Die schöne Luise - Ekkehard Wolf - E-Book

Die schöne Luise E-Book

Ekkehard Wolf

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Beschreibung

Wasser ist knapp, nicht bei Ihnen vielleicht, aber anderswo schon. Dass wissen Sie auch, tun aber so, als ob Sie das nicht wissen! Das könnte andere Menschen ziemlich auf die Palme bringen und dazu veranlassen, Ihnen einmal mit ganz einfachen Mitteln zu demonstrieren, wie wichtig Wasser ist. Jedenfalls könnten es andere Menschen so aussehen lassen, um Ihre Aufmerksamkeit auf sich zu konzentrieren. Was könnte schließlich wichtiger sein, als sauberes Wasser? Um genau das im bayerischen Oberland herauszufinden, gründet in dieser Geschichte unser Kriminaloberrat Günther Rogge vom deutschen BKA seine Soko "Wasser" und muss zu seiner Überraschung feststellen, dass es Wasser nicht nur in Bayern gibt.

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Ekkehard Wolf

Die schöne Luise

oder Wasser ist Leben und Wasser bringt Tod

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die schöne Luise und Wasser ist Leben und Wasser bringt Tod

Wasser ist Leben und Wasser bringt Tod

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 7

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

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Impressum neobooks

Die schöne Luise und Wasser ist Leben und Wasser bringt Tod

Europakrimi „Schattenmann“ – Band 5

Wasser ist Leben und Wasser bringt Tod

von Ekkehard Wolf

Kapitel 1

Wasser, Wasser, Gift im Wasser? Die Situation war ein wenig befremdlich. Kriminaloberrat Günther Rogge musste sich das unumwunden eingestehen. Trotzdem war er nur wenig amüsiert. Das war nun bereits das dritte Mal, dass er sich in dienstlichem Auftrag in dieser zugegebenermaßen wirklich reizvollen landschaftlichen Umgebung des bayerischen Oberlandes aufhalten durfte, ohne im Grunde wirklich begriffen zu haben, warum es ausgerechnet immer ihn erwischen musste. So etwas konnte zu einem Selbstläufer werden. Das wusste er aus Erfahrung nur allzu gut. „Also Herr Rogge, Sie kennen sich dort doch inzwischen ganz gut aus,“ hatte ihm seine vorgesetzte Abteilungsleiterin, die Kriminaldirektorin Dr. Andrea Grafunder in ihrem Wiesbadener Büro zur Begründung mit auf den Weg gegeben, als es darum ging zu erklären, warum ausgerechnet er wieder dorthin geschickt wurde. Dabei waren die Indizien, die eine Einschaltung des BKA geboten erscheinen lassen konnten, in diesem Fall so dürftig, wie schon lange nicht mehr. Jedenfalls hatte er das so gesehen, war aber mit dieser Einschätzung bei seiner Vorgesetzten nicht durchgedrungen. Also war er jetzt hier und betrachtete mit nur schwach ausgeprägtem Interesse die Fahrzeugpapiere des klapperigen alten Golfs II, der noch immer nur wenige hundert Meter entfernt von dem Hochbehälter stand, über den die Gemeinde Eurasburg mit Trinkwasser versorgt wurde. Günther Rogge faltete die Zulassungsbescheinigung auf, entzifferte ohne Brille mühsam den Halter des Fahrzeugs und stutzte. Mit einem schnellen Blick überzeugte er sich davon, hier nicht einem verspäteten Aprilscherz aufgesessen zu sein. Doch die teilnahmslosen Blicke der um ihn herum stehenden Beamten seiner „Soko“ mit dem bedeutungsvollen Namen „Wasser“ deuteten nicht gerade darauf hin, dass ihn hier jemand auf den Arm nehmen wollte. Seiner Gewohnheit zu Übertreibung nachgehend erschien es ihm vielmehr so, als ob bei niemandem auch nur eine Spur von Interesse für das zu entdecken war, was er hier tat. Günther Rogge zog seine Lesebrille aus der Brusttasche und vergewisserte sich, den Namen auf dem Zulassungspapier richtig gelesen zu haben. Er hatte sich nicht geirrt. Ruth, Andrea, Roswitha Waldner stand dort geschrieben. Wie viele Menschen dieses Namens mochte es wohl so geben? Hier in der Gegend? Ausgerechnet hier in der Gegend! Ein merkwürdiger Zufall? Wenn ja, dann auf jeden Fall schon sehr merkwürdig. Der Oberrat verzog das Gesicht zu einer etwas abstrusen Maske, wie er das immer tat, wenn ihm etwas spanisch vorkam. Aber das merkte er nicht. Der Führerschein wäre jetzt schön gewesen. Da wäre wenigstens ein Bild dabei. Aber nein, kein Führerschein, leider. Angelika Schwarz schüttelte bedauernd den Kopf und ließ dabei ihr langes blondes Haar so heftig wehen, dass dessen Spitzen Rogges Gesicht fast gestreift hätten. Er sah sie befremdet an. Laut Dienstvorschrift waren die Haare doch wohl genau so nicht zu tragen, doch der Oberrat verkniff sich den entsprechenden Tadel. „Auch sonst nichts? Nur diese Karre hier und der Wisch?“ „Doch, doch, schon.“ Die Raabe beeilte sich um Klarstellung. „Wir haben einen Datenträger gefunden, der bereits in der Auswertung ist und das hier,“ stellte sie klar, deutete mit der Hand auf den Kofferraum des Wagens und wiederholte, als es ihr gelungen war, Rogges Aufmerksamkeit von den langen blonden Haaren der Schwarz auf sich zu lenken, „also hier, da ist noch was.“ Sie wartete, bis der Oberrat sich ans Heck des Wagens bemüht hatte und deutete auf die Klapptasche, die aussah, wie die Werkzeugtaschen, mit denen vor ewigen Zeiten einmal die russischen Lada serienmäßig ausgestattet waren. „Hm, was ist das?“, erkundigte er sich trotzdem und erhielt die nicht so ganz überraschende Rückfrage: „Ne Werkzeugtasche? Vielleicht?“ Günther Rogge fühlte sich zurecht veräppelt und reagierte verärgert. „Na und?“ Anstelle einer Antwort klappte Hauptkommissar Uwe Carstens die Tasche auf. Zum Vorschein kamen ein Bolzenschneider und mehrere Röhrchen, die aussahen, wie Zigarrenbehälter nur eben aus Glas und gefüllt mit einer Flüssigkeit, die Rogge spontan an etwas erinnerte. „Scheiße?“ Bei diesem Wort blickte er nach oben, entdeckte die kleine Krähe, die lauthals um Entschuldigung bittend in der Luft über ihm flatterte, dachte sich aber nichts dabei. Die Antwort auf die Frage des Oberrats folgte auf den Fuß. „Scheiße - sieht so aus. Wollen Sie mal probieren?“ Die Schwarz hatte wieder ihr loses Maulwerk nicht halten können und fing sich dafür von der Raabe einen unfreundlichen Blick ein. Rogges Blick war ebenfalls nicht besonders freundlich. Eine Antwort blieb er jedoch schuldig. Er hatte sich soeben entschlossen, die Provokationen der jungen Beamtin auf Probe einfach zu ignorieren. Er vergewisserte sich, den Zusammenhang richtig verstanden zu haben, indem er mit der Hand in Richtung des Hochbehälters deutete und sich erkundigte, ob das deswegen sei. Das Kopfnicken der Umstehenden quittierte er mit einem wissenden Brummen, das bei den Beamten wie ein Hmmmm ankam. Damit war es dann aber bereits vorbei mit der Übereinstimmung. Rogge hatte sich seinen Kollegen zugewandt und seiner Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass das hier alles so offen herumstand. Den Grund für seine Verwunderung beim Lesen des Namens auf dem Fahrzeugschein hatte er indessen vorerst einmal für sich behalten. Gemeinsam waren die Beamten sodann nach Königswies gefahren und hatten mit dem dortigen Bürgermeister ein ausgedehntes Gespräch zu den Sicherheitsmaßnahmen geführt, die von den Sicherheitsorganen angeordnet worden waren, nachdem im dortigen Trinkwassernetz zum wiederholten Male „Verunreinigungen durch Fäkalien“, also Scheiße festgestellt worden war. Darüber hinaus war man sich selbstverständlich mit dem Rathauschef einig gewesen, dass es auch weiterhin nicht wünschenswert war, die Öffentlichkeit mit den Hintergründen der Belastung zu beunruhigen. Beim „Bruch“ der Trinkwasserleitung im nahegelegenen Wolfratsried war das bekanntlich nicht anders gehandhabt worden und man war gut damit gefahren. In diesem Fall verständigte man sich darauf, der Öffentlichkeit offiziell die Variante mit den Kolibakterien als Ursache und dem Ultravioletten Licht als Lösung zu präsentieren. Der ganze Vorfall lag inzwischen bereits Wochen zurück. Die rund um die Uhr Online-Überwachung hatte seither keinerlei Ergebnisse erbracht. Aber das hatte im Grunde auch niemanden wirklich überrascht. Schließlich waren die Einfallstore für die Einleitung solcher Beigaben zum Trinkwasser ja auch viel zu groß. Die Analyse des Inhalts der im Kofferraum des Golfs II am Beurasburger Hochbehälter aufgefundenen kleinen Röhrchens hatte unglücklicherweise ergeben, dass sich darin keineswegs nur Scheiße befunden hatte. Die Überwachungsmaßnahmen waren daraufhin auf alle entsprechenden Reservoire der Umgebung ausgeweitet worden. In Ermangelung ausreichender personeller Kapazitäten hatte sich das nunmehr auch offiziell als Sonderkommission fungierende Team um Rogge mit einem Satz Wildkameras ausgestattet, die es gerade günstig bei einem der Discounter in der Region käuflich zu erwerben gab. Tatsächlich war es den Ermittlern auf diese Weise dann auch gelungen, gleich mehrere Tatverdächtige, also drei streunende Katzen, zwei Igel und ein Rudel Wildschweine ins Bild zu bekommen. Da sich weitere Verdächtige nicht einstellen wollten, war nach wenigen Tagen Routine eingekehrt. Das hatte sich erst geändert, als die finnische Polizei sich mit einer Anfrage ans BKA gewandt hatte, die zur Abwechslung und seiner Überraschung einmal unverzüglich an Rogge weitergeleitet worden war.

Viola Ekström blickte genervt auf das Kommen und Gehen, das sich vor ihren Augen abspielte. Bereits vor einer guten Viertelstunde hatte sie ihren nagelneuen Audi in eine der Parklücken rangiert, die den Raum zwischen den beiden Supermärkten an der Königswieserstraße ausfüllten. Bis vor einigen Jahren hatte sich hier ein Volksfestplatz befunden. Aber da die verantwortlichen Politiker der kleinen Stadt einen Ausweg aus der damaligen Schuldenkrise gesucht hatten, war das Terrain kurzerhand zwei Gemischtwarenkonzernen angeboten worden. Diese hatten das Angebot freudig angenommen, jeweils einen üppig dimensionierten Markt errichtet und damit das Warenangebot in dieser kleinen Stadt nachhaltig bereichert. Sie wissen es inzwischen, ich spreche von Wolfratsried an der Loisach. Da es die klammen Stadtväter und –mütter nicht für nötig befunden oder sich nicht getraut hatten, in die Verträge mit den Konzernen eine Zufahrtsregelung zu schreiben, die den An- und Abfahrtsgewohnheiten der Kundschaft entsprach, spielte sich auf der Bundesstraße der alltägliche Kleinkrieg zwischen Ortskundigen und Ortsunkundigen ab. Dieser äußerte sich in sporadischen Hubkonzerten und diese wiederum spielten sich nur wenige Meter vor dem kleinen Ensemble von Tischchen ab, die von dem in einem der in beiden Märkte residierenden Backwarenverkäufer aufgestellt worden waren, damit die geneigte Kundschaft ihren Kaffee in einer rundum von Abgasen angereicherten Umgebung in vollen Zügen genießen konnte. Genau hier hatte sich Viola Ekström vor ziemlich genau 10 Minuten nieder gelassen und sch dabei gefragt, was um alles in der Welt der Vater ihrer Tochter sich nur dabei gedacht haben mochte, ausgerechnet diesen öden Ort für ihr Treffen vorzuschlagen. Auf einen Kaffee hätte sie unter diesen Umständen gern verzichtet. Aber dann hatte ihr die kleine Praktikantin leid getan, die zu ihr nach draußen geschickt worden war, um die Bestellung aufzunehmen. Der Kaffee war inzwischen kalt, aber ihr Date, der liebe Günther Rogge hatte es bisher leider nicht bis zu ihr an den Tisch geschafft. Statt dessen musste sie sich die lautstarke Auseinandersetzung zwischen zwei leicht bis mittelschwer alkoholisierten Herren mittleren Alters anhören, die sich nicht einig werden konnten, welcher Verein nun das Endspiel der Champions League gewinnen würde. Es war keineswegs so, dass Viola nicht bereit gewesen wäre, dieser Frage eine gewisse Wichtigkeit zuzusprechen. Nur zu diesem Zeitpunkt – immerhin waren noch nicht einmal die Halbfinals entschieden – schien ihr die Entscheidung vielleicht ein „ganz klein wenig spekulativ“ zu sein. Da sie sich langweilte, hatte sie sich mit dieser Vermutung ungefragt in die Auseinandersetzung der beiden angetrunkenen Experten eingemischt. Daraufhin waren diese für einen klitzekleinen Moment lang sprachlos vor Überraschung gewesen. Doch nur, um gleich im nächsten Augenblick buchstäblich eine Selbstexplosionsübung zu veranstalten. Nach einem kurzen, gegenseitigen Blickkontakt war der größere und dickere der beiden Männer aufgestanden und hatte so tief Luft geholt, dass sich seine gesamte Statur in einen Ballon zu verwandeln drohte. Viola Ekström hatte es sich nicht verkneifen können, ihm ihre daraus resultierende Sorge unverblümt mitzuteilen. Anschließend lehnte sie sich entspannt zurück und genoss die Erfahrung, Männern wie diesem inzwischen wieder einigermaßen angstfrei begegnen zu können. Die mit dem gebührenden Augenaufschlag besorgt vorgetragene Frage, ob er jetzt gleich platzen würde, löste bei dem Korpulenten erst ein kurzes Nachdenken und dann einen so heftigen Wutausbruch aus, dass auch sein Kopf anschwoll und eine krebsartige Färbung annahm. Noch bevor es ihm jedoch gelungen war, seine guten Vorsätze ihr gegenüber auch tatsächlich umzusetzen, musste er sich erneut auf eine neue Situation einstellen. „Bei Ihnen alles in Ordnung?“ Die Fragestellerin war dem Angesprochenen körperlich allein schon deshalb eindeutig unterlegen, weil sie mindestens zwei Köpfe kleiner ausgefallen war, als der Rotgesichtige. Dafür aber trug sie die gelbgrüne Uniform einer Bayerischen Schutzpolizistin und allein dieser Umstand genügte, um den Zweimetermann ganz klein werden zu lassen. Viola Ekström hatte sich köstlich über diese Verwandlungskünste amüsiert und ihre Belustigung mit einem herzhaften Lachanfall auch so überdeutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Große und sein kleinerer Bruder in Anbetracht der Staatsmacht jetzt gemeinsam einen roten Kopf bekamen. Gerade als Viola Ekström ansetzte, um mit einer weiteren kleinen Bösartigkeit für eine neuerliche Eskalation der Situation zu sorgen, wandte sich die Uniformierte mit aufgesetzt freundlichem Lächeln direkt an sie. „Frau Ekström?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, teilte die junge Beamtin der jetzt um ihr Vergnügen gebrachten Mittdreißigerin in dienstlichem Ton mit, dass „Herr Rogge Sie bittet, zu ihm auf die Wache zu kommen.“ Viola Ekström zögerte einen Augenblick, schüttelte kurz den Kopf, kam für sich zu dem Schluss, dass das ja wieder perfekt zu Rogge passte und begriff amüsiert, warum er sie zunächst hierher bestellt hatte. „Oh Günther,“ murmelte sie auf dem Weg zu ihrem Wagen in gespielter Verzweiflung so deutlich vor sich hin, dass die junge Beamtin ihren Blick für einen kurzen Moment aufmerksam auf sie richtete. Viola Ekström war sich sicher, dass Rogge sie die ganze Zeit über von einem der im Umkreis parkenden Fahrzeuge aus beobachtet hatte und sie war gelangweilt von dieser penetranten Art, „für ihre Sicherheit“ zu sorgen. Sie fand das natürlich reichlich albern, hatte aber nicht vor, sich deswegen mit dem Vater ihrer Tochter herumzustreiten. Den schwarzen Vogel, der sie seit ihrer Ankunft hier, ganz unauffällig beäugt hatte und der ihr nun ebenso um Unauffälligkeit bemüht zur Wache folgte, schenkte sie derweil keinerlei Beachtung.

Die Polizeiwache der kleinen, oberbayerischen Stadt namens Wolfratsried wurde erst vor wenigen Jahren im Gewerbegebiet in einen Stil neu errichtet, der wohl irgendwie Modernität und bayerische Gemütlichkeit miteinander vereinen sollte. Viola Ekström fiel vor allem die Holzfassade an dem schrägen Gebäude auf. Es vermittelte ein leicht skandinavisches Flair. Auf dem kurzen Weg vom Parkplatzcafé hierher, hatten die junge Beamtin und sie kein Wort gewechselt. Viola Ekström war noch viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich über Rogge zu ärgern. Dass sie vor lauter Erleichterung über ihre wiedererlangte innere Ruhe vergessen hatte, den Kaffee zu bezahlen, wurde ihr erst bewusst, als der vorausfahrende, blauweiße Dienstwagen in den geschützten Bereich der Polizeiinspektion einfuhr.

Rogge erwartete sie bereits vor dem Gebäude und lotste seine frühere Geliebte nach einer um Herzlichkeit bemühten Begrüßung, auf die sie lediglich mit einer säuerlichen Miene reagiert hatte, den Korridor entlang in den Lageraum, in dem die Dienstbesprechungen abgehalten wurden. Dort wurde sie auch noch kurz begrüßt vom neuen Leiter der Dienststelle, dem Polizeihauptkommissar Werner Reisinger. Der Mann hatte Humor. Auf Violas spontan geäußerte Frage, ob er denn tatsächlich gerne reise, hatte er ohne mit der Wimper zu zucken geantwortet, dass er jetzt jedenfalls in Eile sei und sich aber darauf freue, seine Reiseerinnerungen einmal mit ihr auszutauschen. Auf ihren verdutzten Blick hin hatte er Rogge kurz zugenickt und war entschwunden. Viola Ekström blickte sich im Raum um. Ein langer Tisch umrandet von Stühlen. An der Stirnseite eine Leinwand. An der Decke kurz davor ein Projektor. Die Fenster vergittert mit Drahtgeflecht, so dass genügend Licht hereinfiel aber nicht sofort auffiel, dass die Scheiben schon lange nicht mehr geputzt worden waren. Selbstkritisch musste sich Viola eingestehen, dass ausgerechnet das ihr sofort wieder auffallen musste. Sie wandte sich Rogge zu und war gerade im Begriff, ihre Arme um seinen Hals zu legen, als die junge Beamtin, ein Tablett balancierend, den Raum betrat.

„Kaffee, Tee?“

Anstatt eine Antwort abzuwarten grinste die mittelblonde Frau Viola Ekstöm nur mit einem vielsagenden Blick herausfordernd an, stellte das Tablett mit dem Kaffee auf den Tisch und verließ Rogge zugewandt dann augenzwinkernd wieder den Besprechungsraum. Viola Ekström traute ihren Augen nicht.

„Sag’ mal, die hat’s ja wohl drauf. Vielleicht solltest du sie mal zum Essen einladen – oder so.“

„Oder so?“

„Oder so!“

Rogge sah Viola Ekström mit einem Anflug von Sentimentalität an, zog die Augenbrauen hoch, deutete ihr mit einer einladenden Handbewegung an, sich zu setzen und schaltete den Projektor ein.

„Rogge, was können wir für dich tun?“ Die Tonlage der Frau schien nicht dazu angetan, Sentimentalitäten aufkommen zu lassen. Aber das sollte täuschen.

Während das Bild, das der Projektor an die Wand warf, immer klarere Konturen annahm, stellte sich Viola hinter den Stuhl, auf dem Rogge Platz genommen hatte, und strich ihm mit den Fingern durchs Haar.

„Ihr?“

An der leicht fahrigen Art, mit der sie auf diese Frage hin sein Haar mit ihren Fingern durchwühlte, wurde ihm klar, dass die Frau mit dem besonderen Draht zur NSA tatsächlich gerade nicht wirklich bei der Sache war. Er wandte sich zu Viola um und sah ihr in die Augen. Aber sie wich seinem Blick aus und deutete auf die Leinwand.

Dort scrollte sich der Globus von Google Earth gerade auf Finnland ein und zoomte eine Stadt nahe der finnisch russischen Grenze heran. Dazu wurde die folgende Meldung eingeblendet:

„SAAG baut ein riesiges Datenzentrum!

Nicht nur ausländische Risikokapital-Anleger haben Finnland für sich entdeckt: Im März kaufte der Internet-Riese SAAG eine alte Papierfabrik in der rund 150 Kilometer östlich von Helsinki gelegenen Hafenstadt Hamina. Ziel ist dort ein Datenzentrum für das Cloud-Computing-Business, bei dem IT-Infrastrukturen über Netzwerke zur Verfügung gestellt werden zu errichten, das auch andere Internetdienste nutzen können. Insgesamt will das Unternehmen 350 Millionen Euro investieren. Gelockt haben SAAG Energiepreise, die um die Hälfte billiger sind als beispielsweise in Deutschland. Und dass es hier das ganze Jahr über kalt genug ist, um mit Meerwasser die gigantischen Rechner zu kühlen. Groß an die Glocke gehängt hat SAAG das alles nicht - im Gegenteil. Auf Verkehrsschildern rund um Hamina sucht man den Namen vergeblich, wer sich dem Werksgelände am Rande der Stadt nähert, wird vom hauseigenen Sicherheitsdienst in Empfang genommen. Kein Zutritt! Erst recht nicht für Journalisten: E-Mail-Anfragen bleiben unbeantwortet, telefonische verlaufen im Nichts. In Hamina kennt man das schon. Die Geheimniskrämerei des Suchmaschinen-Spezialisten hat dazu geführt, dass die Gerüchte sprießen. Wie das, wonach SAAG angeblich Minen im Meer versenkt haben soll, um Fischer daran zu hindern, von der See aus auf das Gelände vorzudringen.“

„Ach nee.“

Viola Ekström gähnte deutlich vernehmbar vor sich hin und schüttelte mit dem Ausdruck extremer Langeweile den Kopf. „Was soll das werden? Willst du jetzt zur Abwechslung mal wieder beim großen Bruder auf die Pirsch gehen?“ Günther Rogge konnte sich ein leichtes Stöhnen nicht verkneifen. Der Neuigkeitswert der Meldung war für Viola offenkundig nicht besonders hoch. Dabei hatte er angenommen, dass bei ihr alle Warnlämpchen gleichzeitig aufflackern würden, sobald der Name Hamina fallen würde. Schließlich verband sich mit dem Namen dieses finnischen Städtchens jedenfalls für ihn die Erinnerung an seinen letzten Fall, der ihm bis heute den Angstschweiß über den Rücken laufen ließ. Bei Viola Ekström war das aber offensichtlich eben nicht so. Der Kriminaloberrat vom BKA beeilte sich daher mit einer Klarstellung: „Da sind andere auf der Pirsch. Unsere Weltverbesserer vielleicht. Vielleicht aber auch sonst irgendeine von diesen kriminellen Banden. Aber es sieht nicht so aus, als ob denen zum Spaßen zumute wäre.“ Anschließend durfte sich Viola einen gut halbstündigen Vortrag anhören, dass das deutsche BKA, also Rogge, ziemlich eindeutige Hinweise darauf hatte, dass „Trittbrettfahrer“ im Begriff waren, „etwas zu tun, was die Kommunikationsstrukturen und damit die Machtverhältnisse im Internet möglicherweise so gründlich durcheinanderbringen könnte, dass die Welt danach nicht wieder zu erkennen ist.“ Viola Ekström hatte ganz ausgeprägt das Gefühl, dass Rogge zur Melodramatik zu neigen beliebte.

„Möglicherweise könnte?“ Viola Ekström gab sich Mühe, den Spott in ihrer Stimme so unüberhörbar zu machen, dass ihn auch Rogge nicht zu überhören vermochte. In durchaus provokativer Absicht nestelte sie sogleich einen kleinen Handspiegel aus ihrer Handtasche und begann sich demonstrativ die Nase zu pudern. Nach den jüngsten Erfahrungen in Finnland verspürte sie zudem keinerlei Neigung, sich voreilig dort schon wieder auf etwas einzulassen, was sie nicht überblicken konnte. Schon gar nicht im Rahmen einer solchen Mission, wie sie Rogge offenkundig gerade vorschwebte.

„Undercover zur Suchmaschine?“

Viola Ekström hatte wirklich keine Lust darauf und ließ das Rogge auch ohne viele Worte spüren.

„Du, es geht hier nicht allein um SAAG oder die Manipulation von Suchanfragen oder etwas in dieser Art. Ich fürchte, das hier hat eine etwas andere Dimension.“

Rogge blickte ihr mit unsicherem Blick in die Augen und fügte hinzu, „eine persönliche, verstehst du?“

Viola war sich im Klaren darüber, das Rogge nicht umhin kam, sie von der Wichtigkeit und Dringlichkeit des Problems zu überzeugen, bei dessen Lösung er ihre Mithilfe in Anspruch zu nehmen gedachte und gab sich weiterhin gelangweilt. Nach all den verschiedenen Einsätzen, an denen sie teilgenommen hatte, war ihr klar, dass Rogge bei aller persönlichen Nähe bisher nicht wirklich hatte erkennen lassen, worin aus seiner Sicht das Problem bestand. Dass sich dort vor einigen Jahren der Suchmaschinenanbieter eine Halle gekauft hatte, um dort kostengünstig einige seiner Server unterzubringen, konnte schließlich für die Deutschen ebenso wenig überraschend sein, wie der Umstand, dass diese wunderschöne Stadt vor rund 200 Jahren zwischen Russland und Schweden umstritten war. Außer natürlich, die selbsternannten Weltmeister in Sachen Datenschutz hatten sich zur Abwechslung wieder einmal selbst ein Bein gestellt. Je länger die Ausführungen Rogges dauerten, desto gespannter war Viola Ekström darauf zu erleben, wie er zur Sache kommen würde. Um das Vorgeplänkel abzukürzen, entschloss sie sich dazu, ein wenig herum zu zicken. Sie zückte ihr Mobiltelephon, blickte interessiert auf das Display und gab vor, noch andere dringende Dinge zu erledigen zu haben. Rogge reagierte nervös und beeilte sich, Konstruktionszeichnungen eines Gerätes an die Wand zu werfen, das bei kleinem Raumbedarf vermutlich dazu gedacht war, etwas zu tun, was Rogge sich auch nicht so recht zu erklären vermochte. Dass er überhaupt mit dieser Sache befasst worden war, lag angeblich eben genau daran, dass sich auch sonst niemand so recht vorstellen konnte, wozu dieses kleine Maschinchen nun konkret verwendet werden sollte. „Im Prinzip handelt es sich wohl um ein Gerät mit gigantischer Rechenleistung, das in der Lage ist, große Datenmengen in kurzer Zeit zu erfassen, zu bündeln und zu versenden oder auch zu verschlüsseln oder zu entschlüsseln oder.so..“. Rogge schaffte es nicht, den Satz zu Ende zu bringen. Gerade in dem Augenblick, in dem er versuchte, mit dem Laserpointer ein bestimmtes Element des Innenlebens dieser seltsamen kleinen Wunderwaffe zu markieren, wurde sein Vortrag abrupt unterbrochen. Erneut war es die junge Beamtin mit den wehenden Haaren, die ohne anzuklopfen den Raum betreten hatte und Rogge wegen eines dringenden Anrufs in das Büro des Dienststellenleiters bat. Es dauerte einige Zeit, bis der Oberrat wieder in den Besprechungsraum zurückkehrte. Viola Ekström spürte, dass der Vater ihrer Tochter gerade ein ausgesprochen unangenehmes Erlebnis zu verarbeiten hatte. Sie glaubte zu ahnen, worum es ging und sah Rogge entsprechend herausfordernd an, aber der hatte offenkundig Mühe, vor Ärger über das gerade Erlebte seine Selbstbeherrschung nicht zu verlieren.

Aus alter Gewohnheit verkniff es sich Viola Ekström, sich nach dem Grund für den Stimmungsumschwung zu erkundigen. Stattdessen sah sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an. Rogge erwiderte ihren Blick, verkniff sich aber seinerseits aus genau dem gleichen Grund die Antwort. Dieser Zustand der nonverbalen Kommunikation dauerte einen Moment. Als schließlich beide begriffen, dass so der gewünschte Informationsaustausch nicht zu schaffen war, entschlossen sich Viola und Günther praktisch zeitgleich und ohne ein Wort zu sagen, das zu tun, was Konspirateure in solchen Situationen seit jeher zu tun pflegten. Sie verlegten den Ort der Besprechung in eine abhörsichere Zone. Dazu mussten sie naturgemäß zunächst einmal den Raum verlassen und dafür bedurfte es einer plausiblen Begründung. Ohne die wäre die Person, die mit der Ausübung des Abhörauftrages betraut war, wenn es ihn denn geben sollte, sofort hellhörig geworden. Die Rolle der Impulsgeberin, also der Lieferantin für die Begründung für den Ortswechsel übernahm in diesem Fall spontan Viola, indem sie breit grinsend vorschlug, zum Chinesen gegenüber zu gehen, da sie jetzt unbedingt etwas zu essen benötige. Rogge griff den Vorschlag mit einer blumig ausgeschmückten Entschuldigung auf, wartete geduldig, bis die Frau ihre Siebensachen, wie Handy und Spiegel wieder in der obligatorischen Handtasche verstaut hatte, öffnete dann mit gespielter Galanterie die Tür des Besprechungszimmers und ließ der Frau den Vortritt.

Bereits beim Überqueren der Straße erlaubte er sich die Frage, ob es wirklich eine so gute Idee sei, ausgerechnet zum Chinesen zu gehen, wenn man ungestört und vor allem auch unabgehört sein wolle.

Viola Ekström hatte gerade wirklich keine Lust auf diese Art von platten Scherzen und überhörte daher die Frage mit einem gedehnten Seufzer. Zugleich warf sie ihm einen kurzen prüfenden Blick zu und hatte danach ganz plötzlich das Gefühl, dass er die Frage gar nicht scherzhaft gemeint haben könnte. Tatsächlich hatte sich das Chinarestaurant in dem Gebäude direkt gegenüber der Polizeiwache erst angesiedelt, nachdem die Polizei ihr Gebäude bezogen hatte. Obwohl Viola Ekström angesichts der Erfahrungen mit der Welt der Anderen ein gewisses Verständnis dafür aufbringen konnte, dass Rogge inzwischen bereit war, gewisse Vorsichtsmaßnahmen etwas ernster zu nehmen als früher, fand sie die Form der Sicherheit, mit der er ihren Besuch hier und heute begleitete, doch ein ganz klein wenig überzogen und sagte ihm das auch.

„Verfolgungswahn?“

Kapitel 2

Es war nur dieses eine Wort. Rogge nahm es mit einem leichten Knurren zur Kenntnis, verzichtete aber auf eine Entgegnung. Statt dessen schob er seine Begleiterin kurzerhand in den Fahrstuhl, drückte den Knopf für die oberste Etage, die natürlich nicht zum Chinesen führte und wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte. Oben angekommen, schob er Viola aus dem Fahrstuhl hinaus und wandte sich ihr mit dem Hinweis zu, dass sie hier reden könnten.

Viola Ekström verdrehte genervt die Augen. Rogge übersah das geflissentlich.

„Also,“ begann er seinen Report, „in echt geht es um folgendes: es ist so, dass wir hier vor Ort ein kleines Problem mit der Wasserreinheit haben. In Königswies – du erinnerst dich sicher – ist das Trinkwasser seit Dezember immer wieder belastet. Seit kurzem auch wieder in Wolfratsried. In der Öffentlichkeit wird das selbstverständlich so dargestellt, dass keine Unruhe in der Bevölkerung aufkommt. Tatsächlich ist es aber natürlich so, dass die Wasserversorger erpresst werden. Deshalb bin ich eigentlich hier.“

Rogge machte eine Pause. Viola sah ihn fragend an.

„Nun ja, wir haben da einen etwas merkwürdigen Fund gemacht.“

Wieder eine Pause.

„Günther, mach’s nicht so spannend.“

Die Stimme von Viola Ekström klang nicht nur genervt. Rogge entschied sich dafür, sie mit dem zu diesem Zeitpunkt zentralen Teil der polizeilichen Ermittlungen vertraut zu machen. Bei der Durchsuchung eines verdächtigen Fahrzeugs mit Hamburger Kenneichen, das in der Nähe des Beurasburger Wasserspeichers abgestellt war, hatten seine Kollegen einen Datenträger entdeckt. Die Speicherkarte enthielt einen Ordner mit Konstruktionszeichnungen für die bewusste Maschine, deren Sinn und Zweck sich jedoch niemand so recht erklären konnte. Ein zweiter Ordner enthielt Photos und Kartenausschnitte der Gegend um Hamina. Das von der SAAG genutzte Terrain war besonders intensiv aufgeklärt. Alles deutete somit zwar darauf hin, dass dort zu einem symbolisch wichtigen Termin, also vielleicht genau zum 11. September, eine Art Anschlag vorbereitet wurde. Doch aus dem vorhandenen Material war nicht zu erkennen, ob es sich um eine Art terroristischer Aktion oder so etwas ähnliches wie eine Demo handeln sollte. Das BKA hatte seine Erkenntnisse unverzüglich an die Kollegen in Finnland weitergeleitet und zudem die Verantwortlichen des Suchmaschinenanbieters davon in Kenntnis gesetzt, dass erhöhte Wachsamkeit geboten sei. Doch der 11. September war verstrichen, ohne dass in der gesamten Region Hamina auch nur die Andeutung einer Demonstration geschweige denn eines Anschlages zu registrieren gewesen wäre. Das Datum hatte natürlich von Anfang an Anlass zu spöttischen Kommentaren gegeben und das Ausbleiben irgendwelcher Vorgänge trug auch nicht gerade dazu bei, die Spötter zu besänftigen. Viola Ekström konnte es sich nicht verkneifen, sich an dieser Stelle seiner Ausführungen mit einem ironischen „ach wirklich?“ in Erinnerung zu bringen. Rogge stutzte kurz, räusperte sich, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn, während er sich nach fiktiven Lauschern umsah, und entschloss sich schließlich, zur Sache zu kommen. Der Krähe über Ihnen schenkte er dabei wie immer keinerlei Beachtung.

„Also, was ich eigentlich sagen will, ist, dass ich vor kurzem erfahren habe, dass der Halter des Wagens, den wir beim Wasserspeicher gefunden haben, als Wasserleiche im Hafen von Hamina wieder aufgetaucht ist.“

„Aufgetaucht, im Hafen von Hamina?“

Viola Ekström verdrehte erneut die Augen, ließ, Verzweiflung andeutend, die Arme schlaff herunterhängen, und fügte ein „och nee“ hinzu.

„Ja, aufgetaucht, im wörtlichen Sinne. Die Leiche steckte in einem Taucheranzug und hat dort wohl tatsächlich einen Tauchgang unternommen, den sie jedoch nicht überlebt hat.“

Rogge bemühte sich angestrengt darum, seine Glaubwürdigkeit wieder herzustellen.

„Du willst damit sagen, der arme Hund ist in Beurasburg in seinen Taucheranzug gestiegen, mit diesem in den dortigen Wasserspeicher geklettert, auf einer dieser dubiosen Wasseradern durch die Ostsee getaucht und drei Wochen später, wie durch ein Wunder tot in Hamina wieder in Erscheinung getreten. Und damit ihr hier nicht so lange in der Ungewissheit leben müsst, wer da erst ab- und dann wieder aufgetaucht ist, hat der Gute gleich noch seinen Ausweis in den Taucheranzug gesteckt und, um jedes Missverständnis auszuschließen, seine Fahrzeugpapiere zu eurer Orientierung gleich hier gelassen. Dieser Menschenfreund! Ja, hab’ ich das richtig verstanden, willst du genau das mir jetzt sagen?“

Viola Ekström hätte jetzt zu gern noch einen Kübel mit irgendeiner beliebigen Flüssigkeit zur Verfügung gehabt, um diesen zur Verstärkung ihres Spotts Rogge über den Kopf zu schütten.

Doch der Oberrat hatte sie auch so verstanden. Er stand wie ein begossener Pudel da und fragte sich im Stillen unwillkürlich, ob seine Abteilungsleiterin wirklich schlau beraten war, ihn zu veranlassen, ausgerechnet Viola zu diesem Fall hinzuzuziehen. NSA Kontakte hin, NSA Kontakte her. Das dieser Dienst nach allem, was in den vergangenen Monaten vorgefallen war, nicht mehr allzu fleißig darum bemüht sein würde, seine deutschen Partner mit Informationen zu Diensten zu sein, war zwar sicher richtig. Zu erwarten, dass dieses Defizit nunmehr durch private Kontakte ausgeglichen werden könne, hielt Rogge für reichlich naiv. Ausgerechnet Ola. Wenn er mit seiner Einschätzung ihrer aktuellen dienstlichen Verwendung richtig lag, würde sich diese Frage ohnehin erledigen. Außerdem war da noch das persönliche Element. Erneut zögerte er einen Moment, bevor er sich dazu entschloss weiter zu sprechen.

„Deine Gehässigkeit in allen Ehren, aber du kannst ja mal raten, wer in diesem Taucheranzug gesteckt hat?“

Rogges Tonfall ließ Viola Ekström zwar aufhorchen, aber auf Ratespiele hatte sie gleichwohl heute ebenfalls keine Lust und sagte genau das auch ihrem Gesprächspartner. Rogge wich ihrem Blick aus. Das war nicht unbedingt selbstverständlich. Viola Ekström begriff, dass da nun wohl endlich die nicht ganz so angenehme Information auf sie wartete. Ihre Ungeduld wurde hierdurch nicht unbedingt kleiner. Sie trat so dicht an Rogge heran, dass er keine Möglichkeit mehr hatte, ihrem Blick auszuweichen und forderte ihn unmissverständlich auf, jetzt endlich zu sagen, „was Sache ist“. Sie hatte sich Mühe gegeben, ihrer Stimme einen energischen Unterton zu verleihen und war gespannt darauf zu erfahren, ob ihre Rechnung aufgegangen war.

Aber Rogge tat ihr den Gefallen nicht. Anstatt ihrer Aufforderung zu folgen, wandte er sich mit einem Ruck von ihr ab und blickte durch die Fensterfront hinüber zur Polizeiwache. Aber er sagte kein Wort.

Viola Ekström stellte sich neben ihn, beugte sich ein wenig vor, drehte demonstrativ den Kopf von links nach rechts und umgekehrt und stellte zugleich an Rogge die Frage: „Siehst du etwas, was ich nicht sehe?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich sodann abrupt dem Treppenhaus zu und deutete an, den Ort ihrer Zweisamkeit zu verlassen. Noch bevor sie die erste Stufe erreicht hatte, ereilten sie die hastig ausgestoßenen Worte Rogges.

„Wir haben ihre Identität.“

Die Worte waren leise gesprochen worden, zeigten bei Viola Ekström aber die gewünschte Wirkung. Sie blieb stehen und spürte wieder dieses angenehme Gefühl in sich aufsteigen, das sie immer befiel, wenn etwas so verlief, wie sie sich das vorgestellt hatte. Sie zwang sich dazu, ein überraschtes Gesicht zu machen und blickte Rogge mit einem Blick an, der ihm signalisieren sollte, dass sie jetzt bereit sei eine Botschaft zu verarbeiten, die nichts Gutes verhieß. Die Frage, die sie stellte, beschränkte sich auf ein einziges Wort. „Nun?“

In dem öden Treppenhaus im Haus gegenüber der Polizeiwache mit der idyllischen Holzfassade in der kleinen oberbayerischen Stadt, in der auch ein früherer Ministerpräsident und Kanzlerkandidat sein Zuhause hatte, war Kriminaloberrat Günther Rogge wieder einmal damit beschäftigt, die Welt zu verfluchen, die ihn immer wieder zwang Dinge zu tun, die er nicht tun mochte.

Er hatte sich das Wiedersehen mit der Mutter seiner Tochter natürlich anders vorgestellt.

Den Blick weiterhin starr auf das gegenüberliegende Revier gerichtet, dachte er angestrengt darüber nach, wie er ihr das Geschehene schonend beibringen konnte. Es ärgerte ihn, dass ihm keine Lösung einfiel und ihm fiel keine Lösung ein, weil seine geliebte Ola einfach nicht locker ließ und ihn ständig nervte, anstatt ihn nachdenken zu lassen. Also ärgerte er sich über sie, vor allem über sie. Das machte es einfacher für ihn, ihr ganz ungeschminkt das zu sagen, was er ihr schonend hatte sagen wollen.

„Es handelt sich um Ruth. Sie ist die Tote.“

Während er diese Worte sprach, hatte er sich zu Viola Ekström umgewandt. Er hatte erwartet, dass die Mitteilung vom Tod ihrer früheren Gespielin sie zutiefst erschüttern würde, wurde aber eines Besseren belehrt.

Viola Ekström lachte ihn laut schallend aus, wandte sich kopfschüttelnd um und begann immer noch lachend, die Treppe wieder hinab zu gehen.

Irritiert beeilte sich Rogge, ihr zu folgen. Verärgert packte er sie am Arm und zog sie zu sich zurück.

„Was zur Hölle ist so lustig daran?“

Viola Ekström war klar, dass der Vater ihrer Tochter wieder einmal zutiefst empört war von dem, was er ihre Gewissenlosigkeit nannte. Aber sie mochte es nun einmal nicht, auf diese Weise grob angefasst zu werden und deshalb schüttelte sie zunächst energisch seine Hand von ihrem Arm und erkundigte sich sodann in genau der ordinären Sprache, von der sie sehr genau wusste, dass Rogge sie hasste, ob er „jetzt völlig den Arsch offen“ hatte.

Auch diese Worte verfehlten die beabsichtigte Wirkung nicht. Rogge blieb wie angewurzelt stehen und sah die deutlich jüngere Frau verständnislos an. Doch Viola Ekström verspürte nicht die geringste Neigung, hier und jetzt ihm gegenüber irgendwelche Erklärungen abzugeben. Erneut wandte sie sich ab, eilte die Stufen hinunter und verließ schnellen Schrittes das Gebäude. Während sie ohne nach links oder rechts zu sehen die Straße überquerte, hatte Rogge Mühe, ihr auf den Fersen zu bleiben. Seine Frage, wohin sie denn jetzt wolle, blieb ebenso unbeantwortet, wie seine Aufforderung, jetzt doch einmal kurz stehen zu bleiben. So blieb Rogge nichts anderes übrig, als ihr vor den Augen der belustigten Uniformierten durch die Wache hindurch auf den Dienstparkplatz zu folgen, auf dem sie ihren Wagen abgestellt hatte.

Viola Ekström öffnete die Fahrertür mit einem Druck auf den elektronischen Schließmechanismus, schwang sich ins Auto, ließ den Motor an und öffnete sodann zu Rogges Überraschung die Beifahrertür.

„Nun mach’ schon, steig’ ein!“

Während der Oberrat sich beeilte, der Aufforderung Folge zu leisten, öffneten die amüsierten uniformierten Kollegen bereits vorausschauend das Zugangstor, so dass die Frau am Steuer, den Wagen mit einem kräftigen Tritt auf das Gaspedal hinaus auf die Straße befördern konnte, wo sie gleich darauf um den Zusammenstoß mit einem Lieferwagen nur aufgrund der Reaktionsschnelle von dessen Fahrer herum kam. Während sie den Wagen weiter in Richtung auf den nahen Kreisel beschleunigte, angelte sie von der Rücksitzbank ein Blaulicht, hievte dieses durch das Seitenfenster auf das Autodach, stellte die Sirene ein und bog, ohne zu halten, in die B11a ein. Rogge war fassungslos. Zugleich sprachlos verfolgte er mit zunehmendem Staunen, wie sie im Vertrauen auf die Wirkung von Blaulicht und Martinshorn sämtliche Verkehrsregeln missachtend die vorausfahrenden Fahrzeuge mit wilden Schlangenlinien überholte bis sie schließlich die Autobahn erreichten. Mit quietschenden Reifen schleuderte die Frau ihr Fahrzeug durch die Zufahrt in Richtung Garmisch. Den Wagen weiter beschleunigend hetzte sie auf der Überholspur der Ausfahrt Seeshaupt entgegen und holte das Blaulicht ein. Sie schaltete das Radiogerät lauter, vergewisserte sich, dass Rogge sein Mobiltelephon abgeschaltet hatte und entschloss sich erst dann, das Gespräch wieder aufzunehmen.

„Also, hör’ zu, der Käse mit der Wasserleiche ist natürlich eine reine Provokation. Das ist nicht Ruth. Ich habe keine Ahnung, wer die sind, die euch das untergeschoben haben und wo die an die Papiere gekommen sind, aber die dahinter stehende Absicht ist natürlich klar. Die wollten offenkundig ausprobieren, wie ihr reagiert. Jetzt wissen sie es. Das hast du ganz fein gemacht. Gratuliere!!!“

Rogge musste schwer schlucken. Er fühlte wieder diesen gemeinen Schmerz in sich aufziehen, den er nicht zuordnen konnte, der ihm aber wie der Vorbote einer Krankheit erschien, vor der er in Wirklichkeit erbärmliche Angst hatte. Um den Schmerz zu betäuben, hatte er sich Ablenkungen angewöhnt. An diesem Tag bestand diese in einer Atemübung, so dass er Mühe hatte, die Information zu verarbeiten, mit der ihn Viola Ekström gerade konfrontierte.

„Wir haben ziemlich gesicherte Hinweise darauf, dass eine besonders radikale Abteilung dieser Occupy Bewegung ganz wild darauf ist, das kapitalistische Ordnungsmodell einmal gründlich in den Abgrund zu stoßen. Details kennen wir bisher nicht. Die gehen absolut professionell vor und geben sich alle Mühe, die Regeln der Konspiration nicht zu verletzen. Kapierst du das?“

Kriminaloberrat Günther Rogge verstand jetzt fast nur noch Bahnhof. Doch selbst das Wenige, was er verstand, behagte ihm ganz und gar nicht. Irritiert sah er die Frau am Steuer an und entschloss sich auf Nummer sicher zu gehen.

„Du arbeitest schon noch für die, oder?“

Viola Ekström warf dem Vater ihrer Tochter einen schnellen Blick zu und verdrehte dabei erneut so genervt die Augen, dass selbst Rogge die Geste verstand.

„Rogge! Was glaubst du, warum deine Vorgesetzte dich vorhin so nachdrücklich darauf hingewiesen hat, dass du dich mir gegenüber nicht wieder aufführen sollst, wie eine beleidigte Leberwurst?“

Rogge sah sie an, vermied aber eine direkte Antwort.

„Also, was dein Hamina anbetrifft, so gehen wir davon aus, dass unser großer Suchanbieter sich allein deshalb in Finnland anzusiedeln beliebt, um sich der Kontrolle der gesetzlich arbeitenden Dienste zu entziehen. Es gibt an sich ganz klare Verabredungen für die Weitergabe von Daten an die Dienste. So wie es aussieht, versuchen unsere Schlaumeier jetzt aber wegen der negativen Schlagzeilen Server in Länder auszulagern, in denen unsere Rechtsauffassungen nicht zwingend gelten. Jedenfalls tun sie so, als ob es ihnen darum geht, ihre Kunden zu schützen. Tatsächlich haben wir den Eindruck, dass die unsere Kontrolle abschütteln wollen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Das finden wir nicht so wirklich lustig, aber wir arbeiten selbstverständlich an einer Lösung. Die Russen sehen das übrigens genauso. Und Ruth, damit du es weißt, ist – wie der Zufall es will – ausgerechnet meine Kontaktperson zum FSB. Das Spielchen mit deiner verlassenen Karre am Wasserwerk und jetzt die Wasserleiche zeigt eigentlich nur, dass die auch vor unkonventionellen Schritten nicht zurückschrecken. Da sie euch damit gefüttert haben und ihr gleich darauf uns über mich kontaktiert habt, zeigt denen schon mal sehr deutlich genau die Schnittstellen auf, die es offiziell bekanntlich ja gar nicht gibt. Es ist absolut toll, wie leicht ihr euch ins Boxhorn treiben lasst. Und das gleich noch mit so einer Räuberpistole.“