Gefährliche Mission - Oliver Schröm - E-Book

Gefährliche Mission E-Book

Oliver Schröm

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Beschreibung

Erstmals gelang es einem Journalisten, ganz nah an den erfolgreichsten Terrorfahnder Deutschlands heranzukommen. Dem preisgekrönten Autor Oliver Schröm offenbart der »Mann für gefährliche Missionen« die Hintergründe und Abläufe bislang streng geheim gehaltener internationaler Anti-Terror-Operationen. Hervorragend recherchiert und exzellent geschrieben. Ein Doku-Thriller der Sonderklasse. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Oliver Schröm

Gefährliche Mission

Die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Terrorfahnders

FISCHER Digital

Inhalt

Für DorotheeTeil 1 Im Fadenkreuz palästinensischer TerroristenNikosia, Zypern, 7. Dezember 1989Bundeskriminalamt, Wiesbaden, 1. März 1979Bundeskriminalamt, Wiesbaden, Anfang April 1979Nikosia, Zypern, 9. Dezember 1989Bundeskriminalamt, Wiesbaden, August 1979München-Riem/Damaskus, 9. November 1979Nikosia, Zypern, 8. Dezember 1989Bundeskriminalamt, Wiesbaden, 12. Dezember 1989Berlin, April 1990Teil 2 Auf der Spur des SchakalsBerlin, Ende Juni 1990Bundeskriminalamt, Wiesbaden, 16. August 1990Berlin, Ende September 1990Wiesbaden, Ende September 1990München, 1. Oktober 1990Flughafen Frankfurt, Oktober 1990Berlin, 26. März 1991Berlin, 23. Juni 1991Athen, 14. Januar 1993Athen, 29. Januar 1993Athen, 12. Mai 1993Berlin, 27. Juli 1993Paris, 3. Dezember 1993Budapest, 7. Januar 1994Wiesbaden, 15. August 1994Wien, Oktober 1994Wiesbaden, 1. Juni 1995Sanaa, Jemen, 4. Juni 1995Wiesbaden, Bundeskriminalamt, 6. Juni 1995Teil 3 Der lange Schatten der RAFWiesbaden, Mitte April 1996Beirut, 20. Mai 1996Frankfurt, Anfang Juli 1996Beirut, 20. September 1996Berlin, 26. November 1996Wiesbaden, 10. März 1997Beirut, Oktober 1998Beirut, 6. Mai 1999Wiesbaden, 7. März 2000Berlin, Frühjahr 2004Beirut, 4. Juli 2005NachwortGlossarAbkürzungsverzeichnisPersonenregister

Für Dorothee

Teil 1 Im Fadenkreuz palästinensischer Terroristen

Nikosia, Zypern, 7. Dezember 1989

Als er das kalte Metall an seiner Schläfe spürt, weiß Richard Böttcher, dass es ein Fehler war, so einfach in das Haus zu gehen. Er hätte damit rechnen müssen, dass hinter der Tür ein Leibwächter postiert ist. Aber jetzt ist es zu spät. Böttcher fühlt, wie sein Puls schneller geht. Er wagt nicht, sich zu bewegen.

Es dauert einige Sekunden, bis sich seine Augen an das Licht in dem dunklen Flur gewöhnen. Als sich sein Blick klärt, erkennt er aus den Augenwinkeln, was ihn bedroht. Adrenalin schießt ihm ins Blut. Aus der Dunkelheit ragt der Gewehrlauf eines Sturmgewehrs sowjetischer Bauart, einer Kalaschnikow. Sein Herz rast.

Böttcher nimmt die Person nicht wahr, die ihm die Mündung des Gewehrs ins Fleisch bohrt. Er schielt nur auf die Hand. Der Zeigefinger liegt am Abzug der Kalaschnikow. Böttcher wagt es immer noch nicht, sich zu rühren. Die Sekunden scheinen sich bis zur Unendlichkeit auszudehnen. Er fühlt nichts außer seinem Herzschlag. Der Finger am Abzug krümmt sich mehr und mehr.

Plötzlich hört er Schritte. Böttcher löst seinen Blick, dreht seinen Kopf leicht zur Seite und schaut seinem Gegenüber ins Gesicht. Wie durch ein Vergrößerungsglas erkennt er jede Pore in dem scharf geschnittenen Antlitz eines jungen Arabers, der ihn mit aufgerissenen Augen anstarrt. Böttcher kämpft gegen die Panik an, der Bursche könnte die Nerven verlieren.

Die Schritte kommen näher. Die Augen seines Gegenübers huschen hin und her. Abwechselnd schaut der junge Araber zu Böttcher, dann wieder in Richtung der Schritte, die nun verstummen. Vorsichtig dreht auch Böttcher seinen Kopf. Nur wenige Meter von ihm entfernt steht ein Mann. Böttcher mustert ihn mit geübtem Blick. Der Mann trägt Anzugshose und Hemd. Er sieht aus, als wollte er gerade das Haus verlassen und sich nur noch schnell ein Jackett überziehen. Der Mann hebt seine rechte Hand. Eine Geste, die dem Araber befiehlt, nicht gleich zu schießen, wie Böttcher erleichtert registriert. Böttcher kennt den Mann, der ihm drei Meter entfernt gegenübersteht. Er ist ein berüchtigter, palästinensischer Terrorist. Sein Name: Abu Walid al Iraki. Seinetwegen ist er hier.

 

Böttcher ist verblüfft. Abu Walid hat sich kaum verändert, seit sie sich das letzte Mal gesehen haben. Noch immer hängt ihm eine Locke tief in die Stirn seines markanten Gesichts, und das Menjou-Bärtchen sieht immer noch aus wie angeklebt. Lediglich die grau melierten Kopf- und Barthaare verraten, dass seit ihrem letzten Zusammentreffen zehn Jahre vergangen sind.

Die Augen von Abu Walid fixieren Böttcher. Er sagt kein Wort. Böttcher hält dem Blick stand. Aber das Schweigen zerrt an seinen Nerven. Er sieht Abu Walid an, dass er sich zu erinnern versucht, woher sie sich kennen. Böttcher kämpft gegen den Gedanken an, dass Abu Walid falsche Schlüsse ziehen könnte. Wenn Abu Walid seine Hand herunternimmt, wäre dies sein Todesurteil.

Böttcher weiß nur zu gut, dass Abu Walid es gewohnt ist, Todesurteile zu fällen. Nach unbestätigten Geheimdienstberichten saß Abu Walid mit am Tisch, als eine Runde palästinensischer Terroristen im Sommer vergangenen Jahres im libyschen Tripolis beschloss, einen tödlichen Irrtum zu rächen. Der US-Kreuzer »Vincennes« hatte kurz zuvor, im Juli 1988, versehentlich einen iranischen Airbus über dem Persischen Golf abgeschossen. Bei einem Vergeltungsanschlag sollten nun möglichst viele US-Amerikaner ums Leben kommen.

Einen Monat nach dem Treffen explodierte über dem schottischen Lockerbie eine Passagiermaschine der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm. Die Boeing stürzte mitten in das schottische Städtchen und hinterließ eine tiefe Schneise der Verwüstung. 270 Menschen starben. Wer wirklich hinter diesem Anschlag steckte, ist unklar. Neben dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi werden auch iranische Mullahs als mögliche Auftraggeber genannt. Angeblich haben sie den Attentätern zehn Millionen Dollar Belohnung versprochen.

Mittlerweile beschäftigt der Terroranschlag auch deutsche Ermittlungsbehörden. Der Koffer mit der Bombe wurde vermutlich am Frankfurter Flughafen aufgegeben. Jedenfalls startete PanAm-Flug 103 immer in Frankfurt und flog dann über London nach New York. Aber Böttcher ist nicht hierher gekommen, um sich mit Abu Walid über den Anschlag von Lockerbie zu unterhalten.

Im Augenblick hat Böttcher den Eindruck, dass sich Abu Walid mit ihm nicht einmal über das Wetter unterhalten würde. Wortlos starrt ihn der Palästinenser an. Böttcher kennt den Blick von früher. Unter den tief hängende Lidern verengen sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. Ganz offensichtlich durchforstet er noch immer sein Gedächtnis, in welchem Zusammenhang sie sich schon einmal begegnet sind. Fieberhaft überlegt Böttcher, wie er die Situation entspannen kann. Er muss Abu Walid irgendwie auf die Sprünge helfen.

»Erinnerst du dich?«, sagt er mit gespielter Herzlichkeit, als würde er einen verloren geglaubten Freund wiedersehen.

Keine Reaktion.

Böttcher holt tief Luft. Sein Herz rast weiter. Misstrauisch starrt ihn Abu Walid an. Die Spannung im Raum steigert sich ins Unermessliche. Der Lauf der Kalaschnikow drückt ihm noch immer ins Fleisch. Nun kommt es darauf an. Wenn Abu Walid nicht sofort reagiert, ist es vorbei, denkt Böttcher. In diesem Moment heben sich die Mundwinkel von Abu Walid zu einem kaum merklichen Lächeln.

Böttcher atmet auf.

Abu Walid sagt etwas auf Arabisch. Der Leibwächter lässt die Kalaschnikow sinken, ohne jedoch den Finger vom Abzug zu nehmen.

»Was willst du?«, wendet sich Abu Walid auf Englisch an Böttcher. Sein Gesicht hat nun einen leicht amüsierten Ausdruck.

Böttcher zögert einen Moment, bevor er antwortet. »Reden«, sagt er und sieht ihn direkt an.

Mit einem Kopfnicken gibt ihm Abu Walid zu verstehen, dass er hören will, was Böttcher mitzuteilen hat.

Böttcher hat einen ganz trockenen Mund. Schweißperlen rinnen ihm den Rücken hinunter. Er schluckt, bevor er zu seiner eigenen Überraschung mit fester Stimme sagt: »Da draußen im Auto sitzt ein Freund von mir, der sich gerne mit dir einmal unterhalten will.«

Ein kurzes Schweigen tritt ein. »Worüber?«, entgegnet Abu Walid, ohne den Blick von Böttcher abzuwenden.

Böttcher ist nun etwas ruhiger. Sein Puls verlangsamt sich allmählich. Als er antwortet, spricht Böttcher ruhig und nachdrücklich. »Ich nehme mal an, es geht darum, einen inoffiziellen Kontakt zur PLO-Führung aufzubauen, sozusagen einen direkten Draht zu Arafat. Und da sie wissen, dass wir beide uns kennen, baten sie mich, den Kontakt herzustellen.«

Abu Walid lässt sich einen Moment Zeit, als würde er das Für und Wider abwägen. Böttcher weiß, dass dieses Zögern nur Theater ist. Ein solches Angebot kann Abu Walid nicht eigenmächtig ausschlagen. Zumindest muss er Rücksprache halten. Vielleicht sogar mit PLO-Führer Jassir Arafat persönlich.

»Okay«, sagt Abu Walid. »Wir melden uns.« Böttcher nickt. Vorerst gibt es nichts mehr zu bereden.

Der Leibwächter weicht keinen Millimeter zurück, als Böttcher an ihm vorbei zum Ausgang geht. Beim Hinausgehen spürt Böttcher die feindseligen Blicke des Leibwächters, der den rechten Zeigefinger noch immer nicht vom Abzug gelöst hat. Sein Puls nimmt wieder Fahrt auf.

 

Als Böttcher aus dem dunklen Flur ins Freie tritt, ist er für einen Moment geblendet. Anders als im nasskalten Deutschland scheint auf Zypern auch im Dezember die Sonne. Sie taucht die Insel in ein mattgoldenes Licht. Noch nie hat Böttcher ein vergleichbares Naturschauspiel erlebt. Dabei ist er weiß Gott viel in der Welt herumgekommen. Das bringt sein Job so mit, sich. Seit zehn Jahren arbeitet er als Terroristenfahnder beim Bundeskriminalamt. Er lebt mehr oder weniger aus dem Koffer. Wobei Böttcher sich angewöhnt hat, nur mit Handgepäck zu reisen, unabhängig davon, wohin ihn sein Auftrag führt.

Manchmal wacht er morgens auf und weiß nicht, in welcher Stadt oder in welchem Land er sich gerade befindet. Nur eines weiß Böttcher immer, egal wie viel er am Abend zuvor getrunken hat: wie sein Tarnname lautet und mit welcher Legende er unterwegs ist. Er hat gelernt, innerhalb von Sekunden in eine andere Identität zu schlüpfen.

Aber diese Fähigkeit hätte ihm vor ein paar Minuten auch nichts genützt. Wenn der Leibwächter abgedrückt hätte, wäre von ihm nicht mehr viel übrig geblieben. Böttcher hat keine große Ahnung von Waffen. Außer auf dem Schießstand hat er noch nie von seiner Dienstwaffe Gebrauch gemacht. Aber es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, was ein Schnellfeuergewehr anrichtet, wenn es aus so kurzer Entfernung abgefeuert wird. Von seinem Kopf wäre nicht viel übrig geblieben. Im BKA hätten sie Schwierigkeiten gehabt, seinen Leichnam zu identifizieren. Falls es überhaupt eine Leiche gegeben hätte. Die Palästinenser hätten sie vermutlich verschwinden lassen, im Mittelmeer oder in einem Betonpfeiler auf einer der vielen Baustellen auf der Insel.

Böttcher spürt, wie die Anspannung sein Herz noch immer schnell schlagen lässt. Er kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Im gleißenden Licht zeichnet sich die Silhouette eines Mannes ab, der mit schnellen Schritten auf ihn zukommt. Der Mann hat dichtes graues Haar, ist Anfang fünfzig, bewegt sich aber erstaunlich geschmeidig für sein Alter. Nach einem kurzen Moment kann er sein Gesicht erkennen. Es ist Egon Schmitt, sein Freund und Partner. Er ist erleichtert, ihn zu sehen.

Böttcher ahnt, dass Schmitt gerade nachsehen wollte, was los ist. Nachdem er ihn nicht wie vereinbart hinzuholte, muss Schmitt angenommen haben, dass etwas nicht ganz nach Plan läuft. Auf seinen Partner ist auch in brenzligen Situationen Verlass. Schmitt hätte versucht, ihn herauszuboxen, auch wenn es gefährlich hätte werden können. Böttcher ist froh, dass es so weit nicht gekommen ist. Wäre Schmitt auch noch in das Haus geplatzt, hätte es ein Massaker gegeben.

Jetzt gilt es, schnell das Weite zu suchen. Böttcher gibt seinem Partner ein Zeichen, dass er zurückgehen und im Auto auf ihn warten soll. Mit einem kurzen Kopfnicken signalisiert Schmitt, dass er verstanden hat. Er macht auf dem Absatz kehrt und geht zum Wagen zurück. Böttcher geht ebenfalls in Richtung Auto. Es sind nur zwei- oder dreihundert Meter. Aber er muss sich zwingen, nicht zu rennen. Die Blicke des Leibwächters brennen sich in seinen Rücken.

Beim Auto angekommen, reißt Böttcher die Beifahrertür auf und steigt ein. Schmitt gibt Gas. Böttcher brüllt: »Verdammte Scheiße, das wäre fast schief gegangen.« Schmitt sagt nichts und versichert sich mit einem Blick in den Rückspiegel, dass ihnen niemand folgt. Böttcher schreit ihm weiter ins Ohr: »Wegen der Unfähigkeit deines Ladens wäre ich fast draufgegangen.« Als sie um die Ecke biegen, schaut Schmitt nochmals in den Rückspiegel. Jetzt erst ist er sich völlig sicher, dass sie nicht verfolgt werden. Beiläufig fragt er Böttcher: »Was ist eigentlich passiert?«

»Der Typ war nicht allein. Ein Leibwächter hat mit seiner Kalaschnikow herumgefuchtelt. Das ist passiert.«

Schmitt schaut Böttcher kurz fragend an, sagt aber kein Wort. Böttcher verliert wieder die Beherrschung: »Ihr habt ihn doch angeblich observieren lassen. Und dann wisst ihr nicht, dass da noch ein Leibwächter herumhängt? Was seid ihr bloß für Stümper. Typisch BND.«

»Jetzt beruhige dich erst mal. Es ist ja nichts passiert«, versucht Schmitt Böttcher zu besänftigen. Aber in Gedanken ist er ganz woanders. Die Operation ist noch nicht zu Ende. Sie hat erst angefangen.

 

Egon Schmitt ist siebzehn Jahre älter als Böttcher. Bevor er zum Bundesnachrichtendienst kam, hatte er zweiundzwanzig Jahre lang bei der Bundeswehr gedient, zuletzt als Oberstleutnant. Tausende von Rekruten hat er ausgebildet. 1979 hatte er genug von der Bundeswehr und heuerte wie so viele Berufssoldaten beim BND an. Zunächst arbeitete er in der Abteilung »Auswertung«. Aber bereits nach kurzer Zeit ließ er sich in eine andere Abteilung versetzen. Schmitt hatte festgestellt, dass er nicht fürs Büroleben geschaffen ist. Er wechselte in die Abteilung »Operative Aufklärung« und kam dort in das Referat »Internationaler Terrorismus«. Nach der Spionage gegen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes rangiert in der Prioritätenliste des deutschen Auslandsnachrichtendienstes »Internationaler Terrorismus« an zweiter Stelle: »Hohes Interesse. Vorrangiger Ansatz von Kapazität und Mitteln«, heißt es dazu in einem Papier des BND. Schmitt hat alle Freiheiten. Er ist ständig unterwegs. Meist zusammen mit Böttcher. »Wir haben die Lizenz zum Reisen«, bezeichnet Schmitt scherzhaft ihre Undercover-Einsätze.

Seit sieben Jahren sind sie Partner. Es war nicht gerade Liebe auf den ersten Blick. Dafür waren sie zu verschieden. Schmitt ist im Tiefsten seines Herzens Soldat. Er hasst Unpünktlichkeit. Wegen Böttchers ungezwungenem Umgang mit der Zeit anderer kam es anfangs häufiger zu Auseinandersetzungen. Böttcher wiederum konnte es nicht leiden, wenn Schmitt mit ihm redete wie mit einem Rekruten. Aber es half nichts, sie mussten miteinander zurechtkommen. Sie wurden Partner und irgendwann später sogar Freunde.

Es blieb aber immer eine ungewöhnliche Partnerschaft. Als BDN-Agent hat Schmitt andere Aufgaben als Böttcher, dessen Dienstherr das BKA ist. Aber mit solchen Förmlichkeiten hielten sich die beiden nicht lange auf. Von palästinensischen Terroristen ging seit geraumer Zeit eine Gefahr aus, auch für die Bundesrepublik. Und diese Gefahr galt es abzuwenden, indem sie möglichst weit im Vorfeld aktiv wurden, möglichst bevor überhaupt etwas passierte. So einfach war das. So sahen sie ihren Job.

Über die Jahre hatten Schmitt und Böttcher ein enges Netz von Informanten aufgebaut. Es war ihnen gelungen, V-Leute aus den unterschiedlichsten Terrororganisationen zu gewinnen, die sie mit großem Zeit- und auch Geldaufwand führten und »abschöpften«, wie in ihrer Branche die Informationsbeschaffung genannt wird.

Sie hatten Spitzel sowohl bei der Hisbollah als auch der Amal, einer libanesischen schiitischen Miliz. Ihr größter Coup war jedoch ihr geheimer Zugang zu palästinensischen Terrororganisation wie der Al Fatah, der ältesten und größten Gruppen innerhalb der PLO.

Direkt im Herzen der Al Fatah hatten sie eine Quelle sitzen, die zuverlässig sprudelte und über persönliche Verbindungen auch noch Zugang zu islamistischen Gruppen wie die Hisbollah oder Islamischer Dschihad hatte. Einmal erfuhren sie von ihrem Top-Informanten, dass eine islamistische Splittergruppe einen Anschlag auf eine US-amerikanische Schule in Kuwait plante. Der Tipp war sein Geld wert. Die Kinder konnten gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden, bevor eine Bombe explodierte und den vorderen Trakt des Gebäudes komplett zerstörte.

Aber die Informationsbeschaffung war nur ein Teil ihrer Aufgabe. Über ihre Kontakte war es Schmitt gelungen, einen direkten Draht zur Führungsspitze der PLO aufzubauen, die seit dem Einmarsch der israelischen Armee im Libanon im Jahre 1982 ihr Hauptquartier in Tunis hatte. Sein Ansprechpartner war keiner geringerer als Abu Dschihad, der Stellvertreter von Arafat und der Befehlshaber des militärischen Armes der PLO. Khalil al-Wazir, wie Abu Dschihad mit richtigem Namen hieß, war ein Mann der ersten Stunde im Befreiungskampf der Palästinenser. Er hatte 1959 zusammen mit Arafat die Al Fatah gegründet.

Wie die meisten westlichen Regierungen unterhielt die Bundesrepublik damals keine offiziellen, diplomatischen Beziehungen zur PLO. Umso wichtiger waren Geheimkontakte, wie sie Schmitt zu Abu Dschihad hatte. Auf diese Weise war es möglich, »politisches Wollen einfließen zu lassen«, wie es Schmitt ausdrückte.

 

Im Nahost-Konflikt war einiges in Bewegung geraten. 1988 hatte Arafat »dem Terrorismus in allen Formen« abgeschworen sowie die UN-Resolutionen 242 und 338 akzeptiert und damit das Existenzrecht Israels anerkannt. Dies brachte Arafat bei Teilen seiner eigenen Leute stark in Kritik, sodass der Friedensprozess stockte, kaum dass er begonnen hatte. Zudem tobte in den besetzten Gebieten die Intifada. Jugendliche Steinewerfer lieferten sich Scharmützel mit israelischen Soldaten. Abu Dschihad wusste dies propagandistisch für die PLO zu nutzen. Die Intifada symbolisierte den Kampf David gegen Goliath. Die Welt interessierte sich wieder für den Nahost-Konflikt.

Aber um noch mehr Aufmerksamkeit zu erlangen, plante Abu Dschihad ein Attentat auf den US-Außenminister George Schultz während dessen Israelbesuch im März 1988. Die Autobombe wurde entdeckt und in letzter Sekunde entschärft. Für Abu Dschihad jedoch blieb das gescheiterte Attentat nicht folgenlos. Der Arafat-Stellvertreter saß im Pyjama vor dem Fernseher und schaute sich einen Videomitschnitt von Nachrichten über die Intifada an, als in der Nacht zum 16. April 1988 ein Mordkommando des Mossad in seine Villa in Tunis stürmte und ihn erschoss. Für die Aktion übernahm niemand offiziell die Verantwortung. Dies war auch nicht nötig. Die Handschrift der Mörder war unverwechselbar.

Für Schmitt war die Ermordung von Abu Dschihad ein herber Schlag. Er verlor nicht nur seinen exklusiven Zugang zur Führungsspitze der PLO und der Al Fatah. Er hatte zu dem Palästinenser auch persönlich Draht. Sie waren beide Soldaten gewesen und ihr Verhältnis war allein deshalb von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt geprägt. Zudem konnte sich Schmitt nicht vorstellen, dass sich in den besetzten Gebieten nach der Liquidierung des Arafat-Vertrauten die Lage auch nur annähernd beruhigte.

Schmitt sollte Recht behalten. Die Lage spitzte sich weiter zu. Die Intifada hatte sich der PLO untergeordnet und Arafat zu ihrem Helden auserkoren. Junge Aktivisten sangen seinen Namen und sprühten das Bild von »Mr. Palästina« an die von Kugeln durchlöcherten Wände ihrer Häuser. Arafats Einfluss in den besetzten Gebieten war so stark wie seit Jahren nicht mehr. Aber Arafat dachte nicht daran, dies zu nutzen, um die stockenden Friedensgespräche wieder in Gang zu bringen. Die Nahostverhandlungen traten auf der Stelle.

In den Augen von Schmitt machte es die Situation dringend erforderlich, nach dem Tod von Abu Dschihad schleunigst einen neuen Geheimkontakt zu der PLO-Führung aufzubauen. Vielleicht war es sogar möglich, eine tragfähige Basis für weitere Friedensgespräche herzustellen. Allerdings hielt er es für das Beste, einen befreundeten Nachrichtendienst ins Boot zu holen.

Schmitt erörterte sein Vorhaben mit dem in Deutschland stationierten Residenten des britischen Geheimdienstes (MI6). Seine britischen Kollegen zeigten großes Interesse an einem Geheimkontakt zur PLO. In der Zentrale in London hatte man sogar schon einen möglichen Kontaktmann im Auge, der auf Zypern residiert und im Ruf steht, ein Vertrauter Arafats zu sein: Abu Walid al Iraki.

Schmitt war dieser Name durchaus geläufig. Abu Walid hatte in Beirut das Büro 34 geleitet, die wichtigste Fälscherwerkstatt der PLO. Dort waren Ausweispapiere für die Mitglieder der Geheimdienste der Al Fatah und diverser Terrorkommandos hergestellt worden. Aber nach der Invasion der israelischen Armee im Libanon im Jahr 1982 hatte auch er Beirut verlassen müssen.

Während ein Großteil der PLO-Führung um Arafat nach Tunis gegangen war, hatte sich Abu Walid mitsamt seiner Fälscherwerkstatt nach Nikosia abgesetzt. Von Zypern aus war es für Abu Walid auch leichter, Reisebewegungen der Terrorkommandos aus dem Nahen Osten nach Europa zu koordinieren. Trotz des Bürgerkrieges verkehrte eine Fähre zwischen Zypern und dem Libanon.

Schmitt hielt Abu Walid ebenfalls für den geeigneten Ansprechpartner. Immerhin hatte er direkten Zugang zu Arafat. Zudem hatte Abu Walid auch einen Bezug zu Deutschland. Er hatte dort einmal im Gefängnis gesessen. Allerdings nur für ein paar Monate, dann war er auf Druck der PLO in den Nahen Osten abgeschoben worden. Das BKA hatte sich damals um die Abwicklung des Falles gekümmert. Die Geschichte hatte aus verschiedenen Gründen für großes Aufsehen gesorgt.

Die Briten erklärten sich bereit, die Operation vorzubereiten. Schließlich hatten sie einen Militärstützpunkt auf Zypern, was es dem MI6 erleichterte, Abu Walid zu observieren. Der britische Geheimdienst wollte den geeigneten Zeitpunkt auskundschaften, den Palästinenser zu kontaktieren. Der BND wiederum sollte das Anbahnungsgespräch führen. Dies war der weitaus gefährlichere Part der Operation. Schließlich hatte Abu Walid in der PLO nicht nur Karriere gemacht, weil er meisterhaft Ausweispapiere zu fälschen versteht. Vielmehr war er schon in jungen Jahren in die Führungsriege aufgestiegen, weil er sich bei diversen Terroroperationen ausgezeichnet hatte.

Schmitt ging davon aus, dass Abu Walid strengstens bewacht wurde. Seit dem Mordanschlag auf Abu Dschihad waren die Palästinenser besonders nervös. Sie fackelten nicht lange und gingen bei unliebsamen Besuchern auf Nummer Sicher. Also müsste Abu Walid jemand ansprechen, den er kennt und dem er auch vertraut, ein bisschen zumindest.

Schmitt besprach sich mit seinem Partner vom BKA, mit Richard Böttcher. Schließlich war das BKA damals mit der Abschiebung von Abu Walid betraut gewesen. Vielleicht hatte Böttcher eine Idee. Zu Schmitts Überraschung war seinem Partner der Fall noch sehr präsent. »An den Typ kann ich mich noch sehr gut erinnern«, beantwortete Böttcher Schmitts Anfrage.

Es war wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. Mit dem Namen des Palästinensers verband Böttcher den Beginn seiner Laufbahn beim BKA. Abu Walid war sein erster großer Fall gewesen.

Bundeskriminalamt, Wiesbaden, 1. März 1979

Als Böttcher im Bundeskriminalamt seinen Dienst antritt, weiß er nicht, was ihn erwartet. Zusammen mit fünfunddreißig anderen Absolventen seines Ausbildungsjahrganges sitzt er in einem schmucklosen Zimmer im Neubau A des BKA-Hauptgebäudes in Wiesbaden. Allen ist die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Böttcher bildet da keine Ausnahme. Er ist vierundzwanzig Jahre alt und hat soeben seine dreijährige Ausbildung hinter sich gebracht. Böttcher ist nun Kriminalkommissar zur Anstellung. Es ist früher Vormittag des 1. März 1979. Ein Donnerstag.

Ungeduldig wartet Böttcher, einem der insgesamt 12 Referate in der Abteilung TE »Terrorismusbekämpfung« zugeteilt zu werden. Die meisten im Raum hoffen auf eine Stelle im Referat TE 11 »Eigene Verfahren«. Es ist das Herzstück der Abteilung. Das Referat TE 11 ist zuständig für die Rote Armee Fraktion (RAF), die seit fast zehn Jahren das Amt mit Anschlägen in Atem hält. Ein Job bei TE 11 verspricht jede Menge Abwechslung und auch ein bisschen Abenteuer.

Die RAF hat nicht nur die Republik, sondern auch das Bundeskriminalamt verändert. Vor vier Jahren wurde eigens zur Bekämpfung der Terrororganisation die Abteilung TE gegründet, anfangs mit 233 Mitarbeitern. In den Folgejahren hat BKA-Präsident Horst Herold die Terrorismusabteilung wie auch das gesamte BKA ausgebaut. Mit einem Millionenaufwand hat er die Behörde auf Computer umgestellt und für die Fahndung nach RAF-Terroristen die Rasterfahndung eingeführt. In den Medien wird er deshalb angegriffen und als »Kommissar Computer« verspottet, der einen »totalen Überwachungsstaat« erstellen will.

Herold scheinen die Medienattacken bislang nicht sehr zu schaden. Er hat 182 neue Stellen bewilligt bekommen, wovon er plant, hundertfünfzig in der Abteilung Terrorismus einzusetzen. Schließlich steht die Abteilung noch vor großen Herausforderungen. Davon ist Herold überzeugt. Wie kein anderer hat er sich mit dem Phänomen Terrorismus auseinander gesetzt. Intensiv hat er die Schriften der RAF studiert und Öffentlichkeit und Politik gleichermaßen verwirrt mit Äußerungen über die Terroristen wie dieser: »Der Clinch, den ich mit dem Terrorismus habe, verbindet mich und die Terroristen in einem Nachdenken übereinander intensiver miteinander, als die oder ich mit den übrigen Teilen der Gesellschaft derzeit verbunden sind.« In anderen Äußerungen Herolds glauben seine Kritiker gar Sympathie für die RAF erkennen wollen: »Terrorismus hätte es auch gegeben, wenn es Baader und Meinhof nicht gegeben hätte«, sagte Herold einmal bei einer anderen Gelegenheit. »Wenn hoch begabte junge Menschen so frontal gegen die bestehenden Verhältnisse anrennen, hat dies auch mit den bestehenden Verhältnissen selbst etwas zu tun.«

Böttcher ist von dem BKA-Präsidenten fasziniert. Herold galt zu Anfang seiner Amtszeit als »Wunderwaffe«, weil ihm bereits im Juni 1972 gelungen war, die gesamte Führungsspitze der Baader-Meinhof-Gruppe festzunehmen. Mittlerweile ist sein Stern im Sinken. Die Pannen während der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer werden ihm angelastet. Die aufwändige Rasterfahndung habe versagt, heißt es, und die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten nicht verhindert.

Böttcher findet den Vorwurf ungerecht. Gestützt auf Kriterien der Rasterfahndung hatte er während seiner Ausbildung die »Spurenakte« im Fall Schleyer nachbearbeitet. Herold hatte über Jahre eine klare Vorstellung vom Zuschnitt konspirativer Wohnungen der RAF entwickelt, wonach mittels Rasterfahndung gesucht wurde. Ein entscheidender Hinweis über das Versteck der Terroristen lag damals, im »Deutschen Herbst« 1977, tatsächlich auch vor, ging aber auf dem Amtsweg verloren und konnte deshalb nicht in den Computer eingespeist werden. Also hatte nicht das System versagt, sondern der Mensch – was letztlich einer der entscheidenden Gründe war, weshalb Schleyer nicht gerettet werden konnte.

Die Aufarbeitung des Falles hat Böttcher jedenfalls so sehr fasziniert, dass er in seinen Bewerbungsunterlagen das Referat TE 11 als einen Favoriten angegeben hat, was aber nicht bedeutet, dass er dort auch eine Stelle bekommt. Als weiteren Wunsch hat er darum TE 12 »Fremde Verfahren und Ausland« angegeben. Laut Dienststellenbeschreibung soll das Referat den Landeskriminalämtern bei deren Ermittlungen gegen nationalen und internationalen Terrorismus helfen. Böttcher hat keine genaue Vorstellung, wie das in der Praxis aussieht. Aber es klingt jedenfalls nicht nach einem Schreibtischjob. Böttcher hasst unnötigen Papierkram. Es gibt für ihn nichts Schlimmeres, als den ganzen Tag lang Stellungnahmen schreiben zu müssen für Ministerien oder zu Parlamentarischen Anfragen. Er hofft deshalb, nicht in der »Papierfabrik« zu landen, wie sie hinter vorgehaltener Hand die Referate TE 22 »Personenbezogene Informationssammlung« oder TE 13 »Auswertung und Dokumentation« von terroristischem Schriftgut nennen. Der Job dort besteht vorwiegend aus Schreibtischarbeit.

Ein älterer BKA-Beamter betritt das Zimmer. Er hat einen Zettel in der Hand. Nach einer knappen Begrüßung fängt er an, die Namen der Anwärter aufzurufen. Dabei geht er alphabetisch vor. »Böttcher, Richard«, sagt er, um nach einer kurzen Pause hinzuzufügen, »TE 12«. Böttcher ist zufrieden. Sein zweiter Wunsch wurde wenigstens berücksichtigt. Er ahnt nicht, dass sein neuer Job der Beginn einer beispielslosen Karriere ist, voller Abwechslung und Abenteuer. Manchmal mehr, als ihm lieb sein wird.

 

Als Böttcher am nächsten Tag beim Referat TE 12 antritt, herrscht dort wie in der gesamten Abteilung helle Aufregung. Der Anlass ist ein Auto-Bombenanschlag in Beirut, der aber schon sieben Wochen zurückliegt. Bei dem Attentat gab es acht Todesopfer, vier davon waren Mitglieder der PLO, darunter ein namhafter Funktionär. In den Dienstbesprechungen fallen Namen wie »Roter Prinz« oder »Ali Hassan Salameh«. Sein Referatsleiter deutet an, dass die Attentäter womöglich den Verdacht auf das BKA oder andere deutsche Behörden lenken wollen. Böttcher kann es sich nicht vorstellen. Das klingt einfach zu absurd. Überhaupt kann er nicht so recht verstehen, warum sich seine Vorgesetzten für einen Bombenanschlag in Beirut interessieren, obwohl dabei keine Deutschen ums Leben kamen. Das BKA hat für sein Dafürhalten gar keine Zuständigkeit. Zudem sind Bombenanschläge in Beirut an der Tagesordnung. Schließlich tobt im Libanon seit vier Jahren ein erbitterter Bürgerkrieg. Und Beirut ist weit weg von Wiesbaden, findet Böttcher. Aber das ist ein Irrtum.

Der israelische Geheimdienst führt einen mörderischen Untergrundkrieg gegen die Führer des Schwarzen September, ein geheimes Terrorkommando der PLO. Der Schwarze September wiederum bleibt dem Mossad nichts schuldig.

Dieser erbarmungslose Kampf gegenseitiger Attentate spielt sich längst nicht nur in den Straßen von Beirut ab, sondern auch in Europa. Und nachdem der Mossad den Chefstrategen des Schwarzen September, Hassan Salameh, auch der »Rote Prinz« genannt, in Beirut liquidierte, fürchtet nun der BKA-Präsident Herold, auch die Bundesrepublik könnte zur Bühne für diesen blutigen Krieg werden.

Der rote Prinz

Ganz oben auf der Abschussliste des Mossad stand Ali Hassan Salameh, der Chefstratege des Schwarzen September und federführend verantwortlich für das Massaker bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir erteilte gleich im Anschluss an das Attentat dem Mossad grünes Licht für den Einsatz von, Hit-Teams, wie im Geheimdienstjargon im Ausland operierende Hinrichtungskommandos genannt werden. Die Ministerpräsidentin war angesichts der toten Sportler zu der Überzeugung gelangt, dass Gewalt nur mit Gegengewalt wirksam zu begegnen ist. Die Operation bekam den Codenamen »Die Rache Gottes«. Alle Beteiligten sowie die Drahtzieher des Attentates sollten zur Verantwortung gezogen werden, indem sie dafür mit ihrem Leben bezahlen.

Ali Hassan Salamehs Akte beim Mossad trug den Codenamen »Roter Prinz«. Das »Rot« bezog sich auf das viele Blut, das an seinen Händen klebte, und »Prinz«, weil er der Kronprinz von Arafat war, der Salameh als seinen möglichen Nachfolger ins Gespräch gebracht hatte.

Salameh war kein gewöhnlicher Terrorist. Durch seine Herkunft war er ein Symbol des seit Jahrzehnten dauernden Befreiungskampfes der Palästinenser. Bereits sein Vater, Scheich Hassan Salameh, war ein berüchtigter Freiheitskämpfer und überfiel mit seinen palästinensischen Banden jüdische Siedlungen. Doch es gab bald eine jüdische Untergrundarmee, die sich zu wehren wusste. Im Juni 1948 gelang es ihr, eine Bombe im Haus des Scheichs zu verstecken. Sie explodierte, als sich der Scheich mit Kampfgefährten zur Lagebesprechung traf. Er war sofort tot und wurde posthum zum Volkshelden der Palästinenser, zum Symbol für ihren Hass gegen Israel.

Nach dem verlorenen Sechstagekrieg 1967 wurde Arafat auf den Sohn des berühmten Salameh aufmerksam, der damals an der Amerikanischen Universität in Beirut studierte und dort als Frauenheld, aber auch als politischer Studentenführer Aufmerksamkeit erregte.

Damals gab es zehn sich streitende und rivalisierende palästinensische Guerilla-Gruppen, die Arafat alle unter dem Dach der PLO vereinen wollte. Arafat selbst hatte als Gründer und Chef der Al Fatah die größte Guerilla-Gruppe hinter sich. Allerdings drohte der Einfluss der Al Fatah vor allem unter den jungen Palästinensern zu schwinden. Radikalere Gruppen wie die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) stellten Arafats Al Fatah in den Schatten. Die PFLP war nicht nur marxistisch, sondern bei ihren Aktionen auch weit radikaler als die PLO. Ihre spektakulären Flugzeugentführungen und Gewalttaten sorgten weltweit für Schlagzeilen, die wie ein Magnet auf junge Palästinenser wirkten. Sie betrachteten die Terroristen der PFLP als ihre neuen Helden. Arafat geriet in Zugzwang. Als kluger politischer Stratege wusste Arafat, dass er dem eine eigene Terrorgruppe entgegenstellen musste, um somit seinen Einfluss in der PLO zu sichern. Es entstand der Schwarze September.

Planungschef wurde Abdul Hassan Salameh, den Arafat zur Ausbildung nach Ägypten geschickt hatte. Dort lernte Abu Hassan, wie sein Kampfname nun lautete, das Handwerkszeug des Terroristen. Salameh stellte binnen kurzer Zeit für die Israelis eine ebenso große Gefahr dar wie sein Vater fünfundzwanzig Jahre zuvor. Allerdings gelangten Salameh und die Strategen des Schwarzen September schnell zu der Überzeugung, dass es werbewirksamer war, einen Juden in Europa umzubringen, als Hunderte von ihnen in Israel zu töten. Salamehs Haupteinsatzgebiet wurde Europa, und er hatte bei der Planung und Durchführung seiner Anschläge völlig freie Hand. Es durfte nur kein Zusammenhang zur PLO und Arafat hergestellt werden können, da sich Arafat um die internationale Anerkennung der PLO mühte. Wenn Arafat auf mögliche Verbindungen zum Schwarzen September angesprochen wurde, war seine Antwort: »Wir wissen nichts über diese Organisation, und wir sind nicht an ihr beteiligt, aber wir können die Einstellung dieser jungen Leute verstehen, die bereits sind, für die Existenz Palästinas zu sterben.«

In schneller Reihenfolge kam es zu Bombenanschlägen und Attentaten in Europa, auch in Deutschland. Salameh hatte dort leichtes Spiel. In Europa konnten die Abwehrkommandos des Mossad nicht so ungehindert agieren wie in der Westbank. Selten wagte es eine westeuropäische Regierung, einen Gefangenen aus den Reihen des Schwarzen September über längere Zeit festzuhalten. Ausnahmslos wurden diese Männer freigelassen, entweder weil niemand einen Vergeltungsschlag riskieren wollte, oder aufgrund einer Erpressungsaktion des Schwarzen September.

Am 5. September 1972 stürmte ein Kommando des Schwarzen September ins Olympische Dorf in München. Schwer bewaffnet und maskiert drangen sie in das Haus der israelischen Sportler ein und nahmen sie als Geiseln. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit begann ein Drama, an dessen Ende elf israelische Sportler und ein Amerikaner starben.

Ermächtigt durch den Beschluss von Golda Meir schlug der israelische Geheimdienst umgehend zurück. Zuerst ermordete ein Killerkommando des Mossad den Leiter des Schwarzen September, Mohammed Yussuf Najjar. Er lag gerade nackt in den Armen seiner Frau, die ebenfalls erschossen wurde. In derselben Nacht bombardierten israelische Hubschrauber noch das Hauptquartier der PFLP und zwei Waffenlager der Al Fatah am Rande von Beirut. Am nächsten Tag zog Golda Meir in der Knesset, dem israelischen Parlament, Bilanz: »Es war wunderbar, wir haben die Mörder getötet, die schon neue Attentate planten.«

Danach ging es Zug um Zug. Mitglieder des Schwarzen September waren nirgendwo mehr sicher. Der Mossad stöberte sie auch in Paris und Rom auf und liquidierte sie. Der Rachefeldzug der Israelis blieb jedoch nicht folgenlos. Der Schwarze September schlug brutal zurück, ermordete nun israelische Geschäftsleute auf Zypern. Der Mossad ließ sich davon nicht abschrecken, schlug kurz hintereinander ebenfalls in Zypern zu wie auch in Beirut. Die Spirale von Terror und Gegenterror schraubte sich immer schneller nach oben.

Die Israelis konnten einen Namen nach dem anderen auf ihrer Todesliste abhaken. Innerhalb eines Jahres hatten ihre Killerkommandos zwölf Palästinenser erledigt, entweder mit Schüssen aus einer Beretta Kaliber 22 mit Schalldämpfer, der Standardwaffe des Mossad, oder einer Autobombe. Nur die Nummer eins auf der Todesliste entkam ihnen immer wieder: Ali Hassan Salameh, der »Rote Prinz«.

Ihn zu töten, das Symbol des palästinensischen Terrorismus schlechthin, wurde für die Verantwortlichen im Mossad zur Besessenheit. Sie wurden unvorsichtig. Als ihre Agenten herausfanden, dass Salameh sich nach Zwischenstationen in Deutschland und Frankreich nach Norwegen abgesetzt hatte, schickten sie ein Hit-Team aus dem zweiten Glied nach Lillehammer. Es erwischte den Falschen. Die Killer des Mossad erschossen einen marokkanischer Kellner, den sie irrtümlich für Salameh hielten.

Aber aus der Sicht der Mossad-Oberen war noch viel schlimmer, dass ihr Hit-Team erwischt wurde. Gleich sechs Agenten des Mossad wurden wegen Mordes von der norwegischen Polizei verhaftet. Die Israelis und ihr Geheimdienst standen weltweit am Pranger. Dies war am 21. Juli 1973, ein schwarzer Tag in der Geschichte des legendenumwobenen Mossad. Überall in Westeuropa erhoben sich Stimmen gegen den »israelischen Terrorismus«. Reihenweise wurden Israels Diplomaten in den europäischen Hauptstädten einbestellt. Bonn machte da keine Ausnahme. Die Israelis mussten sich verpflichten, auf dem bundesrepublikanischen Boden keine eigenmächtigen Aktionen durchzuführen.

Währenddessen änderte PLO-Chef Jassir Arafat seine Strategie im Kampf um einen palästinensischen Staat. Er buhlte nun vehement um eine internationale Anerkennung der PLO und fand zumindest in den Ländern der Dritten Welt dafür Unterstützer. Aber um auch im Westen erfolgreich zu sein, musste er weg vom Image des Terror-Paten. Schließlich wusste jeder, dass der Schwarze September nicht so unabhängig war, wie ihn Arafat immer darstellte. Also verschwand der Schwarze September erst einmal von der Bildfläche. Nicht jedoch Ali Hassan Salameh, für den Arafat neue Aufgaben hatte. Er machte ihn zum Sicherheitsexperten der PLO und zum Chef des Geheimdienstes der Befreiungsorganisation.

Der »Rote Prinz« schaffte den Rollenwechsel vom Terroristen zum PLO-Funktionär spielend. Als hätte er nie etwas anderes gemacht, bewegte er sich nun gekonnt auf dem politischen Parkett. Als Arafat am 13. November 1974 seine erste Rede vor der UNO hielt, war auch sein Ziehsohn in New York und schüttelte abends beim Empfang der PLO die Hände unzähliger Diplomaten aus aller Welt. Zu Hause in Beirut machte der »Rote Prinz« mit seinem Privatleben Schlagzeilen. Als Zweitfrau hatte er sich die frühere Miss Universum genommen, was ihm die Aufmerksamkeit des Boulevards sicherte. Arafat störte das nicht. Er sprach nun öffentlich davon, dass Salameh einmal seine Nachfolge antreten wird.

Für den Mossad war dies ein Grund mehr, den »Roten Prinzen« endlich zu beseitigen. Obwohl Golda Meir im Dezember 1978 verstorben war, fühlte sich der israelische Geheimdienst an ihren Todesbefehl gebunden. Die »Rache Gottes« sollte endlich auch Salameh treffen. Ein weiblicher Racheengel wurde auf den »Roten Prinzen« angesetzt. Dem israelischen Geheimdienst war nicht verborgen geblieben, dass Salameh trotz seiner Ehe mit der früheren Miss Universum, die ihm mittlerweile den lang ersehnten Sohn geschenkt hatte, amourösen Abenteuern nicht abgeneigt war.

Der Racheengel des Mossad hieß Erika Chambers, war britische Staatsbürgerin, kam aus wohlhabendem Elternhaus und war bereits vor Jahren im Alter von 25 Jahren vom israelischen Geheimdienst rekrutiert worden. Die junge Frau war »Spottern«, den Talentsuchern des Mossad, aufgefallen, weil sie auf der einen Seite unscheinbar genug war, um nicht aufzufallen, was in diesem Gewerbe eine Voraussetzung ist. Andererseits konnte Chambers aber auch eine burschikose und zügellose Art an den Tag legen und sich etwa für Motorsport begeistern, sodass man davon ausging, dass sich auch Männer wie der »Rote Prinz« für sie interessieren könnten.

Erika Chambers reiste jedenfalls nach ihrer langen Ausbildung und Vorbereitung regelmäßig nach Beirut, spendete dort für Waisenhäuser, traf Vertreter vom Roten Halbmond und zeigte großes Verständnis für die palästinensische Sache. Sie nannte sich Penelope und sagte, sie käme aus Deutschland. Nach mehreren Besuchen in Beirut bewegte sie sich wie selbstverständlich in Kreisen der PLO. Und nach einer Weile passierte das Unvermeidliche, sie begegnet dort dem »Roten Prinzen«.

Der mittlerweile 37-jährige Salameh, berüchtigt für seine vielen Affären, hatte gleich in mehreren Beiruter Hotels Dauerreservierungen. Mit Erika Chambers traf er sich im »Coral Beach«, einem Vier-Sterne-Hotel in Beirut. Salameh wusste, dass der Mossad ihm nach dem Leben trachtete und umgab sich mit Leibwächtern, die auch das Zimmer im »Coral Beach« sicherten, während sich der Schürzenjäger nichts ahnend mit seiner Mörderin vergnügte.

Erika Chambers bekam keine Gelegenheit, den »Roten Prinzen« zu ermorden. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen. Im Spätherbst 1978 mietete sich Chambers eine Wohnung in der Beiruter Innenstadt in der Labanstraße, unweit der Rue Madame Curie. Den Mietvertrag ließ sie auf die Kinderhilfsorganisation A.S.E.D. ausstellen. Das Appartement befand sich im achten Stock, direkt gegenüber dem Haus von Salameh. Von ihrem Fenster aus konnte Chambers in Ruhe beobachten, wann Salameh das Haus verließ. Wochenlang spähte sie ihren Geliebten aus und kannte bald seine Gewohnheiten, wusste, zu welchen Zeiten er das Haus verließ, welches Auto er benutzte und wer seine Leibwächter waren.

Am 22. Januar 1979 war es so weit. An diesem Tag sollte Salameh endlich sterben. Zur Unterstützung von Erika Chambers waren zwei weitere Mossad-Agenten angereist, einer von ihnen war Sprengstoffexperte. Er präparierte einen schwarzen Golf mit Sprengstoff. Den Wagen parkten sie vor Salamehs Haus. Um 15 Uhr 35 kam Salameh aus dem Haus und bestieg mit seinen Leibwächtern seinen amerikanischen Straßenkreuzer. Erika Chambers beobachtete alles von ihrer Wohnung aus. Als der Straßenkreuzer den schwarzen Golf passierte, betätigte sie die Fernzündung.

Die Detonation der Autobombe erschütterte die Straße. Menschenleiber und Autoteile flogen durch die Luft. Überall war Blut und Rauch. Der »Rote Prinz« und seine Leibwächter starben. Vier Passanten ebenfalls, achtzehn wurden verletzt. Erika Chambers und ihre Helfer konnten in dem Chaos problemlos entkommen.

Der Geheimdienst der PLO fand schnell heraus, dass die Autobombe, die ihren Chef getötet hatte, per Fernmechanismus gezündet worden war. Sie durchsuchten auch die gegenüberliegenden Wohnungen und stießen auf verräterische Utensilien in einem Appartement, dessen Mieterin ihnen bestens bekannt war: Erika Chambers, eine der Gespielinnen ihres toten Chefs.

Im fernen Bonn protestierte daraufhin der Palästinenser Abdallah Frangi bei der Bundesregierung. Frangi war Mitglied des Bonner Büros der Arabischen Liga und besaß einen algerischen Diplomatenpass. In Wirklichkeit war er jedoch nichts anderes als der inoffizielle Vertreter der PLO in der Bundesrepublik, die wie alle westlichen Regierungen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation keine diplomatischen Beziehungen unterhielt. Frangi beschuldigte das BKA und die bundesdeutschen Geheimdienste, etwas mit dem Anschlag auf Salameh zu tun zu haben.

Der Verdacht war aus der Sicht der PLO nicht einmal so ganz abwegig. Geschickt hatte Erika Chambers eine Spur nach Deutschland gelegt. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit hatte sie in Kreisen der PLO in Beirut ihre Visitenkarten verteilt mit Wohn- und Postfachadressen in Köln und Wiesbaden. In Köln residiert das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und in Wiesbaden das BKA. In der Wahrnehmung der PLO steckten damit die bundesdeutschen Behörden hinter dem Anschlag oder hatten zumindest die Finger im Spiel.

In Bonner Regierungskreisen hingegen herrschte schnell Einigkeit darüber, dass nur der Mossad diese falsche Spur nach Deutschland gelegt haben konnte. Nach Gründen dieser Scharade musste man nicht lange suchen. Schließlich waren es deutsche Politiker gewesen, die in den letzten Monaten zum Missmut der Israelis die PLO und Arafat hofiert hatten. Im Juli 1978 hatten sich der SPD-Vorsitzende und Altkanzler Willy Brandt und der österreichische Regierungschef Bruno Kreisky in Wien mit Arafat getroffen. Es war um das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat gegangen.

Das Treffen hatte weltweit Beachtung gefunden. Erstmals hatte sich ein westlicher Regierungschef mit Arafat in dessen Eigenschaft als PLO-Chef getroffen. Für Arafat war dies einer seiner ganz großen Siege auf internationalem Parkett gewesen. Seit Jahren hatte er versucht, westliche Staaten dazu zu bewegen, die PLO als Vertreter des palästinensischen Volkes anzuerkennen. Nun war ihm dies de jure gelungen. Für die PLO war das Wiener Treffen ein Meilenstein.

Nur Monate später, Ende 1978, hatte Arafat über den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi mit dem deutschen Innenminister Gerhart Baum eine Art Waffenstillstand ausgehandelt. Die palästinensische Befreiungsorganisation hatte in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik etliche Anschläge verübt. PLO-Chef Arafat hatte nun Baum wissen lassen, dass seine Organisation künftig auf deutschem Boden nicht mehr operieren werde und auch keine Aktionen mehr gegen deutsche Botschaften im Ausland oder gegen Lufthansa-Maschinen unternehmen werde. Zudem hatten Arafat und Gaddafi dem deutschen Innenminister einhellig versichert, dass deutsche Terroristen von ihnen keine Hilfe erwarten können.

Die Geheimverhandlungen des deutschen Innenministers mit Arafat waren den Israelis nicht verborgen geblieben. Sie mussten etwas dagegen tun. Sie fürchteten wohl, dass sich daraus noch mehr entwickelte. Eine Anerkennung der PLO durch die Bundesrepublik könnte international einen Dammbruch bedeuten.

Also galt es für den Mossad, nicht nur Arafats Ziehsohn endlich aus dem Weg zu räumen, sondern den Mord auch noch den Deutschen in die Schuhe zu schieben und somit Vergeltungsanschläge der PLO zu provozieren. Danach würde sich wohl kein bundesdeutscher Politiker mehr mit Arafat an einen Tisch setzen.

Dem israelischen Geheimdienst war so ein Vorgehen durchaus zuzutrauen. Anders als die Nachrichtendienste der Bundesrepublik unterlag der Mossad keiner parlamentarischen Kontrolle. Offiziell gab es den Mossad gar nicht, der in Langschrift »Institut für Nachrichten und Spezialoperationen« heißt. Der Name des Mossad-Chefs war ein Staatsgeheimnis, die Finanzen des Dienstes tauchten in keinem Haushalt auf und selbst der Regierungschef erfuhr oft erst im Nachhinein von Aktionen, seines Geheimdienstes. Der Mossad war ein Staat im Staat, der sich selbstherrlich über Recht und Ordnung hinwegsetzte und nicht selten seine eigene Außenpolitik betrieb.

Die Deutschen saßen in der Zwickmühle. Sie hatten nichts gegen die Israelis in der Hand und konnten deshalb nicht protestieren. Andererseits konnten sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen, weil sie sonst Vergeltungsanschläge der PLO fürchten mussten. BKA-Präsident Horst Herold entschloss sich zu einem außergewöhnlichen Schritt. Er schickte Günther Scheicher, Leiter der Abteilung Terrorismus, nach Beirut, um der PLO bei den Ermittlungen in dem Mordanschlag die Hilfe des BKA anzubieten.

Scheicher traf am 21. März 1979 in Beirut ein und versuchte die PLO davon zu überzeugen, dass deutsche Behörden nicht am Mordanschlag auf den »Roten Prinzen« beteiligt waren. Gleichzeitig ließ BKA-Präsident Herold bei der Kölner Staatsanwaltschaft unter dem Aktenzeichen 121 Js 32/79 ein Ermittlungsverfahren gegen Erika Chambers einleiten, wegen »Verdachts der Beteiligung an einem Sprengstoffverbrechen«. Die Beamten gingen wohl nicht davon aus, dass sich Chambers in der Bundesrepublik aufhielt. Allerdings gingen ihnen die Augen über, als sie feststellten, mit welchem Aufwand Chambers an ihrer »deutschen Legende« gestrickt hatte. Bereits 1975, vier Jahr bevor sie den »Roten Prinzen« liquidierte, war sie in die Bundesrepublik gekommen und hatte zunächst in Wiesbaden in unmittelbarer Nähe zum BKA gewohnt, dann in Köln, in der Nähe des BfV.Ihre Kölner Wohnung kündigte sie erst nach der erfolgreichen Ausführung ihres Mordauftrages und verschwand spurlos. Demnach war es kein Wunder, dass die Palästinenser zunächst glaubten, die Deutschen hätten etwas mit dem Attentat auf den »Roten Prinzen« zu tun.

Bundeskriminalamt, Wiesbaden, Anfang April 1979

Seit fünf Wochen ist Böttcher erst im Dienst. Aber sein Job bereitet ihm bereits erhebliches Kopfzerbrechen. Stapelweise liegen Warnmeldungen auf seinem Schreibtisch. Die Deckblätter sind mit dem roten Stempel »VS – Vertraulich« oder gar »Geheim« versehen. Die Meldungen kommen vom BND oder vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), manchmal mit Bezug auf israelische Nachrichtendienste. Aber die Lektüre ist für Böttcher wenig aufschlussreich. Es geht um palästinensische Organisationen. Einmal ist von der PLO die Rede, dann wieder vom Schwarzen September oder Al Fatah. Böttcher versteht kein Wort. Zudem verwirren ihn die Personennamen. Er kann sie nicht auseinander halten. Alle klingen irgendwie gleich. Es ist ihm zudem ein Rätsel, wie es zu bewerten ist, wenn ein »Abu Soundso« beabsichtigt, über Ostberlin nach Westberlin einzureisen.

Böttcher fehlt jegliches Hintergrundwissen über palästinensische Organisationen. Er hat allerdings nicht den Eindruck, dass es nur ihm so geht. Im Referat hat kaum einer Ahnung von Struktur, Aufbau und Verflechtungen der Terrorgruppierungen im Nahen Osten. Niemand kann die Gruppen auseinander halten. Alle werden über einen Kamm geschoren. Die PLO, Arafats Al Fatah, die Volksfront für die Befreiung Palästinas – Generalkommando (PFLP-GC) von Ahmed Jibril und die Volksfront von Habasch sind in der Wahrnehmung der meisten BKA-Beamten alle eins. Böttcher ist der Verzweiflung nahe. Es gibt kaum jemanden in Wiesbaden, den er fragen kann, wie die Gruppen miteinander zusammenhängen.

Böttchers Dilemma hat damit zu tun, dass die Terrorismusabteilung vor einer Zerreißprobe steht. Ursprünglich hatte die Abteilung ihren Standort in Bad Godesberg bei Bonn. Dort waren die Aufgabenbereiche Staatsschutz, Sicherungsgruppe und Terrorismus angesiedelt. Aber nach den Erfahrungen des »Deutschen Herbstes« wollte Herold die Kräfte in Wiesbaden bündeln und ließ den Hauptsitz in Wiesbaden für einen dreistelligen Millionenbetrag ausbauen. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass die Terrorismusabteilung besser an einem Ort mit der Abteilung »Kriminaltechnik« angesiedelt sein muss. In Bad Godesberg verbleiben die Abteilungen »Staatsschutz« (ST) und »Schutz- und Begleitdienste« (SG). Weil die Abteilungen dort in Gebäuden in verschiedenen Stadtteilen untergebracht sind, sollen sie nach der Fertigstellung der neuen BKA-Außenstelle im nahen Meckenheim zusammengelegt werden.

Herold hat jedoch in seinen logistischen Überlegungen den menschlichen Aspekt außer Acht gelassen. Die Polizeibeamten der Terrorismusabteilung haben sich in Bad Godesberg mit ihren Familien eingerichtet und gehen nur widerwillig nach Wiesbaden. Die neu geschaffenen Stellen der Terrorismusabteilung werden mit Nachwuchskräften wie Böttcher besetzt, und ein Großteil der »alten Hasen« geht nach der Einarbeitung der Neuen zurück nach Bad Godesberg.

 

Böttcher stöhnt. Durch die offene Bürotür dringen Telefonklingeln, laute Stimmen und das Klappern von Schreibmaschinen. Die Flut der Warnmeldungen will nicht verebben. Täglich werden es mehr. Geheime Dokumente lernt Böttcher, erfordern vor allem einen riesigen Verwaltungsaufwand. Die Geheimhaltungsvorschriften verlangen, dass er jedes Blatt einzeln stempeln und eintragen muss. Oft ist er erst am Nachmittag mit dem Prozedere fertig. Aber dann kommen schon die nächsten Meldungen auf seinen Tisch. Dabei ist er noch nicht einmal dazu gekommen, die Meldungen vom Vormittag zu lesen. Böttcher bleibt nicht anderes übrig, als Überstunden zu machen. Er hat oft eine Sieben-Tage-Woche. Morgens um acht Uhr geht er ins Büro, häufig verlässt er es abends erst gegen 21 Uhr.

Mitte April ertrinkt Böttcher in Warnmeldungen. Obwohl ihm noch immer die Namen der Organisationen und Personen ein Rätsel sind, versteht Böttcher, dass sich die Situation dramatisch zuspitzt. Die Meldungen der Nachrichtendienste sind nun konkreter. Palästinensische Terrorkommandos sollen auf dem Weg in die Bundesrepublik sein. Böttcher fragt sich verwundert, woher dies die Dienste wissen. Ist es ihnen gelungen, die Terrororganisation zu infiltrieren? Anders kann er es sich nicht erklären, wie man sonst an so detaillierte Informationen kommt.

In Berlin wird bereits eine Gruppe von Arabern rund um die Uhr observiert. Sie sollen einen Anschlag planen. Die Polizeibeamten des Landeskriminalamtes warten nur noch auf grünes Licht vom Verfassungsschutz, um zuzuschlagen. Sie wollen die Terroristen in flagranti erwischen, sozusagen mit dem Sprengstoff in der Tasche auf dem Weg zum Anschlagsziel. Die Lage ist auf jeden Fall äußerst angespannt.

Am Mittag des 24. April 1979 erhält Böttcher die Mitteilung, dass die Berliner Polizei vor wenigen Stunden zugeschlagen hat. In der Liegnitzer Straße in Berlin-Kreuzberg haben sie zwei Libanesen festgenommen. Beide waren auf dem Weg nach Steglitz, wo sich Tanklager befinden. Vermutlich wollten sie mögliche Anschlagsziele auskundschaften. Jedenfalls war die Verhaftung ein Volltreffer. Bei den beiden Libanesen wurden zwölf elektrische Sprengzünder sichergestellt. Böttcher kann der Meldung auch entnehmen, dass die Operation längst nicht abgeschlossen ist. Auf einen Tipp eines ausländischen Geheimdienstes hin observieren die Berliner Polizei und der Verfassungsschutz eine weitere Gruppe von Arabern. Sie sollen im Besitz von Sprengstoff sein.

 

Am Donnerstag dem 26. April 1979 überschlagen sich die Ereignisse. In der Rostocker Straße in Berlin stoppt am frühen Vormittag ein Einsatzkommando der Polizei einen roten Mercedes 200D.Ohne dass ein Schuss fällt, werden die drei Insassen überwältigt und festgenommen. Es handelt sich dabei um den arabischen Erzieher Hassan El Harti und zwei Palästinenser. Das Trio wird seit Tagen überwacht. Nun war die Gelegenheit günstig.