Frag den Abendwind? - Gudrun Leyendecker - E-Book

Frag den Abendwind? E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Der Roman, Frag den Abendwind?? von Gudrun Leyendecker spielt wie die 24-bändige Reihe LIEBE UND MEHR in dem fiktiven, historischen Städtchen Sankt Augustine. Hier, im alten Schloss, wird die Patchworkfamilie Schmitz-Meyer untergebracht und bringt einige Probleme mit in die antiken Räume. Die kleine Tessa und ihr Hund Jupiter gehen eigene Wege und entdecken in den alten Gemäuern ein lange verstecktes Geheimnis.

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Das Buch „FRAG DEN ABENDWIND?“

von Gudrun Leyendecker spielt wie die 24-bändige Reihe LIEBE UND MEHR in dem fiktiven, historischen Städtchen Sankt Augustine.

Hier, im alten Schloss, wird die Patchworkfamilie Schmitz-Meyer untergebracht und bringt einige Probleme mit in die antiken Räume. Die kleine Tessa und ihr Hund Jupiter gehen eigene Wege und entdecken in den alten Gemäuern ein lange verstecktes Geheimnis.

Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren… Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 20 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehnte langen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

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1. Kapitel

„Wissen Sie vielleicht, wo Jupiter ist?“ fragte das Mädchen die ältere Dame.

„Jupiter?“ Die Schlossherrin sah die Kleine erstaunt an. „Wer ist Jupiter? Meinst du etwa den glückbringenden Planeten am Sternenhimmel, Tessa?“

Sie lachte. „Nein. Den meine ich nicht. Jupiter ist unser Hund. Ich habe ihn vor sechs Jahren von meiner Mutter geschenkt bekommen. Da war ich gerade drei Jahre alt. Und im Übrigen ist er mein bester Freund.“

„Ach so, du meinst den drolligen, weißen kleinen Kerl, der hier eben an mir vorbeigelaufen ist. Er kann nicht weit sein, und der Schlosspark ist von allen Seiten eingezäunt. Du musst dir also keine Sorgen um ihn machen. Er kann hier nirgends entweichen. Aber du darfst ruhig Du und Adelaide zu mir sagen. Vom Alter her könnte ich deine Großmutter sein, und ich habe selbst einen kleinen Enkel, der so alt ist wie du.“

Tessa blickte die ältere Dame neugierig an. „Wohnt er auch hier im Schloss? Dann hätte ich jemanden in meinem Alter, mit dem ich mich unterhalten kann.“

„Er wohnt leider etwas weiter von hier entfernt, aber am Wochenende wird er mich besuchen. Soll ich dir helfen, Jupiter zu suchen?“

Das Mädchen nickte eifrig. „Ja, super. Er könnte nämlich sonst deinen schönen Park umgraben. So etwas macht ihm nämlich einen Riesenspaß. Wohin könnte er gelaufen sein?“

„Bei der Wärme vielleicht dorthin, wo er wohl etwas zum Trinken findet. Wir könnten zuerst einmal am Seerosenteich nachschauen, magst du? Möglicherweise interessiert er sich dort auch für die kleinen Frösche.“

Tessa verzog das Gesicht. „Hoffentlich mag er die nicht! Er ist ziemlich verwöhnt und mag nur eine ganz besondere Futtersorte. Bestimmt hat er jetzt Hunger, er futtert immer um diese Zeit. Aber hier kennt er sich noch gar nicht aus. Er hat sich sicher verlaufen.“

„Allzu weit kann er nicht sein“, vermutete die Schlossherrin. Er wird sich sicher noch hier einleben, sobald er alles kennengelernt hat. Da habt ihr es bestimmt ein bisschen schwerer. Für euch muss das doch jetzt schrecklich sein, ohne all eure geliebten Sachen.“

Tessa nickte. „Besonders für Mama und Theo, meinen Stiefvater, ist es sehr schwer. Die beiden haben durch den Brand sehr viele Sachen verloren, die man nie wieder bekommen kann. Unsere Spielsachen, und auch unser Zeug für die Schule, das können wir uns alles wieder neu kaufen, weil uns die Versicherung alles ersetzt. Zum Glück hatte ich meinen Kuschelbär mit in den Urlaub genommen, sonst wäre ich jetzt auch sehr traurig.“

Adelaide beugte sich zu dem Mädchen und sah mitleidig zu ihr hinab. „Das kann ich mir gut vorstellen. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, dass es tröstlich für euch alle ist, dass ihr nicht zu Hause wart, als das schreckliche Unglück geschah. Gott sei Dank geht es euch allen wenigstens körperlich gut.“

„Das sagt meine Mama auch immer“, freute sich Tessa. „Aber ich habe sie in den letzten Tagen oft weinen gesehen. Bei ihr waren es doch viele Andenken, die verloren gegangen sind. Was ist das dort für ein Brunnen?“

Sie zeigte auf das steinerne Paar, das auf dem Sockel inmitten eines runden Brunnens thronte.

„Das sind Mona und Kurti, ein berühmtes Liebespaar, das einmal in Sankt Augustine gelebt hat. Sie hatten ein ähnliches Schicksal wie Romeo und Julia. Leider war es ihnen nicht vergönnt, ihre Liebe hier auf der Erde, gemeinsam leben zu können.“

„Ich habe schon von Caesar und Kleopatra gehört, von Romeo und Julia auch. Sogar von dir hat mir Abigail etwas erzählt und von deiner dramatischen, aber romantischen Liebesgeschichte mit deinem Traummann, der inzwischen, leider aber auch verstorben ist. Von Mona und Kurti hat mir noch nie jemand etwas berichtet. Und wie kommt dieser Brunnen hierher?“

„Mein Mann Moro hat ihn bauen lassen, weil auch ihn die Geschichte des Liebespaares so berührte, und die Skulpturen hat er selbst in Stein gehauen.“

„Ich habe schon seine vielen Bilder im Schloss gesehen. Der hat ja ganz schön viel gemalt, dein Mann. Ich kann überhaupt nicht zeichnen, und schon gar nicht malen. Meine Schwester Rebecca meint immer, deswegen müsste ich nicht traurig sein, aber mein Bruder Jan, der zieht mich schon öfters damit auf.“

„Was machst du denn gern?“ erkundigte sich die ältere Dame. „Du hast so eine zarte Figur. Tanzt du vielleicht gerne im Ballett?“

Tessa schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich klimpere so ein bisschen auf dem Klavier. Das Spielen habe ich mir selbst beigebracht, denn Mama hatte bisher noch nicht genügend Geld, um mir Klavierstunden spendieren zu können. Ich interessiere mich für Musik, sogar für die alten, unmodernen Komponisten.“

„Dann hast du jetzt richtig Glück, dass ihr in der nächsten Zeit hier wohnen könnt“, überlegte Adelaide. „Im Schloss wohnen auch Musikstudenten, einige von ihnen spielen sehr gut Klavier. Vielleicht hat einer von ihnen Zeit, dir etwas Unterricht zu geben. Ich werde Angelika einmal fragen. Sie möchte einmal Pianistin werden und hat zu Hause selbst eine kleine Schwester. Hättest du dazu Lust?“

„Super! Das klingt gut. Aber dieses alte Schloss interessiert mich hier auch sehr. Darf ich mich in allen Räumen einmal umschauen, auch in den Turmzimmern?“

„Natürlich, es gibt hier keine Geheimnisse. Und in meinem privaten Bereich gibt es auch noch einige Zimmer, die du dir gern einmal mit mir ansehen kannst. Dort bewahre ich alle Bilder, Skulpturen und Fotos meines verstorbenen Mannes auf. Und wenn du einmal ins Museum möchtest, wird dir die Journalistin Abigail, die hier mit ihrem Mann im Schloss wohnt, sicherlich eine private Führung geben. Sie freut sich immer, wenn sie Menschen für Kultur interessieren kann.“

Das Mädchen hob den Kopf. „Spukt es hier im Schloss eigentlich auch?“

„Bis jetzt haben wir noch nichts bemerkt. Früher war das hier eine Burg, und einige Jahre lang hat dieses Schloss einem französischen Adeligen gehört, dessen Vorfahren der französischen Revolution entkommen waren. Ein kleines Mädchen wie du hat vor einiger Zeit schon einmal ein bisschen recherchiert und entdeckt, dass es zu den Zeiten der Burg schon einige große Grausamkeiten gegeben hat. Deswegen bin ich schon recht froh, dass es hier nicht spukt. Du musst dir also keine Sorgen machen!“

„Das tue ich auch nicht. Und Jupiter ist ja auch fast immer bei mir. Er passt auf mich auf. Ich glaube, dort hinten ist er.“ Sie zeigte mit dem Finger auf einen blühenden Rhododendronbusch, dessen dichte Blätter sich stark bewegten.

„Das ist gut möglich“, stimmte ihr die ältere Dame zu. „Möglicherweise hat sich ein Häschen oder ein anderes Tier dort versteckt.“

„Jupiter!“ rief das Mädchen und rannte auf das Gebüsch zu.

Als sich nichts tat, rief Tessa noch einmal mit energischer Stimme mehrmals nach dem Hund.

Das half, zwischen den Blättern erschien ein kleiner weißer Hund mit lockigem Fell und strebte mit wedelndem Schwänzchen auf die Kleine zu.

Sie beugte sich zu ihm und kraulte ihn zärtlich. „Gut, dass du wieder da bist! Aber mach das bloß nicht noch einmal! Ich hatte solche Angst um dich.“

Der kleine Hund leckte ihr die Hand und legte sich anschließend auf den Rücken.

„Damit bittet er mich um Entschuldigung“, erklärte Tessa. „Er ist sehr schlau, denn er weiß, dass er etwas Verbotenes getan hat. Warum gibt es eigentlich sonst hier keinen Hund im Schloss? Dann wäre es doch auch für dich nicht so langweilig.“

„Langweilig wird es mir nie. Hier wohnen immer sehr viele liebe Menschen, um die ich mich kümmere. Und meistens helfe ich auch den beiden italienischen Köchen in der Küche. Hier macht nämlich nicht jeder etwas für sich. Oft kochen auch die Studenten etwas in der riesigen Schlossküche, aber alle unter der Regie der beiden Italiener. Im Winter und bei schlechtem Wetter essen wir auch alle gemeinsam in der gemütlichen, sehr großen Schlossküche, bei schönem Wetter und im Sommer dann draußen auf der Terrasse und bei Festlichkeiten im großen Saal. Wir sind hier wie eine große Familie.“

Das Mädchen lächelte. „Prima! Dann passen wir hier sehr gut hinein. Wir sind auch eine große Familie, eine, die sich erst so zusammengefunden hat, als sich meine Mutter Anna in den Theo verliebte. Jetzt sind wir eine Großfamilie mit acht Personen. Zu unserer Hälfte gehören noch mein Bruder Jan und meine Schwester Rebecca. Theo brachte seine beiden Söhne Lorenz und Pierre und seine eingebildete Tochter Agneta mit. Die hätte er lieber bei seiner Exfrau lassen sollen.“

„Du magst sie nicht? Warum ist sie eingebildet, und wie hast du das festgestellt?“

„Sie trägt immer den Kopf ganz hoch und die Nase in die Luft. Sie spricht auch kaum ein Wort und wenn, dann immer in einem ganz überheblichen Ton. Außerdem rümpft sie dauernd die Nase und räuspert sich ganz verächtlich. Am Anfang habe ich gedacht, dass sie vielleicht krank ist und Schnupfen hat. Aber dann habe ich entdeckt, dass sie es immer dann tut, wenn ihr etwas an uns nicht gefällt.“

Adelaide hob die Augenbrauen. „Das hört sich merkwürdig an. Seit wann seid ihr denn jetzt eine Familie?“

Tessa nahm den Hund auf den Arm. „Seit drei Monaten. Mama und Theo kennen sich seit einem Jahr. Zuerst haben sie sich nur heimlich getroffen, und die ganze Familie hat sich erst vor vier Monaten kennengelernt. Weißt du, was Agneta über den Brand unseres Hauses gesagt hat?!“

„Nein. Da habe ich überhaupt keine Ahnung“, beantwortete Adelaide die rhetorische Frage.

„Sie sagte doch tatsächlich, der Brand sei ein Wink des Schicksals, weil unsere zwei Familien überhaupt nicht zusammenpassen. Was sagst du jetzt dazu?“

„Hm“, machte die ältere Dame. „Das, was sie sagt, ist sicherlich nicht richtig. Aber es würde mich schon interessieren, warum sie das gesagt hat. Wie alt ist sie?“ Tessa grinste. „Ach, du meinst, weil sie gerade in der Pubertät ist? Das hat jedenfalls meine Mutter gesagt. Agneta ist fast 16 Jahre alt.“

„Dann ist es gut möglich, dass deine Stiefschwester eigene Probleme hat, mit denen sie nicht fertig wird. Was ist denn mit ihrer Mutter passiert? Warum ist Agneta nicht bei ihr?“

„Die Mutter ist mit einem reichen Amerikaner nach Amerika ausgewandert. Und sie konnte ihre Kinder nicht dabei gebrauchen. Das ist bestimmt nicht einfach für Agneta, das weiß ich schon. Aber jetzt sollte sie doch lieber froh sein, dass sie eine neue Mutter und neue nette Geschwister hat. Denn wir können doch wirklich nichts dafür, dass es in ihrer Familie solch eine Tragödie gab.“

„Die Pubertät ist für viele Mädchen ein schwieriges Alter“, wusste Adelaide. „Da gibt es so viele verschiedene Gefühle. Es ist eine Zeit im Leben der jungen Mädchen, in der man zur Hälfte noch Kind und zur anderen Hälfte schon Frau ist. Man möchte schon erwachsen sein, hat aber noch nicht genügend Erfahrungen gesammelt, um mit den vielen neuen Gefühlen klarzukommen. Wenn sie gerade jetzt auch noch von der Mutter verlassen wurde, ist das ein zusätzlicher Schock. Vermutlich fühlt sie sich jetzt hilflos und wütend, weil ihre Mutter sie nicht mitgenommen hat. Daher könnte sie auf dich etwas neidisch sein, weil du mit deiner Mutter zusammen bist. Und so, wie es aussieht, hast du sogar eine Mutter, die sich viel mit dir unterhält.“

Tessa setzte Jupiter wieder auf den Boden. „Puh! Der ist ganz schön schwer! Sie hat keine Mutter mehr, aber ich habe keinen Vater mehr. Ist das denn nicht genauso schlimm?“

Adelaide strich Tessa über das Haar. „Wie hast du denn deinen Vater verloren?“

„Mein Vater war schon immer beruflich sehr viel unterwegs. Er war selten zu Hause, und meine Mutter hat versucht, ihn zu ersetzen. Als sie sich dann im Guten getrennt haben, weil es einfach nicht mehr stimmte, da haben beide viel mit uns geredet und uns alles erklärt. Trotzdem war es nicht einfach. So eine Scheidung ist doch immer komisch für Kinder. Erst als wir dann gesehen haben, dass sich unsere Eltern immer noch nett miteinander unterhalten können und beide Eltern noch genauso nett zu uns sind wie früher, da haben wir uns daran gewöhnen können. Es ist nun auch schon einige Jahre her, da ist alles inzwischen ganz selbstverständlich geworden, ganz normal, so wie es ist. Und ich finde es einfach ganz toll und abenteuerlich, dass ich jetzt plötzlich noch einen zweiten Vater und noch Geschwister dazu bekommen habe.“

„Das war wirklich ein bisschen viel auf einmal für dich“, fand Adelaide. „Zuerst ein neuer Vater mit neuen Geschwistern, und dann jetzt der Brand eures Hauses. Das kann einen schon ganz schön durcheinanderbringen.“

„Ich bin doch nicht durcheinander“, behauptete Tessa. „Ich weiß, dass das Leben ein großes Abenteuer ist. Da muss man immer auf alles gefasst sein. Und jetzt werde ich Jupiter füttern. Sicher hat er von seinem Spaziergang einen großen Hunger mitgebracht. Kann ich mir später die Schlüssel von den Turmzimmern bei dir abholen?“

Adelaide nickte. „Natürlich, gern. Und wenn du mich brauchst, dann kannst du mich einfach in der Küche besuchen. Dort werde ich mich jetzt in der nächsten Zeit aufhalten und Gianni und den anderen beim Kochen helfen.“

2. Kapitel

Etwas später tauchte Tessa ohne ihren Hund Jupiter, aber in Begleitung eines Jungen in der großen Schlossküche auf, in der die beiden italienischen Köche, Carla und Adelaide gerade eifrig werkelten.

„Das ist mein neuer Bruder Lorenz“, stellte sie ihren Begleiter vor. „Er gehört zu der Schmitz-Hälfte der Familie, er ist der zweitälteste, fast siebzehn Jahre alt und will auch einmal Künstler werden. Deswegen fühlt er sich in dem Schloss auch schon sehr wohl, obwohl er einigen Dingen nachtrauert, die er durch den Brand verloren hat.“

Adelaide begrüßte den Jugendlichen mit einem festen Händedruck. „Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr euch alle hier heimisch fühlen könntet. Ich weiß nicht, welche Künstlerkarriere dir für deine spätere Zukunft vorschwebt, aber falls du in die Fußstapfen meines verstorbenen Mannes treten möchtest, kann ich dir einiges an Material anbieten, mit dem du dich ein bisschen üben kannst. Wir haben da das große Atelier mit Staffelleien und Leinwänden und vielen Farben, aber auch die Werkstatt meines Mannes, in der er die Skulpturen angefertigt hat, außerdem noch im Keller das Fotozimmer, in dem Moro seine Bilder selbst entwickelt hat.“

Lorenz bedankte sich bei der älteren Dame. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mir gern alles einmal ansehen. Ich habe mich nämlich noch nicht für eine bestimmte Richtung entschlossen. Ich weiß nur, dass ich sehr kreativ sein will.“

„Du kannst wie alle anderen ruhig Du zu mir sagen!“ forderte die Schlossherrin den neuen Gast auf. „Du hast Zeit, dich für irgendeine Richtung zu entscheiden. Vielleicht ist es gut, wenn du dir hier in Ruhe einmal alles anschaust. Du kannst dann auch ein bisschen herumprobieren. Wenn du Interesse hast, stelle ich dir das Material dazu zur Verfügung.“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich habe schon einmal eine Staffelei besessen. Die war sehr schön. Aber sie ist natürlich mit den anderen Sachen verbrannt. Ein paar Bilder von mir auch, das fand ich natürlich nicht so gut. Aber ich tröste mich damit, dass die ganze Familie etwas verloren hat. Ich bin also nicht allein mit meinen Gedanken.“

„Ich kann dich gut verstehen, Lorenz“, bekannte ihm Adelaide. „Ich hatte in meiner Familie einen ähnlichen Verlust zu beklagen. Es waren nicht die Dinge, die man wieder ersetzen kann, nicht die materiellen Werte, um die wir getrauert haben. Bei uns waren es viele handgefertigte Gegenstände, die mein Vater mit Liebe für meine Mutter hergestellt hat. Das hat mich eine Weile ganz untröstlich gemacht. Ich dachte auch dann an all die Kriege, in denen solche Kostbarkeiten zerstört werden, Werke, die mit Liebe gemacht wurden. Und eines Tages kam ich dann auf die Idee, dass nichts im Leben wirklich verloren ist, selbst nicht einmal die Dinge, die vernichtet werden.“

Lorenz hob die Augenbrauen. „Das kann ich nicht verstehen.“

„Ich habe mir das so vorgestellt wie die Sache mit dem Wassertropfen. Der geht auch nie verloren. Selbst wenn er verdunstet, wird er irgendwann wieder zu Wasser. Da habe ich mir vorgestellt, dass man für seine Werke auch Liebe und Energie benötigt, so hat dann ein Bild auch eine Seele oder einen Geist, die du deinem Geschöpf eingehaucht hast mit deinen Gedanken, deinen Ideen, deiner Liebe und deiner Hingabe. Selbst wenn dein Werk dann durch irgendein schlimmes Schicksal vernichtet wird, bleibt die Seele deiner Schöpfung bestehen. Deine Liebe, deine Energie schwirrt umher wie ein kleines magnetisches Feld. Und irgendwo kommen diese Energien wieder an, wie der Wassertropfen, der eines Tages wiederkehrt. Im Prinzip kannst du das vergleichen mit den Gebeten der gläubigen Menschen. Das funktioniert auch auf ähnliche Art und Weise.“

Lorenz sah sie etwas ungläubig an. „Das kann ich mir noch nicht richtig vorstellen. Darüber kannst du am besten mit meiner Schwester Rebecca sprechen. Sie hat nämlich zurzeit den Wunsch, Nonne zu werden und beschäftigt sich ganz viel mit dem Glauben. Aber du meinst wahrscheinlich, dass es einfach für mich gut war, dass ich die Energie aufgebracht habe, mit Freude irgendetwas zu schaffen, oder?“

„Das auf jeden Fall“, bestätigte ihm die Schlossherrin. „Ich stelle mir aber tatsächlich vor, dass es da noch mehr gibt. Irgendwo taucht die Idee deines Bildes vielleicht wieder auf, und am anderen Ende der Welt malt jemand das gleiche Bild. Ich bin darauf gekommen, weil ich entdeckt habe, dass es Zeiten gab, in denen Entdeckungen gemacht wurden, zur gleichen Zeit, aber an ganz verschiedenen Orten auf der Welt.“

Er sah sie ungläubig an. „Das kann daran liegen, dass die Zeit einfach reif war für diese Erfindung und die Voraussetzungen waren gerade dafür geschaffen. Das würde in die Evolutionsgeschichte passen.“

Adelaide lächelte geheimnisvoll. „Mein Mann hat auch immer an Wunder geglaubt und an viele Dinge, die wir nicht mit unseren Augen sehen können. Gerade als Künstler kannst du ein Gespür dafür haben und hinter die Dinge schauen. Es werden dir nicht nur die Fantasie und die Kreativität helfen, sondern auch deine Empathie, deine Feinfühligkeit und ein Erkennen des Wesentlichen. Wie gesagt, du darfst hier überall experimentieren, vielleicht erhältst du dann deine eigenen Erkenntnisse.“

Er nickte. „Danke! Das ist prima. Ich werde einfach von vorn anfangen und neue Bilder malen.“

„Ich habe auch schon von Malern gehört, die ihre Werke selbst zerstört haben“, wusste Tessa. „Oder sie haben einfach über ein altes Bild ein neues gemalt. Du wirst ja auch jeden Tag etwas älter, vielleicht malst du dann auch immer besser. Aber ich habe jetzt etwas ganz anderes vor. Darf ich jetzt in die Turmzimmer gehen, Adelaide?“

„Natürlich, Kleines! Die Schlüssel kannst du dir bei Bernhard im Büro abholen. Bernhard ist Carlas Mann. Er ist hier der Gärtner und spielt wundervoll Klarinette, und im Augenblick hilft er mir auch bei den Büroarbeiten. Bei ihm sind die Schlüssel von allen Räumen, er gibt sie dir gern. Oder soll jemand mit dir gehen?“

Tessa rollte die Augen. „Pah! Ich bin doch kein kleines Kind mehr. Das kann ich schon allein, und ich fürchte mich auch nicht hier im Schloss. Du hast doch selbst gesagt, dass es hier nicht spukt. Und die Geister von Lorenz‘ Bildern werden wohl hier nicht in der Gegend herumfliegen.“

Adelaide lächelte. „Du bist nicht nur mutig, sondern auch ganz schön schlau. Ich bin sicher, dass du ein paar interessante Sachen finden wirst. Aber ich sehe gerade, Gianni hat eben einen Kuchen aufgeschnitten, wie wäre es mit einem Probestück und einer Tasse angefüllt mit heißer Schokolade?“

Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen, sie nahmen an dem mehrere Meter langen Küchentisch Platz und ließen sich gern von Carla und Adelaide mit den versprochenen Leckereien verwöhnen.

Carla, die Haushaltshilfe der Schlossherrin freute sich. „Endlich einmal wieder Kinder im Haus. Wo habt ihr denn euren Hund gelassen? Der wird bestimmt auch Leben ins Schloss bringen.“

Tessa verdrehte die Augen. „Wahrscheinlich wird er deinem Mann ziemlich viel Ärger machen. Er ist mir nämlich heute davongelaufen und hat den Park unsicher gemacht. Heute war er gar kein Jupiter. Da hat er nämlich niemandem Glück gebracht, sondern vermutlich draußen ein bisschen herumgegraben.“

Carla konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. „Bernhard wird schon alles wieder in Ordnung bringen können. Vermutlich wird dein Hund nicht jeden Tag ausreißen. Sicher ist für ihn auch noch alles neu, genauso wie für euch, und in den nächsten Tagen könnt ihr vielleicht ein bisschen besser auf ihn aufpassen. Ich denke, ihr nehmt ihn sonst an die Leine?“ Tessa nickte eifrig. „Oh ja! Daran ist er gewöhnt. Allerdings durfte er bei uns im Garten immer frei herumtollen, das ist nun erst einmal vorbei. Hier im Park ist alles so schön gepflegt, da muss er hübsch an der Leine auf den Wegen bleiben. Oder besser noch, wir gehen mit ihm nach draußen über die Felder.“

„Für einen langen Spaziergang ist es sicher gut für ihn“, stimmte ihr Carla zu. „Wer hat ihm denn den schönen Namen Jupiter gegeben?“

„Meine Mutter. Sie meinte damals, wir könnten ein bisschen Glück ganz gut gebrauchen, und bis heute hat er das auch getan. Für den Brand konnte er nun wirklich nichts.“

„Wie ist das denn passiert?“ erkundigte sich die junge Frau. „Magst du darüber reden? Oder tut dir das zu weh?“

„Mama sagt immer, es ist gut, über alles zu reden. Dann bleibt es nicht auf der Seele haften. Sie hat uns nämlich gesagt, mit der Seele müsste man noch sauberer umgehen als mit dem Haushalt.“

Carla sah das Mädchen überrascht an. „Wie meint sie das?“

„Wenn man sich etwas von der Seele redet, ist das so, als ob man seinen Körper duscht. Manchmal wird meine Mutter auch noch deutlicher. Sie sagt dann, in der Küche muss man auch den Müll hinaustragen, damit der Unrat nicht die Küche verseucht. Der Seelenmüll muss auch in den Abfall, das sagt sie uns immer wieder, und dabei beteuert sie auch, dass der Seelenmüll noch mehr stinkt als alter Müll im Abfalleimer.“

Carla musste unwillkürlich lachen und entschuldigte sich umgehend. „Es tut mir leid, dass ich jetzt gelacht habe. Das war wirklich nicht, weil ich das, was du mir erzählt hast, lächerlich finde. Die Vorstellung war nur so drollig, das Bild, das dann vor meinen inneren Augen entstanden ist. Aber Recht hat deine Mutter natürlich. Also findest du es jetzt nicht schlimm, meine Frage wegen des Hausbrandes zu beantworten?“

„Nein, ich rede auch mit Mama immer darüber. Wir waren alle nicht da, als das Unglück geschah, und die Versicherung hat bereits festgestellt, dass es ein Fehler der Elektrikerfirma gewesen ist, die inzwischen dort gearbeitet hat. Das konnte eindeutig geklärt werden. Wir alle haben zum Glück keine Schuld daran, aber es wird auch uns eine Lehre sein, dass wir in Zukunft mit allen solchen Dingen ebenfalls vorsichtig sind.“

„Dann werdet ihr wohl ein neues Haus bauen“, vermutete Carla. „Die Versicherung wird euch doch bestimmt alles ersetzen.“

Tessa runzelte die Stirn. „Wir bekommen schon viel Geld von der Versicherung. Aber das war nun mal ein altes Haus, und von dem Geld kann man kann neues Haus bauen, das wird doch alles ein bisschen kompliziert.“

Carla füllte Tessas Tasse erneut mit heißer Schokolade. „Kompliziert? Warum?“

„Eigentlich mögen sich meine Eltern, ich meine, meine Mutter und mein neuer Vater. Aber im Augenblick sind sie sich nicht einig. Mama sagte mir allerdings, das könnte daran liegen, dass sie beide noch einen Schock haben. Wir bräuchten einfach alle noch viel Zeit.“

„Ihr könntet ein anderes altes Haus kaufen“, schlug Carla vor.

„Theo meint im Moment, ihm sei ein bisschen die Lust auf ein Haus vergangen, und ein Neubau würde zu viel Arbeit und so viel Ärger machen. Mama zweifelt auch ein bisschen an der ganzen Sache herum. Sie hat das Gefühl, dieser Brand sei ein Zeichen für irgendetwas, irgendeinen Hinweis von den Engeln im Himmel, die ihnen für einen neues Haus einen guten Ratschlag geben wollen.“

„Weißt du denn, was sie damit meint?“

„Also nicht so etwas Dummes wie Agneta denkt! Sie behauptet ja allen Ernstes, dass unsere Patchwork-Familie nicht zusammenpasst. Aber meine Mutter hat nur die Idee, dass wir wegen des Hauses irgendetwas ganz Wichtiges beachten sollten. Irgendetwas sei wohl an dem alten Haus nicht gut und nicht richtig für uns gewesen. Also eher so im praktischen Sinn.“

Lorenz mischte sich ein. „Sie dachte vielleicht, es ist ein Brunnen unter dem Haus, oder versteckter Schimmel im Keller, oder ungesunde unterirdische Wasseradern. Vielleicht meinte sie auch, die Zimmeraufteilung sei nicht gut gewesen. Nun ja, perfekt war sie wirklich nicht, und ein Haus nach Maß, ganz so, wie wir es für unsere große Familie brauchen, könnte wirklich noch etwas perfekter sein, soweit man selbst dazu etwas beitragen kann.“

„Dann hast du also eine andere Meinung als deine Schwester“, konstatierte Carla. „Dann zweifelst du nicht daran, dass die beiden Familien Schmitz und Meyer zusammenpassen?!“

„Nein, ich finde, es ist gut so, dass wir nun zusammen sind. Ich mag Anna, die neue Frau meines Vaters. Sie ist nett zu uns und versucht, jeden von uns zu verstehen. Das kenne ich von meiner echten Mutter gar nicht. Leider muss ich von ihr sagen, dass sie immer sehr egoistisch war, wie es dann auch zum Schluss ihr Abgang gezeigt hat. Mit Anna kann man gut klarkommen und sie bemüht sich um uns alle gleichermaßen. Außerdem kocht sie ganz prima. Und mein Vater ist jetzt häufig auch etwas weniger unleidlich als vorher. Ich glaube, Anna tut ihm gut.“

Carla hob die Augenbrauen. „Tja, manche Menschen sind manchmal unleidlich, wenn sie Sorgen haben. Sicher hat dein Vater viele Sorgen.“

„Nicht mehr als viele andere Menschen auch“, behauptete Lorenz. „Manchmal hat er einfach düstere Stimmungen. Wenn ich sie habe, dann male ich etwas, und es geht mir bald danach wieder besser. Aber er ist dann oft einfach sauer auf die ganze Welt, und das ist nicht angenehm, abgesehen davon finde ich, dass er sich etwas mehr zusammenreißen könnte.“

„Moro war auch manchmal melancholisch“, berichtete Adelaide. „Man trifft im Leben auf sehr unterschiedliche Menschentypen, und es wird nicht jeder als Scherzkeks geboren. Die einen leiden mehr und die anderen weniger unter ihren Stimmungen. Melancholie und depressive Zustände sind bei vielen Menschen auch keine Seltenheit. Nicht jeder kann damit problemlos umgehen. Zum Glück war Moro ein großer Künstler, er hatte verschiedene Möglichkeiten, sich selbst dabei helfen zu können. Manchmal hörte er sich dramatische Musik an und schuf Videos, in denen der Himmel nicht voller Geigen, sondern voller melancholischer Wolken hing. Das Malen allein reichte dann nicht aus, und für die Skulpturen zitterten seine Finger schon zu sehr in den späteren Jahren. Wenn es allzu schlimm wurde, dann vertiefte er sich in die Ungerechtigkeiten und die Bösartigkeit der Menschheit, und wenn er fündig wurde, protestierte er und kämpfte mit Worten und Taten energisch dagegen. Und, glaube mir, da kann man auf der Welt ziemlich oft fündig werden. Es gibt immer etwas, worüber man sich aufregen kann. Es kommt also manchmal nicht so aus heiterem Himmel, wenn ein Mensch beginnt zu protestieren. Auf der anderen Seite kann aber eine unbestimmte Unruhe in einem Menschen dazu führen, dass er Heldentaten begeht. Ich kenne deinen Vater noch nicht, und die Ursachen der Melancholie sind vielschichtig. Doch ihr werdet wahrscheinlich noch eine ganze Weile hier im Schloss bleiben, bis euer Hausproblem geklärt ist. Vielleicht haben wir dann auch einmal Gelegenheit, festzustellen, was deinen Vater quält.“

„Er ist doch schon erwachsen“, fand Lorenz. „Sollten die Erwachsenen nicht für uns ein Vorbild sein?“

Adelaide lächelte. „Das wäre ideal. Aber ich kenne tatsächlich Menschen, die auch im Alter noch lange nicht so weit sind, Vorbilder sein zu können. Menschen haben Schwächen und machen Fehler, immer wieder, und im besten Fall lernen sie daraus. Dein Vater hat schon viel erlebt, wahrscheinlich hat er auch nicht verkraftet, dass ihn deine Mutter verlassen hat.“

Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein, er hatte auch früher schon solche Anwandlungen. Eine Weile war es sehr schlimm, aber jetzt, seit Anna bei uns ist, nimmt er sich schon etwas zusammen, es ist erträglicher geworden.“

Tessa freute sich. „Das finde ich toll, dass du meine Mutter magst. Ich finde sie auch gut, und sie ist wie eine Freundin für mich. Meinst du, du wirst mit Jan und Rebecca auch zurechtkommen? Meine Geschwister sind nicht übel.“

Lorenz lächelte. „Mit denen werde ich gut klarkommen. Da sind meine Geschwister schon schwieriger. Agneta ist ein bisschen so wie meine Mutter, ziemlich überheblich und manchmal auch egoistisch. Und was ich von Pierre halten soll, weiß ich wirklich nicht. Er denkt auch immer, die ganze Welt müsste ihm zu Füßen liegen. Für ihn ist immer nur das ganz Große von Wert. Es muss alles teuer und riesenhaft sein, sonst ist es nicht gut genug für ihn. Ich glaube, er hat auch viele Geheimnisse, so wie jemand, der ein Doppelleben führt. Und das ist alles nicht erst seit dem Brand.“

„Und ich dachte, er ist einfach nicht an mir interessiert“, fügte Tessa hinzu. „Du kennst ihn schon lange. Aber wenn wir beide zusammenhalten, könnte aus uns bestimmt noch eine ganz nette Familie werden.“