Geheimnis der blauen Kugel - Ekkehard Wolf - E-Book

Geheimnis der blauen Kugel E-Book

Ekkehard Wolf

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Beschreibung

Kugeln sind bekanntlich rund. Aber hast du schon einmal versucht, mit einer Kugel zu fliegen oder fremde Welten zu erkunden? Wie, in echt geht das nicht? Vielleicht ja doch. Lass dich überraschen, was Snotra, Kirsten, Henni, Alf und Thorsten so alles anstellen, um herauszufinden, wozu solch eine Kugel alles gut sein kann.

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Ekkehard Wolf

Geheimnis der blauen Kugel

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Das Geheimnis der blauen Kugel

1.Kapitel

2.Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

Schlussbemerkung:

Impressum neobooks

Das Geheimnis der blauen Kugel

von Ekkehard Wolf

für Gerlind zum 12. Geburtstag

1.Kapitel

Angefangen hatte das alles im Frühjahr des Jahres, als es wieder einmal ‚Junge Hunde’ regnete, wie die Leute zu sagen pflegen. Genaugenommen war es der 15. Februar gewesen. An diesem Tag hatte es landeinwärts fürchterlich gestürmt und geweht. Bäume waren einfach abgeknickt und ganze Äste durch die Luft geflogen. Viele Straßen waren gesperrt und sogar die Eisenbahn war stundenlang nicht gefahren. Dazu hatte Vollmond geherrscht. Der Fluss hatte sich bis tief ins Hinterland gestaut und allenthalben war mit einer Sturmflut gerechnet worden. Gegen Morgen war bereits das Wasser über die Ufer getreten und hatte die nahe liegenden Wiesen und Felder überspült, so dass an diesem Tage ganze Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten waren. Gegen Abend hatte der Sturm die Wolken aufgerissen und die untergehende Sonne tauchte die Landschaft in ein so unheimliches, fahles Licht, dass man meinen konnte, die Welt geht unter. Trotzdem hatten die Freunde sich in der Scheune getroffen, die auf der großen Weide neben dem kleinen Haus stand, in dem die Oma der Neuen wohnte.

Der ‚Schuppen’, wie die Kinder das Gebäude zu nennen pflegten, sollte ursprünglich Pferden eine Unterstellmöglichkeit im Winter bieten. Im Grunde passte der Ausdruck Schuppen deshalb auch nicht wirklich, denn in Wirklichkeit handelte es sich um richtiges Stallgebäude, mit eigenen Tränken und Futterplätzen für die Tiere. Es gab sogar einen Dachboden, auf dem das Heu gelagert wurde. Schuppen hatten die Kinder den Bau vor allem deshalb getauft, weil seine Wände aus Holz waren. Der zweite Grund für diese Bezeichnung war mehr psychologischer Natur. Bei Wind und Wetter pflegte das gesamte Bauwerk nämlich in den Fugen zu ächzten und zu krächzten, dass einem Angst und Bange werden konnte. Dazu kam, dass der Weg durch den kleinen Wald davor ebenfalls so seine Tücken hatte. Da hier schon seit Jahren niemand mehr für Ordnung gesorgt hatte, mussten sich die Kinder ihren Weg zum ‚Schuppen’ durch einen richtigen kleinen Urwald bahnen.

An diesem Tag war das besonders schlimm gewesen, doch die vier Freunde hatten sich davon nicht abhalten lassen, sich zu treffen. Beim Klettern über die kreuz und quer liegenden Bäume, das dornige Gebüsch und dem überall aus dem Boden ragenden Wurzelwerk war ständig eines der Kinder irgendwo hängen geblieben, ausgerutscht oder gestolpert. In der Dunkelheit waren die ständigen Schatten hinzu gekommen, die vom Licht der Taschenlampen zurückgeworfen wurden und die Orientierung erschwert hatten. Kirsten räumte freimütig ein, sich zu allem Überfluss anfangs einen Spaß daraus gemacht zu haben, den Jungen bei dieser Gelegenheit einen ordentlichen Schrecken einzujagen. Sie hatte sich einfach die Taschenlampe in den Mund gesteckt, sodass ihr Mundraum geisterhaft leuchtete. Dazu hatte sie irgendwelche Töne gemacht, um die angeblich so furchtlosen Jungen auf sich aufmerksam zu machen.

Beim ersten Mal hatte ihr Bruder daraufhin so laut geschrieen, dass sogar Thorsten sich umgesehen hatte und vor Schreck daraufhin ebenfalls fast im Boden versunken wäre. Dass sie sich trotz all dieser Schwierigkeiten nicht davon abbringen ließen, sich in dem Schuppen zu versammeln, lag an dem Fundstück, mit dem Alfred sie dazu veranlasst hatte, sich bei diesem Wetter überhaupt aus dem Haus zu bewegen.

„Stellt euch vor, was mir passiert ist“, hatte Alfred die Besprechung eingeleitet und bedeutungsvoll in die Runde geschaut.

„Als ich gestern mit meinen Eltern im Museum war, haben wir uns getrennt. Am Anfang war alles ganz normal, doch plötzlich kam ich in einen Raum, in dem außer mir niemand war.“

„Und dann?“, drängelte Thorsten.

„Dann wollte ich eigentlich gerade wieder umkehren, weil der Raum auf den ersten Blick nicht sehr interessant war.“ „Toll,“ hatte Thorsten gewitzelt, aber Alfred hatte sich nicht beirren lassen und erzählt, was er dort erlebt hatte. „Abgesehen von dem Schrank, der einen Spalt breit offen stand und aus dem ein Lichtstrahl fiel. Ich fand es sehr merkwürdig, dass aus einem dunklen Schrank ein so heller Lichtstrahl kommt, dass man ihn in einem normal beleuchteten Raum noch sehen kann.“

Weiter kam er nicht. Der Sturm hatte ganz plötzlich für einen Moment nachgelassen, so dass es auf einmal ganz still geworden war.

Genau in diesem Augenblick fuhr ein schwerer Güterzug so dicht an dem Schuppen vorbei, dass das Gebäude geradezu erbebte. Jedenfalls kam es den Freunden so vor.

In Wirklichkeit war das Bahngleis rund zwei Kilometer entfernt. Bei Westwind wurden die Fahrtgeräusche der Bahn jedoch so dicht an den Schuppen getragen, dass es einem so vorkam, als ob der Zug direkt davor vorbei fuhr. Erschrocken hatten alle den Atem angehalten und sich zusammengeduckt. Hendrik hatte sich als erster gefangen. „Erzähl weiter“, forderte der Junge, nachdem der Zug bereits lange vorbei war.

„Also, gut,“ fuhr Alfred fort, „ich bin hin zu dem Schrank und habe mir angesehen, was da drin war. Diese Kugel hier.“ Unsicher zwar und doch auch ein wenig triumphierend hatte er plötzlich etwas rundes in der Hand gehalten.

2.Kapitel

Wegen der Dunkelheit hatten die anderen Kinder zunächst Mühe zu erkennen, was ihnen Alfred da unter die Nase hielt. Erst als es ihm gelungen war, damit das Licht des Mondes einzufangen, das durch eine Ritze des Schuppens fiel, konnten sie für einen Augenblick eine Kugel erkennen. Sie war dunkelblau, war in etwa so groß wie die Faust eines erwachsenen Mannes und sah so aus, also ob sie viele kleine Kugeln in sich hätte. Doch die erste Reaktion seiner Freunde war anders ausgefallen, als der Junge erwartet hatte.

„Was?“ Hendrik war empört. “Du hast eine Kugel aus einem Museum geklaut?“

Alfred war nicht mehr dazu gekommen, auf die Frage zu antworten, denn in genau diesem Augenblick hatte der Sturm mit einer schweren Böe so an dem Gebälk der Scheune gezerrt, dass es gänzlich unheimlich wurde.

Der Klang ähnelte dem Heulen von Gespenstern, wie das im Film oft vorgeführt wird, um den Zuschauern ein wenig Angst einzujagen. Dazu war der Raum von einem grellen Blitz für den Bruchteil einer Sekunde taghell erleuchtet gewesen. Im gleichen Moment war die Hütte von einem gewaltigen Donnergrollen erschüttert worden, was nur bedeuten konnte, dass das Gewitter direkt über der Wiese stand. Natürlich hatten auch die Freunde auf dem Dachboden jetzt wieder ‚ein ganz klein wenig Angst’ bekommen. Aber selbstverständlich hatte das niemand zugegeben. Andererseits hatte auch niemand widersprochen, als Kirsten schließlich entschieden hatte, was zu tun war.

“Los, sehen wir zu, dass wir nach hause kommen.“

Aber auch der Rückweg durch das kleine Wäldchen war gar nicht so einfach gewesen. Die Bäume ächzten und bogen sich an diesem Abend besonders heftig und der Regen peitschte den Freunden so gründlich in die Gesichter, dass sie Mühe hatten, ihre Augen offen zu halten. Die in der Ferne gelegentlich vorbeiziehenden Lichtkegel aus den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos, verliehen der Atmosphäre zusätzlich einen unheimlichen Beigeschmack. Die Freunde hatten sich daher beeilt, dem Unwetter zu entkommen. Von dem aufgeregten Krächzen der vom Lärm aufgescheuchten Krähen hatte in dieser Situation keines der Kinder Notiz genommen. Lediglich das heftige Getrampel sich entfernender Hufe hatte sie veranlasst, einen Moment inne zu halten.

Wortkarg waren sie anschließend auseinander gegangen und hatten sich gefreut, als sie endlich zu Hause angekommen waren.

Noch am selben Abend hatte Kirsten bei Alfred angerufen, um sich zu erkundigen, was es mit der Kugel tatsächlich auf sich hatte. Die Antwort war allerdings nicht sonderlich erhellend gewesen.

„Ich weiß auch nicht. Wenn man sie gegen das Licht hält, dann funkelt sie ganz komisch und blinkt irgendwie. Aber das macht sie nicht immer, nur manchmal.“

Nach diesen Worten hatte Alfred aufgelegt. Seine Mutter hatte an die Tür geklopft und ihm eine gute Nacht gewünscht. Die blaue Kugel hatte seither niemand mehr zu Gesicht bekommen, da sich bereits am folgenden Tag eine merkwürdige Geschichte ereignet hatte.

Gleich am nächsten Tag hatte ein Mann bei den Krickhahns an der Haustür geklingelt. An dem Vormittag war nur Alfreds Mutter zu hause gewesen. Der Besucher hatte versehentlich vergessen, das Licht seines Autos abzuschalten. Da nun der Wagen nicht mehr ansprang, bat er darum, kurz telephonieren zu dürfen, um einen Abschleppdienst zu bestellen. Krickhahn, so heißt Alfred mit Nachnamen. Und das Haus, in dem er wohnt, liegt ziemlich abgelegen. Seine Mutter war daher ohne weiteres bereit gewesen, dem Mann zu helfen. Sie hatte ihn kaum herein gebeten, als vor dem Haus auch schon ein wildes Hubkonzert begann.

Der Fahrer eines anderen Fahrzeuges regte sich lautstark darüber auf, dass auf der schmalen Straße ein Anhänger geparkt war.

Für Raudi war dieser Lärm zuviel gewesen und er hatte wild angefangen zu bellen. Raudi war der ‚Hof und Hütehund’ der Krickhahns und Alfreds Mutter war nichts anderes übrig geblieben, als nach draußen zu gehen, um ihren Hund wieder zu beruhigen.

Das war nicht so einfach gewesen, weil „Raudi sich aufgeführt hatte, als ob der Leibhaftige vor der Tür steht,“ wie Alfreds Mutter sich ausgedrückt hatte.

Als es ihr endlich gelungen war, ihn ins Haus zu zerren, war ihr der Besucher bereits im Vorflur des Hauses begegnet.

Er hatte sein Telephonat beendet, sich höflich aber kurz bedankt und dann das Grundstück in ziemlicher Eile verlassen. Alfreds Mutter war viel zu sehr mit dem Hund beschäftigt gewesen, als dass sie sich deswegen Gedanken gemacht hätte. Sie war nur froh, dass das dämliche Hubkonzert endlich aufgehört hatte.

Erst nachdem Alfred seinen Eltern aufgeregt vom Verlust der blauen Kugel berichtet hatte, war klar geworden, dass der Besuch des Mannes nicht wirklich zufällig erfolgt war.

Aber selbstverständlich hatten Alfreds Eltern davon kein großes Aufheben gemacht. Schließlich hatte „unser Herr Sohn“, wie sich Alfreds Vater ausdrückte, „das Teil ja selber mitgehen lassen.“

Seither war erst einmal Ruhe im Karton gewesen. Bis jetzt, denn plötzlich glaubte Alfreds Mutter den Mann wieder zufällig entdeckt zu haben, der ihr einen Besuch abgestattet hatte - und zwar beim Zusammentragen des Osterfeuers. Er war ihr aufgefallen, weil er dabei „so komische Handbewegungen“ gemacht hatte. Wer der Mann war und woher er eigentlich kam, das vermochte Alfreds Mutter jedoch nicht zu sagen.

Für Alfred war damit klar, dass er etwas unternehmen musste. Eilig rief er seine Freunde zusammen. Gleich nach der Schule trafen sich alle an der alten Eiche und erlebten gleich eine ziemliche Überraschung.

3. Kapitel

„Die kommt doch nicht von hier.“ Hendrik war sich da ganz sicher: Die Fremde konnte unmöglich eine solch wichtige Aufgabe übernehmen. Er sagte das mit einer solchen Bestimmtheit, dass es auch Thorsten begriff. Gemeinsam mit seinen beiden Freunden, Hendrik und Alfred, stand er an der alten Eiche und hielt Kriegsrat. Hendrik war in jeder Beziehung der Mittlere der drei Jungen. Mittelgroß, mittelstark und mittelschlau. Alles andere als ein Weichei, und deshalb durchaus auch einmal bereit, sich dem klar stärkeren Alfred körperlich in den Weg zu stellen, aber keineswegs ein Draufgänger. Alles andere als ein Eierkopf, aber deswegen keineswegs bereit, etwa Thorsten, undiskutiert, auf jedem beliebigen Wissensgebiet den Vortritt zu lassen. Thorsten hatte sich entsprechend daran gewöhnt, dass sein Freund auf Argumente ‚manchmal nicht gerade zuvorkommend zu reagieren pflegte’, wie Kirsten das in ihrer etwas geschwollenen Art zu reden, ausdrückte. Die Idee, das fremde Mädchen zu fragen, ob es mit zum Osterfeuer kommen wolle, hatte der blonde Junge gleich ziemlich ‚blöd’ gefunden. Und dazu noch solch ein Mädchen, das sie gar nicht kannten. Es reichte ihm schon, dass seine anderthalb Jahre jüngere Schwester Kirsten ständig überall mit hin wollte. Weil er da meist schlecht nein sagen konnte, wenn er Krach mit seinen Eltern vermeiden wollte, war sein Bedarf an Mädchen erschöpft. „In echt ist das bestimmt auch wieder so eine Quasselstrippe,“ dachte er bei sich und hoffte nur, dass seine Schwester nicht zufällig erfahren würde, dass das fremde Mädchen auf einmal wieder da war. Nach dem Anruf von Thorsten hatte er sich daher geradezu aus dem Haus geschlichen und war jetzt froh, die Sache erst einmal mit seinen beiden Freunden besprechen zu können. Dabei war er so sehr damit beschäftigt, Thorsten von seiner Idee abzubringen, dass ihm das leichte Rascheln im Gebüsch vor Aufregung gar nicht auffiel.

Thorsten war da ganz anderer Meinung. Das neue Mädchen fand Thorsten eigentlich ganz nett, also jedenfalls sah sie so ähnlich aus wie Kirsten und die fand er ja eigentlich auch ganz nett. „Nur die Haarfarbe ist anders,“ hatte er sich im Stillen eingestanden. Auf jeden Fall aber kannte sie hier niemand und das konnte für den Auftrag, der zu erledigen war, nur gut sein. Deshalb war er auf die Idee gekommen, ausgerechnet die Fremde mit der Aufgabe zu beauftragen. Obwohl er dieser Ansicht war, traute er sich nicht so recht, Hendrik seine Meinung zu direkt ins Gesicht zu sagen. Hendrik war stärker als er. Er war nicht unbedingt schlauer, aber er war stärker. Gewiss nicht so stark wie Alfred, aber doch stärker eben als Thorsten. Er neigte zwar nicht dazu, seine körperliche Überlegenheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszuspielen, aber wenn doch, dann zog Thorsten erfahrungsgemäß den Kürzeren.

Thorsten war einen Monat jünger als Hendrik, hatte keine Schwester, sondern nur einen Bruder und der war schon so alt, dass er meist keine Lust mehr hatte, mit ihm zu spielen. Das war besonders ärgerlich für ihn, weil er an sich viel Zeit zum Spielen gehabt hätte. Nicht, weil er faul war, eher im Gegenteil. Unter seinen Mitschülern galt er als Schlaumeier und das nicht zu unrecht.

Ihm fiel der Stoff leicht, ihm machte die Schule Spaß, er hatte „Freude am Lernen“, wie ihm sein Klassenlehrer erst kürzlich wieder in der Zeugnisbemerkung bestätigt hatte. Um die Zeit zu überbrücken hatte er es sich sogar angewöhnt, Zeitung zu lesen. Eine Angewohnheit, die ihm bei seinen Mitschülern den Ruf eingebracht hatte, ein wenig verschroben zu sein. Ohnehin verbrachte er viel Zeit damit zu lesen und nutzte die Gelegenheit dazu, immer neue Wissensgebiete ausfindig zu machen. Dabei kam es allerdings gelegentlich vor, dass er auf Themen stieß, die von anderen Menschen eher als ein wenig skurril eingestuft wurden. Aktuell konzentrierte sich Thorsten auf übersinnliche Wahrnehmungen. Von Seiten seiner Freunde hatte ihm dieses Interesse immer wieder spöttische Fragen eingebracht, aber das hatte ihn nie im Geringsten irritiert. Das mochte auch daran liegen, dass Thorsten ein wenig schwerhörig war, wie er selbst zugeben musste. Deswegen hatte er auch früh die Gebärdensprache lernen müssen und deshalb hatte er eine besondere Vorliebe für das Lesen entwickelt. Anfänglich hatten sich seine Freunde vor allem über die komischen Bewegungen lustig gemacht. Seit sie begriffen hatten, dass man sich mit Hilfe der Gebärdensprache auch über größere Entfernungen ohne Worte verständigen kann, war das nicht mehr so. Deshalb hatte sich diese Form der Verständigung zwischen ihm und seinen Freunden inzwischen geradezu zu ihrer Geheimsprache entwickelt, die sie um eigene Gesten erweitert hatten. Auch wenn das nicht immer ganz so klappte, wie sie sich das ursprünglich vorgestellt hatten, wendeten sie diese Form der Verständigung immer häufiger an, vor allem dann, wenn es darum ging Heimlichkeiten auszutauschen.

Davon konnte zwar im Augenblick keine Rede sein, trotzdem aber hätte man aus einiger Entfernung auf die Idee kommen können, dass sie sich ohne Worte verständigten, da beide

Jungen zur Verdeutlichung ihrer Standpunkte wie wild gestikulierten. Als Thorsten erkennen musste, dass seine Argumente Hendrik nicht überzeugten, wandte er sich schließlich an den Dritten im Bunde. „Wie siehst du das denn? Sag’ auch mal was,“ wandte er sich schließlich an Alfred, der sich bisher noch gar nicht geäußert hatte.

Alfred war der dritte Junge in der Gruppe und der älteste, größte und mit Abstand stärkste von ihnen. Er interessierte sich für alles, was mit Technik zu tun hatte. Deshalb war er auch bei der Jugendfeuerwehr aktiv und hatte sich sein eigenes Fahrrad aus Sperrmüllbeständen selbst zusammengebastelt. Sogar seinen Computer hatte er eigenhändig aus Komponenten zusammengebaut, die bei ebay ausdrücklich als defekt deklariert worden waren und die er deshalb besonders günstig hatte ersteigern können. Dass Thorsten ihn jetzt dazu aufforderte, seine Meinung zu sagen, war ihm ziemlich unangenehm, denn eigentlich hatte er nichts gegen Mädchen und gegen die Fremde auch nicht. Auch leuchteten ihm die Argumente von Thorsten durchaus ein. Andererseits hatte er keine Lust, es sich mit Hendrik zu verderben. Er zögerte deshalb mit seiner Antwort und war ehrlich froh, als ihm die Entscheidung abgenommen wurde.

Kirsten war wie aus dem Nichts heraus neben den Jungen aufgetaucht. Sie trug ihren hellbraunen Lederanorak, den ihr eine Tante aus Nordnorwegen mitgebracht hatte und auf den sie schon allein deshalb unheimlich stolz war, weil er von echten Lappen hergestellt worden sein sollte und sonst keiner ein solches Kleidungsstück besaß.

Das Mädchenhatte es anfänglich nicht ganz leicht gehabt, sich in der Jungengruppe zu behaupten. Als ‚kleine Schwester’ von Hendrik war sie anfangs von dessen Freunden immer wieder veräppelt worden und es hatte einer ganzen Menge Energie bedurft, bis sie sich ihren Platz erkämpft hatte. Das war nicht leicht gewesen, denn Kirsten war gesundheitlich nicht besonders gut drauf. Sie war zierlich und ermüdete schnell. Irgendetwas stimmte mit ihrem Blut nicht so richtig, aber die Ärzte waren der Ansicht, dass sich das schon noch geben werde. Der ‚Durchbruch’ war ihr vor etwa einem Jahr gelungen. Damals hatte einer der Weidebesitzer aus der Nachbarschaft ein neues Pferd bekommen. Die Kinder hatten den schwarzen Friesenhengst spontan ‚Kobold’ getauft. Aber selbstverständlich hatte sich niemand getraut, sich dem Tier auf der Weide zu nähern, geschweige denn den Versuch zu machen, damit zu reiten. Niemand, außer eben Kirsten. Zur völligen Verblüffung ihrer Freunde, hatte der Friese sich das gefallen lassen. Und bis heute war Kirsten die Einzige, bei der sich der Hengst das gefallen ließ. Das hatte ihr den uneingeschränkten Respekt im ganzen Dorf verschafft und dementsprechend galt ihr Wort seither auch unter den Jungen etwas.

Das Gespräch der Jungen hatte sie die ganze Zeit in der Nähe belauscht. Sofort ging sie jetzt wie eine Furie auf ihren Bruder los.

„Wieso willst du nicht, dass die Neue bei uns mitmacht? Ihr seid ja auch drei Jungs! Wieso sollten wir denn dann nicht auch zwei Mädchen sein? Ach, weißt du was? Ich hole sie einfach! Tschüss!“

„O nein, bitte nicht!“ Hendrik gab sich genervt und ärgerte sich wirklich über seine Schwester. Aus Erfahrung wusste er, dass er in solchen Situationen gegen sie nicht ankam, und das ärgerte ihn ganz besonders.

„Doch!“; rief Kirsten und verschwand. Noch bevor die Jungen sich von ihrer Überraschung erholt hatten, war sie wieder zurück – zusammen mit der Neuen. „Hallo! Da sind wir!“

„Es ist weder zu überhören noch zu übersehen.“, brummte Thorsten, der in Wirklichkeit froh war, dass Hendriks Schwester sich von ihrem Bruder nichts sagen ließ.

Kirsten ging nicht darauf ein, sondern kam gleich zur Sache.

„Das ist Snotra; sie kommt aus Bayern. Snotra, das ist Hendrik, mein großer Bruder, und seine Freunde Thorsten und Alfred.“

„Grüß Gott.“ Snotra lächelte die drei Jungen freundlich an. Thorsten vermutete sofort, dass die Neue nur ausprobieren wollte, wie die Jungen auf diese bayerische Begrüßung reagierten und hielt sich deshalb vorsichtshalber zurück. Nicht so Hendrik.

„Grüß Gott?,“ äffte er das Mädchen nach und fügte sofort hinzu: „Wieso soll ich Gott grüßen?

„Bist Du etwa von einer Sekte?“, erkundigte sich zu allem Überfluss zugleich auch noch Alfred.

Jetzt war es Snotra, die verdutzt aus der Wäsche schaute. Sie hatte erwartet, dass einer der Jungen eine blöde Bemerkung in Richtung Bayern machen würde. Aber anscheinend kannten sie die dort übliche Begrüßung überhaupt nicht. Kirsten kam ihr zu Hilfe.

„Ach Henni, vergiss es. Grüß Gott, so sagt man in Bayern zur Begrüßung.“

„Grüß Gott?“ Es war Hendrik anzumerken, dass er sich nicht sicher war, ob seine Schwester gerade versuchte ihn auf den Arm zu nehmen. Noch bevor er dazu kam, der Frage weiter nachzugehen, mischte sich Alfred ein.

„Wenn du schon einmal da bist, könnte dich ja auch jemand in unseren aktuellen Fall einweihen.“ Er versuchte mit diesem Vorschlag von seiner vorherigen Frage abzulenken und stieß aus Versehen zugleich auch noch sein Fahrrad um.

„Das übernehme ich!“, rief Kirsten und begann sofort die Geschichte von der blauen Kugel zu erzählen.

Snotra begriff sofort, warum unbedingt sie mit zum Osterfeuer kommen musste. Bereits als sie von dem seltsamen Funkeln und dem plötzlichen Gewitter erfahren hatte, war sie zusammengezuckt.

Jetzt starrte sie ihre neuen Freunde nachdenklich und zugleich ein wenig ungläubig an. Sie bewegte die Lippen und sagte etwas. Aber genau in diesem Moment fuhr wieder einmal ein Güterzug vorbei, so dass ihre Worte nicht zu verstehen waren.

„Was hast du gerade gesagt?“, erkundigte sich Hendrik, nachdem der Lärm vorbei war. „Sie hat gerade gesagt,“ antwortete Kirsten nach kurzem Überlegen, „dass es äußerst wichtig ist zu erfahren, warum sich so viele Leute dafür interessieren. Und deshalb ist auch der Besuch des Osterfeuers in diesem Jahr so besonders wichtig, stimmt’ s?“

Hendriks Schwester hatte sich Snotra zugewandt und wartete nun auf die Bestätigung, alles richtig verstanden zu haben. Angesichts des Lärms, den der vorbeifahrende Zug machte, war sie darauf angewiesen gewesen, die Worte von den Lippen ihrer Freundin abzulesen.

Diese Technik war ihr anfangs nicht ganz leicht gefallen.

Als Snotra ihr gleich bei ihrem ersten Treffen vor wenigen Tagen demonstriert hatte, wie gut sie diese Form der Verständigung beherrschte, hatte sie das erst für Angeberei gehalten, dann aber schnell begriffen, welchen Vorteil diese lautlose Verständigung insbesondere über eine größere Entfernung bot.

Seither hatte sie sich deshalb sehr angestrengt, um diese Fähigkeit auch zu erlernen. Dass sie hierbei schnell Fortschritte gemacht hatte, lag sicher auch daran, dass sie es von Thorsten bereits gewohnt war, sich beim Gebrauch der Gebärdensprache auch auf die Mundbewegung zu konzentrieren. Ihr kam es daher gerade recht, dass die Züge heute wieder besonders laut waren.

Als Snotra durch kurzes Kopfnicken bestätigt hatte, richtig verstanden worden zu sein, fuhr sie fort mit der Wiederholung.

„Und mich wollt ihr dabei haben, weil ich vielleicht die Einzige bin, die er nicht kennt. Richtig? Und daher bin ich die Einzige, die ihn unauffällig beobachten kann, richtig?“

Die Freunde schwiegen einen Moment. Kirsten schwieg, weil sie sich freute, dass die lautlose Verständigung mit ihrer neuen Freundin so reibungslos funktionierte.

Thorsten schwieg, weil er es für besser hielt, erst einmal die Reaktion der anderen abzuwarten. Hendrik schwieg, weil er einen Moment brauchte, um das Argument zu begreifen. Schließlich war es Alfred, der mit einem knappen „genau“ für Klarheit sorgte.

„Es ist schon spät,“ gab der dunkelhaarige Junge nach einer kurzen Pause zu bedenken. Tatsächlich war es inzwischen kurz nach 19 Uhr. Aus dem nahen Wäldchen ließ sich ein Käuzchen vernehmen. Dann kam schon wieder ein Zug. Urplötzlich fing es erneut an heftig zu stürmen und ein dichter Regenschauer prasselte vom Himmel.

Die Kinder zogen ihre Jacken über die Köpfe und versuchten unter der Eiche Schutz zu suchen.

„Kommt mit!“, forderte nun Snotra ihr neuen Freunde auf und rannte voraus.

Die Kinder beeilten sich ihr zu folgen und fanden wenig später in der nahe gelegenen Hütte Unterschlupf, die sich im hinteren Teil des Grundstücks befand, auf dem Snotras Oma wohnte.

Ganz ähnlich der Scheune war auch dieses Gebäude aus Holz gebaut, nur viel kleiner als der ‚Schuppen’. Im Unterschied zu diesem wies das kleine Haus jedoch deutlich dickere Wände und eine ordentliche Dachisolierung auf, sodass es darin richtig gemütlich war.

Hier wohnte die Neue, wenn sie zu Besuch bei ihrer Oma war. Während die Regentropfen auf das Dach prasselten, überlegten die Freunde, wie es weiter gehen sollte.

„Ich bin dafür“, schlug Hendrik vor, als sich alle auf den weißen Plastikstühlen niedergelassen hatten, „dass wir uns morgen beim Osterfeuer treffen, uns den Mann schnappen und solange ausquetschen, bis er uns verrät, was er mit der Kugel angestellt hat.“

„Du meinst, wir schnappen den Mann, der Alfreds Kugel geklaut hat, damit er weiß, dass wir ihn kennen und uns in Zukunft aus dem Weg gehen kann? Spinnst du jetzt völlig?“

Gerade weil Kirsten seine Schwester war, ließ Hendrik es normalerweise nicht zu, dass sie so mit ihm redete. Aber jetzt schwieg er. Noch bevor er es sich anders überlegen konnte, schaltete sich Thorsten ein.

„Wir zeigen der Snotra, auf wen sie achten muss und wir passen nur auf, dass uns der Typ nicht durch die Lappen geht.“

Kaum hatten sich damit alle einverstanden erklärt, als erneut ein kräftiger Regenschauer auf das Dach prasselte und die Aufmerksamkeit der kleinen Gruppe auf sich zog. Folglich konnte auch niemand das deutliche Knacken überhören. Es klang genauso, als ob jemand auf einen trockenen Zweig getreten war.

Das Geräusch war so deutlich zu vernehmen, dass der fremde Besucher sich offenkundig ganz in der Nähe der Hütte aufhielt.

Gleich darauf klang es so, als ob sich jemand mit großen, federnden Schritten entfernen würde. Während alle gespannt darauf lauschten, gab sich Snotra unbesorgt.

„Da ist bestimmt wieder ein Pferd auf der Weide, das kommt immer mal wieder bis zur Hütte.“

Ihren neuen Freunden war die Erleichterung anzumerken. Ein bisschen unheimlich war ihnen zuvor schon geworden. Umso mehr freuten sich alle auf die kleine ZereSnotrae, die nun folgte. Schließlich musste Snotra noch feierlich in die Gruppe aufgenommen werden. Also zog Hendrik die Vorhänge der kleinen Hütte zu und Kirsten stellte Teelichter auf, während Alfred per Handy die Eltern anrief um ihnen mitzuteilen, dass ihre Kinder bei ihm zu hause übernachteten. Das waren sie schon gewohnt. Schließlich waren Ferien und da waren die Eltern froh, wenn ihnen die Kinder nicht gleich am Morgen auf die Nerven gingen. Anschließend erklärten sie Snotra, was sie tun musste.

Am Anfang musste das Mädchen einige Fragen beantworten und danach einen Vertrag unterzeichnen. Zum Schluss wurde mit Cola angestoßen. Anschließend saßen sie noch zusammen und beratschlagten, welche Aufgabe wer beim Osterfeuer übernehmen sollte. Danach gingen die drei Jungen und Kirsten zu Alfred nach Hause und legten sich schlafen.

Auch im Einschlafen wurde Kirsten jedoch das unbestimmte Gefühl nicht los, dass ihre neue Freundin noch ein kleines Geheimnis mit sich herumtrug. Allerdings ahnte sie nicht einmal, worum es ging. Sie nahm sich aber fest vor, diesem Gefühl bei nächster Gelegenheit auf den Grund zu gehen.

4. Kapitel

Der Tag vor Ostern ist in Norddeutschland der Tag des Osterfeuers. Da die Eltern nichts von dem Plan der Freunde wissen durften, konnten die jungen Verschwörer auch nicht gemeinsam dorthin gehen, sondern kamen mit ihren jeweiligen Familien.

Es dauerte deshalb einige Zeit, bis sich die Fünf treffen konnten.

So unauffällig wie möglich hatte jeder von ihnen bereits zuvor nach dem großen Unbekannten Ausschau gehalten. Allerdings war es selbst für Snotra nicht sonderlich schwer gewesen, den Verdächtigen ausfindig zu machen.

Es gab nur einen Mann, der so aussah, wie es Alfreds Mutter beschrieben hatte.

Der Mann, der auffällig lange ins Feuer sah und ständig irgendwelche seltsamen Handbewegungen machte, hatte eine Halbglatze und trug eine runde Brille.

Die Freunde waren sich schnell einig, dass allein dieser Mann der Gesuchte sein konnte. Aber tatsächlich war es nur Snotra gelungen, unauffällig in der Nähe des Mannes zu bleiben und seine Bewegungen zu verfolgen. Deshalb entging es ihr auch nicht, als eine andere Person für wenige Augenblicke die Gesellschaft des Mannes suchte. Da das Prasseln des Feuers viele Töne verschlang, war sie aber zu weit davon entfernt, um deren Gespräch mithören zu können. Zum Glück war sie aber in der Lage, die vom Feuer hell beleuchteten Gesichter zu erkennen. Deshalb konnte sie ohne große Schwierigkeiten dem Gespräch folgen, indem sie einfach die Worte von den Mundbewegungen ablas. Sie nannte das, von den Lippen lesen. Damit hatte Snotra keine große Mühe, Ort und Zeit der nächsten Verabredung heraus zu finden.

„Gut,“ bestätigte die Person mit der Kapuze, „dann treffen wir uns Ostermontag am Bahnhof.“

„Genau,“ bestätigte seinerseits der Mann mit der Halbglatze, „Gleis 5 um Halbzwölf am Verdener Bahnhof.“

Snotra hatte genug gesehen und es wurde daher Zeit für sie, sich wieder um ihre Eltern zu kümmern. Diese wollten unbedingt noch zu einem anderen Osterfeuer fahren. Weil sie sich tatsächlich nicht davon abhalten ließen, saßen die drei Jungen und die beiden Mädchen erst eine Stunde später wieder in der Scheune zusammen.

„Was!?“ fragte Alfred, nachdem Snotra alles erzählt hatte, was sie von der Besprechung mitbekommen hatte.

„Sehr witzig, aber das kann gar nicht sein, am Verdener Bahnhof gibt es nur Gleis eins, zwei und drei. Schließlich sind wir ja nicht bei Harry Potter.“

„Ich finde wir sollten trotzdem am Ostermontag zum Bahnhof fahren. Auch wenn es ein Geheimtreffpunkt ist, können wir den Mann vielleicht doch entdecken. Immerhin wissen wir ja wie er aussieht“, meinte Kirsten.

„Ich muss mich entschuldigen“, begann Alfred, „denn ich fahre am Ostermontag mit meiner Mutter..“

Er hielt kurz inne und fuhr dann fort.

„Leute! Ich fahre am Ostermontag mit meiner Mutter mit einer uralt Bahn, die um Halbzwölf an Gleis fünf abfährt!“, sprudelte es aus ihm hervor.

„Super, wir müssen unseren Eltern sagen, dass wir auch mitfahren“, rief Snotra.

Sie war erleichtert, weil damit der Eindruck beseitigt war, sie könnte sich verhört haben. Sie war zugleich auch sehr beunruhigt, ließ sich das aber nicht anmerken, sondern erkundigte sich nur danach, wie es weitergehen solle. „Meiner Meinung nach ...“ begann Kirsten, als sie von Hendrik ziemlich barsch unterbrochen wurde.

„Deine Meinung interessiert keinen. Viel wichtiger ist es, mehr über den Typen heraus zu finden.“

„Das wollte ich auch sagen; nur dass ich nicht das Wort Typ verwendet hätte,“ stellte Kirsten klar.

„Ich habe auch eine Idee, wie wir das machen könnten. Einer von uns muss so tun, als ob er von der Schülerzeitung ist und eine Umfrage unter Brillenträgern machen will, um heraus zu finden, wie man sich mit Brille fühlt. Damit man nicht zu viele vom gleichen Alter befragt, bräuchte man sein Alter und um zitieren zu können, seinen Namen.“ Weiter kam sie nicht.

„Kiri! Es sind Ferien. Warum sollte in den Ferien in der Schülerzeitung ein Artikel über die Gefühle von Brillenträgern gebracht werden?“, wandte Thorsten lachend ein.

„Habt ihr eine bessere Idee?“, trotzte Kirsten.

Das hatte gesessen. Da niemand etwas Besseres einfiel, machte Alfred den Vorschlag, sich am folgenden Tag nicht zu treffen, sondern am Ostermontag etwas früher zu kommen, um die „Brillenträger – Frage - Aktion“ durchzuführen. Außerdem überlegten sie noch, wer die Rolle des Reporters übernehmen sollte. Hendrik schlug Kirsten vor, da sie „einem am besten Löcher in den Bauch“ fragen kann.

„Denkt ihr nicht, das sollte besser jemand machen, den der Mensch noch nicht gesehen hat?“

Wieder war es Thorsten, der mit seiner Rückfrage zur allgemeinen Verunsicherung beitrug.

„Also, ich verstehe nicht, was das bringen sollte. In diesem Fall ist es besser, er weiß, dass wir von hier sind. Oder glaubst du, es kommt besonders glaubwürdig, wenn jemand von einer ganz anderen Schülerzeitung eine solche Umfrage macht?“

Kirsten fühlte sich an der Ehre gepackt. Aber die anderen begriffen sofort, dass sie recht hatte. Also war die Sache abgemacht. Jetzt blieb nur noch abzuwarten, ob alle den seltsamen Bahnsteig finden würden.

Am Ostermontag trafen sich die Freunde wie verabredet am Verdener Bahnhof.

„Können Sie uns bitte sagen, wo hier der Bahnsteig 5 ist?“ Die Mutter von Snotra hatte den ersten besten Menschen angesprochen, der ihr über den Weg lief.

„Bahnsteig 5?“, fragte der Mann zurück. „Nee, keine Ahnung, hier in Verden jedenfalls nicht. Hier gibt es nur drei Bahnsteige.“

Snotras Mutter wollte gerade zu einer Antwort ausholen, als sie von ihrer Tochter weggezogen wurde.

„Da drüben Ma. Da drüben steht der Kleinbahnexpress.“ Snotra deutete in Richtung der kleinen Diesellok, die gerade an die drei alten Abteilwagen auf der anderen Seite des Bahnhofs ankuppelte. Ebenso wie die anderen Fahrgäste erreichten Vater, Mutter und Tochter den Zug am Ende der Unterführung, die zu den hinteren Gleisen führte. Ganz hinten, da war Gleis 5. Thorsten, Kirsten und Hendrik waren schon eingestiegen. Nur Alfred fehlte. Warum, das konnten sich die anderen Kinder nicht erklären, denn angerufen hatte er ganz gegen seine sonstige Gewohnheit nicht.

Die Eltern von Thorsten und Kirsten standen noch vor dem Zug und unterhielten sich mit dem Schaffner. Kurz darauf kletterten auch sie die kleine Treppe zum Waggon hinauf. Sie ahnten nicht, dass die Fahrt anders verlaufen würde, als sie sich das ausgemalt hatten.

Pünktlich um 11 Uhr ließ der Lokomotivführer die Zugpfeife ertönen und die kleine Museumsbahn setzte sich in Bewegung. Anders, als bei vielen anderen alten Zügen hatte dieser keine Dampflokomotive, sondern eine Diesellok VWE DL2 Baujahr 1947. Früher war das einmal eine Rangierlok gewesen, aber jetzt zog sie einen Personenzug mit zwei Personenwaggons und einem Gepäckwagen. Erst jetzt hatten die Freunde Gelegenheit, sich nach dem Mann mit der Halbglatze und dem Menschen mit der Kapuze umzusehen.

„Das war wohl nichts.“

Thorsten war der Erste, der nach kurzer Begehung des Zuges zu dem Ergebnis kam, dass die Verdächtigen nicht mitgefahren waren. Mit hoch gezogenen Augenbrauen ging er an Snotra vorbei und blickte sie dabei fragend an. Aber Snotra konnte nicht helfen. Sie war ebenfalls ratlos und außerdem beschäftigte ihr Vater sie, indem er ihr gerade erklärte, welches Unternehmen sich hinter der gewaltigen Fassade verbarg, an der sich der Zug Schritt für Schritt vorbei schlängelte. Nachdem die kleine Bahn das Industriegebiet hinter sich gelassen hatte, folgte ein Wohngebiet mit Einfamilienhäusern und Gärten. Viele der Bewohner standen vor ihren kleinen Villen und winkten dem vorbeifahrenden Zug zu. Aber bei Thorsten, Hendrik und Kirsten machte sich Enttäuschung breit. Snotra ging es ebenso.

Die Situation änderte sich schlagartig, als wenig später der erste Halt erfolgte. „Bahnhof Eitze“ stand an dem kleinen Häuschen geschrieben, das wohl früher einmal, als die Strecke noch regelmäßig befahren wurde, als Wetterschutz für die Passagiere gedient haben dürfte.

„Da!“, flüsterte Kirsten Thorsten ins Ohr.

Der sah sie erst fragend an, dann folgte er dem halb ausgestreckten Arm des Mädchens und stellte fest, dass der Mann mit der Halbglatze am Gleis stand und darauf wartete einsteigen zu können. Kurz darauf hatte er sich auf die Bank hinter ihnen gesetzt. Aber wo war der Kapuzenmann?

Die weitere Fahrt führte erst an einem Wäldchen vorbei und danach an Schrebergärten. An der nächsten Haltestelle war es Thorsten, der die erlösende Entdeckung machte. Der Kapuzenmann war zugestiegen und setzte sich zu einer Familie, die ihre Sachen daraufhin etwas wegzog.

„Das ist ja selbstverständlich. Bei einem so ordinären Mann der nie seine Kapuze abnimmt, würde doch jeder seine Sachen wegziehen“, murmelte Kirsten mit leiser Stimme vor sich hin. Das hinderte sie aber nicht daran, ihre Aufgabe im Auge zu behalten.

„Wir müssen jetzt aufpassen, was die Beiden anstellen. Ich gehe jetzt zu dem mit der Brille und mache mein Interview. Ihr behaltet den Menschen mit der Kapuze im Auge.“ Möglichst unauffällig erhob sich das Mädchen von ihrem Platz und begab sich in den Nachbarwaggon.

„Guten Tag,“ leitete Kirsten ihre Ansprache ein, „bitte entschuldigen Sie die Störung. Aber darf ich Sie mal was fragen? Ich bin von der Schülerzeitung und mache eine Umfrage unter Brillenträgern.“

Der Mann mit der Halbglatze sah sie verdutzt an, räusperte sich verlegen und nahm dann seine Brille ab.

„Tut mir leid, junge Dame, ich fürchte, da kann ich dir nicht behilflich sein. Weißt du, ich bin in Wirklichkeit gar kein Brillenträger. Ich setze das Ding eigentlich nur zum Spaß auf.“