschmückt mit winzigen Lichtern, roten Holzäpfeln und echten Nüssen stand als Abrundung der Festlichkeit in der Ecke. Darunter waren viele in fröhlich buntes Geschenkpapier gewickelte Päckchen postiert. Die Eltern legten ihre beschrifteten Geschenke und die Tüten mit Naschwerk ebenfalls hinzu. Von den Buben und Mädchen war noch nichts zu sehen, da sie sich in den Kinderzimmern vor dem weihnachtlichen Kinderbeschäftigungs-Fernsehprogramm aufhielten.

In der Küche wurden die letzten Handgriffe für das diesjährige Weihnachtsessen vorbereitet. Dem gemeinsamen Beschluss zufolge gab es mitgebrachte Salate, Gulaschsuppe und dazu frisches Stangenbrot. So teilten sie sich die Arbeit und die Vorbereitung hielt sich in Grenzen. Irgendwie war Erna erleichtert, dass es den traditionellen gefüllten Truthahn diesmal nicht gab, den sie selbst früher jedes Jahr zubereitet hatte. Wo doch das Fest so ganz anders werden sollte … Beim Anblick ihres Mannes wusste sie sofort, dass es ihm völlig gegen den Strich ging.

„Suppe und Salat“, hörte sie ihn mit grimmigem Gesichtsausdruck leise vor sich hin murmeln. „Ein Weihnachtsessen der exquisiten Art. Ganz wie in alten Zeiten – in Kriegszeiten!“

Endlich kam der von allen Enkelkindern fieberhaft herbeigesehnte Augenblick der Bescherung. Die Kinder stürzten sich gemeinsam aufs Auspacken und ihre Augen leuchteten beim Anblick der Geschenke, die sie von Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten erhalten hatten. Es schien ihnen gar nicht aufzufallen, dass es diesmal weniger Spielzeug gab als sonst.

Niemand bemerkte, dass sich die neunjährige Andrea unauffällig entfernt hatte. Doch jetzt kam sie wieder, mit einem kleinen eingewickelten Geschenk, das sie feierlich Erna überreichte. „Das ist für Oma“, sagte sie. „Die hat uns als einzige nicht gesagt, dass sie nichts haben möchte.“

Gerührt und etwas erschrocken nahm Erna Flink das Päckchen entgegen und wickelte es aus. Darin lag ein von Kinderhand angefertigter Tonesel, hübsch glasiert, genau passend zu ihrer Krippe. Sie bedankte sich bei ihrer Enkelin mit einer Umarmung, da sie einen dicken Kloß im Hals verspürte, der ihr die Worte abschnitt.

Verstohlen schritt Anika auf ihren Vater zu und drückte ihm ein Päckchen in die Hand. „Für dich“, sagte sie leise. „Weil du bestimmt nicht diesen Anti-Geschenk-Rummel mitmachen wolltest.“

Gerd nahm verwundert das Päckchen entgegen. Seine Augen wurden feucht, als er darin ein Paar selbstgestrickte Socken und eine Schachtel Likörpralinen vorfand.

„Danke“, sagte er ebenso leise. Er fühlte sich unbeobachtet und drückte seiner Tochter einen schnellen Kuss auf die Wange.

„Es ist egal, wenn du nichts für mich hast“, meinte sie rasch, als sie die unausgesprochenen Worte ihres Vaters erkannte. „So war es schließlich abgemacht.“

Doch der alte Mann grinste verschmitzt wie ein Schuljunge und zog aus der Hosentasche eine kleine Holzfigur. Es war ein Schlitten mit winzigen Geschenken darauf, von einem Rentier gezogen. Auf dem Kutschbock saß ein zierlicher Weihnachtsmann. Anika nahm das handgeschnitzte Kunstwerk ehrfürchtig entgegen und bedankte sich. Der Vater ging still und schweigsam zu jedem seiner Kinder und überreichte ihm eine solche Figur. Sie waren peinlich berührt, sagten, er hätte sich nicht an die Abmachung gehalten, freuten sich aber doch.

Erna ging, gerührt von dem liebevollen Geschenk ihrer Enkeltochter, zu dem Versteck, in dem sie die ‚Dinge für den Notfall‘ aufbewahrte, die sie trotz besseren Wissens gekauft hatte.

„Hier, weil ihr uns eingeladen habt“, flüsterte sie Will zu und überreichte ihm ein Paket. Darin lagen ein Paar Lederhandschuhe für Eva und der wunderschöne Strickpulli, den sie für ihren ältesten Sohn so passend gefunden hatte. Dieser blickte sie schockiert an. „Aber wir haben überhaupt nichts für euch!“, meinte er dann. Erna schüttelte den Kopf. „Aber das macht doch nichts, wirklich nicht! Lasst mir doch die Freude … Bitte!“

Sie ging auch zu Mara, zu Elke, zu Anika und zu Meik. Jedem ihrer Kinder gab sie ein Geschenk, das jeweils auch eine Kleinigkeit für den Ehepartner enthielt. Alle protestierten und meinten, es wäre gemein von ihr, obwohl sie sich gleichzeitig über die ausnehmend hübschen und zu ihnen passenden Geschenkideen freuten.

Als sie sich noch über den Bruch ihrer Abmachung beschwerten, bat Erna um Ruhe und sagte: „Hört mir zu, Kinder! Ich weiß, wir hatten gesagt, dass es dieses Jahr keine Geschenke geben sollte. Bitte entschuldigt, dass Gerd und ich uns nicht daran gehalten haben. Eigentlich hatte ich nicht vor, gegen die Abmachung zu verstoßen. Aber wisst ihr … Im Grunde habe ich mich nur revanchiert. Denn ihr habt mir mit eurer Idee ein viel größeres Geschenk gemacht. Sie hat mich dieses Jahr von fast allem abgehalten, was ich früher an Weihnachten geschätzt und geliebt habe, was im Laufe der Jahre jedoch an Bedeutung verloren hat. Erst der Verzicht darauf hat mir gezeigt, wie wichtig diese Dinge für mich sind. Geschenke, die man gibt und bekommt, ein Christbaum, Weihnachtsschmuck, Gottesdienst und natürlich eine Krippe sind für mich wie eine Heimat, die man nicht durch ein fremdes Stück Land ersetzen kann. Ich weiß jetzt jedenfalls, dass ich nie wieder Weihnachten ohne Advent und einen richtigen Heiligabend feiern werde. Geschenke gehören für mich einfach dazu, ohne dass sie teuer oder aufwendig sein müssen. Das Schönste und Wunderbarste an dieser öden Weihnachtszeit ohne Adventsstimmung war für mich, dass ich diese Dinge für euch kaufen durfte - und dass mich niemand daran hindern konnte, sie euch zu geben.“

Die Anwesenden schwiegen verblüfft und betreten. Dann fingen sie an zu diskutieren, ihre verschiedenen Standpunkte klar zu machen, allerdings nicht allzu laut – wegen der Kinder, die in einer Ecke selig mit ihren neuen Sachen spielten.

In diese geordnete Unruhe hinein gab Gerd seiner Frau einen dicken Schmatzer.

„Das hast du schön gesagt, Engelchen“, brummte er versöhnlich.

„Nächstes Jahr machen wir alles wie früher und feiern ordentlich Weihnachten, ja?“

„Genau wie sonst, mein Schatz“, bestätigte Erna und erwiderte den Kuss ihres Mannes. Gedankenverloren streichelte sie über den Esel aus Ton, den sie immer noch in der Hand hielt.

 

 

stern

 

 

stern

dein licht

blendet nicht

 

erhellt

die nacht

ganz sanft

und schlicht

 

bedacht

schleicht sich

dein funkeln

 

fast unbemerkt

in mein

gesicht

 

das unter tränen

längst schon

lacht

 

durch dich

im gleichgewicht

 

Der Weihnachtsstern

 

Jasper schreckte aus der zusammengesunkenen Position vor dem Heizkörper auf.

War er doch tatsächlich schon wieder eingenickt! Etwas benommen massierte er in gewohnter Weise seine taub gewordenen Finger und streckte sich. Was wollte er doch gleich noch tun? Ach ja, der Fernseher. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es beinah Zeit für seine Lieblingssendung war. Zumindest vermutete er dies, da die Zeiger seiner Armbanduhr schon lange zu klein und die der Wanduhr durch die Dunkelheit zu schemenhaft waren, um sie genau zu erkennen. Dennoch, sein Gefühl sagte ihm, dass es jetzt höchste Zeit wäre, seinen besten und einzigen Freund zu aktivieren, dieses liebgewonnene Gerät, das ihm schon seit etlichen Jahren treue Dienste leistete.

Wo war bloß die Fernbedienung hin? Ach ja, drüben auf dem kleinen Schränkchen, wo er sie vorhin abgelegt hatte. In letzter Zeit musste Jasper häufig länger darüber nachdenken, wo er irgendetwas hingelegt hatte, als es gedauert hätte, danach zu suchen. Wäre ihm früher nie passiert, wo er doch so stolz auf sein fast fotografisches Gedächtnis war. Aber dieses phänomenale Erinnerungsvermögen ließ ihn nun immer öfter im Stich – und das, wo auch die Beine und der Rücken ihm das Suchen recht schwer machten. Ächzend und fluchend erhob er sich aus dem bequemen Fernsehsessel, den er so nah wie möglich an der Heizung postiert hatte, um seine ständig frierenden Knochen aufzuwärmen.

Da lag das kleine schwarze Gerät, gänzlich unschuldig an Jaspers Kreuzschmerzen, und dieser nahm sich gewiss zum hundertsten Male vor, es nie wieder außer Handreichweite zu legen. Er richtete das Ding auf den großen Kasten in der Zimmerecke und tröstlich bunte Bilder flimmerten durch den dunklen Raum.

Jasper runzelte die Stirn. Etwas stimmte nicht mit dem Programm. Das war nicht seine Sendung, die da lief. Irgendein Spielfilm, wie es schien. Was war bloß los, dass sie seine Soap nicht brachten, die es sonst jeden Abend um diese Zeit gab? Erst nach einigen Sekunden angestrengten Nachdenkens fiel es ihm ein: Heute war Weihnachten. Die Erkenntnis traf ihn mit härterer Wucht, als er erwartet hatte.

„Hol’s der Deubel, dieses blöde Fest!“, murmelte er, doch seine Kehle war rau.

Er brauchte jetzt unbedingt einen Schluck aus der kleinen Flasche, die er für solche Gelegenheiten aufbewahrte. So, nun ging es ihm schon besser. Trotzdem brauchte er noch etliche Minuten, um den Verlust seiner täglichen, gewohnten Zerstreuung zu verkraften. Mit Schrecken wurde ihm bewusst, dass er absolut keine Idee hatte, was er mit dieser neu gewonnenen Zeit anfangen konnte. Das restliche Fernsehprogramm, das er rasch durchzappte, sagte ihm nichts. Im Radio brachten sie nur Weihnachtsmusik, die ihn mehr als alles andere daran erinnerte, dass es für ihn längst keinen Anlass mehr gab, dieses Fest zu feiern.

Einigermaßen frustriert ließ er sich schließlich wieder in seinen Sessel fallen und starrte in Selbstmitleid versunken aus dem Fenster, oder besser, auf sein Spiegelbild, das sich in der dunklen Scheibe abzeichnete. Er war sich wohl dessen bewusst, dass er albern reagierte, überzogen, wie ein trotziges Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hatte. Aber er konnte nichts gegen dieses Gefühl von Verlust und Enttäuschung tun. Eine störrische Träne schlich sich heimlich aus dem Augenwinkel und lief unbehelligt über die faltige Wange seines Gesichts.

 

Lange saß er so da und blickte ins Nirgends. Langsam verschwanden die Wut und die Frustration, die ihm den Blick auf die Schönheit des Abends verstellt hatten. Es war eine eisige, klare Stille, die ihm von draußen entgegenkam. Kleine Eisblumen hatten sich am Fensterrand gebildet und schufen einen malerischen Rahmen für das winterliche Bild, das sich Jasper noch gut erkennbar hinter seinem eigenen darbot. Die Dächer der Stadt funkelten und glänzten matt, als würden sie mit ihrem hauchdünnen weißen Überzug das Licht der Sterne widerspiegeln. Und was das für ein großartiger Sternenhimmel war!

Jaspers Unmut verflog gänzlich, als er sich aufmerksamer diesem wundervollen Naturschauspiel zuwandte. Er schob sich dicht an das Glas und sperrte mit den Händen das Licht aus dem Wohnzimmer aus. So klar und dunkel war die Nacht, dass er von seinem hohen Standpunkt aus fast alle Sternbilder des Winterhimmels deutlich erkennen konnte. Sie schienen ihm vertraute Bekannte, liebgewonnen in endlosen Nächten, die er sie geduldig und mit großer Hingabe betrachtet hatte.

Schließlich hielt es ihn nicht länger an seinem Platz und er machte sich an den beschwerlichen Aufstieg zum Dachboden. Spinnweben verklebten die Luke, als er sich von unten dagegenstemmte. Sie erinnerten ihn daran, dass es lange her war, seit er diesen Gang zum letzten Mal beschritten hatte. Faul war er geworden, faul und desinteressiert an der Welt und ihren Geheimnissen.

„Früher wäre dir das nie passiert!“, murmelte er, während er sich die klebrigen Fäden vom Pullover wischte.

Dann betrat er das ‚Allerheiligste‘, seine private und persönliche Dachkammer mit dem großen Dachfenster, unter dem sein größter Schatz stand – das Sternenteleskop. Früher hatte er fast jeden Abend und so manche Nacht hier zugebracht. Die Himmelslichter hatten es ihm angetan, schon immer.

Rasch nahm er die vertraute Beobachter-Position ein, erledigte automatisch alle notwendigen Handgriffe und vertiefte sich in das Lichterspiel. Die Sicht in den Himmel war wirklich großartig. Jasper stieß unwillkürlich verzückte Jubelrufe aus, als er Sterne erblickte, die er zum letzten Mal – ja, wann war das gleich? – vor vielleicht sechs oder sieben Jahren hatte sehen können. Systematisch wanderte er mit seinem Wunderglas über den Himmel, folgte vertrauten Pfaden und erinnerte sich an die Namen der Lichter, die er sich vor so langer Zeit eingeprägt hatte.

Schließlich verharrte sein Blick an einem seltsamen Phänomen, bekannt und doch so selten, dass er manchmal vergaß, danach Ausschau zu halten. Ein anerkennendes Pfeifen entfuhr seinen Lippen und sein Herz machte einen Satz.

„Mich laust der Affe!“, murmelte er und rieb sich die Augen. Doch als er wieder hinsah, war das Bild, das sich ihm bot, noch dasselbe. Da war er – der Komet. Unscheinbar und selbst durch das starke Teleskop kaum größer als ein Stecknadelkopf, aber zweifellos da.

Augenblicklich überlegte Jasper angestrengt, ob er etwas über einen sich nähernden Kometen gehört hatte – nein, nichts. Weder in den Nachrichten noch in der Zeitung. Bei solchen Dingen ließ ihn sein Gedächtnis nun doch nicht im Stich.

Der alte Mann fühlte, wie das Blut durch seine Adern rauschte und wie sein Herz schneller schlug. Was für ein Anblick, was für eine Entdeckung! Er sprang auf, wie ein mindestens zehn Jahre Jüngerer und wurde sogleich mit stechenden Schmerzen in der linken Hüfte bestraft. Doch er ignorierte dieses Gefühl, angespornt von dem Adrenalinschub, der ihn erfasst hatte und stürmte die steilen Stufen hinab zum Telefon. Mit zitternden Händen wählte er die vertraute Nummer des Instituts und horchte auf das Freizeichen.

„Nimm schon ab“, grummelte er. „Ich weiß doch, dass du da bist, du alter Hund …“

„Prischke-Institut, mein Name ist Emma Wunstorf, was kann ich für Sie tun?“

Es war eine Frauenstimme, ganz und gar nicht das, was er erwartet hatte.

„Äh – ist Ottmar Prischke nicht da?

---ENDE DER LESEPROBE---