Fredas Nebenbuhlerin - Anny von Panhuys - E-Book

Fredas Nebenbuhlerin E-Book

Anny von Panhuys

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Beschreibung

Der Erfinder und Zementwerkbesitzer Ludwig Markus hat eine Affäre mit seiner Sekretärin Lieselotte Baumann, die ihn heiraten will. Er will das aber nicht, und als sein Sohn Joachim von der geheim gehaltenen Liebschaft erfährt, drängt er seinen Vater, die intrigante Frau loszuwerden. Sie belauscht das Gespräch und konfrontiert Ludwig Markus damit. Schließlich willigt sie in eine Trennung ein, bedingt sich aber aus, Ludwig Markus noch bei seinem bevorstehenden Flug nach Spanien begleiten zu dürfen, wo er ein wichtiges Treffen mit einem spanischen Geschäftspartner hat. Markus hat nämlich eine revolutionäre Erfindung gemacht, die ihm eine Monopolstellung sichern muss. Das einzige Exemplar der geheimen Formel dazu bewahrt er in einem Zigarettenetui auf. Aus Rache ergreift die verschmähte Geliebte Lieselotte das Zigarettenetui und wirft es über Barcelona aus dem Flugzeug; woraufhin es zur Tragödie kommt: Im Affekt erschießt Markus zuerst sie, dann sich selbst. Sterbend kann er seinen Geschäftsfreund Jose Colina noch bitten, sich auf die Suche nach dem kostbaren Etui zu begeben. Sohn Marcus macht sich sofort auf den Weg nach Spanien, dort lernt er die schöne Nieves Miranda kennen und verliebt sich in sie, während der reiche Graf Montecafa seiner Frau Freda Avancen macht. An der Seite von Fredas Nebenbuhlerin Nieves macht sich Joachim Markus auf die Suche nach der verlorenen Formel. Am Ende stehen Trennungen und Hochzeiten sowie eine überraschende Entscheidung ...-

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Anny von Panhuys

Fredas Nebenbuhlerin

Roman

Saga

Fredas Nebenbuhlerin

© 1928 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570340

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Ludwig Markus, der Direktor der Markus-Zementwerke, Aktiengesellschaft, strich mit der linken Hand über sein tadellos rasiertes Kinn und murmelte einen leisen Fluch vor sich hin, während seine tiefliegenden grauen Augen ärgerlich auf dem Gesicht seiner neben dem Schreibtisch stehenden Sekretärin ruhten.

Liselotte Baumann zog die schmalen Schultern hoch.

„Weshalb willst du mich denn nicht mitnehmen? Mir macht so eine Luftpartie auch Vergnügen. Und es passt doch auch alles so gut! Wenn wir zurück sind aus Spanien, erklärst du deinem Sohn unsere Verlobung. Einmal muss es doch sein! Auch wird kein Mensch etwas dabei finden, wenn du deine Sekretärin mitnimmst nach Barcelona. Ich verspreche dir, mich unterwegs und dort genau so zu benehmen, wie es sich für mich gehörte, wenn ich wirklich nur deine Sekretärin, deine Angestellte und nicht deine zukünftige Frau wäre. Und ich will mit! Ich möchte ein bisschen von der Welt sehen.“

„Sprich doch, bitte, nicht so laut, Lilo, die Wände haben Ohren,“ verwies sie Ludwig Markus, „es wäre mir furchtbar unangenehm, wenn mein Sohn zufällig etwas von unserer Unterhaltung hören würde. Es ist eben doch eine heikle Geschichte, das mit uns beiden, wenn man, wie ich, einen achtundzwanzigjährigen Sohn hat.“

„Das hättest du dir eher überlegen sollen, Ludwig, nun ist’s zu spät. War dir deine Sekretärin gut genug zum Küssen, muss sie dir auch gut genug für die Heirat sein“, erfolgte die prompte Antwort.

Ludwig Markus seufzte tief auf.

„In eine schöne Sackgasse hast du mich gelockt mit deinen verflixten grünen Hexenaugen!“ Er versprach: „Du sollst ein nettes Vermögen von mir kriegen, Mädel, aber gib die Heiratspläne auf und die verrückte Idee, mitfliegen zu wollen nach Barcelona. Ich bin keiner von den Jungen, du hast mehr von deinem Leben ohne mich.“

„Aber ich liebe dich nun einmal! Dazu liegt mir sehr an einer gesellschaftlichen Stellung. Als deine Frau ist man etwas, stellt etwas vor. Ich bin sehr anpassungsfähig, wirst dich meiner niemals schämen brauchen. Durch eine glatte, saubere Heirat mit einem Manne wie du gibt es bei mir einen vollständigen Häutungsprozess. Du bist gediegener als so’n junger Gent. Direktor Ludwig Markus kann heiraten, wen er will, neben ihm spielt seine Frau eine Rolle, keiner wird ihr Achtung und Respekt verweigern ... Mit meiner Familie lässt sich leider kein Staat machen, ich will raus aus der Atmosphäre.“

Ludwig Markus bereute es schon schwer, dass er sich von der hübschen, koketten Liselotte Baumann hatte ins Garn locken lassen. Er war nicht gewiegt genug in galanten Dingen, war ihrer Schlauheit nicht gewachsen.

Wenn er offen gegen sich selbst sein wollte, musste er sich eingestehen, dieses hypermoderne gepflegte Geschöpfchen mit seiner Dreistigkeit hatte grosse Macht über ihn gewonnen.

Es gab allerdings Tage, wo ihn alles an ihr abstiess, aber auch andere Tage, da es ihm dünkte, als gäbe es ausser ihr nichts Begehrenswertes mehr auf der Welt.

Seine vor drei Jahren gestorbene Frau war ein paar Jahre älter gewesen als er und der Typ einer dickgewordenen Kleinbürgerin mit dem Ausdruck ständigen Gekränktseins in dem wenig schönen Gesicht.

Seine Eltern hatten die Heirat gewünscht, und er hatte sich nicht viel dagegen gewehrt.

Schon in jungen Jahren ging sein ganzes Interesse in seinem Beruf auf.

Damals waren die Zementwerke noch klein, noch keine Aktiengesellschaft, und er hatte später oft denken müssen, dass er seine Verlobte vor der Hochzeit kaum richtig betrachtet hatte ...

Liselotte Baumann mahnte: „Nun, wie ist es, Ludwig, nimmst du mich mit?

Er drückte den Kopf tiefer in die Schultern.

„Meinetwegen komm mit! Aber versprich dir nicht allzuviel davon. Du weisst, ich fahre in besonderer Mission und benutze unser Flugzeug nur, um allein zu bleiben und meine Erfindung gut und sicher hinüberzubringen nach Spanien.“

Sie neigte sich zu ihm nieder, und ihre rotgemalten Lippen berührten seine Wange.

„Dank dafür, dass du vernünftig bist.“ Sie lachte. „In Paris gibt es ja eine Zwischenlandung, und wenn wir dort einen Tag länger ausruhen, geht es niemand etwas an.“ Sie machte ein paar karikierte Tanzschritte. „Paris ist die Stadt meiner Sehnsucht, ich freue mich kindisch darauf!“

Sie neigte sich schon wieder über den am Schreibtisch Sitzenden, als die Tür aufging und Joachim Markus eintreten wollte.

Mit einem einzigen Blick hatte er die Situation erfasst.

Er zog, da man ihn anscheinend gar nicht bemerkt hatte, die Tür wieder leise von aussen zu und ging in sein eigenes Büro zurück.

Dort sank er auf den erstbesten Stuhl nieder.

Teufel, das war eine unangenehme Überraschung gewesen! Hatte der Vater also doch, wie er heimlich gefürchtet, eine Liebelei mit der blonden Liselotte Baumann, die so ein richtiges, mit allen Wassern gewaschenes Grossstadtmädel war! Die aus einem Milieu stammte, das ihr schon früh die Augen geöffnet hatte!

Er pfiff vor sich hin.

Indes sein alter Herr in Spanien war, wollte er sich diese Lilo mal vornehmen und sie gründlich examinieren.

Es ging doch nicht, dass der Direktor der Markus-Zementwerke mit seiner Sekretärin ein Techtelmechtel unterhielt. Das untergrub bei den Angestellten den Respekt, wenn sie durch einen Zufall dahinterkamen.

Die blonde Lilo würde für ein paar grosse Banknoten empfänglich sein....

Nach einem Weilchen klopfte es.

Liselotte Baumann gab ihrem schmalen Gesicht einen ehrpusseligen Ausdruck.

„Der Herr Direktor lässt den Herrn Doktor bitten.“

„Ich werde sofort zu meinem Vater kommen“, gab Joachim Markus kurz und fast grob zurück.

Die grünlichen Augen blinzelten ihn ein bisschen erschreckt an. Es war, als wollten die zu roten Lippen etwas fragen, denn sie öffneten sich leicht, doch in der nächsten Sekunde schlossen sie sich schon wieder, und still verliess Liselotte Baumann das Zimmer.

Als Joachim Markus zu seinem Vater kam, fand er ihn allein.

Der Ältere erklärte: „Ich habe mir überlegt, ich möchte Fräulein Baumann nach Barcelona mitnehmen. Vielleicht bedarf ich dort bei den Verhandlungen einer Schreibhilfe. Es soll also nicht nur für mich und den Piloten die Erlaubnis zu der Luftreise erbeten werden, sondern auch für meine Sekretärin.“

Joachims hohe Gestalt schien um einige Zentimeter zu wachsen.

„Wozu willst du dich denn unterwegs mit diesem schlechten Ausschnitt aus dem Modejournal belasten? Ich bitte dich, Vater, so ein Mädel bedeutet doch nur eine Störung! Ich finde ausserdem, die Person hat in letzter Zeit ein zu dreistes Benehmen. Wenn ich dir raten darf, entlasse sie jetzt vor der Reise unter irgendeinem Vorwande. Wir zahlen ihr ein kleines Schmerzensgeld wegen der plötzlichen Entlassung, und wenn du zurück bist, suchen wir eine andere Sekretärin. Ich muss bekennen, diese Baumann ist mir im höchsten Grade unsympathisch.“

Ludwig Markus hatte seinen Sohn mehrmals unterbrechen wollen, doch war es ihm nicht gelungen. Joachim war einmal im Zuge, und das, was er vorhin gesehen, hatte ihn ehrlich empört gegen Liselotte Baumann, diese raffinierte, kokette Person.

Jetzt sagte Ludwig Markus abwehrend: „Es wäre unrecht, das arme Mädchen ohne Grund zu entlassen.“

Der Protest klang gequält.

Joachim liess nicht locker, er begann aufs neue in den Vater zu dringen.

Und von nebenan erlauschte Liselotte Baumann die Unterhaltung.

Sie musste ein völlig vernichtendes Urteil über sich mit anhören, und ihr Zorn stieg mit jeder Minute.

Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

Sie hörte Ludwig Markus sagen: „Mein lieber Junge, ich darf das Mädchen leider nicht so mir nichts, dir nichts gehen lassen, ich —“

Alles weitere ging unter in einem dumpfen Gemurmel.

Und dann klang die Stimme des Jüngeren auf: „Vater, ich glaube Bescheid zu wissen! Lieber Himmel, ich nehme es dir gar nicht übel, dass dich ein hübsches Lärvchen verlockte, aber gerade deshalb musst du die Baumann abwimmeln. Ich bin überzeugt, sie hat das Talent, zur Klette zu werden. Ich bitte dich, mache kurzen Prozess. Sei sicher, du beleidigst keine Unschuldige und tust ihr kein Unrecht an. Ich sah sie am vorigen Sonntag in Potsdam mit einem lackierten Schnösel Arm in Arm, in liebeseliges Zwiegespräch verstrickt. Sie hat mich nicht bemerkt. Lass dich von so einer nicht dumm machen. Du brauchst jetzt einen klaren Kopf, also reise allein, überlass mir alles weitere mit der Person.“

Man hörte einen tiefen Seufzer und danach die zögernd gegebene Antwort: „Du hast in allem recht, Joachim, aber die Geschichte ist mir mordspeinlich. Dennoch ja, mache mich bitte frei aus dem Netz, in das ich geraten bin.“ Langsamer noch schob Ludwig Markus nach: „Sie denkt sogar an eine Heirat.“

Der Jüngere lachte laut auf.

Mehr als die bösesten, verächtlichsten Worte empörte Liselotte Baumann dieses Lachen. —

Ein halbes Stündchen danach stand sie schon wieder im Büro des Direktors.

Ganz demütig und bescheiden tat sie.

Mit leiser, wie von Tränen erstickter Stimme erklärte sie: „Ich habe vorhin nebenan gelauscht und alles mit angehört, was dein Sohn über mich gesagt hat.“

Der alternde Mann erschrak. Beim Himmel, das war wirklich unangenehm!

Er überlegte, was er nun tun sollte; er war Frauen wie Liselotte Baumann gegenüber einigermassen unbeholfen.

Er druckste und knurrte, sagte schliesslich mutig und kurz: „Liebes Kind, mein Sohn hat über uns beide als Paar gelacht. Und er hat damit recht, du und ich, wir passen wirklich nicht zusammen. Schliesslich, ich bin fest davon überzeugt, du wirst mit der Sache fertig werden.“

Sie schluckte, als fehle ihr die Luft vor Erregung, und stiess dann hervor: „Es ist schon gut, ich sehe alles ein, was du willst, aber zwei Bedingungen stelle ich. Erfüllst du die, werde ich meine Stellung hier freiwillig verlassen und du wirst danach nichts mehr von mir hören.“

Ludwig Markus atmete ruhiger. Liselotte Baumann benahm sich mit einem Male so überaus vernünftig, dass ihm eine förmliche Zentnerlast vom Herzen genommen war.

Er ermunterte: „Sprich nur ganz offen, Lilo, was mir möglich ist, will ich gern für dich tun.“

Sie stellte ihre Bedingungen. Erstens wünschte sie eine ziemlich hohe Summe, um sich eine sichere Zukunft damit zu schaffen — und zwar müsse ihr das Geld sofort zur Verfügung gestellt werden —, und zweitens bat sie dringend darum, die Reise nach Spanien im Flugzeug doch mitmachen zu dürfen.

Froh, so leichten Kaufes davonzukommen, ward ihr beides von Ludwig Markus sofort gewährt.

Joachims Einspruch nützte nichts mehr.

Vierzehn Tage später erhob sich das Propaganda-Flugzeug der Markus-Zementwerke, das auf den unteren Seiten seiner Tragflächen stolz den Namen der Firma trug, vom Flughafen Berlins hoch in die Luft.

Der Pilot war ein tüchtiger, erprobter Fahrer, der eine Zeitlang für eine Pariser Gesellschaft ein Verkehrsflugzeug geführt.

Ludwig Markus befand sich in glänzender Stimmung, aber Joachim, der sich eben von seinem Vater verabschiedet hatte, empfand eine seltsame, herzbeklemmende Angst.

Am liebsten hätte er mit Aufgebot all seiner Lungenkraft geschrien: „Bleibe hier, Vater!“

Doch immer höher schraubte sich der metallene Vogel in die Luft hinauf, flog einem fernen, fremden Lande zu, wo man Ludwig Markus bereits erwartete. Er brachte Wertvolles mit, brachte eine wichtige Erfindung, um sich mit einer grossen spanischen Konkurrenz zu vereinigen, zu gemeinsamer Ausnutzung der Erfindung.

Ludwig Markus hatte einen Zusatz zur Betonmasse erfunden, der es ermöglichte, mit dem dritten Teil der Zementmenge, die man bisher zu nehmen gewohnt war, nicht nur das gleiche, sondern noch ein viel besseres Resultat zu erzielen.

Es war eine Erfindung von ungeheurer Tragweite. Mauern und Brücken, Häuser und Strassen würden kaum noch die Hälfte ihrer bisherigen Herstellungskosten beanspruchen. Die gesamte Konkurrenz würde staunen und wüten. Man nahm ihr mit der Erfindung die Kraft, sich zu behaupten gegen die Markus-Werke, der sie überragende Macht geben musste.

Um von Anfang an stark zu sein, strebten die Markus-Werke eine Vereinigung mit dem riesigen Cemento-Colina an, dessen Kontor sich in Barcelona befand und dessen Werke hinter San Adrian eine kleine Welt für sich bildeten....

Sinnend bestieg Joachim Markus sein Auto, um heimzufahren.

Keiner wusste, weshalb sein Vater diese Reise unternahm, ausser ihm. Eine Besprechung mit der Konkurrenz, hiess es offiziell. Welche grosse Fusion im Gange war, davon ahnte niemand etwas, und niemand ahnte, dass nun bald eine neue Aera in der Betonfabrikation beginnen würde.

Liselotte Baumann fühlte sich gar nicht besonders wohl auf ihrem Platz. In der Luxuskabine eines modernen Verkehrsflugzeuges wäre doch alles anders gewesen.

Sie sass ein Stückchen hinter Ludwig Markus, erblickte vor sich seinen etwas rundlichen Rücken und noch weiter vorn den breiten Rücken des Piloten.

Stumpfsinnig war alles, fand sie, und als man in Le Bourget bei Paris landete, atmete sie tief auf.

Sie begriff nicht, wie jemand an so einem Martyrium in der Luft Vergnügen finden konnte.

Aber zugeben würde sie das niemals.

Grässlich war ihr zumute gewesen. Übelkeit hatte sie geschüttelt und Furcht.

Aber nun hatte man Paris erreicht, jetzt durfte sie ausruhen.

Alle weiblichen Instinkte waren jetzt in ihr wach. Paris, das Dorado eitler, putz- und vergnügungssüchtiger Frauen, tat seine Tore auf, liess die kleine Berliner Handwerkstochter ein, die so gern eine grosse Dame werden wollte.

Im Auto fuhren Ludwig Markus und seine Begleiterin vor dem Continental-Hotel vor.

Ein hübsches Zimmer mit Bad wurde Liselotte Baumann angewiesen. Sie kleidete sich sofort um und erwartete dann Ludwig Markus, der sie zum Essen abholen sollte.

Sie überlegte, dass ihr nun durch Joachim Markus eine Hoffnung zuschanden geworden, die seit einem Jahr vor ihr gestanden als lockendes, lohnendes Ziel. Seit einem Jahr hatte sie darauf hingearbeitet, den Chef der Markus-Zementwerke fürs ganze Leben einzufangen, und nun mischte sich sein Sohn ein, zerstörte ihr durch eine einzige Unterredung mit seinem Vater alles.

Joachim Markus war Jurist und Kaufmann, während sein Vater Chemie und Mathematik studiert hatte, ehe er in das väterliche Unternehmen eintrat.

Sich gegen Joachim Markus aufzulehnen, war nutzlos, das wusste Liselotte Baumann. Ihm hätte man mit einer vollzogenen Tatsache kommen müssen.

In welchem verächtlichen Ton er von ihr gesprochen hatte! Die Wangen wurden ihr noch jetzt heiss vor Zorn, wenn sie daran dachte.

Zwanzigtausend Mark lagen nun auf einer Privatbank Berlins für sie. Ludwig Markus war nobel gewesen. Immerhin, im Verhältnis zu seinem Reichtum war die Summe nur ein Almosen. Doch sie konnte sich damit gut vorwärts helfen.

In ihre Gedanken eingesponnen, überhörte Liselotte fast das Anklopfen an die Tür.

Es war Ludwig Markus, der gleich darauf auf der Schwelle stand.

Er lächelte die Blonde vergnügt an.

„Also komm, kleine Maus, stärken wir uns erst kräftig und bummeln danach noch ein bisschen herum. Wir bleiben nur bis morgen früh hier!“

Sie sah ihn betroffen an.

„Ich denke, wir bleiben mehrere Tage?“

„Nee, Kind, ausgeschlossen! Ich hätte dir ja gern hier ein paar Tage gegönnt, aber ich fand schon ein Radiogramm aus Barcelona vor, dass Direktor Colina mich dringend erwartet.“

Liselotte Baumann zog den hübschen Mund schief.

„Bist du denn noch nicht reich genug, darf denn die Schacherei keinen Aufenthalt erleiden?“

Er nahm ihr den Ausfall nicht übel; er war viel zu vergnügt dazu.

„Du drückst dich falsch aus, Lilo, aber deshalb soll es zwischen uns beiden keine Feindschaft geben.“

Er fasste sie am Arm, und während des ganz vorzüglichen Mahles ward ihr Zorn gedämpfter, leiser.

Sie fuhren später im Auto durch Paris, machten dann einen längeren Spaziergang, der Liselotte einen wertvollen Ring einbrachte. Doch als sie am Abend eine Vergnügungsstätte aufsuchen wollte, streikte Ludwig Markus entschieden.

„Ich brauche einen klaren Kopf für die Brüder jenseits der Pyrenäen, ich möchte mich nicht von den schlauen Kataloniern über den Löffel barbieren lassen.“

Sie sassen am Abend im Speisesaal des Hotels, aber frühzeitig erhob sich Ludwig Markus.

„Ich will nun schlafen gehen,“ erklärte er, ohne ihr verärgertes Gesicht zu beachten, „und dir rate ich, das gleiche zu tun. Beim Morgengrauen müssen wir aufstehen, um die zweite Etappe zu fliegen. Mittags landen wir in Barcelona.“

Sie fuhren gemeinsam im Fahrstuhl in ihr Stockwerk hoch, und vor Liselottes Zimmertür blieb Ludwig Markus noch ein paar Minuten stehen, nahm freundlich die Hand des blonden Mädchens.

„Vielen Dank, Kind, dass du in allem so vernünftig und nachgiebig bist, mir keinen unnützen Ärger machst.“

Sie formte ein sanftes, weiches Lächeln.

„Aus Liebe zu dir bin ich so, Ludwig, nur aus Liebe zu dir, wenn du auch nicht daran glaubst.“

„Lass, Lilo, streng dich nicht an“, neckte er.

Er war ja so froh, weil nun die Heiratsideen aus diesem Köpfchen herausgefegt waren wie Spinnweben aus dunklen Winkeln.

Gar nicht zu hoffen gewagt hatte er es. Aber vor Joachim schien das Mädel einen Heidenrespekt zu haben.

Er drückte fest ihre Hand.

„Du wirst morgen früh geweckt werden, Lilo, und von morgen an, bitte, versprich dich nicht mehr, auch wenn wir allein sind, denn das trauliche ‚Du‘ müssen wir uns endgültig abgewöhnen.“

Sie nickte leicht, sagte dann: „Ich möchte gern nachher noch eine Zigarette rauchen. Kannst du mir eine geben?“

Er holte ein silbernes Zigarettenetui hervor, öffnete es.

Liselotte sah auf der einen Seite, unter mehreren Zigaretten, ein zusammengefaltetes Papier. Das hatte sie nur sehen, sich nur überzeugen wollen, ob es sich noch an seinem Platze befand, dieses wichtige, wertvolle Blättchen, auf dem Formel und Schlüssel der neuen Erfindung aufnotiert waren.

Ludwig Markus war so überängstlich. Überall, seit er seine Erfindung des Betonzusatzes erprobt hatte, witterte er Diebe und Spione, die ihn um den Erfolg bringen wollten.

Nun trug er Formel und Schlüssel der Erfindung im Zigarettenetui über die Grenzen. Keine zweite Niederschrift existierte davon, den Bau, an dem er die Erfindung ausprobiert, hatte er sogar niederreissen lassen, und sein Sohn besass in der Chemie nur Laienkenntnisse.

Liselotte Baumann nahm sich eine Zigarette, dachte, wenn sie nur in den Besitz des kleinen Etuis kommen könnte. Dann hätte sie eine gute Gelegenheit zur Rache an dem alternden Mann, der sich von seinem Sohn so schnell und leicht zu ihren Ungunsten hatte beeinflussen lassen.

Sie sann nach, sah im Geiste die Umrisse ihres Racheplanes deutlicher werden und wandte sich plötzlich mit raschem Gutenachtgruss, sonst hätte sie laut und höhnisch auflachen müssen. —

Am nächsten Morgen, dicht vor dem Aufstieg in Le Bourget, gleich nach dem Verlassen des Autos, sagte Liselotte leise: „Lass mich lieber das Zigarettenetui einstecken, ich meine wegen der Zollkontrolle. Gegen Damen ist man galant und guckt nicht so genau hin, und man kann nicht sicher wissen, wie weit Zollschnüffler gehen. Sie könnten die Zeichen und Zahlen der Formel für politische Geheimnisse ansehen und dich deshalb aufhalten.“

Er lachte zwar, aber seine Überängstlichkeit war die Falle, in die er lief.

Er gab ihr das silberne Zigarettenetui.

Liselotte war voll von Schadenfreude.

Jedenfalls wollte sie nun dafür sorgen, dass er zunächst vor seinem spanischen Geschäftsfreund mit leeren Händen dastand. Vorerst wenigstens! Mochte er sich dann an die mühselige Arbeit machen, aus dem Gedächtnis noch einmal alles zusammenzusuchen.

Das sollte ihre Rache sein, zu mehr reichte es für sie ja doch nicht.

Und wieder musste sie durch lange Stunden das Martyrium geduldigen Ausharrens in dem unbequemen Flugzeug durchmachen, bis man dann endlich, im blendenden Maiensonnenschein, zur Mittagsstunde über der katalonischen Hauptstadt dahinschwebte.

Ludwig Markus wandte den Kopf, rief der hinter ihm Sitzenden mit Anwendung aller Lungenkraft zu: „Wir sind am Ziel, unter uns liegt Barcelona!“

Liselotte Baumann griff in die Tasche, hielt plötzlich das Zigarettenetui hoch, dass es silbern aufblitzte, und schleuderte es dann über den Rand des Flugzeuges in die Tiefe.

Die Züge des Mannes versteinerten förmlich vor Schreck.

Hämisch weideten sich die grünlich schimmernden Augen des Mädchens an seinem Entsetzen.

„So, das ist mein Dank!“ schrie Liselotte Baumann überlaut.

Der Mann vor ihr, dessen erstarrtes Gesicht ihr zugewandt war, las ihr die Worte von den Lippen ab. Der Flugzeugführer hörte durch das Geknatter der Motoren keine Silbe, er war ganz versunken in seine Pflicht.

Ludwig Markus war zumute, als ströme ihm alles Blut wild zum Herzen. Grenzenloser Zorn, heisse Empörung raubten ihm alle Besinnung.

Er trug stets einen kleinen geladenen Revolver bei sich, er hatte ihn auch auf diese Reise mitgenommen.

Er riss den Revolver heraus und schoss in rotem, siedendem Jähzorn auf Liselotte Baumann, deren Gesicht grau geworden war vor wahnsinniger Angst.

Mitten in die Stirn traf die Kugel, so dass sie wortlos, Entsetzen in den Augen, zusammensank, während ein Blutstreifen über ihr Gesicht rann.

Bei diesem Anblick überfiel den Mann jäh die unheimliche Erkenntnis dessen, was er in seiner Erregung und Verstörtheit angerichtet. Und in diesem Bewusstsein wandte Ludwig Markus die Mündung des kleinen Revolvers nun gegen sich selbst.

Im Geknatter der Motoren verhallte auch dieser Schuss wie der erste, wurde gleichsam davon aufgesogen.

Als der Apparat in sanftem Gleitflug auf dem Felde bei Prat del Llobregat niederging, ahnte der Pilot noch nicht, dass er mit einer Toten und einem Sterbenden in Spanien landete.

Die Direktoren des Cemento-Colina und der Hoch- und Tiefbaugesellschaft Miranda in Barcelona waren einander innerlich spinnefeind, aber äusserlich benahmen sie sich wie gebildete Europäer. Sie kamen einander bei grossen Zement- und Betonarbeiten zu oft ins Gehege, und letzthin hatte Jose Colina ein paar übermütige Bemerkungen zu Francisco Miranda gemacht in dem Sinne, es würde demnächst eine grosse Umwälzung auf dem Gebiete der Betonbauten geben.

„Billiger müssen wir werden, amigo mio,“ hatte er gelacht, „billiger, aber trotzdem noch solider und fester in unseren Arbeiten.“

Diese Bemerkung hatte dem Direktor der Hoch- und Tiefbaugesellschaft im Ohr nachgesummt wie ein Dutzend eingesperrter Fliegen, und wenn auch nicht viel herauszubringen war, so hatte er mit Hilfe reichlich gespendeter Trinkgelder, die er durch dritte Personen dem Büropersonal des Cemento-Colina zukommen liess, erfahren, Jose Colina erwarte den Direktor der Markus-Werke aus Norddeutschland.

Man hinterbrachte ihm sogar Tag und Stunde von dessen Ankunft.

Er folgerte aus allem zusammen: Es war da etwas im Entstehen, was für seine eigene Gesellschaft eine Gefahr bedeutete.

Was aber, was?

Er befand sich am frühen Vormittag des Tages, da Jose Colina den Konkurrenten aus Deutschland erwartete, in seinem Privatbüro. Am Schreibtisch, ihm gegenüber, sass seine Tochter Nieves, deren Äusseres nichts von der weichen, molligen Art so mancher jungen Katalonierin hatte.

Ein geschmeidiges, schlankes, neunzehnjähriges Mädel war sie, mit prachtvollen klugen Augen und herbem, schmalem Gesicht, über dem es wie ein matter bräunlicher Schimmer lag.

Sie beobachtete ein Weilchen das Mienenspiel ihres Vaters, sagte endlich: „Du zerspringst ja förmlich vor Neugier und Konkurrenzneid, Padre, was bei Colina vorgeht, wirst du selbst mit noch so viel Stirnrunzeln und Zähneknirschen nicht herausbringen. Man müsste spionieren, ob das grossmächtige deutsche Tier, dieser Ludwig Markus, wirklich kommt, und Gelegenheit suchen, zu erfahren, was man eigentlich vorhat. Ich mache dir den Vorschlag, überlass mir die Spionenrolle, ich habe nämlich eine Idee.“

Das hagere, scharfe Gesicht Francisco Mirandas verdüsterte sich noch mehr.

„Du bist gescheit, Nieves, bist in vielem mein Adjutant, Mädchen wie du findet man wenig, aber zur Spionin darfst du, gerade du dich nicht erniedrigen; das leide ich nicht.“

Nieves lachte und zeigte die weissen Zähne, die von wundervoller Gleichmässigkeit waren.

„Padre, nur keine falschen Sentimentalitäten! Es handelt sich doch darum, zu erkunden, ob und was für eine Gefahr deiner Gesellschaft droht. Vor allem werde ich mich auf dem Flugplatz herumdrücken zu der Zeit, wo man den Aleman erwartet, danach mache ich dann meine weiteren Pläne.“

Francisco Miranda wehrte lebhaft ab.

„Nein, Nieves, das geht nicht, schon aus dem Grunde, weil Sennor Colina dich kennt. Deine Gegenwart in Prat del Llobregat würde ihm bestimmt auffallen.“

„Meinst du etwa, Padre, Nieves Miranda würde sich auf dem Flugplatz blicken lassen? No, no!“

„Aber du hast doch eben wörtlich gesagt, du willst dich auf dem Flugplatz herumdrücken zu der Zeit, wo der Aleman erwartet wird“, hielt ihr der Vater entgegen.

Nieves zog die schmalen, tiefdunklen Brauen zusammen, strich mit der Rechten über das nach Pagenart geschnittene, leicht gewellte schwarze Haar und erwiderte betont: „Deine Tochter Nieves wird niemand auf dem Flugplatz sehen, trotzdem werde ich dort sein.“

Ihm dämmerte etwas, denn er kannte sein Mädel.

„Du willst doch nicht etwa —?“

Er konnte die Frage nicht vollenden, denn Nieves sprang auf, küsste ihn auf beide Wangen und war mit einem Sprunge an der Tür.

„Jawohl, gerade das will ich!“ lachte sie von dort. „Und nun muss ich nach Hause, meine Vorbereitungen treffen, sonst wird es zu spät.“

„Nieves!“ Francisco Miranda rief ganz laut den Namen seiner Tochter, aber sie hörte nichts mehr oder wollte nichts mehr hören.

Auf dem Flugplatz bei Prat del Llobregat standen allerlei Leute umher, solche, die irgendwie hier zu tun hatten, aber auch genügend müssige Gaffer.

Ein deutsches Flugzeug wurde erwartet und war bereits seit geraumer Zeit gesichtet worden.

Immer näher kam es, seine Gestalt schien langsam zu wachsen.

Man vermochte bereits die grossen Buchstaben an dem unteren Teil der Tragflächen zu erkennen.

Jose Colina, ein kleiner dicker Herr mit schlaffen Zügen und schweren Augenlidern, wippte auf seinen kurzen Beinen nervös hin und her.

Sein Elizalde-Wagen wartete.

Ludwig Markus hatte ihm mitgeteilt, er würde im Hotel Ritz wohnen. Das liess er natürlich nicht zu, sein Haus war geräumig wie ein Palacio, drei Zimmer warteten auf den Chef der Markus-Werke. Auch für die mitreisende Sekretärin war vorgesorgt.

Im Gleitflug näherte sich der riesige Vogel, den die Technik ausgebrütet, nun berührte er den Boden, drückte sich noch ein Stück voran, kam dann zur Ruhe.

Der Pilot verliess seinen Sitz, sein gebräuntes Gesicht leuchtete vor Zufriedenheit.

Auf diese Weise war er endlich einmal wieder nach Barcelona gekommen. Er kannte die Stadt von früher. Eine Strasse gab es hier, ein kleines Haus in dieser Strasse mit einem Café, und süsse glutäugige Mädels hockten dort herum, freuten sich der flüchtigsten Bekanntschaft.

Heute abend wollte er dorthin. Er musste sich erkundigen, ob Manuelita noch in dem kleinen Café Stammgast war wie früher.

Er schob die Brille hoch, glotzig stand sie über dem Rand seiner Lederhaube.

Er wandte sich seinen Passagieren zu, fast gleichzeitig, als das versammelte Publikum näher kam.

Er taumelte zurück. Allbarmherziger Gott, was war nur geschehen?

Die Sekretärin kauerte zusammengefallen da, wie in ihren Platz hineingepresst, und über ihr Gesicht zog ein Rinnsal von Blut; Ludwig Markus aber sass mit halb gebrochenen Augen, hielt die Hände auf das Herz gedrückt, und auf seinem Schoss lag ein Revolver.

Ein allgemeiner Entsetzensruf ward laut, die Zollbeamten traten zurück, zwei Guardia civil in ihrer schmucken, mattgrünen Uniform, dem gelben Bandelier und den seltsam geformten lackierten Hüten, traten heran, ein Arzt tauchte auf. Niemand wusste, woher er so plötzlich gekommen war. Er war eben da, als sei er vorher bestellt worden.

Jose Colina erklärte aufgeregt: „Ich erwartete meinen Geschäftsfreund!“

Der Arzt stellte fest, dass das junge blonde Mädchen bereits tot war, Ludwig Markus nicht mehr transportfähig.

Sein gebrochener Blick suchte umher.

Jose Colina war schon ganz nahe bei ihm.

Ein schlanker Junge, die graue Mütze tief über den Kopf gezogen, drängte sich heran.

Niemand beachtete ihn in der Erregung.

Der Pilot sprach etwas Spanisch von früher her.

Er gab den Gendarmen Auskunft auf ihre Fragen.

Eigentlich wusste er nicht viel.

Ludwig Markus mühte sich mit dem Aufwand letzter Kraft, dem bestürzten Colina eine Erklärung zu geben. Kurz und stossweise rang es sich in französischer Sprache von seinen Lippen.

„Meine Formel und der Schlüssel dazu sind in einem silbernen Zigarettenetui,“ stammelte er abgerissen, „das wahnsinnige Mädel, die Sekretärin, hat es über Barcelona abgeworfen. Suchen Sie danach! Es gibt keine Abschrift! Holen Sie sich meinen Sohn zu Hilfe. — Ich erschoss das Weib in meiner Erregung, danach schoss ich auf mich. Meine Erfindung macht meinen Sohn reich — Sie auch — und die Konkurrenz brotlos!“

Ein Röcheln, ein Aufbäumen, warmes Herzblut färbte seine Kleidung, dann verschied Ludwig Markus unter dem grellblauen Maienhimmel Barcelonas, an dem die Sonne wie eine zu gelbe grosse Blume stand.

Ein schmaler schwarzhaariger Junge hatte Wort für Wort verstanden. Sein ernster Blick durchforschte das starre Totengesicht, dann schlich sich der Junge langsam fort.

In ihm war es wie in einem Fieber: „Meine Formel und der Schlüssel dazu sind in einem silbernen Zigarettenetui, das Mädel, die Sekretärin, hat es über Barcelona abgeworfen. Suchen Sie danach —“

Aber grell, wie Fanfarengeschmetter, klang es nach, und es war doch nur die erlöschende Stimme eines Sterbenden gewesen: „Meine Erfindung macht die Konkurrenz brotlos!“

Ein schmaler Junge zeigte ein Trutzgesicht.

Auch er würde suchen nach dem Zigarettenetui.

Er hatte etwas gehört, was nicht für seine Ohren bestimmt war, ihm aber Vorteil brachte.

Die Fahrt hier heraus hatte sich gelohnt.

In dem Jungenanzug bargen sich die schlanken, trainierten Glieder der jungen Nieves Miranda.

Sie blickte wie suchend zum Himmel auf. Da oben in der Luft hatte sich vor kurzem eine Tragödie abgespielt, die viele Fragezeichen offen liess, aber was davon allein wichtig für sie blieb, war ein silbernes Zigarettenetui, über der riesengrossen Stadt willkürlich abgeworfen.

Wo fiel es hin?

Wurde es schon gefunden? Oder versteckte es sich so, dass man es vielleicht nie finden würde?

Der schlanke Junge drückte die weissen Zähne in die Unterlippe und dachte hart und fest wie an einen eisern gegebenen Befehl: „Wir wollen nicht brotlos werden, du toter Aleman, und deshalb muss ich suchen, suchen, suchen!“

Fast ebenso rasch wie Joachim Markus das Furchtbare durch den Jose Colina telegraphisch erfuhr, waren auch die Zeitungen durch Radio von dem seltsamen Drama im Flugzeug unterrichtet worden. Und als er noch kaum fähig war, das Geschehene zu überdenken, las man schon überall in Deutschland die sensationelle Notiz, dass der Direktor der Markus-Zementwerke dicht vor der Landung in Barcelona im Flugzeug seine Sekretärin erschossen und sich selbst tödlich verletzt habe, so dass er gestorben sei, ohne vorher noch eine Erklärung abgeben zu können.

Joachim Markus meldete Jose Colina sein sofortiges Nachdortkommen.

Als Joachim dann im Zuge sass, fand er erst Zeit, einmal in aller Ruhe das tragische Ende seines Vaters zu überdenken.

Er quälte sich mit marterndem Selbstvorwurf, er hätte die Mitreise der Baumann verhindern müssen um jeden Preis.

In sensationellen Zeitungsmeldungen hiess es, der Grund zu der Tat sei völlig unerklärlich, der überaus geschätzte Ludwig Markus könne nur in einem Anfall von Geistesverwirrung gehandelt haben.

Die Fahrt schien Joachim Markus endlos.

In Port-Bou, der spanischen Grenzstation, erwartete ihn Jose Colina.

Der kleine, salopp elegante Katalonier kannte den Sohn des Toten von einem Besuch her, den er im Vorjahre den Markus-Werken abgestattet, und beide erkannten sich sofort wieder.

Colina hatte schon in einem Zugabteil Plätze belegt, und da man darin allein blieb, konnte man sich von Port-Bou bis Barcelona über das Vorgefallene unterhalten.

Trotzdem hier niemand etwas hätte hören können, redeten beide nur in halblautem Ton, bedienten sich, da Joachim nur wenig Spanisch, Colina noch weniger Deutsch verstand, der französischen Sprache, die sie beide tadellos beherrschten.

Jose Colina berichtete, dass die Toten von der Untersuchungspolizei freigegeben seien und nach Deutschland überführt werden könnten.

„Die Sekretärin wird hier begraben,“ entschied Joachim, „ich glaube nicht, dass ihre Eltern die Kosten der Überführung tragen wollen, und für mich liegt kein Grund dazu vor.“

Jose Colina entledigte sich nun der wichtigsten Aufgabe, er wiederholte dem Sohne die letzten Worte des sterbenden Vaters.

Jetzt erst begann Joachim Markus die ihm bisher ganz unfassbare Tat des Vaters zu begreifen.

Liselotte Baumann musste mehr, als nötig gewesen, von der Erfindung gewusst haben, und auch, dass sein Vater die Formel und den Schlüssel dazu in seinem silbernen Zigarettenetui bei sich trug. Wahrscheinlich hatte sie dem Vater einen bösen Streich spielen wollen und hatte ihn damit in sinnlose Wut getrieben.

Jose Colina erzählte, der Pilot habe auf geschickte Fragen erklärt, er hätte gesehen, dass Ludwig Markus der Sekretärin dicht vor dem Aufstieg, gleich nach dem Verlassen des Autos in Le Bourget etwas Silbernes gegeben habe, was ein Zigarettenetui oder dergleichen gewesen sein müsse.

Colina versicherte, über das Tatmotiv wisse die Polizei gar nichts, und so könne auch niemand etwas von dem durch seinen Inhalt so kostbaren Zigarettenetui erfahren. Als ihm der Sterbende mit entweichendem Atem die letzte wichtige Mitteilung gemacht, habe niemand etwas davon gehört.

Joachim Markus sagte bedrückt: „Mein Vater war überängstlich mit seiner Erfindung und zugleich leichtsinnig. Es existiert kein Duplikat der Notizen. Er hätte daheim etwas Derartiges deponieren müssen. Den Bau, an dem er seine Erfindung ausprobte, liess er zerstören, aus Furcht, jemand könne Proben davon nehmen, eine Analyse danach machen. Die Erfindung ist ja noch nicht angemeldet.“

Jose Colina stöhnte laut auf.

„Caramba hombre! Da steht ja alles noch schlimmer als schlimm, das hätte ich nicht gedacht! Gar nicht auszudenken ist es, was das für ein Suchen geben wird. Nach der Korrespondenz, die Ihr seliger Vater und ich über die Erfindung führten, muss es sich um etwas Phänomenales gehandelt haben. Es ist natürlich eine Riesenaufgabe, das Zigarettenetui wiederzuerlangen. Sie kennen es hoffentlich genau, ich meine wegen der Beschreibung?“

Joachim Markus neigte ein wenig den Kopf. Sein herbes, verschlossenes Gesicht nahm für Sekunden einen weichen, nachdenklichen Ausdruck an.

„Ob ich es kenne! Ich selbst schenkte es vor fünf Jahren meinem Vater als Weihnachtsgabe. Er hatte es stets bei sich seitdem.“

„Bueno,“ kam es erleichtert von den breiten Lippen Jose Colinas, „ich habe auch gehofft, dass Sie eine Beschreibung geben könnten, und schlage nun vor, wir beginnen die Nachforschung mit einer Annonce. In alle Barcelonaer Blätter lassen wir sie recht auffallend einrücken und versprechen hohe Belohnung. Vielleicht haben wir Glück.“

Joachim Markus war einverstanden.

Jose Colina stellte ihm die drei Zimmer in seinem Hause zur Verfügung, die Ludwig Markus hatte bewohnen sollen. Das Reisegepäck des Toten stand darin und alle Sachen, die er mit sich geführt.

Joachim strich in verhaltener Zärtlichkeit über die Gegenstände, sein Herz weinte um den Vater.

Sie waren beide immer wie gute Kameraden gewesen.

Am nächsten Tage las man in der „Vanguardia“ und im „Dulivio“, des Abends im „Noticiero“ und in der „Noche“, sowie allen anderen Zeitungen der Stadt dieselbe markante, gross gehaltene und breit umrandete Anzeige:

Auf einem stundenlangen Spaziergang durch Barcelona verloren ein silbernes Zigarettenetui mit dem Monogramm L. M. in einem Kranz kleiner Rubinen. Da teures Andenken, erhält der Finder hohe Belohnung. Abzugeben mit Inhalt in der Torre Colina, Avenida del Tibidabo.

Inzwischen begrub man die blonde Liselotte Baumann still und rasch auf dem Friedhof der Protestanten am Meer.

Niemand gab ihr das Geleit, nur das blaue Mittelländische Meer erbarmte sich ihrer und sang ihr ein Schlummerlied.

Auf die Anzeige meldete sich niemand, und Joachim Markus musste wieder abreisen, ehe man auch nur um einen einzigen Schritt in der wichtigen Angelegenheit weitergekommen war.

Er leitete die Überführung der Leiche seines Vaters, sorgte für ein würdiges Begräbnis und besprach sich dann mit den Herren des Aufsichtsrates der Markus-Werke.

Man wählte ihn, der auch im Besitze der meisten Aktien war, einstimmig zum Nachfolger seines Vaters.

Dann bestellte er Liselottes Vater in seine Privatwohnung.

Das heruntergekommene Äussere des anscheinend arbeitsscheuen Mannes liess es Joachim Markus verstehen, dass Liselotte Baumann schon vor geraumer Zeit sich von zu Hause losgemacht hatte, um dem hässlichen Milieu zu entgehen, und nicht zuletzt darum versucht hatte, den Direktor der Markus-Werke ganz in ihren Bann zu ziehen.

Nachdem Max Baumann Platz genommen hatte, erzählte ihm Joachim Markus, dass sein Vater die Tat in einem plötzlichen Anfall von Geistesstörung verübt habe, und berichtete, wo Liselotte begraben wurde.

Als er dann von dem für seine Tochter Liselotte hinterlegten Betrage von 20 000 Mark sprach, schien bei dem heruntergekommenen Manne erst das Interesse an der Sache zu beginnen, und die anfangs zur Schau getragene Trauer über den Tod seiner Tochter wich sichtbar von ihm. Gierig, mit einem Aufleuchten seiner verquollenen Augen, die starken, dauernden Alkoholgenuss verrieten, griff er nach dem Papier, das ihm Joachim Markus reichte, und das Max Baumann die Aushändigung der hinterlegten Summe sicherte.

„Et war doch immer een jutes Mächen, meine Lilo — ick wär ihr nie vajessen!“

Und nachdem er sich vernehmlich in sein buntes Taschentuch geschneuzt hatte, verliess er unter kurzen Dankesbezeigungen das Zimmer.

Joachim Markus atmete auf, als Max Baumann gegangen war.

In der nächsten Nacht wollte er abermals nach Barcelona reisen, er musste sich an den Nachforschungen nach dem Zigarettenetui seines Vaters beteiligen, es sollte, es musste gefunden werden.

Irgendwo war es doch hingefallen!

Über das Meer war der Pilot auch nicht das kleinste Stück gefahren, also bestand die grösste Gefahr nicht, dass es in der nassen Tiefe für immer verschwunden sein könnte.