Für immer verbunden. Violet & Luke - Jessica Sorensen - E-Book
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Für immer verbunden. Violet & Luke E-Book

Jessica Sorensen

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Beschreibung

Violets Leben steht auf dem Kopf. Ein Stalker macht ihr das Leben zur Hölle, und der Mord an ihren Eltern wirft immer noch einen Schatten auf ihr Leben. Als sie sich noch dazu in eine lebensgefährliche Situation bringt, schwört sie sich, nun ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Vor allem muss sie herausfinden, was sie für Luke Price empfindet. Können die beiden ihre Ängste überwinden und an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten?

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Seitenzahl: 330

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DAS BUCH

Luke schüttelt den Kopf und zieht mich noch dichter zu sich, sodass ich die Hitze seines Atems auf meinem Gesicht spüre und beinahe seine Lippen schmecke. »Ich sagte, dass ich nicht ohne dich gehe.« Dann küsst er mich, ganz federleicht, doch es reicht, um mich aus der Realität zu katapultieren. »Kannst du jetzt bitte aufhören, so zu nerven, und mit mir nach Hause kommen?«

Ich will schon nachgeben, da sehe ich seinen Blick. Er sieht mich an, als wäre ich sein Ein und Alles, und ich will weglaufen. Weg von ihm. Aus dieser Wohnung.

Fliehen.

Fliehen.

Fliehen.

Denn ich weiß, sobald ich zu Hause bin und die Stille einsetzt, kommt alles wieder zurück.

DIE AUTORIN

Die Bestsellerautorin Jessica Sorensen hat bereits zahlreiche Romane verfasst. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in den Bergen von Wyoming. Wenn sie nicht schreibt, liest sie oder verbringt Zeit mit ihrer Familie.

LIEFERBARE TITEL

Das Geheimnis von Ella und Micha

Für immer Ella und Micha

Die Sache mit Callie und Kayden

Die Liebe von Callie und Kayden

Verführt. Lila und Ethan

Füreinander bestimmt. Violet und Luke

Nova & Quinton. True Love

Nova & Quinton. Second Chance

Nova & Quinton. No Regrets

JESSICA SORENSEN

FÜR IMMER VERBUNDEN

VIOLET & LUKE

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Sabine Schilasky

Wilhelm Heyne Verlag

München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel THE CERTAINTY OF VIOLET AND LUKE

Vollständige deutsche Erstausgabe 01/2016

Copyright © 2015 by Jessica Sorensen

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München

Umschlagabbildung: © Stephen Carroll/arcangel images

Redaktion: Anita Hirtreiter

Alle Rechte vorbehalten

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-18067-6V002

www.heyne.de

1

VIOLET

Fallen.

Fallen.

Fallen.

Ich falle ins Leere und weiß nicht, wo, wann und ob ich jemals lande, denn dieser Abgrund könnte ebenso gut gar keinen Boden haben. Was mir im Moment allerdings egal ist. Denn nun gerade verliere ich komplett den Verstand. Manche würden sagen, das hätte ich schon längst, damals, als ich zum ersten Mal beschloss, vor einen Wagen zu rennen, damit ich mich beruhigen und auf andere Gefühle konzentrieren kann als auf die, die mit dem Tod meiner Eltern zusammenhängen. Vielleicht stimmt es, dass ich schon vor langer Zeit durchgedreht bin und jetzt einfach nur endgültig abstürze, immer tiefer falle und nicht mehr zurück kann. Was ich irgendwie auch gar nicht will. Im Moment fühle ich mich ziemlich gut, was nicht oft vorkommt, wenn überhaupt. Und in letzter Zeit … Na ja, in letzter Zeit brach alles um mich herum zusammen.

Nehmen wir das College zum Beispiel. Da war ich mal so gut, aber das ist vorbei. Vor einigen Tagen bestellte mich der Studienberater ein und wollte mit mir über meine Anwesenheit reden, besser gesagt über meine Abwesenheit. Ich hatte geahnt, dass es kommen würde, trotzdem war es wie ein Tritt in den Magen. »Violet Hayes, wir machen uns Sorgen um Sie und Ihr häufiges Fehlen.« Der Berater hatte mich mit diesem Blick angesehen, den alle immer haben, wenn sie von meiner scheußlichen Vergangenheit erfahren und mich bemitleiden. Früher sah ich den selten, weil ich nie jemandem meine Geschichte erzählte; aber seit der Fall wieder aufgerollt wurde, steht es überall in den Zeitungen und kommt sogar ab und zu in den Fernsehnachrichten.

Dann die Anrufe von Detective Stephner, der immer nur schlechte Neuigkeiten zum Mordfall meiner Eltern und meinem Stalker hat. Sie lauten jedes Mal gleich. »Wir haben Mira Price noch nicht gefunden.« Sie ist die Mutter von meinem Freund, Luke Price, und die Frau, die vermutlich in jener Nacht bei mir zu Hause war und diesen abgefuckten Song gejault hat. »Und es gibt noch keine Spur zu Danny Huntersonly«, fügt der Detective jeweils hinzu. Danny ist der Mann, den ich als Preston kenne, meinen ehemaligen Pflegevater, von dem ich glaubte, er käme einem Ersatzvater von allen Pflegevätern, die ich schon gehabt hatte, am nächsten. Andererseits musste ich im Austausch gegen Essen und ein Dach über dem Kopf Drogen für ihn verkaufen, und er verlangte auch sexuelle Gefälligkeiten von mir. Anfangs fand ich, dass ich ihm wirklich was schuldig sei, aber inzwischen sehe ich die Dinge klarer. Was es nicht besser macht. Im Gegenteil. Was ich getan habe, macht mich nur noch krank.

Krank.

Krank.

Krank.

Preston könnte auch mit dem Mord an meinen Eltern zu tun haben, doch das steht noch nicht fest. »Die Wahrscheinlichkeit ist fünfzig zu fünfzig.« Entweder ist Preston ein Mörder oder ein kranker, besessener Freak, der zufällig meine Mutter gekannt hatte, als sie noch auf Drogen war, und seitdem die Fotos von mir als Kleinkind aufbewahrte. Was auch immer am Ende herauskommt, es ist ekelhaft, und ich hasse mich für das, was ich mit ihm getan habe, all die Sachen, die ich nicht auslöschen kann, ganz gleich, wie sehr sie mir wehtun.

Nichts im Leben lässt sich auslöschen. Alles ist für immer da, angefangen bei unseren Atemzügen bis hin zu den Entscheidungen, die wir treffen. Und ich traf einige ziemlich beschissene.

»Willst du wirklich bleiben?«, fragt Luke mich zum zigsten Mal und unterbricht meine verstörenden, deprimierenden Gedanken und meine betrunkenen Tanzbewegungen. Musik plärrt um mich herum, von den Bässen vibriert der Boden, und ich habe einen Becher mit irgendeinem Alkohol in der Hand. Meine Sicht ist verschwommen, und ich bin innerlich dumpf.

Ich muss blinzeln, um Lukes Gesicht zu sehen, obwohl er direkt vor mir steht. Wahrscheinlich ist Luke die einzige Entscheidung in meinem Leben, die sich nicht als total gescheitert erweist, aber das nur aus meiner Sicht, nicht aus seiner. Er ist es, der sich die letzten Wochen um mich gekümmert hat. Und jetzt sieht er besorgt aus. Trotz seines permanenten Stirnrunzelns ist er unglaublich sexy. Er hat kurzes braunes Haar, in das ich meine Finger tauchen kann, und ein leicht stoppeliges Kinn. Durch das graue T-Shirt zeichnen sich seine Muskeln ab, und seine ausgeblichene Jeans hängt tief genug auf seinen Hüften, dass ich sein Shirt unten nur ein bisschen hochziehen müsste, um seine nackte Haut zu sehen. Ja, vielleicht tue ich das später, wenn er mich lässt. Nein, das kann ich streichen. Ich weiß, dass er mich lässt. Seit die Sache mit Preston herausgekommen ist, hat Luke mir nichts abgeschlagen, was ich gleichzeitig gut und schlecht finde. Klar ist es super, einen Typen zu haben, der einem alles gibt, was man will, aber ich vermisse auch die Streitereien zwischen uns und die verrückten Provokationen, die mich überhaupt erst zu ihm hingezogen haben. Die machen das Leben spannend und sorgen für Ablenkung von dem, was wirklich bei mir los ist und was ich erst noch zu akzeptieren lernen muss. Aber anscheinend können wir das nicht wiederhaben, nicht an jenen Punkt zurückkehren.

Gott, könnte ich doch die Zeit zurückdrehen!

»Violet, hörst du mir zu?«, fragt Luke und wirkt noch besorgter, als er sich nach unten beugt und mir ins Gesicht sieht. Auf mein Kopfschütteln hin seufzt er. »Bist du sicher, dass du noch hierbleiben willst?«

»Ja, absolut.« Ich stürze den Rest von meinem Getränk aus dem orangefarbenen Plastikbecher mit Kürbissen drauf hinunter. In wenigen Wochen ist Halloween, und schon jetzt ist alles mit Kürbissen dekoriert, richtig gruselig. Ich weiß nicht, wie viele von diesen Bechern ich getrunken habe. »Ich will noch nicht nach Hause.« Ich sehe mich in dem Wohnzimmer des Kerls um, der die Party gibt, auf der Suche nach weiß Gott was – irgendwas, das mich in Schwierigkeiten bringt, vermutlich. Überall fliegen Bierflaschen und Müll herum, die Luft steht vor Zigarettenqualm, Musik wummert aus den Lautsprechern, und die Leute tanzen, flirten und knutschen in den Zimmerecken. Vor ein paar Monaten wäre ich wohl zum Dealen für Preston hier gewesen.

Verfluchter Preston.

Verdammt, warum komme ich nicht drüber weg und vergesse ihn? Warum lasse ich nicht einfach mal etwas los?

»Ich meine nur, dass wir morgen Kurse haben«, erinnert Luke mich und lenkt meine Aufmerksamkeit zurück auf sich. Seine braunen Augen sind so voller Sorge, als fürchte er, dass ich direkt hier vor ihm zusammenbreche. Was ich nicht werde. Nach dem Vorfall in seinem Truck, wo ich einen Zusammenbruch hatte, und dann bei seinem Vater zu Hause habe ich mir geschworen, dass es nie wieder vorkommt. »Und wir versuchen beide noch, die zwei Wochen aufzuholen, die wir verpasst haben.«

Wir sind seit fast zwei Wochen wieder in Laramie, nachdem wir erst in Las Vegas und dann bei Lukes Vater gewesen waren. Und was uns hier an nachzuholender Arbeit erwartet, ist überwältigend. Deshalb sollte ich in der Wohnung sein und für die Chemieprüfung am Freitag büffeln. Vor allem sollte ich zu der Prüfung erscheinen, denn schließlich wurde ich schon wegen meiner Fehlzeiten verwarnt. Aber im Moment kann ich nicht lernen, weil ich zu unruhig bin. Mein Verstand läuft auf Hochtouren und kreist immer wieder um dieselben Dinge.

Preston.

Meine Eltern.

Lukes Mom.

Preston.

Wer bin ich jetzt?

Dieses gebrochene Mädchen?

Verwirrt.

Verloren.

Auf der Suche nach etwas, das ich wahrscheinlich nie finden werde.

»Wie wär’s, wenn du nach Hause gehst?«, frage ich Luke, zerdrücke den Plastikbecher und werfe ihn auf den Couchtisch in der Nähe. »Und ich komme mit Seth nach.«

»Ja, das klingt nach einer sicheren Katastrophe.«

Ich tue, als sei ich beleidigt. »Hey, wir verstehen uns besser«, sage ich und tanze weiter, weil stillsitzen immer noch ausgeschlossen ist. Es stimmt aber, was ich gesagt habe. Seit wir zurück sind, ist Seth netter zu mir. Er ist einer meiner Mitbewohner, und früher kam ich nicht gut mit ihm klar – wohl weil er mich für eine Nutte hielt. Jetzt dürfte es vor allem Mitleid sein, das ihn freundlicher macht. Mitleid, weil meine Eltern ermordet wurden. Mitleid, weil Lukes Mutter in den Mord verwickelt ist. Mitleid, weil die einzige richtige Vaterfigur, die ich je hatte, sich als unheimlicher Stalker entpuppt hat, der mich schon seit meiner Kindheit verfolgt. Anscheinend tue ich jedem leid, und auf ihre Weise versuchen alle, mir zu helfen. Aber ich kann mir nur selbst helfen, im Stillen; zumindest rede ich mir das ein. In seltenen Momenten jedoch, wenn ich mir die Wahrheit eingestehe, weiß ich, dass ich bloß dichtmache und alles vermeide. Aber ich scheine nicht anders zu können, weil ich sonst das Gefühl habe zu zerbrechen, und wenn ich mich so fühle, treibe ich mich gefährlich nah an die Kante und teste Gefahren aus.

Allerdings ist es schwierig, irgendwas zu tun, wenn ich dauernd beobachtet werde. Nachts steht ein Polizeiwagen vor meiner Wohnung, dank Detective Stephner. Tagsüber und die restlichen Stunden soll ich immer mit jemandem zusammen sein. Und offenbar hat Luke es übernommen, dieser Jemand zu sein. Seit wir bei seinem Vater waren, weicht er mir nicht von der Seite. Deshalb fühle ich mich mies. Ich meine, er hatte ein Leben, bevor er mich kennenlernte, und es ist, als hätte ich es ihm genommen. Solche Geschichten gehen immer traurig aus. Ich weiß, dass ihn dieser ganze Mist irgendwann fertigmachen wird, und dann jagt er mich zum Teufel, genau wie alle anderen in meinem Leben. Was früher okay für mich war. Da konnte ich den anderen den Stinkefinger zeigen und mit weit ausgebreiteten Flügeln davonfliegen. Aber jetzt bin ich wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel, der in den Tod stürzen würde. Irgendwie hasse ich mich dafür, dass ich so verwundbar und schwach bin. Mir fehlt es, die starke, heftige Violet zu sein, nur weiß ich nicht, wie ich sie zurückhole.

Luke legt die Hände an meine Hüften, sodass ich mich nicht mehr bewegen kann. Mir wird bewusst, dass ich weiter in die Menge gedriftet bin, umgeben von verschwitzten Leuten, die sich aneinander reiben und wiegen, als würden sie Trockenübungen im Takt der Musik machen. Luke und ich haben das mal getan, aber auch das war früher.

»Ob ihr euch besser versteht oder nicht«, Luke lässt mich los und kratzt sich im Nacken, während er das Chaos im Zimmer betrachtet, »ich lasse dich nicht allein hier.«

»Aber ich bin nicht allein«, widerspreche ich und zucke ein bisschen zurück, als er mich ansieht. Sein Blick kann eine ziemlich beängstigende Intensität haben, sogar für mich. »Seth ist hier.«

»Seth braucht genauso dringend einen Babysitter wie du«, sagt er streng. »Das ist also kein Argument.«

Ich ziehe einen Schmollmund und stolpere über meine Füße, als ich mich zu dem Tisch mit den Getränken umdrehen will. »Du bist eine Spaßbremse.«

»Und du bist betrunken.« Seufzend legt er eine Hand an meinen Arm, um mich zu halten. »Können wir bitte gehen?«

»Ist es wegen des Alkohols?«, frage ich und lehne mich an ihn. »Willst du deshalb so dringend weg?«

Er schüttelt den Kopf. »Ich will nur nach Hause«, antwortet er und ergänzt strenger: »Mit dir.«

Luke, der König der Säufer, ist seit etwas über einem Monat trocken, und das ist komisch, auch wenn es guttut zu sehen, wie er sich selbst heilt. Nach einer sehr harten Entgiftungswoche hat er schlicht aufgehört zu trinken. Ich weiß, dass es hart für ihn ist, auch wenn er nicht mit mir darüber reden will. Er ist ernster und verantwortungsbewusster als früher, und er sieht um Klassen gesünder aus. Inzwischen hat er sogar einen Job in dem Diner, in dem Greyson und ich arbeiten. Und so läuft jeder Tag bei ihm ab: Arbeiten, Kurse, nach Hause kommen und mit mir abhängen – na ja, auf mich aufpassen eher. Er wirkt völlig zufrieden damit, und mich verblüfft das, denn eigentlich sollen sich Leute mit mir nicht wohlfühlen, vor allem nicht, wenn sie so viel über mich wissen.

Luke sieht für einen Moment hin und her gerissen aus, dann streckt er mir eine Hand entgegen. »Baby, bitte komm mit mir nach Hause.«

Die Worte »Baby« und »nach Hause« blinken wie ein Leuchtfeuer in meinem Kopf und verursachen ein Erschauern, das gleichzeitig gut und schlecht ist. Gefühle kämpfen sich in mir nach oben. Ich mag Luke. Er gibt mir Trost. Sicherheit. Und er könnte mir beides leicht wieder nehmen. Das ist noch so eine Schwäche, die ich neuerdings entwickle. Abhängigkeit.

Ich würde ausflippen, doch der Alkohol macht es mir schwerer, das zu fühlen, was in mir ist, und vielleicht bin ich deshalb hier: um mich zu betäuben.

»So nennst du mich oft«, sage ich in meiner betrunkenen Blödheit. Nüchtern hätte ich es wohl ignoriert.

Ich bemerke ein winziges Zucken seiner Mundwinkel: das erste Anzeichen von Humor seit Längerem. »Wie nenne ich dich?« Sein Ton bekommt etwas Leichtes, als er den Ahnungslosen spielt.

»Du weißt schon.« Ich will meine Hände an seine Hüften legen, aber das Zimmer fängt an, sich um mich zu drehen, und ich klammere mich an Lukes Schultern.

Er neigt sich zu mir, bis seine Lippen an meinem Ohr sind, und seine Hände halten mich in der Taille, sodass ich seine Finger durch den Stoff meines Kleids fühle. »Baby«, flüstert er, wobei sein Atem über meinen Hals weht.

Erschauernd nicke ich. »Ja, das … Was ist damit … Wieso – nennst du mich immer so?«

Seine Augen funkeln amüsiert, als er den Kopf wieder hebt. »Stört es dich?«

Ich zögere und zucke mit der Schulter. »Weiß ich nicht.«

»Soll ich damit aufhören?«

»Ich … Ach, ich weiß nicht … Ich verstehe nur nicht, was es bedeutet.«

Wieder mal bin ich viel zu ehrlich. Verdammter Alkohol. Der ist wie ein Wahrheitsserum oder so was.

Jetzt lächelt er. »Tja, das Wort selbst hat einige Bedeutungen, aber in meinem Fall ist es einfach nur ein Kosename.«

»Ich weiß, was das Wort bedeutet.« Ich zeige zwischen uns beiden hin und her, allerdings so ungeschickt, dass ich mir versehentlich ins Gesicht schlage. »Aber ich weiß nicht, was es für uns bedeutet.« Ich reibe die Stelle in meinem Gesicht, und Luke lacht über meinen Mangel an Koordinationsvermögen.

Plötzlich aber, als ihm klar wird, was ich gesagt habe, nimmt sein Gesicht einen panischen, verwirrten Ausdruck an, und ich bekomme Angst.

Luke muss es merken, denn er lenkt sofort vom Thema ab. »Weißt du was?« Er zieht mich näher zu sich, sodass wir dicht zusammenstehen und seine Brust so nahe ist, dass ich schwören könnte, sein Herz wie verrückt schlagen zu hören – aber vielleicht ist es auch meines. Er riecht nach Eau de Cologne und Zigaretten – eben total wie Luke. »Komm mit mir nach Hause, und dort können wir alles machen, was du willst.«

»Ich dachte, du willst noch was fürs College tun?«

»Mir ist wichtiger, dich heil nach Hause zu bekommen … und ohne irgendwas Unvernünftiges zu tun.« Er streicht mir eine rotschwarze Strähne hinters Ohr.

Ich bin nicht sicher, ob er es so meint, wie ich denke. Luke kennt mein schmutziges kleines Geheimnis. Er weiß, dass ich die Grenzen des Lebens ausreize, weil ich den Adrenalinrausch dem Fühlen vorziehe, die Furcht dem Schmerz.

»Alles okay, Luke, versprochen.« Ich versuche, ihn vom Haken zu lassen. Er soll mal eine Pause vom Babysitten für mich haben, will sie aber anscheinend nicht.

Er schüttelt den Kopf und zieht mich noch dichter zu sich, sodass ich die Hitze seines Atems auf meinem Gesicht spüre und beinahe seine Lippen schmecke. »Ich sagte, dass ich nicht ohne dich gehe.« Dann küsst er mich, ganz federleicht, doch es reicht, um mich aus der Realität zu katapultieren. »Kannst du jetzt bitte aufhören, so zu nerven, und mit mir nach Hause kommen?«

Ich will schon nachgeben, da sehe ich seinen Blick. Er sieht mich an, als wäre ich sein Ein und Alles, und ich will weglaufen. Weg von ihm. Aus dieser Wohnung.

Fliehen.

Fliehen.

Fliehen.

Denn ich weiß, sobald ich zu Hause bin und die Stille einsetzt, kommt alles wieder zurück.

Und ich hasse mich dafür, aber am Ende tue ich alles, um nichts zu fühlen.

2

LUKE

Es ist richtig verflucht spät, und ich will nur noch nach Hause. Ich dachte, ich hätte Violet mit dieser Babysitter-Bemerkung, aber dann versetzt sie irgendwas, das ich gesagt habe, in Panik, und auf einmal holt sie sich mehr zu trinken. Es bringt mich um, ihr zuzusehen, wie sie ihren Schmerz in Alkohol ertränkt, weil ich viel zu gut verstehe, warum man das muss. Aber sie das durchmachen zu sehen macht es leichter, nüchtern zu bleiben, weil ich für sie einen klaren Kopf behalten muss. Eine beknackte Kaffeefahrt ist es trotzdem nicht. Mein Denken driftet nach wie vor zu dem herrlichen Geschmack von Alkohol ab, sowie ich in die Nähe von welchem komme. Es hilft mir und hält mich davon ab, etwas zu trinken, wenn ich mich erinnere, dass ich Violet sehr mag und ihr alles schulde für das, was meine Mutter ihr genommen hat.

Die meiste Zeit auf der Party habe ich auf sie aufgepasst. Das ist über die letzten paar Wochen irgendwie zur Routine geworden. Sie betrinkt sich, und ich kümmere mich um sie. Aber heute Abend vermassle ich es, weil ich mich von einer Unterhaltung mit Drey Filtphermen über die diesjährige Saison ablenken lasse und wie wir »es denen zeigen«.

Ich nicke und höre halb zu, während ich in der Menge nach Violet suche. »Ja, wir müssten uns ganz gut schlagen.« Das Letzte, woran ich in diesem Moment denke, ist Football.

Drey nickt und kippt einen Kurzen. »Was ist? Trinkst du heute Abend nichts?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, ich bin der Fahrer.« Wow! Ich hätte nie gedacht, dass mir der Satz mal über die Lippen kommt!

Drey sieht mich an, als hätte ich ihm gerade gesagt, dass die Schwerkraft nicht existiert. »Echt?«

Ich zucke mit den Schultern. Natürlich kann ich ihm nicht verdenken, dass er verblüfft ist. Ich bin berüchtigt dafür, mich volllaufen zu lassen und Prügeleien anzufangen. Aber das war mal, und ich wünschte, die Leute würden aufhören, mich als den heftigen, wütenden, herumhurenden Säufer zu sehen. »Ich muss jemanden suchen«, sage ich und achte nicht weiter auf das, was Drey mir nachruft. Ich drängle mich zwischen Leuten hindurch, die nach Tequila, Schweiß und Geilheit riechen, und finde schließlich Seth mit Greyson in einer Zimmerecke.

»Hey, habt ihr Violet gesehen?«, unterbreche ich die beiden, was nichts macht, denn ich kenne sie gut genug. Seth und Greyson sind Violets und meine Mitbewohner; ich würde sie sogar als Freunde bezeichnen. Sie wissen ausreichend von dem, was gerade bei Violet los ist, um zu begreifen, dass es nicht so gut ist, wenn ich sie nicht finden kann.

Seth zeigt zum Flur. »Zuletzt habe ich sie gesehen, wie sie zum Badezimmer ging.«

Als ich schon losgehe, ruft Greyson: »Alles okay?«

Ich sehe mich zu ihm um und nicke, fühle mich jedoch wie der größte Lügner aller Zeiten. »Ja, ich will nur wissen, wo sie ist, sonst nichts.«

»Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.« Er trinkt einen Schluck aus seiner Wasserflasche.

Ich nicke wieder und laufe den Flur hinunter zum Bad. Vor der Tür ist schon eine Schlange, und die Leute fluchen, als ich an ihnen vorbeigehe und anklopfe. »Violet, bist du da drinnen?«

Zunächst herrscht Stille, dann höre ich ein ersticktes »Ja«.

Ich bin wahnsinnig erleichtert. Erst jetzt wird mir bewusst, wie nervös es mich gemacht hatte, sie aus den Augen verloren zu haben. Ich drehe den Türknauf, aber es ist abgeschlossen, also klopfe ich wieder und rufe. Diesmal reagiert sie nicht. Zum Glück ist es ein simples Schloss, das ich mit einem Quarter-Dollar aufschließen kann. Irgendein Typ brüllt mich an, als ich ins Bad gehe, doch als ich ihm meinen Fick dich-Blick zuwerfe, weicht er zurück, und ich knalle die Tür hinter mir zu.

»Violet«, ich gehe an dem Waschbecken vorbei zur Badewanne, »wo bist du?«

»Hier drinnen.« Ihre Stimme klingt dünn aus dem Duschwannenbereich.

Ich ziehe den Vorhang zurück. Da hockt sie, in der Badewanne, die Knie an ihre Brust gezogen und so fest mit ihren Armen umschlungen, als wolle sie sich komplett in sich zusammenrollen. Ich hocke mich neben die Wanne und hebe ihr Kinn, damit ich sehen kann, wie betrunken sie ist. Ihre geweiteten Pupillen und die Unfähigkeit, irgendwas zu fixieren, sagen mir, dass ich sie hier wegbringen muss.

»Ich würde jetzt gehen.« Sie lallt, und Tränen rinnen ihr aus den Augen. Das ist schon oft passiert, also weiß ich, was ich zu tun habe. Ich hebe sie hoch, trage sie aus der Wohnung und bringe sie nach Hause.

Es ist zwei Uhr morgens, als ich vor unserer Wohnanlage vorfahre. Sie liegt in einer guten Gegend der Stadt, und wenn es warm genug ist, kann man von hier zu Fuß zum Campus gehen. Violet ist auf der Rückfahrt eingeschlafen, nachdem sie ins Gebüsch gekotzt hatte, also muss ich sie nach oben tragen, was mir nichts ausmacht. Sie hat noch nie viel vertragen, und das zeigt sich jedes Mal, wenn sie versucht, sich zu betrinken. Ich hasse es, denn ich will meine Violet zurück.

Meine Violet? Hallo? Gehört sie mir etwa? Nein, tut sie nicht. Obwohl so, wie sie in meinen Armen liegt, die grünen Augen geschlossen, die vollen Lippen leicht geöffnet und das schwarz und rot gefärbte Haar über meinen Arm hängend, voll und ganz darauf vertrauend, dass ich sie nach drinnen trage, fühlt es sich an, als wäre sie mein.

»Wenn sie hören könnte, was du denkst, würde sie dich kastrieren«, murmle ich vor mich hin. Violet ist nicht der Typ Frau, der jemandem gehören will. Sie ist sehr willensstark und unabhängig, was mit ein Grund ist, weshalb ich mich in sie verliebt habe. Diese Bedürftige-Frau-Nummer habe ich längst hinter mir, und sie nervt mich höllisch. Ich hatte mich schon mit Frauen eingelassen, die alles gesagt bekommen und sich an mich klammern wollten. Zu der Zeit allerdings habe ich mich nicht beschwert. Ich mochte es, die Kontrolle zu haben – immerhin wurde ich während meiner Kindheit fast vollständig von meiner psychotischen Mutter kontrolliert. Aber sobald ich Violet Hayes kennenlernte und eine andere Seite sah, die Herausforderung spürte, die Verbundenheit und das Verlangen, jemanden wirklich, leidenschaftlich zu wollen, wusste ich, dass es kein Zurück mehr gibt. Und ich will mein Leben vor Violet auch gar nicht zurück. Ich wünschte nur, wir hätten eine stabilere Basis. Ich wünschte, meine Mutter wäre im Gefängnis, sodass Violet versuchen kann, sich selbst wieder zu heilen. Könnte ich ihr doch helfen, dieses Wilde, Unabhängige, Starke in sich wieder hervorzubringen! Allerdings kann ich ihr nicht vorwerfen, dass sie wütend ist, Schwierigkeiten hat und verwirrt ist. Dazu hat sie jedes Recht, und so kann ich ihr nur beistehen, bis sie bereit ist, nach vorn zu sehen.

Von der Treppe oben winke ich zu dem schwarzen Wagen mit den getönten Scheiben. Es ist die Polizei. Sie stehen jede Nacht hier, parken am Straßenrand und beobachten das Haus – dank Preston und seinem Drang, Violet mit seinen SMS-Botschaften und Drohungen zu quälen. Seit Preston auch noch als Verdächtiger im Mordfall von Violets Eltern gilt, ist die Polizei in höchster Alarmbereitschaft.

Als ich an unserer Wohnungstür bin, habe ich einige Mühe, den Schlüssel aus der Tasche zu angeln, ohne Violet abzusetzen. Dann bemerke ich ein Päckchen vor der Tür. Zuerst denke ich, es gehört zur normalen Post, aber kaum bücke ich mich näher, sehe ich, dass es an Violet Hayes adressiert ist und weder Porto noch ein Absender drauf ist. Nicht mal unsere Adresse. Mir wird schlagartig mulmig. Ich blicke mich zu den anderen Türen und dem Parkplatz unten um, dann schließe ich rasch auf und gehe nach drinnen. Nachdem ich Violet auf dem Sofa abgelegt habe, kehre ich zu dem Päckchen zurück und überlege, was ich tun soll. Es aufheben und öffnen? Ehrlich gesagt will ich es am liebsten wegwerfen, ohne hineinzusehen, weil ich weiß, dass es übel sein muss. Was da auch drin ist, es wird den ganzen Mist, der gerade läuft, nur noch schlimmer machen. Aber nicht zu wissen, was es ist, könnte auch übel sein. Zögernd gehe ich nach draußen und bücke mich, um vorsichtig das Klebeband zu lösen. Dabei fällt mir auf, dass das Päckchen ganz leicht ist. Als ich es öffne, sehe ich auch, warum. Es ist nur ein einzelnes Foto drin, von Violet. Mein Kiefer verkrampft sich, und ich möchte meine Faust in die Wand rammen. Auf dem Bild hat Violet nur einen BH und einen Slip an. Sie hält das schwarze Kleid in den Händen, das sie jetzt trägt, um es anzuziehen, was bedeutet, dass das Foto aufgenommen wurde, bevor wir zur Party fuhren. Dem Winkel nach muss es von irgendwo gegenüber gemacht worden sein, entweder von dem Balkon des Restaurants schräg gegenüber oder von dem zweigeschossigen Haus auf der anderen Straßenseite, das seit letztem Monat zum Verkauf steht. Es gibt keinen Hinweis, wer das Foto aufgenommen hat, aber das weiß ich sowieso schon. Derselbe Typ, der ein ganzes Zimmer voller Bilder von Violet hatte und ihr Drohnachrichten schickt: Preston.

Ich drehe das Foto um und lese den Satz auf der Rückseite. »Sieh mal, wie leicht man an denen vorbeikommt.«

Vor Wut beginnen meine Hände zu zittern. Mit »denen« sind zweifellos die Polizisten gemeint, die unten aufpassen.

»Scheiße!« Es ist neu für ihn, direkt bis vor die Tür zu kommen. Am liebsten möchte ich das Schwein zusammenschlagen, was schwierig ist, weil er sich versteckt. Ich überlege, über die Straße zu gehen und das Haus und das Restaurant abzusuchen, aber sicher ist er nicht mehr da. Die Polizisten unten können mich wahrscheinlich schon sehen und fragen sich, was ich hier mache, was okay wäre, wüssten sie nicht, wer meine Mutter ist. Sie trauen mir nicht und glauben, dass ich wissen könne, wo meine Mutter ist, es aber nicht verrate, um sie zu schützen. So viel haben sie mir schon deutlich zu verstehen gegeben.

Ich schließe die Tür ab und laufe nach unten, über den Parkplatz zum Polizeiwagen, der vor dem leeren Haus parkt, gegenüber von unserer Wohnung. Als ich ans Seitenfenster klopfe, lässt der Fahrer genervt das Fenster herunter.

»Kann ich Ihnen helfen?« Er muss Ende dreißig sein und trägt Zivilkleidung. Wie das Zivilfahrzeug soll es unauffällig aussehen, doch der Aufschrift auf der Bildrückseite nach wirkt die Tarnung nicht besonders.

»Ich bin Luke – Violets Freund …« Ich räuspere mich, weil mir bewusst wird, dass wir bisher noch nie darüber geredet haben, was wir sind. Dennoch fühlt es sich für mich richtig an, das zu sagen. »Dies hier lag auf der Fußmatte vor unserer Wohnung.« Ich gebe ihm das Foto und die Schachtel.

Der Polizist sieht das Foto an und blickt zu seiner Partnerin, einer Frau in den Vierzigern in Jeans und Bluse.

»Wann ist das angekommen?«, fragt er mich, was tierisch nervt. Wenn er das Haus tatsächlich im Blick behalten hat, sollte er es wissen, denn sie waren ja schon hier, als wir zur Party fuhren. Und das Päckchen muss irgendwann in der Zwischenzeit abgelegt worden sein.

»Sagen Sie es mir«, antworte ich gereizt, stopfe meine Hände in die Taschen und sehe mich um, ob mir irgendwas ungewöhnlich vorkommt. »Sie sind diejenigen, die das Haus beobachten sollten.«

Er sieht mich streng an, während er zu seinem Kaffee auf der Mittelkonsole greift. »Erzählen Sie mir nicht, wie ich meinen Job machen soll, Junge.«

»Das müsste ich nicht, würden Sie ihn machen.« Mein Blick wandert zu dem Haus hinter dem Wagen. »Wie es aussieht, könnte es von da aufgenommen worden sein.« Dann zeige ich zu dem geschlossenen Restaurant. »Oder von da, also ganz in der Nähe.« Ich sehe den Polizisten wieder an. »Was heißt, er war ganz in der Nähe.«

Der Cop starrt mich verärgert an. »Es steht nicht fest, wer das abgelegt hat.«

»Das ist ja wohl offensichtlich, denn sie hat nur einen Stalker.«

Er wirft die Schachtel seiner Partnerin zu. »Danke für den Hinweis«, sagt er. »Aber überlassen Sie die Polizeiarbeit lieber den Profis.«

Als er das Fenster schon wieder hochfährt, murmle ich »dämlicher Arsch«, bevor ich weggehe. Ich hätte bis morgen früh warten und das Päckchen zu Detective Stephner bringen sollen. Er ist tatsächlich ein Profi, und ihm liegt mehr daran, diesen Fall aufzuklären. Vor allem ist ihm wichtiger, dass Violet nichts passiert.

Ich gehe zurück in die Wohnung und schließe hinter mir ab. Violet schläft noch auf dem Sofa, wo sie ausgestreckt auf dem Rücken liegt, einen Arm über ihrem Kopf angewinkelt und leise atmend. Es ist der friedlichste Ausdruck, den ich seit Langem bei ihr gesehen habe, was traurig ist, weil es einzig am Alkohol liegt.

Anstatt mich zu ihr aufs Sofa zu quetschen, bringe ich sie lieber in unser Zimmer, also hebe ich sie hoch und trage sie zum Bett. Dort lege ich sie hin, ziehe ihr die Schuhe aus und streife mir die Jeans und das Shirt ab, bevor ich mich zu ihr lege und uns zudecke. Sofort rutscht sie näher zu mir, bis ihr Gesicht an meiner Brust ist. Ich beuge einen Arm über sie und küsse sie auf die Stirn, als wäre alles okay. Als würden wir morgen früh wie ein normales Paar aufwachen, während die Sonne ins Zimmer scheint und alles ruhig ist. Aber ich weiß ja, dass ich wohl lange vor Sonnenaufgang aufwachen werde. Und in der Wohnung wird es alles andere als ruhig sein. Sie wird von Violets Schreien erfüllt sein.

3

VIOLET

Ich fühle mich so klein, wie ich mich im Dunkeln im Keller verstecke und auf die Stimmen lausche, die ganz sicher Monstern gehören. Ich weiß, wenn ich hinzusehen wage, werde ich keine Gesichter und Körper sehen, sondern seltsame Gestalten mit Hörnern oder Stacheln oder irgendwas anderem, was Monster haben sollen. Ich würde spitze Reißzähne anstelle von richtigen Zähnen sehen, Krallen anstelle von Fingern und tote Augen, in denen sich mein entsetztes Gesicht spiegelt.

Deshalb versuche ich, in meinem Versteck hinter den Kartons und den Spielsachen zu bleiben. Ich strenge mich an, so still wie möglich zu sein, und halte die Luft an. Ich sage mir, dass sie irgendwann verschwinden, und wenn alles vorbei ist, gehe ich nach oben und krieche zu meiner Mom und meinem Dad ins Bett, und sie werden sagen, dass es nur ein Albtraum war. Weil sie das immer tun. Sie sind nette Eltern, die mich trösten, wenn die Welt grau und voller Schatten ist und wenn es die Sonne nicht mehr zu geben scheint und alles Böse nach draußen kommt.

Ich versuche, mir zu sagen, dass die Monster ihnen nichts getan haben.

Eine Frau singt wie verrückt. Ich glaube, sie ist wirklich verrückt. Und der Mann spricht so leise und ruhig, gar nicht wie ein Monster. Vielleicht irre ich mich. Vielleicht war er kein Monster. Vielleicht denke ich mir nur Sachen aus.

Dann hört die Frau zu singen auf, und ich sage mir, dass es okay ist, jetzt hinzusehen, nur ganz vorsichtig. Ich drehe mich um und linse an den Kartons vorbei. Licht fällt durch die Fenster herein, sodass ich ein bisschen sehen kann. Zuerst scheint das Zimmer leer, aber dann erkenne ich sie. Zwei Gestalten, vollkommen still. Überhaupt scheint die ganze Welt in diesem Moment still.

Aber auf einmal fängt sie wieder an, sich zu bewegen, immer schneller, als der Mann aus dem Schatten kommt und sich mir zeigt. Er ist groß, hat braune Haare, ein vertrautes Gesicht, und er trägt eine karierte Jacke und eine löchrige Jeans.

»I-ich kenne dich«, stammle ich, als ich in meinem Versteck aufstehe und barfuß aus der Ecke komme.

Er macht einen Schritt auf mich zu, und ich erstarre, denn die Gestalt vor mir verwandelt sich in ein Monster, genau wie ich gedacht hatte.

»Preston«, hauche ich.

Seine Lippen biegen sich zu einem zufriedenen Lächeln, und ich öffne den Mund und schreie.

Beim Aufwachen ringe ich nach Luft und schreie in das Nächste hinein, das ich zu packen bekomme. Früher nahm ich ein Kissen oder drehte mich zur Matratze, um meine Schreie zu dämpfen, aber jetzt endet es normalerweise damit, dass ich mein Gesicht an Lukes Brust vergrabe. Ich wünschte, ich könnte die Albträume stoppen und dieses Gefühl der Hilflosigkeit loswerden. Es ist nicht immer derselbe Albtraum, der mir das antut. Manchmal handeln sie von Preston, der in jener Nacht im Keller auftaucht, weil mein Gehirn ihn unbedingt an die Stelle des Mannes setzen will, der in der Nacht da war, obwohl ich ihn nicht gesehen hatte. Manchmal sind es schmerzliche Erinnerungen an meine Eltern, von denen ich glaubte, sie längst vergessen zu haben. Und manchmal handeln die Albträume von Luke, der mich verlässt. Eigentlich habe ich mich nie groß gesorgt, dass Leute mich verlassen, weil sie das ja immer schon getan haben. Und deshalb hüte ich mich gewöhnlich davor, mich gefühlsmäßig auf jemanden einzulassen, denn ich verliere ja doch jeden. Aber bei Luke habe ich versagt. Ich bin ihm viel, viel zu nahe gekommen, und jetzt habe ich sowohl Angst davor, ihn gehen zu lassen, als auch davor, nie loslassen zu können.

Wie jede Nacht, wenn ich panisch und hyperventilierend aufwache, liegt Luke still da, reibt meinen Rücken und flüstert mir zu, dass alles gut wird. Nachdem ich mich beruhigt habe, rücke ich weg von ihm, wische mir den Schweiß von der Stirn und rolle mich auf den Rücken. Ich starre hinauf an die Decke und versuche, den Albtraum zu vergessen und mich zu erinnern, was zum Teufel gestern Abend auf der Party passiert ist. Es ist noch früh und die Sonne bisher nicht aufgegangen. Ich sehe zur Uhr auf dem Nachttisch. 5:12. Scheiße. Es ist zu früh, um wach zu sein.

Nach ein oder zwei Minuten fragt Luke behutsam: »Wovon handelte er diesmal?«

»Von einer Klippe stürzen«, lüge ich. Ich hasse es, dass ich lüge, bin aber auch nicht fähig, ihm die Wahrheit zu sagen. Es ist, als wäre ich wieder fünf Jahre alt und zu verängstigt, die Wahrheit zu sagen, weil ich sie dann akzeptieren muss. Akzeptieren, dass meine Eltern tot sind. Damals habe ich ewig gebraucht, bis ich es laut sagen konnte, wurde es damit doch unerträglich real.

»Den Traum scheinst du oft zu haben.« Er glaubt nicht, dass das mein Traum war, weiß, dass ich lüge, spricht es jedoch nicht aus.

»Ich schätze, mein Gehirn ist supergut im Wiederholen.« Meine Augen sind auf die Decke fixiert, obwohl ich spüre, dass er mich beobachtet und zu erkennen versucht, was in meinem Kopf vorgeht. Wüsste er es, würde er wahrscheinlich weglaufen, so wie ich es gern täte.

»Du weißt, dass ich hier bin.« Er dreht sich auf die Seite und stützt einen Ellbogen auf. »Falls du reden willst.«

Luke hat sich zu so einem großartigen Menschen entwickelt. Wie das geschehen konnte, wo er doch mit mir zusammen ist, dem fauligen Gift, das sein Leben verschmutzt, ist mir schleierhaft. Und er will mir helfen. Ich wünsche mir ehrlich, er könnte, dass es einen Knopf in mir gäbe, den er finden kann, um all die wahnsinnige Verkorkstheit in mir abzustellen. Aber falls es den gibt, haben weder er noch ich ihn bisher entdeckt.

»Versuch, noch ein bisschen zu schlafen«, flüstert er. Sein fester Arm gleitet über meinen Bauch zu meiner Seite, und er will mich näher zu sich ziehen. »Es ist noch richtig früh.«

»Nach einem Albtraum ist es schwer, wieder einzuschlafen«, gestehe ich in der Dunkelheit unseres Zimmers. »Ich …« Ich beiße mir auf die Lippen, denn über meine Gefühle kann ich auch nicht reden.

»Ich bleibe wach, bis du eingeschlafen bist. Dir passiert nichts, versprochen.« Sein Gesicht rückt näher an meine Wange, und seine weichen Lippen streichen über meine Haut. »Ich bin immer für dich da.«

»Immer ist ein starkes Wort«, flüstere ich, kneife die Augen zu und kämpfe gegen den Wunsch, ihm nachzugeben. »Dinge können sich ändern, weißt du. Eines Tages – willst du dich vielleicht nicht mehr um mich kümmern müssen … Oder es passiert etwas, weshalb du dich lieber von mir fernhalten willst.«

»Dazu wird es nie kommen«, verspricht er. »Es gibt nichts, das mich jemals dazu bringen könnte, dir fernbleiben zu wollen.«

Es fühlt sich an, als sollte ich auf dieses gigantische Versprechen etwas erwidern, doch in der Finsternis in meinem Kopf kann ich die Worte nicht finden. Ich öffne die Augen und begegne seinem intensiven Blick. »Was ist mit deiner Mom?«, frage ich.

Sein ganzer Körper verkrampft sich, als ihn wellenartige Panik ergreift. »Was soll mit ihr sein?«

Ich möchte die Augen schließen, zwinge mich aber, sie offen zu lassen. »Was passiert, wenn sie … falls sie verhaftet wird? Ich meine, das ist schon ein ziemlicher Hammer, und es wäre meine Schuld, dass sie im Gefängnis sitzt.«

»Das ist ihre eigene verfluchte Schuld!« Sein Tonfall ist schroff, wütend, und seine Augen funkeln vor Zorn.

»Vielleicht müsste ich gegen sie aussagen.« Darüber haben der Detective und ich bereits gesprochen, für den Fall, dass sie je gefunden wird. Ob ich mich erinnere, wie sie aussieht, sie aus jener Nacht wiedererkenne, könnte eine Rolle für das Urteil spielen.