Feldmalve - Cassandra Leuenroth - E-Book

Feldmalve E-Book

Cassandra Leuenroth

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Beschreibung

Nach dem langen Sommer in Erichshof muss Mellia sich erst wieder in ihr Studentenleben einfinden. Das neue Trimester bringt einige Veränderungen mit sich, alte Bekannte erscheinen im neuen Gewand, und schließlich steht ein Ausflug in die Graue Welt auf dem Programm. Viola hat unterdessen einen Plan gefasst, der weit mehr als nur eine neue Hausgenossin beinhaltet. »Feldmalve« ist die sechste Folge der Würfelwinkel-WG. Die Serie erzählt in 26 Teilen von der Feenstudentin Mellia Weiselhain, ihrer märchenhaften Wohngemeinschaft und — ganz nebenbei — auch noch die Vorgeschichte zu »Prinzessin Beribetscha«. Märchenreich, 1961. In der Reichsstadt Demiawiburg gibt es drei Hochschulen, jede Menge Studenten, Exilanten aus den benachbarten Königreichen und der Grauen Welt — und ein Haus im Würfelwinkel Nummer 17, dessen zusammengewürfelte Bewohner sich erst zusammenraufen müssen, um die alltäglichen Herausforderungen in einer märchenhaften Reichsstadt zu bestehen: Hexen, Zwerge, verzauberte Frösche, ein verwunschener Fernsehmoderator, drei Prinzen, die um die Thronfolge wetteifern, und das Problem, wenn man nicht rechtzeitig vor Toreschluss in die Stadt zurückkommt. Zum Glück hält nicht nur Frau Holle ihre schützende Hand über die bunte Schar. Dennoch erfahren Mellias Ambitionen, eine gute Fee zu werden, manche ungeahnte Kehrtwende. Wird sie nach drei Jahren die Abschlussprüfung bestehen?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cassandra Leuenroth

Die Würfelwinkel-WG

Folge 6: Feldmalve

August 1961

© CEGL, 2021

Lorichsstraße 28a

22307 Hamburg

 

Umschlagentwurf: TheaDelphia

Lektorat & Korrektorat: Albert Lossat

 

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung der Rechteinhaber.

Kapitel 1

Wiesen, Sonne und Heu, helle Mondnächte, zwei kleine Sommergewitter, Birnen, Mirabellen und immer noch Heidelbeeren. Das waren die Ferien in Erichshof, so waren sie immer gewesen, und wir hatten beschlossen so zu leben, als würde ich nicht in der zweiten Augusthälfte wegfahren.

Knut und ich sprachen nicht über die Zukunft, oder nicht konkret, nur manchmal spannen wir Ideen aus über meine magische Milchbar, die ich ja auch hier oder in Schelli-Muhsteck aufziehen könnte.

Ich liebte es, mit dem Milchwagen die Dörfer abzuklappern und den ganzen Tag in meinen alten Lumpenkleidern zu gehen — die natürlich keine Lumpenkleider waren, aber in der Stadt hätten sie so gewirkt. Die Eltern hatten uns angewiesen auszuschlafen, und zwar ausdrücklich uns beide, denn schließlich hatten wir Ferien. Nur manchmal liefen wir in der Morgenfrühe hinüber zum Milchhof und taten einfach mit, weil wir Lust dazu hatten.

Die Eltern waren glücklich, wir beide waren glücklich, und das ganze Dorf war glücklich, uns alle so glücklich zu sehen. Ich hatte meinen Geschenkekoffer aufgemacht und allen meinen Leuten ihre Sachen aus Demiawiburg gegeben, und nur Knut hatte zwei Geschenke bekommen: zum einen das Törtchensortiment, das ich in unserer Kondite im Geodreieck für ihn zusammengestellt hatte.

Das andere, das auf den ersten Blick gar nicht so persönlich aussah, war der Stadtplan von Demiawiburg, den ich auch hatte. Ich konnte ihm darin all die Orte aus meinen Erzählungen zeigen, aber vor allem bedeutete dieses Geschenk, dass er mich bald besuchen sollte. Und natürlich hätte er auch als mein Bruder immer in den Würfelwinkel kommen können. Aber für jemanden, der längst eine andere Freundin im Dorf und gar keine Lust hat, meinetwegen sein Königreich zu verlassen, hätten auch die Törtchen gereicht.

Der August schmolz dahin, Knuts Geburtstag und auch meine Abreise rückten immer näher. Oft lagen wir auf der Wiese hinter unserem kleinen Haus, das eigentlich nicht mein Haus war, aber auch das war im Grunde egal. Uns gehörte hier ohnehin alles gemeinsam, sein Haus und mein Name, was machte es für einen Unterschied, dass ich ein Zimmer in Demiawiburg hatte und er nie ordnungsgemäß adoptiert worden war.

»Hör mal, Mellia«, sagte er eines Abends. »Ich wollte dich das schon nach dem Sommerfest fragen. Wenn du da in der Stadt … Also wenn du doch jemand anderen findest …«

»Den ich ja gar nicht suche.«

»Na, aber du weißt, wie solche Dinge passieren können, wenn man weit weg ist.«

»Ja, kann sein«, murmelte ich unwillig. Ich mochte nicht mit solchen Überlegungen unsere letzten Tage verderben.

Aber Knut ließ nicht locker.

»Ich meine, dann schreibst du mir das doch?«

»Müsste ich wohl. Und umgekehrt ja auch, das ist doch nur anständig. Auch wenn ich es wahrscheinlich schwierig fände, die richtigen Worte zu finden. Du nicht auch?«

»Ja. Und ich habe mir was überlegt. Ich meine, ich will es ja auch nicht. Aber wenn eins von uns beiden … Also ich dachte mir, wir könnten von irgendetwas zwei Teile machen, und wenn eins von uns seines zurückschickt, dann würde das bedeuten …«

»Ah, ich verstehe. Und wir müssten nicht nach Wörtern ringen.«

»Ja, so ungefähr.«

»Schöne Idee. Obwohl auch das eigentlich schrecklich traurig wäre. So ganz ohne irgendwas zu schreiben.«

»Ja, vielleicht. Das muss es ja nicht sein, und überhaupt, hoffentlich behalten wir ja die. Ich dachte nur, falls es so kommt.«

»Ja, warum nicht. Von mir aus, lass es uns so machen.« Ich kicherte. »Vielleicht schicken wir ja eines Tages die Teile gleichzeitig los. Und dann haben wir wieder beide eines.«

Knut lachte auch.

»Das wäre die hübscheste Sache überhaupt. Auch wenn es immer noch traurig wäre.«

»Ja. Aber nur noch halb so traurig, wie wenn einer zwei hat.«

»Stimmt.«

Wir lagen eine Weile stumm nebeneinander und schauten in den Himmel.

»Dieses Haus wird nicht mehr dasselbe sein«, sagte er dann. »Jetzt, wo du hier den Sommer über gewohnt hast, werde ich da abends unter der Lampe sitzen und nichts Vernünftiges tun können, als an dich zu denken.«

»Dann hast du ja vielleicht endlich mal Muße, mir zu schreiben.«

»Ja, ich werde dir schreiben. Jetzt ist ja auch alles anders, oder nicht? Wir werden das nicht wieder machen?«

»Einander freigeben?« Ich schubste ihn, dass er durchs Gras rollte. »Denk nicht mal dran.«

Er grinste fröhlich. »Fällt mir nicht ein.«

Am nächsten Tag fuhren wir für einige Besorgungen nach Schelli-Muhsteck. Auf dem Rückweg durchs Dorf machten wir erst bei unserem Häuschen Halt und fuhren dann weiter, um den Rest der Sachen für die Eltern abzuliefern. Als wir uns aber dem Milchhof näherten, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Wer stand da winkend am Tor?

»Viola?« rief ich, als ich ein bekanntes Gesicht unter violettem Glanzhaar entdeckte. »Was zum Henker machst du denn hier?«

»So fluche doch nicht, Mellia!« rief meine Mutter zurück, die eben aus dem Hause trat.

»Das gibt es ja nicht!«

Auf der Stelle hielt ich die Pferde an und sprang auf die Straße.

»Was tust du hier?«

Viola grinste.

»Ich war in der Gegend und bin bei deiner Mutter auf ein Glas Milch eingekehrt.«

»Eh, Mellia?« rief Knut vom Wagen herunter. »Warum sind wir nicht auf den Hof gefahren?«

»Ach, entschuldige.«

Tatsächlich war ich so baff gewesen, dass ich noch vor der Einfahrt angehalten hatte.

Ich stellte Knut und Viola einander vor, und er bot sich an, den Wagen und die Sachen hineinzubringen, während ich meine Freundin ins Haus zog.

»Du hast sie doch nicht alle!« rief ich ein ums andere Mal. »Ist was passiert? Mensch, du musst mir alles erzählen! Wie kommst du hier in die Wildnis? Sag mal, hast du Gepäck? Bleibst du länger?«

Wieder grinste sie über das ganze Gesicht.

»Wenn du erlaubst. Ich dachte, wir könnten nächste Woche zusammen zurückfahren. Also, falls du überhaupt zurück willst.«

»Mensch, das ist ein Ding. Und woher wusstest du denn, dass ich noch in den Ferien bin? Ich hätte ja schon längst abgereist sein können.«

Sie schüttelte energisch den Kopf.

»Was du denkst. Ich habe mich natürlich erkundigt. Ein Telefonanruf, und ich wusste, dass du immer noch hier bist.«

»Anruf, was für ein Anruf?« fragte ich verblüfft. »Wir haben doch gar kein Telefon.«

»Nicht hier, du Salatschnecke. Im Würfelwinkel habe ich angerufen. Und Helge hat mir erzählt, dass niemand von euch bisher zurückgekommen ist und dass er von dir nur eine Postkarte bekommen hat, aus der das reine Ferienglück tropfte. Also habe ich mich entschlossen, einmal das Landesinnere zu erkunden.«

»Nun sage mal, aber was bringt dich auf die Idee … Also ich freue mich, wie blöde natürlich! Aber du musst mir alles erzählen.«

»Du zuerst«, verlangte sie. »Was musste ich eben hören? Du wohnst jetzt bei Knut? Bei dem Knut? Ist das der?«

»Ja doch. Aber du hast schon angefangen, also weiter.«

»Na, pass auf, ganz von vorn. Ich hatte ja schon angedroht, dass ich vielleicht früher zurückkomme. Meine Güte ja, alle diese Blumen. Vier Wochen lang habe ich mir Farben um Farben angesehen, Rosenlimonade geschlürft, meine Mutter hat mich von oben bis unten bekocht und mir neue Sachen genäht, ja wirklich, darin ist die richtig gut. Mein Vater hatte mit der Teichplanung zu tun und hat den ganzen Tag herumgerechnet und gezeichnet und telefoniert, na ja. Aber irgendwann kam nichts Neues mehr, und dann dachte ich mir: Menschenskind, man ist ja nur einmal jung. In den Würfelwinkel komme ich früh genug. Und dann habe ich mal nachgeschlagen, wo das überhaupt ist, wo du wohnst. Du, eine Zugstunde weiter, da wäre ja schon Kachni-Rübeneck gekommen!«

»Ja, ich weiß.«

»Also, ich kam hier an — oder vielmehr da hinten in dem Kaff kam ich an, in Schellinghusen oder wie der Laden heißt.«

»Schelli-Muhsteck.«

»Ja, genau. Also das ist ja schon ein Dorf, ich dachte: Na, aber wo ist denn jetzt Erichshof? War dann noch eine ganze Ecke raus.«

»Ich weiß«, sagte ich grinsend.

»Zwei Dörfer weiter, haben die mir gesagt!«

»Ich weiß.«

»Ich dachte, ich werd nicht mehr.«

»Aber hätten wir das gewusst! Da hätten wir dich mitgenommen, wir waren doch vorhin in Schelli-Muhsteck.«

»Tja, ich jedenfalls habe so ein rollendes Etwas angehalten, das in die Richtung fuhr, die waren auch sehr nett und haben mich mitgenommen. Dachten wahrscheinlich Wunder, was ich hier zu suchen hätte. Na egal, und dann bog der irgendwann in den Acker ab und ich dachte: Heiliger Hahnenfuß, wo fährt der Mensch mich hin? Und kurze Zeit später sagt der mir: Ja, das hier ist Erichshof. Ich dann runter vom Wagen und dachte: Ja, aber wo denn? Diese paar Häuser oder was?«

Ich lachte.

»Ja, tatsächlich. Diese paar Häuser sind’s.«

»Na, und da habe ich mich dann durchgefragt. Hätte ich gleich gesagt, dass ich zu euch will, hätte der Seppel auf seinem rollenden Heuhaufen mich auch noch bis ans andere Ende fahren können. Ich also einmal bis ganz durch, immer wo einer vor dem Haus stand oder den Weg entlang kam — sag mal, liegt das an meiner Haarfarbe? Oder gucken die hier jeden so an, den sie nicht kennen?«

»Beides«, sagte ich. »Weiter.«

»Ja, und schließlich und endlich und kurz bevor ich dachte, jetzt kommt hier gar nichts mehr, bin ich dann glücklich auf dem Weiselhainschen Milchhof gelandet. Guckte deine Mutter über den Zaun, also ja, ich nahm an, dass es deine Mutter sein könnte, und sie sofort: Sie müssen Viola sein! Und ich: Ja, das muss ich wohl. Dann hat sie gelacht und mich reingebeten, sagte dann aber, du wohnst da gar nicht. Ich dachte, ich werde bekloppt. Jetzt fahre ich extra hierher und hatte alles durchgeplant! Und dann sagte sie mir aber, dass du nur ein paar Häuser weiter bei Knut wohnst.«

»Ja, das stimmt.«

»Meine Güte, Waldpilz. Da kehrt man einmal den Rücken, und was ist hier los? Haben sie dich gleich einkassiert und verheiratet?«

Ich lachte.

»Na, so schlimm ist es nicht. Oder anders gesagt, hier ist überhaupt nichts schlimm.«

Sie betrachtete mich aufmerksam.

»Nee, so siehst du mir auch nicht aus. Strahlst ja vor Glück. Die Ferien scheinen dir wirklich zu bekommen. Also, erzähl mir alles, und schone mich nicht.«

»Später. Hast du schon was zu essen bekommen?«

Viola nickte.

»Oh ja, deine sehr liebe Mutter hat mich nicht nur mit Milch versorgt, sondern mir auch zwei Stücke Kuchen gegeben.«

»Was, es gibt Kuchen?«

Knut kam herein und lachte fröhlich, als er Viola sah.

»Du bist die mit den Blumen, stimmt’s? Mellia hat mir alles erzählt.«

Viola betrachtete ihn interessiert.

»Ja, ich bin die mit den Blumen. Und was hat Mellia noch über mich erzählt?«

»Zum Beispiel dass deine Mentorin dich in einen Blumentopf stecken will und du am liebsten ausreißen möchtest. Dass du nie eine Florfee zerklatschen würdest, aber es gern hättest, wenn die Leute das von dir denken. Außerdem habt ihr öfter einen Raben zu Besuch, der wahrscheinlich ein verzauberter Prinz ist und von dem du eine Glücksfeder bei dir trägst.«

»Donnerwetter, du bist wirklich gut informiert. Nur das mit dem Prinzen ist reine Spekulation, und zwar nicht von mir. Habt ihr hier sonst keine Themen, über die ihr reden könnt?«

»Siehst du ja«, sagte er grinsend. »Wir gehen zweimal die Woche zum Fernsehen in den Gasthof, und wenn Fremde ins Dorf kommen, halten wir sie für mindestens zehn Tage fest, bis wir alles an Neuigkeiten aus ihnen herausgequetscht haben.«

Viola lachte.

»Na, das sind Aussichten. Ich kann leider nur eine Woche bleiben, dann muss ich Mellia mit zurück nach Demiawiburg nehmen. Das heißt, falls ihr sie hier noch weglasst.«

»Aber das ist schön«, sagte er, »dann kannst du noch meinen Geburtstag mitfeiern! Ah, und bei der Zwetschgenernte helfen!«

»Mal langsam«, mahnte ich. »Viola hat Ferien, sie muss hier nicht arbeiten.«

»Ach, aber das würde ich gerne machen!« sagte sie sofort. »Oder anders gesagt, ich pflücke hier alles, nur keine Blumen. Geht ja nichts über eine handfeste Zwetschge, was?«

»Das sehe ich auch so«, sagte Knut.

Viola seufzte.

»Wirklich, nach zwanzig wunderbaren Jahren im königlichen Schlossgarten hat Frau Doktor Plessers innerhalb von vier Monaten erreicht, dass ich es keine vier Wochen mehr zwischen all den königlichen Beeten aushalte. Ständig höre ich die Stimmen von irgendwelchen Florfeen, die sich hinter meinem Rücken lustig machen.«

Wir lachten.

»Üble Sache«, bemerkte ich. »Sieht aus, als bräuchtest du dringend Ferien von deinen Ferien.«

»Da kannst du recht haben.«

»Und wo wirst du wohnen?« wollte Knut dann wissen.

»Tja, das ist eine Frage. Ich hatte heimlich gehofft, ich könnte hier irgendwo bei euch im Schuppen unterkommen. Einen Gasthof scheint es hier ja nicht zu geben.«

»Der Lindenwirt hat sogar Gästezimmer«, widersprach ich. »Ja, ganz auf dem freien Feld sind wir hier nicht. Aber im Grunde könntest du gut in meinem Zimmer wohnen. Ich bin ja jetzt gar nicht hier.«

»Oder wie wäre es«, warf Knut ein, »wenn ihr beide drüben im Haus wohnt und ich für die paar Tage wieder in meine alte Kammer ziehe?«

»Das willst du machen?« fragte ich überrascht.

»Na sicher, warum nicht? Ihr habt euch doch bestimmt viel zu erzählen.«

»Na ja, so viel wird jetzt in den paar Wochen auch nicht passiert sein. Oder etwa doch?«

Viola wiegte den Kopf. »Na, das würde ich nicht sagen.«

»Aha, aha? Na dann, in dem Falle nehmen wir das Angebot an. Bist du sicher, dass du in die winzige Kammer überhaupt noch reinpasst?«

»Wird sich zeigen«, sagte er leichthin. »Ansonsten quartiere ich mich oben in deinem Zimmer ein.«

»Nein, wie unschicklich!« rief ich aus und fand es dabei selber so komisch, dass alle mitlachten.

»Also ist es ausgemacht«, sagte er. »Wir gehen zusammen rüber, ich hole ein paar Sachen, und ihr könnt es euch gemütlich machen. Und Mellia, falls du Sehnsucht hast, dann rennst du einfach die Straße runter und wirfst Steinchen an mein Fenster.«

»Oh ja, das werde ich auf jeden Fall tun.«

Wir kicherten und wollten schon losziehen, aber meine Eltern bestanden darauf, dass wir alle zum Essen blieben.

»Es gibt Erntezeit«, erklärte meine Mutter.

»Oh, ach so. Dann bleiben wir natürlich. Zur Erntezeit müssen alle ran, stimmt’s nicht?«

»Stimmt«, sagte mein Vater, und schon fuhren sie den großen Käseauflauf heran, den wir alle so liebten.

Drinnen waren Sahnekartoffeln und oben auf der Käseschicht, die noch mit etwas Reis bedeckt war und wie ein abgeerntetes Feld aussah, lagen fein zusammengebundene Garben von Bohnen und Möhrenstreifen und ein paar kleine Haufen aufgeschichteter Rosenkohlköpfe.

»Meine Zeit, ist das hübsch!« rief Viola aus.

»Und lecker ist es auch«, sagte Knut.

Ich stieß ihn unterm Tisch an.

»Lass ihr was übrig«, sagte ich leise zu ihm, aber so, dass alle es hörten. »Wenigstens ein bisschen zum Probieren.«

»Ja, mach mich nur madig vor deiner Freundin«, beklagte er sich, aber er lachte dabei wie alle anderen. »Esst ihr zu Hause nur Blumen?« wollte er dann von Viola wissen.

»Was? Nein, natürlich nicht«, sagte die entsetzt. »Meine Mutter macht zwar immer Salate aus Blüten, aber natürlich wird man davon nicht satt.«

»Ich dachte auch schon.«

Viola lachte in die Runde.

»Ihr seid wirklich lustig hier. Und ich hoffe, ich mache nicht zu viele Umstände. Also, ich kann auch ohne weiteres gleich nach Demiawiburg weiterfahren. Ich wollte halt nur mal gucken, wie du hier so lebst.«

»Nein«, sagte meine Mutter sofort, »wir freuen uns. Schon weil wir dich ja — ich darf doch Du sagen?«

»Ja natürlich, gern.«

»Weil wir dich ja aus den Erzählungen kennen. Und von den Fotos. Und dann ist es hier auch so still geworden, seit Mellia nicht mehr da ist.«

»Euch kann man es aber nicht recht machen«, sagte ich kopfschüttelnd. »Als ich hier war, hast du genörgelt, weil Knut so allein in seinem Haus ist, und jetzt ist es dir hier wieder zu still.«

»Nein, aber nein, wir freuen uns doch für euch. Nur war es eben auch schön, als ihr beide noch hier bei uns wart. Da war immer was los.«

Und gleich kramte sie für Viola ein paar alte Geschichten vor, die auch wir gerne noch mal hörten.

Nach dem reichlichen Essen gab meine Mutter uns noch Kuchen mit, und pappsatt kugelten wir die Dorfstraße hinunter bis zu dem kleinen, cremefarbenen Haus.

»Ach, da bin ich vorhin vorbeigekommen«, sagte Viola, als wir am türkisfarbenen Zaun standen. »Selbstredend, denn ich bin ja einmal das ganze Dorf entlang. Aber dies hübsche Haus ist mir aufgefallen.«

Knut strahlte vor Besitzerstolz. Dann gingen wir hinein, ich machte Tee und er setzte den Kuchen auf den Tisch.

»Der muss noch weg«, bestimmte er.

»Keine Sorge«, sagte Viola, »das wird passieren.«

»Leider haben wir hier keine persönlichen Tassen«, erklärte ich. »Also falls du deine Streifentasse aus dem Würfelwinkel nicht dabei hast, wirst du hier aus ganz normalem Teegeschirr trinken müssen.«

»Werd’s überleben«, sagte sie und naschte ein Stückchen aus dem Kuchen. »Was hat übrigens deine Tante gesagt?«

»Zu dem Geschirr? Du, die war ja hin und weg. Du hast doch Tante Debora gesehen, wie die sich begeistern kann. Ich glaube, sie hat das ganze Ensemble mit ins Bett genommen oder mindestens sich auf den Nachttisch gestellt, um es beim Einschlafen und Aufwachen betrachten zu können.

---ENDE DER LESEPROBE---