Nova & Quinton 1-3: True Love / Second Chance / No Regrets (3in1-Bundle) - Jessica Sorensen - E-Book
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Nova & Quinton 1-3: True Love / Second Chance / No Regrets (3in1-Bundle) E-Book

Jessica Sorensen

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Beschreibung

Die große Liebesgeschichte von Nova & Quinton: alle drei Bände in einem E-Book - für kurze Zeit zum Kennenlernpreis (eine befristete Preisaktion des Verlages)

Nova & Quinton: True Love

Als Teenager wollte Nova Drummerin werden und ihre große Liebe Landon heiraten. Aber dieser Traum wurde in einem einzigen Moment zerstört. Nova ist überzeugt, dass sie nie wieder jemanden lieben wird. Bis sie den unverschämt attraktiven Quinton Carter kennenlernt. Er fasziniert und verwirrt sie. Und Nova ahnt, dass sie besser die Finger von ihm lassen sollte ...

Nova & Quinton: Second Chance

Nova kann ihn einfach nicht vergessen – Quinton Carter, den attraktiven Kerl mit den honigbraunen Augen und den sexy Tattoos. Er ist ihr Seelenverwandter, und der Gedanke an ihn lässt sie nicht los ... Aber wird er ihre Liebe überhaupt zulassen? Oder stößt er sie wieder weg?

Nova & Quinton: No Regrets

Endlich wendet sich Novas Leben zum Guten: Sie spielt Drums in einer neuen Band und hat gute Freunde gefunden. Ihr tägliches Highlight sind ihre Telefonate mit Quinton. Sie wünschte, sie könnte bei ihm sein. Doch sie weiß, er braucht Zeit. Als dunkle Wolken aufziehen, braucht Nova Quinton mehr denn je – ist er stark genug, ihr beizustehen?

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Seitenzahl: 1288

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Über die Autorin

Die Bestsellerautorin Jessica Sorensen hat bereits zahlreiche Romane verfasst. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in den Bergen von Wyoming. Wenn sie nicht schreibt, liest sie oder verbringt Zeit mit ihrer Familie.

Über das Buch

Ich frage mich, ob Quinton auch witzig ist, wenn er nicht betrunken oder bekifft ist – aber das werde ich vielleicht nie herausfinden. Mit einem übertrieben dramatischen Seufzer raffe ich mein Haar im Nacken zusammen und beuge mich über den Tisch. Er kommt mir auf halbem Weg entgegen, schiebt mir den Löffel in den Mund und leckt sich die Lippen, um ein Grinsen zu unterdrücken, als ich den Cookie einsauge. Dann lehne ich mich zurück und kaue. »Und?«, fragt er, während er noch einen Löffel nimmt und sein Blick auf meinen Mund gerichtet ist. »Gar nicht so schlecht, oder?« Ich schlucke und lasse mein Haar los. »Nein, schlimmer«, lüge ich und kneife die Lippen zusammen, um ein Kichern zu unterdrücken. Er leckt sich etwas Eiscreme von der Unterlippe, und ich bemerke, dass er wieder auf meinen Mund sieht. Für einen kurzen Augenblick frage ich mich, wie seine Lippen nach all dem Eis schmecken.

Lieferbare Titel

Das Geheimnis von Ella und Micha Für immer Ella und Micha Die Sache mit Callie und Kayden Die Liebe von Callie und Kayden Verführt. Lila und Ethan

www.jessicasorensen.com

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Die deutschen Erstausgaben erschienen 2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München Copyright© 2014 by Jessica Sorensen Copyright © 2021 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. ISBN: 978-3-641-28763-4V003www.heyne.de

JESSICA SORENSEN

Nova & Quinton

True Love

Band 1

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Sabine Schilasky

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Prolog

 

Prolog

Nova

Manchmal frage ich mich, ob man Erinnerungen, mit denen man nichts zu tun haben will, nicht einfach blockieren kann: die Bilder wegsperren, den Schmerz betäuben, der mit dem verbunden ist, was man gesehen hat und nicht sehen wollte. Und das so lange, bis die Person, die man einmal war, selbst nur noch eine schwache Erinnerung ist.

So habe ich nicht immer gedacht. Früher war ich voller Hoffnung, voller Leben, glaubte an Sachen. Zum Beispiel an das, was mein Vater mir erzählte: Wenn ich irgendwas nur fest genug will, kann ich dafür sorgen, dass es geschieht.

»Keiner sonst kann Dinge für dich geschehen lassen, Nova«, sagte er zu mir, als wir auf dem Hügel in unserem Garten lagen und hinauf zu den Sternen blickten. Da war ich sechs Jahre alt, glücklich und ein bisschen naiv. Und ich verschlang seine Worte wie Zuckerwürfel. »Aber wenn du etwas wirklich willst und bereit bist, hart daran zu arbeiten, dann ist alles möglich.«

»Alles«, wiederholte ich und sah zu ihm. »Sogar wenn ich eine Prinzessin sein will?«

Er lächelte in die Dunkelheit, ja, er wirkte richtig glücklich. »Sogar eine Prinzessin.«

Ich grinste, blickte wieder zum Himmel und dachte, wie wunderbar es wäre, ein Diamantendiadem im Haar und ein glitzerndes rosa Kleid mit passenden Schuhen zu tragen. Ich würde im Kreis herumwirbeln und lachen, während sich mein Kleid um mich herum aufbauscht. Keine Sekunde dachte ich daran, was es wirklich bedeutet, eine Prinzessin zu sein, oder wie unmöglich es war, dass ich tatsächlich eine werden könnte.

»Erde an Nova.« Mein Freund, Landon Evans, wedelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht.

Ich blinzle, löse meinen Blick von den Sternen und neige den Kopf zur Seite, sodass ich in Landons Augen sehe. »Was?«

Er lacht, doch es sieht unnatürlich aus, als gehörte es nicht in sein Gesicht. Was allerdings normal für Landon ist.

Er ist Künstler und hat mir erklärt, dass er den Schmerz nur in seine Porträts bringen kann, wenn er ihn immerzu in sich herumträgt. »Du warst eben völlig weggetreten.« Das Licht auf der Vorderve­ran­da brennt, und in dem Neonschein haben seine honigbraunen Augen dieselbe Farbe wie seine Zeichenkohle.

Ich rolle mich auf die Seite und schiebe beide Hände unter meinen Kopf, sodass ich Landon richtig ansehen kann. »Entschuldige, ich war nur in Gedanken.«

»Du hast diesen Blick, als wärst du sehr tief in Gedanken.« Er stützt seitlich einen Ellbogen auf, lehnt den Kopf in seine Hand, und sein pechschwarzes Haar fällt ihm in die Augen. »Möchtest du darüber reden?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, mir ist eigentlich nicht nach Reden.«

Er schenkt mir ein albernes, aber echtes Lächeln, und alles Traurige in meinem Kopf löst sich vor­übergehend auf. Das ist eines der Dinge, die ich an Landon liebe. Er ist der einzige Mensch auf der Welt, der mich zum Lächeln bringen kann. Besser gesagt: der Einzige außer meinem Dad, doch der lebt nicht mehr, und deshalb lächle ich eher selten.

Landon und ich waren bis vor ungefähr einem halben Jahr beste Freunde, und vielleicht kann er mich deshalb so glücklich machen. Wir waren uns schon nahe und verstanden einander, bevor das Küssen und die Hormone ins Spiel kamen. Klar, wir sind erst achtzehn und noch nicht mal mit der Highschool fertig, aber manchmal, wenn ich alleine in meinem Zimmer bin, kann ich mir uns beide in einigen Jahren vorstellen, immer noch verliebt, vielleicht sogar verheiratet. Das ist erstaunlich, denn lange Zeit nach dem Tod meines Dads konnte ich mir meine Zukunft überhaupt nicht vorstellen und wollte es auch nicht. Doch die Dinge verändern sich. Menschen entwickeln sich weiter, leben weiter und wachsen, während neue Menschen in ihr Leben treten.

»Ich habe das Bild gesehen, das du für das Kunstprojekt gemacht hast«, sage ich und streiche ihm einige Strähnen aus den Augen. »Es hing bei Mr. Felmon an der Wand.«

Landon runzelt die Stirn, wie er es immer tut, wenn wir über seine Kunst sprechen. »Ja, das ist nicht so geworden, wie ich es vorhatte.«

»Es sah aus, als wärst du beim Zeichnen traurig gewesen«, sage ich und lege eine Hand auf meine Hüfte. »Aber so sehen ja alle deine Zeichnungen aus.«

Alles Fröhliche verschwindet aus seinem Gesicht, als er sich auf den Rücken rollt und zum Sternenhimmel aufsieht. Eine Weile sagt er nichts, und ich drehe mich auf den Rücken. Wenn er so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt ist, lasse ich ihn in Ruhe. Landon ist einer der traurigsten Menschen, die ich kenne, und teils hat mich das an ihm damals angezogen.

Ich war dreizehn und er gerade gegenüber von uns eingezogen. Er saß mit einem Skizzenblock ­unten an einem Baum in seinem Vorgarten, als ich ihn zum ersten Mal sah und beschloss, rüberzugehen und mich vorzustellen. Es war gleich nachdem mein Dad gestorben war, und ich hielt mich meistens von anderen fern, doch Landon … ich weiß nicht, aber da war etwas an ihm.

Ich ging über die Straße und war sehr neugierig, was er zeichnete. Als ich vor ihm stehen blieb, sah er zu mir auf, und mich erschreckte, wie gequält seine honigbraunen Augen blickten, so voller Schmerz und innerem Leid. Das hatte ich noch bei niemandem in unserem Alter gesehen, und obwohl ich nicht wusste, woher es kam, ahnte ich, dass wir Freunde würden, weil er aussah, wie ich mich fühlte: als wäre ich auseinandergebrochen und nicht wieder richtig zusammengeflickt worden. Tatsächlich wurden wir beste Freunde – genau genommen mehr als das. Wir sind praktisch unzertrennlich, abhängig voneinander, und ich hasse es, von ihm getrennt zu sein, weil ich mich ohne ihn verloren und deplatziert in dieser Welt fühle.

»Hast du jemals das Gefühl, dass wir alle verloren sind?«, reißt Landon mich wieder aus meinen Gedanken. »Dass wir alle bloß auf der Erde herum­irren und darauf warten zu sterben?«

Ich beiße mir auf die Unterlippe, denke über seine Worte nach und entdecke Kassiopeia am Himmel. »Denkst du das wirklich?«

»Weiß ich nicht genau«, antwortet er, und ich ­sehe zu ihm, sodass ich sein vollkommenes Profil angucke. »Manchmal frage ich mich allerdings schon, was das Leben für einen Sinn hat.« Er verstummt. Anscheinend wartet er darauf, dass ich etwas sage.

»Ich weiß es nicht.« Ich zermartere mir das Hirn nach etwas anderem, das ich sagen könnte, doch mir will keine einzige zusammenhängende, sinnvolle Antwort auf seine finsteren Gedanken über den Sinn des Lebens einfallen, also ergänze ich nur: »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch, Nova«, sagt er, ohne mich anzusehen. Dann greift er über das Gras hinweg nach meiner Hand und verhakt seine Finger mit meinen. »Und das meine ich ernst, Nova, egal, was passiert: Ich liebe dich.«

Wir tauchen in die Stille der Nacht ein, während wir den Sternen zusehen, wie sie glitzern und verblassen. Es ist friedlich und beunruhigend zugleich, weil ich meine Gedanken nicht abstellen kann. Ich mache mir Sorgen um Landon, wenn er so deprimiert ist. Ab und zu verschwindet er in seiner eigenen kleinen Welt aus düsteren Überzeugungen und einer schwarzen Zukunft, und dann erreiche ich ihn nicht, sosehr ich mich auch bemühe.

Wir liegen still im Gras, beobachten den Himmel und halten uns an den Händen. Schließlich schlafe ich ein. Meine eine Wange ist in das kühle Gras gedrückt, der Frühlingswind weht mir über die Haut, und Landons Finger streicheln beruhigend über mein Handgelenk. Als ich wieder aufwache, sind alle Sterne mit dem ersten grauen Morgenlicht verschmolzen. Der Mond ist untergegangen und das Gras taufeucht. Das Erste, was ich bemerke, ist, dass Landons Hand nicht mehr in meiner ist, und sofort fühle ich mich leer, als wäre mein einer Arm von meinem Körper abgetrennt.

Ich setze mich auf, reibe mir die Augen und strecke die Arme über dem Kopf, während ich mich im Garten nach Landon umsehe. Er kann nur aufgestanden sein, um ins Bad zu gehen, denn er würde mich nie schlafend in seinem Garten alleine lassen.

Ich stehe auf, klopfe das Gras hinten von meinen Beinen und wandere den flachen Hang zu Landons Haus hinauf. Es kommt mir wie ein langer Weg vor, weil ich müde bin – noch ist es zu früh am Morgen, um schon auf zu sein. Auf der hinteren Veranda hole ich mein Handy aus der Tasche, um Landon eine SMS zu schicken und ihn zu fragen, was er gerade macht. Da bemerke ich, dass die Hintertür einen Spalt offen steht, und gehe hinein, ehe ich weiter darüber nachdenke. Das sieht mir eigentlich nicht ähnlich, denn normalerweise gehe ich nie unaufgefordert in sein Haus. Ich klopfe immer an, sogar wenn er mir vorher getextet hat, dass ich direkt in sein Zimmer kommen soll.

Aber diesmal zieht mich irgendetwas nach drinnen. In der Küche ist es kalt, sodass ich mich frage, wie lange die Tür schon offen steht. Fröstelnd schlinge ich die Arme um meinen Oberkörper und gehe durch die Küche zur Diele. Landons Eltern schlafen oben, deshalb achte ich darauf, leise durch den Flur und zu Landons Zimmer zu gehen, das unten im Keller ist. Die Treppe knarrt unter meinen Füßen, und ich halte den ganzen Weg nach unten den Atem an, weil ich keine Ahnung habe, was passiert, wenn seine Eltern aufwachen und mich erwischen, wie ich mich in sein Zimmer schleiche.

»Landon«, flüstere ich, als ich auf sein Zimmer ganz hinten im Flur zugehe. Bis auf das wenige Sonnenlicht, das durch die Fenster hineinfällt, ist es dunkel. »Bist du hier?«

Stille. Fast kehre ich um und gehe wieder nach oben, doch dann höre ich den Text eines unbekannten Songs, der beinahe von dem leisen Wummern der Bässe übertönt wird. Je näher ich dem Zimmer komme, umso lauter werden das Wummern und die Musik.

»Landon«, sage ich noch einmal vor seiner Tür und werde nervös. Warum ich nervös bin, weiß ich nicht. Oder vielleicht doch. Vielleicht weiß ich es schon lange, wollte es nur nie wahrhaben.

Meine Hand zittert, als ich den Knauf drehe. Dann schiebe ich die Tür auf, und jedes einzelne Wort, das Landon je zu mir gesagt hat, ergibt plötzlich einen Sinn, genauso wie die weisen Worte meines Vaters. Der kraftvolle Song aus der Stereoanlage umhüllt mich auf dieselbe Weise wie die unendliche Kälte. Leblos fällt meine Hand nach unten, und ich stehe mit starrem Blick in der Tür. Ich wünsche mir dringend, ganz dringend, unbedingt, nicht zu sehen, was ich sehe. Ich sage mir, wenn ich es mir nur fest genug wünsche, passiert es auch, und fange mit voller Konzentration an, rückwärts zu zählen. Nach wenigen Minuten wird alles in mir taub. Genau wie ich es wollte, verblasst meine Umgebung, und ich fühle nichts mehr. Ich falle auf den Boden, lande hart, doch ich kann keinen Schmerz fühlen.

Und jedes Mal, wenn ich an das zurückdenke, was ich an jenem Tag sah, sind die Bilder und Gefühle weg. Alles ist weg.

Quinton

Ich fahre viel zu schnell. Das weiß ich, und ich sollte langsamer fahren, aber alle jammern, dass ich mich beeilen und sie nach Hause bringen soll, weil wir es sonst nicht mehr bis zur Sperrstunde schaffen. Manchmal frage ich mich, wie ich mich immer wieder in so eine bescheuerte Situation bringen kann. Nicht, dass es eine große Sache wäre, aber ich hätte sicher eine Menge mehr Spaß, wäre ich so besoffen wie die anderen, denn es sind Frühjahrs­ferien, und ich sollte mich amüsieren. Mir gefällt es nicht, der Fahrer sein zu müssen, und trotzdem läuft es meistens darauf hinaus, dass ich mich genau als der anbiete. So kommt es, dass ich mal wieder einen Haufen betrunkener Idioten kutschiere.

»Du darfst hier drinnen nicht rauchen.« Ich öffne das Fenster, als der Qualm das Wageninnere füllt. »Meine Mom riecht das auf eine Meile Entfernung, und dann gibt sie mir ihren Wagen nicht mehr.«

»Ach, hör schon auf, Quinton«, schmollt meine Freundin Lexi, zieht an ihrer Zigarette und streckt ihren Arm aus dem offenen Fenster. »Wir lüften doch.«

Kopfschüttelnd greife ich mit der freien Hand nach drüben und nehme ihr die Zigarette weg. Dann halte ich sie aus dem offenen Fensterspalt auf meiner Seite, bis die glühende Spitze abfällt. Danach lasse ich sie ganz los. Es ist spät, die Straße, auf der wir fahren, schlängelt sich um einen See, und wir haben seit Ewigkeiten kein anderes Auto gesehen. Was gut ist, denn alle anderen im Auto sind noch nicht volljährig und stockbesoffen.

Lexi streckt mir die Zunge raus, verschränkt die Arme vor der Brust und lässt sich auf dem Sitz nach hinten fallen. »Du bist so langweilig, wenn du nüchtern bist! Es wäre viel witziger, wenn du so wie wir wärst.«

Ich verkneife mir ein Grinsen. Wir sind schon ein paar Jahre zusammen, und sie ist das einzige Mädchen, mit dem ich je eine Beziehung hatte und mir überhaupt eine vorstellen kann. Ich weiß, dass das furchtbar lahm und schmalzig klingt, weil wir erst achtzehn sind, aber fest steht, dass ich sie irgendwann heirate.

Immer noch schmollend streicht sie mit der Hand meinen Oberschenkel hinauf, bis sie bei meinem Schwanz ist, und reibt ihn fest. »Fühlt sich das gut an? Damit würde ich nämlich weitermachen, wenn du mich rauchen lässt.«

Ich versuche, nicht über sie zu lachen, da sie betrunken ist und dann wahrscheinlich sauer wird, doch es ist schon witzig, wie genervt sie ist, dass ich nüchtern bin. »Du wirst ganz schön angriffslustig und motzig, wenn du betrunken bist.« Ich winde mich, als sie den richtigen Punkt erwischt, und muss mich zusammenreißen, nicht die Augen zu schließen. »Aber ich lasse dich trotzdem nicht im Auto rauchen.«

Sie verdreht die Augen, zieht ihre Hand weg und sieht zur Rückbank, wo meine Cousine Ryder mit einem Typen rummacht, den sie auf der Party kennengelernt hat. Die beiden haben ihre Hände überall. Ich unternehme nicht gerne was mit Ryder, aber manchmal kommt sie hierher nach Seattle und besucht meine Oma. Lexi und sie haben sich bei einem ihrer Besuche angefreundet, als sie etwa zwölf waren, und seitdem sind sie unzertrennlich. So habe ich Lexi eigentlich erst kennengelernt.

Als Lexi wieder nach vorn sieht, rümpft sie die Nase. »Wie eklig.«

Vor einer scharfen Kurve gehe ich vom Gas. »Ach, tu doch nicht so, als würdest du dir nicht wünschen, dass wir beide das da hinten wären.« Ich zwinkere ihr zu, und sie zieht eine Grimasse. »Das tust du nämlich.«

Seufzend lässt sie die Arme auf ihren Schoß fallen. »Ja, klar. Wenn wir da hinten wären und ich versuchen würde, meine Zunge in deinen Hals zu stecken, würdest du sofort meckern.« Sie malt Anführungszeichen in die Luft. »Lexi, bitte, vorne sitzen Leute, die uns sehen können!«

»Bei dir höre ich mich wie ein alter Mann an.« Ich grinse ihr zu, während ich runterschalte, und der Motor dröhnt. Die Straße wird noch kurviger, und ich muss langsamer fahren, auch wenn sie alle jammern.

»Bist du ja irgendwie.«

»Blödsinn. Ich bin total witzig.«

»Nein, du bist total nett, Quinton Carter. Du bist echt einer der nettesten Typen, die ich kenne, aber der witzigste? Ich weiß nicht …« Ein hinterhältiges Grinsen huscht über ihr Gesicht, als sie sich mit dem Finger an den Mund tippt. »Wollen wir mal sehen?« Ohne den Blick von mir abzuwenden, rollt sie ihr Fenster ganz herunter. Der Wind verfängt sich heulend im Wagen und bläst ihr das Haar ins Gesicht.

»Was soll das?«, fragt Ryder von hinten, löst die Lippen von dem Typen und zupft sich das Haar aus dem Mund. »Lexi, mach das verfluchte Fenster zu! Ich fresse hier meine Haare!«

»Na gut, Mr. Total Witzig«, sagt Lexi, fixiert mich mit ihren Augen und biegt den Rücken durch, sodass sie den Kopf rückwärts zum Fenster reckt. »Finden wir heraus, wie viel Spaß man mit dir haben kann.«

Mir gefällt nicht, was sie vorhat. Sie ist zu betrunken, und selbst nüchtern ist sie immer schon waghalsig, unberechenbar und ein bisschen rücksichtslos. »Lexi, was hast du vor? Lass das! Ich will nicht, dass du dich verletzt.«

Mit einem trägen Lächeln lehnt sie ihren Kopf weiter aus dem Fenster. Fahles Mondlicht scheint auf ihre Brust und lässt ihre Haut im Dunkeln schimmern. »Ich will nur sehen, wie viel Spaß man mit dir haben kann, Quinton.« Sie hebt die Arme nach oben und rutscht hinauf zur Fensterkante. »Sehen wir mal, wie sehr du mich liebst.«

»Quinton, sag ihr, dass sie aufhören soll«, ruft ­Ryder und rutscht auf der Rückbank nach vorne. »Sie tut sich noch was.«

»Lexi, hör auf«, warne ich sie, greife mit einer Hand das Lenkrad und mit der anderen nach ihr. »Ich liebe dich, und deshalb musst du wieder runterkommen. Sofort!«

Sie schüttelt den Kopf, beugt sich aus dem Wagen und setzt sich auf die Fensterkante. Ich kann weder ihr Gesicht sehen noch, ob sie sich irgendwo festhält. Ich habe überhaupt keinen Schimmer, was zur Hölle sie macht oder denkt, und garantiert weiß sie das ebenso wenig, was mir eine Scheißangst einjagt.

»Wenn du so für Spaß bist, lass mich einfach frei sein«, ruft sie. Ihr Kleid weht auf, und ihre Füße sind zwischen Sitz und Tür eingeklemmt.

Ryder will zum Vordersitz klettern, knallt aber mit dem Kopf gegen das Wagendach innen und fällt nach hinten. Vorsichtig trete ich auf die Bremse, während ich mich über den Sitz lehne, um Lexi zu packen. Meine Finger erwischen ihr Kleid unten, da höre ich den Schrei. Sekunden später gerät der Wagen ins Schleudern, und ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Glasscherben fliegen in alle Richtungen, schneiden mir die Haut auf, dennoch versuche ich, Lexis Kleid zu halten. Aber ich fühle, wie mir der Stoff entgleitet, als ich mit einem Ruck zur Seite geworfen werde. Alle schreien und heulen, während Metall kreischt und verbeult. Ich sehe grelle Lichter, spüre warmes Blut, als etwas in meine Brust sticht.

»Quinton«, höre ich jemanden flüstern, kann jedoch nicht sehen, wer das ist. Ich will meine Augen öffnen, aber es fühlt sich an, als wären sie schon offen, obwohl vor mir alles nur schwarz ist. Vielleicht ist das besser, als zu sehen, was wirklich da ist.

 

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15 Monate später …

21. Mai, Tag 1 der Sommerferien

Nova

Meine Webcam ist perfekt eingestellt, auf mein Gesicht gerichtet. Das grüne Licht auf dem Bildschirm flackert wie verrückt, als könnte es nicht abwarten, dass ich mit dem Aufnehmen anfange. Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll und warum wir das Ganze überhaupt machen, außer dass mein Filmdozent es vorgeschlagen hat.

Er hat ernsthaft dem gesamten Kurs – und wohl auch seinen anderen Kursen – gesagt, dass wir, wenn wir wirklich Filme machen wollen, den ganzen Sommer üben sollen, selbst wenn wir keine Ferienkurse machen. »Wahre Videofilmer lieben es, die Welt durch ein anderes Auge zu betrachten, und sie nehmen gerne auf, wie sie die Dinge in einem anderen Licht sehen«, sagte er. Das war aus dem Lehrbuch zitiert, wie es die meisten meiner Dozenten tun, doch aus irgendeinem Grund traf es einen Nerv bei mir. Vielleicht lag es an dem Video, das Landon direkt vor den letzten Sekunden seines Lebens gedreht hatte, auch wenn ich mir das nie angesehen habe. Ich wollte es nicht und kann es sowieso nicht, weil ich viel zu große Angst vor dem habe, was ich sehen oder nicht sehen könnte.

Ursprünglich hatte ich mich für den Filmkurs eingetragen, da ich mit dem Einschreiben zu spät dran war und mir noch ein Wahlfach fehlte. Ich habe noch »Allgemeine Studien« belegt, weil ich bisher nicht weiß, was mich wirklich interessiert, und die einzigen Kurse, die nicht voll waren, waren »Einführung ins Videodesign« oder »Einführung ins Schauspiel«. Wenigstens bin ich bei dem Videokurs hinter einer Linse, statt vor allen anderen zu stehen, wo sie mich anstarren und fertigmachen können. Beim Videokurs bin ich diejenige, die bewertet. Wie sich herausgestellt hat, macht mir der Kurs richtig Spaß, und ich habe herausgefunden, dass es faszinierend ist, die Welt durch eine Linse zu betrachten. Es ist, als könnte ich sie aus dem Blickwinkel von jemand anderem sehen. Deshalb beschloss ich, das mit den Videos den Sommer über zu probieren, Spaß zu haben, die Zeit totzuschlagen und, wenn ich Glück habe, einiges über das Leben zu begreifen.

Ich drehe »Jesus Christ« von Brand New auf und lasse es im Hintergrund laufen. Dann packe ich ­einen Stapel Psychologiebücher von meinem Computerstuhl auf den Boden, damit ich Platz habe. Das letzte Jahr über habe ich diese Bücher angehäuft, weil ich etwas über die menschliche Psyche lernen wollte – über Landons Psyche –, aber auf den Seiten stehen nur leere Worte, nichts über die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen.

Ich setze mich auf den Drehstuhl und räuspere mich. Ich bin ungeschminkt, und die Sonne geht hinter den Bergen unter, doch ich will das Licht nicht einschalten. So ist der Bildschirm dunkel, und ich sehe aus wie ein Umriss vor einem helleren Hintergrund, was ideal ist. Genau so will ich es. Ich tippe auf den Cursor, und das grüne Licht wird zu ­einem roten. Prompt mache ich den Mund auf, bin bereit loszureden, aber dann erstarre ich. Ich ge­hörte nie zu den Leuten, die sich gerne fotografieren oder filmen lassen. Mir ist es lieber, hinter den Kulissen zu sein, und jetzt rücke ich mich aus Gründen, die ich selbst nicht recht begreife, ins Scheinwerferlicht. Ich kann nur hoffen, dass ich die Gründe herausfinde.

»Man sagt, dass die Zeit alle Wunden heilt, und vielleicht stimmt das«, sage ich, sehe auf den Monitor und beobachte, wie sich meine Lippen bewegen. »Aber was ist, wenn die Wunden nicht richtig heilen, so wie Schnitte fiese Narben hinterlassen oder gebrochene Knochen zwar wieder zusammenwachsen, aber nicht mehr beweglich sind?« Ich sehe zu meinem Arm und runzle die Stirn, als ich die un­ebene Narbe mit der Fingerspitze berühre. »Heißt das, dass sie trotzdem geheilt sind? Oder hat sich der Körper nur alle Mühe gegeben, wieder hinzukriegen, was gebrochen war …« Meine Worte verlieren sich, und ich zähle von zehn rückwärts, um meine Gedanken zu ordnen. »Aber was genau … bei mir … bei ihm … gebrochen ist, weiß ich nicht, doch es fühlt sich an, als müsste ich es herausfinden … irgendwie … nur wie verdammt noch mal soll ich das, wenn der einzige Mensch, der es wirklich weiß, tot ist?« Blinzelnd schalte ich den Bildschirm aus, und er wird schwarz.

27. Mai, Tag 7 der Sommerferien

Jeden Morgen habe ich dieses Ritual. Ich wache auf und zähle die Sekunden, die die Sonne über den Hügelkamm braucht. Es ist meine Art, mich auf einen Tag vorzubereiten, auf den ich mich nicht vorbereiten will, weil er ein weiterer Tag auf meiner Liste von Tagen ist, die ich ohne Landon lebe.

Heute Morgen ist es allerdings ein bisschen anders. Ich bin die Sommerferien über aus dem College zurück, und statt über den Hügeln von Idaho geht hier die Sonne über den Bergen von Wyoming auf, die Maple Grove umschließen, jene Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin. Die Veränderung macht es schwer, aus dem Bett zu kommen, weil sie nicht zu dem Ablauf passt, den ich mir die letzten acht Monate angewöhnt hatte. Und der allein hält mich halbwegs bei der Stange. Vorher war ich völlig im Eimer, instabil, außer Kontrolle. Ja, ich hatte keine Kontrolle. Und die muss ich wiederhaben, sonst lande ich mit einer Rasierklinge auf einem Badezimmerboden und mit dem dringenden Bedürfnis, das Bild und den Verlust aus mir raus­zubluten. Um endlich zu verstehen, warum er es ­getan hat, was ihn so weit trieb. Und mir fällt keine andere Art ein, wie ich das kann, ohne mir die Pulsadern aufzuschneiden. Doch mir ist klar geworden, dass mir dazu der Mut fehlt. Vielleicht bin ich deshalb so verwirrt, weil ich durchaus bis an meine Grenzen gehen kann, aber nicht weiter, so wie er.

Seit einer Woche bin ich zu Hause, und meine Mom und mein Stiefvater beobachten mich mit Argusaugen, als würden sie darauf warten, dass ich zusammenbreche – nach fast einem Jahr. Aber ich habe mich unter Kontrolle. Unter Kontrolle.

Nachdem ich aufgestanden bin und geduscht ­habe, ziehe ich meinen Bikini an und ein geblümtes Sommerkleid drüber. Dann binde ich mir einige Lederbänder um das Handgelenk und ziehe die Vorhänge zu, damit ich Landons Haus nicht sehe, bevor ich zu meinem Computertisch gehe, um einen kurzen Clip aufzunehmen.

Ich klicke die Aufnahme an und sehe auf den Monitor, während ich einige Mal Luft hole. »Also, ich habe über meine letzte Aufnahme nachgedacht – meine erste, besser gesagt – und überlegt, was das eigentlich soll oder ob es überhaupt einen Sinn hat.« Ich lehne meine Arme auf den Schreibtisch und beuge mich näher zum Monitor, sodass sich meine blauen Augen deutlich darin spiegeln. »Falls es einen Sinn hat, dann wohl am ehesten den, dass ich irgendwas entdecken soll. Vielleicht über mich oder über … ihn, denn ich habe das Gefühl, dass ich immer noch so vieles nicht begreife … so viele Fragen unbeantwortet sind. Vielleicht ist es aber auch eher so, dass ich, wenn ich das hier eines Tages, in ferner Zukunft, ansehe, erkennen werde, was ich wirklich über das Leben denke, und endlich einige Antworten auf das bekomme, was mich jeden Tag verwirrt. Denn im Moment fühle ich mich wie eine Flasche, die im Wasser treibt, und zwar in ekligem trübem Wasser.« Ich trommle nachdenklich mit den Fingern auf dem Tisch. »Eventuell kann ich auch meine Gedanken zurückverfolgen und herausfinden, warum er es getan hat.« Ich atme ein und laut wieder aus, während mein Puls schneller wird. »Und falls jemand anders das hier sieht, fragt er sich bestimmt, wer mit ergemeint ist, doch ich glaube nicht, dass ich seinen Namen schon aussprechen kann. Das kommt hoffentlich noch. Eines Tages, irgendwann. Aber wer weiß, vielleicht bleibe ich auch so ahnungslos und verloren wie ich jetzt bin.«

Hier mache ich Schluss, schalte den Computer aus und frage mich, wie lange ich mit dieser sinn­losen Scharade weitermachen will, die doch bloß ein Zeitfüller ist. Ich schiebe meinen Stuhl weg und gehe aus dem Zimmer. Es sind fünfzehn Schritte bis zum Ende des Flurs und weitere zehn bis an den Tisch. Gleich lange, ruhige Schritte. Würde ich jetzt filmen, wäre das Bild völlig unverwackelt, ganz fest.

»Guten Morgen, mein hübsches Mädchen«, trällert meine Mutter, die in der Küche herumwirbelt und vom Herd zum Kühlschrank und dann zum Schrank geht. Sie bäckt Kekse, und es riecht nach Zimt und Muskat, was mich an meine Kindheit erinnert. Früher saßen mein Dad und ich am Tisch, während sie buk, und warteten darauf, uns den Mund mit Zucker vollstopfen zu können. Aber er ist nicht mehr hier, und an seiner Stelle sitzt Daniel, mein Stiefvater, am Tisch. Er wartet nicht auf die Kekse. Nein, er hasst Zucker und hat ein Faible für gesundes Essen. Meistens ernährt er sich von Zeug, das wie Pferdefutter aussieht.

»Guten Morgen, Nova. Schön, dich wieder hier zu haben.« Er trägt Anzug und Krawatte, trinkt Grapefruitsaft und isst trockenen Toast. Sie sind seit drei Jahren verheiratet, und Daniel ist kein schlechter Kerl. Er hat immer für meine Mom und mich gesorgt. Aber er ist unscheinbar, ordentlich und irgendwie langweilig, weshalb er niemals ein Ersatz für meinen spontanen, abenteuerlustigen, tatkräf­tigen Dad sein kann.

Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen und lehne die Arme auf den Tisch. »Guten Morgen.«

Meine Mom holt eine Schale aus dem Schrank und dreht sich besorgt zu mir um. »Nova, Süße, ist es wirklich okay für dich … zu Hause zu sein? Wir können dir hier eine Therapie besorgen, wenn du das möchtest. Du nimmst doch noch deine Medikamente, oder?«

»Ja, Mom, ich nehme noch meine Medikamente«, antworte ich stöhnend, lege den Kopf auf meine Arme und schließe die Augen. Seit dem Morgen, als es passierte, schlucke ich ein Mittel gegen Angstzustände. Ob es etwas bringt, weiß ich nicht, aber der Therapeut hat es mir verschrieben, also nehme ich es. »Ich nehme die Tabletten jeden Morgen, mit der Therapie habe ich allerdings schon im Dezember aufgehört, weil die bloß Zeitverschwendung war.« Letztlich wollten alle immer nur, dass ich über das spreche, was ich an dem Morgen gesehen habe – was ich getan habe und warum –, und ich kann nicht einmal daran denken, geschweige denn darüber reden.

»Ja, ich weiß, Schatz, aber es ist anders, wenn du hier bist«, sagt meine Mutter leise. Natürlich dachte sie an die Hölle, durch die sie meinetwegen gegangen ist, bevor ich aufs College ging – die schlaflosen Nächte, das Weinen … meine aufgeschnittene Puls­ader. Aber das ist jetzt vorbei. Ich weine nicht mehr so viel, und mein Handgelenk ist verheilt.

»Mir geht es gut, Mom.« Ich öffne die Augen, setze mich aufrecht hin und verschränke die Hände vor mir. »Kannst du also bitte, bitte aufhören zu fragen?«

»Du hörst dich genau wie dein Vater an. Alles musste immer irgendwie gönnerhaft klingen«, bemerkt sie stirnrunzelnd und stellt die Schale auf die Arbeitsfläche. Im Grunde sieht sie so aus wie ich: langes, welliges braunes Haar, schmales Gesicht und einige Sommersprossen auf der Nase. Nur sind ihre blauen Augen viel strahlender als meine; sie funkeln beinahe. »Süße, du sagst zwar immer, dass es dir gut geht, aber du siehst traurig aus. Und ich weiß auch, dass es am College ganz gut läuft, doch jetzt bist du wieder hier, und alles, was passiert ist, liegt gleich gegenüber.« Sie zieht eine Schublade auf, nimmt einen großen Holzlöffel heraus und schiebt die Schublade mit der Hüfte wieder zu. »Ich will nur nicht, dass dich hier die Erinnerungen wieder einholen, weil alles so … nahe ist.«

Ich starre mein Spiegelbild in der Edelstahlmi­krowelle an. Es ist nicht besonders klar. Vielmehr sieht mein Gesicht ein bisschen verformt und verbeult aus wie in einem Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt. »Mir geht es gut«, wiederhole ich und bemerke, wie ausdruckslos meine Miene ist, als ich es sage. »Erinnerungen sind bloß Erinnerungen.« Ehrlich, es ist egal, was sie sind, denn ich kann die Teile nicht sehen, von denen ich weiß, dass sie mir das Herz wieder aufreißen: die wenigen Schritte, die zu Landons Ende führten, und die tonlosen Momente hinterher, bevor ich zusammenbrach. Ich habe hart daran gearbeitet, mein Herz wieder zu flicken, trotzdem ist es nicht besonders gut ge­worden.

»Nova« – sie seufzt und beginnt, in der Schüssel zu rühren –, »du kannst es nicht vergessen, ehe du es verarbeitet hast. Das ist ungesund.«

»Vergessen ist eine Form von Verarbeiten.« Ich schnappe mir einen Apfel aus dem Korb auf dem Tisch, weil ich nicht mehr darüber reden will. Es ist Vergangenheit, und die soll es auch bleiben.

»Nova, Schatz«, sagt sie traurig. Dauernd versucht sie, mich zum Reden zu bringen. Aber was sie nicht kapiert, ist, dass ich mich nicht erinnern kann, nicht einmal, wenn ich es wirklich versuche, was ich niemals tun werde. Es ist, als hätte meine Psyche ihren eigenen Verstand entwickelt, der diese Gedanken nicht herauslassen will, weil sie, wenn sie erst draußen sind, real werden. Und das will ich nicht. Ich will nicht wieder jene Person sein. Ich will mich nicht so an ihn erinnern.

Ich stehe auf und falle meiner Mom ins Wort: »Ich denke, ich lege mich heute an den Pool. Wahrscheinlich kommt Delilah demnächst vorbei.«

Meine Mom lächelt mir unsicher zu, will mehr sagen, fürchtet sich aber vor dem, was es bei mir auslösen könnte. Das kann ich ihr nicht verdenken. Immerhin war sie diejenige, die mich auf dem Badezimmerfußboden gefunden hat. Allerdings hielt sie es für mehr, als es tatsächlich war. Ich wollte nur herausfinden, wie er sich gefühlt hat – was in ihm vorging, als er entschied, es durchzuziehen.

»Wenn du willst.« Meine Mom runzelt enttäuscht die Stirn.

Ich nicke, nehme mir eine Cola-Dose aus dem Kühlschrank und umarme sie, bevor ich auf die Glasschiebetür zugehe. »Ja, will ich.«

Sie schluckt und sieht aus, als würde sie gleich heulen, weil sie denkt, dass sie ihre Tochter verloren hat. »Tja, wenn du mich brauchst, ich bin hier.« Dann dreht sie sich wieder zu ihrer Schüssel um.

Das sagt sie schon zu mir, seit ich knapp dreizehn war, seit ich meinen Dad sterben sah. Ich habe das Angebot nie angenommen, obwohl wir immer ein gutes Verhältnis hatten. Mit ihr über den Tod zu reden funktioniert einfach nicht. Im Moment könnte ich nicht mal mit ihr reden, wenn ich wollte. Ich habe jetzt meine Ruhe, die meine Heilung und meine Zuflucht ist. Ohne die würde ich die Geräusche jenes Morgens hören, die blutigen Bilder sehen und den erdrückenden Schmerz fühlen, der mit ihnen verbunden ist. Würde ich die sehen, müsste ich endlich akzeptieren, dass Landon nicht mehr da ist.

Ich mag keine unbekannten Orte. Sie machen mir Angst, sodass ich nicht richtig denken und atmen kann. Einer der Therapeuten, bei denen ich anfangs war, hat bei mir eine Zwangsstörung diagnostiziert. Ich bin aber nicht sicher, ob er damit richtiglag, denn er ist kurz danach weggezogen, und ich kam zu einem Therapeuten, der quasi noch in der Ausbildung war, und er sagte, dass ich bloß deprimiert und verängstigt bin. Deshalb schlucke ich seit einem Jahr und drei Monaten die Mittel gegen Angstzustände.

Die Fremdheit des Gartens stört meine Ordnung, und ich brauche ewig bis zum Pool. Bis ich es zur Liege geschafft habe, weiß ich, wie viele Schritte ich gebraucht habe, wie viele Sekunden es dauerte, mich hinzulegen, und wie viele weitere Sekunden, bis Delilah kommt und sich neben mich setzt. Ich weiß, wie viele Steine auf dem Weg zur Veranda liegen – zweiundzwanzig – und wie viele Zweige der Baum hat, der uns beschattet – achtundsiebzig. Das Einzige, was ich nicht weiß, ist, wie viele Sekunden, Stunden, Jahre oder Jahrzehnte es noch dauert, bis ich diese verdammte selbst gemachte Taubheit loslassen kann. Wann ich bereit sein werde, mich meinen finstersten Gedanken zu stellen, nämlich warum ich die Zeichen nicht erkannt habe. Und vielleicht kann ich dann endlich trauern. Deshalb zähle ich, konzentriere mich auf Zahlen statt auf die Gefühle, die immerzu in mir treiben, fast an der Oberfläche und dennoch unter Wasser.

Wir liegen mitten in meinem Garten, mit dem Pool hinter uns, und die Sonne brennt heiß auf uns herab, während wir uns in unseren Bikinis sonnen. Delilah ist seit ungefähr einem Jahr meine beste Freundin. Es ist komisch, dass wir uns plötzlich so vertraut waren, denn wir waren schon zusammen auf der Highschool, haben jedoch eigentlich nie miteinander geredet. Sie und ich gehörten unterschiedlichen Gruppen an, und ich hatte Landon. Aber nachdem es passierte … nachdem er starb …, hatte ich niemanden, und die letzten Wochen auf der Schule waren eine Tortur. Dann lernte ich Delilah kennen, und sie war nett und sah mich nicht an, als würde ich gleich zusammenbrechen. Wir verstanden uns auf Anhieb, und ehrlich, ich habe keinen Schimmer, was ich ohne sie machen würde. Sie ist für mich da, zeigt mir, wie man sich amüsiert, und sie erinnert mich daran, dass das Leben weitergeht, selbst wenn es kurz ist.

»Mein Gott, war es hier schon immer so heiß?« Delilah fächelt sich mit der Hand Luft zu und gähnt. »Ich habe es kühler in Erinnerung.«

»Ich glaube ja.« Meine Augen sind geschlossen, und ich habe eine Sonnenbrille auf. Blind taste ich auf dem Tisch nach dem Glas mit Eistee. Ich hebe es hoch, stütze mich auf einen Ellbogen und trinke einen Schluck. Erst jetzt öffne ich die Augen. Ich hatte sie recht lange geschlossen, sodass nun lauter Flecken meine Sicht verschwommen machen. »Wir können reingehen«, schlage ich vor und stelle das Glas wieder hin. Dann drehe ich es, bis es exakt in dem Kondensring steht, den es auf dem Tisch hinterlassen hatte. Ich wische mir mit dem Handrücken die Lippen ab und lehne den Kopf zurück. »Wir haben eine Klimaanlage.«

Delilah lacht spöttisch und greift nach dem glitzernden pinkfarbenen Flachmann in ihrer Tasche. »Ja, klar. Willst du mich verarschen?« Sie hält inne und betrachtet ihre knallroten Fingernägel, ehe sie den Deckel vom Flachmann abschraubt. »Nimm’s mir nicht übel, aber deine Eltern sind ein bisschen anstrengend.« Sie trinkt etwas und reicht mir den Flachmann.

»Meine Mom und mein Stiefvater«, korrigiere ich automatisch, setze den Flachmann an und nehme einen winzigen Schluck. Dann gebe ich ihn ihr zurück und schließe die Augen wieder. »Und sie sind bloß einsam. Ich bin das einzige Kind und war beinahe ein Jahr weg.«

Wieder lacht Delilah, jetzt allerdings fröhlicher. »Im Ernst, sie sind die anstrengendsten Eltern, die ich kenne. Jeden Tag rufen sie dich am College an und schicken dir Tausende SMS.« Sie steckt den Flachmann wieder in die Tasche.

»Sie sorgen sich nur um mich.« Was sie früher nicht taten. Meine Mom war richtig sorglos, bevor mein Dad starb; danach sorgte sie sich, wie sich sein Tod auf mich auswirkte. Dann starb Landon, und nun ist sie dauernd in Sorge.

»Ich mache mir auch Sorgen um dich«, murmelt Delilah und wartet, dass ich etwas sage. Aber das tue ich nicht, weil ich nicht kann. Delilah weiß, was mit Landon passiert ist, doch wir reden nie richtig dar­über – über die Einzelheiten oder was ich gesehen habe. Und das gehört zu den Dingen, die ich an ihr mag: dass sie keine Fragen stellt.

Eins … zwei … drei … vier … fünf … atmen … sechs … sieben … acht … atmen … Ich balle meine Hände zu Fäusten, kämpfe darum, mich zu beruhigen, doch in mir senkt sich die Dunkelheit herab, die mich vollständig einnimmt, wenn ich es zulasse, und mich hinunterzieht zu den letzten Bildern, an die ich mich nicht erinnern will.

»Ich habe eine fantastische Idee«, unterbricht Deli­lah mein Zählen. »Wir könnten uns Dylans und Tristans neue Wohnung ansehen.«

Ich mache die Augen auf und neige den Kopf zur Seite. Meine Hände liegen auf meinem Bauch, und ich fühle meinen Puls an den Fingerspitzen. Er ist unregelmäßig, was das Zählen schwierig macht, aber ich versuche es trotzdem. »Du willst dir die Wohnung von deinem Exfreund ansehen? Ernsthaft?«

Sie schwingt ihre Beine von der Liege, setzt sich hin und schiebt ihre Sonnenbrille nach oben in ihr Haar. »Wieso nicht? Ich bin wirklich neugierig, was aus ihm geworden ist.« Sie presst die Fingerspitzen in ihre Augenwinkel und klaubt kleine Brocken Eyeliner heraus.

»Ja, aber ist es nicht schräg, einfach bei ihm aufzukreuzen, nachdem du ewig nicht mit ihm gesprochen hast? Und eure Trennung lief ziemlich fies ab«, sage ich. »Echt, wenn Tristan nicht dazwischen­gegangen wäre, hättest du ihn wahrscheinlich geschlagen.«

»Ja, wahrscheinlich, aber das ist Schnee von gestern.« Sie nagt an ihrem Daumennagel und sieht mich schuldbewusst an, während sie einen Schmierstreifen von dem Bräunungsspray von ihrem Bauch wischt. »Außerdem ist das so nicht ganz korrekt. Wir haben gestern sozusagen miteinander geredet.«

Verwundert setze ich mich hin und binde mein langes, welliges braunes Haar mit einem Gummi zum Pferdeschwanz. »Ist das dein Ernst?«, frage ich, und als sie nicht antwortet, sage ich: »Vor neun Monaten, als er dich betrogen hat, hast du geschworen, dass du nie wieder mit diesem ›beschissenen, verlogenen, fremdgehenden Mistkerl‹ reden willst. Und wenn ich mich recht erinnere, war das sogar der entscheidende Grund, weshalb du mit mir aufs College gegangen bist – weil du Abstand brauchtest.«

»Habe ich das echt gesagt?« Sie täuscht Vergesslichkeit vor und tippt sich mit dem Finger ans Kinn. »Tja, wie alles andere in meinem Leben habe ich mir auch das anders überlegt.« Sie greift nach dem Bräunungsspray auf dem Tisch zwischen uns. »Und außerdem habe ich Abstand gebraucht, nicht nur von ihm, sondern von meiner Mom und dieser Stadt. Aber jetzt sind wir wieder hier, und ich finde, da kann ich auch genauso gut ein bisschen Spaß haben. Das College hat mich geschafft.«

Ich kenne keinen solch unentschlossenen Menschen wie Delilah. In unserem ersten Studienjahr hat sie drei Mal ihre Hauptfächer gewechselt, ihr Haar von Rot auf Schwarz und wieder rot gefärbt und ungefähr ein halbes Dutzend Freunde verschlissen. Insgeheim finde ich das klasse, egal wie sehr ich das Gegenteil vorgebe. Irgendwie hat mich gerade ihre unbekümmerte, lässige Art angezogen und dass sie alles Mögliche von einem Moment auf den nächsten vergessen kann. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte genauso sein, und wenn ich viel mit ihr zusammen bin, gibt es einige wenige Momente, in denen es mir gelingt, fast so wie sie zu denken.

»Worüber habt ihr beide geredet?«, frage ich und zupfe einen Grashalm von meinem Bein. »Und erzähl mir bitte nicht, dass ihr wieder zusammen seid, denn ich will nicht noch einmal mit ansehen, wie du so gekränkt wirst.«

Mit einem breiten Lächeln streicht sie sich einige rote Strähnen hinter ihre Ohren. In beiden Ohren hat sie diverse Stecker. »Was ist mit dir und Dylan? Wieso magst du ihn nicht?«

»Weil er unheimlich ist. Und weil er dich betrogen hat.«

»Er ist nicht unheimlich … er ist geheimnisvoll. Und er war besoffen, als er fremdgegangen ist.«

»Delilah, du hast was Besseres verdient.«

Sie sieht mich prüfend an. »Ich bin nicht besser als er, Nova. Ich habe schon einige superüble Sachen gemacht, anderen wehgetan. Ich habe Fehler gemacht, wie wir alle.«

Ich bohre meine Fingernägel in die Handflächen und denke an all die Fehler, die ich gemacht habe, und deren Folgen. »Doch, du bist besser. Er macht nichts anderes, als dich zu betrügen und zu dealen.«

Sie klatscht eine Hand auf ihr Knie. »Hey, er ­dealt gar nicht mehr! Damit hat er schon vor einem Jahr aufgehört.«

Seufzend schiebe ich meine Sonnenbrille nach oben und massiere mir die Schläfen. »Und was macht er dann seit einem Jahr?« Ich nehme meine Hände herunter und blinzle im Sonnenlicht.

Delilah zuckt mit den Schultern. Dann grinst sie, packt meine Hand und zieht mich mit sich hoch, als sie aufsteht. »Was hältst du davon, wenn wir uns umziehen, hinfahren und es rausfinden?« Als ich widersprechen will, fügt sie hinzu: »Das wäre eine gute Ablenkung.«

Ich schwöre bei Gott, dass sie meine Gedanken lesen kann. Also nicke ich. Der eigentliche Grund, weshalb ich nicht dorthin will, ist eher der, dass ich fremde Orte hasse, und weniger, dass ich Dylan nicht mag, denn genau genommen kenne ich ihn gar nicht so gut. Unbekannte Situationen machen mich nervös, und dann gerät das Zählen schon mal ein bisschen außer Kontrolle. Aber ich will mich auch nicht streiten, denn sonst rege ich mich auf, und das hätte denselben Effekt. So oder so weiß ich schon, dass ich den Kopf voller Zahlen haben werde. Aber wenigstens kann ich ein Auge auf Delilah haben, wenn ich mitgehe, und vielleicht wird sie am Ende glücklich. Ehrlich, mehr kann ich nicht verlangen, als dass alle glücklich sind. Doch wie ich aus allzu schmerzlicher Erfahrung weiß, kann man keinen zwingen, glücklich zu sein, ganz gleich wie sehr man es sich wünscht.

 

2

 

2

Quinton

Jeden Tag stelle ich mir dieselbe Frage: Warum ich? Warum habe ich überlebt? Und jeden Tag kriege ich dieselbe Antwort: Ich weiß es nicht. Tief im Innern weiß ich, dass es keine Antwort gibt, trotzdem frage ich es mich immer wieder und hoffe, dass vielleicht eines Tages jemand Mitleid mit mir hat und mich aufklärt. Aber mein Kopf ist dauernd vernebelt, und die Antworten liegen in den schroffen, abweisenden Reaktionen, die ich überall bekomme. Sie sagen mir, dass es egal sei, warum ich überlebt habe, es wäre meine Schuld und ich sollte in der Erde begraben sein, eingesperrt in einer Kiste unter einem beschrifteten Stein.

»Danke, dass ich hier sein kann«, sage ich zum tausendsten Mal. Ich sehe meinem Cousin Tristan an, dass er schon etwas genervt ist, weil ich es dauernd sage, doch ich kann einfach nicht aufhören. Sicher war es nicht leicht für ihn, dem Meistge­hassten in unserer Familie zu helfen. Dem, der Leben zerstört und eine Familie entzweit hat. Aber ich musste weg, so ungern ich es auch wollte. Das wurde mir klar, als mein Dad nach einem Jahr in fast völliger Stille endlich mit mir sprach.

»Ich denke, es ist Zeit, dass du ausziehst«, sagte er und sah mich an, wie ich faul auf dem Bett lag und Musik hörte. Ich zeichnete etwas, das wie eine Eule in einem Baum aussah, aber meine Sicht war ein wenig verschwommen, deshalb konnte ich es nicht genau sagen. »Du bist neunzehn und langsam zu alt, um noch zu Hause zu wohnen.«

Ich war total high und hatte einige Mühe, mich auf etwas anderes als seine Lippenbewegungen zu konzentrieren. »Okay.«

Er betrachtete mich von der Tür aus, und es war offensichtlich, dass er enttäuscht von mir war. Ich war nicht mehr sein Sohn, sondern ein abgewrackter Junkie, der den ganzen Tag herumlag, sein Leben vergeudete und alles ruinierte, wofür er so hart gearbeitet hatte. Die Jahre auf der Highschool, die guten Noten, die Preise bei den Kunstausstellungen, das Büffeln fürs Stipendium – alles wurde geopfert für einen schlichten, kurzen Moment des High-Seins. Mein Dad versuchte nicht zu verstehen, warum ich das brauchte – dass es mir ohne schlechter ginge –, und ich wollte auch nicht, dass er es versteht. Es ist ja nicht so, als hätten wir vor dem Unfall ein gutes Verhältnis gehabt. Meine Mom ist bei meiner Geburt gestorben, und obwohl er es nie aussprach, frage ich mich oft in der end­losen Stille beim Essen oder Fernsehen, ob er mir die Schuld gibt. Immerhin starb sie, als sie mich auf die Welt brachte.

Endlich ging er, und das Gespräch war vorbei. Am nächsten Morgen war mein Kopf ein bisschen klarer, und ich begriff, dass ich eine Wohnung brauchte, wenn ich ausziehen sollte. Zu der Zeit hatte ich keinen Job, weil ich bei dem letzten durch einen unangekündigten Drogentest gefallen war, und es war bei Weitem nicht das erste Mal, dass ich rausgeflogen war. Da mir nichts anderes einfiel, rief ich Tristan an. Früher waren wir befreundet … bevor alles passierte. Ich kam mir wie ein Arsch vor, weil ich ihn anrief, ich erinnerte mich allerdings, dass er nett war, und er hatte sogar nach den Beerdigungen mit mir geredet, auch wenn es seine Eltern nicht mehr taten. Zuerst schien er nicht begeistert, aber er sagte Ja, und ein paar Tage später packte ich meinen Kram zusammen, kaufte mir ein Ticket und flog zu meinem neuen Übergangszuhause.

»Alter, zum tausendsten Mal, alles ist klar, also hör auf, dich bei mir zu bedanken.« Tristan hebt den letzten Karton aus dem Kofferraum seines Wagens.

»Ja, aber was ist mit deinen Eltern?«

»Was soll mit denen sein?«

»Werden sie nicht sauer, wenn sie mitkriegen, dass ich bei dir wohne?«

Er knallt die Kofferraumklappe zu. »Wie sollen sie das mitkriegen? Sie reden nicht mit mir. Genau genommen haben sie mich quasi enterbt, weil ihnen nicht gefällt, wie ich lebe.« Ich will etwas erwidern, doch er kommt mir zuvor. »Echt jetzt, entspann dich. Sie kommen nie vorbei. Ich spreche kaum mit ihnen. Also mach dich locker und freu dich über dein neues Zuhause.« Er geht zur Pforte, und ich folge ihm. »Ich muss dir allerdings sagen, dass du wohl lieber mit dem Auto gekommen wärst. Ohne kommt man praktisch nicht weg von hier.«

»Nein, so ist es besser.« Ich ziehe den Riemen meiner Tasche höher auf meine Schulter, und wir gehen auf den einfachen Trailer zu. Die Außenfarbe blättert ab, eines der Fenster ist mit einer Spanplatte vernagelt, und Rasen gibt es nicht. Stattdessen gibt es eine Kiesschicht, dann einen Zaun und dahinter mehr Kies. Es ist ein echtes Schrotthaus, aber das ist okay. Dies ist genau die Sorte Bleibe, in die ich ge­höre, deren Existenz schon keiner zugeben will, so wie sie es bei mir auch tun.

»Dir ist klar, dass hier kein Bus fährt, oder?«, fragt er und tritt auf die kleine Treppe, die unter seinen Füßen kippelt. »Das hier ist eine beschissene Kleinstadt.«

»Ist schon okay.« Ich folge ihm, eine Hand an meinem Taschenriemen. »Ich kann zu Fuß gehen.«

Lachend balanciert er den Karton auf einem Arm, um die Fliegentür zu öffnen. »Tja, wenn du meinst.« Er geht hinein, und ich fange die Tür mit dem Fuß ab, bevor ich nach dem Knauf greife und ihn halte, um mich halb seitlich hindurchzuzwängen.

Als Erstes fällt mir der Geruch auf: verraucht, aber mit einer würzigen Note, bei der es sofort hinten in meinem Hals brennt. Das ist vertraut, und plötzlich fühle ich mich richtig zu Hause. Ich blicke mich in dem Raum um und entdecke den Joint, der im Ascher auf einem zerkratzten Couchtisch brennt.

Tristan lässt den Karton auf den Boden fallen, steigt über ihn und geht zum Aschenbecher. »Stört dich doch nicht, oder?«, fragt er mich, nimmt den Joint auf und hält ihn zwischen den Fingern. »Ich weiß nicht mehr, ob du kiffst oder nicht.«

Es ist eigentlich keine Frage, mehr eine Warnung, dass ich damit klarkommen muss, wenn ich hier wohne. Ich lasse den Taschenriemen meinen Arm hinuntergleiten, und die Tasche fällt auf den Boden. »Habe ich früher nicht.« Früher waren mir Sachen wichtig. Früher dachte ich, wenn ich das Richtige tue, würde ich ein guter Mensch. »Aber jetzt stört es mich nicht mehr.«

Bei meiner vagen Antwort zieht er die Brauen zusammen, und ich greife nach dem Joint, damit er begreift, was ich meine. Sobald er in meiner Hand ist und der giftige, berauschende Rauch in mein Gesicht steigt, entspanne ich mich, und das Flattern in meiner Brust wird regelmäßiger. Ich werde noch ruhiger, als ich einen tiefen Zug nehme. Ich halte ihn in mir fest, während ich Tristan den Joint zurückgebe, damit der Rauch weiter in meiner Kehle brennt, meine Lunge füllt und mein Herz versengt. Das will ich – brauche ich –, denn etwas anderes verdiene ich nicht. Ich öffne die Lippen und lasse den Rauch in die bereits verqualmte Luft wehen. Zum ersten Mal, seit ich aus dem verfluchten Flugzeug gestiegen bin, fühle ich mich unbeschwert.

»Ach du Scheiße! Guck sich einer an, was der Hund angeschleppt hat!« Dylan, Tristans Mitbewohner, kommt lachend hinter einem Vorhang weiter hinten im Raum vor. Dicht hinter ihm ist ein blondes Mädchen. Ich habe ihn erst ein paarmal bei den we­nigen Gelegenheiten gesehen, die mein Vater mich mit zu Besuch bei Tristans Eltern in Maple Grove nahm. Er sieht anders aus – brutaler – mit seinem kahl rasierten Schädel und den vielen Tattoos auf seinen Armen. Außerdem war er früher fülliger, aber ich schätze, er hat von den Drogen abgenommen.

»Hi, Quinton.« Die Blonde winkt und kommt an Dylan vorbei auf mich zu. Sie hat ihre Arme fest vor ihrem Oberkörper verschränkt, sodass ihre Titten beinahe aus dem Top quellen. Anscheinend kennt sie mich, doch ich habe keinen Schimmer, wer sie ist. »Ist lange her.«

Ich zermartere mir das Hirn nach irgendeiner ­Erinnerung, in der sie vorkommt, aber das Gras hat mir den Kopf vernebelt und mich genau so gemacht, wie ich sein will: betäubt und herrlich blöd.

Als sie bei mir ist, streicht sie mit der flachen Hand an meiner Brust hinauf und neigt sich vor, sodass ihre Titten an mich gepresst sind. »Das letzte Mal, dass ich dich gesehen habe, warst du ein dürrer Zwölfjähriger mit Zahnspange und Brille. Gott, du hast dich wirklich verändert.« Ihre Hand wandert von meiner Brust zu meinem Bauch. »Du bist ja richtig scharf.«

»Ah, Nikki, stimmt’s?« Ich erinnere mich an etwas … Wir waren Kinder, und alle in der Straße beschlossen, Baseball zu spielen. Doch das ist nur eine schwache Erinnerung, die ich lieber vergessen will. Sie erinnert mich zu sehr an das, was war und nie wieder sein wird. »Du hast dich …« Ich mustere sie und kann so ziemlich alles sehen. »Verändert.«

Sie nimmt es als Kompliment, obwohl es nicht so gemeint war. »Danke.« Lächelnd wackelt sie mit den Hüften. »Ich bemühe mich immer, so gut wie möglich auszusehen.«

Ich habe wieder den Joint in der Hand und nehme noch einen Zug, halte den Rauch, bis es sich anfühlt, als würde meine Lunge bersten, und lasse ihn wieder frei. Asche fällt auf den schon von Brand­löchern übersäten braunen Teppich. Ich gebe Tristan den Joint zurück und genieße es, wie die Taubheit in meinen Körper einsickert. »Wo soll ich meine Sachen hinstellen?«, frage ich Tristan.

Dylan zeigt mit einem Finger zu einem schmalen Flur. »Ganz hinten ist ein freies Zimmer. Das ist ein bisschen klein, aber es ist ein Bett und so drin.«

Ich hebe meine Tasche auf und gehe um Nikki herum in Richtung Flur. »Ich nehme alles, solange ich keinem auf die Nerven gehe.«

Dylan nickt und sagt zu Nikki: »Wie wär’s, wenn du Quinton zeigst, wo das Zimmer ist?«

»Sicher.« Sie lächelt mich übertrieben strahlend an und reißt Tristan den Joint aus der Hand. Dann schließt sie die Lippen um das Ende, inhaliert und bläst den Rauch aus. Nachdem sie den Joint zurückgegeben hat, läuft sie voraus, sodass ich ihren Hintern ansehen kann, als sie den Flur entlanggeht.

»Bist du mit ihr zusammen?«, frage ich Dylan, der in die kleine vollgemüllte Küche in der Ecke des Trailers geht.

»Nee, ich hab’s nicht so mit Beziehungen«, antwortet er schulterzuckend und schiebt die Hände in seine Jeanstaschen. »Außerdem kommt heute Abend eine alte Freundin von mir her.«

»Delilah?«, fragt Tristan und wirft sich auf die Couch. Dylan nickt.

»Was ist mit Nova? Kommt sie mit ihr?«, will Tristan wissen.

»Nova?«, frage ich. »Ist das ihr Auto?«

Tristan schüttelt lachend den Kopf. »Nein, ein Mädchen, Schwachkopf!«

»Interessanter Name«, sage ich. Ich bin neugierig, was für ein Mädchen so wie mein Lieblingswagen heißt, aber letztlich ist es unwichtig. Alles ist unwichtig. Ich werde nie wieder mit einem Mädchen zusammen sein, nie wieder Gefühle für jemanden haben.

»Kommst du irgendwann mal über sie weg?« Dylan nimmt einen Plastikbecher, der neben der Spüle steht, und wirft ihn nach Tristan. Der duckt sich, sodass der Becher über seinen Kopf hinwegfliegt. »Du hast bloß ein einziges Mal mit ihr rumgemacht, und da war sie total besoffen.«

»Na und?«, kontert Tristan und beugt sich über die Armlehne des Sofas, um den Plastikbecher aufzuheben. Dann setzt er sich wieder auf und wirft den Becher nach Dylan, verfehlt ihn allerdings, und der Becher landet auf dem Fußboden. »Du bist immer noch hinter Delilah her, und die ist acht Monate weg gewesen.«

Dylan kickt den Becher über den Boden und stößt gegen den Kühlschrank. »Nova hat zu viele Alt­lasten. Damit kannst du nicht umgehen.«

»Du hast keine Ahnung, womit ich umgehen kann«, murmelt Tristan und starrt auf den braunen Teppich.

Das ist mein Stichwort zu verschwinden, denn für einige seiner Altlasten bin ich verantwortlich. Ich ­gehe hinter Nikki her und fühle mich wieder wie ein Stück Scheiße, als meine Vergangenheit mich einholt. Doch ich konzentriere mich auf die paar Schritte vor mir. Mir ist klar, was gleich in dem Zimmer passieren wird, denn es ist offensichtlich, was Nikki will. Und, ehrlich gesagt, kann ich die Ablenkung gebrauchen. Der Tag war heftig, vor allem nachdem mein Vater mich zum Flughafen gefahren hatte. Ich wusste, dass er es nicht wollte, aber er fühlte sich wohl verpflichtet – als würde er es meiner Mutter schulden.

»Bis dann« war alles, was er sagte. Dann ließ er mich vor den Eingangstüren stehen.

Es hätte mir nichts ausmachen sollen, dass er mich nicht umarmt hat oder so, aber ich bin schon seit einem Jahr nicht mehr umarmt worden, und manchmal fehlt mir das, dieser Körperkontakt, das Wissen, dass einen jemand mag.

»Also das Bett ist superweich.« Nikki sinkt auf das Doppelbett, wippt ein bisschen und überkreuzt die Beine.

Ich lasse meine Tasche auf den Boden fallen. Das Zimmer ist kaum größer als ein Wandschrank, daher stehe ich direkt vor Nikki und blicke hinab auf die schmutzige Matratze. »Ach ja?«

Sie grinst mich verführerisch an. »Und ob.« Dann greift sie nach oben, packt mein Shirt vorne und zieht mich zu sich hinunter.

Ihre Lippen sind trocken und schmecken nach Gras, aber ich schließe die Augen und erwidere ihren Kuss, denke an nichts mehr und beuge mich über sie. Wir fallen auf das Bett. Ich weiß, dass es falsch ist. Keiner von uns interessiert sich auch nur entfernt für den anderen. Es ist völlig bedeutungslos, genauso sinnlos wie meine Existenz und genauso unbedeutend. Aber das habe ich verdient. Und in dem Moment, in dem es für mich Sinn ergibt – in dem ich auch bloß den Hauch von Zufriedenheit oder Glück mit einer anderen erlebe –, breche ich mein Versprechen gegenüber Lexi.

 

3

 

3

Nova

Mit der Stille geht eine seltsame Form von Klarheit einher, aber das kommt vielleicht bloß daher, dass sie so unmöglich zu erreichen ist. Ich muss nicht nur den Lärm außen aussperren, sondern auch den in mir: die Gedanken, die mir zuflüstern wollen, wer ich bin, was ich fühlen soll oder was nicht, was ich getan habe oder was nicht – was falsch gelaufen ist. Manchmal, wenn ich nachts wach bin, versuche ich, die wohltuende Klarheit der Stille zu erreichen, doch es ist jedes Mal das, was ich nicht getan habe, was es für mich ruiniert, das konstante Wispern in meinem Kopf. Du hättest ihn retten müssen. Ich frage mich, ob Landon es jemals geschafft hat, diese vollkommene Klarheit zu erreichen, und er es deshalb tat. Vielleicht hörte er gar nichts und nahm das als Zeichen, dass es Zeit war, alles zu beenden.

»Wie sehe ich aus?« Delilah sieht in den Rückspiegel des alten Pick-ups, den sie schon fuhr, bevor wir aufs College gingen, und schminkt sich die Lippen. Dann dreht sie sich mit einem blendenden Lächeln zu mir.

»Du siehst perfekt aus.« Ich hingegen habe mir nicht mal das Haar gebürstet, denn ich bin ja nicht hier, um irgendwen zu beeindrucken. Ich bin hier, weil Delilah es will. Nicht mehr und nicht weniger.

Sie macht einen Schmollmund, greift hinunter zu ihrem tief ausgeschnittenen dunkelroten Top und richtet ihre Brüste, sodass sie mehr Dekolleté zeigt. Ich muss grinsen, aber der momentane Funken von Leben ist schnell wieder fort, als ich anfange, die Stufen zu zählen, die in den schmalen Trailer vor uns führen, und die Reifen, die sich in dem Vorgarten stapeln. Vier und acht.