Fünf gute Gründe - Natalie Rabengut - E-Book

Fünf gute Gründe E-Book

Natalie Rabengut

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Beschreibung

Eigentlich sollte in Kats Leben alles in Ordnung sein. Eigentlich hätte sie nicht vor ihrer eigenen Hochzeit davonlaufen und den Bräutigam vor dem Altar stehenlassen sollen. Eigentlich steigt man nicht zu Fremden ins Auto. Doch als Kat im Regen am Straßenrand steht und Investmentbanker David anhält, wirft sie ihren gesunden Menschenverstand und alle Bedenken über Bord. David ist auf dem Weg nach Schleswig-Holstein in einen vom Arzt verordneten Zwangsurlaub. Er wünscht sich Gesellschaft und Kat braucht einen Unterschlupf, bis die Aufregung um die geplatzte Hochzeit sich gelegt hat. Eigentlich der perfekte Deal – oder? Gefühlvolle Handlung. Explizite Szenen. Happy End. Alle Bücher der Reihe sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden, sind aber durch wiederkehrende Figuren miteinander verbunden.

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FÜNF GUTE GRÜNDE

DATE-REIHE 10

NATALIE RABENGUT

ROMANTISCHE LIEBESKOMÖDIE

Copyright: Natalie Rabengut, 2015, Deutschland.

Korrektorat: Claudia Heinen – http://sks-heinen.de

Covergestaltung: Natalie Rabengut

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

www.blackumbrellapublishing.com

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Nächster Band der Reihe: 10 Tage, 10 Dates

Über Natalie Rabengut

KAPITEL1

KAT

Keine Panik. Alles ist in Ordnung. Zumindest sagte ich mir das zum wiederholten Male, als der Regen einsetzte. Der Wind war mittlerweile heftiger geworden und meine nackten Arme waren von einer Gänsehaut überzogen. Ich fror mir schlicht und ergreifend den Arsch ab.

Daran, dass die Autos langsamer wurden, wenn sie an mir vorbeifuhren, hatte ich mich schon gewöhnt. Allerdings hatten die meisten inzwischen die Scheinwerfer angeschaltet, weil es wirklich duster aussah.

Aber das war okay, denn es passte zu meiner Stimmung. Das Gesicht in die Hand gestützt hockte ich auf meiner Reisetasche am Straßenrand und ärgerte mich ein minimales bisschen, dass ich meinen beschissenen Plan nicht etwas besser durchdacht hatte.

Wo zum Henker sollte ich jetzt hin?

Wieder fuhr ein Auto vorbei – dem Motorengeräusch nach zu urteilen, eines mit jeder Menge Pferdestärken unter der Motorhaube. Neu war allerdings, dass es ziemlich abrupt abbremste und die weißen Lichter aufflammten. Oh nein! Der Fahrer hatte den Rückwärtsgang eingelegt und wollte mit Sicherheit zu mir! Abgesehen von einer frierenden Frau am Straßenrand war hier schließlich weit und breit nichts Spektakuläres zu finden.

Der Wagen hielt neben mir und ich brachte es nur über mich, kurz den Kopf zu heben. Ein silberner Audi. Aber nicht etwa irgendein Audi, nein, ein RS7 Sportback – auch bekannt als Sex auf vier Rädern und nicht unter 100.000 Euro und 560 PS zu bekommen.

»Alles klar?«, fragte eine Stimme, die so dunkel war, dass mir ein Schauer über den Rücken lief, der nichts mit dem Regenwasser zu tun hatte, das den gleichen Weg genommen hatte.

Natürlich gehörte der umwerfende Wagen einem ebenso umwerfenden Mann, der völlig lässig vor mir im Regen stand. Da ich saß, musste ich den Kopf weit in den Nacken legen, um ihn überhaupt ansehen zu können.

Hätte ich nicht gesessen, hätte ich mich vermutlich hinsetzen müssen. Seine dunklen Haare waren kurz und nach hinten gestylt, seine Augen funkelten in einem leuchtenden Grün und seine Wangenknochen waren göttlich. Der Bartschatten stand ihm auch ziemlich gut.

Keine Ahnung, woher ich die Ruhe nahm, aber ich verkündete völlig entspannt: »Alles bestens. Danke.«

Er lachte und ich war bereit zu schwören, dass ich in diesem Moment feucht wurde. Das Geräusch kribbelte durch meinen ganzen Körper und ließ ihn verräterisch summen. Abrupt richtete ich mich gerade auf und drückte den Rücken durch.

»Du siehst ehrlich gesagt nicht aus, als wäre alles in Ordnung. Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?«

Wie kam er denn auf die Idee, dass mit mir etwas nicht stimmte? Nur weil ich im strömenden Regen am Rand einer Bundesstraße auf einer Reisetasche hockte? Also bitte!

»Ich habe kein bestimmtes Ziel, aber danke. Fahr ruhig weiter, bevor du noch zu nass wirst.«

»Kommt gar nicht infrage. Ich lasse dich hier sicher nicht stehen. Willst du nicht einsteigen? Dann kannst du immer noch überlegen, wo du hinwillst. Im Auto ist das Risiko, dir eine Lungenentzündung einzufangen, auf jeden Fall viel geringer.«

»Dafür ist das Risiko, die Kehle durchgeschnitten zu bekommen, sehr viel höher. Vielleicht bist du ja ein Psycho.«

Belustigt verschränkte er die Arme und zog eine Augenbraue hoch. Verdammt, er war wirklich zu attraktiv für diese Welt.

»Du sitzt hier in einem Brautkleid. Im Regen. Wer weiß, was in der Tasche ist. Ich glaube, ich begebe mich in viel größere Gefahr als du.«

»Wenn du wüsstest …«, murrte ich und seufzte anschließend.

»Hey, bitte. Mein Gewissen lässt es nicht zu, dass du hier alleine sitzt. Der Nächste, der anhält, ist vielleicht wirklich ein Psycho und macht sich gar nicht erst die Mühe, dich nett zu fragen, ob du mitfahren willst. Mein Name ist David.«

»Du bringst wirklich gute Argumente vor, David. Ich bin Kat und ich würde bestimmt die teuren Sitze ruinieren.«

Er zuckte nur mit den Achseln, bevor er näher kam. Erschrocken sprang ich auf und stellte fest, dass ich ihm gerade bis zur Brust reichte. »Scheiße, wie groß bist du?«

»1,93 Meter«, antwortete er, als würde er das andauernd gefragt werden. Dann griff er nach meiner Reisetasche. »Gut«, murmelte er erleichtert. »Die ist definitiv zu leicht, um die Leiche des Bräutigams zu enthalten.«

Stumm blinzelte ich ihn an und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Er verfrachtete meine Tasche in den Kofferraum, in dem sich bereits eine weitere Tasche befand.

Wie ein Gentleman ging er um den Wagen herum und öffnete mir die Beifahrertür. So würdevoll, wie es in einem nassen Brautkleid und mit heruntergelaufenem Make-up möglich war, folgte ich ihm. Dann griff ich voller Genugtuung in den Stoff des Kleides, für das meine zukünftige Schwiegermutter mehr als 1.200 Euro hingeblättert hatte, und wrang es kräftig aus. Das mit der zukünftigen Schwiegermutter hatte sich eh erledigt.

Vorsichtig setzte ich mich auf den Sitz und inhalierte den Geruch des Wagens. Er roch sogar teuer und exklusiv. Die Fahrertür ging auf und ein zweiter Duft stieg in meine Nase. David roch nach Holz, Kardamom und Pfeffer – eine sinnliche Mischung.

Schnell schüttelte ich den Kopf, um meine ganz und gar deplatzierten Gedanken zu vertreiben. David war ein Mann, der überhaupt nicht in meiner Liga spielte, sondern sehr, sehr weit drüber – außerdem hatte ich eigentlich ganz andere Sorgen.

»Ich mache die Sitzheizung an, okay?«

Wieder nickte ich nur stumm. Es schien, als hätte ich meine Stimme aus Versehen draußen gelassen.

Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander, bis David schließlich sagte: »Okay, mein Plan endet hier, muss ich zugeben. Wo wolltest du denn ursprünglich hin?«

Eine gewisse Hysterie stieg in mir auf, die ich hinunterkämpfte, indem ich mir schmerzhaft fest auf die Zungenspitze biss. »Das wird jetzt überraschend kommen, aber eigentlich sollte ich heute an so einer riesigen Veranstaltung mit Kirche, Bräutigam und Kuchen teilnehmen. Aber als ich heute Morgen aufgestanden bin, war mir eher nach Irrsinn und Chaos, deswegen bin ich verschwunden.«

David nickte nur. »Gut, meine Frage ist idiotisch, das sehe ich ein. Also: Ich bin auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben, weil mein Arzt der Meinung ist, dass ich einen Burn-out haben könnte. Um gar nicht erst auf die Idee zu kommen, doch zur Arbeit zu gehen, habe ich ein schnuckliges Ferienhaus in Mecklenburg-Vorpommern gebucht, eigenen Steg und See inklusive.«

»Mecklenburg-Vorpommern, hm?«

Wieder nickte er.

»Wie weit ist das?« In meinem Kopf formte sich ein Plan, der allenfalls als bescheuert zu bezeichnen war. Aber wenn man bedachte, dass ich heute mein ganzes Leben in den Sand gesetzt, alle Freunde und meinen zukünftigen Mann enttäuscht hatte, indem ich davongelaufen war, schien Mecklenburg-Vorpommern nicht unbedingt verrückter zu sein.

»Etwas über 600 Kilometer.«

»Hm.«

Er begann, auf dem Lenkrad herumzutrommeln, sagte aber nichts.

Ich weiß nicht, wo ich den Mut – oder den Irrsinn – hernahm, aber nach einigen hektischen Herzschlägen fragte ich: »Würdest du mich mitnehmen? Ich schätze, ich könnte einen Tapetenwechsel gebrauchen.«

Am Ende des Satzes wurde meine Stimme verdächtig zittrig und ich schluckte schwer. Während ich darauf wartete, dass er mich für verrückt erklärte und aus dem Auto warf, knetete ich nervös meine Finger.

»Hat der stehen gelassene Bräutigam irgendetwas mit der Mafia zu tun, wird uns folgen und uns beide umbringen?«

Schnell schüttelte ich den Kopf.

»Dann gerne. Ich kann mich ohnehin schlecht selbst beschäftigen. Dir ist allerdings klar, dass ich maximal 50 Kilometer durchhalte, bevor ich dich über die Hochzeit ausfrage?«

»Gib mir 150 Kilometer und ich erzähle dir davon.«

David startete den Motor. »Deal.«

Er hielt sein Wort und machte keine Anstalten, mich in irgendein verfängliches Gespräch zu verwickeln. Stattdessen überließ er mich der Sitzheizung. Die Wärme, die langsam durch meinen Körper strömte, machte mich schläfrig. Erst jetzt bemerkte ich, wie kalt mir gewesen sein musste.

KAPITEL2

DAVID

Ich hatte den Verstand verloren und es musste irgendwo auf der B224 passiert sein, denn bis dahin hatte ich mich eigentlich noch ganz gut gefühlt.

Was zum Teufel hatte ich mir nur dabei gedacht, anzuhalten und eine Frau vom Straßenrand einzusammeln? Noch dazu eine, die ganz offensichtlich so beschädigt und verrückt wie nur möglich war, was schon das Brautkleid bezeugte, das sie trug?

So war das überhaupt nicht geplant gewesen. Ich war auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben und unterwegs, um mich zu sammeln.

Get your shit together, hatte Ben, mein bester Freund, dazu gesagt und mir mit seiner großen Pranke auf die Schulter geklopft. Witzig, wirklich witzig.

Vorsichtig schielte ich zum Beifahrersitz. Sie schien eingeschlafen zu sein und ich entspannte mich ein wenig.

Verdammt! Warum war ich bloß schwach geworden? Ich hätte einfach das Gaspedal durchdrücken sollen. Stattdessen hatte ich schnurstracks zurückgesetzt und eine Unbekannte in mein Auto eingeladen.

Kat? Ob das die Abkürzung für irgendetwas war? Bestimmt Katharina oder so. Schwer seufzte ich. Eigentlich hätte ich wieder einsteigen und weiterfahren sollen – aber wie sie da so im Regen gesessen hatte, hatte sie einfach zu hilfsbedürftig ausgesehen.

Am besten dachte ich nicht weiter darüber nach, was mein Unterbewusstsein mir damit mitteilen wollte, dass ich beinahe eine Vollbremsung hingelegt hatte, weil ich eine Frau im Brautkleid gesehen hatte.

Mir war schon klar, dass sie nicht auf mich gewartet hatte, aber …

Keine Ahnung, was ich denken sollte. Als ich näher gekommen war, hatte sie mich von unten aus ihren riesigen braunen Augen angesehen und ich war verloren gewesen. Eigentlich passierte mir so etwas recht selten. Die ganze Zeit mit umwerfend schönen Frauen zusammenzuarbeiten, stumpfte wohl irgendwann regelrecht ab.

Doch Kat hatte etwas in mir zum Klingen gebracht, als ich sie angesehen hatte. Außerdem hatte sie ausgesehen, als wäre ihr kalt, und ich war nun wirklich kein Unmensch. Natürlich gab es die böse Stimme in meinem Kopf, die mir klipp und klar verriet, dass ich nie im Leben angehalten hätte, wenn ein Mann im Frack dort gehockt hätte.

Ihre schmalen Schultern waren nackt, die zarten Schlüsselbeine ließen sie verletzlich wirken, dabei hatte sie selbst im Schlaf einen vorwitzig-trotzigen Zug um die Augen, der mir sagte, dass sie alles andere als schwach war.

Die braunen Haare waren zu einer typischen Brautfrisur hochgesteckt, deswegen war es mir unmöglich zu sagen, wie lang sie wohl waren. Immerhin gab es unzählige Möglichkeiten, dort zu tricksen: Schwämme, um Volumen vorzutäuschen, Extensions, um Länge hinzuzufügen – ich konnte also unmöglich wissen, wie sie mit offenen Haaren aussah.

Allerdings interessierte es mich sehr.

Gut, das hatte ich verbockt, das konnte ich nicht anders sagen. Hoffentlich war sie emotional stabil und glaubte jetzt nicht, dass ich irgendwelche romantischen Absichten hegte, nur weil sie ein Brautkleid trug.

Im besten Fall waren meine Absichten unanständig und nirgendwo in der Nähe von »romantisch« angesiedelt.

Ja, sie war genau mein Typ Frau, aber das half mir auch nicht. Ich hatte lediglich eine gute Tat vollbracht und das Ferienhaus war groß genug, um ihr notfalls aus dem Weg gehen zu können, sollte sie sich als nervtötende Klette herausstellen.

Ich würde ihr in diesem Fall einfach ein Zugticket kaufen und sie am nächsten Bahnhof absetzen. Diese Aussicht ließ mich merklich ruhiger werden. Genau, ich musste sie ja nicht gleich heiraten, weil sie mein Typ war und ich sie unterwegs aufgelesen hatte.

Sie rutschte ein wenig auf dem Beifahrersitz herum und murmelte irgendetwas, das ich nicht verstand. Dabei zerrte sie offenbar an ihrem Kleid und der Ausschnitt bewegte sich einige Millimeter nach unten, enthüllte etwas mehr von dem Ansatz ihrer Brüste und ihrer makellosen Haut.

Das brachte mich zu einem ganz anderen Problem: Was sollte ich tun, wenn sie das genaue Gegenteil von unausstehlich war? Vielleicht war das Glück mir ausnahmsweise hold und hatte mir eine Traumfrau auf dem Silbertablett serviert.

Würde ich mich beherrschen können, wenn sie sich als klug, witzig und leidenschaftlich entpuppen sollte?

Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt. Ruhe und Selbstfindung, nicht Idiotie und Versuchung sollte das Motto meiner Reise sein. Ich hatte wirklich genug mit mir selbst zu tun.

Aber für solche Bedenken war jetzt ohnehin zu spät – und wenn ich es ehrlich zugab, war ich neugierig auf ihre Geschichte.

Es gab etliche Möglichkeiten, warum sie die Flucht ergriffen hatte, und nur wenige davon würden darauf schließen lassen, dass in ihrem Oberstübchen alles einwandfrei funktionierte.

Die schlimmste Variante wäre wohl die, in der sie das Drama liebte und einen tollen Bräutigam völlig überraschend vor dem Altar hatte stehen lassen, weil sie schon immer mal einen übertriebenen Auftritt hatte hinlegen wollen. Ich sah den armen Mann praktisch vor mir, wie er auf den Stufen vor der Kirche kniete und sich die Augen aus dem Kopf weinte.

Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass sie ihn von vornherein nicht geliebt hatte, und ihm nur mächtig eins hatte auswischen wollen. Diese Art von Demütigung würde vermutlich jahrelang in dem Mann verwurzelt bleiben.

Oder es war eine Art Racheplan gewesen: Sie hatte ihn vor Jahren beim Geplänkel mit einer anderen Frau erwischt, ihm großmütig verziehen und war heute davongelaufen, hatte dabei lachend geschrien: »Ha! Ich bin doch nachtragend.«

Sie schnaufte leise im Schlaf und drehte den Kopf in meine Richtung. Blasse Ringe unter ihren Augen zeugten von Erschöpfung und selbst jetzt hatte sie einen Zug um den Mund, der aussah, als hätte sie in den letzten Wochen oft frustriert die Lippen aufeinandergepresst.

Vielleicht war der Mann auch einfach nur ein riesiges Arschloch und ihr war heute Morgen klar geworden, dass sie sich das Leben ruinieren würde, indem sie ihn heiratete.

Ihr Mund öffnete sich leicht und ihre Züge wurden weicher. Hoffentlich war es die letzte Variante!

KAPITEL3

KAT

Irgendwann wachte ich wieder auf. Entsetzt setzte ich mich gerade hin. Mein Mund war trocken – ein sicheres Zeichen dafür, dass ich geschnarcht hatte. Ich streckte die Hand aus und klappte die Sonnenblende herunter.

Der Blick in den Spiegel war alles andere als erquicklich. Da traf ich den attraktivsten Mann, den ich in meinem Leben je gesehen hatte, und verbrachte vorher zwei Stunden im Regen.

Unsicher schielte ich zu ihm hinüber. Er konzentrierte sich aufs Fahren, was mir erlaubte, ihn noch weiter zu mustern. Sein ausgeprägter Kiefer ließ ihn überaus männlich wirken und über seinem T-Shirt mit V-Ausschnitt trug er eine Strickjacke, die einen ebenfalls teuren Eindruck machte.

Der einzige Vorteil daran, dass ich heute hätte heiraten sollen, war die Tatsache, dass ich ausnahmsweise vorzeigbare Unterwäsche trug. Aber was mir dieses Wissen nützen sollte, wusste ich auch nicht so genau.

Der Ausschnitt seines Shirts enthüllte eine Furche auf seiner Brust, die ich vorher noch nicht so nah und live in Farbe erlebt hatte – er musste ganz schön beeindruckende Brustmuskeln haben. Die hochgeschobenen Ärmel enthüllten zumindest sehr definierte Unterarme.

Fast hätte ich geseufzt, doch ich biss mir auf die Lippe, um mich davon abzuhalten. Stattdessen räusperte ich mich, um zu signalisieren, dass ich wach war.

»Habe ich lange geschlafen?«

»Gute dreihundert Kilometer. Und bevor du fragst: Du hast kein bisschen geschnarcht.« Als er grinste, zeigte sich ein kleines Grübchen auf seiner Wange.

Gequält stöhnte ich auf. »Das fängt ja gut an.«

Er sagte nichts, doch sein Grinsen wurde ein wenig breiter. Seufzend blickte ich aus dem Fenster. Inzwischen regnete es nicht mehr, und milder Sonnenschein drang zwischen den Wolken hervor.

»Okay, ich schulde dir eine Geschichte. Wo fange ich am besten an?« Ich strich meine Haare nach hinten, die sich noch immer ziemlich feucht anfühlten.

»Ich will mich nicht aufdrängen. Wenn du nicht darüber sprechen willst, ist das vollkommen okay.«

»Nein, schon in Ordnung, denke ich. Aber wenn ich in Tränen ausbrechen sollte, dann ist das dein Problem.«

David schluckte, als wäre ihm die Vorstellung unangenehm.

»Eigentlich hat alles damit angefangen, dass ich mir heute Morgen den Fuß gestoßen habe.«

»Du hast Reißaus genommen, weil du dir den Fuß gestoßen hast?«, echote er und klang dabei, als hätte ich ihm von meiner unbefleckten Empfängnis erzählt.

»Etwas komplexer ist es schon, aber ja. Im Grunde bin ich deswegen weggelaufen.« Während ich meiner eigenen Stimme lauschte, fiel mir auf, dass es tatsächlich etwas absurd klang. »Vermutlich sollte ich etwas weiter ausholen?«, schlug ich vor.

»Ich bitte darum.« Seine Stimme glich eigentlich mehr einem Schnurren, das in mir das Verlangen auslöste, meine Schenkel ganz fest zusammenzupressen, um meine Klit vom Pochen abzuhalten.

»Ich war in den letzten Wochen schon sehr durch den Wind, habe das aber auf den Stress geschoben. So eine beschissene Hochzeit bis ins kleinste Detail durchzuplanen, ist verdammt anstrengend – vor allem, wenn Schwiegerzilla, also die Mutter des Bräutigams, sich überall reindrängt.«

»Das Vergnügen hatte ich noch nicht«, murmelte er und wechselte dabei seelenruhig die Spur. Zumindest anhand seiner Fahrweise gab es keinen Grund, zu bereuen, dass ich in das Auto gestiegen war.

Natürlich hatte er keine Erfahrung im Planen von Hochzeiten. So wie er aussah, vögelte er jedes Wochenende zwei oder drei verschiedene Frauen und genoss das Singleleben in vollen Zügen.

»Eigentlich wollte ich keine große Hochzeit, aber dann hat meine beste Freundin überraschend geheiratet und hatte kaum Zeit, also war ich Schwiegerzilla ausgeliefert. Jedes Mal, wenn es mir zu viel wurde, hat sie damit argumentiert, dass sie nur das Beste für uns wolle und Torben ihr einziges Kind sei. Ich bin total in die Schuldfalle getappt.«

»Torben?« Er sagte das, als wäre es der ekelhafteste Name, den er je gehört hatte.

»Mein Verlobter. Torben.«

David sagte nichts mehr, sondern zog nur seine wohlgeformte Augenbraue hoch.

Mit der Hand wedelte ich seinen Einwand beiseite und fuhr fort: »Ich hatte keine Zeit mehr übrig, für gar nichts, und Torben hat mir überhaupt nicht geholfen. Er hat einfach seine Mutter alles entscheiden lassen. Sie wäre bestimmt auch bei der Hochzeitsnacht dabei gewesen!«

Ich hatte mich so in Rage geredet, dass ich verlegen die Hand vor den Mund schlug, David lachte erstickt.

»Egal! Heute Morgen bin ich aufgestanden, die Lady fürs Make-up und die Haare war da – selbst wenn man nichts mehr davon sieht, habe ich eine saftige Rechnung, die beweist, dass sie da war.«

»Keine Sorge, ich glaube dir, dass sie da war. Du hast bestimmt wunderschön ausgesehen. Also vor dem Regen. Nicht, dass du jetzt nicht hübsch wärest, aber ich kann mir vorstellen, wie du vorher ausgesehen hast.«

Röte stieg mir in die Wangen, weil er mich und das Wort ›hübsch‹ in einem Satz verwendet hatte. Weil ich aber nicht wusste, was ich darauf antworten sollte, murmelte ich nur schnell: »Danke.«

Hastig sprach ich weiter: »Dann bin ich in diesem verdammten Kleid durch die Wohnung gelaufen, und weil ich so darauf geachtet habe, mit dem guten Stück auch bloß nirgendwo dranzukommen, habe ich mir die Zehen am Türrahmen gestoßen. Sofort erklang Torbens Stimme in meinem Kopf und nölte, dass er mir schon hundertmal gesagt habe, dass ich nicht barfuß laufen solle. Da ist mir erst so richtig klar geworden, dass ich ihn gar nicht heiraten will. Ich will niemanden heiraten, der dauernd an mir herummäkelt, mich zu dieser riesigen Feier zwingt, die ich nicht will, und mich seiner Mutter zum Fraß vorwirft. Von den tausend anderen Kleinigkeiten, die mir noch durch den Kopf gegangen sind, mal ganz abgesehen.«

Mit einem tiefen Ausatmen zwang ich mich dazu, meine Finger wieder zu lockern, denn beim Sprechen hatte ich eine Faust geballt.

»Und anschließend habe ich dich eingesammelt?«

Obwohl ich mit allen möglichen Fragen gerechnet hatte, hatte ich diese nicht kommen sehen. »Im Grunde ja. Möglicherweise habe ich davor zwei Stunden im Regen gesessen und mich geärgert, dass ich meinen Plan nicht besser durchdacht habe.«

Er presste die Lippen aufeinander und nickte. Da ich ihn überhaupt nicht kannte, konnte ich schlecht beurteilen, was er wohl dachte.

»Ich schätze, du bist mir ganz schön was schuldig.«

Mein Herzschlag setzte ein oder zwei Schläge aus. »So könnte man das sehen«, sagte ich langsam und hoffte, dass er nicht doch zudringlich werden würde. Mein letzter Selbstverteidigungskurs lag schon eine geraume Weile zurück. Vorsichtig musterte ich ihn aus dem Augenwinkel. Er saß noch immer entspannt im Fahrersitz und machte nicht einmal Anstalten, eine Hand auf mein Knie zu legen.

Leider lag nicht nur der Selbstverteidigungskurs, sondern auch mein letzter Sex eine Ewigkeit zurück – ich wäre also nicht einmal bereit gewesen, für meine Reaktion zu garantieren, falls David auf dumme Ideen kommen sollte. Er war dermaßen attraktiv, dass ich es nicht ausschloss, mich ihm an den Hals zu werfen.

Wann immer Torben und ich uns in der letzten Zeit gesehen hatten – es hatte mit einem handfesten Streit geendet. Das hätte eigentlich schon ein erstes Zeichen für mich sein müssen, dass es nicht die beste Idee war, diesen Mann zu heiraten. Jede einzelne Entscheidung hatte er seiner Mutter überlassen. Sogar auf eine kirchliche Trauung vor der standesamtlichen hatte sie bestanden – mein Glück, denn sonst wäre ich jetzt schon offiziell verheiratet.

Die Stille zwischen David und mir dehnte sich aus. Ich hatte nichts mehr zu erzählen und er schien über irgendetwas nachzudenken.

»Was ist mit dir?«, fragte ich leichthin.

Wenigstens rutschte jetzt zur Abwechslung er mal nervös auf dem Sitz herum. »Die Kurzfassung ist, dass ich zu viel gearbeitet und mich zu wenig ausgeruht habe.«

Die lange Version interessierte mich sehr viel mehr, aber wie viele Details durfte ich einem praktisch Fremden aus der Nase ziehen?

»Das war’s schon?«, fragte ich ein bisschen enttäuscht. »Keine verrückte Freundin, die dich vor den Altar schleifen wollte, und du deshalb auch die Flucht ergriffen hast?«

»Es tut mir leid. Aber so spannend bin ich nicht. Um deine geschickte Frage zu beantworten: Ja, ich bin Single. Ich habe einfach ein nettes kleines Ferienhaus gemietet, damit ich genug Abstand nach Hause habe und mir darüber klar werden kann, was ich eigentlich will.«

Meine Wangen glühten noch immer, weil ich bei meinem plumpen Versuch erwischt worden war, ihn auszuhorchen. Trotzdem konnte ich es nicht lassen. »Abstand? Klar werden? Da rieche ich aber eine kaputte Beziehung.«

Er warf mir einen ganz kurzen Blick von der Seite zu. »Das ist richtig.«

Wieder strich ich mit dem Finger unauffällig über die Seitenverkleidung. So ein schönes Auto, so ein dermaßen teures Auto. »Ist das dein Auto?«

»Investmentbanking«, beantwortete er meine unausgesprochene Frage und meine Wangen wurden heiß.

»Ich habe einen Coffeeshop.«

»Wirklich?«

Angriffslustig verschränkte ich die Arme. »Ja, wirklich. Was ist daran so unglaubwürdig?«

»Keine Ahnung, das ist nicht der Job, in dem ich dich gesehen hätte.«

Meine Augenbraue wanderte nach oben. »Aha. Und was hast du dir vorgestellt?«

»Kindergärtnerin. Nein, warte – man sagt jetzt Erzieherin, oder?«

»Kinder?« Der Mann musste den Verstand verloren haben.

»Ja, warum nicht?«

»Tja, ich bin keine Erzieherin und du bist kein Chirurg. Wir bekommen wohl alle nicht, was wir wollen.«

David lachte. »Wie hab ich das denn zu verstehen? Bin ich jetzt direkt aus dem Rennen?«

Verwirrt blinzelte ich. Vielmehr musste die Frage wohl lauten, ob ich raus war, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Mann wie er auf eine Frau wie mich stand.

Bevor ich etwas sagen konnte, fragte er: »Oder ist Torben Chirurg?«

»Torben? Nein, er ist Steuerberater.«

»Hm«, machte David, als hätte ich ihm soeben meine intimsten Geheimnisse offenbart. »Wahrscheinlich ist es komisch, aber ich habe eine ganz andere Frage.«

»Schieß los.« Schließlich konnte ich mir jederzeit die Option offenhalten, seine Frage nicht zu beantworten. Natürlich erhoffte ich mir einfach das Recht, ihm für jede Frage, die er mir stellte, ebenfalls eine stellen zu können.

»Was habe ich darunter zu verstehen, dass deine beste Freundin überraschend geheiratet hat?«

»Oh, das kann ich dir nicht erzählen, solange du sie nicht kennst. Das wäre wirklich unfair.«

»Warum?« Das wachsende Interesse in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Weil sie dann einfach nur übergeschnappt wirkt.«

Er lachte und warf mir einen vielsagenden Blick zu. »Ich glaube kaum, dass sie mit dir mithalten kann.«

»Hey!«, rief ich empört. »Meistens bin ich vollkommen normal. Erinnere mich daran, dir meine Mutter vorzustellen.«

»Gern«, sagte er prompt und brachte mich damit völlig aus dem Konzept. »Du wolltest mir von deiner Freundin erzählen.«

»Nein, wollte ich nicht. Du glaubst wohl, deine charmante Art zieht bei jeder, oder?«

Sein blendendes Lächeln war Antwort genug und ich kapitulierte allzu bereitwillig.

»Eins kam zum anderen und Anika hat den erstbesten Mann geheiratet, dem sie über den Weg gelaufen ist.«

David schnaubte geräuschvoll. »Das ist keine gute Geschichte! ›Eins kam zum anderen‹, also wirklich! Ich hätte gern schon Details.«

»Aber … Von mir aus. Anika ist eine wunderbare Freundin und eine unfassbar ehrgeizige Anwältin. Sie hat immer dafür gearbeitet, Partnerin in der Kanzlei zu werden, doch dann hat ihr Vater abgelehnt, weil sie zuerst eine Familie gründen sollte.«

Seine Augen wurden groß. »Du willst mir nicht erzählen, dass sie daraufhin losgegangen ist und den erstbesten Mann gefragt hat, ob er sie nicht zufällig heiraten wolle?«

Ganz langsam nickte ich.

»So ein Unsinn. Und der Mann hat natürlich Ja gesagt.«

Wieder nickte ich.

Energisch schüttelte er den Kopf. »Das klingt wie das Drehbuch einer schlechten Romantic Comedy. Ich nehme an, der Mann ist rein zufällig überaus attraktiv und trägt deine Freundin jetzt auf Händen durchs Leben.«

Allmählich fühlte ich mich wie ein kleiner Wackeldackel, so eifrig, wie ich vor mich hin nickte. »Du hast darauf bestanden, dass ich es dir erzähle.«

»Das stimmt. Aber das ist doch absurd! Ich meine, ist das deine Vorstellung von Romantik?«

»Wer hat denn von Romantik gesprochen? So wie ich das verstanden habe, ist der Sex umwerfend. Zeit für lange Spaziergänge ist immer noch später im Leben.«

Eine ganze Weile schwieg David und schien nachzudenken. Vermutlich befürchtete er, dass ich ihm innerhalb der nächsten Viertelstunde einen Heiratsantrag machen würde.

»Erzähl mir mehr von dir«, bat er schlicht.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Mir gehört die Kaffeetante. Ende.«

Überrascht legte er den Kopf schräg. Da der Verkehr inzwischen merklich dichter geworden war, sah er mich nicht an. »Die kenne ich. Der Kaffee ist toll, aber …«

Abwehrend hob ich die Hand. »Die Pancakes sind besser. Schon tausend Mal gehört.«

Seine Stirn legte sich in Falten, was ihn nur noch attraktiver machte. »Wenn du das weißt, warum gibt es die dann nur samstags?« Die Empörung in seiner Stimme war zu niedlich.

»Weil ich clever bin. Unter der Woche rennen mir die Angestellten die Bude ein. Zwischen acht und zehn Uhr und zwischen 15 und 17 Uhr mache ich den größten Umsatz. Aber am Wochenende? Tote Hose, mein Freund.«

»Und als du festgestellt hast, dass die Pancakes gut laufen – du bist ein Genie.«

»Ich weiß«, erwiderte ich selbstzufrieden.

»Nein, das meine ich ernst! Die Strategie ist brillant! Meine Ex hat mich samstags immer praktisch aus der Tür geprügelt, um …«

Dann war sie da, die verlegene Stille. Offenbar war ihm aufgefallen, dass er mehr gesagt hatte, als er gewollt hatte.

Schnell versuchte ich, abzulenken: »Was soll ich sagen? Meine Pancakes sind halt die besten. Ich könnte mich ja mit einer Portion revanchieren, weil du mich mit in dein Ferienhaus nimmst.«

»Wenn ich dich am Leben lasse … Warum nicht.«

Für einen Moment jagte er mir wirklich Angst ein, bevor ich das Zucken seiner Mundwinkel sah.

»Man!«, rief ich und schlug auf seine Schulter. »Das ist nicht witzig! Es ist total fahrlässig, was ich hier tue.«

Er lachte und ich schüttelte heimlich meine Hand aus, weil ich Angst hatte, sie mir gebrochen zu haben. Der Mann hatte Arme aus Stahl.

»Bis jetzt solltest auch du festgestellt haben, dass ich total harmlos bin.«

»Vielleicht bist du ein Gremlin und verwandelst dich erst, wenn du mit Wasser in Berührung kommst.«

»Es hat doch vorhin geregnet. Ich verspreche hoch und heilig, dass du bei mir sicher bist.«

Seine Worte lösten ein warmes Gefühl in mir aus, das völlig unangebracht war. Immerhin war das nicht, was er gemeint hatte.

»Was ist mit dir? Schneidest du mir mitten in der Nacht die Kehle durch?«

»Niemals. Das macht viel zu viel Dreck. Ich würde dich vergiften.«

David presste kurz die Lippen aufeinander. »Das war nicht unbedingt die Antwort, auf die ich gehofft hatte.«

Ich musste lachen. »Ich verspreche, dass ich, abgesehen von meiner Neugier, ebenfalls harmlos bin.«

Ob er darauf antworten wollte, wusste ich nicht, denn in diesem Moment meldete sich das Navigationsgerät und verkündete, dass wir die Autobahn verlassen mussten. Wie war die Zeit nur so schnell verflogen?

Kurze Zeit später knirschte Kies unter den Rädern, als David den Audi in die breite Zufahrt zu dem Ferienhaus lenkte.

Fassungslos starrte ich aus der Windschutzscheibe. »Das verstehst du unter einem kleinen Ferienhaus?« Vor mir ragte ein Palast in die Höhe, der nichts mit der kleinen Holzhütte zu tun hatte, die ich mir vorgestellt hatte. Ich wäre in meiner Verfassung schon mit einer Dusche im Garten zufrieden gewesen, aber jetzt sah ich mich schon in einer marmornen Badewanne hindümpeln.

Die weiße Fassade war so hell, dass ich den Anblick kaum ertrug. Ein gepflasterter, sanft gewundener Weg führte von der Einfahrt hoch zum Haus. Selbstverständlich passten mühelos drei Autos nebeneinander in die Auffahrt. Die große Eingangstür hatte einen Türgriff, der wie ein großer Ast gestaltet war – so etwas hatte ich bisher noch nirgendwo gesehen. Rechts neben dem zweistöckigen Haus lag die breite Garage, die garantiert größer als meine Wohnung war.

»Wirklich schnuckelig.« Der Sarkasmus troff aus meiner Stimme, als ich das Wort wiederholte, mit dem er mir das Ferienhaus beschrieben hatte.

Er hatte beide Hände auf das Lenkrad gelegt und zuckte mit den Schultern. »Hey, ich stapele lieber niedrig und überrasche dann positiv. Natürlich sah das Haus auf den Bildern toll aus, aber Bilder können täuschen. Was hättest du denn gesagt, wenn ich dir ein Luxusdomizil angekündigt hätte, und hier hätte nur eine Bretterbude gestanden?«

Ich öffnete die Beifahrertür und kletterte umständlich aus dem Wagen. Warum hatte ich mir bloß diesen beknackten Reifrock aufschwatzen lassen? Draußen stemmte ich die Hände in die Hüften. »Da hast du irgendwie recht, das kann ich nicht leugnen. Sollen wir mal nachsehen, ob das Innere mit dem Äußeren mithalten kann? Ich würde gern aus dem Fummel hier raus.«

David stieg ebenfalls aus, warf die Fahrertür zu und sah mich über das Dach des Wagens hinweg an. Seine Augen glitten langsam über meinen Körper.

Für einen Moment wünschte ich mir, ihn besser zu kennen, denn ich konnte nicht einmal raten, was er wohl dachte.

»Das kann ich mir gut vorstellen.« Er öffnete den Kofferraum und nahm beide Taschen mit einer Hand. Ein Piepen verkündete, dass er das Auto verriegelt hatte.

»Gib mir meine Tasche ruhig.« Auffordernd streckte ich ihm den Arm entgegen, den er komplett ignorierte.

»Geht schon. Pass du lieber auf, dass du nicht auf dem Saum deines Kleides ausrutschst. Der Schlüssel für’s Haus sollte rechts vom Briefkasten in dem Zeitungsfach liegen.«

Weil er sich ganz offensichtlich nicht helfen lassen wollte, raffte ich den Stoff meines Kleides zusammen und stieg wie die erwachsene Version von Cinderella die drei kleinen Stufen zum Hauseingang hinauf. Das Schlüsseletui war neben dem Briefkasten leicht zu finden, darauf prangte das Gucci-Logo.

Das Ganze hier war definitiv eine Nummer zu groß für mich. Automatisch sah ich nach unten, um zu sehen, ob ich mir wenigstens die Fußmatte leisten konnte. War das Wildleder? Wer zum Teufel benutzte denn eine Wildlederfußmatte?

»Und?«, fragte David hinter mir.

Erschrocken zuckte ich zusammen. »Ich hab den Schlüssel.«

Sein Lachen war so nah, dass sein Atem dabei über meine Haare strich. »Würdest du denn vielleicht auch aufschließen? Nur, wenn du Lust hast natürlich.«

Verlegen schob ich den Schlüssel in das Schloss. Ich musste nur einmal drehen, dann schwang die große Tür geräuschlos nach innen auf.

»Wow«, entfuhr es mir.

»Ganz nett«, urteilte der Mann, legte eine Hand in meinen Rücken und schob mich über die Schwelle. Eigentlich hätte mich vermutlich der Blitz treffen sollen, weil ich nicht hierhin gehörte. Doch ich konnte ungehindert eintreten.

»Das sieht alles ganz schön teuer aus.« Ein wenig Ehrfurcht hatte sich in meine Stimme eingeschlichen.

»Keine Angst. Ich will keine Miete von dir.«

»Ich müsste dich sowieso in Pancakes bezahlen.« Langsam drehte ich mich um meine eigene Achse und versuchte, alle Eindrücke zu erfassen.

Hier war alles so hell: cremefarbene Wände und hellgrauer Boden mit komplett weißen Holzmöbeln. Die Treppe, die nach oben führte, war ebenso weiß wie die Türrahmen. Eine massive Kommode war das einzige Möbelstück in der Eingangshalle – neben den Haken an der Wand, die offensichtlich für Jacken oder Ähnliches gedacht waren.

»Sollen wir die Taschen gleich nach oben bringen?«

David steuerte bereits auf den Treppenabsatz zu. Mein Herz machte einen kleinen Satz, weil ich über diese Möglichkeit noch gar nicht nachgedacht hatte. Kritisch musterte ich die teuer wirkenden, aber nichtssagenden Kunstdrucke an der Wand. Was sollte ich machen, wenn es hier nur ein Schlafzimmer gab?

Unsinn, so groß, wie dieses Haus aussah, würden wir vermutlich jeder aus acht verschiedenen Schlafzimmern wählen können.

»Klar.«

Ich raffte den Saum des Kleides erneut hoch und folgte ihm. Hoffentlich würde ich hier drin nicht allzu viel dreckig machen, denn ich fürchtete, dass allein die Kaution für dieses Haus teurer als meine Monatsmiete war.

David sprang die Treppe leichtfüßig nach oben, nahm zwei Stufen auf einmal, während ich ladylike versuchte, nicht in den hochhackigen Schuhen hinzufallen.

Er hatte bereits mehrere Türen geöffnet und den Kopf in die Zimmer gesteckt, als ich endlich die letzte Stufe erklommen hatte und das Kleid erleichtert fallen ließ.

»Das hier sieht aus, als könnte es dir gefallen.« Seine Stimme klang gedämpft aus einem der Räume zu mir hinüber und ich folgte ihr.

Erstaunlicherweise hatte er recht. Das Zimmer war eher schlicht gehalten, den Cremeton an der Wand kannte ich schon von unten, die Möbel waren weiß. Ein breites Bett thronte an der längsten Wand, bezogen war es mit hellgrauer Wäsche. Links vom Bett führte eine Tür ins direkt angrenzende Bad.

Vermutlich erschienen in diesem Moment kleine Herzchen in meinen Augen. Seit ich denken konnte, träumte ich davon, mich morgens nur aus dem Bett rollen zu müssen, um ins Bad zu gelangen. Zu Hause heizte ich grundsätzlich nicht im Flur, weil ich das für Verschwendung hielt – eine Haltung, die ich im Winter jeden Morgen bereute, wenn ich durch den blöden, eiskalten Flur in mein kleines Bad hetzte.

»Es ist wirklich schön.«

»Du kannst dir aber natürlich auch noch die anderen Zimmer ansehen«, wandte David ein.

»Mache ich, doch hier gibt es nichts auszusetzen. Wenn du willst, kannst du meine Tasche gern abstellen.«

Er stellte sie auf den dunklen Holzboden und nahm seine Tasche zu meiner Erleichterung mit aus dem Raum, als er wieder in den Flur ging. Aus Neugier folgte ich ihm.

Wir öffneten noch einige Türen, bevor ich ihn zu mir rief. »Hey, das Bett hier sieht aus, als hätte es Überlänge. Ist das nicht was für dich?«

»Klingt gut.« David kam näher und blieb neben mir stehen. Durch den dünnen Stoff meines Kleides spürte ich die Hitze, die sein Körper ausstrahlte, nur zu deutlich. »Das nehme ich.«

Der Raum war das Spiegelbild meines Zimmers, nur waren die Wände hier hellgrau und dafür die Bettwäsche cremefarben.

»Cool. Ich würde jetzt mal duschen gehen und das Make-up aus meinem Gesicht kratzen.«

David lachte und schob sich an mir vorbei in sein Schlafzimmer. »Du bist sehr unverblümt. Treffen wir uns im Wohnzimmer?«

»Ich nehme an, das ist unten?«

Er stellte seine Reisetasche aufs Bett. »Genau. Gesehen habe ich es allerdings auch noch nicht.« Er zwinkerte mir zu.

»In Ordnung. Aber versprich mir, dass du mich suchst, sollte ich länger als zwei Stunden in diesem Palast herumirren.«

»Wird gemacht.«

Mit einem Nicken verabschiedete ich mich und suchte nach der Tür, die zu meinem Zimmer führte. Hier oben sah wirklich alles gleich aus und es hingen nicht einmal Bilder an der Wand, die mir die Orientierung leichter gemacht hätten.

Nach drei Versuchen war ich wieder im richtigen Raum. Kurz zählte ich die Türen bis zur Treppe, demnach war mein Zimmer das dritte auf der rechten Seite. Das würde ich mir hoffentlich merken können.

KAPITEL4

DAVID

Erleichtert schloss ich die Zimmertür hinter mir und ließ mich aufs Bett fallen. In dem lächerlichen Versuch, mich zu ersticken, drückte ich eins der zahlreichen Kissen auf mein Gesicht.

Seit wann war ich so auf Sex fixiert? Ich sollte mich echt schämen, dass mich eine halb nasse Frau mit verlaufenem Make-up in einem Brautkleid antörnte. Aber als sie gesagt hatte, dass sie mich in Pancakes bezahlen würde, hätte ich fast entgegnet, dass mir ganz andere Zahlungsmöglichkeiten einfielen.

Hart presste ich meine Zähne aufeinander und schnaufte ins Kissen. Am besten nahm ich eine eiskalte Dusche, bevor ich nach unten ging.

Hatte ich zu lange keinen Sex mehr gehabt? Sie erwähnte die Kaffeetante und ich stellte mir sie sofort in dem engen Poloshirt vor, das die Angestellten dort trugen.

Sie wollte duschen, um sich aufzuwärmen, und mir fielen auf Anhieb vier verschiedene Arten ein, sie unter besagter Dusche zu vögeln.

Bei jedem Zimmer, das wir uns angesehen hatten, war ich mehr in Versuchung geraten, sie aufs Bett zu schubsen und einfach zu sehen, wie sie reagierte.

Vermutlich sollte ich einen Psychiater aufsuchen.

Egal, was sich hier noch abspielen würde, ich musste die Finger von ihr lassen. Abgesehen davon, dass sie mich viel zu sehr an Jennifer erinnerte, würde sie sich vielleicht genötigt fühlen, mit mir zu schlafen, weil ich ihr ein Dach über dem Kopf bot. Ein solches Szenario jagte mir einen Schauer über den Rücken. Das hatte ich nun wirklich nicht nötig und das wollte ich nicht.

Außerdem wollte ich eigentlich keine neue Beziehung. Das Aus mit Jennifer war zwar schon fast drei Jahre her, aber komplett war ich vermutlich noch nicht darüber hinweg. Wie auch? Ich hatte ja lieber gearbeitet, als mich damit auseinanderzusetzen.

Mir kam ein Gedanke, der dafür sorgte, dass ich das Kissen fester auf mein Gesicht presste, trotzdem ließ er mir keine Ruhe.

Schließlich gab ich auf und erhob mich. Mit routinierten Handgriffen öffnete ich meinen Koffer, der schon in allen Teilen der Welt mit mir gewesen war und den ich selbst um vier Uhr morgens praktisch blind packen konnte.

Das kleine Reißverschlussfach im oberen Teil des Inneren war ausgebeult und gab mir Gewissheit: Ich hatte auch dieses Mal den Koffer völlig automatisiert gepackt und wie immer Kondome eingesteckt. Damit war ich bestens vorbereitet – auf etwas, von dem ich mir gerade noch geschworen hatte, dass es nicht passieren würde.

Das würde ein umwerfender Urlaub werden, zumindest in meiner Fantasie. In der Realität hatte ich vermutlich das Dümmste getan, was ich hätte tun können, indem ich mir die leibhaftige Versuchung ins Haus geholt hatte.

Ich war hierhin gefahren, um mir zu überlegen, was ich weiterhin mit meinem Leben anfangen sollte, denn weitermachen wie bisher kam überhaupt nicht infrage. Der Arzt hatte mir unverblümt mitgeteilt, dass ich vermutlich schon Medikamente zur Regulierung meines Blutdrucks gebraucht hätte, wenn mein Körper aufgrund des ganzen Sports nicht so gut in Schuss gewesen wäre.

Das war sehr alarmierend gewesen und hatte mich irgendwie von meinem selbst gewählten Arbeitszwang geheilt. Schlagartig war ich unglaublich müde geworden und hatte alle weiteren Verpflichtungen vorerst abgesagt.

Mein bester Freund war schließlich auf die Idee mit dem Tapetenwechsel gekommen, hatte aber zugleich gesagt, dass ich an einen möglichst langweiligen Ort fahren sollte, um meine Gedanken zu sortieren.

Langweilig hatte ich durch ruhig ersetzt und war hier gelandet. Nur wie ich in Kats Gegenwart meine Gedanken neu ordnen sollte – das musste ich erst noch herausfinden.

KAPITEL5

KAT

Nach der Dusche war ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten mit der Frage konfrontiert, was ich anziehen sollte. Auf der prächtigen Bettwäsche, die schon so aussah, als wäre sie mehr wert als der gesamte Inhalt meiner Reisetasche – das Handy mitgerechnet –, wirkte alles kümmerlich.

Außerdem hatte ich auch nicht für ein Ferienhaus in Mecklenburg-Vorpommern mit dem attraktivsten Mann aller Zeiten gepackt, sondern für eine Woche Mallorca mit meinem Doch-Nicht-Ehemann, der mich seit Jahren kannte und schon in jedem Zustand gesehen hatte.

Das kleine Schwarze fiel also aus. Es war wohl eher die Frage, ob die schwarze Jogginghose oder die graue?

Wem machte ich was vor? David würde sich wohl kaum die Bohne dafür interessieren, wie ich aussah. Abgesehen davon hatte er mich als durchnässten Waschbär kennengelernt, der in einem Brautkleid steckte – von dort aus konnte es eigentlich nur aufwärtsgehen.

Seufzend stand in voller Pracht vor dem Spiegel. Ich musste mein Pulver ja auch gleich am ersten Abend verschießen. Die graue Jogginghose wirkte zusammen mit dem ausgewaschenen Werbeshirt von BMW dermaßen umwerfend, dass es mir praktisch schwerfiel, die Hände von mir selbst zu lassen.

Meine schulterlangen Haare fasste ich zusammen, drehte sie zu einem Knoten zusammen und befestigte diesen ganz oben auf meinem Kopf. Da mein Outfit schon unwiderstehlich war, sah ich keinen Sinn darin, mich zu schminken. Die Waschbärenränder unter den Augen von meinem morgendlichen Hochzeitsmake-up waren noch immer zu sehen und deswegen ließ ich es gleich bleiben.

Die Füße in Flipflops gesteckt latschte ich nach unten. Natürlich kündigte mich das Schlapp-Schlapp der Schuhe mich schon Minuten vor meiner eigentlichen Ankunft an.