Friktionen - Anna Lowenhaupt Tsing - E-Book

Friktionen E-Book

Anna Lowenhaupt Tsing

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Beschreibung

Der Regenwald im Meratusgebirge auf Borneo verändert seit 1970 grundlegend seine Gestalt: Holz und die natürlichen Ressourcen seiner Böden werden auf dem internationalen Markt verkauft, um Schulden zu begleichen und sich zu bereichern. Nationale und globale, individuelle und universelle Interessen überlagern sich: Korrupte Provinzbehörden machen gemeinsame Sache mit japanischen Investoren, javanesische Einwanderer verdrängen autochthone Waldbewohner. Doch auch zum Schutz des Waldes formieren sich breite Allianzen, Studenten aus der Hauptstadt treffen auf engagierte Dorfbewohner, internationale Aktivisten und Naturliebhaber. In einer atemberaubenden Szenenfolge zwischen Reportage, Feldforschungsbericht und kulturtheoretischen Überlegungen begleitet Anna Lowenhaupt Tsing die Geschehnisse und entwickelt eine einzigartige Ethnografie der Friktionen. In Borneo, an einem Ort, der beispielhaft ist für eine globalisierte Welt, offenbart sich, dass aus vielfältigen und widersprüchlichen sozialen Interaktionen, die unsere heutigen Lebensrealitäten ausmachen, ebenso zukunftsträchtige wie monströse Kulturformen entstehen können.

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Seitenzahl: 803

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Friktionen

Anna Lowenhaupt Tsing

Friktionen

Eine Ethnografie globaler Verflechtungen

Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk Höfer

Inhalt

Vorwort zur Ausgabe 2024

Vorwort

Einleitung

I Wohlstand

»Eine Bombe wäre besser gewesen, dann hätte ich hier alles in die Luft jagen können«

1 Grenzgebiete des Kapitalismus

»Sie kommunizieren in Zeichensprache«

2 Ökonomie des Scheins

II Wissen

»Lasst ein neues Asien und ein neues Afrika entstehen«

3 Natürliche Universalien und der globale Maßstab

»Dunkle Strahlen«

4 Naturbegeisterung

»Diese Erde, diese Insel Borneo«

5 Eine Geschichte der Verkrautung

III Freiheit

»Ein Haar im Mehl«

6 Bewegungen

»Vergünstigungen und Anreize«

7 Der Wald der Kollaborationen

Coda

Anmerkungen

Literaturangaben

Register

Vorwort zur Ausgabe 2024

Das Dorf, das die Straße blockierte

Als ich 2022 nach fast zwei Jahrzehnten wieder in die Meratus-Berge wanderte, erwartete ich das Schlimmste. Ich hatte Fotos von Ölpalmenplantagen gesehen, die sich so weit das Auge reicht erstreckten. Ich wusste vom Vordringen des Kohlebergbaus, der ganze Dörfer verschluckt hatte. Auch als ich in Südkalimantan auf der alten holländischen Straße zu den weiter flussaufwärts gelegenen Städten fuhr, zeigte sich das gleiche Bild, bloß noch schlimmer. Kohlenstaub bedeckte die alten Häuser, nicht aber die neu errichteten glitzernden Villen der Kohlebosse dazwischen. Mein Bruder, mein Neffe bei den Meratus Dayak und ich übernachteten in der Grenzstadt am Ende der Straße, die einst ein Umsiedlerdorf war, jetzt aber noch schmutziger und krimineller wirkte, als ich sie je erlebt hatte. Ich erwartete nichts Gutes.

Am nächsten Tag brauchte ich sechzehn Stunden, um zum Dorf zu wandern. Die Erde war glitschig vom Regen und die Hänge überaus steil. Ich fiel gleich in den ersten Bach, den ich überquerte, woraufhin mir meine Meratus-Freunde den Rucksack abnahmen. Es war Nacht, als ich an dem Ort ankam, an dem ich die meiste Zeit meiner Feldforschung verbracht hatte, nicht nur für Friktionen, sondern auch für In the Realm of the Diamond Queen. Wegen einer Hochzeit drängten sich die Leute in dem Gemeinde-Balai; sie warteten auf meinen Meratus-Bruder, der während meiner Abwesenheit ein Dorfältester geworden war und die Hochzeitszeremonie leiten sollte. Aber ich war erschöpft und entschuldigte mich bald, um schlafen zu gehen.

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie überrascht ich am nächsten Morgen von der Schönheit und Gelassenheit des Dorfes war. Es war nicht mehr der Schauplatz meiner früheren Feldarbeit. Wie von den Regierungsvorgaben gefordert, hatten sich die Menschen an einem festen Ort zusammengefunden und Häuser gebaut, die durchaus zivilisatorischen Anforderungen genügten. Und doch handelte es sich, wie ich schon fast geahnt hatte, nur um Vorzeigehäuser; wie schon früher hielten sich die Leute die meiste Zeit auf den verstreut liegenden Brandrodungsflächen auf. Und es gab immer noch Wald! Die Geräusche des Waldlebens umgaben uns, nicht nur der ständig wechselnde Chor der Zikaden, sondern auch die Rufe der Gibbons in der Morgendämmerung, die Flügelschläge der Nashornvögel, die abendlichen Gesänge der Tausendfüßer und vieles mehr. Es gab noch immer das Essen! An einem Tag aßen wir Aal, am nächsten Hirsch; an einem Tag sammelten wir wilde Gurken, am nächsten Fackel-Ingwer. Noch immer herrschte ein Fest der Vielfalt zwischen dem Wilden und dem Angebauten.

Was war passiert? Es stellte sich heraus, dass mein Meratus-Bruder eine Schlüsselrolle bei der Blockade der Holzfällerstraße gespielt hatte, die in diesen Teil des Waldes eindringen und ihn zerstören sollte. Als ich Friktionen schrieb, waren die Meratus-Berge von Holzunternehmen bedroht, die mit dem Bau von Straßen vorrückten. Die Wälder im Tiefland waren nahezu erschöpft, und aus Sicht der Unternehmen waren die Berge das nächstbeste Terrain für die Abholzung. Die Straßen waren schlecht gebaut, und nach den achtzehn Monaten, die für den Abtransport der Stämme erforderlich waren, brachen die Brücken ein. Doch dann übernahm die Regierung das Kommando und baute die Holzfällerstraßen zu Transportwegen um. Die Siedler strömten ein, die natürlichen Ressourcen strömten heraus. Überall, wo die Straßen hinkamen, lösten sich die Möglichkeiten der Meratus, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, in Luft auf. Der Wald verschwand und hinterließ weite Flächen mit Problemunkräutern wie Imperata-cylindrica-Gräsern und Decalobanthus-peltatus-Reben. Wanderfeldbau wurde unmöglich. Die Meratus konnten sich nur der Flut von Siedlern anschließen, die versuchten, weitere Ressourcen zu finden, um sie zu veräußern. Goldschürfer gruben sich mit hydraulischen Hochdruckschläuchen durch den Boden. Die Erosion erreichte ihren Höhepunkt. Sand wurde abgebaut und aus den verbliebenen Wasserläufen verfrachtet, die nun nicht mehr als Wassereinzugsgebiete taugten. Plantagen- und Bergbauunternehmen übernahmen die Kontrolle. Selbst die Meratus, die blieben, wurden enteignet.

In diesem einen Teil des Waldes aber, in dem mein Bruder zu einem wirksamen Fürsprecher geworden war, fand keine Enteignung statt. Er ist ein scharfsinniger Kommentator und ein charismatischer Redner, der imstande ist, ein Publikum zu bewegen. Überdies erhielt er Unterstützung. In Friktionen wird diese Geschichte teilweise erzählt. Die Wende zum einundzwanzigsten Jahrhundert war eine Zeit, in der echte Veränderungen möglich schienen. Die autoritäre Regierung der Neuen Ordnung wurde 1998 abgesetzt, und einige Jahre lang schien die Reformation die alten Hierarchien zu erschüttern. Regionale Unabhängigkeitskämpfe, von Osttimor über Aceh bis Papua, brachten die Selbstgefälligkeit der Zentralbehörden ins Wanken. Umweltbewegungen blühten auf und verbündeten sich mit den neu entstehenden Mobilisierungen für die Rechte indigener Völker. All diese Bewegungen waren um die Jahrhundertwende in Südkalimantan aktiv; mein Bruder hatte Verbündete. Als er also auf einer regionalen Versammlung der Allianz indigener Völker für das Archipel, AMAN, sprach, entfaltete seine Rede eine gewisse Wirkung. Er fand Gehör im Radio und sogar im Büro des Gouverneurs. Die Pläne für eine Straße, die das Meratus-Gebirge durchschneiden sollte, wurden gestrichen.

Natürlich haben sich die Dinge seither geändert. Viele andere Straßen wurden gebaut, die sich kreuz und quer durch das Gebirge ziehen. In zahlreichen Meratus-Gebieten ist vom dörflichen Leben und seiner Ökonomie kaum noch etwas übrig. Alles ist den Plantagen, Minen und den Verschmutzungen durch die kleinunternehmerische Ressourcenextraktion untergeordnet. Selbst dort, wo die Straßen nur breit genug für Motorräder sind, hat die Ressourcenausbeutung das Land zerstört. Die Motorräder ziehen eine Bohle nach der anderen aus dem Wald, bis nichts mehr übrig ist. Im Dorf meines Bruders möchte eine neue Generation von Dorfvorstehern eine Straße bauen lassen, damit man bequemer in die Stadt fahren kann. Vielleicht wird die friedliche Szenerie, die ich im Jahr 2022 erlebt habe, nicht lange andauern. Dies ist jedoch umso mehr ein Grund, sie wertzuschätzen, solange sie anhält. Zerstörung ist nicht unvermeidlich.

Überraschenderweise hat es eine Wiederbelebung des adat, das heißt des traditionellen Rechts und Brauchtums, gegeben. Anstatt sich dem Christentum oder dem Islam zuzuwenden, wie ich es angesichts der nationalen Gesetzgebung und Politik einst für ausgemacht hielt, erlernten junge Männer den Schamanismus, um dessen Riten wiederzubeleben. Das traditionelle Recht wurde kodifiziert und für die Beilegung von Streitigkeiten disputiert. Der Wanderfeldbau mit seiner Vielfalt an Feldfrüchten und seinen vor Nahrung strotzenden Übergängen zwischen Feld und Wald geht weiter wie bisher. Der in letzter Zeit so populäre Begriff »Food Forest« scheint hier so passend wie überall sonst. Um einer neuen Generation die Fähigkeiten und die Sichtweisen der Meratus Dayak zu vermitteln, hatten mein Bruder und mein Neffe gerade eine adat-Schule gegründet.

Irgendwie hatte meine Forschung, ohne dass ich es wusste, eine kleine Rolle bei der Interessensvertretung der Gemeinschaft gespielt. Die vielen Stunden, die mein Bruder und ich damit verbrachten, über Kultur und Politik, das Schicksal des Waldes und die Möglichkeiten des Lebensunterhalts zu sprechen, haben – im Kontext der regionalen sozialen Bewegungen – etwas bewirkt. Inzwischen ist Friktionen ins Indonesische übersetzt worden. Als ich das Projekt 2005 beendet hatte, fühlte ich mich ziemlich entmutigt. Die Welt ging sozusagen den Bach runter. Jetzt spürte ich plötzlich einen Hoffnungsschimmer und das dringende Bedürfnis, wieder Kontakt zu den Meratus-Verwandten aufzunehmen, die ich zur Zeit meiner Feldforschungen kennengelernt hatte. Die Welt der Meratus schien mir wieder lebendig geworden zu sein … und nach vielen Jahren, in denen ich wiederholt gebeten worden war, ein neues Vorwort für Friktionen zu schreiben, fühlte ich mich endlich imstande dazu.

Denken mit Friktionen

Friktionen: das produktive Aneinanderreiben verschiedener historischer Trajektorien oder Praktiken. Produktiv bedeutet hier, dass etwas Neues entsteht, ob positiv oder negativ. Es ist keine Form des Lobs. Friktionen sind ebenso nützlich für die Betrachtung großer Verbrechen wie unverhoffter Fluchten. Außerdem bedeuten sie in diesem Buch nicht »Konflikt«. Friktion ist das, was bei der Arbeit über Unterschiede hinweg auftritt; Kollaboration ist mit ihren konstitutiven Unterschieden eine wichtige Form der Friktion. Übersetzung ist eine Form der Friktion. Friktionen lenken die Aufmerksamkeit auf unerwartete Verbindungen und historische Verschiebungen. Rückblickend handelt es sich um eine Art Artikulationstheorie, wie sie von Stuart Hall erläutert und verbreitet wurde.1

Im späten zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhundert leisteten Theorien der Artikulation einen wichtigen Beitrag in und außerhalb der Wissenschaft. Hall nutzte den Begriff erstmals für die Frage, wie Margaret Thatcher mit ihrer rechtsgerichteten Politik die britische Arbeiterklasse mobilisieren konnte.2 Andere politische Theoretiker wie Ernesto Laclau und Chantal Mouffe fragten nach den kontingenten Querverbindungen, die zur Bildung von Bewegungen führen.3 Feministische Theoretikerinnen arbeiteten eine neue Sichtweise des Kapitalismus aus. Sie wollten verdeutlichen, wie sich Geschlecht, Sexualität, Race und Religion auf die Klassenbildung auswirken.4 »Intersektionalität«, das heißt das Zusammenspiel von Race, Klasse, Geschlecht und anderen Faktoren und wie es Subjekte und Unterwerfung konstituiert, ist eine Spielart der Artikulationstheorie.5 Gleichzeitig betrachtete die Wissenschaftsforschung die kontingenten Netzwerke, durch die Entdeckungen möglich wurden.6 Die postkoloniale Theorie zeigte die Modernität als koloniale Artikulation.7 Diese spannenden intellektuellen Entwicklungen bildeten die Grundlage für Friktionen.

Irgendwann im einundzwanzigsten Jahrhundert verlagerten sich die akademischen Trends. Ein Einfluss ging von der Globalisierung aus, verstanden als uniforme weltweite Homogenisierung – also genau der Diskurs, gegen den Friktionen argumentierte. Meiner Einschätzung nach hat das Buch, zumindest in der Anthropologie, die Schlacht gewonnen, indem es das Globale als eine Reihe von Artikulationen etablierte. Doch trotz dieses kleinen Siegs hat die Vorstellung der Globalisierung als Homogenisierung mit ihrer populären Kraft die intellektuelle Landschaft verändert. In dem Maße, in dem immer weniger erforscht wurde, was ich einmal als »entlegene Orte«8 bezeichnete, schien die Welt als Ganze immer bekannter und vertrauter zu werden. Analytiker stürzten sich in die Aufgabe, hegemoniale Räume zu untersuchen, als gäbe es sonst nichts auf der Welt. Der Kapitalismus wiederum - und sogar die Wissenschaft – wurde zunehmend als allumfassend und nur einer einzigen Logik folgend dargestellt. Während der Feminismus darum kämpfte, seinen Platz in der akademischen Welt zu behaupten, rückten Fragen, die das Arbeiten über Unterschiede hinweg betrafen, in den Hintergrund. Viele der neuen Analysen waren aufregend, aber sie ignorierten die konstitutive Präsenz der Differenz.

Reaktionen auf die Vorstellung von einer homogenen Welt ließen jedoch nicht lange auf sich warten. Eine im einundzwanzigsten Jahrhundert aufkommende entgegengesetzte Ansicht hat die Anthropologie im Sturm erobert: die »ontologische Wende«, eine akademische Bewegung, die, anstatt einem hegemonialen Verständnis verhaftet zu bleiben, unterschiedliche Seinsweisen für wichtig hält. Was intellektuell dabei auf dem Spiel stand, wurde besonders deutlich in Lateinamerika, wo Anthropologen des späten zwanzigsten Jahrhunderts wie Michael Taussig argumentierten, dass die indianischen Lebensweisen aufgrund der Gewalt der Eroberung und der durchdringenden Mestizisierung ausgestorben seien.9 Demgegenüber vertraten die neuen ontologischen Denker die Ansicht, dass die indigenen Lebensformen trotz der europäischen Eroberung lebendig und gesund waren; wie Eduardo Viveiros de Castro erklärte, »verdauten« die Amerindianer die westliche Theorie, inkorporierten sie in ihre eigenen Lebensweisen und wandelten sie um.10 Die Differenz war wieder im Spiel. Und obwohl es durchaus möglich war, zur Beschreibung der Welt Ontologie und Artikulation zusammen zu denken,11 resultierte die Kraft der Bewegung aus ihrem philosophischen Schock: Selbst wenn die weltbildenden Projekte in denselben physischen Räumen existierten, waren sie sehr unterschiedlich. Ein Beispiel von Viveiros de Castro erhellte das Feld: Während die spanischen Eroberer Amerikas sich über die Frage sorgten, ob Indianer Seelen besaßen, sorgten sich die Indianer darüber, ob die Spanier echte Körper hatten.12 Nebeneinander existierend und in dem, was Viveiros de Castro »Äquivokation« nennt, stören sich weltbildende Projekte zwar philosophisch, verändern sich gegenseitig aber nicht.13

Der Akzent lag auf dem philosophischen Schock und führte zu einer Debatte, die einige Denker ermutigte, sich dem ontologischen Denken zu widersetzen. So argumentierte Lucas Bessire eindringlich, dass die ontologische Wende politische Verbrechen begünstigen könnte – aufgrund ihrer Reduzierung der Welt auf philosophische Unvereinbarkeiten.14 Brasilianische Anthropologen stritten über die politischen und philosophischen Möglichkeiten des ontologischen Denkens.15 Im Rahmen dieser Debatte zeigt sich vielleicht am deutlichsten, wie wichtig es ist, auf das Konzept der Friktion zurückzukommen. Sich eine Welt reiner, nicht kontaminierter Ontologien vorzustellen, ist eine Gefahr, der man am besten begegnet, indem man Ontologien als in Friktionen befindlich betrachtet. Die Kraft der ontologischen Wende besteht darin, die Autonomie der weltbildenden Projekte anzuerkennen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass über ontologische Grenzen hinweg Berührungen und Veränderungen stattfinden. Der Begriff der Friktion lenkt unsere Aufmerksamkeit auf ontologische Randeffekte, das heißt auf Szenerien, in denen aneinanderstoßende weltbildende Projekte neue Möglichkeiten schaffen.16 Bei der Betrachtung von Geschichte können sich beispielsweise die westlichen »Geschichtsontologien«, auf die Ann Stoler in ihrer Ethnografie kolonialer Archive aufmerksam gemacht hat, an anderen Formen der Geschichtserzeugung reiben.17 Marisol de la Cadena bezeichnet solches Aneinanderreiben als »mehr als«; ihre Analyse des Christentums und der indigenen Kosmologie in den Anden erzeugt beispielsweise »mehr als Religion«.18 Der produktive Effekt von Friktionen zeigt sich in der Art und Weise, wie Menschen Religion ausüben – an den Überschneidungsstellen einander ausschließender ontologischer Rahmen.

Ein Bereich, in dem die Bedeutung der Aufmerksamkeit für ontologische Randeffekte besonders deutlich wird, ist die Untersuchung von mehr-als-menschlichen sozialen Beziehungen. Neuere Entwicklungen haben gezeigt, wie verarmt die Sozialtheorie war, als sie Nichtmenschen nur als Ressourcen oder Symbole für Menschen betrachtete. Nichtmenschen verfolgen ihre eigenen Projekte zur Gestaltung der Welt. Auch wenn Nichtmenschen keine Philosophen sind, kann ich mir keinen guten Grund vorstellen, die Instrumente der ontologischen Wende nicht auch zur Untersuchung nichtmenschlicher Projekte zu nutzen. Doch jede Untersuchung der Beziehungen zwischen Menschen und Nichtmenschen zwingt den Analytiker dazu, die Reibung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Projekten der Welterzeugung zu berücksichtigen. Die Analyse im Bereich der reinen, nicht interagierenden Ontologien zu belassen, dürfte uns daran hindern zu bemerken, dass überhaupt Interaktion stattfindet. Im Gegensatz dazu vermag die Beachtung von Randeffekten neues Terrain zu eröffnen. In einem kürzlich erschienenen Forschungsbericht habe ich zum Beispiel gezeigt, wie Anthropologen über die Analyse der Vogelbeobachtung als menschliche soziale Aktivität hinausgehen können, um die Interaktionen zwischen Vogelbeobachtern und Vögeln in den Blick zu nehmen.19 Friktion ist dabei ein notwendiges Instrument.

Wie Anthropologie funktioniert

Ich habe Friktionen geschrieben, als ich mir Gedanken darüber machte, wie ich meine Doktoranden zu einer wissenschaftlichen Praxis anleiten könnte, die uns alle mit Stolz erfüllt. Was mich an der Anthropologie besonders reizt, ist, dass sie nahezu alles umfasst; dennoch ist manches von besagtem Allen besser als anderes. Ich habe gesehen, dass Doktoranden von dem Charisma fasziniert waren, das davon ausging, Theorie um der Theorie willen zu betreiben, ohne sich dabei auf Daten zu beziehen. Ich wusste, wie sehr sie sich vor den Härten der Feldarbeit fürchteten. Feldarbeit ist fürchterlich und elend, selbst wenn man spannendes Material sammelt. Doch in meinen Augen lohnt es sich, diesen Herausforderungen zu trotzen; die Anthropologie leistet am meisten, wenn sie Theorie und ethnografisches Material zusammenführt und das eine nutzt, um das andere hervorzubringen. Die Theorie leistet gute Arbeit, wenn sie das empirische Material erhellt, und nicht wenn sie allein steht, als Ausweis von Klugheit. Gemeinsam führen Theorie und Ethnografie zu einer besseren Beschreibung, und dies sollte, wie Marilyn Strathern argumentiert, das Ziel der Anthropologie sein.20

Friktionen war als Methodenbuch gedacht. Es sollte demonstrieren, wie mit empirischem Material und durch es Theorie entstehen kann. Während Naturwissenschaftler den Begriff »Methode« verwenden, um Techniken zu beschreiben, ist der Ausdruck in der Anthropologie am besten auf die Herangehensweise zu beziehen, in der sich Theorie mit Daten auseinandersetzt. Methoden entwickeln sich im Laufe eines Projekts; sie sind der theoretische Hebel, mit dem empirischem Material Bedeutung abgerungen wird. Sie zeigen uns, was weiter zu verfolgen sich lohnt und wie sich das Gefundene interpretieren lässt. Sie überzeugen uns von der Nützlichkeit eines besonderen theoretischen Ansatzes. Im Idealfall gelangen Analytiker aufgrund der guten Arbeit, die sie mit unserem empirischen Material leisten, zur Theorie. Theorie sollte kein religiöses Dogma sein, das sich über lokales Terrain hinwegsetzt. Aber Daten bedeuten wenig ohne Theorie, jenen Leitlinien, anhand derer wir Daten interpretieren. Diese Leitlinien sind keine Segnungen aus den Händen bedeutender Männer, sondern sie entstehen zusammen mit den empirischen Problemen, die wir zu lösen versuchen.

In jedem Kapitel von Friktionen zeige ich, wie ein bestimmter theoretischer Ansatz aus der untersuchten Situation hervorgegangen ist und sie erhellt hat. Jedes Kapitel beginnt mit einem Wort, das auf eine bestimmte Art theoretischer Arbeit hinweist: Proliferation, Maßstab, Verallgemeinerung, kosmopolitisch, Leerstelle, Bewegung, Kollaboration. Jedes Kapitel zeigt, dass die konzeptionelle Arbeit, die der jeweilige Begriff nahelegt, für die Analyse erforderlich ist: weil das Material diese Analyse verlangt, auch wenn sie das Material organisiert und ihm Bedeutung verleiht.

Ich bin mir nicht sicher, ob Leserinnen und Leser diese Strategie erkannt haben, vielleicht weil ich versucht habe, vieles gleichzeitig zu erzählen, einschließlich einer strukturierten Geschichte über die politische Ökologie der Regenwaldabholzung in Indonesien, und mich bemüht habe, eine Vielzahl von lokalen Stimmen und Perspektiven einzubringen. Vielleicht werden neue Leser nach diesem Merkmal von Friktionen Ausschau halten. Das Buch möchte eine Anthropologie modellieren, in der Theorie und Daten zusammenwirken.

Seit Friktionen ist die Umweltanthropologie weiter aufgeblüht, und zu ihr gesellte sich die von der Wissenschafts- und Technikforschung inspirierte Aufmerksamkeit für die Beziehungen zwischen Mensch und Nichtmensch. Es freut mich zu sehen, wie reichhaltig die Empirie auf diesem Feld ist, das gleichzeitig eines der theorielastigsten Wissenschaftsgebiete darstellt. Ich bin froh, dass ich einen kleinen Teil zum Aufbau dieses Genres beitragen konnte: eine wissenschaftliche Praxis, die uns alle mit Stolz erfüllt.

Eine Vogeltragödie

Akademische Konzepte dienen häufig dazu, die direkte Beziehung zwischen Plänen und Praxis aufzuzeigen; man stellt sich ein bestimmtes Szenario vor – für Technik, öffentliches Recht, Kunst, Familienleben, Kapitalismus oder was auch immer –, und so wird es umgesetzt. Das Konzept der Friktion hingegen hilft zu verstehen, dass die Dinge nicht immer so ablaufen, wie man es sich eigentlich vorstellt. Pläne geraten in Konflikt mit anderen Plänen und laufen aus dem Ruder. Botschaften werden missverstanden. Kollaborationen wuchern über die jeweiligen Absichten der Beteiligten hinaus. Manchmal funktioniert das zufällig gut. Ein anderes Mal enden die besten Absichten in einer Tragödie.

Zugegeben, ich war begeistert, als ich 2020 eine E-Mail von einem indonesischen Ornithologen erhielt, der über den Fund zweier neuer endemischer Vögel in den Meratus-Bergen berichtete. Er bat um Hilfe bei der Vergabe geeigneter wissenschaftlicher Namen, auch um das lokale indigene Wissen zu würdigen. Obwohl die lokalen Namen letztendlich in den neuen Linné’schen Namen nicht verwendet wurden, fand ich es wunderbar, dass das Meratus-Gebirge mit seinen endemischen Vögeln als Gebiet wertvoller biologischer Vielfalt Anerkennung finden könnte. Der Artikel, der die neuen Namen der Vögel ankündigte, wurde im Januar 2022 veröffentlicht;21 zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Entdeckung bereits herumgesprochen.

Eine der Gruppen, die sich am meisten für diese Ankündigung interessierten, war die der Singvogelzüchter, die sich in den javanischen Städten zu einer ansehnlichen Bewegung entwickelt hatten. In Jakarta und anderen Städten werden Singvögel verschiedenster Arten zu Gesangswettbewerben angemeldet, bei denen sie ihren Besitzern viel Geld einbringen können.22 Nach Angaben von Nils Bubandt, der diese Wettbewerbe untersucht, werden neu identifizierte Vögel von den Vogelliebhabern als besonders wertvoll angesehen.23 Es dauerte nicht lange, bis die Vogeljäger die neu benannten Vögel des Meratus-Gebirges ins Visier nahmen. Als ich im Juni 2022 ankam, waren die Märkte am Waldrand bereits voll mit Kisten für diese Vögel, die in Röhren zu zehn Stück verschickt wurden. Die Vögel lassen sich relativ leicht mit Vogelleim fangen.

Gegenüber meinen Meratus-Freunden hatte ich, was den Schutz der Vögel anging, Bedenken geäußert, hatten sie doch behauptet, dass Meratus-adat den Wald und seine Bewohner schützen würde. Sie meinten, der richtige Weg, mit der Situation umzugehen, wäre ein Zusatz zu den adat-Regeln, die inzwischen im Dorf galten; Vogeljäger könnten dann mit einer Geldstrafe belegt werden. Natürlich stellte sich die Frage, wie man die Vogeljäger aufspürt, wenn man bedenkt, dass sie im ganzen Wald unterwegs sind und dort zudem eine Reihe von sinnvollen Tätigkeiten ausüben. Außerdem, so teilte man mir mit, können die adat-Regeln nur alle drei Jahre überarbeitet werden. Ich hielt es durchaus für möglich, dass die beiden neuen Arten ausgestorben sein könnten, noch bevor die adat-Revision durchgeführt werden konnte.

Taxonomie, Vogelgesang und adat reiben sich aneinander und erzeugen unerwartete Friktionen. Ich trauere um die Vögel.

Zurück zu den Anfängen

Seit der ersten Veröffentlichung von Friktionen ist mein Meratus-Dayak-Bruder ein Ältester geworden – so wie ich. Jetzt ist er dafür zuständig, mit dem Reis zu sprechen, ihn auf eine fruchtbare Reise zu schicken und ihn bei der Ernte wieder zu begrüßen. »Reise zu den Höfen der Könige«, weist er den Samen bei der Aussaat an und fordert ihn auf, sich Freunde an mit Wohlstand gesegneten Orten zu suchen. »Werde derjenige, der das Kind des Herrschers schaukelt.« Zur Erntezeit ruft er den Reis zurück und hinauf ins Haus, dem er Reichtum und Freunde bringen soll. »Schon gesättigt von Regen und Wind, schon gesättigt von Abend und Nacht, steig auf wie Ameisen am Weinstock; sammle ein wie eine Henne, die ihre Küken ruft.« Aber selbst dann: »Schließ die Tür nicht ab, lade den König der Hirsche ein, lade den König der Fische ein, lade den König der Wildschweine ein.« Reis allein reicht nicht aus, um übers Jahr gut zu essen.

Nach der Ernte, wenn der neue Reis gedroschen ist, werden die leeren Rispen auf einen Haufen nach draußen gebracht und verbrannt. (Das Getreide wird Halm für Halm mit allen Rispen geerntet.) Zufällig habe ich ein Foto eines Haufens brennender Halme (von meiner früheren Feldforschung) als Titelbild der ersten englischen Ausgabe von Friktionen verwendet; es ist auch in dieser Ausgabe abgebildet. Für dieses Titelbild waren intensive Verhandlungen mit der Presseabteilung erforderlich, bei denen einige andere Möglichkeiten verworfen wurden. Das Foto, auf das wir uns schließlich einigten, gefiel mir, weil es auf die Reibung des Feuermachens anspielte; ich glaube, die Presseabteilung war einverstanden, weil sie dachte, es handele sich um einen Waldbrand. Ich hatte nicht klargestellt, dass es sich um einen viel bescheideneren Brand handelte, nämlich das absichtliche Verbrennen der Halme nach dem Dreschen. Aber auch ich hatte die Bedeutung des Verbrennens nicht wirklich gekannt. Da mein Bruder nun ein Ältester geworden war, erläuterte er sie mir. Der Rauch ist:

Putir mandi harang

Putir mandi habu

Umbangnya panjahatnya

Badiri manyantuk pulau

Baduduk manyasak alam

Putir Galuh Kuasa

Die Prinzessin, die in Holzkohle badet

Die Prinzessin, die in Asche badet

Ihre Kleider und ihr Körper sind schmutzig

Sie steht und reckt sich in den Kosmos

Sie sitzt und überzieht die Welt

Die Prinzessin der Macht.

Der Rauch aus dem Verbrennen nach dem Dreschen steigt auf und wird zu Wolken, die wiederum zu Regen werden und Felder und Wälder beleben. Dies ist eine Form der Macht. Das Verbrennen der Halme schließt den Reiskreislauf ab, indem der Rauch den Regen anregt.

Ich weiß nicht genau, ob das Buch eine ebenso optimistische Lesart des Rauchs bietet. Gleichwohl ist es angebracht, sich der neuen Ausgabe mit dem Gedanken zu widmen, dass Erneuerung möglich ist. Immerhin wächst zumindest in diesem Dorf ein durch Feuer entstandenes Moor zu einem Wald heran, der Wasser und Land und die biologische Vielfalt erneuert – ein Beispiel dafür, wie wir alle leben sollten. Immerhin handelt es sich um das Dorf, das die Straße blockierte.

Vorwort

Von außen betrachtet erschien Indonesien in den letzten dreißig Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts häufig als ein betriebsamer, aber ruhiger Ort, bekannt für seine Strände und die Möglichkeit, gute Geschäfte zu machen. Dann, plötzlich, zur Jahrtausendwende, schien das Land auseinanderzufallen. Nachrichten von Finanzkrisen, politischen Skandalen, ethnischen und religiösen Konflikten und dem Kampf um Ressourcen machten die Runde. Schaut man nur ein wenig genauer hin, wird deutlich, dass sich diese Tumulte und Katastrophen der Politik und den Machenschaften der vorausgegangenen dreißig Jahre verdankten, die angeblich von Frieden und Fortschritt geprägt waren. Man führe sich nur die berühmten Regenwälder und indigenen Kulturen Indonesiens vor Augen. Mit dem von General Suharto (1966–1998) verhängten Regime der »Neuen Ordnung« (Orde Baru) verwandelte sich das Business in ein Raubtier. Entstanden aus dem Zusammenspiel von Vetternwirtschaft, internationalem Finanzwesen und militärischer Gewalt, weidete es sich an billigen Rohstoffen, die ländlichen Gemeinschaften illegal entrissenen wurden. Kein Wunder also, dass 1998, nach dem Rücktritt Suhartos, die Dorfgemeinschaften zu neuem Selbstbewusstsein fanden und ihre lokalen Rechte geltend machten. Kein Wunder auch, dass angesichts der Gewalt, mit der die Unternehmen Enteignungen vorgenommen hatten, lokale Beschwerden aller Art zu einer gefährlichen Gemengelage führten. Dorfgruppen kämpften und verbündeten sich mit illegalen Holzfällertrupps, mit Sicherheitskräften von Unternehmen, mit Gangstern, Lobbyisten, religiösen Splittergruppen, Bezirksbeamten, Polizisten und Armeeangehörigen.

Das vorliegende Buch beschreibt die kulturellen Prozesse, in deren Verlauf räuberische Geschäftspraktiken auf der einen und örtliche Selbstbehauptungskräfte auf der anderen Seite die Regenwälder Indonesiens kennzeichneten. Weite Strecken meiner Erzählung beruhen auf Feldarbeit in den Bergen Südkalimantans, wobei es sich um Forschungen handelt, die sich nur schwer auf ein Dorf, eine Provinz oder eine Nation begrenzen lassen. Es ist eine Geschichte, in der unter anderem nordamerikanische Investmentpraktiken und die Börse, brasilianische Kautschukzapfer und Waldschützer, Umweltprogramme der Vereinten Nationen, internationale Bergsteigerei und andere Abenteuersportarten sowie demokratische Politik und der Sturz des Suharto-Regimes eine Rolle spielen. Indem ich all diese Terrains abdecke, stelle ich eine Ethnografie der globalen Verflechtungen vor. Mit dem Ausdruck »global« ist keineswegs gemeint, alles auf der Welt zugleich erklären zu wollen. Vielmehr bietet er eine Möglichkeit, über die Geschichte sozialer Projekte – wozu auch »Business« und »lokale Selbstbehauptung« gehören – nachzudenken. Denn solche Projekte entstehen erstens aus räumlich weit gespannten Formen der Zusammenarbeit und Vernetzung. Und zweitens ist die kulturelle Vielfalt aus dieser Vernetzung keineswegs verbannt, im Gegenteil, sie macht Letztere mit all ihren Eigentümlichkeiten erst möglich, denn sie trägt eine kreative Reibung in die globalen Verflechtungen ein. Diese Friktion ist das Thema meines Buchs.

Zum ersten Mal war ich von der Möglichkeit fasziniert, ökologische Verflechtungen über Unterschiede hinweg in den Blick zu nehmen, als ich 1994 bei Feldforschungen in Indonesien auf ein kurioses Missverständnis stieß. Obwohl ich mich freute, alte Freunde und meine Gastfamilie zu sehen, war es für mich damals in den Meratusbergen Südkalimantans, wo ich forschte, eine verstörende Zeit. Holzunternehmen hatten neue Straßen in die Landschaft geschlagen. Viele meiner Dayak-Freunde waren angesichts der Zerstörung der Wälder, die ihnen als Wanderfeldbauern und Wildbeuter ein Auskommen boten, bedrückt. Als ich mir bei meinen Fahrten durch das Land die Meinungen zu den Abholzungen anhörte, wiesen mich mehrere meiner Gesprächspartner auf einen Moment der Hoffnung hin: eine Kampagne, der es 1986 gelungen war, eine Holzfirma aus einem Meratus-Dorf zu verjagen. Ich beschloss, mehr über diese Kampagne herauszufinden, die von Dorfältesten in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Naturfreunden in der Provinzhauptstadt sowie, auf nationaler Ebene, mit Naturschützern aus Jakarta organisiert worden war. Zufällig kannte ich etliche der Protagonisten oder hatte von ihnen gehört, und so bot sich mir die Gelegenheit, die wichtigsten Teilnehmer zu befragen. An der Kampagne selbst hatte ich natürlich nicht teilgenommen. Die Geschichten, die mir darüber erzählt wurden, wusste ich deshalb umso mehr zu schätzen. Denn in diesen Erzählungen wurde etwas sehr Merkwürdiges sichtbar: Sie schienen von unterschiedlichen Ereignissen zu berichten. Wurden die Befragten mit den Schilderungen der anderen Erzähler konfrontiert, fanden sie sie fantastisch, unwirklich. Mir blieb nur, die systematischen Missverständnisse zu notieren, durch die sich die Dorfältesten, die Naturfreunde aus der Provinz und die landesweit agierenden Naturschützer unterschieden. Und doch hatten ihnen diese Missverständnisse – aus denen so gut wie keine Konflikte entstanden – erlaubt, zusammenzuarbeiten!

Diese einander widersprechenden Gespräche verdeutlichten mir ein zentrales, jeder gesellschaftlichen Mobilisierung gemeinsames Merkmal: Sie basiert darauf, mehr oder weniger anerkannte Unterschiede in den Zielsetzungen, Inhalten und Strategien des betreffenden Anliegens zu verhandeln. Dabei, und dies gilt es zu verstehen, geht es nicht darum, die Perspektiven zu vereinheitlichen, sondern zu erkennen, wie sich die Vielfalt so gut wie möglich einsetzen lässt. (Auf die Vorgänge rund um die Antiholzfäller-Kampagne im Meratus-Gebirge und ihre Bedeutung gehe ich ausführlicher in Kapitel 7 ein.) Die Befragungen bestätigten zudem die praktische Nützlichkeit der flickenhaften ethnografischen Feldforschung, die ich zu diesen Themen unternommen hatte. War ich einerseits nicht bereit, eine ethnografische Methode aufzugeben, die, anstatt einem vorformulierten Forschungsprotokoll zu folgen, eher darauf angelegt war, den Ethnografen zu überraschen, so war es andererseits unmöglich, jede soziale Gruppe, die jeweils ein Glied in einer globalen Kette darstellte, ethnografisch vollständig zu würdigen. Mein Experiment bestand darin, mich zwischen dem Meratus-Gebirge, in dem ich bereits seit Langem einen ethnografischen Hintergrund hatte, und den Orten entlang der zu erkundenden Kette hin- und herzubewegen.1 Mein Wissen ist mal ethnografisch, mal journalistisch, mal archivarisch und organisiert sich in einzelnen Flecken oder Patches. Ich suche eher nach merkwürdigen Zusammenhängen als nach bruchlosen Generalisierungen, wie sie etwa in Tabellen oder vergleichenden Diagrammen zu finden sind.

Wie betreibt man eine Ethnografie globaler Verflechtungen? Diese Frage hat den Sozialwissenschaften eine Zeitlang Kopfzerbrechen bereitet, denn ursprünglich war das Fach auf kleine Gemeinschaften ausgerichtet. Meine Antwort bestand darin, mich auf Bereiche ungelenken Engagements zu konzentrieren, wo Worte, selbst wenn die Bereitschaft bestand, miteinander zu sprechen, die Unterschiede kaum überbrücken konnten. Diese Bereiche kultureller Reibung sind kurzlebig; sie entstehen aus Begegnungen und Interaktionen. Sie tauchen mit wechselnden Ereignissen an anderen Orten wieder auf. Als Möglichkeiten, sie zu erforschen, fallen mir nur das Patchwork und der Zufall ein. Das Ergebnis einer solchen Forschung ist vielleicht keine klassische Ethnografie, kann aber, insofern als es auf den Lernerfahrungen des Ethnografen beruht, zutiefst ethnografisch sein.

Dieses Buch ist von zahlreichen ethnografischen Lernerfahrungen geformt worden. Eine der wichtigsten ergab sich schon früh während meiner Forschungen im Meratus-Gebirge: Die Waldlandschaft ist eine soziale Landschaft. Anfangs habe ich diese Wälder mit den Augen einer Naturforscherin betreten. Ich staunte über die Artenvielfalt und bewunderte die Aussicht, die sich mir von zahlreichen Höhenzügen bot. Erst als ich mit den Meratus Dayak unterwegs war und arbeitete, lernte ich die Wälder mit anderen Augen zu sehen. Der Wald, den sie mir zeigten, war ein Terrain individueller Biografie und der Geschichte von Gemeinschaften. In den Wäldern verfolgten Einzelpersonen und Familien die Spuren ihrer Geschichte: Hauspfosten ergrünten wieder zu Bäumen. Auf alten Brandrodungsflächen wuchs wieder Wald. In den aufwachsenden Wäldern wurden Obstbäume und Rattanpalmen gepflanzt, Baumriesen ausgelichtet und wegen ihres Potenzials, Honigbienen anzulocken, von einzelnen Personen oder Gruppen beansprucht. Die Menschen lasen die Landschaft sowohl in ihren sozialen als auch in ihren natürlichen Dimensionen. In diesen sich überlappenden Geschichten, aber auch an den wechselnden Siedlungsplätzen – wobei die alten Stellen Inseln mit reicherem Baumbestand bildeten – wurden Gemeinschaften gegründet. (Diese Landschaft wird in Kapitel 5 beschrieben.) Doch in nahezu der gesamten akademischen Welt und in der Politik wird der Wald immer noch als wilder, außerhalb der Gesellschaft stehender Naturraum beschrieben. Wenn die Meratus-Wälder als sozialer Raum identifiziert würden, würden sich die in diesem Gebiet vorherrschenden und ihm aufgebürdeten Formen sowohl des Ressourcenraubbaus als auch des Naturschutzes wahrlich als überaus sonderbar ausnehmen.

Als ich wieder in das Meratus-Gebirge zurückkehrte, um meine Forschungen fortzusetzen, war etwas Neues eingetreten, das nun in den Vordergrund rückte. Holzfällerunternehmen waren eingerückt und machten Obstgärten, Rattanpflanzungen und alte Siedlungsplätze platt. Die Menschen aus meinem Bekanntenkreis waren wütend und beunruhigt; ein paar Jahre später waren sie resigniert und deprimiert. (Danach allerdings wurde durch die Wirtschaftskrise und eine neue Anti-Abholzungs-Kampagne die Wut wieder entfacht.) Ich fühlte mich von ihren Emotionen überrannt und war – wie ich meine, durchaus zu Recht – außerstande, einen leidenschaftslosen Bericht zu verfassen. Was aber sollte ich schreiben? Zum einen waren Aktivistenberichte über die krummen Touren von Unternehmen gegenüber der indigenen Bevölkerung so verbreitet, dass meine Geschichte vielleicht überflüssig und leicht abzutun wäre. Zum anderen erinnerten mich meine Universitätskollegen, unglücklich über die groben Vereinfachungen dieser Berichte, an den Umstand, dass viele Menschen von der Holzwirtschaft und dem nachfolgenden Bergbau- und Plantagenboom profitieren würden. Ich kannte Städter, Einwanderer und sogar ehrgeizige Ortsansässige, die damit gutes Geld verdient hatten. Meine Perspektive war jedoch durch die Bauern und Wildbeuter, mit denen ich Umgang pflegte, geprägt worden. Ihre Geschichte wollte ich erzählen. Um dies angemessen zu tun, so meine Überlegung, durfte ich das Leid nicht umgehen, sondern musste es in den Mittelpunkt rücken: Ich wollte mich auf das am meisten in Mitleidenschaft gezogene Gebiet konzentrieren, speziell über das Leid schreiben und einen ethnografischen Schreibstil verwenden, um es so anschaulich wie ich nur konnte zu schildern (siehe Kapitel 1). Wenn diese Geschichte es wert war, erzählt zu werden, dann verdiente sie eine »hörbare« Spur.

Dem Nachdenken über die Enteignungen im Meratus-Gebiet kam in großen Teilen zu Hilfe, dass in den späten 1980er- und 1990er-Jahren die indonesische Umweltbewegung aufblühte (siehe Kapitel 6). Trotz Militärherrschaft, Zensur und einer Atmosphäre der Angst existierte hier eine Bewegung, die sich für Demokratie, die Rechte marginalisierter Gruppen und die Untrennbarkeit von Naturschutz und Gerechtigkeit einsetzte! Es war toll, diese Dialogpartner bei meinen Forschungen dabeizuhaben. Ich spürte aber auch, dass mir jeder Dialog, an dem ich teilhatte, bei meiner Feldarbeit und für mein Schreiben eine gewisse Verantwortung auferlegte. Indonesische Umweltaktivisten arbeiten in einer internationalen von Wissenschaft und Politik geprägten Kultur; sie haben ein feines Gespür für die Macht US-amerikanischer Wissenschaftler, die ihre Meinung äußern, ohne die Folgen vor Ort zu bedenken. Mein ethnografisch veranlasster Umgang mit den Aktivisten lehrte mich ein gewisses Maß an Zurückhaltung und Umsicht: Es gibt zahlreiche Dinge, über die zu forschen oder zu schreiben sich verbietet. Damit meine ich nicht, dass ich meinen Bericht schöngefärbt hätte, sondern ich habe meine Forschungsthemen in einer Weise ausgewählt, die mir für den Aufbau einer von Respekt und Zusammenarbeit geprägten internationalen Öffentlichkeit angemessen und tatsächlich auch geeignet erscheint.

Zwischen 1966 und 1998 wurde Indonesien von Präsident Suharto und seinem autoritären Regime regiert. Nach massiven Studentenprotesten trat Suharto zurück, und langsam begann eine Ära der Reformen und des Übergangs. Was den Charakter der Politik, die Beziehung von Stadt und Land, die Rolle von Nichtregierungsorganisationen und den Umgang mit natürlichen Ressourcen angeht, hat sich inzwischen vieles verändert. Obgleich ich meine Forschungen weitergeführt habe, auch um die neue Situation zu verstehen, habe ich mich in dem vorliegenden Buch auf die Zeit ab den späten 1980er-Jahren bis Ende der 1990er-Jahre konzentriert, als der Ressourcenabbau, von zentralen Stellen angeordnet, rasant und unverantwortlich erfolgte und die Umweltbewegung in ihrem Widerstand am heroischsten agierte. Von den Formen und Kategorien, die sich damals etabliert haben, sind Politik und politische Auseinandersetzung bis heute geprägt.

Regierungswechsel in anderen Teilen der Welt hatten ebenfalls Einfluss auf mein Schreiben. Die globalen Bestrebungen der USA haben in Nordamerika und anderswo zu einer Kultur- und Politikauffassung geführt, die vor allem durch zwei große und gefährliche Konzepte geprägt ist: das der »Globalisierung«, das in seiner simpelsten Form den Traum von einer Welt befördert hat, in der alles Teil eines einzigen imperialen Systems ist, und das des »Terrorismus«, das in seiner erschreckendsten Ausprägung davon ausgeht, dass jeder Unterschied in Wirklichkeit Barbarei sei, die darauf abziele, anständige Menschen zu foltern. Über kulturelle Differenz zu schreiben ist heute, da die öffentliche Debatte von diesen beiden irreführenden Konzepten und den aus ihnen hervorgegangenen Theorien der Universalität und der Zivilisation bestimmt ist, heikler und wichtiger denn je geworden. Die Annahme, dass Unterschiede, die in den globalen Verflechtungen gären, wundersamer und kreativer sind als alles, was sich diese erstickenden und tödlichen Theorien ausmalen können, erfordert einen gewissen unvernünftigen Optimismus.

Das vorliegende Buch ist das Ergebnis vielseitiger Zusammenarbeit. Was meine Forschung im Meratus-Gebirge Kalimantans anbelangt, danke ich besonders meinen Adoptivgeschwistern, die ich Uma Adang und Ma Salam rufe. Sie haben mir zu unschätzbaren Einblicken verholfen. In Südkalimantan waren mir die Familien von Hasan und Zainab und Iyan und Anisyah stets freundliche Gastgeber gewesen. In den verstorbenen Professoren Koesnoe und Radam fand ich äußerst großzügige Gesprächspartner. Meine jüngere Arbeit wurde von vielen Aktivisten und engagierten Wissenschaftlern unterstützt. Besonders dankbar bin ich für die zahlreichen Momente der Unterstützung und der Gastfreundschaft, die mir Emmy Hafild, Sandra Moniaga, Bambang Widjojanto, Arimbi Heroepoetri, Tri Nugroho, Agus Purnomo, Dea Sudarman, Chalid Mohammad, Professor Abdurrahman, Professor Abby, Professor Budairi, Rahmina und alle Aktivisten der Lembaga Pembelaan Masyarakat Adat entgegenbrachten. Jeffrey Campbell, Philip Yampolsky und Mary Zurbuchen, die Programmbeauftragten der Ford Foundation in Jakarta, stellten sich als überaus hilfreiche Gastgeber heraus. Judith Mayer und Stephanie Fried vermittelten Kontakte und sprachen mit mir über meine Forschung.

Verschiedene Teile des Buches erforderten spezielle Recherchen. Das Kapitel über Naturfreunde wurde durch die Zusammenarbeit mit Mercedes Chavez P. ermöglicht, die dabei half, das Projekt in Yogyakarta durch ihre eigenen Kontakte dort aufzubauen. Einer der spannendsten Aspekte bei der Recherche über Naturfreunde ist, dass Letztere selbst von der Forschung fasziniert sind. Sobald ich mit Fragen kam, rannten meine Informanten los, um ihre Freunde zu interviewen, um mir Zeitungsartikel und Naturzeitschriften anzubieten und manchmal sogar kurze Aufsätze über Naturbegeisterung zu schreiben. Was ich hier berichte, verdanke ich der koordinierten Recherche all derjenigen, mit denen ich über die Liebe zur Natur gesprochen habe. Mein besonderer Dank geht an »Ceplies« Dyah Sutjiningtyas, Bambang Ponco Soewanto und Sigit Murdawa. Auch die Gespräche mit Peter Adeney waren mir eine große Hilfe. Ich hoffe, dass ich das, was mir von einer so enthusiastischen Mannschaft nahegebracht wurde, in seinem Kern nicht entstellt habe.

Universitätskollegen und Freunde in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus haben ebenfalls zu diesem Buch beigetragen. Wie bei allen wissenschaftlichen Arbeiten ist es tatsächlich schwierig, die eigenen Erkenntnisse von den Ideen anderer zu trennen. Profitiert habe ich von der Lektüre früherer Fassungen meiner Kapitel durch Warwick Anderson, Arjun Appadurai, Kathryn Chetkovich, Timothy Choy, James Clifford, Paulla Ebron, Lieba Faier, Susan Harding, Michael Hathaway, Eben Kirksey, Tania Li, Celia Lowe, Jitka Maleckova, Nancy Peluso, Lisa Rofel, Daniel Rosenberg, Shiho Satsuka, James Scott und Mary Steedly. Einige dieser Kollegen waren außerordentlich geduldig, lasen mehrere Fassungen und halfen mir über viele Jahre hinweg mit ihren Ratschlägen. Ich weiß nicht, wie ich ihnen danken soll. Gespräche mit Itty Abraham, Peter Brosius, Carol Gluck, Donna Haraway, Gail Hershatter, Renato Rosaldo, Michael Ross, Ann Stoler, Toby Volkman, Sylvia Yanagisako, Charles Zerner und dem SSRC Regional Advisory Panel on Southeast Asia haben mich in meinem Denken inspiriert.

In den Jahren, in denen ich an diesem Buch gearbeitet habe, konnte ich mich auf die Forschungsassistenz von Julie Beck, Benjamin Bray, Karen Ho, Mora McLagen, Scott Morgensen, Rheana Parrenas, Bettina Stoetzer und Yen-ling Tsai stützen. Susan Watrous brachte ihre Fähigkeiten und ihren Enthusiasmus ein, um alle Details zusammenzutragen. Ihnen bin ich sehr dankbar.

Die Zeit, die ich zwischen 1994 und 1995 am Institute for Advanced Studies in Princeton verbrachte, ermöglichte es mir, in den Umweltwissenschaften Fuß zu fassen. Während meines Forschungsaufenthalts am Humanities Research Institute der University of California im Jahr 1997 konnte ich mir den Entwurf des ersten Kapitels erarbeiten. Ein Stipendium am Center for Advanced Studies in the Behavioral Sciences, Stanford, in den Jahren 1999–2000, gab mir die Gelegenheit, das Buch abzuschließen. Dankbar bin ich zudem den Studenten und Dozenten an den Universitäten, die mich eingeladen haben, über das Werk zu sprechen, während es entstand.

Die Namen der Personen, die in diesem Buch auftauchen, sind Pseudonyme, ebenso wie die Namen von Dörfern. Für wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und große Städte verwende ich Realnamen.

Versionen der ersten Hälfte von Kapitel 1 erschienen in Economic and Political Weekly2 und in Histories of the Future, herausgegeben von Susan Harding und Daniel Rosenberg, Duke University Press. Eine Fassung von Kapitel 2 erschien in Public Culture.3

Die Listen auf den Vorsatzblättern am Anfang und Ende dieses Buches beruhen auf einem Gespräch mit einer einzelnen Person, die diese Lebensformen aus dem Gedächtnis erinnerte, ohne dass sie auf materielle Grundlagen zurückgriff. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Erstellung dieser Liste wird in dem Zwischenspiel vor Kapitel 5 beschrieben.

Die Fotos, die Teil I und Teil II vorangestellt sind, wurden von der Autorin in den Jahren 1994 und 2000 aufgenommen. Das Foto, das Teil III vorangestellt ist, zeigt ein Plakat, das mit Genehmigung der Aliansi Meratus reproduziert wurde.

Einleitung

Globale Verflechtungen sind allgegenwärtig. Wie also erforscht man das Globale?

Dieses Buch handelt von dem Streben nach globaler Verflechtung und wie sie aus der »Reibung«, der Griffigkeit konkreter Begegnungen entsteht. Kapitalismus, Wissenschaft und Politik hängen von globalen Verflechtungen ab. Sie verbreiten sich alle aus dem Bestreben, universale Visionen und Projekte zu verwirklichen. Dabei handelt es sich um eine besondere Form von Universalität: Sie kann nur in der zähen Materialität praktischer Begegnungen mit Leben erfüllt und umgesetzt werden. Dieser praktischen, instrumentalisierten Universalität geht dieses Buch nach und begreift sie als Wegweiser durch die Sehnsüchte und Alpträume unserer Zeit.

Die postkoloniale Theorie stellt die Wissenschaft vor die schwierige Aufgabe, ihre Arbeit so zu positionieren, dass sie weder dem Universalen noch dem kulturell Besonderen in die Falle geht.1 Beide Konzepte waren Strategien des kolonialen Wissens, eines Wissens, das die Überlegenheit des Westens gegenüber seinem Anderen legitimieren sollte. Beim Studium kolonialer Diskurse haben sich Sozialwissenschaftler und Historiker jedoch auf das kulturell Besondere beschränkt. Der Geschichte des Universalen wurde weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl Letzteres ebenfalls aus der kolonialen Begegnung hervorgegangen ist. Hier wurde eine spezifische Valenz für das Universale erzeugt; das Universale ist, was wir, um es mit Gayatri Spivak zu sagen, nicht nicht wollen können, auch wenn es uns so häufig ausschließt.2 Das Universale bietet uns die Chance, Teil der globalen Menschheitsbewegung zu sein. Wir können es nicht ablehnen. Wir können aber auch nicht frühere Versionen kopieren, ohne die Genealogie unserer eigenen Verpflichtungen und Ansprüche mit einzubeziehen. Gleich ob wir uns innerhalb oder außerhalb des Westens verorten, wir sind an die im kulturellen Dialog geschaffenen Universalien gebunden. Diese Form des post- und neokolonialen Universalen hat der liberalen Politik sowie dem Wirtschaftsneoliberalismus Auftrieb gegeben und dazu beigetragen, dass sie sich seit Ende des Kalten Kriegs mit solcher Lebhaftigkeit in der Welt verbreitet haben. Davon ist auch das akademische Wissen nicht ausgenommen; jede Wahrheit formt sich in der Auseinandersetzung, wie chaotisch diese auch ausfällt, mit dem Streben nach dem Universalen.

Dieses Buch ist keine Philosophiegeschichte, sondern eher eine Ethnografie globaler Verflechtungen. Die Besonderheit solcher Verflechtungen erinnert uns stets daran, dass universale Ansprüche nicht überall alles gleich machen. Globale Verflechtungen verleihen dem Streben nach Universalität eine Art Griffigkeit. Indem es sich durch globale Verflechtungen arbeitet, erkundet das Buch ethnografische Methoden, mit denen sich das Wirken des Universalen untersuchen lässt. Wenn wir nicht mehr am Universalen als einer sich selbst erfüllenden abstrakten Wahrheit festhalten können, müssen wir uns in konkrete Situationen hineinbegeben. So besehen ist es immer, und immer wieder von Neuem, notwendig, dass wir uns mitten ins Getümmel stürzen.

Während der letzten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts ist in den Regenwäldern Indonesiens etwas Schockierendes geschehen: Biotope der Artenvielfalt, die sich über Jahrmillionen entwickelt hatten, wurden gerodet, niedergebrannt und der Erosion preisgegeben. Die Landschaftsveränderung fand in einem Tempo statt, über das man nur staunen konnte. Mit allmählicher Bevölkerungsexpansion, mit gewachsener Nachfrage oder Märkten ließ sie sich nicht mehr erklären; im Übrigen waren Erzeugnisse aus diesen Wäldern bereits seit hunderten Jahren weltweit vermarktet worden. Die Unternehmen wuchsen in einem Maß, das zu einer anscheinend unerklärlich chaotischen, ineffizienten und gewaltsamen Zerstörung der Ressourcen führte, von denen es zehrte. Merkwürdiger noch: Einfache Menschen, selbst solche, die ihren Lebensunterhalt aus dem Wald bezogen, schienen mit den Konzernen aus dem fernen Ausland gemeinsame Sache zu machen und an der Schaffung unbewohnbarer Landschaften mitzuwirken.3

In Indonesien wurde diese hässliche Situation zum Sinnbild für die Gefahren des Imperialismus und die Untaten eines korrupten Regimes. Der Widerstand gegen die von Staats- und Unternehmensseite veranlasste Zerstörung der Lebensgrundlage der Waldbewohner wuchs sich zu einem Schlüsselelement der demokratischen Bewegung aus, die in den 1980er- und 1990er-Jahren aufkeimte. Es entwickelte sich eine innovative Politik, die Stadt und Land miteinander verband, und, über unterschiedliche Standpunkte und Erfahrungen hinweg, Aktivisten, Studenten und Dorfbewohner ins Gespräch brachte. Was diese Mobilisierung an Erkenntnissen und wechselnden Perspektiven hervorbrachte, wurde außerhalb Indonesiens nur wenig zur Kenntnis genommen. Aber darin artikulierten sich die zentralen Probleme unserer Zeit: Warum ist der globale Kapitalismus so chaotisch? Wer spricht für die Natur? Welche Formen sozialer Gerechtigkeit sind im einundzwanzigsten Jahrhundert sinnvoll?

Keine dieser Fragen lässt sich beantworten, ohne die globalen Verflechtungen zu berücksichtigen. Die Wälder Indonesiens wurden nicht zerstört, um den Bedarf vor Ort zu decken, vielmehr gingen die Produkte, die ihnen entnommen wurden, in die ganze Welt hinaus. Der Umweltaktivismus blühte nur auf, weil er von einer globalen Bewegung angespornt und unterstützt wurde. Doch die gängigen Erzählungen über die Herausbildung einer globalen Kultur sind für das Verständnis der genannten Phänomene nur wenig hilfreich. Denn hier zeigt sich keine triumphale globale Integration. Sowohl das chaotische Gewühl der Landschaftszerstörung als auch der wütende Protest radikaler Kritiker sind aus Uneinigkeit, Fragmentierung und regionaler Ungleichheit entstanden. Was wir hier sehen, sind die unerwartet weitreichenden Wirkungen einzelner historischer Begegnungen. Ein Dorfbewohner zeigt einem Bergarbeiter aus Nordamerika Gold; für den Handel mit Sperrholz wird ein japanisches Handelsmodell übernommen; Studenten, die aus der Politik verbannt wurden, machen sich daran, durchs Land zu wandern; ein Minister zeigt sich von einer Umweltkonferenz der Vereinten Nationen inspiriert: In diesen eng gefassten Situationen werden die Weichen für künftige »globale« Entwicklungen gestellt. Anstatt die evolutionäre Entfaltung einer neuen Epoche zu erzählen, geht meine Geschichte den Provisorien nach, die Entfernungen und Unterschiede überbrücken und die globale Zukunft gestalten – und für ihren prekären Status sorgen.

Dieses Buch möchte zeigen, dass sich relativ neue kulturelle Formen – darunter Waldzerstörung und Umweltaktivismus – beharrlichen, aber unvorhersehbaren globalen Begegnungen über Unterschiede hinweg verdanken. Diese These ist eine Erweiterung meiner früheren Forschung, in der ich untersuchte, auf welche Weise anscheinend isolierte Kulturen, etwa Bewohner des indonesischen Regenwalds, im nationalen und transnationalen Dialog geformt werden.4 Vormals behandelte die Wissenschaft solche Kulturen als Beispiele für das sich aus sich selbst heraus erschaffende Wesen der Kultur. Zunehmend ist jedoch deutlich geworden, dass alle menschlichen Kulturen im Laufe langer historischer Prozesse in regionalen bis globalen Netzwerken aus Macht, Handel und Bedeutung geformt und umgeformt werden. Da immer mehr neue Belege für diese historischen Prozesse aus allen Richtungen in die wissenschaftliche Welt einsickern, ist die Vorstellung, machtlose Minderheiten hätten sich globalen Kräften angepasst, in Fachkreisen inzwischen durchaus akzeptabel geworden. Allerdings besteht die größere Herausforderung darin, diese Aussage umzukehren und die These zu vertreten, dass auch globale Kräfte ein Konglomerat lokal-globaler Wechselwirkungen sind.

Die Herausforderungen kommen aus verschiedenen Richtungen. Machtvolle Denkgewohnheiten stehen einer Erforschung der Thematik im Wege. Zum Beispiel ordnen die meisten Globalisierungstheorien sämtliche kulturellen Entwicklungen einer einzigen Agenda zu: der Entstehung eines globalen Zeitalters. Wenn sich die Globalisierung von vornherein vorhersagen lässt, dann lässt sich aus der Forschung nur die Erkenntnis gewinnen, wie sich der Plan im Einzelnen gestaltet. Und wenn die Zentren der Welt die dynamischen Impulse für den globalen Wandel liefern, warum sollte man dann noch mehr periphere Gebiete untersuchen? Selbst kreative Studien der Peripherie werden vereitelt. Machtvolle sozialwissenschaftliche Richtlinien katalogisieren und vergleichen Entwicklungen im globalen Süden mit einem distanzierten imperialen Blick und halten uns von der Arena fern, in der die kulturellen Folgen tatsächlich eine Rolle spielen. Wenn Indonesien nur ein Haufen von Daten ist, dann mag dies für den kosmopolitischen Leser informativ sein, aber seine globalen Begegnungen werden auf den gemeinsamen Raum, in dem Indonesier und Nichtindonesier Ängste, Spannungen und Unsicherheiten erleben, keinen gestaltenden Einfluss haben. In diesem gemeinsamen Raum aber schlägt die Kontingenz der Begegnungen zu Buche. Um dorthin zu gelangen, muss ich einen theoretischen Pfad einschlagen, der weit über die Wälder Indonesiens hinausreicht. Aber lassen sich globale Verflechtungen überhaupt mit ethnografischen Mitteln erfassen? Wo überhaupt das Globale verorten, um es zu untersuchen? Selbst diejenigen, die entschlossen sind, solche Forschungen durchzuführen, tun sich schwer, einen Weg dafür zu finden.

Um diese Herausforderungen anzugehen, entwickelt das vorliegende Buch ein Portfolio unterschiedlicher Methoden, mit denen sich die produktive Friktion der globalen Verflechtungen untersuchen lässt. Was geschieht, wenn japanische Händler indonesische Bäume kaufen, wenn Armeeoffiziere Vereinbarungen mit Naturfreunden treffen oder wenn Studenten sich mit Dorfältesten zusammensetzen? Mein Ausgangspunkt ist die Vorstellung, dass die chaotischen und überraschenden Merkmale solcher Begegnungen über Unterschiede hinweg unsere Modelle der Kulturproduktion informieren. Als Reaktion auf die landläufige und überzogene Begeisterung für programmatische globale Vorhersagen betone ich lieber die unerwarteten und instabilen Aspekte globaler Wechselwirkungen. Um die enge Sicht kultureller Erklärungen, die lediglich auf die internen Reproduktions- und Wachstumspläne ausgerichtet sind, zu erweitern, verdeutliche ich die Bedeutung von interkulturellen und große Entfernungen überbrückenden Begegnungen bei der Herausbildung all dessen, was wir als Kultur bezeichnen.5 Kulturen koproduzieren sich fortwährend in den Wechselwirkungen, die ich »Friktion« nenne: die ungelenken, ungleichen, instabilen und kreativen Qualitäten der Vernetzung über Unterschiede hinweg. Jedes Kapitel dieses Buchs entwickelt eine Methode, mit der sich derartige Aspekte kontingenter Begegnungen besser verstehen lassen.

Obgleich die Situation in Indonesien speziell ist, führt sie uns doch mitten in die lebhaftesten Debatten und Diskussionen aktueller wissenschaftlicher Betrachtungen. So haben sich linke Akademiker darüber den Kopf zerbrochen, wie sich der nach dem Kalten Krieg entwickelnde Kapitalismus mit seinen globalen Ambitionen am besten beschreiben ließe. Geisteswissenschaftler und Soziologen vertreten dabei häufig eine gegensätzliche Position: Wo Erstere in der universalisierenden Qualität den wichtigsten Zug des Kapitalismus erblicken,6 konzentrieren sich Letztere eher auf die Ungleichheiten und Besonderheiten der Kulturproduktion.7 Wo Erstere sich die Mobilisierung des Universalen als entscheidendes Moment einer effektiven Opposition gegen die Ausbeutung vorstellen,8 suchen Letztere den Widerstand in lokalen Auseinandersetzungen9 und unerwarteten Verkettungen.10

Was diese Arbeiten zur Debatte beizutragen haben, ist faszinierend; doch setzt man sie in einen Dialog, scheinen sie sich gegenseitig zu blockieren. Hier zeigt sich ein auf unterschiedlichen Begriffsauffassungen beruhendes Missverständnis; wie Jameson erklärt, »ist das Universale [nichts], in das man das Partikulare als einen bloßen Typus einordnen kann«.11 Aber häufig haben Sozialwissenschaftler genau das getan. Mir liegt allerdings nicht daran, die Disziplinen zu korrigieren, sondern das produktive Moment dieses Missverständnisses in den Blick zu nehmen. Das Universale und das Partikulare fließen hier zusammen und kreieren die Formen des Kapitalismus, in denen wir leben. Völlig diskrete »Kapitalismen« zu untersuchen hätte allerdings keinen Sinn: Kapitalismus verbreitet sich nur, solange Produzenten, Händler und Konsumenten bestrebt sind, die Kategorien Kapital, Geld und Warenfetischismus zu universalen Größen zu erheben. Solche Bestrebungen machen die weltumspannenden Kapital- und Warenketten möglich. Diese Ketten bestehen jedoch aus ungleichen und ungelenken Gliedern. Die kulturelle Besonderheit kapitalistischer Formen erwächst aus der Notwendigkeit, kapitalistische Universalien durch konkrete Begegnungen in die Tat umzusetzen. Das Chaos, das der Kapitalismus im indonesischen Regenwald anrichtet, ist ein Beispiel für die Begegnungen, in denen globale Kapital- und Warenketten geformt werden.

Die Diskussion der neuen sozialen Bewegungen, die im späten zwanzigsten Jahrhundert als Mittel des Protests entstanden sind, ist von einer Reihe miteinander verwandter Debatten bestimmt: Menschenrechte, ethnische Identitätspolitik, Rechte der Indigenen, Feminismus, Homosexuellenrechte und Umweltschutz. Die Wissenschaft ist geteilter Meinung: Einige sehen in diesen Bewegungen den Ausdruck eines neuen, beängstigend starken globalen Zwangs, während andere sie als Hoffnungsträger für die Freiheit betrachten. Die Spaltung verläuft hier nicht so sehr zwischen den Disziplinen als vielmehr zwischen den angesprochenen Gruppen. Diejenigen, die sich an Kulturtheoretiker wenden, heben auf die Herausbildung neuer Formen disziplinierender Macht ab;12 diejenigen, die Aktivisten zu ihrem Publikum zählen, betonen das Potenzial solcher Bewegungen.13 Erstere erklären die universalisierende Logik liberaler Souveränität und Biomacht; Letztere erzählen uns von der Dringlichkeit spezifischer Fälle. Auch hier reden die Kommentatoren aneinander vorbei; auch hier könnte eine Überschneidung produktiver ausfallen. Es ist wichtig festzustellen, dass sich Protestbewegungen – darunter auch die indonesische Demokratiebewegung in den 1980er- und 1990er-Jahren – auf eine universalisierende Rhetorik von Recht und Gerechtigkeit stützten, mit der sie ihr Anliegen in die Welt trugen. Aufgrund dieser Rhetorik wurden sie aber auch von der liberalen Logik geprägt. Sie mussten jedoch ebenso dafür sorgen, dass diese Rhetorik im Rahmen der Kompromisse und Kooperationen ihrer jeweiligen Situationen funktionierte. Dabei wurden dem Liberalismus neue Bedeutungen und Genealogien hinzugefügt. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Menschen alles tun können, was sie wollen, es ändert aber unseren Blick auf die liberale Souveränität – mit ihren Universalien –, wenn wir sie uns in ihrem konkreten Einfluss auf die Welt vorstellen.

Beide Diskussionen profitieren von einem gezielten Blick auf globale Verflechtungen. In der historischen Besonderheit dieser Verflechtungen kommen Herrschaft und Disziplin zu ihrem Recht, aber nicht immer in der von ihren Verfechtern gedachten Form. Einerseits scheut die vorliegende Arbeit die Vorstellung, dass neue Formen imperialer Herrschaft voll ausgebildet und bewaffnet dem Kopf euroamerikanischer Väter entspringen. Andererseits meidet sie die zu euphorische Vorstellung, wonach eine kulturelle Autonomie des Südens imstande wäre, jedes imperiale Mandat zu absorbieren und abzuwandeln. Die Untersuchung der globalen Verflechtungen zeigt stattdessen die Griffigkeit der Begegnung: Reibung. Ein Rad dreht sich, weil es mit der Straßenoberfläche in Berührung kommt; rotiert es nur in der Luft, geht es nicht weiter. Zwei Stöcke aneinandergerieben ergeben Hitze und Feuer; ein Stock allein bleibt ein Stock. Friktion, als metaphorisches Bild, führt uns vor Augen, dass heterogene und ungleiche Begegnungen zu neuen Arrangements von Kultur und Macht führen können.

Die Reibungs-Metapher bot sich an, da in den 1990er-Jahren allenthalben von einer neuen Ära der globalen Mobilität gesprochen wurde. Güter, Ideen, Geld und Menschen würden von nun an ungebremst in alle Winkel der Welt strömen. In der so imaginierten globalen Ära würde die Mobilität vollständig reibungslos ablaufen. Ohne nationale Grenzen und nach dem Verschwinden autokratischer oder protektionistischer Staatsformen hätte jeder die Freiheit, überallhin zu reisen. Mobilität selbst würde als Selbstverwirklichung erfahren werden, und ungehinderte Selbstverwirklichung würde das wirtschaftliche, wissenschaftliche und gesellschaftliche Getriebe schmieren.14 Doch in der Realität nimmt Mobilität eine andere Form an. Wie wir rennen, hängt davon ab, welche Schuhe wir tragen. Unzureichende Budgets, verspätete Busse, Sicherheitsmaßnahmen und informelle Trennungslinien halten unsere Reisen auf; Bahnstrecken und Flugpläne beschleunigen sie, aber auf vorherbestimmten Routen. Manchmal haben wir keine Veranlassung loszufahren und verlassen die Stadt nur, wenn man unsere Wohnungen bombardiert. Diese »Friktionen« verzerren die Bewegung und laden ihr neue Bedeutungen auf. Zur Freiheit gesellen sich Zwang und Frustration, ist Mobilität doch gesellschaftlich bedingt.

Reibung als Metapher führt uns vor Augen, wie wichtig die Interaktion für die Definition von Bewegung, Kulturform und Handlungsmacht ist. Bei Reibung geht es nicht nur um Verlangsamung. Es braucht sie, um globale Mächte am Laufen zu halten. Sie zeigt uns, wo das Gummi – wie es ein Werbespot formuliert – die Straße berührt. Straßen sind ein Bild, mit dem sich gut verdeutlichen lässt, wie Reibung funktioniert: Straßen schaffen Wege, die die Bewegung effizienter und leichter machen, zugleich aber beschränken, wohin wir gehen. Sie sind, so mühelos sie das Reisen machen, eine Struktur der Einengung. Reibung – die Friktion – lenkt historische Entwicklungslinien um, indem sie Möglichkeiten schafft, ausgrenzt und partikularisiert.

Begegnungen über Unterschiede hinweg können sich beeinträchtigend oder ermächtigend auswirken. Reibung ist kein Synonym für Widerstand. Mit Reibung wird Hegemonie sowohl geschaffen als auch beseitigt. Man denke nur an Kautschuk. Amerikanischen Ureinwohnern abgezwungen, wurde er gestohlen und in der ganzen Welt von Bauern und auf Plantagen angepflanzt, von Chemikern nachgeahmt und ersetzt und mit oder ohne Gewerkschaften zu Reifen verarbeitet, um schließlich für den neuesten SUV-Wahn vermarktet zu werden.15 Dass es Industriekautschuk gibt, verdankt sich der Grausamkeit der europäischen Eroberungszüge, der Wettbewerbsobsession der kolonialen Botanik, den Widerstandsstrategien von Bauern, der Verschmelzung von Krieg und Ingenieurswissenschaft, dem Kampf um industrielle Hierarchien und Ziele und vielem anderen mehr, das nicht unbedingt aus der Teleologie des industriellen Fortschritts ersichtlich wird. Diese Wechselfälle bezeichne ich als Friktionen. Friktion macht globale Verflechtungen mächtig und effektiv, steht aber inzwischen ohne großes Dazutun einem reibungslosen Betrieb der globalen Macht im Weg. Differenz entpuppt sich als störend, verursacht sowohl alltägliche Fehler als auch unerwartete Katastrophen. Friktion entlarvt die Lüge, dass die globale Macht wie eine gut geölte Maschine funktioniert. Manchmal inspiriert Differenz zum Aufstand. Dann ist Reibung wie die Fliege im Rüssel eines Elefanten.

Mit dem Fokus auf Reibung beziehungsweise Friktion wird eine ethnografische Darstellung globaler Verflechtungen möglich. Abstrakte, den Globus betreffende Behauptungen lassen sich auf diese Weise so untersuchen, wie sie in der Welt ablaufen. Damit dürfte sich die Frage nach den Universalien nicht in den Kategorien von Wahrheit oder Lüge stellen, sondern als Problem eines zähen Engagements.

Das Universale einbinden

Wenn man globalen Verflechtungen nachspürt, wird man rasch auf das Argument des Universalen stoßen. Das Universale liegt im Kern eines jeden aktuellen humanistischen Projekts: Wissenschaftler, Wirtschaftsreformer und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit berufen sich darauf. Doch kritiklos hingenommen, hintertreiben Universalien globale Verflechtungen. Dies wirft eine beunruhigende Frage auf: Wie können Universalien bei der Erstellung globaler Verflechtungen derart wirksam sein, wenn sie eine bereits vereinte Welt postulieren, in der die Arbeit der Verflechtung nicht mehr stattfinden muss? Die Wissenschaft hat sich mit dieser Frage kaum auseinandergesetzt, weil die Idee des Universalen Abstraktionen nahelegt, die sich von den praktischen Erfolgen und Misserfolgen universeller Behauptungen entfernen. Weder diejenigen, die ihre Ideen im Universalen verorten, noch diejenigen, die sie als falsch deklarieren, machen sich Gedanken darüber, wie Universalien praktisch gesehen funktionieren. Um damit voranzukommen, ist es wichtig, die Verallgemeinerung zum Universalen nicht als Bestätigung eines vorgefassten Gesetzes, sondern als Bestreben, als eine nie zu erreichende Errungenschaft zu betrachten. Dann wird man womöglich feststellen, dass das Streben nach Universalität Entfernungen und Unterschiede überbrücken muss, eine Überbrückung, die sich als ethnografischer Gegenstand behandeln lässt.

Ethnologen sollen ihre Gegenstände mit Respekt erforschen. Kulturanthropologen begegneten Universalien aber gemeinhin mit einem griesgrämigen Misstrauen. Von dem Begriff des Kulturrelativismus bestärkt, behaupteten sie, dass Universalien wie Götter oder Geister zum Volksglauben gehörten und nur innerhalb des kulturellen Systems, dem sie entspringen, Wirksamkeit entfalteten. In diesem Glauben bin ich als Wissenschaftlerin ausgebildet worden, und es hat mich viel Zeit und frustrierende Diskussionen mit Nichtanthropologen gekostet, um einzusehen, dass dies kein guter Ansatzpunkt ist. Universalien gehören tatsächlich zu einem lokal begrenzten Wissen, in dem Sinne, dass sie ohne historisch gewachsene kulturspezifische Annahmen nicht verstanden werden können. Doch es dabei bewenden zu lassen, macht jeden Dialog unmöglich. Zudem verfehlt es den Kern der Sache. Sich Universalien zuzuwenden heißt ein Wissen zu identifizieren, das sich – mobil und mobilisierend – von Ort zu Ort, von Kultur zu Kultur bewegt. Unabhängig davon, ob man das Universale als Grundlage oder als Überwindung kultureller Differenz begreift, ist es seine Aufgabe, Brücken, Straßen und Zirkulationskanäle zu bauen. Das aus einer besonderen Erfahrung gewonnene Wissen sickert in diese Kanäle ein und erweitert sie eher als sie zu unterbrechen. Wenn wir uns die Frage stellen, was mit »universal« gemeint ist, müssen wir die Grenzen des Lokalen verlassen.16

Beginnen wir mit den Errungenschaften des Universalen und betrachten die Umweltpolitik. In den 1980er- und 1990er-Jahren waren Umweltschützer die Ersten, die grenzüberschreitende Ansätze verfolgten und auf Probleme wie Umweltverschmutzung, Klimawandel und Artenschwund aufmerksam machten, die sich nicht auf ein einzelnes Land einhegen ließen. In dem gemeinsamen universalistischen Glauben an die Umwelt als Erkenntnisgegenstand waren transnational zusammengesetzte Wissenschaftsgruppen – allen Präzendenzfällen zum Trotz – hin und wieder imstande, zusammenzuarbeiten und gemeinsame Standards zu setzen, die nationale Politikansätze überwanden. Dabei waren, wie sich herausstellte, jene transnationalen Mobilisierungen am erfolgreichsten, die kulturell und politisch eingegrenzt waren, etwa als sich Wissenschaftler, die über den grenzüberschreitenden sauren Regen forschten, mit Politikern zusammentaten und damit zur Festigung der Europäischen Union beitrugen.17 Diese Mobilisierungen waren auch im Hinblick auf bestimmte historische Momente produktiv, etwa als der Umweltgedanke in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion in den späten 1980er-Jahren dazu beitrug, den Widerstand gegen den Staat auf eine breitere Grundlage zu stellen.18 Im Universalismus der Umweltpolitik artikulierte sich ein weitverbreitetes Bedürfnis nach einem von staatlichen Reglementierungen freien Wissen und nach engeren Beziehungen zum kulturellen Erbe Westeuropas. Freiheit und Wissenschaft stärkten sich gegenseitig in ihrem universalen Anspruch. Als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion anstelle universalistischer Ideen die Bürgerrechtspolitik in den Vordergrund trat, geriet die Umweltpolitik fast vollständig aus dem Blick.

Die in der zerfallenden Sowjetunion der späten 1980er-Jahre aufkommende Umweltpolitik wurde im Ausland als antikommunistische Agitation interpretiert. Diese Assoziation ebnete für indonesische Umweltschützer, die sich in einem stark antikommunistisch ausgerichteten Staat zurechtfinden mussten, den Weg. Wo der Vorwurf des Kommunismus andere gesellschaftliche Bewegungen blockierte, konnten Umweltschützer sich auf die universalistischen Ideale der Wissenschaft und Moderne berufen. Wie im sozialistischen Europa eröffnete der Universalismus auch in Indonesien Chancen für Reformen und sogar Gesellschaftskritik, indem er einen größeren Bezugsrahmen bot als der staatlich verordnete Patriotismus.19 Aber wie in Europa funktionierte diese Berufung auf Wissenschaft und Politik am besten im Schatten eines autoritären Staats. Als das Regime stürzte, entwickelte sich die Politik in eine Vielzahl neuer Richtungen.

Die Universalien, die Menschen mobilisieren, erfüllen demnach nicht den Traum, jederzeit zu reisen, wohin man will. Das macht sie jedoch nicht falsch und irrelevant. Kritische Umweltwissenschaftler, die dieses Problem thematisieren, haben uns oft direkt zum Lokalen geführt, haben lokales oder indigenes Wissen als Gegenstück zu universalistischer Expertise befürwortet. Eine Reaktion, die zwar die Aufmerksamkeit auf kulturelle Besonderheiten lenkt, aber wiederum an der Sache vorbeigeht. Das Wissen, das tatsächlich die Welt verändert, ist