Freddy Quinn - Elmar Kraushaar - E-Book

Freddy Quinn E-Book

Elmar Kraushaar

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Beschreibung

"Elmar Kraushaar gelingt es, dem Faszinosum Freddy näher zu kommen und ein in der Tat 'unwahrscheinliches Leben' auszuleuchten. Ein Buch, das auf fesselnde Weise eine Erfolgsgeschichte beschreibt - und deren Verhängnisse." Rainer Moritz Freddy - kein Solokünstler hatte mehr Nummer-Eins-Hits in Deutschland. Junge, komm bald wieder, Die Gitarre und das Meer und Heimweh waren die größten seiner vielen Hits; er spielte in zahlreichen Filmen, trat als Moderator, Musicalsänger, Theaterschauspieler und Zirkusartist auf und inszenierte sich immer wieder als einsamer Seefahrer, einen Seesack über der Schulter, den Blick auf den Horizont gerichtet. Schließlich wurde ihm sogar das Bundesverdienstkreuz verliehen - für die Verbreitung von deutschem Liedgut in aller Welt. Doch wer sich wie Elmar Kraushaar daranmacht, über das Leben dieses Mannes zu schreiben, stößt schnell auf Widersprüche und Ungereimtes. Schon auf die Frage, wann und wo Freddy geboren wurde, gibt es mehrere mögliche Antworten. Kraushaar hat sich auf Spurensuche begeben - und ist auf ein Phänomen gestoßen, "das von vielen Geschichten umstellt ist, Potemkinschen Dörfern gleich, deren Fassaden zusammenbrechen, kaum stößt man daran, um Platz zu machen für neue Geschichten und kleine und große Geheimnisse."

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»Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.«

Max Frisch,

Erste Begegnung

Es ist laut geworden zum Schluss. »Ich will nicht, dass Sie über mich schreiben!«, schreit Freddy Quinn ins Telefon. »Ich werde dagegen vorgehen! Und ich werde nicht mit Ihnen kooperieren! Sie wollen doch nur wieder Lügen über mich verbreiten wie all die anderen Journalisten auch! Und außerdem«, jetzt wird er noch lauter, »Ihnen geht es doch nur um das große Geld mit meinem Namen!« Jetzt reicht es mir aber. Was bildet sich dieser Mann ein? Glaubt er wirklich, dass sein Name immer noch eine Garantie ist für die schnelle Mark? Ich reiße mich zusammen, verabschiede mich wortkarg und lege auf.

Das war also mein vorläufig letztes Telefongespräch mit Freddy Quinn im April 2005. Ein unerfreuliches Gespräch. Mit dem Anwalt hat er mir gedroht, falls ich über ihn schreibe, über die Paparazzi geklagt, die angeblich Tag und Nacht sein Haus belagern, über Deutschland geschimpft, in dem nur Neider und Denunzianten leben. Nein, Freddy Quinn mag die Journalisten nicht, mag keine Leute, die zu viele Fragen stellen, meidet die Öffentlichkeit, wenn es um seine Person und seine Geschichte geht. »Kein Wort über die drei Bs«, lautet sein Standardspruch: »Nichts über das Bett, die Bank und das Beten!« »Könnte es sein, dass du hinter einem Paravent lebst?«, hat ihn Joachim Fuchsberger mal in einer Talkshow gefragt und damit zum Ausdruck gebracht, wie wenig die Öffentlichkeit eigentlich weiß von Freddy Quinn. Obwohl laut einer Umfrage rund achtundneunzig Prozent aller Deutschen seinen Namen kennen. Was für eine Diskrepanz!

Dabei hatte es so interessant angefangen. Nachdem ich im Laufe meiner Berufsjahre schon einige Male über Freddy Quinn geschrieben hatte, sollte ich ihn im Dezember 1994 kennenlernen. Ich war mit der Bitte um ein Interview an ihn herangetreten, im Auftrag von Bear Family Records, die die Wiederveröffentlichung seiner Lieder auf CD planten und der Box ein Porträt des Sängers beilegen wollten. Nach einigem Hin und Her war ein Termin zustande gekommen, wir trafen uns in einem Restaurant am Stadtrand von Hamburg, unweit – wie ich später erfuhr – von dem Haus, in dem er lebt. Zunächst aßen wir gemeinsam, mit dabei waren seine – so wurde sie mir vorgestellt – Managerin Lilli Blessmann sowie die Haushälterin. Kaum war das Essen serviert, zeigte mir Freddy Quinn zum ersten Mal die Rote Karte. Mit einem Nicken in die Runde hatte ich allen einen »Guten Appetit!« gewünscht und wollte mit der Suppe beginnen. »Was fällt Ihnen eigentlich ein?«, fuhr er mich an: »Wir sind hier Gäste von Frau Blessmann, und nur sie kann uns einen ›Guten Appetit‹ wünschen. Was haben Sie nur für ein Benehmen!« Das kann ja heiter werden, dachte ich bei mir und blieb fortan auf der Hut.

Nach dem Essen, Lilli Blessmann und die Haushälterin hatten sich verabschiedet, zogen Freddy Quinn und ich uns zurück in ein Nebenzimmer des Restaurants. Ich hatte noch nicht Platz genommen, da öffnete Quinn mit großer Geste einen Aktenkoffer, den er die ganze Zeit über bei sich getragen hatte. Der legendäre Koffer! Oft hatte ich schon von ihm gehört, über ihn gelesen. »Mein Fluchtgepäck!«, wie er gerne sagt. »Da habe ich alles drinnen. Ich kann jederzeit verschwinden.« Der Sänger hatte ihn immer dabei, wenn er zu den Journalisten ging, vollgestopft mit amtlichen Papieren und wichtigen Briefen, die beweisen sollten, dass er ist, wer er ist. »Hier ... und ... hier ... und ... hier!«, sagte er jetzt laut zu mir und holte ein Blatt nach dem anderen aus dem Koffer, lauter Kopien offizieller Dokumente, wie ich bei genauerem Hinsehen feststellte, der »Staatsbürgerschaftsnachweis« der Republik Österreich, sein Reisepass, sein Waffenschein. Alle ausgestellt auf den Namen Manfred Freddy Quinn. Geboren in Wien. Am 27. September 1931. »Damit Sie mir glauben, dass ich Quinn heiße, Quinn und nichts anderes, nicht Nidl und nicht Petz oder was sonst noch für Namen kursieren.« Und dann begannen wir mit unserer Arbeit. Er erzählte mir sein Leben, routiniert und mit den richtigen Pausen an den richtigen Stellen. Ein Profi eben, der so oft schon sein Leben erzählt hat, oder das, was er dafür hält.

Manchmal unterbrach er abrupt seinen Redefluss, sah mich mit großen Augen an und polterte los: »Was stellen Sie mir eigentlich für Fragen? Warum erzähle ich Ihnen das alles? Verschwinden Sie!« Erschrocken stand ich auf, packte ganz schnell Notizblock und Aufnahmegerät ein und verließ den Raum. Ich hatte noch nicht das Lokal verlassen, da stand Quinn schon hinter mir und bat mich wieder herein. Ich setzte mich, packte meine Sachen wieder aus, und er erzählte weiter, so als sei nichts gewesen. Das wiederholte sich noch zweimal im Laufe dieses Nachmittags, jetzt blieb ich aber gleich sitzen und wartete ab, bis sich sein Ton wieder normalisiert hatte. »Alles in allem ein nettes Gespräch«, sagte ich zum Schluss, Heucheln gehört zum Handwerk. »Finde ich auch«, sagte er, und: »Heben Sie Ihre Notizen und die Bänder gut auf, vielleicht können wir mal ein Buch daraus machen.« Um Gottes willen, dachte ich bei mir, nur das nicht – und habe doch alle Kassetten und Aufzeichnungen aufgehoben.

Für die Arbeit an diesem Buch habe ich seitdem immer wieder meine Notizen durchgeblättert und die Bänder abgehört, wieder und wieder, dazu unzählige Porträts, Interviews, Berichte und Nachrichten mit und über Freddy Quinn aus Archiven zusammengesucht und gelesen, abgehört, angeschaut. Einmal, zweimal und noch mal und noch mal. Die Geschichte hatte mich gepackt. So viele Widersprüche waren in den verschiedenen Darstellungen aufgetaucht, so viele Zeitläufte, die nicht zueinander passten, so viele Namen und Daten, die immer wieder neu gemischt und neu verteilt wurden. Wie war das nur möglich? Da gehört einer zu den Topstars in diesem Land seit Jahrzehnten, bekannt wie kaum ein Zweiter, mit Liedern, die längst Kulturgut geworden sind und ins kollektive Gedächtnis dieser Nation gehören, niemand hat so viele Tonträger verkauft wie er, auf der Liste der Künstler mit den meisten Nummer-eins-Hits in Deutschland liegt er immer noch auf Platz zwei, knapp hinter den Beatles und noch vor ABBA, und seine alten Filme werden ständig im Fernsehen wiederholt. Im Sommer 2010 wählten die Zuschauer des NDR ihn auf Platz zwei der »bedeutendsten Norddeutschen«, knapp hinter Altkanzler Helmut Schmidt, im Jahr 2003 wurde seine »La Paloma«-Interpretation in einer ARD-Abstimmung zum »Jahrhundert-Hit« der Deutschen gekürt, und im oberfränkischen Coburg ist bereits zu seinen Lebzeiten ein Platz nach Freddy Quinn benannt worden. Selbst nachkommende Generationen entdecken ihn immer wieder neu, als Kultfigur, als Zeitzeugen, als Idol der Eltern und Großeltern. Stefan Remmler, einer der Protagonisten der sogenannten Neuen Deutschen Welle, hat ein ganzes Album nur mit Quinn-Liedern aufgenommen: Projekt F – Auf der Suche nach dem Schatz der verlorenen Gefühle; Quinns »Heimweh«, gecovert von Element of Crime, gehört zum Soundtrack des Kultfilms Die fetten Jahre sind vorbei; und Götz Alsmann begrüßt in seiner TV-Show Zimmer frei Freddy Quinn enthusiastisch mit »Mein Held!«.

Trotzdem ist der Superstar ein Fremder geblieben, umflort von der Legende des Einsamen, Weitgereisten, Heimatlosen. Ganz so, wie es seinem Image entspricht, dem Bild des Seemanns, der jederzeit bereit ist, seinen Seesack zu schultern und wieder auf große Fahrt zu gehen, des Naturburschen, der sich um keine Konventionen schert und noch nie eine Krawatte um den Hals trug. Aber wer ist Freddy Quinn eigentlich? Woher kommt er? Wohin gehört er? Wo ist er geboren? Wer sind seine Eltern? Wie ist er aufgewachsen? Wer hat ihm nur die vielen Fremdsprachen beigebracht und wer das Gitarrenspiel? Gibt es eine Frau in seinem Leben? Oder einen Mann? Fragen über Fragen, so viele haben sich über die Jahre daran versucht, auch Freddy Quinn hat sie immer wieder brav beantwortet. Aber Zweifel bleiben, weil die eine Antwort nicht zur anderen passt, weil die Antworten so stereotyp daherkommen, als gäbe es kein Leben in ihnen, weil ständig neue Antworten auftauchen. Erinnerungen klaffen auseinander, so als steckten Mogeleien dahinter und Lügen, aufgebauschte Details oder große Dramen, die gekonnt heruntergespielt werden. »Die Lügen und die Halbwahrheiten kommen von den Journalisten und den Produzenten«, behauptet Freddy Quinn gerne in Interviews, so als sei er das Opfer von Verleumdungen – und damit ist für ihn der Fall erledigt.

Nein, eine Biografie schaut anders aus. Darin kann man nachlesen, wer wann wo geboren ist, wie die Vorfahren heißen und vielleicht sogar, wer die erste Liebe war. Nicht einmal diese Standards lassen sich so einfach beantworten für Freddy Quinn. Deshalb folgt hier keine Biografie, keine im klassischen Sinne, eine Spurensuche eher oder die Beschreibung der vielfältigen Versuche, sich einem Leben zu nähern und einem Phänomen, das von vielen Geschichten umstellt ist, Potemkinschen Dörfern gleich, deren Fassaden zusammenbrechen, kaum stößt man daran, um Platz zu machen für neue Geschichten und kleine und große Geheimnisse.

Vom Dorf in die Stadt

1. Die Sonne schafft es kaum durch die Wolken, aber es ist warm in Niederösterreich. Ein Freitag im August, die Straßen sind fast leer in Niederfladnitz, einer kleinen Ortschaft hoch oben im Norden der Republik. Die Grenze zu Tschechien ist ganz nah, und der Wein soll besonders gut sein in der Region. Die Stadt Retz, eines der Zentren des sogenannten Weinviertels, ist nur ein paar Kilometer entfernt, und an den Sommerwochenenden startet von dort der »Reblaus-Express« – mit Halt in Niederfladnitz.

Mit einer Fotografie in der Hand suche ich die Dorfstraße ab, auf dem Bild das Haus, in dem Freddy Quinn geboren worden sein soll. Vor mehr als zwanzig Jahren hatte der Wiener Fanklub des Sängers eine Busreise nach Niederfladnitz unternommen und dabei diese Aufnahme gemacht. In sicherer Entfernung waren die Anhänger damals geblieben, hatten sich nicht getraut, an der Haustür zu klingeln, denn Quinns Halbschwester lebte in dem Haus, so gingen die Gerüchte, und die sollte nicht gestört werden.

Niemand begegnet mir, den ich jetzt fragen könnte, ein Lkw biegt um die Ecke mit Waren für den kleinen Lebensmittelladen in der Mitte der Ortschaft. Ich suche weiter in den Nebenstraßen, die ungepflastert sind und nicht geteert, und stehe mit einem Mal vor dem Haus. Tannen schützen das Gebäude vor allzu neugierigen Blicken, der Bau ist schmucklos und flach, mit heruntergezogenem Dach, wie so viele in der Region. Die Fenster sind gesichert mit gusseisernen Gittern, das fällt ebenso auf wie ein turmartiger Anbau über zwei Stockwerke. Nein, hier möchte niemand gestört werden, das ganze Anwesen demonstriert Abwehrhaltung, im Kontrast zu den Häusern in der Nachbarschaft. Ein Videospion ist neben der Türklingel angebracht, und natürlich macht mir keiner auf.

Ich gehe zurück an die große Kreuzung in der Ortsmitte, hier muss es doch ein Gemeindeamt geben oder einen Bürgermeister, irgendeine offizielle Stelle, die mir bestätigen kann, dass Freddy Quinn einst hier auf die Welt kam, hier gelebt hat oder aufgewachsen ist. Die Verkäuferin trägt einen weißen Kittel und räumt gerade das Kühlregal in dem Lebensmittelgeschäft ein, sie ist freundlich und hilfsbereit: »Ja, der Bürgermeister, der könnte Ihnen vielleicht weiterhelfen. Wenn Sie sich beeilen, dann erwischen Sie ihn noch. Er hat in Pleissing seine Sprechstunde bis 12 Uhr.« Ich bin noch rechtzeitig im Nachbardorf, aber der Bürgermeister ist unterwegs. Ein Angestellter erreicht ihn auf dem Handy, und der Bürgermeister rät mir, mich an den alten Rockenbauer zu wenden, der kenne sich aus, der wisse Bescheid.

Zurück in Niederfladnitz mache ich mich erneut auf die Suche. Als ich klingele, öffnet mir Otto Rockenbauer sofort, so als habe er hinter dem hohen Hoftor auf Besuch gewartet. »Da war schon mal einer da, vor zehn Jahren, der wollte auch was über den Fredy wissen«, sagt er und bittet mich auf die gemütliche Bank im Innenhof. »Fredy« nennt er ihn, nicht Freddy, und erzählt weiter: »Ja natürlich weiß ich, dass der Fredy hier geboren wurde, hundertprozentig!« Rockenbauer schaut mich von der Seite an, ein bisschen misstrauisch, so als müsse er auf der Hut sein. »Wissen Sie, ich bin Jahrgang 1928, nur drei Jahre älter als der Fredy. Als kleine Buben haben wir zusammen auf der Straße gespielt. Der wurde hier geboren, ganz sicher.« Und dann erzählt er mir noch ein bisschen aus der Familiengeschichte des Fredy, so wie man sie sich hier im Dorf erzählt: dass seine Großmutter – »sie war eine Baronin, wissen Sie!« – einen Herrn aus Niederfladnitz kennengelernt habe und wegen ihm aus Wien gekommen sei, dass ihre Tochter – »die Mutter vom Fredy« – auch öfter hier gewesen sei, aber nach der Geburt wieder zurück sei in die Stadt, der Fredy aber die Ferien immer bei der Großmutter verbracht habe, und dass schließlich die Frau Baronin das Haus an ihre Enkelin, die Halbschwester vom Fredy, vererbt habe: »Sie wohnt heute noch hier, mit ihrem Mann. Aber sonst wissen wir nicht viel, denn eigentlich, eigentlich, sind die ja nicht von hier.«

Es scheint, als sei die Familie des Freddy Quinn nicht sehr beliebt in Niederfladnitz, ich frage hier noch nach und dort, und es gibt nicht viel zu erzählen: »Sie kaufen ja nicht einmal ein hier im Ort!«, sagt eine, und man sehe sie nur selten, sagt ein anderer. »Es ist schon mehr als zehn Jahre her«, erzählt die Wirtin vom Gasthof Angerer, »da sollte der Freddy mal hier singen. Aber das hat er natürlich nie gemacht.« Er käme schon hin und wieder ins Dorf, um die Schwester zu besuchen: »Aber davon erfährt man erst, wenn er schon wieder weg ist.« Es ist ruhig in Niederfladnitz, ein bisschen verschlafen fast, zwei Radtouristen kommen vorbei, mit Isomatte und Rucksack hintendrauf. »Wissen Sie«, fügt die Wirtin hinzu, »ich glaub, der schämt sich für seinen Geburtsort, Niederfladnitz kennt ja auch keiner.« Im Tanzsaal des Gasthofs ist ein Flohmarkt aufgebaut, ohne eine Schallplatte von Freddy Quinn weit und breit. Und bald ist Kürbisernte hier, das wird gefeiert.

2. Pula ist weit. Auch hier soll Freddy Quinn geboren worden sein, so steht es jedenfalls in den Presseberichten der ersten Jahre seiner Karriere. Die größte Stadt auf der Adria-Halbinsel Istrien gehörte einst zu Österreich und wurde ab 1867 Hauptstützpunkt der k.u.k. Kriegsmarine. 1918 kamen die Italiener nach Istrien, im Londoner Vertrag von 1915 war die Region Rom versprochen worden, um es zum Kriegseintritt an der Seite der Alliierten zu bewegen. Italiener wurden angesiedelt, die kroatische Sprache im öffentlichen Leben verboten, Italienisch offizielle Landessprache. Heute gehört Pula wieder zu Kroatien, und die früheren Besatzer bilden nur noch eine kleine Minderheit.

In den Artikeln über Freddys Geburtsort Pula wird immer wieder ein Bild gezeigt mit dem angeblichen Geburtshaus darauf, eine kleine, windschiefe Kate mit einem Zaun davor und einem Huhn. Und wenn man ganz genau hinschaut, erkennt man ein kleines Kind vor dem Toreingang des Hauses, es könnte ein Junge sein, aber genauso gut auch ein Mädchen, mit weißen Strümpfen bis zu den Knien. Der Vater sei Italiener gewesen, ein italienischer Kaufmann, heißt es weiter in den Berichten, und die Mutter kam aus Wien.

3. Von Pula ist nicht mehr die Rede, als 1960 Freddy Quinns erste »Autobiografie« erscheint – Lieder, die das Leben schrieb. Das reich bebilderte Fan-Buch, aufgeschrieben von Quinns damaligem Komponisten und Produzenten, Lotar Olias, bildet die Grundlage für alle weiteren Medienberichte über ihn. Wo er nun tatsächlich geboren wurde, steht nicht in diesem Buch, aber später einigen sich alle Journalisten und der Sänger selbst auf Wien: Geboren am 27. September 1931 in der Laudongasse 10 im achten Wiener Gemeindebezirk, der Josefstadt. Der Bezirk heißt so seit 1700, als Wien das gerade erworbene Gelände zu Ehren des damaligen Kronprinzen und späteren Kaisers Joseph I. umbenannte. Der Adel siedelte sich anschließend hier an, das Viertel wurde Gartenstadt und Sommeraufenthalt in einem.

Heute ist der achte Bezirk ein typisches Wohnviertel mit vielen Bürgerhäusern, die noch vor 1919 erbaut wurden. So eines ist auch das Haus Nummer 10 in der Laudongasse. Rosa Philomena Nidl, geborene Schich, lebte hier, die Großmutter von Freddy Quinn. Ihre Tochter, Edith Henriette Aloysia, geboren am 14. Mai 1910, war schwanger geworden während eines Aufenthalts in Hamburg. Sie war in die Hansestadt gekommen, um sich bei einer Tageszeitung, dem Hamburger Fremdenblatt, zur Journalistin ausbilden zu lassen. Gerade mal einundzwanzig Jahre alt und unverheiratet, kam sie im Sommer 1931 hochschwanger zurück nach Wien und suchte Schutz und Hilfe bei ihrer Mutter. Nur wenige Tage nach der Niederkunft wurde der Neugeborene am 8. Oktober von Pater Guido Wirth in der Heiligen Dreifaltigkeitskirche in der Alser Vorstadt getauft: Manfred Franz Eugen Helmuth Nidl. Fünfundvierzig Jahre später kommt Freddy Quinn einmal mit einem Kamerateam zurück in die Laudongasse 10. Als er die Treppen hinaufsteigt, fällt es ihm schwer zu reden: »Man sollte nicht länger in der Vergangenheit wühlen«, sagt er. »Denn da kommen Emotionen auf, mit denen man gar nicht fertigwerden könnte.«

Drei Geburtsorte stehen also zur Auswahl, für den einen bürgen die Nachbarn, der andere soll auf einem Foto zu sehen sein, und den dritten schließlich nennt – nach langem Schweigen – Freddy Quinn selbst. Um endlich Klarheit zu gewinnen, müssten doch offizielle Stellen weiterhelfen können. Doch da ist der Datenschutz vor. Im Wiener Rathaus komme ich nicht weiter: »Nein, Sie haben keinen Anspruch darauf, Einblick in den Taufschein zu nehmen, sofern er denn bei uns lagert. Dazu muss der Gesuchte seine Einwilligung geben.« In der Pfarrkanzlei der Heiligen Dreifaltigkeitskirche ist man nicht ganz so streng. Ein Blick in den Computer bestätigt, Freddy Quinn hat 1931 in der Laudongasse 10 gewohnt und wurde an dem bekannten Datum hier getauft. Aber geboren? »Darüber geben uns unsere Unterlagen leider keine Auskunft.« Vielleicht kann mir das Archiv der Diözese St. Pölten weiterhelfen, denn hier könnte auch der Geburts- oder Taufschein aufbewahrt sein, falls Freddy Quinn in Niederfladnitz geboren wurde. Die Pfarrei des Ortes ist schon seit Langem aufgelöst, und die Personenstandsregister der Kirchengemeinde wurden nach St. Pölten geschafft. »Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen wir Ihnen keine Auskunft geben«, so die freundliche, aber bestimmte Abfuhr auch hier. Ganz sicher sind sich jedoch die Autoren der Internetseiten der Stadtgemeinde Hardegg. Niederfladnitz ist eine von zehn Katastralgemeinden, die zusammen Hardegg bilden, laut Eigenwerbung »vielfach als kleinste Stadt Österreichs genannt«. Sehenswürdigkeiten – heißt es weiter auf der Homepage – gibt es einige in Hardegg, die gleichnamige Burg, das Barockschloss Riegersburg und die Ruine der Burg Kaja. Und unter der Überschrift »Söhne und Töchter der Stadt« ist nur einer aufgeführt: »Freddy Quinn (* 1931 in Niederfladnitz), Schlagersänger und Musiker«. Um alle Zweifler seinerseits zu überzeugen, hat Freddy Quinn einmal in einem Zeitungsinterview seine Mutter als Kronzeugin aufgerufen: »Am Totenbett hat sie mir geschworen: ›Du bist in Wien geboren, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.‹«

Der unbekannte Vater

Die Identität der Mutter ist einigermaßen geklärt. Einigermaßen deshalb, weil nur wenig bekannt geworden ist über sie. Edith Nidl, spätere Edith Henriette Baronin Petz, hat nie den Prominentenstatus ihres Sohnes genutzt, um selbst an die Öffentlichkeit zu gehen. Interviews mit ihr sind nicht bekannt, nur selten sieht man sie auf Fotos in den Zeitschriften und Journalen. Als einmal – im Jahr 1965 – ein Journalist es wagt, an ihrer Wohnungstür zu klingeln, wird er kühl abgefertigt: »Frau Baronin ist nicht da, sie ist verreist«, verleugnet sich Frau Baronin: »Ich bin nur die Untermieterin.« Das wenige, was man über sie weiß, hat Freddy Quinn erzählt: Journalistenausbildung in Hamburg, später Autorin und Herausgeberin der Wiener Tierpost. Andere, die sie kennengelernt haben, beschreiben sie als eine selbstbewusste, gut aussehende Frau, dunkler Typ, tatkräftig und voller Lebensfreude.

Aber wer ist der Vater? Nach der Mutter scheint ihn niemand je zu Gesicht bekommen zu haben, außer Freddy Quinn selbst. Die einzigen Schilderungen, die es über den Vater des Sängers gibt, stammen ausschließlich von ihm. Wie ein weißer Fleck auf der Landkarte die wildesten Fantasien provoziert, so gibt es auch unzählige Geschichten, Spekulationen und Vermutungen über den Vater – von Freddy Quinn erzählt, von Plattenproduzenten erfunden, von Journalisten zusammengereimt. Dass Freddy Quinn seinen Vater nie kennengelernt hat, wird vermutet, oder dass er ein Offizier gewesen sei beim Österreichischen Bundesheer, auch ein orthopädischer Schuhmacher aus Wien machte die Runde. Quinn selbst, dessen Image und Karriere ganz eng verknüpft ist mit der Hansestadt Hamburg, will, wenn schon nicht an der Waterkant geboren, so doch zumindest dort gezeugt worden sein. Das erzählt er immer wieder gerne und lächelt verschmitzt dabei.

In den ersten Jahren der Karriere – die Version vom Geburtsort Pula ist noch im Umlauf – ist in der Presse von einem italienischen Vater die Rede. Eine Quinn’sche Standard-Antwort taucht gleichlautend in fast allen Berichten der frühen Jahre auf: »Was für ein Landsmann ich bin? Da fängt’s schon an, kompliziert zu werden. Sagen wir ein in Jugoslawien geborener Austro-Italiener, denn meine Mutter ist aus Wien, mein Vater aus Italien.« Im März 1962 erzählt Freddy Quinn »Sybille«, der Reporterin der Film-Revue, die Version vom »italienischen Exportkaufmann«, weigert sich aber, dessen Namen preiszugeben. Und wo es offenbar kein wirkliches Leben zu erzählen gibt, setzt die Kolportage ein: Als einzige Erinnerung an seinen Vater schildert Quinn der Reporterin eine Szene wie aus einem Film: »Ich stand auf dem Bahnsteig und winkte dem Zug nach, in dem er fortfuhr, ich muss damals etwa vier Jahre alt gewesen sein – es war bis heute das letzte Mal, dass ich ihn sah ...« Dass dieselbe Begebenheit – der endgültige Abschied vom Vater – auch ganz anders ausgesehen haben könnte, beschreibt ein namenloser Autor vier Jahre zuvor im Teenager-Magazin : »An Bord eines hohen Truppentransporters steht verloren ein schmächtiger Junge von fünfzehn Jahren. Er sucht sich einen freien Platz an der dicht umlagerten Reling. Da unten! Der Mann in dem hellen Regenmantel und dem hochgestellten Kragen, das ist sein Vater. Doch sein Vater entdeckt ihn nicht in der Menge, er winkt ziellos in die falsche Richtung. Der Nebel verschluckt den Mann im Regenmantel, verschluckt die verschwommene Silhouette New Yorks. Amerika? Nur noch eine Nebelwand, hinter der die Erinnerung liegt.« Und der fünfzehnjährige Freddy muss – so die -Version – nach neun Jahren Aufenthalt beim Vater in New York wieder zurück nach Wien.

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