Freihandelsabkommen TTIP. Alle Macht den Konzernen? - Christian Felber - E-Book

Freihandelsabkommen TTIP. Alle Macht den Konzernen? E-Book

Christian Felber

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Beschreibung

EU und USA verhandeln seit Juli 2013 über einen transatlantischen Binnenmarkt: TTIP. Die "größte Freihandelszone der Welt" soll den Wohlstand mehren, verhandelt wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Agenda machen die Konzerne: Sie wollen Regulierungsunterschiede beseitigen - bei Gesundheit, Verbraucherschutz, Arbeitsstandards, kultureller Vielfalt, Nachhaltigkeit. Zudem verlangen die Lobbys Fesseln für die Politik: Regeln sollen vorschreiben, wie demokratisch gewählte Gemeinderäte, Landtage und Parlamente regulieren dürfen. Obendrauf erhalten die Konzerne ein direktes Klagerecht gegen Staaten. Was als "Freihandel" verkauft wird, entpuppt sich mehr und mehr als Handelsdiktatur. Der Widerstand wächst.

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Christian Felber

FreihandelsabkommenTTIP

Alle Macht den Konzernen?

»Es macht uns Vergnügen, die Vervollkommnungeneines so schönen und großartigen Systems zubetrachten, und wir sind nicht ruhig, bis wir jedesHindernis, das auch nur im mindesten dieRegelmäßigkeit seiner Bewegungen stören oderhemmen kann, beseitigt haben.«

Adam Smith1

»Nichts, was wir in diesem Abkommen vereinbaren, wird Schutzstandards absenken.«

Karel De Gucht, EU-Handelskommissar2

»Die Demokratie wird ganz sicher durch ein solches Abkommen nicht außer Kraft gesetzt.«

Thomas Strobl, stellvertr. CDU-Vorsitzender3

Vorwort: Die Chlorhühner kommen!

Seit Juli 2013 verhandeln die USA und die EU über die Errichtung einer transatlantischen Freihandelszone. Die Verhandlungen laufen geheim, Aufregung wogt durch die Medien, der Protest wächst. Was steht in dem Abkommen? Kommt ein direktes Klagerecht für Konzerne gegen Demokratien? Wird eine transatlantische Behörde für »regulatorische Kooperation« errichtet? Werden die Standards nach unten oder nach oben angepasst, oder treffen sie sich in der »goldenen Mitte«? Dürfen öffentliche Einkäufer und Auftraggeber noch regional-, struktur-, arbeitsmarkt- und industriepolitische Ziele verfolgen – oder werden sie durch »horizontale Disziplinen« geknebelt? Werden öffentliche Dienstleistungen von der Trinkwasserversorgung bis zum Gesundheitssystem dem Marktwettbewerb ausgeliefert? Überlebt das Vorsorgeprinzip, welchen Stellenwert erhalten Klimaschutz, nachhaltige Entwicklung und Gemeinwohl? Fragen über Fragen ... am Ende der Verhandlungen darf das EU-Parlament abstimmen, ohne jetzt auch nur mitlesen zu dürfen. Die nationalen Parlamente bleiben, wenn es nach dem Willen der verhandelnden EU-Kommission geht, außen vor, die BürgerInnen erst recht – obwohl sie der eigentliche Souverän sind.

Dieser Text hat drei zusammenhängende Kernanliegen. Zum einen soll das gesamte Inhaltsspektrum des Abkommens hinter den medialen Aufregern – Chlorhuhn, Genmais, Hormonfleisch, VerbraucherInnenschutz, Umweltstandards – ausgeleuchtet werden. Dadurch soll ein möglichst vollständiges und kohärentes Bild entstehen, worum es im Kern und langfristig geht: eine neue »Weltwirtschaftsordnung« (Angela Merkel), die von mächtigen Interessensgruppen in den USA und der EU ausgeht und welche die Durchsetzung der Wirtschaftsfreiheiten – Handel, Investitionen, Kapitalverkehr – zum obersten Ziel hat. Diese Wirtschaftsordnung soll globalisiert und über ein dichtes Netz bilateraler, plurilateraler und später internationaler völkerrechtlicher Verträge zu einer »globalen Wirtschaftsverfassung« verdichtet werden. Nachdem das bisherige Völkerrecht auf den Menschenrechten und damit verbunden auf Armutsbekämpfung, Ernährungsfragen, Umweltschutz und kulturelle Vielfalt aufgebaut war, werden hier neue Prioritäten gesetzt. Sobald die größere Agenda hinter dem TTIP zum Vorschein gekommen ist, können die entscheidenden Fragen gestellt werden: Welchen Werten und Zielen sollen völkerrechtliche Abkommen dienen? Wer gibt diese Ziele vor, und wer überprüft sie?

Das TTIP wurde vom Europäischen Rat in Auftrag gegeben. Dieser ist der mächtigste Gesetzgeber und Lenker der EU, obwohl er für legislative Akte nicht demokratisch legitimiert ist – er setzt sich zusammen aus den Spitzen der nationalen Exekutiven. Der Rat beauftragt eine weitere nicht direkt demokratisch legitimierte Instanz, die Kommission, mit Geheimverhandlungen. Diese wird von zahllosen Lobbys ebenso lückenlos umlagert wie das US-Handelsministerium – vom US Council of Pork Producers über das European Services Forum bis zu den Automobilherstellerverbänden. Für einfache BürgerInnen und gemeinnützige Organisationen ist der Zugang zu Washington und Brüssel ungleich schwieriger als für hochbezahlte Lobbys transnationaler Konzerne. Deshalb steht am Ende des Buches die Demokratiefrage: Wie könnte ein demokratischer Prozess für die Aushandlung völkerrechtlicher Verträge aussehen? Diese Frage brennt nicht nur aufgrund der geheimen TTIP-Verhandlungen. Zeitgleich dräuen CETA, ein Freihandelsabkommen mit Kanada, und TiSA, ein Angriff auf öffentliche Dienstleistungen, in einer Teilgruppe von WTO-Mitgliedern. Für alle gelten dieselben Fragen: Welche Ziele sollen mit diesen Abkommen grundsätzlich verfolgt werden? Wer erteilt das Verhandlungsmandat? Wie könnte ein transparenter und demokratischer Prozess aussehen? Und wer entscheidet über das ausverhandelte Ergebnis? Möge die europäische Demokratie am Un-Fall TTIP reifen!

I. Eine neue Weltwirtschaftsordnung nach dem Geschmack der Konzerne

a) Die Vision eines Weltbinnenmarkts

Aus der Sicht eines transnationalen Konzerns ist ein grenzenloser Weltmarkt, ein »globaler Binnenmarkt« mit freiem Investieren, Export und Kapitalverkehr sowie dem völkerrechtlichen Schutz von Investitionen und geistigem Eigentum die finale Vision. Percy Barnevic, Ex-CEO von ABB, formulierte es so klar wie kein anderer: »Ich definiere Globalisierung als die Freiheit unserer Firmengruppe zu investieren, wann und wo sie will, zu produzieren, was immer sie will, zu kaufen und zu verkaufen, wo und was immer sie will, und alle Einschränkungen durch Arbeitsgesetze oder sonstige Regulierungen so gering wie möglich zu halten.«4

Nationalstaaten sind in dieser Vision nur noch dazu da, die Wirtschaftsfreiheiten – Handel, Investitionen, Kreditvergabe, Kapitalverkehr – durchzusetzen und zu garantieren. Schränken sie die Wirtschaftsfreiheit zugunsten der Umwelt, der VerbraucherInnen, der ArbeitnehmerInnen, der Frauen, der kulturellen Vielfalt, der Regionalität oder zum Schutz öffentlicher oder Gemeinschaftsgüter ein, können sie verklagt werden. Damit es in Zukunft erst gar nicht mehr zum Konflikt von demokratischen Regulierungszielen und Freihandel kommt, sollen Vorschriften – Superregulierungen – beschlossen werden, wie in Zukunft überhaupt noch reguliert werden darf. Das Abkommen knebelt die souveräne Freiheit demokratischer Staaten.

Die Anpassung aller anderen Regulierungen an die »Bedürfnisse« der Wirtschaftsfreiheiten entspricht dem Zielbild einer »marktkonformen Demokratie«5. Angela Merkel und die Konzerne bauen auf der Ideenwelt von Friedrich August von Hayek auf: »Wirtschaftliche Freiheit ist die Voraussetzung für jede andere Art von Freiheit.«6 In dieser Ideologie haben Freihandel, freier Kapitalverkehr und Investitionsschutz Vorrang vor den Grund- und Menschenrechten, vor Arbeitsstandards und VerbraucherInnenschutz, vor sozialer Sicherheit und Steuergerechtigkeit, vor kultureller Vielfalt und nachhaltiger Entwicklung: Erst kommt der Markt, dann die Demokratie. Das TTIP begründet eine Freihandelsdiktatur.

Zur Umsetzung dieser dystopischen Vision lobbyieren die Interessensvertretungen der transnationalen Konzerne auf verschiedenen Ebenen: Handelsabkommen, Investitionsabkommen, globaler Schutz geistiger Eigentumsrechte sowie private Gerichte, vor denen sie direkt gegen Staaten klagen können. In summa entsteht eine mächtige Schicht Wirtschaftsvölkerrecht, die von denselben Nationalstaaten geschaffen wird, die sich damit selbst entmachten. Sie unterziehen die demokratischen Gemeinwesen einer globalen Superregulierung und setzen sie den sich daraus ergebenden Sachzwängen aus – Standort-Wettbewerb, Kapitalflucht, Klagen gegen demokratische Gesetze sowie Richtlinien, wie überhaupt noch reguliert werden darf. Sie entledigen sich selbst der Möglichkeit, die Wirtschaft nach den Prioritäten und Werten demokratischer Mehrheiten zu gestalten. Eine »schöne neue Weltwirtschaftsordnung« ist am Entstehen, die den Dystopien von George Orwell und Aldous Huxley alle Ehre macht. Tatsächlich sprechen Angela Merkel und die EU-Kommission unisono von einer »Weltwirtschaftsordnung im Interesse der EU und der USA«.7 In dieser geht es nicht um nachhaltige Entwicklung, ein gutes Leben für alle oder das Gemeinwohl, sondern um eine »corporate bill of rights«8, eine »Transatlantische Verfassung der Konzerne«9, einen »heimlichen Staatsstreich«10.

b) Historischer Hintergrund

Nach einer ersten Welle der Globalisierung, die ihren Höhepunkt vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs fand, und nach einer Phase der »Deglobalisierung« und Verringerung des Außenhandels zwischen den Kriegen und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs – die USA waren bis 1945 eines der Länder mit den höchsten Außenzöllen11 – stehen die Zeichen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erneut auf progressiver Liberalisierung. Allerdings war keineswegs von Beginn an »Freihandel« das Ziel, sondern regulierter Handel, kontrollierte und differenzierte Öffnung gegenüber den Handelspartnern und die Steuerung der Konzerne. So war in den Statuten der International Trade Organisation ITO, die gemeinsam mit den Bretton-Woods-Zwillingen Weltbank und Internationaler Währungsfonds hätte aus der Taufe gehoben werdensollen, die Regulierung transnationaler Konzerne und selbst der Rohstoffpreise vorgesehen. Dieser Ansatz scheiterte jedoch am Veto der USA, die auf »Freihandel« setzten, weil sie wussten, dass ihre Industrien bereits international wettbewerbsfähig waren und sie dadurch bessere Karten htten. Aus diesem Grund wurde aus den Statuten der ITO nur das Kapitel Handelsliberalisierung herausgelöst und zur Grundlage für das GATT 1947 (General Agreement on Tarifs and Trade) gemacht. Von den geplanten Bretton-Woods-Drillingen erblickten nur die Zwillinge Weltbank und Währungsfonds das Licht der Welt. Erst nach insgesamt acht mehrjährigen Runden mündeten die GATT-Verhandlungen 1995 in der Gründung der Welthandelsorganisation WTO. Nach den anfangs 23 Mitgliedern (GATT 1947) gehören der WTO heute 159 Mitglieder an. Das wichtigste Merkmal der WTO ist, dass sie nicht zur Institutionenfamilie der Vereinten Nationen gehört und ihre völkerrechtlich verbindlichen Regelungen keinen Bezug nehmen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und auf alle anderen Programme und Ziele der UNO: von den ILO-Arbeitsnormen und den Millenniumszielen über die Klimarahmenkonvention und die Umweltabkommen bis zur Konvention über kulturelle Vielfalt oder den Schutz des Wissens indigener Bevölkerungen.

Die WTO befindet sich im »autistischen« Abseits des Völkerrechts, weil ihre Regeln ausschließlich dem Freihandel dienen und nicht abgestimmt sind mit den eigentlichen Zielen der internationalen Staatengemeinschaft. Innerhalb der UNO wurde bereits 1964 auf Initiative der G77, Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen, die UNCTAD gegründet, die Konferenz für »Handel und Entwicklung«, die Handel im Unterschied zur WTO nicht als Selbstzweck verfolgt, sondern als Mittel für (nachhaltige) Entwicklung, wie bereits ihr Name besagt. Doch an einer solchen Prioritätensetzung hatten und haben bis heute die mächtigen Industrieländer, allen voran die EU und die USA, kein Interesse, weshalb die UNCTAD auf dem weltpolitischen Abstellgleis gelandet ist – obwohl sie gut integrierter Teil der UN-Institutionenfamilie ist.

Während die »Quads« USA, Kanada, EU und Japan große Teile der restlichen Welt bis 1995 von den Segnungen ihrer Freihandelsideologie überzeugen und teils mit diplomatischer Erpressung auch für die Mitgliedschaft in der WTO gewinnen konnten, begannen unmittelbar nach deren Gründung die Verhandlungen zu stocken. Spektakulär scheiterte die von Massendemonstrationen begleitete Ministerkonferenz in Seattle 1999 am Widerstand der armen Länder, die erkannt hatten, dass die Liberalisierungsagenda der WTO doch nicht in ihrem Interesse lag. Auch die Konferenzen in Cancún (2003), Hongkong (2005) und Genf (2009 und 2011) blieben ergebnislos. Erst 2013 schien es weiterzugehen: Die Konferenz im Dezember 2013 in Bali brachte einen symbolisches Abschluss, der allerdings weitgehend der Substanz entbehrte.

Infolge des weitgehenden Stillstands der Liberalisierung auf multilateraler Ebene haben die mächtigsten Handelsnationen ihre Bemühungen auf die regionale (plurilaterale) und bilaterale Ebene verlagert und versuchen dort die Wünsche ihrer Konzerne in kleineren Portionen zu erfüllen. Prominente Beispiele dafür sind das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko; ASEAN in Ost- und Südasien oder Mercosur in Lateinamerika. Bilaterale Handelsabkommen wurden zuletzt zwischen den USA und Marokko sowie der EU und Südkorea, geschlossen, aktuell wird mit Kanada das Comprehensive Economic and Trade Agreement, kurz CETA, verhandelt, ebenfalls geheim.12 Rund um den Stillen Ozean finden Verhandlungen zum Trans-Pacific Partnership (TPP) statt.13

c) Investitionen

Sowohl die Welthandelsorganisation als auch die bilateralen und regionalen Handelsabkommen beschäftigen sich mit einer immer breiteren Themenpalette. Neben dem klassischen »Freihandelsthema« Zollabbau geht es mehr und mehr um »nichttarifäre Handelshindernisse« sowie um Politikbereiche, die auf den ersten Blick mit internationalem Handel nichts zu tun haben. Die Inhalte der 28 WTO-Abkommen reichen von Fischfang und Landwirtschaft (AoA), »Sanitären und Phytosanitären Maßnahmen« (SPS) und »Technischen Handelsbarrieren« (TBT) über Dienstleistungen und öffentliche Beschaffung (GPA) bis zum Schutz von geistigen Eigentumsrechten (TRIPs) und Investitionen (TRIMs).

Ein zentrales Anliegen transnationaler Konzerne ist der Schutz ihrer Investitionen im Ausland. Dieses Thema hätte bereits in der letzten GATT-Runde 1986 bis 1994, der

sogenannten Uruguay-Runde, festgeschnürt und mit der Gründung der WTO 1995 in Kraft treten sollen. Doch die Entwicklungsländer spielten nicht mit, sie beheimaten kaum »Global Player«, in deren Interessen der Investitionsschutz primär liegt. Deshalb verlagerten die Industriestaaten das Thema in ihren eigenen Club, die OECD, die heute 32 Mitglieder umfasst. Das »Multilaterale Abkommen über Investitionen« (MAI), das schon damals vom WTO-Direktor Renato Ruggiero als »Verfassung für die Weltwirtschaft« gepriesen und von KritikerInnen als »Ermächtigungsgesetz für Konzerne« bekämpft wurde14