Liebe ist die größte Macht - Anny von Panhuys - E-Book

Liebe ist die größte Macht E-Book

Anny von Panhuys

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Beschreibung

Mit Spannung und freudiger Erwartung schaut Gutsherr Ferdinand von Arnsdorf dem Besuch des schwerreichen jungen Fabrikanten Fred Ulrich entgegen. Dessen Interesse für Tochter Inge ist die Rettung für das schwer verschuldete Gut. Inge findet nichts dabei, den sicher erwarteten Antrag Ulrichs anzunehmen, obwohl sie ihn nicht liebt. Ihrer Kusine Waltraut, die als Waise bei den Arnsdorfs aufgewachsen ist, treibt die anstehende Verlobung die Tränen in die Augen. Wenn auch Fred Ulrich, den sie heimlich liebt, sie nicht beachtet, soll er doch wenigstens eine Frau bekommen, deren Herz ihm wirklich gehört. Doch Ulrich hört in der Bibliothek ein Gespräch Inges mit ihrer Mutter, das ihm deutlich macht: Für Inge geht es um des Guts willen nur um sein Geld. Um sich an ihr zu rächen, verlobt er sich aus Trotz mit Waltraut. Das sensible Mädchen kann sein Glück nicht fassen, auch wenn ihr Bräutigam eigenartig zurückhaltend ist. Nur Inge weiß, dass der Antrag eigentlich ihr gegolten hat. Eifersüchtig und neidisch auf den Schmuck, den Fred Waltraut geschenkt hat, bricht eines Abends die ganze Wahrheit aus ihr heraus. Am nächsten Tag fährt Waltraut zu Fred. Obwohl ihr Herz zu zerbrechen droht, löst sie mit ruhiger Stimme das Verlöbnis. Sie glaubt an echte Liebe und nicht an eine Heirat aus Rache. Als sie fortgeht, lässt sie einen sehr nachdenklichen und tief getroffenen Ulrich zurück.Darf man auch ohne Liebe heiraten, wenn das die Rettung für ein geliebtes Zuhause ist? Oder soll man, um die Liebe nicht zu verraten, auf eine solche Ehe verzichten? Tief bewegend erzählt der Roman, wie sich zwei junge Mädchen jeweils für einen der beiden Wege entscheiden. Erst das Unglück, dass ihre Entscheidung über sie bringt, enthält ihr wahres Glück.

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Anny von Panhuys

Liebe ist die größte Macht

Roman

Saga

Liebe ist die größte Macht

© 1955 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711592229

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

1.

Der Gutsherr von Arnsdorf, Ferdinand von Arnsdorf, lief aufgeregt im Zimmer auf und ab. Seine Frau saß am Fenster und machte ein verstimmtes Gesicht. Inge, seine Tochter, und Waltraut, seine Nichte, drückten sich dicht an der Tür herum, als stände sie auf dem Sprunge, im nächsten Augenblick das Zimmer eilig zu verlassen.

Beide Mädchen waren sehr schön. Inge war dunkelblond. Rötliche Lichter lagen auf dem weichwelligen, gut ondulierten Scheitel, während das silberblonde Haar Waltrauts sich von Natur lockte und sich in wirrem Gestrudel um das schmale Köpfchen legte.

Inge hatte große braune Augen und eine schmale, leicht gebogene Nase; Waltrauts große Augen waren grau, die Nase war gerade, vielleicht ein wenig zu kurz. Der Mund beider aber hatte Familienähnlichkeit aufgefangen, er war scharf herzförmig geschnitten. Doch während Inges Kinn weich war und ein Grübchen zeigte, war das Waltrauts kräftig geformt.

Waltraut hatte ihre Eltern schon in ihrem achten Jahr verloren. Ihr Vater war der einzige Bruder des Gutsherrn, war Arzt in der Kreisstadt gewesen, und sie war hier, zusammen mit Inge, wie eine Tochter erzogen worden. Beide Mädchen galten im ganzen Kreise als Schönheiten, und wenn Gelegenheit dazu war, machte man ihnen den Hof. Aber gediegene ernsthafte Freier waren knapp gesät, man munkelte es schon zu laut, um Gut Arnsdorf stände es sehr schlecht, der Gerichtsvollzieher wäre dort ständiger Gast. Ferdinand von Arnsdorf, ein Mann von fünfzig, mittelgroß, sehr breit, mit derben Gesichtszügen und dickem Schnurrbart, fuhr sich mit der Rechten über das braune, schon leicht graumelierte dünne Haar.

„Ihr seid alle besessen, Weibsvolk. Wo soll ich denn das Geld hernehmen für eure Wünsche. Wir geben kein Frühlingsfest. Quatsch ist die Idee. Heutzutage ist dergleichen geradezu grober Unfug, wenn man sich das Geld dazu erst mit tausend Opfern verschaffen muß.“

Berna von Arnsdorf – sie hieß eigentlich Bernhardine – widersprach:

„Wenn man eine Tochter hat und eine Nichte mit Tochterrechten, beide erst neunzehn Jahre alt, muß man eben solche Opfer bringen oder man ist ein schlechter Vater und Onkel. Außerdem muß man es aus Klugheit tun. Herr Ulrich interessiert sich für Inge, und wenn er sich entscheidet, sind wir mit einem Male aus unserer schwierigen Lage heraus. Ein Schwiegersohn wie er, kann ohne besondere Anstrengung unser Gut schuldenfrei machen.“

Inge lächelte: „Ja, Vater, das könnte er wohl. Man sagt, er wäre unerhört reich.“

Waltraut mischte sich ein: „Du liebst ihn nicht, und es wäre sehr häßlich von dir, wenn du ohne Liebe seine Frau würdest.“

Inge erwiderte gereizt: „Du bist ja bloß neidisch, weil er mich so sehr auszeichnet!“

Waltraut wandte sich ab.

„Schäme dich, so etwas zu sagen!“

Es klopfte. Ein Mädchen kam, brachte auf kleiner Silberschale eine Besuchskarte. Herr von Arnsdorf nahm die Karte, brummte: „Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt!“

Er sagte dem Mädchen Bescheid, sie solle Herrn Ulrich in das sogenannte blaue Zimmer führen, wo man Besucher zu empfangen pflegte.

„Macht euch ein bißchen zurecht“, wandte er sich an seine Damen, „ihr müßt ihm doch auch guten Tag sagen!“

Waltraut wandte leise ein: „Mich befreist du wohl von dem Gutentagsagen, Onkel. An meiner Gesellschaft liegt Herrn Ulrich ja doch nichts, und ich habe noch allerlei zu tun.“

„Mach, was du willst!“ warf ihr der Gefragte hin und ging, seinen Besucher zu begrüßen.

Frau von Arnsdorf blieb mit den Mädchen allein. Sie lächelte:

„Herr Ulrich hat sich bis jetzt selten bei uns blicken lassen, und ich weiß bestimmt, vor vierzehn Tagen auf der kleinen Abendgesellschaft bei Landrats, fiel sein Werben um dich schon auf. Er ist aber ein äußerst korrekter Mensch und fängt keine Liebelei hinter dem Rücken der Eltern an. Mir sagt eine Ahnung, er besucht uns deinetwegen, Inge.“ Sie umarmte die Tochter. „Schön wäre das! Dann kämen wir mit einemmal aus aller Bedrängnis heraus, und du würdest eine reiche Frau, eine steinreiche Frau.“

„Du darfst nicht ohne Liebe seine Frau werden!“ Waltraut stand vor Inge und sah sie bittend an. „Du würdest doch nur unglücklich und er auch. Wir brauchen ja gar nicht so nötig Hilfe. Vater verkauft Arnsdorf, und wir behalten das Vorwerk, richten uns da ein.“

Inge lachte laut auf. „Waltraut, jeder ist seines Glückes Schmied. Laß mich das meine allein schmieden. Nein, ich liebe Fred Ulrich nicht, er ist mir zu ernst oder richtiger ausgedrückt, zu langweilig, aber ich liebe auch keinen anderen, und er wirkt sehr dekorativ trotz seines bürgerlichen Namens. Laß gut sein, Waltraut! Wenn er mich will, nehme ich ihn. Ich habe es satt, daß Vater wegen jeden Kleides oder Hutes, den ich brauche, gleich Lärm schlägt, als wenn ich Unerhörtes von ihm fordere, und ich habe die ewige Angst satt, daß uns eines Tages Arnsdorf über den Kopf weg versteigert wird. Nebenbei bemerkt, bin ich ziemlich sicher, er ist meinetwegen gekommen.“

Die Mutter nickte. „Heutzutage muß man ein bißchen nüchtern denken. Es geht wohl auch ohne die große Liebe. Wer weiß denn, ob die jemals zu Inge kommt? Und dann sitzt sie da und drückt sich als Altjüngferchen herum bei fremden Leuten, falls Arnsdorf uns verlorengeht. Inge ist nur für ein gutes Leben geboren. Sie braucht Reichtum wie der Fisch Wasser. Du bist anders, trotzdem du auch schön bist und Ansprüche machen könntest. Auch möchten wir Arnsdorf halten, Joachims wegen. Der Junge ist doch wichtig. Er hängt an Arnsdorf wie an einem Heiligtum.“ Sie ermunterte: „Los! Wollen uns umkleiden. Inge, zieh dein braunes Samtkleid an! Es steht dir am besten!“

Es schien, Waltraut wollte noch etwas sagen; doch sie schwieg und verließ still das Zimmer.

Es war Frühling, und um Gut Arnsdorf blühte und grünte es wundervoll. Im Park standen die Bäume im Schmuck der frischen glasigklaren Blätter so stolz und freudig, und die Sonne lag darüber, versprühte aus unerschöpflichem Born ihr herrliches Goldgeflimmer.

Weit in den Park lief Waltraut hinein. Aber sie sah nicht das wundervolle Grün, nicht das überwältigend goldene Licht ringsum, sie lief, als wäre sie stumpf gegen all den verschwenderischen Reichtum des Frühlings um sie her, lief auf einen kleinen Pavillon zu, der ganz am Ende des Parkes auf einem Hügel stand, und dessen Rückwand, in die hohe Abschlußmauer des Parkes übergehend, wie ein Luginsland mit zwei Fensterchen weit über die Wiesen und Felder blickte bis zu den fernen Bergen.

Uralt war der Pavillon und Waltrauts Lieblingsaufenthalt. Sommersüber wohnte sie oft tagelang hier und hatte sich alles in die zwei Stuben geschleppt, was im Herrenhaus überflüssig geworden war und ihr gefiel. Sie öffnete die schmale, schwere Eichentür mit einem Schlüssel, den sie immer bei sich trug, und schob nach dem Eintreten in den kleinen Vorflur den Riegel vor. Plötzlich schluchzte sie; sie konnte das Weinen nicht länger zurückhalten, das sie quälte. Dann öffnete sie das Zimmer zur Rechten. Es enthielt nicht viele Möbel, und alle stammten aus der Rumpelkammer des Herrenhauses; aber es war anheimelnd hier unter den alten Möbeln und Bildern. Tüllgardinen bauschten sich vor dem Fenster, und ein kleiner gutgefüllter Bücherschrank enthielt Waltrauts Lieblingslektüre.

Waltraut ließ sich wie ermattet auf einen alten Armstuhl fallen, der mit verblaßtem grünem Samt überzogen war. Ihr lichtblonder Kopf drückte sich gegen die hohe Lehne, und ein verzweifeltes wehes Weinen wurde laut. Waltraut weinte und weinte. Weinte fassungslos.

Endlich riß sie sich zusammen; langsam versiegten die kleinen lauen Quellen; die Augen brannten; dennoch fühlte sich Waltraut leichter. Sie hatte die Tränen schon zu lange zurückgedrängt, immer zurückgedrängt, wenn die Tante und Inge ganz sachlich und nüchtern davon gesprochen, daß es gut wäre, wenn Inge Fred Ulrich heiraten würde, damit er mit seinem vielen Geld Gut Arnsdorf schuldenfrei und Inge zur reichen Frau machen könne.

Sie erhob sich und trat vor ein Bild hin, ein Bild, das sie sich auch aus der Rumpelkammer auf dem Boden des Herrenhauses geholt, wo es mit der Malerei der Wand zugekehrt gestanden. Es stellte eine Tante ihres Vaters und ihres Onkels dar, eine, die in der Familie als Verlorene galt, weil sie in jungen Jahren mit einem Mann, den sie nicht hatte heiraten sollen, fortgegangen war. Weit fort. Nach Spanien sagte man. Ihre Briefe hatte niemand beantwortet, und dann war sie verschollen. Das Bild zeigte ein lichtblondes junges Mädchen mit Zöpfen um den schmalen Kopf, und Waltraut sah ihr sehr ähnlich. Nur viel energischer als die ihren waren die Züge des gemalten Gesichts. Waltraut blickte zu der im weißen Kleide auf, sagte leise: „Wenn er Inge heiratet, will ich auch fortlaufen in die weite Welt wie du. Ich kann nicht mit ansehen, daß Inge ohne Liebe seine Frau wird. Ich kann es nicht mit ansehen!“

Schon wieder wollten sich Tränen in ihre Augen drängen, aber sie wurde ihrer Herr. Nur nicht mehr weinen! Es würde lange genug dauern, bis die Tränenspuren von vorhin getilgt. Sie trat an das Fenster, zog die Tüllvorhänge ein wenig auseinander. Ihr Blick flog weit über Wiesen und Felder bis dorthin, wo die Bergkette den Horizont begrenzte. Alles war in Sonne gebadet, und Waltraut dachte, die Welt wäre doch wunderschön, wenn es darin so zuginge, daß immer Liebe und Liebe einander begegneten, und daß nicht Liebe von Spekulation und Egoismus betrogen wurde. Sie flüsterte: „Warum muß ich dich liebhaben, Fred, warum? Und du weißt es nicht, und dir liegt nichts an mir. Inge aber liebt dich nicht.“ Wie ein Krampf schüttelte herztiefer Schmerz den schlanken und doch kraftvollen Mädchenkörper. Ihre Hände ballten sich, und ihre Nägel gruben sich dabei tief in das Fleisch. „Fred!“ stöhnte sie, „lieber, geliebter Fred, du tust mir so bitter leid!“ Sie lächelte schmerzlich verkrampft und dachte: Sie selbst tat sich auch bitter leid. Sie selbst ja auch.

Ihr Blick irrte weit über Wiesen und Felder bis zu den fernen Bergen, und sie sann: Dort hinter den Bergen begann die große weite Welt, in die Großtante Maria hineingelaufen; sie wollte es ihr nachtun. Ganz gleich, unter welchem Vorwande sie von hier fortkäme, aber sie könnte nicht mit ansehen, wenn Inge dem geliebten Manne Liebe heuchelte. Inge hatte ja schon seit langem mit ihm Blicke gewechselt und getan, als gelte er ihrem Herzen etwas. Man hatte sich im Winter oft in der Nachbarschaft getroffen, auf Bällen und Gesellschaften. Auch Einladungen nach Arnsdorf hatte Fred angenommen.

Waltraut ließ die Lider über die Augen fallen, fest, ganz fest. Nur nicht mehr weinen! befahl sie sich schmerzdurchbebt, als sie sich vorstellte, jetzt stand Inge wohl schon in ihrem goldbraunen Samtkleid, das so wunderschön saß, vor Fred Ulrich und sagte: Ja, ja, ja! und er küßte sie vor den Augen der Eltern, und Inge dachte dabei nichts anderes, als daß sie eine reiche Frau würde.

Mit einem Wehlaut sank die schlanke Waltraut Arnsdorf vor dem Stuhl am Fenster in die Knie und drückte das Gesicht fest in die Hände.

Ihr war es, als stieße man ihr einen Dolch ins Herz, einen spitzen, blinkenden Dolch. So lag sie lange auf den Knien wie eine schöne junge Märtyrerin.

2.

Inge hatte das goldbraune Samtkleid angezogen und stand nun vor dem Spiegel ihres Schlafzimmers, in dem sie sich vom Kopf bis zu den Füßen betrachten konnte. Sie war mit sich zufrieden und trällerte vor sich hin. So, nun noch einen Hauch von Perlpuder auf das Gesicht gestäubt und ein wenig Rot auf die Lippen. Sie lächelte sich im Spiegel an und dachte, Fred Ulrich war reich, sie war schön, und das paßte gut zusammen. Schönheit braucht Reichtum, um sich voll zu entfalten.

Indessen hatte sich der Gutsherr im blauen Zimmer mit dem Besucher unterhalten. Zuerst waren ein paar allgemeine Sätze gewechselt worden, dann war die Rede auf eine Angelegenheit gekommen, die Herrn von Arnsdorf ungemein interessierte.

Ferdinand von Arnsdorf sprach ein bißchen zu lebhaft. Es war wohl Nervosität in ihm, ob einer der reichsten Männer des Kreises, der Fabrikbesitzer Ulrich, wirklich Inge zur Frau begehrte, und Fred Ulrich fand nicht den rechten Übergang zu der Frage, die ihn eigentlich hierhergeführt. Schließlich kam es aber auch auf eine Viertelstunde mehr dabei nicht an. Er glaubte seiner Sache ja sicher zu sein. Inge von Arnsdorf hatte ihn diesen Winter, wenn man sich bei gemeinsamen Bekannten und hier getroffen, stets sehr liebenswürdig behandelt, und ihre Augen hatten noch eine besondere Sprache gesprochen, hatten ihn merken lassen, daß er ihr nicht gleichgültig war. Vielleicht hätte er sie selbst schon fragen können, und es war vielleicht etwas altmodisch von ihm, erst mit ihren Eltern zu sprechen.

Er wollte doch nun endlich das Gespräch abbrechen, um auf den Anlaß seines Besuches zu kommen, als es klopfte und das Mädchen meldete: „Der Inspektor ist da. Er möchte ganz schnell nur ein paar wichtige Worte mit Herrn von Arnsdorf sprechen.“

Ferdinand von Arnsdorf nickte. Er wußte schon Bescheid. Es handelte sich um den Verkauf einer kleinen Wiese; der Inspektor vermittelte das Geschäft.

Fred Ulrich ermunterte: „Lassen Sie mich ruhig ein paar Minuten allein, Herr von Arnsdorf. Nachher reden wir über eine wichtige Sache, die mich hergeführt.“

Der Gutsherr, gespannt, ob der Verkauf der Wiese, an dem ihm viel lag, zustande gekommen, nickte dankend.

Ich bitte also um Entschuldigung. In spätestens fünf Minuten bin ich wieder zurück, Herr Ulrich. Wenn Sie sich inzwischen unterhalten wollen“ – er öffnete die Tür zum Nebenzimmer – „hier in der Bibliothek gibt es allerlei zu kramen.“

Nachdem sich Arnsdorf entfernt, ging Fred Ulrich in die Bibliothek. Er war ein großer Bücherfreund, und die Bibliothek von Arnsdorf war im ganzen Kreise berühmt als Schatzkammer uralter Bücher. Er wußte nicht, daß sich nebenan die Wohnstube der Gutsfrau befand, und wußte nicht, daß sie, die sich sehr schnell umgezogen, dort auf Inge wartete. Als er eine Tür gehen hörte, wußte er nicht, daß es Inge war, die eben nebenan eingetreten. Aber er hörte sprechen, vernahm die Stimme Inges, die deutlich sagte: „So, Mutti, jetzt kann es losgehen. Vater wird uns ja holen. Ich freue mich ja so sehr!“

Fred Ulrich schmunzelte! Also wußte Inge schon, warum er heute hierhergekommen! Und sie freute sich so sehr!

Wie schön das war, wie beglückend!

Er konnte nicht anders, er mußte ein wenig lauschen, denn leider sprach die helle Stimme jetzt leiser. Aber wenn er dicht an die Flügeltür zum Nebenzimmer heranträte, müßte er eigentlich alles verstehen, überlegte er.

Ich freue mich ja so sehr! klang es glückselig in ihm nach. Er stand vor einem deckenhohen Bücherschrank mit einem alten in Schweinsleder gebundenen Folianten in der Hand. Nun machte er ein paar Schritte und neigte sein Ohr gegen die Tür, vernahm, wenn auch noch immer gedämpft, so doch ganz klar: „Weißt du, Mutti, die ganz große Liebe kommt meist bloß in Romanen vor. Darauf kann man nicht warten. Fred Ulrich ist mir nicht unsympathisch, das muß genügen. Über alles andere hilft dann sein Reichtum weg. Ich freue mich auf die eleganten Toiletten, die ich mir bald werde kaufen können, und auf den Schmuck, mit dem ich den Neid des ganzen Kreises herausfordern will.“

Eine andere Stimme erwiderte: „Vor allem muß er Arnsdorf halten, besonders für deinen jungen Bruder. Vater weiß oft nicht mehr ein und aus. Also sei klug, Inge. Und dann für später den Rat: Laß Ulrich nie merken, daß du ihn nicht liebst. Alles verzeiht ein Mann seiner Art eher als das. Einer wie er will Illusionen.“

Der große Foliant zitterte in den Händen Fred Ulrichs. Er schob ihn lässig sacht wieder in die Reihe, der er ihn entnommen, ging auf den Zehenspitzen in das blaue Zimmer zurück, nahm auf dem Stuhl von vorhin Platz und tat, als hätte er sich gar nicht von hier fortbewegt, seit Herr von Arnsdorf ihn verlassen.

Der Gutsherr trat jetzt ein. Er hatte ein vergnügtes Lächeln um den dicken, braungrauen Schnurrbart hängen. Der Verkauf der Wiese war geglückt, ein für übermorgen drohender Wechsel konnte bezahlt werden.

Lächelnd kam er näher, sagte ein wenig burschikos: „So, nun wollen wir von dem reden, was Sie heute hierhergeführt, Herr Ulrich, Sie sagten vorhin, es wäre eine wichtige Sache.“

Fred Ulrich war dunkelhaarig, viel größer als Herr von Arnsdorf und war schlank. Sein scharfgeschnittenes Gesicht sah beinahe ein wenig spöttisch aus, als er aufstand und sagte: „Ich bin gekommen, um Sie um die Hand eins der bekannt schönen Arnsdorfmädchen zu bitten. Ich habe noch nicht mit ihm über meinen Wunsch gesprochen, denn ich hielt es für richtiger, mir erst bei Ihnen die Gewißheit zu holen, daß ich auch Ihnen mit einer Bitte willkommen bin.“

Ferdinand von Arnsdorf, sehr zufrieden durch den Verkauf der Wiese, erst recht in froher Stimmung durch die Gewißheit, einen der reichsten Männer der ganzen Gegend bald Schwiegersohn nennen zu dürfen, klopfte ihm auf die Schulter.

„Sie sind ein bißchen verlegen, mein Verehrtester, ich verstehe! Liebe macht befangen, wenn man noch nicht ganz genau weiß, woran man ist. Aber beruhigen Sie sich, das Mädel ahnt schon, um was es heute geht, und ich kann Ihnen verraten, sie hat sich bereits in Wichs geworfen, damit sie Ihnen das Jawort würdig geben kann. Meine Frau und ich nehmen Sie natürlich mit weitgeöffneten Armen in unsere Familie auf. Und nun wollen wir das Verfahren abkürzen, ich rufe das Mädel.“

Er war schon zur Tür hinaus, und Fred Ulrich sah ihm nach; ein scharfer Zug prägte sich um seine Lippen ein. Seinen Züge schienen hart geworden.

Gleich darauf wurde die Tür geöffnet. Frau von Arnsdorf, in schwarzem Seidenkleid, das Gesicht leicht überpudert, das dunkle Blondhaar glänzend gebürstet, trat zuerst ein. Ihr folgte in strahlender Schönheit Inge; zuletzt kam der Gutsherr.

Doch ehe jemand der drei Eingetretenen auch nur ein Wörtchen zu sagen vermochte, lächelte Fred Ulrich: „Sie verrieten mir doch eben offenherzig, lieber Herr von Arnsdorf, das Mädel ahne schon, um was es heute geht, und hätte sich bereits in Wichs geworfen. Warum kommt es dann aber nicht mit? Ich erwarte es doch voll Unruhe. Es braucht sich ja gar nicht so schön zu machen für mich; mir gefällt das Fräulein auch im einfachsten Hauskleid.“

Inge erblaßte, und der rotgeschminkte Mund sah jetzt fast zu brennend aus in dem bleich gewordenen Gesicht. Frau Berna fühlte ihre Knie wanken, und der Hausherr stieß ein wenig plump hervor: „Von wem reden Sie denn eigentlich? Meine Tochter Inge steht doch vor Ihnen.“

Inge rief heftig erregt und krampfhaft lächelnd: „Ich verstehe dich nicht, Vater! Was hat denn Herrn Ulrichs Besuch mit mir zu tun?“

Ein seltsamer Blick aus den dunklen Männeraugen traf sie.

„Natürlich, gnädiges Fräulein, Sie errieten wohl längst den Grund meines Besuches. Ich kam, um Ihre verehrten Eltern um die Hand Fräulein Waltrauts zu bitten.“

Herr und Frau von Arnsdorf wechselten einen raschen und sehr verständnislosen Blick, Inge aber, der zumute war, als hätte der schlanke Mann ihr mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, behielt Haltung. Sie konnte sogar scheinbar vergnügt lachen, und unter Lachen brachte sie hervor: „Mein Vater hat anscheinend geglaubt, Sie und ich –“

Sie brach jäh ab, als könne sie vor Lachen nicht weiter, sagte schließlich atemlos: „Zu komisch ist das! Nicht wahr?“ Sie sah ihren Vater an. „Ich sagte dir doch erst gestern, Herr Ulrich müsse sich sehr für Waltraut interessieren, ich hätte das beobachtet.“ Sie schnippte mit den Fingern. „Ein Glück, daß Sie nicht meinetwegen kamen, denn dann hätten Sie sich einen ordentlichen Korb geholt.“

Komödiantin! dachte Fred Ulrich, aber er lächelte und wandte sich zu Frau von Arnsdorf: „Darf ich wohl hoffen, daß Fräulein Waltraut mir günstig gesinnt ist?“

Berna von Arnsdorf hatte sich schnell mit der neuen Hoffnung angefreundet. Sie nickte eifrig. „Ich glaube dessen sicher zu sein!“ Sie hatte überlegt, schließlich war es wohl ziemlich gleich, welches der beiden Mädchen die glänzende Partie machte. Da Inge ja Fred nicht liebte, würde sie über die Enttäuschung rasch wegkommen.

Sie beauftragte Inge: „Hole doch Waltraut und bereite sie vor!“

Inge ging sofort; aber Frau von Arnsdorf folgte ihr bald. Man konnte bei Waltraut nicht wissen, wie sie die überraschende Werbung aufnahm.

Die Herren unterhielten sich ein bißchen bedrückt. Es war jetzt etwas zwischen ihnen wie eine Mauer von Peinlichkeit.

3.

Im ganzen Haus suchten Inge und ihre Mutter Waltraut vergebens. Schließlich dachten sie an den Pavillon. Inge ging neben ihrer Mutter her wie ein Automat. Sie fühlte das Bewegen ihrer Glieder wie einzelne Rucke, und ihr Gesicht war kalkweiß von der Erregung, die in ihr zurückgeblieben infolge der Enttäuschung, die sie eben erlebt – eine Enttäuschung, die sie wie eine fressende Wunde spürte. Im Hause hatte sie über die Enttäuschung kein einziges Wort verloren – aus Furcht, sich zu sehr gehen zulassen, aber als sie neben der Mutter durch den Park schritt, dem Pavillon zu, brach es wie ein Wutschrei aus ihrer Brust: „Was bedeutet das nur, Mutter? Er hat bestimmt ganz deutlich merken lassen, er wäre in mich verliebt. In mich! Und ich hatte das ganz sichere Empfinden, er wollte schon auf der Gesellschaft bei Landrats etwas zu mir sagen. Ich konnte also nur annehmen, er käme heute meinetwegen. Warum handelte er nun so befremdend, so ganz unverständlich? Nie habe ich bemerkt, daß er Waltraut besonders beachtete. Er war stets freundlich und höflich zu ihr, mich aber zeichnete er aus. Seine Blicke suchten mich immer und immer wieder.“ Sie faßte die Mutter am Ärmel. „Bleibe doch einmal stehen, Mutter, ich kann ja kaum weiter vor grenzenloser Aufregung. Sprich doch endlich, wie denkst du über das Unglaubliche?“

Berna von Arnsdorf war stehengeblieben. Sie war genauso erstaunt, ja, verblüfft gewesen über die Werbung Fred Ulrichs um Waltraut, wie Inge selbst, aber sie hatte sich schon damit abgefunden. Und so, wie sie jetzt die Dinge ansah, wollte sie alles auch der Tochter klarmachen.

Sie lächelte. „Von meiner Verwunderung habe ich mich inzwischen erholt, und da es eigentlich gleichgültig ist, ob durch dich oder Waltraut unser Gut vor dem Zusammenbruch gerettet wird, bleibt doch im Grund alles, wie es gewesen. Es ist nur ein wahres Glück, daß du dich nicht in Fred Ulrich verliebt hast.“ Sie schmunzelte: „Wenn man so aussieht wie du, findet man noch Männer genug. Wollen uns damit trösten, daß Ulrich wenigstens um eine von euch beiden angehalten.“

Inge sah die Mutter mit flackernden Augen an.

„Ganz so einfach, wie du das auffaßt und auch mir klarmachen möchtest, sieht die Sache für mich doch nicht aus. Nein, bestimmt nicht. Fred Ulrich hat mich gekränkt, hat mich schwer beleidigt. Ich mußte glauben, er wollte mich zur Frau. Denke nur an die peinliche Szene, als er vor mir stand und Waltrauts Namen aussprach. Er mußte uns allen ansehen, was wir erwarteten, und das hat er auch getan. Ich habe sogar das ganz bestimmte Gefühl, es machte ihm Freude, mich ordentlich zu demütigen.“ Sie riß am rechten Ärmel der Mutter herum. „Aber ich komme nicht dahinter, warum das alles. Er wollte mich demütigen und hat es getan, aber der Anlaß dazu ist rätselhaft.“

Frau von Arnsdorf zuckte die Achseln.

„Zerbrich dir nicht den Kopf. Wir irrten uns wohl alle, Vater, ich, du und Waltraut, als wir an Ulrichs Liebe zu dir glaubten.“ Sie stutzte, wiederholte den Namen: „Waltraut“ wie fragend und sagte dann: „Waltraut benahm sich sonderbar, als uns Herr Ulrich gemeldet wurde. Erinnere dich doch. Sie mahnte dich, du dürfest nicht ohne Liebe Fred Ulrichs Frau werden.“

Inge schüttelte den Kopf.

„Wenn sie eine Ahnung davon gehabt, Ulrich wäre ihretwegen gekommen, hätte sie das doch gar nicht geäußert. Ich behaupte, sie hatte gar keine Chancen bei ihm, sondern etwas Unbegreifliches, spukhaft Unbegreifliches hat sich im letzten Augenblick eingemischt – oder Waltraut müßte nur alles so hingeredet und ahnungslos getan haben, damit ich bis zum letzten Augenblick nicht merken sollte, daß sie mir den reichen Freier vor der Nase weggeschnappt hat. Aber zu solcher Handlungsweise ist Waltraut nicht gerissen genug.“ Ihre Augen standen voll Tränen vor Zorn und Enttäuschung.

Ihre Mutter drängte: „Laß zunächst alles gut sein, bitte, wir müssen Waltraut suchen, das ist doch jetzt das Wichtigste.“

Ihr lag vor allem daran, den reichen Freier festzuhalten, ganz gleich, ob für die Tochter oder für die Nichte. Sie war überzeugt, Waltraut liebte ihn so wenig wie Inge, aber sie wußte auch, die Liebe würde sich schon in der Ehe einfinden. Sie war von ihren Eltern überhaupt nicht gefragt worden, ob sie Ferdinand von Arnsdorf, den derben, grobschaligen Junker hatte heiraten wollen, und ihre Ehe war zwar nicht rührend glücklich, aber auch nicht unglücklicher geworden als viele Liebesheiraten.

Die Tür im Pavillon war zu, aber der Schlüssel steckte. Also war von innen zugeriegelt. Inge schlug mit der Faust eine Art Wirbel gegen die Tür.

Nach einem Weilchen öffnete Waltraut. Sie hatte Herzklopfen, dachte, jetzt kam man sie holen, damit sie Glück wünschen sollte.

Sie wich zurück, sie fand Inges Gesicht seltsam verzogen, es sah gar nicht aus wie das einer frohen Braut.

Inge stieß die Tür vollends auf, ging an ihr vorbei in das offene Zimmer. Waltraut folgte, zuletzt kam die Mutter.

Frau von Arnsdorf begann: „Waltraut, es ist etwas sehr Sonderbares geschehen. Fred Ulrich hat beim Vater nicht, wie wir erwartet, um Inges Hand gebeten, sondern er will dich zur Frau.“

Waltraut war ein paar Schritte zurückgeprallt vor dieser Neuigkeit. Ihr war, als stocke ihr Atem, als höre ihr Herz in der Brust auf zu schlagen. Und ihr Gesichtsausdruck war unbeschreiblich. Befremden und Freude kämpften darauf. Schreck lag über den feinen Zügen; aber um den schön gezeichneten Mund erblühte langsam ein Lächeln. In den großen Augen war unirdischer Glanz, als sie schwerfällig und mühsam fragte: „Ist das kein Scherz? Ist das wahr? Ich soll Fred Ulrichs Frau werden? Ich?“

Inge lachte rauh auf. „Jawohl du, die du immer so scheu und verhalten tust, so mimosenhaft in dich zusammenkriechst und doch meisterhaft verstanden hast, den Mann, mit dem ich gerechnet, an dich zu locken!“

Waltrauts glückliches Lächeln erregte sie aufs neue, schien ihr ein Beweis dafür, daß die Kusine es in schlauer Weise verstanden, Fred Ulrich zu sich herüberzuziehen.

Waltraut richtete sich auf und antwortete stolz: „Ich verstehe nicht, wie Herr Ulrich auf mich verfallen ist. Ich habe bisher geglaubt, er liebe dich.“

Frau von Arnsdorf hob wie beschwörend die Rechte gegen Inge, die sprechen wollte.

„Ruhig, Inge! Zänkereien sind jetzt sinnlos. Du hast selbst erklärt, du liebst Fred Ulrich nicht, also mache Waltraut keine Szenen.“ Sie zog die Nichte an sich. „Mädelchen, nun kommt das ganz große Glück zu dir statt zu Inge. Ich freue mich mit dir, du warst ja immer ein gutes Ding und hast ein großes Glück verdient.“

Waltraut fühlte ein Zittern, das ihren ganzen Körper durchrieselte.

„Glaubst du bestimmt, Tante, daß er mich liebt?“

„Selbstverständlich glaube ich das, Trautchen. Er hätte doch sonst keinen Grund zu dem Antrag.“

Waltraut sah die Kusine an.

„Und du liebst ihn wahr und wahrhaftig nicht?“

Inge stampfte mit dem Fuß auf.

„Ich bin wütend, weil er vorher so getan, als interessiere er sich für mich, aber ich liebe ihn nicht. Nicht soviel!“

Sie tat, als schnippste sie mit dem Finger ein Staubkörnchen von ihrem Kleid.

Da lachte Waltraut laut auf wie in elementarer, jäher Freude.

„O Gott, dann ist ja alles gut, alles! Dann irrten wir uns, und er kam heute meinetwegen. Er liebt mich! Versteht ihr denn beide, was das für mich bedeutet: Er liebt mich?“ Ihr Gesicht hatte sich sanft gerötet, die Augen leuchteten unirdisch. „Ich liebe ihn ja auch“, bekannte sie.

Inges Gesicht drückte Empörung aus.

„Also weiß er Bescheid, und ihr ließt mich absichtlich in dem Glauben, er liebe mich. Na, auch gut, werdet glücklich! Es gibt noch mehr Männer auf der Welt als Fred Ulrich.“

Waltraut verteidigte sich: „Ich ahnte nichts, gar nichts, und ich fasse mein Glück überhaupt noch nicht.“

Frau von Arnsdorf zog Waltraut mit sich.

„Komm, Kind, er wartet. Aber erst mußt du dich etwas zurechtmachen, dein Haar ist zu wirr und – ja, wirklich, du siehst aus, als ob du geweint hättest.“

Inge betrachtete die Kusine, mit der sie schwesterlich aufgewachsen, scharf forschend. Tatsächlich, Waltraut hatte geweint. Sonderbar! Das sprach wieder nicht dafür, daß sie gewußt haben konnte, Fred Ulrich wollte sie heiraten.

Sie schüttelte den Kopf. Sie wurde aus der Geschichte nicht klug. Es mußte hinter allem noch etwas stecken, was sie nicht wußte, etwas, was der Schlüssel für Fred Ulrichs eigenartiges Handeln war.

Aber sie behielt das für sich, drängte nur: „Schnell, schnell! Vater wird ungemütlich, wenn du nicht bald kommst.“

Wie Waltraut in ihr Zimmer gelangt, wußte sie selbst nicht. Sie wusch sich, bürstete ihr Haar, und die Tante warf ihr das blaue Tuchkleid über, das ihr am besten stand. Sie blickte auch in den Spiegel wie Inge vorhin, nachdem sie das braune Samtkleid angezogen, aber ihr Gesicht verriet keine Zufriedenheit und Freude über die junge Schönheit, die ihr aus dem Glas entgegenschaute; ganz bescheiden und demütig stand sie vor dem schimmernden Glas.

Inge war in ihr eigenes Zimmer gegangen. In ihr brannte noch glührot Zorn ob der Demütigung, die ihr zuteil geworden.

Die beiden Herren saßen im blauen Zimmer und warteten. Sie sprachen von Wirtschaftsdingen und von Politik, aber sie berührten, wie auf Verabredung, die Angelegenheit nicht mehr, an die doch beide dachten, wenn auch jeder auf ganz andere Weise.

Endlich erschien Frau von Arnsdorf, und ihr folgte Waltraut. Ein befangener Blick flog dem heimlich geliebten Manne entgegen. Ein fragender Blick. Ein Lächeln erblühte dabei um den Jungmädchenmund.

Hochaufgerichtet stand Fred Ulrich vor ihr.

„Mein gnädiges Fräulein, ich bat Ihre Eltern um Ihre Hand und füge dem hinzu, Sie würden mich durch Ihr Jawort sehr glücklich machen.“

Waltraut war, als müsse sie dem Manne laut entgegenjubeln: „Ich liebe dich, tausendmal sage ich ja!“ Aber sein ernstes Gesicht irritierte sie. Sie wagte nicht einmal ein lautes Ja, sondern ganz dünn und leise klang das Wörtchen, mit dem sie sich Fred Ulrich angelobte.

Er nahm ihre Rechte und küßte sie.

Ferdinand von Arnsdorf lachte dröhnend.

„Aber, lieber Ulrich, was für‘n Hofzeremoniell wollen Sie denn bei uns einführen! Handkuß und so, das gibt‘s doch nicht für Liebesleute.“

Seine wuchtige Gestalt schob sich ein paar Schritte vor, und die Arme ausbreitend, drängte er die beiden so eng zusammen, daß Fred Ulrich nicht anders konnte, als Waltraut küssen.

Er dachte, warum sollte er es denn auch nicht tun? Schließlich würde er Waltraut ja doch bald heiraten. Er bekam in ihr eine junge und schöne Frau. Daß er eigentlich Inge liebte, darüber mußte er wegkommen. Diese hier, die wohl ebenso schöne Verwandte Inges, liebte ihn natürlich ebenfalls nicht. Auch sie lockte nur sein Geld, wie es die andere gelockt. Aber das schadete nichts. Inge hatte wenigstens ihre Lektion erhalten, weil sie in ihm nur den Familienretter und reichen Mann gesehen.

Obwohl er überzeugt war, Waltraut sah ihn mit denselben Augen, kränkte ihn das doch nicht so sehr, weil er Waltraut nicht liebte. Nur die Menschen, die man liebt, können einem so weh tun, wie Inge ihm heute weh getan. Ihre Blicke hatten von einer Liebe gesprochen, von der das Herz nichts gewußt.

Sie hatte ein häßliches Spiel mit ihm getrieben.

Waltraut taumelte, als sie sich nach dem Kusse von Fred Ulrich löste, und dann saß man bei einem Gläschen Wein beisammen.

Sehr bald empfahl sich Fred Ulrich. In vierzehn Tagen sollte die offizielle Verlobung sein. Und ehe er ging, küßte er Waltraut wieder.

Kaum war er gegangen, floh Waltraut wie gescheucht durch den Park in den Pavillon. Dort, vom Fenster aus, konnte sie Fred Ulrichs Auto nachblicken – weit, weit. Und sie tat es. Dabei fühlte sie, wie sich lindes Naß durch ihre Wimpern drängte. Aber jetzt waren es Glückstränen, die sie weinte, Tränen, die nicht schmerzten, die nur wohltaten, Tränen vollkommenster Seligkeit.

Waltraut dachte nicht mehr darüber nach, weshalb Fred Ulrich niemals hatte merken lassen, daß er sie liebte. Er liebte sie, das genügte ihr, sonst hätte er nicht um sie angehalten.

Inge war erst, kurz bevor Fred Ulrich gegangen, ins Zimmer gekommen und hatte gratuliert, mit anscheinend freudig geröteten Wangen. Sie, die selten Rot auflegte, hatte es heute getan, denn sie hatte im Spiegel festgestellt, sie sah totenbleich aus. Ihren Groll drängte sie mit aller Kraft zurück, aber ihre Gedanken flogen umher und suchten: Warum hatte Fred Ulrich um Waltrauts Hand gebeten? Denn immer sicherer wurde sie in der Annahme, gekommen war er doch ihretwegen, nur ihretwegen!

Dunkel und schwer wie eine graudüstere Wolke schien ihr das Rätsel, eine Wolke, die häßlich am blauen Himmel dieses strahlend schönen Frühlingshimmels hing. Äußerlich fand sich Inge sofort mit dem Geschehenen ab, aber innerlich nicht. Da grübelte sie und grübelte sie.

4.

Am nächsten Vormittag befand sich Ferdinand von Arnsdorf in der Bibliothek, um ein bestimmtes Buch zu suchen. Auch Inge war da. Sie stäubte Kleinkram ab, der hier in einer Vitrine aufgehoben wurde – Ordensbänder von Vorfahren, Meißner Figürchen, Tassen aus Sevresporzellan und sonst noch allerlei.

Ihr Vater schalt ärgerlich: „Wer war denn wieder am großen Bücherschrank? Die Bücher sollen doch immer alle ordentlich in Reih‘ und Glied stehen wie die Soldaten, und nun ist gerade der wertvolle Foliant aus Schweinsleder ganz schief reingedrückt. Wer ist zuletzt an diesem Bücherschrank gewesen? Gestern früh war ich gerade noch an dem Schrank, aber da standen die Bücher alle wie die Grenadiere.“

Inge zuckte die Achseln: „Ich war schon seit Wochen nicht mehr bei den Büchern, und soviel ich weiß, Waltraut auch nicht. Mutter liest nur Familienblätter; also wirst du wohl selbst der Sünder gewesen sein, Vater.“

Ferdinand von Arnsdorf erklärte: „So gehe ich nicht mit den Büchern um. Ich lese nicht gerade besonders viel darin, doch ich achte darauf, daß sie gerade dastehen. Aber da fällt mir ein, vielleicht war Ulrich gestern vormittag in der Bibliothek. Ich wurde für ein paar Minuten hinausgerufen und öffnete ihm die Tür zur Bibliothek, damit er sich, wenn er Lust hätte, die Zeit mit den Büchern vertreiben sollte. Als ich zurückkam, saß er zwar wieder im blauen Zimmer, doch das schließt nicht aus, daß er ein Weilchen in der Bibliothek gewesen ist. Natürlich, so wird es sein! Na, da ist‘s ja gut. Hauptsache, daß keiner von euch das Buch so liederlich ‘reingestopft hat.“

Er steckte sich eine Zigarre an und achtete nicht auf Inge. Die stand da wie erstarrt. Sie sah plötzlich Zusammenhänge zwischen dem liederlich in seine Reihe geschobenen Buch und der seltsamen Werbung Fred Ulrichs um Waltraut. Sie erinnerte sich mit übergroßer Deutlichkeit daran, was sie in dem neben der Bibliothek gelegenen Wohnzimmer der Mutter gestern vormittag über Fred Ulrich geäußert. Natürlich! Fred Ulrich hatte sich in der Bibliothek befunden und Wort für Wort gehört. Das aber hatte ihn in letzter Minute bestimmt, statt um sie, um Waltraut zu werben.

Sie fühlte Eiseskälte über ihren Körper gleiten und sann, war da denn nichts mehr gutzumachen? Nein, es war nichts mehr gutzumachen, darüber war sie sich sofort klar. Er hatte sie geliebt, ihre Worte aber hatten ihn verletzt, und um ihr den Trumpf des Reichtums aus der Hand zu nehmen und sie zu demütigen, hatte er getan, als wäre er Waltrauts wegen gekommen.

Und Waltraut liebte ihn – –

Mechanisch beschäftigte Inge sich wieder mit den Nippsachen. Nun hatte ihr ein Zufall enthüllt, wie es gekommen, daß nicht sie, sondern Waltraut die Braut Fred Ulrichs geworden. Sie rief sich die Worte, die sie im Wohnzimmer zur Mutter gesprochen, klar ins Gedächtnis zurück und darunter die: Fred Ulrich ist mir nicht unsympathisch, und über alles andere hilft mir dann sein Reichtum weg! Sie wußte auch noch genau, daß die Mutter gesagt: Und dann für später den Rat: Laß Ulrich nie merken, daß du ihn nicht liebst. Alles verzeiht ein Mann seiner Art eher als das. Einer wie er will Illusionen!

Ja, jetzt wußte sie genau, warum Fred Ulrich gestern vormittag nicht um sie geworben hatte.