4,99 €
Halte dich von deinem Ex fern – für immer! Die Journalistin Zoe steht mit beiden Beinen mitten im Leben: Sie hat einen tollen Job, ist erfolgreich und genießt ihre Freiheiten. Als sie mit ihrem Ex-Freund Luke ein Interview führen muss, kommen die Narben zum Vorschein, die die Trennung in ihr hinterließ. Sie will sich von ihm fernhalten, doch die Arbeit zwingt sie in seine Nähe.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Lina Doe
Forgotten Love – Zoe & Luke
erotischer Liebesroman
Impressum
© September 2023, Lina Doe
Lina Doec/o Autorenservice PatchworkSchlossweg 6A-9020 [email protected]
Lektorat und Korrektorat: LibriMelior – Michael WeyerCover Design: Giusy Ame / Magicalcover
Bildquelle: Depositphoto
Lina Doe
Forgotten
Love
Zoe & Luke
Bisherige Bücher der Autorin:
Forgotten Dreams – Emilia & Adriano
Forgotten Passion – Liana & Jan
In einem dünnen Strahl floss brauner Kaffee in die Tasse. Der wievielte war es heute schon? Der vierte oder fünfte wahrscheinlich. Zoe seufzte schwer, zog die Tasse unter der Maschine hervor, lehnte sich gegen die Küchenzeile des Pausenraums und gönnte sich neben einem großzügigen Schuss Milch zwei Zuckerwürfel. Dabei hatte sie gesünder leben wollen. Sie blies in den Kaffee, als wäre er tatsächlich heiß. Feine Wellen breiteten sich kreisförmig in der Tasse aus, und sie trank einen ersten, zögerlichen Schluck.
Es war wie immer. Der Kaffee, die Arbeit, ihre Abende. Das Gesöff war nicht heiß, sondern gut trinkbar. Wie konnte man eine Kaffeemaschine nur so einstellen?
Ellen trat durch die Tür und schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln. »Hey. Alles gut?«
»Ja klar.« Sie zwang sich zu einem Lächeln und wollte den Pausenraum verlassen, hielt sich jedoch zurück. Ellen arbeitete in einer anderen Abteilung der Zeitschrift, sodass Zoe selten in den Genuss des neuesten Klatschs kam, den diese so oft verbreitete. Dabei könnten ihre Erzählungen sie ein wenig ablenken. »Und bei dir?«
Ellen verdrehte ihre großen Augen, die jeden noch so düsteren Tag mit einem Lichtschimmer erhellten. Den Eindruck trübten selbst ihre üppigen Kurven nicht, obwohl Pierre, Ellens Teamleiter, deswegen regelmäßig anzügliche Sprüche fallen ließ. »Frag nicht. Das Wochenende war der Hammer, das Aufwachen heute nicht.« Schwungvoll öffnete sie den Kühlschrank, warf einen langen Blick hinein und griff sich eine Cola.
»Party?« Wenigstens lenkte sie die Erzählung ans vergangene Wochenende von ihrer eigenen Unlust ab.
»Klar.« Ein Aufblitzen in den hellen Augen ließ Schlimmes befürchten. »Du könntest doch auch einmal mitkommen.«
Zoe strich die Haare, die sich aus ihrem Sidecut gelöst hatten, zurück an ihren Platz. »Ich weiß nicht, ob ich mir das leisten kann.« Unwillkürlich schweifte ihr Blick zur Tür, hinter der sich der Redakteur der Zeitschrift versteckte, für die sie arbeitete. Er mochte es nicht, wenn seine Teamleiter keine saubere Arbeit ablieferten. Vor zwei Wochen hatte Zoe eine Reportage geschrieben, die er in den Himmel gelobt hatte. Einigen Lesern hatte sie dummerweise gar nicht gefallen. Einigen einflussreichen Lesern. Seither jagte er sie von einem Auftrag zum nächsten, um sie für ihre unausgewogene Berichterstattung büßen zu lassen. Dabei hatte sie gut recherchiert, die Zusammenhänge gesehen und aufgezeigt. Leider mochten es die Politiker nicht, wenn man ihnen private Interessen bei der Entscheidungsfindung unterstellte, und so hatte ihr Chef Zoe mehr oder weniger ruhiggestellt.
Ellen schenkte ihr ein Lächeln, das sie ein wenig aufmunterte, obwohl sie nur die zusammengepressten Lippen verzog. »Ich weiß, dass du dein Bestes gegeben hast, aber Carlo mag es nicht, wenn die Artikel zu viel aufdecken. Ein wenig, ja, aber nicht so, dass seine Freunde oder Konkurrenten darauf aufmerksam werden und sich davon angegriffen fühlen.« Sie sprach schnell und leise, immer wieder wanderte ihr Blick zur Tür, sodass sie augenblicklich verstummen könnte, sollte sich jemand nähern.
Zoe nickte, senkte den Blick. »Ich weiß. Für mich macht genau das den Reiz aus.« Sie wollte nicht ein Leben lang auf den Fingern sitzen und sich selbst davon abhalten müssen, die Wahrheit zu schreiben. Schon während des Studiums hatte sie davon geträumt, riesige Skandale aufzudecken. Für die riesigen war sie bei einer zu kleinen Zeitschrift gelandet, doch wider Erwarten machte ihr die Arbeit hier Spaß. Wenigstens meistens, wenn der Chef sie nicht auf dem Kieker hatte.
»Zoe!« Carlos Stimme donnerte durch den Raum mit den vielen Notebooks, an denen fleißige Journalistinnen und Journalisten ihre Artikel tippten. Mit einem letzten Blick zu Ellen, die ihr gezwungen lächelnd zunickte, machte sie sich auf den Weg ins Chefbüro. Als Einziger hatte er ein eigenes Büro, alle anderen teilten sich die Dockingstations im Großraumbüro davor.
Carlo saß in seinem schwarzen Ledersessel und hatte die Fingerkuppen aneinandergelegt. Sein stechender Blick aus dunklen, beinahe schwarzen Augen schien sie von oben bis unten zu mustern, um doch auf ihrem Gesicht zur Ruhe zu kommen. Durch sein schwarzes Haar zogen sich weiße Strähnen, der Mund war zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Wäre er zwischendurch nicht so unheimlich narzisstisch, wäre er durchaus attraktiv. »Schließ die Tür.«
Ein Seufzen unterdrückend, tat sie wie geheißen. Obwohl sie sich unter der Musterung unwohl fühlte, weigerte sie sich, dies auf irgendeine Art zu zeigen.
Schließlich senkte er den Blick auf eine Mappe auf seinem Schreibtisch. »Ich habe einen Auftrag für dich.« Mit spitzen Fingern schob er das dünne Dossier über den Tisch, blickte sie wieder an. »Vermassle es nicht, Zoe. Es wäre schade, sich von einem Schreibtalent wie dir trennen zu müssen.«
»Wenn ich so ein Talent bin, solltest du dich mehr von mir abhängig machen und weniger von den Leuten da draußen, die meinen, ihre hinterhältigen Machenschaften seien nicht der Rede wert.« Auch wenn ihr Kopf bei jedem Wort regelrecht schrie, die Luke namens Mund zu schließen und erst in einer Stunde wieder zu öffnen, konnte sie ihren Ärger nicht unterdrücken. Der Artikel war genial gewesen! Das hatte Carlo selbst gesagt. Erst als er die Reaktionen vernommen und Anrufe bekommen hatte, war er zurückgekrebst und hatte alles ihr in die Schuhe geschoben.
Ihr Chef sah sie mit seinem distanzierten, erwartungsvollen Blick an, schwieg jedoch lange Zeit. Mit verschränkten Armen lehnte er sich in seinem gepolsterten Stuhl zurück. »Nun, du kannst auch gehen. Dies ist meine Zeitschrift, und ich werde den Teufel tun, einer mittelmäßigen Journalistin mit zu viel Idealismus eine Bühne zu bieten, damit zwanzig andere ihre Arbeit verlieren.«
So viel also zu ihrem Talent. Natürlich hatte er recht. Wieder einmal. Allerdings könnte sie ihm in diesem Moment den Hals umdrehen, wenn er solche dummen Sprüche brachte. Egal, wie wahr sie waren.
Um nicht wieder gegen Carlo und seine Haltung aufzubegehren, presste sie die Lippen aufeinander und starrte auf die Ecke des Fotos an der Wand hinter ihm. Nur ein paar Grad neben seinen Augen, sodass sie nicht komplett das Gesicht verlor. Sie wusste doch, dass nicht nur sie ihren Lebensunterhalt hier verdiente, sondern viele andere auch. Doch würde es der Zeitung so sehr schaden, ehrlicher zu sein? Immerhin würde das neue Leser anlocken. Andere Leser. Diejenigen, die sich keine andere Zeitschrift anzulocken traute, weil es sich niemand leisten konnte, die Stammkundschaft zu verlieren. Doch wollte man die, wenn man nur verlogene Artikel abdrucken durfte?
Carlo schien ihr Schweigen als Einverständnis zu interpretieren. »Zoe, du kannst das. Du bist professionell. Und wenn du dich nicht auf einen Politiker einschießt und seine Machenschaften aufdecken willst, lieferst du auch gute Artikel.«
Steif nickte sie. Er hatte ihren Artikel als gut betitelt, bevor die Öffentlichkeit ihn zerrissen hatte. Noch dazu war diese Ausgabe der Zeitschrift mit Abstand die bestverkaufte seit über drei Jahren.
»Nun gut.« Carlos schwerem Seufzen nach zu urteilen hatte er sich von diesem Gespräch mehr erhofft. »Dann bereite dich vor. Heute Nachmittag hast du einen Termin bei Luke Kern.«
Bei der Nennung des Namens ratterte ihr Hirn. Wie Alarmglocken schrillte ihr Herz Warnungen durch den gesamten Körper, pumpte ihn mit Adrenalin voll. Der Name weckte unliebsame Erinnerungen, die sie nie wieder hatte sehen wollen. Bilder von einem Mann mit türkisblauen Augen, blondem Wuschelhaar und viel zu großer Nase, die nichts vom Schalk in seinem Blick stahl. Bilder, die sie am besten verstaut hätte, irgendwo an einem Ort, den sie nie wiederfinden würde. Besser, als sie es getan hatte.
Zoe zwang sich zu einem tiefen Atemzug. Der Mann, von dem Carlo sprach, hieß Luke, nicht Lukas. Zudem klang der Name englisch. Bei Lukas hätte sie den Auftrag abgelehnt und notfalls auch hier und jetzt die Kündigung eingereicht.
Sie setzte ein breites Lächeln auf, das sich so falsch anfühlte wie das Schreiben unrichtiger Tatsachen. »Heute Nachmittag habe ich …«
Carlo winkte ab, unterbrach sie mit einem stechenden Blick. »Danach ist er für drei Wochen nicht mehr erreichbar, und ich will den Artikel, bevor ihn sonst jemand druckt.«
Das harte Funkeln seiner Augen ließ keinen Widerspruch zu, sodass Zoe abermals eine Erwiderung hinunterschluckte und die Mappe mit den Unterlagen an sich nahm. »Ich werde es organisieren.« Doch selbst die Zusicherung entlockte ihm lediglich ein kaum merkliches Nicken und nahm seinem Blick kein bisschen von seiner Härte.
Bemüht darum, es nicht nach einer Flucht aussehen zu lassen, eilte sie aus Carlos Büro. Früher hatte sie ihn gemocht, hatte seine direkte Linie bewundert, doch seit er ihr in den Rücken gefallen war … Sie schüttelte den Kopf. Oder war er ihr gar nicht in den Rücken gefallen, sondern sie ihm, indem sie ihm gewisse Hintergründe nicht verraten hatte, damit er die Zusammenhänge nicht sah?
Mit brummendem Kopf setzte sie sich an die Dockingstation zu ihrem Laptop. Heute hatte sie einen Platz an der breiten Fensterfront erwischt. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Wenigstens in dieser Hinsicht hatte sie Glück, und sie konnte das Spiel von Wolken und Wind, von Schatten und sonnigen Stellen auf sich wirken lassen. Zoe mochte die Leichtigkeit, die sie ausstrahlten, auch wenn die Redaktion mitten in einem Quartier lag.
Schritte näherten sich ihr, und eine zierliche Hand stellte einen Kaffeebecher neben ihren Laptop. Erstaunt sah sie zu Ellen auf, die ihr ein warmes Lächeln schenkte. »Deiner war kalt, deshalb habe ich einen Neuen gemacht.«
Wie eine Kerze sandte die kleine Aufmerksamkeit Zoe ein warmes Leuchten in den Bauch. Selbst wenn der Kaffee aus der Maschine als tendenziell handwarm bezeichnet werden konnte. »Danke.«
»Kein Problem. Viel Erfolg mit dem Artikel.« Ellen nickte ihr zu. »Du kannst das, ich weiß es. Ich liebe deine Beiträge.« Mit hochgestrecktem Daumen und einem Zwinkern entfernte sie sich von ihr, als fürchtete sie, selbst ins Visier des Chefs zu kommen. Zu allem Unheil verstand Zoe sie.
Sie wandte sich der Mappe zu, warf einen Blick auf die Uhr und rollte mit den Augen. Noch gut drei Stunden, in denen sie sich auf das Treffen vorbereiten konnte, und sie wusste noch nicht einmal, in welche Richtung der Artikel gehen sollte. Sie riss sich von ihren Sorgen und Gefühlen los, die sie nur von ihrer Aufgabe ablenken wollten. Je vorbereiteter sie in drei Stunden war, desto gezielter konnte sie Fragen stellen. Nette Fragen. Also schickte sie sich in ihre Aufgabe, hakte sie als Prüfung für ihre weitere Karriere bei der kleinen Zeitschrift ab und öffnete die Mappe. Auf dem ersten Blatt standen Carlos Vorgaben an den Artikel:
Homestory Luke Kern
Investmentbanker, alleinstehend (?)
Durch seinen Zuzug müssen die anderen Einwohner der Gemeinde nur noch halb so viel Steuern zahlen.
Wichtig: positives Bild. Keine Verklärung. Homestory. Menschennah, mit Witz und einem Zwinkern, aber auch etwas ernst.
Zoe verkniff sich ein Seufzen. Deshalb wollte Carlo genau sie für den Artikel. Immer wieder lobte Carlo sie für ihre lebensnahen Reportagen von Menschen in ihren eigenen vier Wänden. Es ging nicht darum, ihren Namen reinzuwaschen, sondern darum, das Maximum für die Zeitschrift herauszuholen. Wie immer. Wieso also erstaunte es sie? Außerdem war sie doch genau deshalb Journalistin geworden und mochte ihre Arbeit. Dazu gehörte, Menschen mit bewegenden Geschichten zu unterhalten und Zusammenhänge aufzudecken, die zu Diskussionen führten und Veränderungen auslösten. Sie wollte der Welt die Augen wenigstens ein kleines Stück öffnen und dafür war sie gewillt, den einen oder anderen Rüffel einzustecken. Sie ließ sich nicht von Carlo unterkriegen. Wenn er mit ihrer Arbeit nicht zufrieden war, konnte er sie rauswerfen.
Nicht, dass sie ein Jobangebot in Aussicht hatte, doch sie würde schon etwas finden. Ansonsten machte sie es wie ihre Freundin Emilia, reiste ins Ausland, um einen gut aussehenden Mann um den Finger zu wickeln und sich in dessen Herz zu schleichen.
Bei der Erinnerung an das Strahlen in Emilias Augen zuckten Zoes Mundwinkel. Auch wenn sie ihre beste Freundin vermisste wie niemanden sonst, gönnte sie ihr das Glück aus vollem Herzen.
Fertig geträumt, rief sie sich selbst zur Vernunft. Sie hatte eine wichtige Aufgabe vor sich liegen, die sie so gut wie möglich ausführen wollte. Zoe blätterte weiter. Sah das Bild des blonden Mannes mit der großen Nase und dem viel zu breiten Grinsen.
Lukas Kern war Luke Kern.
Bei allen guten Geistern und den schlechten, das konnte doch nicht wahr sein!
Zoe wagte es kaum, die riesige Hütte noch einmal zu betrachten. Da drin lebte Lukas, nein, Luke, wie er sich inzwischen offenbar nannte. Sie schüttelte den Kopf und blickte sich um. Der große Parkplatz, der jedes Café in der Innenstadt von Bern vor Neid hätte erblassen lassen, weil er größer war als ihre gesamte Ladenfläche, war leer. Nur ihr zitronengelber Cinquecento stand darauf. Und sie selbst.
Sie presste die Mappe mit den Unterlagen gegen ihren Bauch, hielt sich daran fest, weil ihr sonst niemand Halt schenkte. Ihre Eingeweide verknoteten sich ineinander. Als sie heute erfahren hatte, dass sie ihre alte Jugendliebe interviewen sollte, hätte sie am liebsten die Flucht ergriffen. Gekündigt. Nur ihr letzter Funke Verstand hatte sie davor bewahrt, alles hinzuwerfen, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte. Es gab nur wenige Journalistenjobs und noch weniger solche, die ihr die Freiheiten ließen, die ihr Carlo gewährte. Obwohl er oft ein Macho war und seine Mitarbeiter von oben herab belächelte, hatte er auch seine guten Seiten. Immerhin hätte er ihren strittigen Artikel ganz aus dem Programm streichen können, doch er war das Risiko eingegangen, einen Rüffel einzufahren.
Vielleicht hatte er aber auch einfach nicht sehen wollen, was für sie offensichtlich gewesen war. Mit dem richtigen Hintergrundwissen.
Die Kirchturmuhr schlug zweimal. Entschlossen nickte Zoe, wappnete sich innerlich gegen den Ansturm ihres Herzens, das sich gegen alles auflehnen würde, was Lukas ihr sagen würde, weil es ihm kein Wort glaubte. Nicht mehr.
Nie wieder.
Obwohl schon zwischen Parkplatz und Straße ein Eingangstor prangte, gab es zwischen Parkplatz und Haus ein zweites. Im Gegensatz zum ersten wirkte es nicht schnuckelig alt, sondern brandneu. Es war aus schwarzem, gesandstrahltem Eisen erbaut und tief in die Mauer eingelassen. Mit hellbeigem Marmor markierte die Mauer seinen Besitz, hielt alle draußen, die Luke nicht sehen wollte. Doch sie wollte er sehen.
Wie ein Kind, das trotz Fernsehverbot eine halbe Stunde seiner Lieblingsserie gucken konnte, hüpfte ihr Herz bei der Vorstellung, ihm bald wieder gegenüberzustehen.
Energisch schüttelte Zoe den Kopf. »Er will nur eine Journalistin sehen, nicht dich«, ermahnte sie sich selbst und drückte auf die Klingel.
Wenige Augenblicke später raschelte es in der Gegensprechanlage. »Ja?«
Er war es. Der Charme seiner Stimme war selbst in diesem Moment zu hören, in dem die Technik sie leicht verzerrte und wiedergab. Doch er war es, unverkennbar. In jedem Wort schwang ein Lachen mit, das sie an ihren ersten Sommer an der Aare erinnerte, an unendliche Sonnenuntergänge und das Strahlen seiner Augen. Sein Lachen. Die Freude in seinen Blicken, die Bewunderung, wenn er sie betrachtet und ihr eine lose Strähne aus dem Gesicht gestrichen hatte.
Nachdem er sich von ihr getrennt hatte, hatte sie sich den Sidecut geschnitten, damit niemand mehr sie so zärtlich berührte.
»Wer ist da?«
Zoe schrak zusammen, räusperte sich. »Ich bin hier. Ich habe einen Termin von der Zeitschrift …« Sie schaffte es nicht, fertig zu sprechen, da summte es und das Tor vor ihr sprang auf. Mit heftig klopfendem Herzen trat sie ein, glaubte, in jedem Moment ohnmächtig umzufallen, weil sie die Spannung nicht aushielt.
Es ist nur ein Auftrag. Ein Artikel. Doch die Gedanken beruhigten sie keineswegs. Wieso hatte sie niemand in der Ausbildung darauf vorbereitet?
Hinter dem Tor breitete sich ein natürlich wirkender Garten aus. Von Emilia wusste sie, dass solche Gärten akkurat geplant wurden. Die Natur war nicht so zufällig, wie es oft schien. Staunend ließ sie den Blick über die Details und das Bild schweifen, das die einzelnen Elemente aus dem Ganzen zauberten. Schritt für Schritt folgte sie den Gartenplatten, bewunderte den Blick auf das Dorf unten im Tal, das nicht weit entfernt war und doch wie aus einer anderen Welt schien. Helle Wände, große Fenster und ein Mann mit zur Seite ausgestreckten Armen erwarteten sie.
»Zoe!« Lukas lachte. »Wie schön, dich zu sehen. Komm! Komm her und lass dich ansehen.« Bei einem überdachten Durchgang zwischen zwei Gebäudeteilen wartete er auf sie.
Ihr Herz war zum Zerreißen gespannt. Sie wollte sich nicht wieder auf diesen Mann einlassen, und doch blieb ihr nichts anderes übrig. Sie musste ihm die Fragen stellen, die sie vorbereitet hatte. Sogar Carlo hatte zwei, drei Hinweise gegeben, wie sie das Gespräch in eine wohlwollende und doch interessante Richtung lenken konnte. Als würde sie das brauchen!
Sie tat beschäftigt, nickte ihm zwar freundlich zu, doch unterbrach den Blickkontakt, um in der Ledermappe nach Stift und Notizblock zu suchen. Doch wie sehr sie es auch versuchte, sie schaffte es nicht, ihr Herz zu beruhigen. Noch immer hämmerte ihr Puls durch ihren Körper, ließ Orte kribbeln, von denen sie gedacht hatte, sie hätte sich von ihnen getrennt.
»Hallo, Lukas. Wie geht es dir?«
»Fantastisch!« Wieder lachte er. »Sieh dich doch um. All die Arbeit zahlt sich endlich aus.«
Die Arbeit, für die er ihr Herz gebrochen hatte.
»Ich freue mich, endlich wieder in der Heimat zu sein. Nach Hause zu kommen ist mit einem besonderen Zauber verbunden, findest du nicht?«
»Allerdings hat dein Palast nicht mehr viel mit Heimat zu tun«, murmelte sie und folgte ihm in den Durchgang. Von der Ebene drang warme Luft herauf, zwängte sich zwischen den beiden Hausteilen hindurch und spielte mit ihrem Haar. Beschwingten Schrittes ging Lukas voran.
Zoe nahm sich etwas mehr Zeit. Sie war hier, um eine Homestory über Luke Kern zu schreiben. Da interessierten auch die kleinen Details, besonders die, die er nicht preisgeben wollte. Der kleinere Gebäudeteil zu ihrer Linken musste ein Fitness- und Aufenthaltsraum sein. Durch das Fenster hindurch erkannte sie einen Crosstrainer, ein Laufband sowie einen Fernseher, der größer war als ihre ganze Wohnzimmerwand. Wenn er nicht noch Kinosessel davorgestellt hätte, wäre sie beinahe enttäuscht gewesen. Bestimmt hatte er auch einen Kühlschrank mit Eisspender einbauen lassen, nur damit er seine Cola nicht kühlen musste. Davon hatte er früher immer geschwärmt. Wenn er einmal reich sein würde, würde er sich einen solchen Kühlschrank leisten.
Kopfschüttelnd wandte sich Zoe von dem Raum und den Erinnerungen ab und beschleunigte ihre Schritte, um zu Lukas aufzuholen. Auf der anderen Seite des Durchgangs begrüßte sie eine atemberaubende Aussicht auf das kleine Dorf, das sich dem reichen Jüngling zu Füßen warf. Ob es hier, fernab jeglicher Bauzonen, für einen Normalbürger überhaupt möglich gewesen wäre, eine Baubewilligung zu erhalten, noch dazu für ein solches Anwesen? In Carlos Notizen stand, dass er eine seit Jahren unbewohnte, baufällige Villa abgerissen und ein neues Haus gebaut hatte. Deshalb wohl das alte Tor bei der Straße und das neue vor dem Haus.
Sie sah sich im vorderen, abfallenden Teil des Gartens um. Hatte sie beim Eingang schon gedacht, dass Lukas die Umgebung großzügig geplant hatte, stellte dieser Bereich es noch in den Schatten. Büsche, Sträucher, kleine Juwelen erzählten von ganz viel Liebe zum Detail und sprachen aus jedem Millimeter dieses Gartens. Emilia hätte ihn geliebt, und auch Zoe gestand sich insgeheim ein, dass sie sich dem Charme des Anwesens nicht ganz entziehen konnte. Zudem besaß es einen großzügigen Pool, der bis zum Rand reichte. Solche Infinitypools hatte sie bisher nur in Wellnesshotels gesehen, nie bei einem Privaten. Und nun besaß Lukas einen solchen, zusammen mit einem Haus, das vermutlich größer war als das Mehrfamilienhaus mit vier Wohnungen, in dem sie aufgewachsen war.
Betont gelassen ließ sie ihren Blick über die Umgebung schweifen. Obwohl sie sich aufgrund der erhaltenen Informationen etwas Luxuriöses vorgestellt hatte, hatte sie nicht mit so etwas gerechnet. Allein die Größe erschlug sie. Wie musste es da ihm gehen, der nach der Arbeit jeden Abend hierherkam und sein Haus leer vorfand? In ihren Unterlagen war erwähnt, dass er noch immer Junggeselle war und dieses Leben offenbar genoss.
»Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?« Lukas holte sie aus ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. »Ich kann dir auch einen Drink machen. Caipirinha? Sex on the Beach?«
Unwillkürlich huschte ein Lächeln über ihre Lippen. »Müsste es nicht Sex on the Pool heißen?« Zoe biss sich auf die Unterlippe und beschattete ihr Gesicht mit der Hand. Wie hatte sie nur so vorlaut, so unüberlegt sein können? So freundlich. Sie war als Journalistin gekommen, nicht als seine Gespielin. Solche doofen Aussagen sollte sie sich besser verkneifen, besonders, wenn sie sie mit einem Lächeln dekorierte.
Sein Grinsen verbreiterte sich, sodass sie glaubte, seine Mundwinkel würden nächstens die Ohrläppchen küssen. »Wenn du das möchtest, bin ich gerne bereit, dir Sex on the Pool zu besorgen.« In seinen Augen blitzte etwas auf, das sie zu gern vergessen hätte. »Notfalls auch in the Pool.«
Ein kaum hörbares Kratzen in seiner Stimme überzog ihre Haut mit einer leichten Gänsehaut. Er meinte es genau so, wie er es gesagt hatte. Bei der Vorstellung davon, wie Lukas mit ihr in den Pool stieg und sie verwöhnte, bis sie vor Lust in seinen Armen zerfloss, ging ein heftiges Zucken durch ihren Unterleib. So schnell sich die Bilder in ihrem Kopf geformt hatten, so vehement scheuchte sie sie davon.
Zoe setzte sich auf einen der Liegestühle, kreuzte die Beine und sah ihn auffordernd an. »Danke, sehr nett. Ich hätte aber lieber ein Wasser.«
Mit einem Lächeln zerschmetterte er ihre Hoffnungen, ihn damit aus der Ruhe zu bringen, in so kleine Teile, dass sie kein einziges davon wiederfand. Offenbar hatte er mit einer Antwort wie dieser gerechnet. Nach allem, was in der Vergangenheit zwischen ihnen vorgefallen war, durfte er auch nicht auf offene Arme oder mehr hoffen. Mit einem breiten Grinsen, das in ihr Erinnerungen weckte, die sie schon längst sorgfältig weggeschlossen hatte, verließ er den Gartensitzplatz.
Um sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, ging Zoe ihre Fragen noch einmal durch. Vor jedem Interview stellte sie sich eine Liste zusammen, als eine Art Leitfaden, den sie nutzen konnte, um das Gespräch in den Bahnen zu halten, die sie mochte. Zudem boten sie eine gewisse Sicherheit, um nicht in Verlegenheit zu geraten oder wenn sie etwas vergessen hatte. Nicht zuletzt traf sie manchmal auf Menschen, mit denen sie kein natürlich wirkendes Gespräch aufrechterhalten konnte. Die Chemie stimmte einfach nicht. Dann war sie immer froh um ein paar Stichpunkte, an denen sie sich entlanghangeln konnte. Meistens jedoch entwickelte sich ein anregender Austausch, den sie in vollen Zügen genoss.
Lukas stellte ihr ein Glas Sprudel hin, an den Rand hatte er eine Zitronenscheibe gesteckt. »Dann haben wir ja beide, was wir wollen.« Breit grinsend ließ er sich zurück auf seinen Liegestuhl sinken, der teurer wirkte als ihr Fahrrad. Mit dem Wasser in seiner Hand prostete er ihr zu.
»Nicht ganz.« Zoe blickte ihm fest in die Augen. »Eigentlich wäre ich gern schon fertig.«
Mit vorgeschobener Unterlippe warf er einen Blick auf seine Uhr. »Noch nicht einmal halb drei. Ich glaube, ich habe den falschen Beruf gewählt. Was verdienst du denn, wenn du schon so früh Feierabend hast?«
Als hätte er sie in das kalte Poolwasser geworfen, starrte sie ihn für einen Moment nur an. Wie konnte er es wagen, ihr zu unterstellen, dass sie zu viel verdiente? Er! Ausgerechnet der Mann, der einer ganzen Gemeinde die Hälfte ihrer Steuern bezahlte!
»Nicht so viel wie du, nehme ich an«, gab sie möglichst gelassen zurück. »Aber das passt schon, ich brauche auch etwas weniger als du. Dafür musst du dich hier nur umsehen. Sicher verdient deine Putzfee mehr als ich, und deine Gärtnerin arbeitet nur für dich, groß wie der Garten ist.«
Ein Funkeln trat in seine Augen. Es ließ ihr Herz höher schlagen, als sie es jemals hatte erlauben wollen, erinnerte es sie doch an diesen Sommer, als sie zum ersten Mal erfahren hatte, was zerschmetterte Träume bedeuteten. Noch immer saß der Haken tief in ihrer Brust. Sie hatte alles rundherum zuwuchern lassen, doch die Verletzung war immer noch da. Und nun kam dieser Möchtegernmillionär daher und wagte es, sie wieder in seinen Bann zu ziehen.
Lukas hielt ihrem Blick stand. »Das ist doch auch gut so, sonst wärst du gar nicht hier. Du kannst schreiben, wie toll es ist, dass jemand in dieser Gemeinde so viele Steuern zahlen muss, dass die restlichen Einwohner viel weniger zu zahlen haben. Und wie gut ich meine Angestellten bezahle.« Er zwinkerte ihr zu und trank einen Schluck seines Wassers.
Es klang eher nach einer übertriebenen Selbstdarstellung als nach einem guten, spannenden Artikel. »Natürlich. Also, wie viel verdienst du?«
»Das fragt man doch nicht.«
»Ich schon.« Sie warf einen geschäftigen Blick auf ihre Notizen, las kein einziges Wort davon und blickte auf. »Außerdem hast du mir vorher die gleiche Frage auch gestellt. Also?«
»Ich verdiene genug.«
»Wie viel?«
Langsam schüttelte er den Kopf, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Sein Mund war leicht geöffnet, als glaubte er nicht so recht, was sie sich erlaubte, und dennoch zeigten die Mundwinkel nach oben. Wie früher. »Weißt du noch, wie oft du mich herausgefordert hast?«, fragte er leise.
Natürlich wusste sie das noch, genau wie alles andere, das er mit ihr gemacht hatte. Wie er sie aufgezogen, mit ihren Erwartungen gespielt hatte, mit ihr, mit ihrem Körper, und sie doch in jedem Moment geliebt hatte. Aber sie durfte sich nicht ablenken lassen. »Zwei Millionen? Drei?«
Er räusperte sich, wandte den Blick ab. »In welchem Zeitraum?«, fragte er, klang dabei jedoch nicht annähernd so zugänglich wie noch einen Wimpernschlag zuvor.
In Zoe regte sich der Hauch eines schlechten Gewissens. Er hatte sich trotz ihrer Vergangenheit um eine gute Kommunikation bemüht, und sie hatte ihn einfach bedrängt, obwohl sie wegen ihrer Arbeit hier war. Die hatte sie nicht deswegen gewählt, weil sie einfach war, sondern weil sie die Herausforderungen gelockt hatten. Auch deshalb hatte sie den Artikel über die Politiker so geschickt eingefädelt, dass Carlo dessen Tragweite nicht hatte begreifen können. Und nun tat sie, als wäre sie in Fesseln hierhergeschleppt und zum Bleiben verdonnert worden.
Sie überwand sich, ihren alten Groll in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins zu drängen, einen langen Blick auf die Umgebung zu werfen und ein Lächeln aufzusetzen. »Fünf Minuten oder weniger?«
Als hätte sie ihm einen Besenstiel hinten reingerammt, setzte er sich aufrecht hin. Sein harter Blick hätte Mauern zum Einsturz bringen können, doch als er ihre leicht gehobenen Mundwinkel wahrnahm, entspannte er sich ein Stück. »Weniger. Ein bisschen.«
Leise lachte sie in sich hinein. Es erinnerte sie an die vielen Augenblicke, die sie gemeinsam gelacht hatten. Muskelkater hatte sie am nächsten Morgen gehabt. Manchmal hatte sie Tränen gelacht, kaum mehr atmen können. »Lang ist es her.«
Als hätte er ihre Gedanken erraten, nickte er und sah ihr tief in die Augen. »Und trotzdem noch so nah.«
Von dem Wirbeln in ihrem Bauch überrumpelt, trank sie einen Schluck Wasser. Sie brauchte Zeit und klare Gedanken. Professionell bleiben. »Nein. Nein, da irrst du dich.« Endlich wagte sie es wieder, ihn stumm zu konfrontieren. Dass sich ihr Herz für einen Moment in die alten Tage gewünscht hatte, war ein Fehler. Sie wollte nicht wieder so verletzt werden, nie wieder. Selbst das Risiko, dass es so weit kommen könnte, durfte sie nicht eingehen. »Wir sind uns nicht mehr nah.« Sie würden es nie wieder sein.
Lukas blickte zum Pool, die Augen leicht verengt. Dann stürzte er seinen Drink in einem Zug hinunter, seufzte. »Für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass uns noch etwas verbindet.«
Langsam schüttelte Zoe den Kopf. »Nein. Nicht mehr.«
Dummerweise hatte er nicht unrecht. Doch was sie verband, wollte niemand zwischen einem Menschen haben, dem er vertrauen wollte. Nah sein wollte. Wie er sie verraten, hängen gelassen hatte, die ganze Verzweiflung, die sie damals gespürt hatte … Sie durfte es nicht wieder zulassen.
Mit pochendem Kopf ließ sich Zoe tiefer in die Kissen der Couch sinken. Wann würde die Tablette endlich wirken? Schon seit einer Ewigkeit hatte sie keine Kopfschmerzen mehr gehabt, und nun legten sie sie ausgerechnet an dem Abend lahm, nachdem sie mit Lukas gesprochen hatte. Luke, verbesserte sie sich in Gedanken. Jedes Mal, wenn sie ihn mit seinem richtigen Namen angesprochen hatte, hatte er sie zurechtgewiesen. Er wollte als Luke Kern gekannt werden, nicht als der Lukas, den sie einmal so geliebt hatte. Wahrscheinlich war es besser so.
Als die Wohnungstür ins Schloss fiel, zuckte Zoe zusammen. Das Hämmern in ihrem Schädel hatte augenblicklich zugenommen. Vielleicht sollte sie sich schlafen legen und hoffen, dass ein Meteorit sie erschlug. Wenigstens hätte sie dann für eine wunderbar lange Zeit ihre Ruhe.
»Hey«, begrüßte Liana sie. Ihre Schritte näherten sich, blieben im Gang vor dem Wohnzimmer stehen. »Zoe, alles in Ordnung?«
»Ja.« Sie seufzte die Antwort mehr, als dass sie sie sagte. Wann hatte sie das letzte Mal so müde geklungen?
Mit schnellen Schritten war Liana bei ihr und setzte sich, um ihr die kühlen Finger auf die Stirn zu legen. »Was ist los, Zoe?«
Ein erleichtertes Seufzen kam über ihre Lippen. »Ah, das tut so gut.« Sie schluckte und hatte das Gefühl, als würde sich ihre Kehle verengen. Doch um das Gespräch mit ihrer besten Freundin würde sie nicht herumkommen. Seit Emilia vor über einem Jahr ausgezogen war, um mit Adriano in Italien zu leben, hatte sich ihre Freundschaft deutlich vertieft. Erst war Emilia ihr Angelpunkt gewesen, ansonsten hätte sie Liana vermutlich nie kennengelernt. Nun jedoch war sie ihr eine wichtige Stütze, genau wie die Eltern der beiden, die nicht weit von ihnen entfernt wohnten. Abermals schluckte Zoe. »Ich habe Lukas getroffen, um ein Interview mit ihm zu führen.«
Die Finger, die leicht über ihre Stirn gestrichen waren, verharrten an Ort und Stelle. »Lukas?«
Zoe nickte.
»Der Lukas?«
Abermals nickte sie.
»Wieso tust du so etwas Dummes?«
Zoe strich sich die verirrten Strähnen aus dem Gesicht. Bestimmt standen ihre Haare in alle Himmelsrichtungen ab, und ihr Sidecut war mehr ein Versehen der Frisörin und kein Haarschnitt mehr. »Ich wurde gezwungen. Mein Chef will einen wohlwollenden Artikel über den Mann, der der kleinen Gemeinde die Hälfte der Steuern erspart, weil er selbst so viel bezahlen muss. Er hat seine Hornbrille durch Linsen ersetzt, gibt sich unendlich bescheiden und wohnt in einer Hütte, die besser aussieht als jedes Luxushotel, das du dir vorstellen kannst.« Sie schwieg einen Moment. »Okay, nicht so bescheiden, immerhin hat er ein Haus mit mehr Räumen, als anderswo ganze Quartiere haben.«
Liana legte die freie Hand auf ihre Schulter und drückte sie leicht. »Ich bin mir sicher, du hast das Interview professionell und kompetent hinter dich gebracht.«
Bei der Erinnerung an ihren Aussetzer und die harten Fragen, die sie ihm gestellt hatte, schlug sie die Augen auf. Lianas blonde Haare umrahmten ihr weiches, sinnliches Gesicht mit dem Schmollmund, der immer zu lächeln schien. Die Sorge in den warmen braunen Augen ließ ihre innere Anspannung schmelzen wie ein Eiswürfel in einem Espresso. »Das ist es ja gerade. Ich habe ihm vollkommen unangemessene Fragen gestellt.«
Auf der ansonsten glatten Stirn zeigten sich leichte Falten, als Liana die Brauen zusammenzog. »Das glaube ich nicht.«
»Ich habe ihn nach seinem Einkommen gefragt.«
»Autsch.«
Zoe wandte den Blick ab. »Er wollte ausweichen, ich habe nachgehakt, und er hat gefragt, in welchem Zeitraum.« Sie griff nach einem Knopf an ihrer Bluse und drehte ihn hin und her, so weit der Stoff darunter es zuließ. »Ich weiß nicht. Irgendwie wirkte er verletzt. Als hätte er gehofft, dass die Vergangenheit vergessen ist.«
»So etwas vergisst eine Frau nicht.«
»Nein«, bestätigte Zoe und richtete sich auf. Wenigstens hämmerten die Schmerzen nicht mehr wie verrückt gegen ihren Schädel, sondern gönnten ihr eine Pause. Vielleicht wirkten auch die Tabletten endlich. »Aber weißt du, was das Schlimmste für mich ist?«
Liana bewegte den Kopf langsam zur einen Seite und wieder zurück.
»Dass ich mich nicht im Griff hatte. Dass ich das Geschehene nicht einfach ignorieren konnte, sondern mich deswegen wie der allerletzte Dreck verhalten habe.« Zoe verbarg das Gesicht hinter den Händen, knurrte in die Handflächen, um ihren eigenen Frust loszuwerden. Wie hatte sie nur so dumm sein können, sich so zu benehmen? Sie war Journalistin, und sie war gut darin! Was hatte Luke nur an sich, dass sie in alte Muster verfiel und womöglich sogar ihre Karriere aufs Spiel setzte? »Ich sollte ihn anrufen«, beschloss sie einer Eingebung folgend.
Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, schüttelte Liana energisch den Kopf.