Fliegen über dem Regenbogen - Gudrun Leyendecker - E-Book

Fliegen über dem Regenbogen E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Der Roman Fliegen über dem Regenbogen spielt in der historischen Kleinstadt Sankt Augustine, in der sich neue und alte Welten häufig begegnen. Eine Gruppe von zukünftigen Piloten verbringt eine Zeit im alten Schloss des verstorbenen Malers Moro Rossini und begegnet den dort wohnenden Kunststudenten. Da scheint es auch hier, als begegneten sich verschiedene Welten, unterschiedliche Mentalitäten. Zwischen Natascha und Jim scheint es keine Brücke zu geben.

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Fliegen über dem Regenbogen

Gudrun Leyendecker

Der Roman

Fliegen über dem Regenbogen

spielt in der historischen Kleinstadt Sankt Augustine, in der sich neue und alte Welten häufig begegnen. Eine Gruppe von zukünftigen Piloten verbringt eine Zeit im alten Schloss des verstorbenen Malers Moro Rossini und begegnet den dort wohnenden Kunststudenten. Da scheint es auch hier, als begegneten sich verschiedene Welten, unterschiedliche Mentalitäten. Zwischen Natascha und Jim scheint es keine Brücke zu geben.

Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren… Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher circa 60 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehnte langen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

28. Kapitel

32. Kapitel

1.Kapitel

Die junge Frau öffnete das schmiedeeiserne Gartentor und betrachtete den gepflegten Garten. Weite Flächen kurzgeschnittenen Rasens breiteten sich vor ihr aus und endeten vor akkurat geschnittenen Buchsbaumhecken, die sich in dunklem Schwarzgrün von dem saftig gelbgrünen Gras abgehoben. Nichts bewegte sich, nicht einmal die heiße Luft des sommerlichen Mittags.

Die weiße Villa träumte im Sonnenschein, das dunkelgraue Dach glänzte im Licht.

Mirabell blieb stehen und hatte kurz das Gefühl, Teil eines Standbilds zu sein. Wo waren die Schmetterlinge, die sie eben in den angrenzenden Gärten gesehen hatte? Sie vermisste das Summen der kleinen Bienen, das tiefe Brummen der Hummeln.

Kaum zu glauben, dass in dieser stillen Einsamkeit eine zukünftige Pilotin wohnte, eine junge Frau, die gerade in einer Hochschule ein zweijähriges Studium abgeschlossen hatte und ihren Bachelor für Luft- und Raumfahrttechnik absolviert hatte.

In diesem Augenblick öffnete sich die weiß lackierte Haustür, eine junge, hübsche Frau winkte aus einem Rollstuhl und überquerte die Rampe, die sich neben der Eingangstreppe befand. Ihr kurzes, lockiges Haar wirkte unfrisiert, blonde Strähnen leuchteten und erhellten die rotgoldene, glänzende Locken-Pracht.

„Hallo Mirabell! Schön, dass du mich abholst. Ich habe dich schon erwartet.“

„Hallo Lisa! Ich hoffe, dass ich nicht zu spät komme. Wo ist das Gepäck? Und wer macht die Tür hinter dir zu?“

„Die Tür schlägt von allein zu, und das Gepäck hat mein Bruder schon ins Schloss gebracht.“ Sie lächelte. „Sogar meinen kleinen Flugsimulator. Aber du musst nicht so ein trauriges Gesicht machen! Meine Füße sind nur gebrochen, und das wird schnell wieder heilen. In meinem Alter geht das noch ganz fix.“

Mirabell seufzte. „Wirklich? Es tut mir aber trotzdem leid für dich. Wie hast du das denn fertiggebracht, beide Füße auf einmal?“

„Beim Tischtennisspielen. Ich bin hochgesprungen, aber irgendwie habe ich mir dabei die Beine verdreht, es ging alles sehr schnell, und als ich mich auf der Erde wiederfand, konnte ich nicht mehr aufstehen. Höllische Schmerzen im linken Fuß, über den ich trotz der Schmerzen keine Kontrolle mehr hatte. Das war ein komplizierter Bruch mit einem gerissenen Syndesmoseband. Aber der rechte Fuß hat nicht so viel abbekommen. Das ist nur ein glatter Bruch. Alles halb so schlimm! Ich habe jetzt sowieso erst einmal etliche Wochen Theorie vor mir für meine Piloten - Lizenz. Bis ich da meine Prüfungen hinter mir habe, bin ich wieder fit“, prophezeite Lisa und lenkte den Rollstuhl zum Gartentor, das Mirabell eilig öffnete.

„Da hast du aber wirklich ganz gut zugelangt“, fand ihre Begleiterin. „Das kommt beim Tennis nur sehr selten vor, dass man sich solche Verletzungen zuzieht.“

Lisa nickte und lachte. „Das stimmt. Meine Kollegen witzeln ganz schön über mich. Sie sagen, ich hätte mir den Traum vom Fliegen schon erfüllt.“

„Das ist aber gemein und ein ziemlich makabrer und schwarzer Humor. Das wirst du bei mir und meinen beiden Freunden im Schloss aber nicht erleben. Mein Kollege, der Kunststudent Nicolas ist sehr sensibel. Er würde über dein Pech bestimmt nicht lachen.“

Die junge Frau im Rollstuhl hob die Augenbrauen. „Wieso seid ihr nur zwei? Ich habe gehört, dass die Schlossherrin Adelaide Rossini an zehn Kunststudenten ihre Zimmer vermietet hat. Was ist denn mit den übrigen?“

Sie passierten den Gehweg neben den bunten Gärten, in denen jetzt Kinder spielten und Erwachsene die Gartenstühle besetzten.

„Sie sind alle in den Urlaub oder zu ihren Eltern nach Hause gefahren“, wusste Mirabell. „Daher ist jetzt auch viel Platz für euch fünf Überflieger. Wir sind schon ganz neugierig auf euch. Wie bist du eigentlich darauf gekommen? Warum möchtest du Pilotin werden?“

Lisa hielt den Rollstuhl an und riss die Augen auf. „Ist das dein Ernst?! Das muss man einfach im Blut haben. Es ist der Wunsch, den Luftraum zu erobern und dort auch die Kontrolle zu behalten, für sich, und für andere.“

Mirabell blickte die junge Frau enttäuscht an. „Ach so, und ich dachte, du wärst so ein richtiger Überflieger mit einem immensen Wunsch nach Freiheit und dem Loslassen der irdischen Begrenzungen.“

„Natürlich gibt das Fliegen auch sehr schöne Gefühle“, räumte die angehende Pilotin ein. „Aber es ist bei weitem nicht so romantisch wie du denkst. Weißt du, dass man für meine Ausbildung Begabung für Mathe und Physik haben sollte, wenn man richtig gut sein will. Und auch Englischkenntnisse sind sehr wichtig. Ich habe eine ganze Menge über technische Details gelernt. Solche Grundkenntnisse sind jetzt eine gute Voraussetzung für meine weitere Ausbildung.“

Mirabell stöhnte. „Das habe ich mir aber ganz anders vorgestellt. Du kennst doch bestimmt den Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry.“

Lisa nickte. „Natürlich kenne ich ihn, und er war ein begeisterter Pilot. Er hat wunderschöne Geschichten geschrieben, hatte eine besonders romantische Seite. Aber vermutlich weißt du auch, dass er sehr viel von Technik verstanden hat. Sonst hätte er sich in der Wüste nicht mit seiner defekten Maschine befassen können.“

„Aber am Ende, da ist er doch abgestürzt wie viele deiner Kollegen. Hast du davor keine Angst?“

„Nein, ich habe keine Angst vor dem Fliegen. Ich glaube nicht nur an die Technik, sondern auch an die große Flugsicherheit. Das Leben auf der Erde scheint mir gefährlicher zu sein als in der Luft.“

Spielende Kinder liefen laut schreiend an ihnen vorbei, erreichten das Tor eines der bunten Gärten, in denen Spielzeug verstreut auf dem nur mäßig gepflegten Rasen lag.

Mirabell erinnerte sich an den stillen Garten, den Lisas Heim umgeben hatte. Spontan fragte sie: „Warum habt ihr keine Blumen im Garten?“

„Meine Eltern haben keine Zeit, sich um den Garten zu kümmern. Eigentlich niemand von uns. Und gerade so, wie er ist, scheint er für meine Eltern pflegeleicht zu sein. Er ist doch ordentlich, oder? Ist daran etwas auszusetzen?“ Die Künstlerin hob die Augenbrauen. „Er sieht gepflegt aus, ja. Es ist natürlich auch Geschmackssache. Aber für meinen Geschmack ist da zu wenig Leben drin. Passt nicht zu dir.“

Lisa lächelte. „Er passt nicht zu mir? Ich bin ein ordentlicher Mensch und sehr praktisch veranlagt. Ich denke, meine Eltern und mein Bruder möchten ein wenig Kontrolle im Leben behalten. In und um sich herum.“

Mirabell seufzte. „Jetzt hast du mich wirklich völlig durcheinandergebracht. Eine Pilotin habe ich mir immer viel abenteuerlicher vorgestellt. Vielleicht so, wie die Sportflieger mit ihren Loopings oder die ersten Abenteurer in ihren fliegenden Kisten. Sind deine vier Kollegen auch so wie du?“

„Du wirst sie nach und nach kennenlernen. Und deine Künstlerkollegen im Schloss? Sind die alle so neugierig wie du?“ Sie lachte. „Ich denke, wir werden im Schloss gemeinsam eine spannende Zeit erleben.“

2. Kapitel

Neben dem an Intarsien reichen, alten Schlosstor dufteten die lachsfarbigen Rosenblüten der Sorte „Elbflorenz“ in großen Terrakottakübeln und gaukelten den Ankommenden mit ihrem betörenden Duft eine friedliche und heile Welt vor, aber als eine junge, schwarzhaarige Frau weinend die Schlosstreppe hinunterstürzte, bemerkten die beiden Frauen, dass man auch in diesem märchenhaften Schloss nicht von Problemen verschont wurde.

Mirabell fing die junge Frau auf und versuchte, sie mit sanfter Stimme zu trösten. „Alles wird gut, Kleines! Was ist denn passiert? Ich hatte gedacht, du bist in Venedig und Kilian wollte sich mit dir verloben. Wieso bist du schon wieder hier, Natascha?“

Sie schluchzte. „Ich habe herausgefunden, dass er mich mit einer Kollegin vor unserer Reise mehrere Male betrogen hat. Er hat sich dann von ihr getrennt, und sie hat mir natürlich prompt aus Wut und Rache die ganze Geschichte gebeichtet. Zuerst hat er alles geleugnet, da standen wir gerade am Canale und sahen auf die Seufzerbrücke, aber ich wusste, dass er Log. Ich habe es einfach gespürt, dass er mich nur beruhigen wollte. Da bin ich natürlich sofort abgehauen und zurückgeflogen. Eben habe ich mit ihm telefoniert, und da hat er schließlich alles zugegeben. So aus das Entfernung heraus ist ihm das sicher leichter gefallen. Und natürlich habe ich mit ihm Schluss gemacht. Zum allem Übel bin ich dann noch Jim begegnet.“

„Da hast du sicher befürchtet, dass er ein bisschen schadenfroh ist, oder? Immerhin war er dein Exfreund, und du hast ihn wegen Kilian verlassen.“

Natascha wischte sich die Tränen ab. „Er ist nicht schadenfroh. Aber er hat mich sehr mitleidig angesehen, und das ist noch viel schlimmer.“ Sie entdeckte Lisa und reichte ihr die Hand zur Begrüßung. „Entschuldige bitte mein Benehmen! Aber ich war gerade ganz außer mir. Du bist sicher die Kollegin von Jim, der für alle Flugschüler die Zimmer hier im Schloss besorgt hat. Er hat mir auch von dir erzählt, und auch, dass du die beste Schülerin auf der Hochschule gewesen bist.“

Lisa winkte ab. „Ach, das war gar nicht so schwer. Ich interessiere mich einfach für Technik. Das ist alles. Schließlich bin ich mit einem Bruder aufgewachsen. Das technische Interesse hat wohl dann auf mich abgefärbt. Aber wenn du jetzt vorzeitig aus dem Urlaub zurückgekommen bist, ist denn dann auch noch genug Platz für mich im Schloss?“

Natascha nickte eifrig. „Im Schloss sind noch viele Zimmer frei. Adelaide, die Schlossherrin freut sich über die vielen Gäste. Seit ihr Mann im letzten September verstorben ist, fühlt sie sich oft einsam und freut sich über alle Gäste im Schloss. Und du Ärmste brauchst doch wirklich jetzt Hilfe mit deinen gebrochenen Füßen. Ich habe gehört, bei dir ist momentan niemand zu Hause, der dich ein bisschen versorgen könnte?!“

Lisa nickte. „Ja, das stimmt. Meine Eltern sind zu einem Ärztekongress und mein Bruder beginnt jetzt ein praktisches Jahr in Paris.“

„Au weia!“ Die junge Künstlerin stöhnte. „Dann müssen wir uns gut um dich kümmern. Ich bin Musikstudentin und will einmal Pianistin werden, und Mirabell hat dir sicher erzählt, dass sie malt und wunderschöne Skulpturen anfertigt.“

Lisa schüttelte den Kopf. „Nein. Darüber haben wir uns noch nicht unterhalten. Nur über die Fliegerei. Der Spaziergang durch das Städtchen hat nicht lange genug gedauert. Aber wir werden hier bestimmt noch einige Gelegenheit haben, uns näher kennenzulernen. Geht es dir jetzt etwas besser, Natascha?“

Die Angesprochene stöhnte erneut. „Auf jeden Fall hat es gutgetan, mit euch zu reden. Es wird sicherlich eine ganze Weile dauern, bis ich mich etwas beruhigt habe. Im Moment hasse ich Kilian, aber ich ärgere mich natürlich, dass ich ihn so wichtig nehme.“

„Das ist normal“, wusste Lisa. „Schließlich hast du ihn vor kurzem noch geliebt. Da ist es jetzt kein Wunder, das deine Gefühle nach dieser Enttäuschung, diesem Schock, Achterbahn fahren. Jim hatte mir erzählt, dass es in der Schlossküche, die für alle da ist, immer eine gute Tasse heiße Schokolade gibt. Damit kann man seine Nerven etwas beruhigen. Sollen wir alle zusammen dorthin gehen. Im Schloss sind sicherlich auch schon meine Krücken angekommen, dann kann ich einmal aus dem blöden Rollstuhl heraus.“

„Wir schieben dich auch gern dorthin“, versicherte ihr Mirabell.

„Nein, danke! Ich komme ganz gut so zurecht. Am liebsten möchte ich mir immer selbst helfen.“

Mirabell lächelte. „Dazu wüsste unsere liebe Adelaide Rossini auch etwas zu sagen. Sie hat gerade ein Buch gelesen über den Zusammenhang der seelischen Störungen und der Krankheiten. Ich vermute, dass dich die Fußbrüche danach ein bisschen ausbremsen wollen.“

Lisa lächelte. „Ach, Quatsch! Das klingt nach irgendeinem esoterischen Blödsinn. Ich habe mir die Füße einfach nur gebrochen, weil ich nicht aufgepasst habe. Und jetzt setze ich alles wieder daran, um so bald wie möglich fit zu werden. Das Schloss und der Park sind ja groß genug. Hier werde ich mit meinen Krücken viel üben können.“

„Das ist gut. Es ist wichtig, die Muskeln zu trainieren. Meine Tante hatte einmal ähnliche Verletzungen und musste wie ein kleines Kind wieder das Laufen erlernen“, berichtete Mirabell. „Wahrscheinlich findest du hier auch genügend Kavaliere, die dich dabei etwas unterstützen möchten. Im Schloss zurückgeblieben ist hier Nicolas, ein sehr hilfsbereiter Musikstudent. Er will Pianist werden und übt viele Stunden am Tag, aber den Rest der Zeit inspiziert er hier das Schloss und hilft jedem, der ihm über den Weg läuft. Alle mögen ihn.“

„Dann werde ich ihn auch mögen“, entschied Lisa. „Aber er muss mir nicht helfen. Meine Kollegen, die sich hier auch im Schloss niederlassen werden, haben mir auch schon ihre Hilfe angeboten. Da ist dann Jims Zwillingsbruder Joe, der die Flugleidenschaft mit seinem Bruder teilt, meine Kollegin Anna, die nebenbei noch für eine Zeitung schreibt und Leander, beruflich sehr ehrgeizig, aber privat ein Träumer. Damit haben wir eine ganz hübsche und bunte Crew hier im Schloss zusammen. Gibt es hier eigentlich auch ein Willkommensfest?“ fragte sie scherzend.

„Darauf haben wir absichtlich verzichtet“, berichtete Natascha. „Und zwar mit Rücksicht auf dich. Hier im Schloss gibt es nämlich immer viel Musik, und an einem Tag in der Woche ist hier nachmittags Tanz. Aber wir dachten, dass es für dich nicht schön ist, einfach zusehen zu müssen, daher haben wir diese Veranstaltung erst einmal gestrichen.“

Lisa lächelte. „Das hättet ihr nicht tun müssen. Ich muss sehr viel lernen und will auch einige Stunden an meinem Flugsimulator verbringen. Beim Sprechfunk bin ich auch noch nicht ganz fit. Und da ich einiges von mir verlange, muss ich mich noch auf den Hosenboden setzen.“

Sie hatten den langen Flur überquert und standen vor der Küchentür, die sich unvermittelt öffnete.

Eine ältere Dame mit blondem, hochgestecktem Haar trat ihnen entgegen. Sie entdeckte die Ankommenden und umarmte die junge Frau im Rollstuhl. „Hallo, Lisa! Wie schön, dass du unserer Einladung gefolgt bist. Dein Gepäck hat Carla schon in deinem Zimmer verstaut, und wir hoffen, dass du dort ganz gut zurechtkommst. Nicolas hat bereits deinen Flugsimulator aufgestellt, weil er meinte, du hättest dann etwas Arbeit gespart. Ich hoffe, dass es dir recht ist.“

„Das ist schön, liebe Adelaide“, freute sich die zukünftige Pilotin. „Dann kann ich später noch etwas fliegen.“

Die Schlossherrin öffnete den drei jungen Frauen die Küchentür. „Bedient euch und nehmt euch alles, worauf ihr Appetit habt. Gianni und Roberto haben bereits alles vorbereitet, auch einen kleinen Imbiss für euch. Leider muss ich euch jetzt allein lassen, denn ich erwarte ein Videogespräch aus Amerika. Das Leben meines Mannes soll verfilmt werden, und da muss ich noch einige Tipps und Auskünfte geben.“

„Wird auch eure besondere, frühere Liebesgeschichte erwähnt?“ erkundigte sich Mirabell. „Da ihr euch doch in jungen Jahren verloren und später auf so romantische Art und Weise wieder gefunden habt.“

Adelaide nickte. „Ja, das wird auch im Film gezeigt, denn unsere Beziehung zog sich ja durch all diese vielen Jahre hindurch, bis wir dann im Jahr 2016 endlich heiraten durften. Ganze sechs Jahre wurden uns geschenkt. Sechs Jahre und sechs Monate. Aber Gott sei Dank hat uns das Schicksal schon 2002 wieder zusammengeführt, sodass wir unsere Liebe schon vor 22 Jahren wieder begrenzt leben durften. Ich werde euch später mehr darüber erzählen, aber jetzt müsst ihr mich bitte entschuldigen!“

3. Kapitel

Während Adelaide davoneilte, begleiteten Mirabell und Natascha den neuen Gast in die große Schlossküche.

Lisa stieß einen Ruf der Überraschung aus. „Das ist fantastisch! Die modernen Geräte sind in alten Backstein- Mauern versteckt. Und diese Kupferkessel! Ich liebe diese alten kupfernen Töpfe und Kuchenformen. Kein Wunder, dass ihr hier alle immer eure Mahlzeiten einnehmt.“

„Darauf ist die Schlossherrin auch sehr stolz“, wusste Mirabell. „Sie poliert die Kupferkessel oft selbst, weil es ihr Vergnügen macht. Und sie ist gern hier in der Küche bei den beiden italienischen Köchen, weil sie das Gefühl hat, ihrem verstorbenen Ehemann Moro etwas näher zu sein. Schließlich war er auch Italiener. Setzt euch, macht es euch gemütlich! Ich kümmere mich um die heiße Schokolade.“

Natascha half Lisa aus dem Rollstuhl. „Wie sieht es eigentlich mit deinen Schmerzen aus? Tut es noch sehr weh?“

„Der Anfang war schon scheußlich. Besonders das gerissene Band im linken Fuß hat mich gequält. Aber ich habe einfach versucht, mich abzulenken und auf andere Dinge zu konzentrieren. Das hat erstaunlicherweise geholfen.“

Die junge Pianistin staunte. „Und das hat funktioniert? Schmerzen machen mich richtig fertig. Damit kann ich mich überhaupt nicht auf andere Dinge konzentrieren. Du hast wirklich erstaunliche Fähigkeiten. Dann kann ich ja beruhigt im Flugzeug sitzen und mit dir fliegen, auch wenn du einmal Kopfschmerzen hast“, scherzte sie.

Lisa lächelte. „Das kannst du. Ich bin ein Kontrollfreak und brauche für mich auch Sicherheit. Aber erzähl mal! Du warst einmal mit meinem Kollegen Jim befreundet? Er ist doch ein ganz netter Kerl. Warum hast du dich von ihm getrennt?“

Natascha überlegte. „Das ist schwer zu sagen. Irgendetwas ist an ihm, das mich beunruhigt hat. Ich war sehr verliebt in ihn, aber ich hatte immer Angst, ihn zu verlieren. Das ist eine sehr mysteriöse Sache, finde ich. Bei Kilian war das ganz anders. Er strahlte so viel Sicherheit aus, da habe ich gedacht, ich könnte mich auf ihn verlassen. Wenn man seine Ansichten hört, glaubt man, dass er ein ganz seriöser und zuverlässiger Mensch ist. Ich hätte es ihm niemals zugetraut, dass er mich betrügt.“

Lisa zeigte ein bedenkliches Gesicht. „Das ist schon merkwürdig. Jim hat dir den Eindruck vermittelt, dass er nicht vertrauenswürdig ist, aber der Mann, mit dem du dich verloben wolltest, der auf dich ganz anders wirkte, hat deine Befürchtungen wahr gemacht. Darüber muss ich unbedingt einmal nachdenken. Vielleicht können wir auch mit der Schlossherrin darüber reden. Sie hat eine gute Menschenkenntnis.“

„Ach, ich will sie damit nicht auch noch belasten“, wehrte Natascha ab.

Mirabell stellte drei große Tassen mit dunkel schimmerndem Kakao auf den Tisch. „Wollt ihr Sahne? Oder ist euch eure Figur egal?“

Die beiden Frauen entschieden sich für die heiße Schokolade pur, ohne eine krönende Sahnehaube.

„Kann ich euch sonst noch irgendwie helfen?“ erkundigte sich die junge Malerin. „Ich habe gehört, es geht um Jim? Er hat sich hier schon ganz gut eingeführt und hilft dem Gärtner Bernhard beim Rasen sprengen und Blumen gießen. Bei der Hitze kann man sich auf die Technik allein nicht verlassen. Man sieht Jim dauernd draußen im Garten, ich weiß gar nicht, wann er für seinen Flugschein lernt.“

Lisa hob die Augenbrauen. „Jim ist ein Naturtalent, ein Genie. Er wird seine Piloten-Lizenz im Schlaf machen. Er muss nicht so viel lernen wie wir anderen.“

Natascha staunte. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Auch ich hatte immer einen Eindruck, als ob er ab und zu träumt. Etwas romantisch und trotzdem so realistisch. Wir waren immerhin ein halbes Jahr zusammen, obwohl wir uns wegen seines Studiums wenig gesehen haben. Sollte ich mich so in ihm getäuscht haben?“

„Ganz bestimmt“, behauptete die zukünftige Pilotin mit sicherer Stimme und nahm einen Schluck Kakao. „Ich kenne ihn nun schon ziemlich lange und finde, er ist ein Überflieger, aber nicht im schlechten Sinn. Er zieht sich das Wissen auf eine leichte Art und Weise rein, aber seine Gedanken können auch spielerisch in alle Weiten fliegen.“

Die junge Pianistin stutzte. „Du magst ihn? Du liebst ihn? Du sprichst auf eine ganz besondere Weise über ihn.“

Lisa lächelte. „Nein, wirklich nicht. Ich kenne ihn sehr lange und habe ihn schätzen gelernt. Deinen Freund Kilian kenne ich nicht. Er muss dich sehr fasziniert haben, weil du dich seinetwegen von Jim getrennt hast.“

Natascha holte ein zerrissenes Bild aus ihrer Tasche und setzte es auf dem Tisch zusammen. „Sieht er nicht so aus, als könnte man ihm trauen?“

Lisa betrachtete das Foto eingehend. „Er sieht sehr nett aus, jedenfalls auf diesem Bild, und er wirkt absolut nicht wie ein Casanova, sondern eher wie ein Durchschnittsmann. Was mag ihn da nur geritten haben, dass er eure Beziehung derart aufs Spiel gesetzt hat?! Kennst du diese Frau, mit der er dich betrogen hat?“

Die junge Künstlerin nickte. „Oh ja, sie genießt es, wenn sich Männer für sie interessieren, und es reizt sie, ihre Opfer wie eine Spinne einzufangen. Dabei ist sie weder besonders schön, noch besonders sexy, aber sie weiß, was sie will und ist von sich überzeugt. Insgesamt wirkt sie attraktiv, sie weiß sich gut zu verkaufen. Leider habe ich gerade kein Foto von ihr.“

„So, wie du sie mir beschrieben hast, kann ich sie mir gut vorstellen. Sie wirkt wahrscheinlich sehr harmlos, aber hat es in sich. Wohnt sie auch hier in Sankt Augustine?“

Natascha nickte erneut. „Sie arbeitet als Teilzeitkraft in dem großen Spielzentrum, dass man für Kinder und Erwachsene im Gemeinde-Zentrum eingerichtet hat. Und abends fährt sie noch nach Wittentine, dort arbeitet sie in einem Spielautomaten-Café. Ihr Leben hat also sehr viel mit dem Spielen zu tun.“

Lisa grinste. „So könnte man es auch definieren. Du machst mich neugierig. Ich muss sie unbedingt einmal kennenlernen. War sie darüber informiert, dass sich Kilian mit dir verloben wollte?“

„Aber natürlich. Sie selbst hat uns zusammengebracht. Sie hat mir vorher sehr viel von ihm vorgeschwärmt und gemeint, dass wir sehr gut zusammenpassen würden, er und ich. Und dann hat sie uns zusammen zu einer Party eingeladen. An diesem Abend hat es wohl bei ihm gefunkt, aber bei mir noch nicht. Erst ein paar Tage später, nachdem er mich immer wieder angerufen hatte, bin ich auf ein nächstes Treffen eingegangen. Er hat nicht lockergelassen. Und sein Selbstbewusstsein hat mir auch gefallen. Er hat sofort behauptet, dass wir füreinander bestimmt sind.“

„Und wie verhält er sich jetzt? Bereut er, was er getan hat?“

Natascha seufzte. „Ja, das behauptet er jedenfalls. Er meint, Delia habe ihn verführt. Aber wenn das nur ein einziges Mal gewesen wäre, dann hätte ich ihm das vielleicht sogar noch geglaubt. Mich mit ihr aber mehrere Male zu betrügen, das kann ich nicht verzeihen, auch wenn er mich täglich darum bittet. Er behauptet einfach, sie habe ihn verhext, und er hätte sich erst wieder aus ihren Netzen befreien müssen. Aber das lasse ich nicht gelten. Jetzt weiß ich auch, warum er sich so schnell mit mir verloben wollte. Er dachte wohl, wenn ich die ganze Geschichte danach erfahre, hätte ich Hemmungen, diese Verbindung wieder zu trennen.“

Lisa atmete tief. „Das ist eine ganz schön verzwickte Geschichte. „Aber was sagt dein Herz?“

Natascha nahm einen großen Schluck der heißen Schokolade. „Mein Herz hat natürlich getobt, war wütend und verletzt. Das befindet sich gerade in einem Sturm, aber von Liebe spüre ich im Moment gar nichts. Vielleicht kennst du das auch, manchmal denkt man, man müsste durch eine Hölle gehen.“

„Ja, leider habe ich da auch schon meine Erfahrungen gemacht. Die meisten Menschen müssen diese Enttäuschungen wohl erst einmal erleben, um danach einen besseren Weg für sich zu finden. Wir werden bestimmt noch öfters darüber reden. Ich danke euch auch für eure Hilfe. Und jetzt ziehe ich mich ein Stündchen zurück, um ein bisschen zu fliegen. Du musst mich jetzt nicht begleiten, ich werde jetzt mit dem Rollstuhl ganz allein mein Zimmer finden. Bemühe dich nicht! Ich bin ein Mensch, der am liebsten alles selbst managt und der, wenn möglich, ohne die Hilfe der anderen auskommen will.“

Natascha lächelte. „Okay, das akzeptiere ich. Dann wünsche ich dir jetzt noch viel Erfolg oder soll ich sagen: Entspannung?“

„Beides“, antwortete Lisa. „Danke! Und über diese Delia werden wir noch sprechen.“

4. Kapitel

Mirabell streifte durch den Schlossgarten und traf hinter dem Venusbrunnen Bernhard, den Gärtner. Er war gerade damit beschäftigt, in den Blumenbeeten das Unkraut zu entfernen.

Als er sie ankommen sah, legte er den Unkrautstecher beiseite. „Suchst du ein Motiv für deine Studien? Heute haben sich wieder neue Knospen der Rose Elbflorenz geöffnet. Wenn ich malen könnte, würde ich es sofort tun.“

Sie sah ihn bedauernd an. „Eigentlich wollte ich dich um ein paar Blumensträuße bitten. Lisa, eine der zukünftigen Pilotinnen sitzt im Rollstuhl mit gebrochenen Füßen, und Natascha, meine Kollegin, die junge Pianistin hat gerade ziemlich brutalen Liebeskummer. Da wollte ich den beiden mit ein paar Blümchen eine Freude machen.“

Bernhard hob die Augenbrauen. „Ich mache dir einen anderen Vorschlag, ich schneide dir für jede der beiden Frauen eine einzelne Rose ab. Die verbreitet dann auch einen berauschenden Duft. Die anderen lassen wir am Strauch und in den Gewächshäusern und du malst ihnen stattdessen die restlichen Rosen? Die halten dann ewig, und deine Freundinnen haben lange Freude daran.“

Mirabell sah ihn entsetzt an. „Ist das dein Ernst? Ich sehe schon, du bist kein echter Gärtner. Adelaide hat mir schon erzählt, dass du so wundervoll Klarinette spielen kannst. Vielleicht solltest du dich besser darauf konzentrieren. Findest du wenigstens ab und zu einen hübschen bunten Strauß für deine Frau Carla?“

Er schmunzelte. „Ich bin ein guter Gärtner und schütze meine Pflänzchen. Lebend gefallen sie mir eben am besten. Daher verwöhnte ich meine Frau auch nicht allzu sehr mit überdimensionalen Blumensträußen. Außerdem ist es momentan sehr heiß. Diese perfekten Blüten welken schon in wenigen Stunden. Hast du kein Mitleid mit ihnen?“ fragte er scherzend.

Sie gab nach. „Also gut, eine Rose für jede. Und damit du beruhigt bist, fotografiere ich sie vorher noch mit dem Handy und male sie später, sobald ich Zeit habe. Ist das ein guter Deal.“

„Dann komm mit ins Gewächshaus! Ich schneide dir zwei schöne Exemplare ab. Hast du schon von der Schauspielerin Renata gehört, die gerade im Laientheater vom Gemeindezentrum spielt?“

„Nein, keine Ahnung. Was ist mit ihr? Ich kenne sie auch nur flüchtig. Ich habe sie einmal in dem Stück „Effi Briest“ gesehen. Da hat sie die Hauptrolle gespielt. Privat kenne ich sie gar nicht.“

Über Bernhards Gesicht huschte ein Schatten. „Sie ist verschwunden und sogar die Polizei sucht nach ihr.“

„Aber sie ist doch schon alt genug. Bestimmt schon über 20. Vielleicht hatte sie einfach nur keine Lust mehr auf diese kleine Stadt Sankt Augustine.“

Er führte die Malerin in das Gewächshaus. Düfte verschiedener Rosen durchströmten den Raum und machten auf sich aufmerksam. „Sie hat häufig Depressionen, und Tarek, der Regisseur macht sich große Sorgen um sie. Er befürchtet, dass sie sich etwas antun könnte.“

Mirabell erschrak. „Das ist schlimm. Menschen, deren Gefühle gestört sind, tun mir sehr leid. Ich kenne das ein bisschen von meiner Großmutter. Sie hatte auch oft dunkle Gefühle, da sprach sie von tiefen Löchern, aber das wechselte ab mit Perioden der Unruhen, der Aggressivität und der Gefühlskälte. Es muss schrecklich sein, so leben zu müssen. Und ich hatte gedacht, Renata sei eine glückliche junge Frau und stolz auf ihren Erfolg mit der Schauspielerei.“

„Berufliche Erfolge können da oft nicht helfen“, wusste Bernhard. „Sogar eine intakte Partnerschaft schützt nicht vor depressiven Zuständen.“

„Ich kenne sie leider nicht gut genug“, bedauerte Mirabell. „So weiß man gar nicht, wohin es sie zieht. Bestimmt an irgendeinen einsamen Ort und nicht in das Getümmel einer Großstadt. Vielleicht sollten wir hier auch im Schloss und im Park einmal gut nachschauen, ob sie sich nicht hier irgendwo versteckt hält. Was sagen denn ihre Eltern dazu?“