Feuer der Versuchung - Kresley Cole - E-Book
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Feuer der Versuchung E-Book

Kresley Cole

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Beschreibung

Der Feind in meinem Herzen

Andorra, 1865. In allerletzter Sekunde kann der Söldner Courtland McCarrick seiner Hinrichtung entkommen, indem er sich in einen reißenden Fluss stürzt. Schwer verletzt wird er ans Ufer gespült, wo ihn die Lady Annalía findet. Obwohl die kastilianische Schönheit weiß, dass ihr ein Schotte - und somit ein Feind! - zu Füßen liegt, bietet sie Courtland Zuflucht und pflegt ihn gesund. Je länger Anna Zeit mit dem ruppigen Highlander verbringt, desto stärker versetzt er ihr Herz in Aufruhr. Doch Annalía ist General Pascal versprochen - McCarricks Erzfeind ...

"Kresley Cole schickt ihre Leser auf das Abenteuer ihres Lebens!" Susan Wiggs, New-York-Times-Bestseller-Autorin

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Seitenzahl: 486

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungZitatProlog12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637EpilogDanksagungDie AutorinDie Romane von Kresley Cole bei LYXImpressum

KRESLEY COLE

Feuer der Versuchung

Roman

Ins Deutsche übertragen von Jutta Nickel

Zu diesem Buch

Courtland McCarrick hat sich als Söldner in Andorra verdungen, wo er von General Reynaldo Pascal gefangen genommen wird. Court droht die Hinrichtung – in letzter Sekunde gelingt ihm jedoch die Flucht, indem er sich in einen reißenden Fluss wirft. Nachdem er schwer verletzt und bewusstlos ans Ufer gespült wird, findet ihn Lady Annalía Tristán Llorente. Obwohl ihn die heißblütige Kastilianerin als Highlander und damit als ihren Feind erkennt, entschließt sie sich, Court aufzunehmen und gesund zu pflegen. Beide sind sich spinnefeind – und doch muss Annalía überrascht erkennen, wie sehr der ruppige Schotte ihr Herz in Aufruhr bringt. Aber Anna ist schon einem anderen versprochen: General Pascal, Courtlands ärgstem Feind. Und wenn Anna ihn nicht heiratet, muss ihr Bruder sterben. In ihrer Not bittet Annalía McCarrick um Hilfe, und er nimmt sie kurzerhand als Geisel, um sie so zu schützen. Aber können ihre beiden Herzen zueinander finden, wenn so viele Leben in Gefahr sind?

Für Ginny,

die Schwester, die ich niemals gehabt habe. Weil du seit dem Kindergarten meine beste Freundin bist. Und weil ich mit dir in Verbindung bin, während ich schreibe, und mir wünsche, du wärst bei mir.

Nichts entschuldigt schlechte Manieren.

LADY ANNALÍA ELISABET CATHERINA TRISTÁN LLORENTE

Macht schafft Recht.

COURTLAND EADD MACCARRICK

Prolog

Carrickliffe, Schottland, 1838

Aus dem Leabhar nan Sùil-radharc, dem Buch des Schicksals:

An Carrick X.

Drei finstere Söhne soll deine Gattin dir gebären. Glück schenken sie, bis sie dieses Buch gelesen haben.

Diese Worte, bis ihr Blick den jungen Lebensfaden dir durchtrennt. Qualvoll stirbst du im Wissen um den Fluch, der auf ihnen lastet, Einsam sei ihre Wanderschaft, allein der Tod spende ihnen Schatten.

Niemals heiraten, niemals lieben, nie vertrauen – das sei ihr Schicksal.

Sterben sollst du, auf dass dein Samen niemals Früchte trägt.

Tod und Verderben denen, die in ihren Sog geraten,

Es folgten noch zwei Zeilen, die nicht zu entziffern waren. Verschmiertes Blut hatte sie unleserlich gemacht.

1

Fürstentum Andorra, 1856

»Gut so! Nicht aufhören! Los, weiter! Reißt ihm das Herz aus dem Leib!«

Zum ersten Mal, seit die Schläge begonnen hatten, verging Courtland MacCarrick das höhnische Lächeln, das seine blutigen Lippen umspielte. Die harschen Worte des Generals waren ihm nur vage ans Ohr gedrungen, der ungeduldige Befehl hatte sich hohl und verschwommen angehört. Vielleicht lag es daran, dass Court nichts sehen konnte. Blut tropfte ihm aus einer Wunde auf der Stirn über die Augen, und seine Lider waren geschwollen.

Die Gefolgsleute des Generals rammten ihm ihre Fäuste in den Magen. Die Aussicht, einen Söldner – und noch dazu einen Rivalen – zu töten, versetzte sie in Erregung; es gelang ihnen kaum, sich zu zügeln. In seinem Zustand war Court so gut wie wehrlos, zumal seine Handgelenke gefesselt waren.

»Seien Sie gewiss, dass meine Männer mich rächen werden, wenn Sie mich töten«, stieß er atemlos hervor. »Wollen Sie das Wagnis auf sich nehmen, anstatt einfach Ihre Schulden zu bezahlen?« Sein Akzent war so stark wie vor Jahren, als er die schottischen Highlands verlassen hatte.

»MacCarrick, niemand wird Ihren Tod rächen«, erwiderte General Reynaldo Pascal ungerührt, »denn Ihre gesamte Truppe wird ebenfalls ausgelöscht werden.«

»Meine Leute werden Sie verfolgen, bis Sie sie vom Erdboden getilgt haben.« Der General seufzte. »Wie dem auch sei …«, Court konnte sich bildhaft vorstellen, wie der Mann ungeduldig mit der Hand winkte, »… sorgt dafür, dass sein Leben qualvoll zu Ende geht.«

»Sie wollen sich nicht selbst um die Angelegenheit kümmern?«

Der General lachte leise. »Sie sollten es besser wissen. Ich habe Männer in meinen Diensten, die die Drecksarbeit für mich erledigen.«

»Aye, aber ist diesen Dummköpfen auch klar, dass Sie ihnen den Lohn schuldig bleiben werden?«, rief Court über die Schulter, während die beiden Männer ihn wegschleppten.

Sie zerrten ihn aus dem Zimmer und die Treppe hinunter nach draußen auf die heruntergekommene, mit Schiefergestein gepflasterte Straße.

Kaum spürte er die Sonnenstrahlen auf dem Gesicht, hörte er auch schon, wie eine Frau aufstöhnte.

»Mare de Déu«, murmelte ein alter Mann entsetzt.

Aber Court wusste nur zu gut, dass die Menschen hier nichts tun würden, als beide Augen fest zuzukneifen und schnellstens die Kinder ins Haus zu holen. Die Furcht vor Pascal war zu tief verwurzelt. Selbst wenn man Court mitten im Dorf in vier Hälften zerlegen würde wie Schlachtvieh, so würde niemand auch nur einen Finger krumm machen, um ihn zu retten.

Trotzdem hatte er nicht das Gefühl, dass sie die Richtung zum Marktplatz einschlugen. Das Geräusch von fließendem Wasser drang an sein Ohr, und er begriff, dass sie ihn zum Fluss vor dem Dorf schleppten.

»Keine Exekution mitten im Dorf?«, stieß er mit rauer Stimme hervor. »Geben Sie acht, dass ich mich nicht gekränkt fühle.«

»Wir sind vorsichtiger geworden mit unseren … Handlungen«, erwiderte der Mann zu seiner Linken.

»Zu spät. Pascal hat ganz Spanien in Zorn versetzt«, stieß Court im Tonfall tiefer Überzeugung hervor, obwohl er in Wahrheit kaum noch zu hoffen wagte, man würde ihn am Leben lassen.

»Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir bereit sein«, entgegnete der andere Mann, kurz bevor er ihn rücklings gegen ein Brückengeländer drängte.

Direkt unter ihnen befand sich der Riu Valira. Nach schweren Regenfällen im Norden verwandelte er sich immer in einen wütenden Strom mit reißenden Wasserfällen. Angestrengt versuchte Court sich zu erinnern, wie hoch die Brücke war. Würde der Valira tief genug sein?

Er hörte, wie ein Messer aus einer Scheide gezogen wurde.

»Wenn ihr das jetzt tut«, flüsterte Court gefährlich leise, »werden meine Männer und meine Sippe euch verfolgen, bis ihr vernichtet seid. Sie leben, um zu töten.« Und sie töten für ein Leben.

Ihm war bewusst, dass seine Worte die Kerle nicht einen Herzschlag lang davon abhalten würden, ihm den tödlichen Stich zu verpassen. Denn es handelte sich nicht einfach um zwei Leute aus der Armee des Generals; diese beiden Männer waren Mörder. Sie gehörten zu den Rechazados, dem Orden der Abtrünnigen. Court wollte Zeit schinden. Zeit, um sich zu orientieren. Jede Sekunde Verzögerung verschaffte ihm neue Möglichkeiten …

Wenn er jetzt sprang, würden sie ihn nicht den Fluss entlang verfolgen. Sie würden an seinen erbärmlichen Zustand denken, die gefesselten Hände und die reißenden Wasserfälle. Sie wären überzeugt, dass er ohnehin ertrinken würde.

Unglücklicherweise würden sie wahrscheinlich recht behalten …

Die Spitze des Messers wurde ihm an die Brust gedrückt, als suchten die Rechazados nach der geeigneten Stelle, ihm den tödlichen Messerstich zu versetzen. Es war beinahe ein beruhigendes Gefühl, weil er wenigstens wusste, wo sich das Messer befand. Doch plötzlich … war es verschwunden. Sie holten zum entscheidenden Stoß aus.

Court ließ sich nach hinten fallen, stieß sich mit aller Kraft über das Geländer, schwang die Beine kopfüber und landete im eiskalten Wasser. Der Aufprall betäubte ihn fast, und sein Körper empfand den Schlag, als wäre er gegen eine Wand gekracht. Er sank so tief hinab, dass der Druck immer größer wurde und der Schmerz ihm bis in die Ohren pochte. Mit gefesselten Händen kämpfte er sich aufwärts.

Gegen seinen Instinkt zwang er sich, mit dem Gesicht nach unten an der Wasseroberfläche zu treiben, als sei er tot. Er spürte den mächtigen Sog des Wassers; ihm wurde klar, dass er kopfüber die Wasserfälle hinunterstürzen würde, wenn er in dieser Haltung verharrte.

Die Rechazados schossen in dem Augenblick, als die reißende Flut ihn über den Rand des Flussbeckens treiben wollte. Die Kugeln pflügten so dicht neben ihm durchs Wasser, dass er den Aufprall spürte. Aber er zuckte noch nicht einmal zusammen, als er zu tauchen gezwungen war und den Wasserfall hinabstürzte, bis er endlich in den Hauptarm des Flusses gespült wurde.

Stromschnellen schienen den Fluss zum Kochen zu bringen, der ihn mit sich fortriss. Als Court es nicht mehr aushielt, hob er den Kopf, um Atem zu schöpfen, bekam aber fast nur Schaum in die Lungen.

Der aufgewühlte Fluss trieb ihn auf eine Gruppe von Felsbrocken zu. Er prallte gegen sie, wurde hin und her geschleudert, doch das spülte ihn auch wieder an die Wasseroberfläche, sodass er Luft holen konnte. Aber sein Gewicht zog ihn in immer wieder auf den Grund des Stromes, der von scharfkantigen Schieferplatten bedeckt war. Sie zerfetzten ihm die Kleidung, dann zerschnitten sie seine ungeschützte Haut. Trotzdem gab er den Kampf nicht auf und schaffte es, sich zu drehen. Mit den Füßen voran trieb er weiter. Das Wasser hatte das Blut von seinem Gesicht gewaschen und die eisige Kälte die Schwellungen ein wenig abklingen lassen, sodass er die Augen einen kleinen Spalt zu öffnen vermochte. Es kostete ihn seine letzten Kräfte.

Court sah einen aus dem Wasser ragenden Felsen, dem er entgegentrieb. Als er ihn erreichte, schnellte er mit letzter Kraft hoch und schlang die gefesselten Arme um den Stein. Die Strömung riss und zerrte unablässig an ihm, bis die Fesseln ihm schmerzhaft in die Gelenke schnitten. Es kümmerte ihn nicht. Keuchend schnappte er nach Luft und ruhte sich kurze Zeit aus, bevor er aufs Neue der Gnade des tobenden Flusses ausgeliefert war.

Er verlor sekundenlang das Bewusstsein, erwachte wieder, verlor erneut das Bewusstsein … es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Strömung endlich nachließ und der Fluss ruhig dahinströmte. Erst jetzt bemerkte Court, dass die eisige Kälte seine schlimmsten Schmerzen betäubt hatte. Genau genommen spürte er nur das Wasser, das sich wärmer anfühlte, als es ihn in ein Felsbecken am Fuße einer Anhöhe trug, in dem sich das Wasser sammelte. Plötzlich erfüllte ihn die unendliche Sehnsucht, sich der Dunkelheit zu überlassen, und diese Sehnsucht war fast stärker als sein Überlebenswille. Aber er zwang sich, sich auf eine Hand zu stützen und auf Knien das steinige Ufer hinaufzukriechen. Kaum hatte er es geschafft, brach er zusammen.

Die Sonne wärmte ihn und vertrieb die schlimmste Kälte. Court wusste nicht, wie lange er dort schon gelegen hatte, als ein Schatten auf ihn fiel. Mühsam blinzelnd öffnete er sein unverletztes Auge.

Seine gebrochenen Rippen schienen vor Schmerz aufzuschreien, als er die Luft scharf in die Lungen sog. Eine Frau mit schwarzem glänzendem Haar kniete neben ihm und musterte ihn aus großen grünen Augen. Vor Überraschung hatte sie die Lippen leicht geöffnet. Um ihren schlanken Hals trug sie ein Samtband mit einem ungewöhnlichen, schimmernden Stein daran. Ein Windstoß blies ihr eine Locke aus dem Gesicht, als sie sich zu Court hinunterneigte.

Atemberaubend. »Aingeal …«, murmelte er und widerstand abermals dem Verlangen, in Dunkelheit zu versinken.

»Nun, ist das nicht perfekt«, erwiderte sie mit beißendem Sarkasmus, während sie sich erhob und die Hände in die Hüften stützte, »einfach perfekt? Das Tier ist am Leben.«

Tee.

Annalía Elisabet Catherina Tristán, Tochter der Familie Llorente, war ausgeritten, um den Nachmittagsteetisch mit Blumen zu verschönern. Und wo gediehen die Sumpfdotterblumen besonders prächtig? Am Fluss. Am verfluchten Fluss, der offenbar verfluchte Söldner ans Ufer spülte.

Als sie von Weitem die Gestalt gesehen hatte, hatte sie nicht gewusst, was sie davon halten sollte. Vielleicht war es ein Schäfer, der während des Gewittersturms weiter nördlich in den Valira gestürzt war? Als sie näher gekommen war, hatte sie erkannt, dass der Riese, der dort am Ufer lag, keinesfalls ein Schäfer war. Und auch seine Nationalität war ihr klar geworden, trug er doch einen dicken, breiten Gürtel, wie er hierzulande nicht üblich war. Und an diesem Gürtel hing ein großer Stofffetzen, der einmal zu einem Plaid gehört haben musste.

Der Plaid eines Schotten. Und ›Schotte‹ war gleichbedeutend mit ›Mörder‹.

Sie stöhnte ein weiteres Mal verzweifelt und ruckte an den Zügeln, damit Iambe, ihr Jagdpferd, weiterging. Das Pferd hatte nicht nur sie zu tragen, sondern es musste zusätzlich den Schotten ziehen. Weder sie noch Iambe waren solche Anstrengung gewohnt. Annalía seufzte tief – sie zählten eher zu den Vollblütern, die für andere Aufgaben geboren waren. Auf eine Rettungsaktion war sie wahrhaftig nicht vorbereitet gewesen – oder überhaupt auf irgendetwas anderes, als Blumen zu pflücken. Dementsprechend spärlich waren die Hilfsmittel, die sie mit sich führte. Sie hatte nicht mehr tun können, als dem Mann ein Seil um Arme und Brust zu knoten, und ein weiteres Seil um ihn zu schlingen und es am Sattel zu befestigen.

Warum machte sie sich überhaupt die Mühe, ihn den steilen Berg hinauf zu sich nach Hause zu schleppen? Die Schotten waren verhasst in Andorra. Und dennoch führte sie den Mann direkt zu dem Weg zwischen den Felsspalten, der auf die drei höher gelegenen Plateaus führte, die das Herrenhaus vom Fluss trennten. Ihre Vorfahren hatten diesen Weg angelegt, und seit fünfhundert Jahren sorgte er dafür, dass die Pferde auf dem Grund und Boden blieben – und die Fremden draußen.

Bestimmt gehört er zu den Söldnern aus den Highlands, die Pascal ins Land geholt hat, überlegte Annalía. Aber was, wenn ausgerechnet dieser Schotte aus ganz anderen Gründen hergekommen war? Und wenn sie ihn sterben ließ? Sie bildete sich ein, dass er sie ›Engel‹ genannt hatte. Er hatte unendlich erleichtert gewirkt, als er sie angeschaut hatte, und es schien, als hätte er das vollste Vertrauen, dass sie ihn retten würde.

Und falls er zu Pascals Leuten gehörte? Auch dann würde sie ihn heilen müssen – aber nur, um ihn anschließend eigenhändig zu töten.

Sie erreichte den See, dem Casa del Llac seinen Namen verdankte, und ritt kurze Zeit später auf den großen Hof des Herrenhauses ein. »Vitale!«, rief Annalía erschöpft nach ihrem Diener, aber niemand antwortete. Wo steckte der Kerl bloß?

Bestimmt hat er sich zum Rauchen verzogen, dachte sie unwillkürlich. »Vitale!« Ohne die Anwesenheit ihres Bruders würde dieses Anwesen über kurz oder lang verkommen, befürchtete sie.

»Ich weiß genau, dass du dich hinter dem Stall versteckt hast, um zu rauchen. Aber das interessiert mich jetzt nicht!«

Vitale leVieux schob das schroffe Gesicht verstohlen um die Ecke des Stallgebäudes. »Ja, Mademoiselle«, begann er und schnappte nach Luft, als er den verletzten Mann erblickte. Das krause graue Haar schien ihm zu Berge zu stehen, als er zu ihr gelaufen kam. »Was haben Sie da angerichtet?«, rief er mit starkem französischem Akzent. »Der Mann ist Schotte! Sehen Sie doch nur das Plaid! Das muss einer dieser blutrünstigen Highlander sein, die der General angeheuert hat!« Er zögerte kurz. »Warum wollen Sie ihm das Leben retten?« »Was, wenn er kein Söldner ist?« Annalía warf ihm einen gereizten Blick zu. »Wirst du mir helfen? Du musst den Doktor holen.«

»Der Doktor ist in den Norden geritten. Zu Ihrem Bruder und seinen Leuten.« Vitale musterte den am Boden liegenden Mann. Es schien, als registriere sein Blick jeden Zentimeter des geschundenen Körpers. »Außerdem bringen wir die Verletzten sonst immer zu Ihnen.«

»Ihr bringt mir verwundete Tiere und Kinder, aber keine blutüberströmten Riesen, denen jeder Knochen im Leib zerschlagen ist«, korrigierte sie ihn. »Jetzt hilf mir, ihn in die Kammer neben dem Stall zu verfrachten.«

»Die Kammer kann man nicht abschließen! Er wird uns die Kehle aufschlitzen, während wir tief und fest schlafen!«

»Wohin dann mit ihm?«

»Wir sollten ihn ins Herrenhaus schaffen. Weil wir ihn dort in einem der Schlafzimmer einschließen können«, schlug Vitale schließlich vor.

»Im Erdgeschoss gibt es nur einen einzigen Raum, der abgeschlossen werden kann«, widersprach sie. »Das Arbeitszimmer. Und das ist streng privat. Ich will nicht, dass er Einblick in unsere geschäftlichen Angelegenheiten bekommen könnte.«

Vitale trat dem Mann kräftig in die Hüfte und schnaubte, als der sich nicht rührte.

»Vitale!«

Mit ungerührter Miene wandte er sich ihr zu. »Mademoiselle schlägt also vor, dass wir ihn nach oben bringen?«

»Das werden wir wohl kaum schaffen. Mein Pferd hatte schon Schwierigkeiten mit seinem Gewicht.«

Eine Horde Kinder kam herbeigerannt. Ihre erschrocken aufgerissenen Augen gemahnten Annalía an den Zustand, in dem sich die Kleidung des Mannes befand. Sie war beinahe vollständig zerfetzt. Auf dem Oberschenkel prangte ein tiefer Riss; er reichte fast bis … Sie streckte ihm die Beine und breitete ihren Rock über ihm aus, sodass sie ihn halbwegs bedeckte. »Geht weiter«, befahl sie mit strenger Stimme.

Die Kinder schauten Vitale an. »Knüpft die Stricke los und kümmert euch um das arme Pferd«, ordnete er an und verdrehte die Augen, bevor er sich wieder ihr zuwandte.

»Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, ihn nach oben zu bringen, dann schaffen wir es auch. Übrigens, wäre es sehr schlimm, wenn wir ihn dabei fallen ließen?«

Mithilfe der Kinder gelang es ihnen, den Mann zum Herrenhaus und die Treppe hinauf in das nächstgelegene Schlafzimmer zu bringen. Obwohl sie vor Erschöpfung die Hand ins Kreuz presste wie ein Waschweib am Abend eines anstrengenden Tages, war Annalía bewusst, dass sie ihn noch würde versorgen müssen.

Während Vitale die neugierigen Kinder aus dem Zimmer scheuchte, untersuchte sie ihren Patienten, stellte ein gebrochenes Handgelenk fest und vermutete, dass einige Rippen ebenfalls gebrochen waren. Sie zog sich die Reithandschuhe aus und fuhr mit den Fingern über seine Stirn und durch das dichte, feuchte Haar an seinen Schläfen. Dabei ertastete sie eine hässliche Beule und entdeckte eine zweite Kopfverletzung. Seine Augen waren zugeschwollen, sodass er sie selbst im wachen Zustand nicht hätte öffnen können. Zu allem Überfluss war seine Haut übersät mit Schnittwunden, die er sich zweifellos zugezogen hatte, als die Strömung ihn dicht über den steinigen Grund des Flusses gerissen hatte. »Ich brauche eine Schere. Und Verbandszeug. Bring mir zwei große Holzlöffel. Außerdem benötige ich heißes Wasser.«

Vitale atmete so geräuschvoll aus, als sei er vollkommen erschöpft. »Sofort«, entgegnete er und murmelte ein paar unverständliche Worte, aus denen man den beißenden Sarkasmus dennoch heraushören konnte.

Sie schenkte ihm kaum Beachtung, als er mit den gewünschten Dingen zurückkehrte, und murmelte einen Dank.

Vitale verbeugte sich schweigend und machte auf dem Absatz kehrt.

Und dann war Annalía allein. Mit dem großen, Angst einflößenden Schotten.

Hatte sie nicht eigentlich jetzt ihren Tee trinken wollen?

Annalía bedeckte ihren Patienten mit einem Laken und mühte sich dann, darunter blind die zerfetzten Hosen aufzuschneiden. Konzentriert schürzte sie die Lippen, setzte die Schere an – und riss die Hand abrupt zurück. Denn sie war sich ziemlich sicher, dass sie ihn in die Hüfte gestochen hatte.

Also konzentrierte sie sich auf die andere Seite, versuchte es wieder und stach ihm die scharfe Spitze der Schere abermals in die Haut. Diesmal stöhnte er auf, und sie sprang erschrocken zurück. Sie hätte ihr teuerstes Porzellanservice verwettet, dass kein echter Mann es dulden würde, dass eine erschöpfte Frau mit einer Schere blind in der Nähe seines Gemächts herumfuchtelte.

Annalía schlug das Laken hinunter bis zu seiner Hüfte, um die Reste seines Hemdes wegzuschneiden. Die Stiefel hatte Vitale ihm bereits ausgezogen, weil sie kein unnötiges Gewicht hatten gebrauchen können, als sie ihn die Treppe hinaufgeschleppt hatten. Und so blieb wieder nur … die Hose.

Sie biss sich auf die Unterlippe, öffnete den durchnässten Gürtel und zog ihn unter ihm fort. Sein Bauch war flach, wie sie bemerkte, die harten Muskeln zeichneten sich deutlich ab, und in der Mitte führte eine Spur von schwarzen Haaren tiefer zu seinen Lenden.

Der Mann war unglaublich schwer. Und doch war kein Gramm überflüssiges Fett an ihm. Ein starker Körper, dachte sie unwillkürlich. Die Wunden würden schnell verheilen, wenn sie ihm half. Aber noch nie zuvor hatte sie einen erwachsenen Mann vollkommen nackt gesehen. Niemand hier ging nackt schwimmen. Hier in den Bergen ging man nicht so sorglos mit Nacktheit um wie im benachbarten Spanien oder in Frankreich. Und er würde vollkommen unbekleidet vor ihr liegen, wenn es nötig wäre und sie es wollte …

Nein, du willst es nicht!, befahl sie sich energisch und straffte die Schultern. Du darfst noch nicht einmal daran denken! Sie wurde hier und jetzt als Krankenschwester gebraucht, eine Lady war sie immer und jeden Tag. Sie öffnete ihm die Hose, schenkte den fremden, faszinierenden Formen und Konturen, die ihre Hände flüchtig streiften, aber keine Beachtung. Nachdem sie das Kleidungsstück geöffnet hatte, war sie in der Lage, den Stoff um seinen Körper herum zu zerschneiden und ihn wegzuziehen, bis sie ihn entkleidet hatte; die ganze Zeit über versuchte sie, ihn mit einem Laken vor ihren Blicken zu verbergen. Meist gelang es ihr auch.

Annalía wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und arbeitete weiter. Sie schiente sein Handgelenk mit den beiden Holzlöffeln und umwickelte es straff mit Leinentüchern, bis sie ihm am nächsten Morgen einen Gipsverband würde anlegen können. Als sie fertig war, bettete sie ihm den Arm über den Kopf und spreizte den anderen Arm vom Körper ab, um seine Rippen abtasten zu können. Mühsam schlang sie ihm einen Verband um den Oberkörper. Seine Brust war breit, und ihn zu bandagieren bedeutete, dass sie über ihn greifen und ihn berühren musste.

Kaum war sie fertig, fühlte sie sich seltsam verwirrt und unruhig.

Obwohl sie nichts lieber getan hätte, als ein Bad zu nehmen und sich ins Bett zu legen, wanderte ihr Blick zurück auf seine gesunde Hand. Schließlich gab sie der Versuchung nach, beugte sich über das Bett und ergriff sie. Die Finger zeigten ebenso Verletzungen wie der übrige Körper, und die Haut am Handrücken war abgeschürft. Sie zog die Augenbrauen zusammen, als sie seine Handfläche flach gegen ihre drückte.

Annalía staunte, wie groß seine Hand war, wie ihre Hand in seiner verschwand, und presste die Fingerspitzen gegen seine. Falls er wirklich ein Söldner war – und daran konnte es keinen Zweifel geben, dachte sie, als sie die Narben betrachtete, die er sich in zahllosen Kämpfen zugezogen haben musste –, wie viele Gewehre und Messer und Schwerter musste er dann schon geführt haben? Diese Hand … hatte er sie jemals dazu benutzt, um einem anderen Menschen das Leben zu nehmen?

Welcher Teufel hatte sie geritten, als sie sich entschlossen hatte, diesen Mann in ihr Haus zu bringen?

Zwei Tage lang hatte Annalía sich gefragt, ob der Schotte das Bewusstsein wohl jemals wiedererlangen würde. Sie hatte Vitale bekniet, den Fremden jeden Tag zu waschen, und sie hatte ihn gebeten, ihr zu helfen, sein gebrochenes Handgelenk in einen Gipsverband zu legen. Danach hatte sie es sich angewöhnt, den Schotten mehrmals täglich zu untersuchen, und sie hatte ihm Brühe und Wasser eingeflößt.

Langsam hatten sich die Schwellungen um seine Augen und am Kiefer zurückgebildet. Aber sie vermutete, dass er auch unverletzt immer noch roh und ungehobelt aussehen würde.

Die Hitze des Morgens hatte sich im Haus gesammelt, und es war brütend heiß. Kein Wind wehte, und auch die Nächte, die in den Bergen gewöhnlich eine Abkühlung brachten, waren in diesem Sommer außergewöhnlich mild. Obwohl sie bereits nachgeschaut hatte, beschloss Annalía, noch einmal zu überprüfen, dass Vitale die Tür sorgfältig verschlossen hatte, nachdem er den Mann gewaschen hatte.

Doch wem wollte sie eigentlich etwas vormachen? Vitale war immer noch überzeugt, dass der Highlander sie im Schlaf ermorden würde, wenn sie nicht strengste Vorsichtsmaßnahmen ergriffen.

Sie wollte nachschauen gehen, weil sie eine innere Unruhe verspürte, und zu beobachten, wie seine Brust sich hob und senkte war … angenehm.

In der Tat, es war überaus angenehm, ihn zu berühren. Jeden Tag fuhr sie mit einer Fingerspitze über die schreckliche Wunde an seiner Schläfe, berührte die Abschürfungen auf seiner breiten Brust und an seinen muskulösen Armen. Der Anblick seines geschundenen Körpers hatte sich tief in ihr Gedächtnis eingeprägt, und sie würde sich noch lange an ihn erinnern.

Obwohl Annalía sich bewusst war, dass dieser Mann ihr Feind war, durchbrach seine Anwesenheit die Einsamkeit und die Langeweile in ihrem Haus. Weil ein Krieg drohte, waren viele ihrer Arbeiter in die Berge geflüchtet, in Regionen, die noch abgelegener waren als diese. Nur wenige Male im Monat gelang es ihr, eine Köchin und Dienstmädchen aus dem Tal zu sich zu holen. Annalías Eltern waren schon vor langer Zeit gestorben, und seit ihr älterer Bruder fortgegangen war, um gegen Pascal zu kämpfen, lebte sie allein im Herrenhaus. Sie hatte versucht, die Frauen der Arbeiter zum Bleiben zu bewegen, aber sie hatten sich in dem prächtigen Haus unbehaglich gefühlt. Sogar Vitale hatte es abgelehnt.

Bevor sie den Schotten aufgenommen hatte, war sie vollkommen allein in dem weitläufigen Haus gewesen. Und sie hatte es gehasst.

Kaum hatte Annalía die Tür aufgeschlossen, bemerkte sie, dass er sich im Bett hin und her gewälzt hatte. Der Schweiß perlte ihm auf der Stirn. Nachdem sie die Bandagen und den Gips überprüft hatte, fühlte sie seine Stirn, konnte aber kein Fieber feststellen. Vielleicht lag es an der stickigen Luft im Zimmer, dass ihm heiß war. Das Fenster stand zwar offen, doch brachte das keinerlei Erleichterung. Sie biss sich auf die Unterlippe und fragte sich, was sie tun könnte, um ihm Abkühlung zu verschaffen.

Entschlossen goss sie Wasser in die Schüssel auf der Kommode und feuchtete ein Stück Leinen an. Dann kehrte sie zum Bett zurück und tupfte dem Schotten Stirn und Nacken und die Brust oberhalb der Rippenbandage ab.

Nachdem sie sich verschämt umgeschaut hatte, lupfte sie das Laken zu beiden Seiten seiner Hüfte an, zog es hinunter und legte es akkurat so ab, dass sein Unterleib gerade eben bedeckt war. Mit zittrigen Händen griff sie wieder nach dem feuchten Tuch und betupfte die Haut unterhalb des Verbandes. Sie strich damit über seinen muskulösen Unterleib und verzog verwundert das Gesicht, als seine Muskeln reagierten, als sie sich anspannten und wieder lockerer wurden.

Unabsichtlich tropfte Wasser aus dem nassen Tuch auf das Laken und benetzte den Stoff, der seine Lenden bedeckte. Seine Männlichkeit zeichnete sich darunter ab, und Annalía konnte sie sogar noch deutlicher erkennen als an den Tagen zuvor. Denn sie war jetzt irgendwie größer und härter.

Annalía neigte den Kopf zur Seite und fragte sich, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn …

»Sag mal, Mädchen«, stieß der Schotte mit rauer Stimme hervor, »gefällt dir, was du siehst?«

2

Erschrocken schnappte die junge Frau nach Luft und ließ das Tuch zu Boden fallen. Das Tuch, mit dem sie seine Wunden so sorgsam und umsichtig abgetupft hatte, wie eine Krankenschwester, als er aufgewacht war. Doch schon bald hatten sich die Berührungen sinnlich und streichelnd angefühlt.

Die Absätze ihrer Schuhe klickten auf dem polierten Holzfußboden, als sie einige Schritte zurückwich. Court beobachtete, wie sie sich das Kleid glattstrich, wie sie nach dem perfekten Haarknoten im Nacken tastete und ihre schmalen Finger dann das Samtband an ihrem Hals berührten. Mit jeder Bewegung reckte sie das Kinn ein wenig höher.

»Ich … ich habe nur Ihre Pflege übernommen«, erklärte sie in betont korrektem Englisch.

Es war nicht der Schmerz gewesen, der Court wieder zu Bewusstsein gebracht hatte. Er war erwacht, weil er gespürt hatte, wie ihre Brüste seinen Oberkörper berührt hatten, als sie sich über ihn gebeugt hatte. Und dass ihre sanfte Hand auf seiner Hüfte gelegen hatte, während die andere über seine Haut geglitten war. Als das Wasser auf das Laken getropft war, hatte er im selben Augenblick den Duft ihres Haars wahrgenommen. Und ungeachtet seiner Verletzungen hatte sein Körper auf sie reagiert »Dann sollten Sie davon ausgehen, dass ich immer noch auf Ihre Pflege angewiesen bin.« Ihre Wangen färbten sich rot.

Court versuchte, sich im Bett aufzurichten, und verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse. Sein Blick fiel auf das Handgelenk mit dem Gipsverband. »Wer sind Sie?«, stieß er hervor. »Und wo bin ich?«

»Ich heiße Annalía Elisabet Catherina Tristán. Ich bin die Tochter der Familie Llorente und Herrin der Casa del Llac, wo Sie sich auch aufhalten.« Obwohl sie ein perfektes Englisch sprach, verriet ihr Akzent, dass es nicht ihre Muttersprache war. Voller Stolz hatte sie den Namen Llorente genannt. Er erinnerte sich dunkel daran, ihn schon einmal gehört zu haben, konnte ihn aber nicht einordnen.

»Wo haben Sie mich gefunden? Wie weit ist es bis zum Dorf?«

»Geradewegs den Berg hinunter an den Ufern des Valira, vier Pässe Richtung Süden.«

Vier Pässe entfernt? Er fragte sich, ob seine Männer ihn für tot hielten. Er musste ihnen dringend eine Nachricht zukommen lassen …

»Darf ich mich nach dem Namen meines … meines Gastes erkundigen?« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf ihn.

Aufmerksam musterte er ihr Gesicht, bemerkte die hohen Wangenknochen und die hellgrünen Augen, deren Farbe dem goldgrün schimmernden Stein ähnelte, der an ihrem Samtband hing. »Ich bin Courtland MacCarrick.«

»Sie sind Schotte.«

»Aye.« Kaum hatte er geantwortet, hätte er schwören können, dass ihre Augen traurig aufblitzten.

»Und Sie halten sich in Andorra auf, weil …« Sie brach ab.

Die Wahrheit wisperte durch seinen Kopf. Weil ich dafür bezahlt wurde, die Menschen hier zu tyrannisieren. »Ich bin auf der Durchreise.«

Die Traurigkeit, die er an ihr wahrgenommen hatte, schien zu verschwinden. »Wollen Sie mir ernsthaft weismachen«, erklärte sie hochmütig, »dass Sie ausgerechnet jenes kleine Land in den Pyrenäen für Ihre Durchreise ausgewählt haben, das für die höchsten Bergpässe Europas bekannt ist? Das nächste Mal sollten Sie einen großen Bogen um uns machen, wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf.«

Ihr herablassender Tonfall ärgerte ihn gewaltig. Außerdem schwoll der Schmerz in seinem Körper rapide an. »Ich bin Highlander. Ich liebe hohe Berge.«

Sie starrte ihn an und machte dann so abrupt kehrt, als könne sie es kaum erwarten, das Zimmer zu verlassen. Aber Court hatte längst noch nicht genug in Erfahrung gebracht.

»War ich den ganzen Tag bewusstlos?«, fragte er hastig.

Annalía warf einen sehnsüchtigen Blick zur Tür, bevor sie ihn wieder anschaute. »Heute ist Ihr dritter Tag in meinem Haus.«

Du lieber Himmel, drei Tage? Und seinen schmerzenden Rippen nach zu urteilen, würde es noch mindestens eine ganze Woche dauern, bis er wieder in einem Sattel sitzen konnte. »Wie bin ich hierher gelangt?«

Sie zögerte. »Ich habe Sie am Ufer gefunden und zu mir heraufgebracht«, erwiderte sie schließlich.

»Sie?«

»Mein Pferd und ich. Es ist uns recht gut gelungen.«

Er war beinahe ein Meter neunzig groß und wog mehr als hundertsechzig Pfund. Niemand konnte sich besser vorstellen als er, wie schwer es gewesen sein musste, ihn den Berg hinaufzuschleppen – selbst mit einem kräftigen Pferd.

Court schuldete ihr Dank, und nichts war ihm so verhasst wie Schulden. »Dann haben Sie mir also das Leben gerettet«, stieß er mit rauer Stimme hervor und zwang sich, die verhassten Worte auszusprechen. »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet.«

Sie nickte und wandte sich zum Gehen. Aber er wollte nicht, dass die Frau ihn schon verließ. »Annalía«, sagte er, weil es der einzige Name aus der langen Reihe war, an den er sich erinnern konnte.

Sie riss die Augen auf und wirbelte herum. »Für jemanden wie Sie bin ich immer noch Lady Llorente! Sie tun sich einen großen Gefallen, das nicht zu vergessen.«

Er zog die Brauen zusammen. Nein, seine Erinnerung trog ihn nicht. »Warum haben Sie mich unten am Fluss als ›Tier‹ bezeichnet? Wegen meines erbärmlichen Zustands? Und vor allem … wie kommen Sie dazu, jemandem wie mir das Leben zu retten?«

Sie zuckte die schmalen Schultern. »Einem räudigen, tollwütigen Wolf würde ich sicher unnötiges Leid ersparen …«

»Sie halten mich für einen räudigen, tollwütigen Wolf?« In seinen Schläfen setzte ein heftiger, pochender Schmerz ein.

Annalía streckte die Hand aus und betrachtete eingehend ihre Fingernägel, um ihre Verachtung deutlich werden zu lassen. »Ließen Sie eine Lady ausreden, dann hätten Sie längst erfahren, dass ich mich unter mein Niveau begeben habe, indem ich Sie bei mir aufgenommen habe.«

Er wäre verrückt, wenn er dieser selbstgefälligen Andorranerin mitsamt ihrer gerümpften Nase erlauben würde, ihn weiterhin mit ihrer Arroganz zu überschütten. »Eine Lady?«, schnaubte er wütend und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. »Allein mit mir? Ohne Anstandsdame?« Er lüpfte das Laken und grinste süffisant. »Und Sie haben einen recht langen Blick riskiert. Wenn Sie wirklich eine Lady sind, wie kommt es dann, dass Sie kurz davor waren, mich vollends in die Hand zu nehmen?«

Entsetzt schnappte sie nach Luft. »Ich … ich habe nur …«

»Ich gebe zu, dass Sie nicht so aussehen, als seien Sie es gewohnt, Männer in ihrem Zimmer aufzusuchen und sie …. zu unterhalten.« Unverhohlen musterte er sie von Kopf bis Fuß. »Aber ich gehe jede Wette ein, dass Sie ein Naturtalent sind. Mir scheint, es liegt Ihnen im Blut.«

Wie vom Schlag getroffen stolperte Annalía rückwärts und öffnete den Mund, um empört aufzuschreien, doch sie brachte keinen Ton über die Lippen.

Court schaute ihr überrascht nach, als sie wortlos und – wie es schien – mit hängenden Schultern aus dem Zimmer lief. Er begriff nicht, warum sie entsetzt die Flucht ergriffen hatte, und auch das Schuldgefühl, das sich plötzlich in seiner Brust einnistete, war ihm vollkommen unbekannt. Während er versuchte, sich im Bett aufzurichten, fragte er sich jedoch, warum ein kaltherziger Bastard wie er es eigentlich bedauerte, eine Frau beleidigt zu haben, die ihn mit einem Tier – nein, schlimmer noch: mit einem räudigen Wolf – verglichen hatte.

Warum hatte sie so heftig reagiert?

Und warum hatte er nicht die Ruhe bewahrt? Er war entschlossen, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

Seit Annalía zum ersten Mal von solchen Frauen gehört hatte, war sie von der Furcht erfüllt gewesen, zu ihnen zu gehören.

Sie hatte maßlose Angst, dass sie zu den Menschen gehören könnte, die allein ihren Begierden folgten und sich blindlings ihren Leidenschaften unterwarfen, obwohl es sie in den Ruin trieb. Bestürzt hatte sie festgestellt, dass der Anblick der muskulösen Brust des Highlanders sie für Stunden fesseln konnte. Und es hatte sie beinahe um den Verstand gebracht, dass jeder Blick auf seine Männlichkeit, die sich unter dem dünnen Laken abzeichnete, ihr Herz förmlich zur Raserei trieb.

Und es übertraf ihre allerschlimmsten Befürchtungen, dass jetzt ein ungehobelter, barbarischer Schotte sie unverhohlen gemustert hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass sie es ›im Blut hatte‹.

Wie ihre kastilianische Mutter.

Bisher war es einfach für Annalía gewesen, ihre wahre Natur zu verbergen. Wenn ihr im Dorf gelegentlich Gerüchte über ihre Heißblütigkeit zu Ohren gekommen waren, hatte sie diese ignoriert. Sie war vollauf damit beschäftigt gewesen, sich um ihr Anwesen und die Bediensteten zu kümmern. Aber nachdem sie den Schotten bei sich aufgenommen hatte, war jede Nacht zu einer Qual geworden.

So, wie die vergangene Nacht, als sie im Bett gelegen und an seinen Körper gedacht hatte – seinen Körper, den sie berührt und erkundet hatte –, bis sie sich quälend langsam das Nachthemd aufgeknöpft und ihre vollen Brüste entblößt hatte. Die laue Nachtluft hatte ihre erhitzte Haut gestreichelt, hatte sie zum Prickeln gebracht, hatte … die Sehnsucht in ihr geweckt.

Wie hätte sie die drängenden Gefühle benennen sollen, die sie in der Nacht verspürt hatte? Sie wusste es nicht. Begierde konnte es nicht sein, denn es verlangte sie nicht nach irgendeinem Mann. Deswegen hatte sie geglaubt, dass es sich um Sehnsucht handeln müsse. Doch sie hatte wahres Verlangen empfunden, und es war so stark gewesen, dass sie schließlich ihre Brüste gestreichelt hatte und mit den Fingerspitzen ihren Leib hinuntergeglitten war.

Ein Geräusch hatte sie dann erschreckt – es war nur die knarrende Holztreppe gewesen –, aber sie hatte ihre Hand beschämt fortgerissen.

Es war nicht nur so, dass sie zu jenen Frauen gehörte. Sie befand sich allein in ihrem Haus – mit einem Mann, der zudem über sie Bescheid wusste.

Nachdem es ihr endlich gelungen war, den Schlüssel ins Schloss seiner Tür zu stecken und sie zu verschließen, lief sie zur Wiese vor dem Haus.

Auf dem Weg dorthin begegnete ihr Vitale. »Was ist geschehen?«, rief er. »Sie sind ja leichenblass.«

»Nichts. Der Schotte ist wieder bei Bewusstsein.«

»Ist er ein Söldner?«

»Ich bin mir fast sicher. Und ich bin überzeugt, dass es sich um einen ziemlich widerwärtigen Kerl handelt.«

Immerhin würde er so bald wie möglich verschwinden. Annalía war sich sicher, dass er es kaum erwarten konnte, endlich wieder das Messer wetzen zu dürfen. Oder Schießübungen mit Pistolen zu machen. Oder unschuldige Menschen zu töten oder was Söldner sonst gern taten.

»Hat er Ihnen Angst gemacht oder Sie bedroht?«

»N… nein, nicht direkt.«

»Warum können Sie auch nie auf mich hören!« Vitale gestikulierte so lebhaft wie ein echter Franzose und sah Annalía aufmerksam an. »Der Schotte dürfte noch ziemlich geschwächt sein. So schwach, dass wir ihn wieder ins Wasser werfen könnten wie einen schlechten Fang!«

»Vitale!« Unbewusst rieb Annalía sich mit der Hand über den Nacken. Sie drehte sich um, schaute zum Haus zurück und wunderte sich über das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Ausgeschlossen, dass er sich von seinem Krankenlager erhoben haben könnte. Nein, dazu waren die Verletzungen viel zu schwer. Doch die Sonne schien ihr direkt in die Augen, sodass sie sich nicht vergewissern konnte. »Vitale, es wird nicht mehr lange dauern, bis er wieder aus unserem Leben verschwunden ist. Eines Tages werden wir in sein Zimmer kommen und feststellen, dass er mitsamt unserem Silber auf und davon ist«, bemerkte sie, blinzelte ein letztes Mal gegen die grelle Sonne und setzte ihren Weg zur Wiese fort.

Kaum war sie dort angekommen, ließ sie sich auf den Teppich aus Narzissen sinken, der das gesamte Stückchen Land bedeckte. Schon immer hatte sie es genossen, sich im Duft der Blumen zu verlieren. Sie hatte sich ihren Tagträumen hingegeben, während sie den Blick über den See und noch weiter hinaus auf jenen Fluss hatte schweifen lassen, der sich in der Ferne durch die Berglandschaft wand.

Auf dem Plateau direkt unter ihr weideten ihre wertvollen Pferde, deren Fell kupferrot in der Sonne glänzte. Auf dem untersten Plateau, das das Flussufer bildete, leuchteten die Häuser des Städtchens Canolich in mattem Gelb. Hoch oben bei ihr prangte ein Meer aus weißgelben Blüten. Sie pflückte eine Blume, sog deren Duft ein und schloss die Augen vor Glück …

Er hatte gesagt, dass es ihr im Blut lag! Annalía riss die Augen auf. Was hatte sie an sich, dass die Menschen immer wieder zu dieser Schlussfolgerung kamen, wenn sie mit ihr zu tun hatten? Wie konnte es sein, dass er abschätzige Bemerkungen machte, obwohl sie sein Leben gerettet hatte? Berührungen waren unvermeidlich, wenn man einen Mann pflegte … und dass man dabei seinen Körper sah, war beim besten Willen nicht zu verhindern.

Das gilt besonders für die Stellen, die von ganz allein Aufmerksamkeit erregen, dachte sie und spürte, dass sie zitterte.

Du solltest die Geschichte schnellstens vergessen, mahnte sie sich, warum verbannst du sie nicht einfach aus deinen Gedanken? Mochte sie auch eine jener besagten wollüstigen Frauen sein, nichtsdestotrotz war sie zu einer Lady erzogen worden. Und eine echte Lady glänzte förmlich darin, unliebsame Gedanken zu verbannen. Annalía senkte den Blick und stellte fest, dass sie die Blume in ihren Händen zerdrückt hatte.

Schon bald würde der Schotte wieder fort sein, und in ihrem Alltag würde alles seinen gewohnten Gang gehen.

Und das hieß, dass ihr Leben freudlos und voller Kummer sein würde. Sie wartete dringend auf Nachrichten von ihrem Bruder Aleixandre. Er war der einzige Mensch, der ihr von ihrer Familie noch geblieben war. Seit über einer Woche hatte sie nichts mehr von ihm gehört, und die Sorge um ihn raubte ihr den Schlaf.

Zum ersten Mal seit Tagen wehte wieder eine frische Brise, die das Gras in Wellen niederbog. Der Wind spielte mit den Haarlocken, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten. Hier draußen empfand Annalía selten das Bedürfnis, die widerspenstigen Strähnen zurück an ihren Platz zu streichen, dennoch tat sie es und pflückte noch ein paar Blumen.

Selbst wenn ihr Bruder den General in die Flucht geschlagen hätte und zurückgekehrt wäre, wäre sie noch nicht außer Gefahr. Aleix wünschte, dass sie heiratete; der Sieg über Pascal hätte ihr in der Angelegenheit nur einen Aufschub verschafft. Als ihr Vater vor zwei Jahren gestorben war, hatte sie die Schule verlassen und nach Hause zurückkehren müssen, damit die Eheschließung in die Wege geleitet werden konnte. Pascal war just in dem Augenblick aufgetaucht, als Aleix mehrere Kandidaten in die engere Wahl gezogen hatte.

Obwohl sie sich nie zuvor begegnet waren, hatte Pascal sie damit überrascht, dass er um ihre Hand angehalten hatte – bevor er sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Aleix hatte abgelehnt und damit den Zorn des Generals auf sich gezogen. Die grausame Armee des Generals bestand aus Söldnern und Deserteuren. Schon bevor Pascal diese Region erobert hatte, hatte Annalías Bruder ihm nicht über den Weg getraut.

Immer wieder äußerte Aleix sein Bedauern darüber, dass er sie nicht früher zur Heirat gezwungen hatte. Mit einundzwanzig Jahren war sie mehr als alt genug. Außerdem war sie für die Ehe geboren und erzogen worden. Aber noch nie war sie einem Mann begegnet, mit dem sie ihr ganzes Leben verbringen wollte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, all die verwirrenden Dinge zu tun, über die die Mädchen in der Schule getuschelt hatten. All die schmerzhaften, gewalttätigen Dinge, die man tat, wenn die Nacht angebrochen war … ganz gleich, wie sehr sie sich danach sehnte. Jedes Mal, wenn sie sich vorstellte, solche Dinge mit einem der Männer zu tun, die sie kennenlernte, zuckte sie innerlich zusammen.

Außerdem hatte sie Aleix und Mariette geholfen, sich um ihr Kind zu kümmern. Sie war so in ihrer Aufgabe aufgegangen, dass kein Mann sie hatte in Versuchung führen können.

Aber jetzt gab es kein Kind mehr. Und keine Mariette. All das Glück, das Aleix begleitet hatte, war mit ihnen gestorben.

Annalía drehte sich abrupt in Richtung Haus. Plötzlich beschlich sie wieder das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Sie beschattete die Augen mit der flachen Hand, während ihr Blick die Fenster absuchte.

Die Gardinen im Zimmer des Highlanders wehten sanft zur Seite – und schwangen dann wieder an ihren Platz.

3

Warum, zum Teufel, ist sie noch nicht zurückgekommen?, fragte Court sich irritiert.

Vitale, dieser alte Franzose, der ihn mal mit Schweigen und dann wieder mit ätzenden Bemerkungen bedachte, hatte ihn misstrauisch beäugt, als er ihm das Essen gebracht und das Zimmer ausgefegt hatte. Aber die Frau hatte offenbar nicht vor, nach ihm zu sehen.

Immerhin hatte sein Zustand sich gebessert. Er fühlte sich nicht mehr so schwach und empfand sogar eine gewisse Unruhe. Und er war wieder in der Lage, sich ohne Hilfe anzuziehen. Die Kleider, die er trug, waren geliehen, von Annalías Bruder – dem ›Herrn‹, wie Vitale ihn nannte.

Courts einzige Abwechslung waren Ausflüge zum Fenster. Zum Glück tanzten nicht länger schwarze Punkte vor seinen Augen, wenn er sich erhob. Er hatte noch nie zu den Leuten gehört, die lange untätig im Bett verharren konnten, obwohl er nichts anderes getan hatte, seit er vor vier Tagen aus der Bewusstlosigkeit erwacht war. Womit sonst sollte er sich die endlose Langeweile vertreiben, wenn nicht mit einem Blick aus dem Fenster, zumal dann, wenn er sie beobachten konnte? Und weil er nichts anderes zu tun hatte, tat er das die meiste Zeit.

Er musste zugeben, dass er es genoss, ihr zuzusehen, wie sie mit den Kindern im Hof spielte, wie sie die lachenden und kreischenden Gören durch die Gegend jagte. Ganz gleich, wie müde und erschöpft Annalía auch wirkte, jedes Kind bedachte sie mit der gleichen Aufmerksamkeit. Sogar dann, wenn sie aussah, als würde sie sich am liebsten hinsetzen und ausruhen.

Dann wieder beobachtete er sie dabei, wie sie atemlos von einem morgendlichen Ausritt nach Hause zurückkehrte, und ihr wunderschönes Haar schien sich energisch gegen die Bänder zu wehren, die es im Zaum halten sollten. Ihre Haltung im Sattel wirkte stolz, beinahe anmaßend und großspurig, und er musste jedes Mal den Kopf schütteln, wenn er sie so sah. Solche Momente waren ihm höchst willkommen, weil er ihre Arroganz vergessen konnte. Für andere Menschen hatte sie sogar dann noch ein Lächeln übrig, wenn ihr Blick zerstreut wirkte. Oft fragte er sich, warum sie ihre Brauen zusammenzog, wenn sie der Meinung war, dass niemand sie beobachtete …

Die Uhr im Erdgeschoss, die Court noch nie gesehen hatte, schlug acht Mal. Unwillkürlich verspannte sich sein Körper wie der eines dressierten Hundes, und er erhob sich, um sich die geliehenen Hosen anzuziehen. Wie jeden Tag um diese Uhrzeit ging er zum Fenster, weil die Eingangstür innerhalb der nächsten fünf Minuten mit lautem Ächzen geöffnet werden würde.

Pünktlich trat Annalía zur Tür hinaus, und beim Gehen schwangen ihre schmalen Hüften unter ihren hellblauen Röcken sanft hin und her. Sie trug immer Kleider in hellen Farben. Niemals etwas Grelles oder allzu Auffallendes; aber von den gedeckten Farben, die die Frauen seines Clans bevorzugten, trennten sie Welten. Er würde jede Wette eingehen, dass sie die Kleider nicht trug, weil sie Aufmerksamkeit erregen wollte. Nein, sie trug sie, weil sie so unglaublich zart und weiblich war – und die Farben deshalb hübsch fand. Die Morgensonne strahlte vom Himmel, spielte in ihrem Haar und ließ es wie Gold erglänzen. Wie immer trug sie es zu einem Zopf geflochten und zu einem kunstvollen, keltisch anmutenden Knoten hochgesteckt.

Als Nächstes würde sie Vitale begegnen, der ihr den Hut reichte, den sie wie üblich vergessen hatte, und sie würden einige Worte miteinander wechseln. Er drängte sich ihr stets ein wenig auf, und sie gestattete es ihm, auch wenn sie manchmal ungeduldig einen Schritt zur Seite machte oder die Augen verdrehte und zum Himmel hinaufschaute. Die beiden pflegten ein außergewöhnliches Verhältnis, aber ganz offensichtlich bedeuteten sie einander etwas.

Präzise wie ein Uhrwerk begegnete ihr der alte Mann auch heute auf dem Weg zum Stall. Die Unterhaltung währte nur kurz, bevor sie ihren Weg fortsetzte und sich auf den Ausritt vorbereitete. Verdammt noch mal, ich könnte sie stundenlang beobachten, fluchte Court in sich hinein. Stets trug sie dieses Samtband um den Hals. Aber heute hatte sich irgendetwas verändert. Hatte sie neuen Schmuck angelegt? Vielleicht Ohrringe? Jetzt ist es aber genug, ermahnte er sich. Er musste dringend mehr über sie in Erfahrung bringen, und außerdem war er kräftig genug, um Forderungen zu stellen. Kaum hatte sie den Hof verlassen, schlug Court mit dem Fingerknöchel hart gegen die Fensterscheibe, um Vitale zu sich zu rufen, der Courts Genesung längst beklagte und ihm die Mahlzeiten jetzt immer auf den Fußboden stellte – wie es sich für ein Tier gehörte.

Der alte Mann hob drohend die Faust, trotzdem öffnete er kurz darauf die knarzende Haustür.

»Erzählen Sie mir mehr über sie«, forderte Court, nachdem Vitale aufgeschlossen und das Zimmer betreten hatte.

Vitale warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Warum sollte ich?«

»Ganz einfach«, erklärte Court und lehnte sich gegen das Fensterbrett, »weil ich dann weniger geneigt bin, Sie zu verprügeln, wenn ich vollständig genesen bin.«

Vitale schluckte schwer.

»Ich weiß, was Ihnen durch den Kopf geht, alter Mann. Sie überlegen, welchen Schaden Sie anrichten könnten. Lassen Sie es sich gesagt sein: gar keinen! Diese Frau hat mir das Leben gerettet, und ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand ihr ein Leid zufügt.«

»Was wollen Sie wissen?«, fragte der Diener zögerlich.

»Wo hält ihre Familie sich auf?«

»Ihre Eltern sind tot. Und ihr Bruder ist verreist«, erklärte Vitale. »In Geschäften.«

»Hat sie keinen Ehemann? Keine Familie, in deren Obhut sie bleiben könnte?«

»Ihr Bruder und sie haben sich von ihrer Familie entfremdet. Eigentlich sollte sie heiraten, just in der Zeit, als Pascal an die Macht gekommen war. Aber er hat befohlen, uns umzubringen, und jetzt gibt es für uns nur ein Ziel … seinem Mordbefehl zu entkommen. Ich nehme an, dass wir besser daran getan hätten, uns auch vor Ihnen in Sicherheit zu bringen. Weil Sie als Söldner bei ihm angeheuert haben …«

»Ich bin auf Befehl Pascals misshandelt worden«, unterbrach Court ihn. »Was glauben Sie, wie sehr ich den Männern noch ergeben bin, die versucht haben, mich umzubringen? Es hat mich die größte Anstrengung gekostet, über den Fluss zu entkommen.«

Vitale musterte ihn aufmerksam. Offenbar versuchte er herauszufinden, ob Court die Wahrheit sagte. »Wer hat Sie geschlagen?«, fragte er dann.

»Zwei Rechazados.«

Vitale riss die Augen auf. »Mein Gott, Ihre Anwesenheit in diesem Haus wird dafür sorgen, dass die ganze Meute in die Berge ausschwärmt. Jeder Tag, den Sie länger hier verbringen, lastet ihr ohnehin schon wie eine ungeheure Bürde auf den Schultern. Wenn Sie mit Pascal verbündet sind, muss sie befürchten, dass Sie seine Leute in die Gegend lotsen. Pascals Mörderbande wird Sie so lange verfolgen, bis der Auftrag erledigt ist.«

Pascal würde ihn zwar verfolgen, aber die Rechazados waren erstklassig ausgebildete Kämpfer, viel zu wertvoll, um sie sinnlos zu verschwenden. »Wegen dieses Auftrags wird er keine Rechazados opfern.« Der Orden hielt sich an die sieben Briefe der biblischen Apokalypse und umfasste niemals mehr als neunundvierzig Kämpfer; selbst wenn sie Männer im Kampf verloren, nahmen sie nur zweimal im Jahr neue Leute auf. »Außerdem gehen sie davon aus, dass ich tot bin.« Vitale trat zum zweiten Fenster und schaute hinaus, obwohl er nicht erwarten konnte, Annalía zu sehen. Court wusste, dass sie inzwischen außer Sichtweite war.

»Warum sollte ich Ihren Worten vertrauen?«

»Vielleicht sollten Sie das nicht tun.« Vergeblich versuchte Court, die Arme zu verschränken. Einen Moment lang hatte er vergessen, dass sein Handgelenk in einen Gipsverband gezwungen worden war. »Ich will mit ihr reden. Sorgen Sie dafür, dass sie zu mir kommt.«

»Mademoiselle? Sie soll sie aufsuchen? Jetzt, da Sie wieder bei Bewusstsein sind?« Vitale schnaubte verächtlich.

»Wenn sie nicht zu mir kommt, werde ich dieses Zimmer verlassen und sie suchen müssen«, verkündete er mit kaltem Blick. »Sie sollten sie warnen, dass ich mich … vergessen könnte, wenn ich sie erwische.«

Vitale trat ein paar Schritte zurück. »Ich will sehen, dass sie Sie morgen aufsucht.«

»Nach dem Ausritt.«

Unwirsch verzog Vitale das Gesicht. »Wenn sie erfährt, dass Sie sie heimlich beobachten, wird sie sehr … ungehalten sein. Die Lady lebt ausgesprochen zurückgezogen. Nun gut, nach dem Ausritt.«

Court nickte.

»Ich muss meinen Leuten eine Nachricht zukommen lassen. Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie meine Anweisungen erledigen?«

»Warum sollte ich das tun?«

»Je schneller meine Männer Bescheid wissen, desto eher bin ich hier verschwunden.«

»Ich bin sofort wieder bei Ihnen. Mit Feder und Tinte.«

Court überlegte, wie er mit Annalía umgehen sollte und musste sich eingestehen, dass eine Frau wie sie ihn ratlos machte. Sie war schwierig und geheimnisvoll; und das bedeutete, dass sie so ganz anders war, als die Frauen der Highlands, die geradlinig und direkt waren.

Und so ungewohnt für ihn der Umgang mit Frauen wie Annalía war, so sehr war sie gewiss den Umgang mit Gentlemen gewohnt – höfliche Männer mit besten Manieren, die sie weder einschüchterten noch ihr drohten. Deshalb beschloss er, im Bett zu bleiben und zu tun, als fiele es ihm schwer, sich aufzurichten. Auf diese Weise würde er weniger bedrohlich wirken, obwohl sein gutes Benehmen sich rasch als trügerisch erweisen würde. Court legte keinen Wert darauf, nutzlose Komplimente auszutauschen, und seine Manieren waren keinesfalls geschliffen. Er war unverblümt und brüsk, und sie würde diese seine unverblümte und brüskierende Art niemals akzeptieren.

»Ich wünsche einen angenehmen Nachmittag«, stieß er ruppig hervor, als sie mehrere Stunden nach ihrem Ausritt sein Zimmer betrat. Der Duft der Blumen, in deren Nähe sie den Vormittag zugebracht hatte, umschwebte sie.

»Das wünsche ich Ihnen auch«, erwiderte Annalía. Seine ruppige Begrüßung hatte sie erst überrascht und dann misstrauisch gemacht. »Vitale hat mir ausgerichtet, dass Sie mich sprechen wollen. Was wünschen Sie?«

»Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen«, begann er und hoffte inständig, dass seine Stimme freundlich genug klang.

Sie nickte knapp.

»Wie kann es sein, dass Sie Pascals Mörderbande bisher entkommen sind?«

»Bestimmt liegt es daran, dass ich es bisher vermieden habe, mir seine Söldner ins Haus zu holen«, schnappte sie ohne zu zögern.

»Ich bin ihm nicht länger verpflichtet.«

»Dann eben seine Exsöldner«, fügte sie hinzu und machte eine achtlose Handbewegung, mit der sie zu verstehen gab, dass sie sich für den Unterschied nicht interessierte. »Vitale hat mir alles erzählt.«

Court warf ihr einen irritierten Blick zu, und sie fuhr fort:

»Ich habe auch keine Ahnung, warum wir verschont worden sind.« Es war unübersehbar, dass sie log, aber er ließ sie gewähren.

»Ich habe noch eine Frage.«

Annalía verharrte regungslos. Obwohl sie sich strikt weigerte, ihn anzuschauen, musste er feststellen, dass er plötzlich vergessen hatte, was er sie hatte fragen wollen. »Warum hassen Sie uns Schotten?«, wollte er stattdessen wissen.

Das Blut stieg ihr in die Wangen. Ihre Haut schimmerte hellrot und hob sich gegen die weiße Rüschenbluse und das Samtband ab, das sie offenbar niemals ablegte. »Ich möchte meine Abneigung gegen Schotten lieber nicht einem Schotten darlegen, wenn es Ihnen recht ist.«

»Sie können es mir ruhig sagen. Ich beiße nicht.«

Annalía gab ihm mit ihrem Blick zu verstehen, dass sie es vorzog, sich nicht auf sein Versprechen zu verlassen. »Mir sind einige unschöne Geschichten zu Ohren gekommen«, erklärte sie schließlich, »über die Schotten. Und über Sie. Sie sind schlimmer als all die anderen Gesetzlosen, die Pascal in diese Gegend gebracht hat.«

Court stieß die Luft geräuschvoll aus den Lungen. Was blieb ihm übrig, als sich einzugestehen, dass die Gräuelmärchen, die seine Leute absichtsvoll über die Highlander verbreitet hatten, offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen waren?

Wann immer er neu in einer Gegend auftauchte, verbreiteten seine Männer Gerüchte über die Grausamkeit der Highlander, über ihre Blutrünstigkeit, ihre Lust an der Folter. Wenn dann die fünfunddreißig Schotten in seiner Kompanie – einige in Kriegsbemalung, andere im Kilt, die meisten gut eins achtzig groß – in wüstes Kriegsgeschrei ausbrachen und ihre Gegner mit mordlustigen Blicken durchbohrten, rannten die Soldaten fast immer davon.

Court beobachtete, wie sie mit der Hand ihren makellos glatten Rock noch glatter strich – heute trug sie ein helles Rot. »Und was haben Sie über die Schotten gedacht, bevor die Truppe hier aufgetaucht ist?«

Sie runzelte die Stirn und schien ehrlich verwirrt. »Ich habe überhaupt nicht über sie nachgedacht.«

»Und jetzt?«, hakte Court grimmig nach.

»Jetzt, nachdem ich Sie kennenlernen durfte, haben Sie mir bewiesen, dass Sie die Krönung all dessen sind, was mir vorher erzählt worden ist.«

Er gestikulierte wild mit dem Gipsarm.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und atmete tief durch. »Wo auch immer Sie auftauchen, herrscht Gewalt, wie man an den Verletzungen überall an Ihrem Körper sehen kann. Aber auch an den tiefen Schnittwunden an den Knöcheln Ihrer Finger. Ich habe mich gefragt, wie es zu einer solchen Verwundung kommen kann. Inzwischen bin ich überzeugt, dass Sie sich an den Zähnen Ihrer Feinde verletzt haben. Weil Sie ihnen mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben.«

Court nickte beeindruckt. Genau das war passiert. Er unterdrückte ein Lächeln, als er sich daran erinnerte, wie er die Zähne des Spaniers zertrümmert hatte, wie dem Kerl das Blut noch eine Stunde später aus den aufgerissenen Lippen getropft war …

»Sie könnten viele solcher Geschichten erzählen, denn Ihr Körper ist übersät mit derartigen Wunden. Außerdem ist mir zu Ohren gekommen, dass Ihre Leute in Banden organisiert sind …«

»In Clans«, korrigierte er mit rauer Stimme, »wir leben in Clans. So heißt es bei uns.«

Annalía zuckte die Schultern. »Und diese Clans kämpfen ständig gegeneinander, weil Sie in Ihrer Blutrünstigkeit lieber Krieg führen, als ein kultiviertes Leben zu führen. Oder sich um die Verbesserung Ihrer Sitten zu kümmern.« Er bemerkte, dass sie die Fingerspitzen eine nach der anderen auf ihren Unterarm drückte, während sie ihre Argumente aufzählte. »Sie haben keinerlei Manieren. Die halbherzige Danksagung für Ihre Rettung beweist, dass Sie nicht das geringste Gespür dafür besitzen, wie man sich gegenüber seinen Gastgebern verhält.«

»Es beweist vor allem, dass ich nicht das geringste Gespür dafür besitze, wie man sich in Gefangenschaft verhält.«

Sie hob die Augenbrauen auf eine Art, die ihm bedeutete, dass sie sofort das Zimmer verlassen würde, wenn er nicht den Mund hielt. »Sie sehen aus wie ein Lump. Es sei denn, Sie sind wütend. Dann sehen Sie aus wie ein Rohling, der ohne Weiteres in der Lage wäre, mich zu töten. Sie waren kaum hier angekommen, als Sie mich auch schon grundlos beleidigt haben. Grundlos und überaus verletzend. Aber für Ihresgleichen ist das nicht außergewöhnlich, wie man sich erzählt. Ihnen mangelt es vollkommen an Feingefühl. Und mir scheint, Sie haben nichts als Stroh im Kopf …«

»Es reicht«, unterbrach er sie, bevor sie sich noch weiter in Rage redete. Es gab viele Menschen, die diesen Irrtümern aufsaßen, und er und seine Männer setzten dem meist noch eins drauf, indem sie diese Gräuelmärchen verbreiteten. Aber musste es wirklich sein, dass ausgerechnet eine Andorranerin ihm den Spiegel vorhielt? Die Schotten besaßen unendlich viel mehr Stolz als dieses kleine mittelalterliche Völkchen, das sich hoch oben in den Bergen zwischen schroffen Felsen versteckte, abgeschnitten von einer sich ständig verändernden Welt.

Sie kniff die Augen zusammen, als hätte sein zorniger Tonfall sie erschreckt, wirbelte auf dem Absatz herum und wollte aus dem Zimmer stürmen. »In der Tat, mir scheint, Ihr Beruf ist noch das geringste Übel«, sagte sie über die Schulter hinweg.

Verdammt noch mal, unsere Unterhaltung ist noch lange nicht zu Ende!, fluchte er stumm.

Obwohl die Bewegung ihn schmerzte, streckte er die Hand aus und packte Annalía am Handgelenk. Sie kreischte erschrocken auf und riss sich los. Sie presste die Hand auf ihren Mund, trotzdem verstand er deutlich das katalanische Wort, das sie ausstieß. »Bèstia«, zischte sie und stürzte aus dem Zimmer.

Annalía brauchte mehrere Versuche, bis es ihr gelang, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und die Tür abzuschließen. Er hatte sie im Innersten erschüttert. Zu seinem Unglück war Court bewusst, dass er tatsächlich wie eine Bestie aussah. Morgens hatte er sich im Spiegel betrachtet und sich gefragt, wie er in den Augen dieser Frau wohl aussehen würde.

Und er war zurückgeschreckt.

Die Gefäße in beiden Augen waren geplatzt, das Weiß war blutunterlaufen. Die rechte Gesichtshälfte war immer noch schwarz und blau marmoriert, und sein Kiefer sah wegen der Schwellung noch kantiger aus. Außerdem hatte er sich seit einer Woche nicht mehr rasiert, und der Bart schien die geschwollenen Knochen noch stärker hervorzuheben. Annalía war durch und durch eine Lady – einen Mann in diesem Zustand hatte sie bestimmt noch nie gesehen.

In jenem Moment, als sie auf ihn herabgeschaut hatte, als sei er nicht mehr als ein Stück Dreck an ihren Stiefeln, hatte er sich tatsächlich wie eine Bestie gefühlt …

Langsam missfiel ihm ihr herabwürdigender Tonfall ebenso wie die verächtlichen Blicke – wobei er angestrengt darüber nachdachte, warum es ihn überhaupt kümmerte.

Annalía wusste mit Sicherheit, dass der Schotte ein Söldner war. Heute hatte sie ihn zum ersten Mal mit ihrem Wissen konfrontiert.

Bevor Vitale ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte, hatte sie insgeheim gehofft, MacCarrick wäre kein angeheuerter Mörder. Denn tief in ihrem Innern war ein Fünkchen Neugier für diesen störrischen, widerspenstigen Mann aufgeglommen. Doch das Fünkchen war längst wieder erloschen.