GLOVICO - Ekkehard Wolf - E-Book

GLOVICO E-Book

Ekkehard Wolf

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Beschreibung

Hast Du Lust auf Datenklau? Schon bist Du dabei! Aber wer genau schaut Dir gerade zu? Könnte es sein, dass der "global village communicator" noch immer sein Unwesen treibt? Die Protagonisten dieses Machwerks sind der Antwort auf der Spur. Schwer zu sagen, ob sie erfolgreich waren. Lass Dich überraschen, auch wenn Deine aktuelle Erfahrung ja nicht unbedingt dafür spricht, oder? Also ziehe Dich in Dein Kämmerlein zurück und tue das, was du schon immer tun wolltest: lesen und helfen. Für jedes verkaufte Exemplar von "GLOVICO" geht 1 Euro an die Deutsche Stiftung für herzkranke Kinder.

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Ekkehard Wolf

GLOVICO

Global village communicator

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Im Vortragsraum der Polizeiinspektion

Larsson hatte allmählich die Nase gestrichen voll

Nur wenige Stunden zuvor

Die Polin war Anfang Vierzig

Eine schöne Aussicht auf den Fluss Moskwa

Die versuchte Festnahme der vier Leute

Knapp 2000 km weiter im Norden

Für Viola Ekström verlief die Nacht auf dem Schiff keineswegs so wie erhofft

Wir haben Begleitung

Unterdessen

Ich bin mir nicht sicher

Der brutale Mord

Nach ihrer Vernehmung

Es war ein unangenehmer Tag

Weit entfernt davon

Der Journalist Hartmut von Dormann

Es gab zwei Möglichkeiten

Polizeimajor Swetlana Viktorewna Hartschenko

Kommen Sie bitte dorthin zurück

Deutlich weniger gelassen

Du hast dich versucht wichtig zu machen

Also Chef, da wäre noch etwas

Die Festnahme

Anfänglich

In Bad Aibling

Ekström, NSA

Sehnsüchtig

Wie konnte das geschehen?

Der Schlüssel zu den Morden

Noch vor wenigen Tagen

In Murmansk

Die Russlanddeutsche

Der Zug

Die Mitteilung

Der Winter

Es gibt keine Namen

Ohne ein Wort

Bitte nehmen Sie doch Platz

Wir müssen versuchen

Am Landungssteg

Schluss

Nachtrag

Impressum neobooks

Im Vortragsraum der Polizeiinspektion

GLOVICO

The Global Village Communicator

von Ekkehard Wolf

Vorbemerkung

Lieber Leser, liebe Leserin,

Die nachfolgende Geschichte mag Ihnen ein wenig verworren vorkommen – sie ist es auch. Das Geschehen „spielt“ in der Vergangenheit. Aber das, was geschehen ist, reicht hinein in die Gegenwart und wirkt auch in die Zukunft. Die geschilderten Vorkommnisse haben sich tatsächlich ereignet. Insofern tun Sie gut daran zu akzeptieren, dass das dargestellte Geschehen keineswegs nur virtuelle, sondern äußerst reale Vorgänge beschreibt. Ähnliches gilt für die Personen, von denen hier die Rede ist. „Wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute,“ heißt es in vielen Märchen. Insoweit gehört diese Geschichte auch zu den Märchen und folglich kann es Ihnen nicht schaden, wenn Sie das, was Sie auf den nächsten Seiten erfahren, ebenfalls als eine Art Märchen verstehen. In Wirklichkeit sind zwar keineswegs alle, von denen hier die Rede ist, bereits gestorben, aber das macht die Sache ja nicht weniger spannend. Auch ich bin auf den gesamten Vorgang nur durch einen dieser schwer vorstellbaren Zufälle gestoßen. Eine über das Aktionshaus „ebay“ gekaufte Festplatte war nicht formatiert.

Der Datensatz enthielt unter anderem eines jener hochbrisanten Dossiers, über das ja kürzlich erst verschiedene Medien berichtet haben und das schon aufgrund seiner Klassifizierung nicht dazu gedacht war, einem Unbefugten in die Hände zu geraten. Mir wurde dieses Material von dem Käufer der Festplatte zugespielt, da er wohl davon ausging, dass ich aufgrund meiner journalistischen Tätigkeit zur Verschwiegenheit über meine Quellen berechtigt bin und daher meine Informanten auch gegenüber den Sicherheitsorganen nicht zu nennen habe.

Ich habe mich selbst nie irgendwelchen Illusionen darüber hingegeben, was dieses Recht tatsächlich Wert ist, wenn die fraglichen Informationen wirklich brisant sind.

Um mich und meine Umgebung nicht in Gefahr zu bringen, habe ich die verfügbaren Fakten daher in eine kleine Geschichte eingebaut und lege deshalb auch Wert auf die in diesen Fällen übliche Feststellung: Bei „GLOVICO“ handelt es sich um ein Internettool, das frei erfunden ist. Im Grunde gilt da für die gesamte Geschichte. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Persönlichkeiten oder Organisationen wäre, wie es so schön heißt, zudem rein zufällig. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass das in ganz besonderem Maße auch für etwaige Ähnlichkeiten gilt, die auf die Operation Glotaic hinzudeuten scheinen.

Die Namensgebung, sofern sie reale Orte beschreibt, ist ebenso willkürlich gewählt und dient lediglich dramaturgischen Zwecken. Keinesfalls haben sich die hier beschriebenen Vorgänge an den beschriebenen Orten zu den beschriebenen Zeiten so abgespielt, wie dargestellt. Insofern habe ich ein Problem mit der Wahrheit. Lassen Sie sich dadurch nicht irritieren. Sie wissen schon, das Leben geht gelegentlich seltsame Wege. Trotzdem sind Sie gut beraten, Wirklichkeit und Erzählung säuberlich voneinander zu trennen, wenn Sie nicht Gefahr laufen wollen, sich im Gestrüpp der Verwirrungen ebenfalls zu verirren. Wo Sie die Trennlinie ziehen wollen, ist selbstverständlich Ihre Sache.

Sie finden das ein wenig verwirrend? Diese Verwirrung wird beim Weiterlesen noch zunehmen, wenn ich Ihnen verrate, dass ... Aber vielleicht lesen Sie besser selbst, was geschehen ist.

Im Vortragsraum der Polizeiinspektion Hjörring herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Die Einsatzbesprechung war vom dänischen Staatsschutz kurzfristig anberaumt worden.

„Wie uns die Deutschen mitgeteilt haben, hat vor drei Tagen um siebzehn Uhr zehn ein dunkler BMW älteren Baujahrs die Grenze bei Guben passiert,“ umriss Björn Hansen vom Staatsschutz in Kopenhagen die Lage. Zur Überraschung des örtlichen Dienststellenleiters Karl Larsson war der Mann vom Geheimdienst in Begleitung einer jungen Frau aufgetaucht, die vorzustellen er nicht für notwendig befunden hatte.

„Im Fahrzeug befanden sich vier männliche Personen,“ setzte Hansen seinen Vortrag fort.

„Die Männer haben sich mit Pässen ausgewiesen, die auf Krysztof Kaminski, Vitali Rudnik, Gennadi Friedman und Kasimir Olszewski ausgestellt waren. Die Männer wurden vom BGS der üblichen Routinekontrolle unterzogen, da aufgrund des Fahrzeugs und der Zusammensetzung der Passagiere Anhaltspunkte vorlagen, die einen Anfangsverdacht auf einen kriminellen Hintergrund der Reise begründeten. Die vier Verdächtigen sollten kurz nach der Grenze, im Rahmen der Schleierfahndung, einer gründlicheren Überprüfung unterzogen werden.“

Hansen blickte bedeutsam in die Runde und fuhr dann fort: „Im Vorfeld dieser Feststellung hat es offenbar eine Panne gegeben. Kurz vor der Kontrollstelle müssen die Gesuchten die Straße nach Eisenhüttenstadt verlassen haben. Sie sind in einen anderen Wagen umgestiegen und haben vermutlich dabei auch die Identität gewechselt. Um 18.55 Uhr jedenfalls wurde von einem Anwohner der Ortschaft Schwerzko ein Brand im Wald gemeldet. Wie sich gegen 20.00 Uhr herausstellte, handelte es sich bei dem ausgebranntem Fahrzeug um den bei der Einreise benutzten BMW.“

Erneut machte der Mann aus Kopenhagen eine Kunstpause.

„Der BGS hat wegen des Verdachts auf Vorliegen einer Straftat den Vorfall daraufhin routinemäßig an alle Grenzkontrollstellen weitergeleitet. Die Rückfrage in Warschau zur Klärung der Identität der Untergetauchten wurde wegen Dienstschlusses erst vorgestern früh auf dem Weg gebracht. Die Rückmeldung erfolgte überraschend schnell. Personen, auf welche die angegebenen Passdaten zutreffen, sind an den Meldeorten nicht bekannt. Der Wagen wurde am Tag nach seiner Verbrennung als gestohlen gemeldet.“

Hansen unterbrach abermals seinen Vortrag, trank einen Schluck Kaffee und fuhr dann erneut fort: „Nur wenige Kilometer entfernt, bei dem Ort Jocksdorf, wurde zudem ein ebenfalls ausgebranntes Fahrzeug, ein Opel Omega aufgefunden. Beide Wagen waren ohne Nummernschilder zurückgelassen worden. Beim Abgleich der eingescannten Photos über Europol hat sich heraus gestellt, dass es sich bei den Gesuchten mit großer Wahrscheinlichkeit um berufsmäßige Killer aus der Ukraine handelt,“ setzte Hansen nach.

„Die Vermutung, dass sich die Gesuchten hier bei uns in der Gegend aufhalten, haben wir Kamerad Zufall zu verdanken. Während einer Routineverkehrskontrolle kurz vor Alborg hat Gesternabend der Fahrer eines der herausgewinkten Fahrzeuge das Gaspedal durchgetreten und sich so der Überprüfung entzogen. Die sofort eingeleitete Fahndung war insofern erfolgreich, als das gesuchte Fahrzeug zwei Stunden später am Kloster Borglum aufgefunden worden ist. Allerdings leer. Der Wagen ist offensichtlich überstürzt verlassen worden. Unter dem Beifahrersitz haben wir eine Kartentasche gefunden. Dort konnte ein Ausschnittsplan sichergestellt werden, auf dem die Gegend um Lönstrup markiert wurde und das heutige Datum notiert ist. In der Mappe befand sich zudem der Reisepass von Vitali Rudnik. Wir gehen daher davon aus, dass die Insassen jetzt entweder zu Fuß unterwegs sind, und daher nicht weit gekommen sein können, oder von einem anderen Wagen aufgenommen worden sind,“ betonte der Einsatzleiter.

„Vermutlich trifft letzteres zu,“ mischte sich die junge Frau ein, „und das würde bedeuten, dass mehr als die uns bekannten vier Personen unterwegs sind. Möglicherweise haben die sich auch hier irgendwo in einem der Sommerhäuser eingenistet.“

An Larsson direkt gewandt fügte gleich darauf Hansen hinzu: „Es geht für Ihre Leute also lediglich darum das Beobachtungsgebiet zu überwachen. Sollten sich auffällige Bewegungen feststellen lassen, sind die Einsatzkräfte zu benachrichtigen. Unsere Leute überprüfen in der Zwischenzeit die belegten Ferienhäuser in der Umgebung und übernehmen alles weitere.“

„Halten Sie es nicht doch für günstiger, wenn wir abwarten, bis die gesamte Crew beisammen ist“, hatte Kommissar Sven Larsson im Verlauf der kurzfristig anberaumten Einsatzbesprechung gerade zu bedenken gegeben, als die Besprechung durch das Klingeln eines Mobiltelephons unterbrochen wurde.

„Verzeihen Sie bitte,“ entschuldigte sich die junge Frau, während sie nervös in ihrer Handtasche nach dem Handy kramte.

„Es macht doch keinen Sinn, da bei Anbruch der Dunkelheit mit einer halben Hundertschaft aufzukreuzen, ohne dass wir sicher sein können, ob wir überhaupt das richtige Gebäude für das Treffen kennen,“ insistierte der Leiter der Polizeiinspektion Hjorring, nachdem die rothaarige Frau den Sitzungsraum verlassen hatte.

Larsson hatte allmählich die Nase gestrichen voll

Larsson hatte allmählich die Nase gestrichen voll von der Art und Weise, wie die hohen Herren vom PEC aus Kopenhagen die ganze Angelegenheit hier zu handhaben beliebten.

Kurz nach Mitternacht war er von Kopenhagen aus dem Bett geklingelt worden.

Über seine private Mobilfunknummer war ihm durch einen Verantwortlichen des Dienstes das Eintreffen der Einsatzgruppe für 14.00 Uhr angekündigt worden. Per Fax war zu Dienstbeginn die Bereitstellung der Kräfte seiner Dienststelle bis 15 Uhr angeordnet worden.

Ab diesem Zeitpunkt sollten alle Kreuzungspunkte entlang der Zufahrtsstraßen nach Lönstrup mit Kontrollposten besetzt sein.

Die Vollzugsmeldung war gegen 11.00 Uhr herausgegangen.

Die eigentliche Lagebesprechung wurde für 14.30 Uhr angesetzt. Die Leute vom PEC hatten die Sache mit einer für die gesamte Dienststelle völlig ungewohnten Dringlichkeit vorangetrieben.

Die Informationen beschränkten sich zugleich auf das Notwendigste.

Dementsprechend hatten sich die örtlichen Kräfte auf die Abriegelung der Zufahrtsstraßen und die Abgabe der entsprechenden Meldungen beschränkt, ohne dabei besondere Vorkommnisse vorweisen zu können.

Die Besprechungsteilnehmer verständigten sich schließlich darauf, dass beim Auftauchen eines jeden Fahrzeuges mit ausländischem Kennzeichen sowie der zufälligen Entdeckung der gesamten Gruppe unverzüglich das Sondereinsatzkommando zu benachrichtigen war. Ein Zugriff durch örtliche Kräfte war ausdrücklich untersagt.

Die Sondereinsatzkommando bestand aus drei Abteilungen. Der „Konvoi“, bestehend aus vier Kleintransportern und zwei Sicherungsfahrzeugen, war dafür vorgesehen, die Festnahme am Ort des Treffens durchzuführen. Sollte der Zugriff nicht oder nicht vollständig gelingen, standen zwei weitere Gruppen mit Helikoptern bereit, um die Sache zum Abschluss zu bringen.

„Die ganze Sache hat eben nur einen kleinen Haken,“ mokierte sich die mittlerweile auch in den Besprechungsraum zurückgekehrte Frau mit dem amerikanischen Pass, „der genaue Aufenthaltsort der Gesuchten ist den Fahndern nicht bekannt.“

Das stimmte natürlich. Selbst die Fahrzeugtypen hatten bisher nicht näher bestimmt werden können. Deren Kennzeichen waren ebenfalls immer noch nicht bekannt. Der gesamte Einsatz glich also der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Inzwischen war es fast siebzehn Uhr, aber von den vereinbarten Kontrollpunkten, über welche die Zufahrtsstraßen gesichert werden sollten, waren bisher noch keine „zielführenden“ Rückmeldungen erfolgt.

Nur wenige Stunden zuvor

Nur wenige Stunden zuvor hatte sich in einem nahe gelegenen Ferienhaus eine informelle Gruppe von Menschen getroffen, deren gemeinsames Interesse den Gefahren galt, die von den neuen globalen Informations- und Kommunikationsstrukturen ausging.

Neben dem leicht schrulligen Kriminalrat vom deutschen BKA, Günther Rogge, hatten sich zu dem konspirativ anmutenden Treffen der britische Staatsbürger Jonathan Bird und dessen deutsche Frau Regine eingefunden. Offiziell war „Mr. Bird“ bei einer namhaften Elektronikfirma im Raum Burmingham beschäftigt. Vor der Wende bestand seine Haupttätigkeit darin, Verstöße gegen die Ausfuhrbestimmungen gemäß COMCOM - Liste aufzuspüren. Mr. Bird war zu seiner Zeit mehrere Jahre offiziell bei der Royal Army in Deutschland stationiert gewesen. Dass sein eigentlicher Brötchengeber das GCHQ war, ließ er mit britischem Understatement unerwähnt.

Kurz vor 17.00 Uhr hatte sich den im Ferienhaus Wartenden schon von weitem das Herannahen einer kleinen Fahrzeugkolonne angekündigt.

Da alle brav vorschriftsmäßig mit eingeschalteten Scheinwerfern unterwegs waren, gelang es den beiden Beobachtern in dem Ferienhaus nicht zu erkennen, wer sich nähert.

Die Autos waren in Richtung Lönstrup abgebogen. „Vermutlich Touristen, die ihre Ferienhäuser nicht gefunden haben,“ gab sich der Deutsche beruhigt.

Die anderen Beteiligten an dem Treffen waren ebenfalls für 17 Uhr angemeldet. Es wurde also tatsächlich Zeit, sich um deren Ankunft zu kümmern.

„Na gut, dann machen wir uns mal auf den Weg,“ schlug Rogge vor und schlüpfte in den gelben „Friesennerz“, den er stets mit auf Reisen nahm, wenn mit Regen zu rechnen war.

Der einzige Unterschied zu sonst bestand darin, dass die Seitentasche heute durch eine Pistole ausgebeult wurde.

Anschließend verließen die beiden Männer das Haus und begaben sich zum Strand.

Sie hatten hier ihre PKW geparkt. Als Rückzugsoption lagen zwei Metzlerboote mit PS starken Außenbordern bereit.

„Denken Sie bitte an Sicherheit,“ hatte ihn Mr. Bird freundlicherweise zum Abschluss des Gesprächs ermahnt, in dessen Verlauf sich beide über die Modalitäten des Treffens verständigt hatten.

Nach Meinung des Deutschen war die Erinnerung zwar so überflüssig gewesen wie ein Kropf, aber im Laufe der Zusammenarbeit hatte er sich an die Macken seines Gesprächspartners „von der Insel“ gewöhnt und die Vorgabe deshalb lediglich mit den Worten „wird gemacht“ bestätigt.

Am Strand mussten die beiden Sicherheitsexperten nur wenige Minuten warten.

Aus Richtung Nörlev-Strand näherten sich zwei Fahrzeuge. Sie waren am Ende der kleinen Sommerhaussiedlung nach links auf den breiten Strand gefahren.

„So können wir uns gar nicht verfehlen,“ hatte Günte Rogge seinem Bekannten aus England geraten und der hatte diesen Anfahrtsweg sowohl seiner polnischen Kollegin, wie auch seinem französischen Freund weitergereicht.

Als sich die beiden Fahrzeuge näherten, begaben sich Günther Rogge und Mr. Jonathan Bird verabredungsgemäß ans Wasser und ließen ihre Taschenlampen aufs Meer leuchten. Auf dieses Erkennungszeichen hielten beide Wagen in Höhe der Schlauchboote.

Die Polin war Anfang Vierzig

Die Polin war Anfang Vierzig. Sie war in Begleitung von zwei Männern gekommen, die offenkundig als ihre Bodyguards fungierten.

Mr. Bird hatte sie 2001 im Rahmen einer Dienstbesprechung in Warschau kennen gelernt. Marcel, der Franzose stammte aus Saumur. In seiner Jugend hatte er an gemeinsamen Pfadfinderlagern mit Gruppen aus der Partnerstadt Saumurs in Deutschland teilgenommen. Die Partnerstadt war das niedersächsische Verden/Aller. Dieses Städtchen hatte Bird und ihm einen gemeinsamen Gesprächsstoff geliefert, als sie sich Ende 1989 auf einer gemeinsamen britisch-französischen Tagung im belgischen Gent kennen gelernt hatten, bei der es darum ging, die Folgen der Ereignisse in der DDR zu analysieren und die Vorgehensweisen beider Dienste aufeinander abzustimmen. Marcel hatte keinen weiteren Kollegen mitgebracht.

Gemeinsam erklommen sie die Dünung zum Haus, wo Regine Bird mit den Hunden vom Spaziergang zurückgekehrt war.

Erst hier erfolgte die gegenseitige Vorstellungsrunde. Da der Deutsche der einzig Neue in der Runde war, galt ihm die besondere Aufmerksamkeit der Hinzugekommenen.

Günter Rogge war nicht besonders groß gewachsen, aber trotz seines fortgeschrittenen Alters schlank geblieben. Der kurze Haarschnitt ließ seine ohnehin eher markanten Gesichtszüge noch härter erscheinen.

Agnieszka fiel zunächst der prüfende, durchdringende Blick auf, mit dem sie der Deutsche überflog. Danach war es der Klang der Stimme, der sie aufhorchen ließ. „Militär!“ konstatierte die Polin überrascht für sich.

Der Franzose hatte es bei einem kurzen Händedruck belassen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich stärker auf Mrs. Bird. Beide kannten sich aus ihrer gemeinsamen Pfadfinderzeit. Es war immer wieder ein großes Hallo, wenn sie einander begegneten. „Ich denke, ich mache uns erst einmal was zu trinken,“ warf Regine gutgelaunt in die Runde.

Kurz darauf stellte sie mit einem „puh“ einen Kasten „Flensburger“ auf die Ablage neben der Spüle. „Greift zu Leute,“ forderte sie die Umstehenden auf. Nach dem Begrüßungsbier widmete sich die kleine Gesellschaft dem Büffet, das Regine in dem Restaurant der Ferienhaussiedlung hatte zubereiten lassen. Erst danach wurde es dienstlich.

„Unser gemeinsames Sorgenkind beginnt sich zu einem echten Problem zu mausern,“ leitete die Polin die Unterredung ein.

„Ich denke, wir wissen jetzt in etwa, was die vorhaben. Seit Anfang Juni greifen sie über die e-Mail Konten auf den internen Schriftverkehr schwachgeschützter Netze zu und recherchieren so personenbezogene Daten der Mitarbeiter der infizierten Unternehmensdatenbanken. Außerdem verfügen sie über die Fähigkeit Buchhaltungsdaten einzusehen und Kontobewegungen zu manipulieren.Sie alle kennen sicherlich diese Meldung: „Sicherheitslücken lassen sich auf vielfältige Weise ‚nutzen’.“ Die Polin blickte kurz auf ihr Manuskript und zitierte dann weiter den bekannten Internetinformationsdienst des Spiegel Verlages, ‚Der Tag’: „Das führen unbekannte kriminelle Spam-Versender zurzeit vor: Sie hinterlegen Trojaner auf bekannten Webseiten, die die PCs der Website-Besucher zu Spam-Versende-Relays machen. Ein neuer Internet-Virus spioniert nach Ansicht von Experten Kreditkartennummern und andere persönliche Finanzdaten aus: Der Virus verbreitet sich über infizierte Web-Sites und nutzt Sicherheitslücken in Produkten von Microsoft aus’. Agnieszka Malik sah prüfend in die Runde.

Rogge hatte das Gefühl, als ob ihr Blick eine Spur länger auf ihm haften blieb, aber das konnte auch Einbildung sein.

„Das, was sich da abspielt,“ so fuhr die Kriminalbeamtin aus Lublin fort, nachdem sie einen großen Schluck Wasser getrunken hatte, „entbehrt mittlerweile durchaus nicht einer gewissen Brisanz. Die Initiatoren bedienen sich inzwischen der geklonten Startseiten kleiner Unternehmen und Organisationen, die selten abgerufen werden. Die Täter funktionieren diese Startseite zu Multifunktionstrojanern um. Die umfunktionierte Plattform dient dabei als Köder. Der Klon wird bei Bedarf gegen die Originalversion ausgetauscht. Zahlreiche, in der Originalversion vorhandene Links sind dann mit Fähigkeiten ausgestattet, die den Apparat zu einem hochgefährlichen Instrument machen. Erst in letzter Zeit wurden die modifizierten Klone wiederholt an die Stelle der Originalseiten gestellt. Deren Konstrukteure nutzen diese als Testplattform für ihre experimentellen Modifikationen. Von der Struktur verfügen die Tools damit zeitweilig über die Fähigkeit, zentrale Funktionen geläufiger Betriebssysteme außer Kraft zu setzen und einer anderen Verwendung zuzuführen. Unklar ist allerdings noch, welches Ziel die Betreiber damit letztendlich verfolgen. Wirklich Sinn machen würde das Spielchen eigentlich nur dann, wenn es gelingen könnte, den gesamten Apparat in fremde Netzwerke zu integrieren um deren Datensätze zu infiltrieren und umzulenken oder auch zu blockieren. Soweit wir das beurteilen können, haben sie ihre Fähigkeiten wie gesagt bisher nur bei kleineren, wenig gesicherten Netzen zur Probe laufen lassen. Aber ich bin mir da nicht sicher. In jedem Fall hat sich aus unserer Sicht eindeutig bestätigt, dass die Gruppierung kriminelle Absichten verfolgt. Noch immer völlig unklar ist, wer diese Leute sind. Die Steuerung der Zugriffe erfolgt stets über WWW-Adressen, die von wechselnden Servern bedient werden. Die gewonnenen Daten werden auf Servern zwischengespeichert, die für Arbeitsgruppen eingerichtet worden sind, die zeitversetzt an bestimmten Projekten arbeiten müssen. Besonders beliebt zu sein scheint der BSCW-Server in Paderborn. Von dort werden die Daten von verschiedenen Interessenten mit Zugangsberechtigung abgerufen. Der direkte Kontakt zwischen den Beteiligten erfolgt über kurzfristige e-Mail Adressen, die vermutlich in Internetcafes eingerichtet und nur einmal zu diesem Zweck genutzt werden. Es ist uns bisher nicht gelungen, da näher ran zu kommen.“

Agnieszka Malik hatte diese Erkenntnisse mit der ihr eigenen ruhigen Stimme vorgetragen.

Sie lehnte sich jetzt einen Augenblick zurück und fuhr nach dieser Kunstpause fort: „Was die Sache ein wenig problematisch macht, ist aber vor allem, das die Herrschaften, die da die Fäden ziehen, das Gefühl zu haben scheinen, dass wir ihnen auf die Finger schauen. Was mich irritiert ist, dass sie ihre Aktivitäten seither nicht einschränken, sondern offenkundig intensiv damit beschäftigt sind, herauszufinden, wer ihnen da in die Karten schaut. Ich mag nicht ausschließen, dass sie fündig geworden sind.“

Bei diesen Worten blickte die polnische Ermittlerin erneut prüfend in die Runde und ließ den Inhalt ihrer Bemerkung erst einmal seine Wirkung entfalten. „Willst du damit sagen, die haben es auf uns abgesehen,“ fragte als Erster der sichtlich überraschte Franzose.

Die Polin nickte zustimmend: „Genau davon müssen wir wohl ausgehen.“

„Wie kommen Sie darauf, und wer sind die,“ erkundigte sich der Deutsche, der nicht ungern die Gelegenheit nutzte, mit der etwa zehn Jahre jüngeren Frau ins Gespräch zu kommen.

Zugleich bemerkte er, wie die Dunkelhaarige dem Briten einen kurzen fragenden Blick zuwarf.

Erst auf sein Nicken hin entschloss sie sich weiter zu sprechen.

„Wir haben bei uns vor wenigen Wochen einen unschönen Vorfall gehabt,“ setzte die Frau nach leichtem Zögern wieder ein.

Der „Vorfall“, von dem Agnieszka Malik berichtete, hatte sich am 24. Mai ereignet. Fast zeitgleich waren ihr eigener Wagen und der von zwei weiteren Kollegen, die ebenfalls mit der Sache vertraut waren, in schwere Verkehrsunfälle verwickelt worden. Ihr engster Mitarbeiter hatte diesen Anschlag nicht überlebt. Dessen Mitfahrer hatte so schwere Kopfverletzungen erlitten, dass er bisher nicht wieder zu Bewusstsein gekommen ist. Ein schwer alkoholisierter LKW-Fahrer war mit seinem Zwölftonner praktisch ungebremst auf den PKW ihrer Kollegen aufgefahren und hatte deren Fahrzeug unter sich begraben. Sie selbst hatte dem gleichen Schicksal am gleichen Tag nur dadurch entgehen können, dass ihr Mann die Gefahr des von hinten nahenden Lasters rechtzeitiger erkannt hatte und der Kollision durch einen geistesgegenwärtigen Tritt auf das Gaspedal ausgewichen war. Der LKW war darauf in das nächste Fahrzeug gerast. Dessen Insassen hatten ebenfalls nicht überlebt. Ein nachfolgender PKW-Fahrer hatte es nur durch ein blitzartiges Ausweichmanöver geschafft, dem Aufprall auf den zum Halten kommenden Lastwagen zu entgehen. Dafür war er auf den Wagen ihres Mannes gekracht, der keine weitere Möglichkeit zum Ausweichen mehr gehabt hatte.

„Wir haben einfach Glück gehabt,“ fasste die Polin das Geschehene zusammen.

„Und das kann keine unglückliche Verkettung von Zufällen gewesen sein,“ erkundigte sich der Deutsche.

„Wir haben das selbstverständlich in Betracht gezogen,“ entgegnete die Frau, „aber wir halten das für äußerst unwahrscheinlich. In beiden Fällen waren die LKW-Fahrer derartig betrunken, dass sie zu keiner Reaktion mehr fähig waren. Beide haben nach ihrer Ausnüchterung ausgesagt, dass sie sich in überhaupt keiner Weise erinnern können, wann sie den Alkohol zu sich genommen haben könnten. Bei beiden handelte es sich um Berufskraftfahrer.

Der eine hat zugegeben, dass er am Abend zuvor mit einer Frau zusammen war, die ihn in einer Kneipe angebaggert hatte. Er hatte die Frau zuvor noch nie gesehen. Sie waren zusammen in ihr Auto gestiegen. Was danach war, konnte er nicht mehr sagen. Vermutlich wurden ihm bereits in der Kneipe KO Tropfen ins Getränk geflößt.

Der andere Fahrer war am Vortag nach eigenem Bekunden bereits frühzeitig nach hause gegangen. Dort hatte er die beiden Flaschen Bier getrunken, die noch im Kühlschrank waren. Auch er konnte sich danach an nichts mehr erinnern.

Als wir die Wohnung durchsucht haben, sind wir auf Duzende von leeren Bierflaschen gestoßen. Auf allen Flaschen waren zwar die Fingerabdrücke des Fahrers. Er beteuert allerdings, dass er die Kiste nicht gekauft habe.

Für seine Version spricht, dass sich auch das Verkaufspersonal des Getränkemarktes, bei dem er regelmäßig sein Bier kauft, nicht daran erinnern kann, dass der Unfallverursacher jemals Bier in Kisten gekauft hat.

Eine genauere Überprüfung hatte allerdings ergeben, dass die Kisten selbst von der Brauerei an diesen Getränkemarkt geliefert worden waren und auch dort verkauft worden sind.

„Wer der Käufer war, ließ sich nicht mehr rekonstruieren,“ betonte die Polin mit ruhiger Stimme.

In dem Moment der Stille, der auf diese Mitteilung folgte, schlugen draußen die Hunde an.

Eine schöne Aussicht auf den Fluss Moskwa

Eine schöne Aussicht auf den FlussMoskwa und den Gorki-Park hatte etwa zur gleichen Zeit von einem Büro im fünften Stock des russischen Generalstabs der ukrainische Generalmajor Nikolaj Jurkow. Er war unmittelbar nach seiner Beförderung vor wenigen Monaten wieder an den Ort zurückgekehrt war, an dem er als junger Offizier zu Sowjetzeiten bereits einmal seinen Dienst versehen hatte. Offiziell war er jetzt als Beobachter seines Landes im Auftrag der OSZE in Moskau.

Sein Blick fiel auch an diesem Septembertag wie fast immer auf die Restaurantboote, die seit Jahren das Ufer vor seinem Dienstsitz schmückten.

Unwillkürlich musste er an den alten Witz denken, den ihm sein deutscher Bekannter erzählt hatte, der ihm in der Vergangenheit so manche Überraschung bereitet hatte.

„Ist dir da draußen nie etwas aufgefallen,“ hatte ihn dieser spitzbübisch gefragt, als sie vor Jahren nach einer feuchtfröhlichen Nacht beim Ausnüchterungsspaziergang am Rande des Parks gegenüber dem Generalsstabsgebäude kurz vor der BURAN eine kurze Rast einlegten.

„Was sollte mir auffallen,“ hatte der zurück gefragt. „Sieh’, da vor uns liegt ganz links ein Boot mit einem amerikanischen Restaurant, daneben eines der Franzosen. Ganz rechts eines der Japaner. Zwischen dem Franzosen und dem Japaner sind die Engländer vor Anker gegangen,“ hatte Kriminalrat Günther Rogge ihn aufgeklärt.

„Ja, und wo ist die Pointe,“ hatte der Sowjetbürger gefragt.

„Hast du dich noch nie gefragt, warum wir hier nicht auch ein solches Boot haben?“ Der Deutsche verzögerte die Entgegnung mit einem Räuspern. „Nicht wirklich,“ hatte sein Gesprächspartner geantwortet, „warum nicht?“

„Nun ja, wir betreiben das Restaurant im Haus dahinter,“ hatte Rogge geunkt, dabei mit der Hand auf das Gebäude des Generalstabes gedeutet und abschließend hinzugefügt: „Ich hoffe, du kannst diese Information ausnahmsweise einmal für dich behalten.“

Auf die Rückfrage nach dem warum hatte er zur Antwort erhalten: „Stell’ dir vor, das fliegt auf, dann übernimmt Euer Geheimdienst das Lokal. Und den Fraß, den ihr dann vorgesetzt bekommt, den wirst du deinen lieben Kameraden doch wohl nicht zumuten wollen.“

Nikolaj erinnerte sich, den Deutschen, der ihm damals als Mitglied einer offiziellen Delegation des Landeskriminalamtes aus Düsseldorf zur besonderen Betreuung zugewiesen worden war, einen Augenblick lang ungerührt angesehen und dann ebenso gehässig erwidert zu haben: „Vielleicht hast du recht, aber vielleicht auch nicht. Wenn ich so zurückdenke, ist es eigentlich noch gar nicht so lange her, dass ihr euch eingebildet habt, hier im Lande alle Suppenküchen übernehmen zu können. Und im Vergleich zu dem Fraß, den ihr euch so für uns vorgestellt hattet, ist jede russische Gulaschkanone ein Luxusrestaurant.“

Günther Rogge hatte wohl gespürt, dass diese Bemerkung nicht wirklich als Witz zu verstehen war und deshalb vorsorglich darauf verzichtet noch einen drauf zu setzen.

Aber das war lange her.

Den General, der seit der damaligen Begegnung eine Blitzkarriere von Oberstleutnant in besonderer Verwendung im Generalstab des Heeres der sowjetischen Streitkräfte zum Generalmajor im Dienste der HUR der Ukraine gemacht hatte quälten inzwischen andere Probleme.

Er griff zum Telephonhörer und ließ sich mit Polizeimajor Swetlana Viktorewna Hartschenko in Murmansk verbinden.

Die versuchte Festnahme der vier Leute

Die versuchte Festnahme der vier Leute, die sich im Raum Lonstrup einfinden sollten, hatte sich im weiteren Verlauf des Abends für den Leiter der Polizeiinspektion Hjörring erwartungsgemäß zu einem völligen Desaster entwickelt.

Wie Larsson befürchtet hatte, war es nicht gelungen, den Aufenthaltsort der Gesuchten eindeutig zu lokalisieren.

„Die haben sich in Luft aufgelöst,“ stellte der Polizeichef lakonisch fest, während sein Blick auf die Wandkarte des Einsatzbesprechungsraumes gerichtet war.

„Machen Sie sich bitte keine Sorgen, die werden schon wieder auftauchen!“

Verdutzt richtete der Dienststellenleiter seinen Blick auf die Stimme, die ihn mit dieser frohen Botschaft im besten dänisch unaufgefordert unterbrochen hatte.

„Viola Ekström, NSA,“ stellte sich ihm die Rothaarige nunmehr selbst mit einem Lächeln vor, das unter anderen Umständen mehr als eindeutig gewesen wäre.

„Unter dem Strich wissen wir doch immerhin, dass vermutlich sechs bis acht Zielpersonen, vermutlich ukrainischer Nationalität mit vermutlich polnischen Pässen unterwegs sind, von denen immerhin bekannt ist, dass sie Autos benutzen, die vermutlich ausländische, im Zweifel deutsche Kennzeichen tragen. Wir kennen die Namen und die Herkunft der Männer....“

Der Dienststellenleiter unterbrach sie abrupt.

„Sehr witzig!“

Larsson war sich nicht sicher war, ob dieser Hinweis ironisch gemeint war oder tatsächlich dazu beitragen sollte, die gereizte Stimmung aufzufangen.

Viola Ekström spürte die Verärgerung des erfahrenen Polizisten und versuchte die Panne in ihrer Bedeutung abzumildern.

„Damit wird eine spätere Identifizierung doch wohl deutlich erleichtert und kann möglicherweise schon anhand der Fahrzeuge selbst erfolgen.“ Doch die Reaktion des Dienststellenleiters zeigte ihr, dass auch dieser Hinweis von ihm als nicht wirklich zielführend verstanden wurde.

„Allenfalls kann die Vorliebe dieses Täterkreises für Nobelmarken als Anhaltspunkt herangezogen werden,“ erwiderte Larsson.

„Aber an denen hat es ja auch unter den deutschen Touristen keinen Mangel.“

Der Leiter der dänischen Polizeiinspektion konnte nicht umhin, auf die Einschätzung der Amerikanerin mit einem gewissen Sarkasmus zu reagieren. Zugleich fand er diese Aussichten nicht gerade berauschend, behielt seine Meinung aber für sich.

Er ärgerte sich zugleich erneut darüber, dass die junge Frau, die so unaufgefordert das Wort ergriffen hatte, der Runde nicht offiziell vorgestellt worden war. Auch das behielt er für sich.

„Verdammt jung für einen solchen Job,“ murmelte der Uniformierte statt dessen vor sich hin. Zugleich wunderte er sich ein wenig über das Fehlen des typischen Akzentes, der Amerikaner ansonsten auszeichnete. Er vergaß seinen Ärger, als kurz darauf eine Meldung bei der Einsatzzentrale auflief, die immerhin als Teilerfolg gewertet werden konnte.

Ein Gebäude an der Küste bei Skallerup Klit war als vermeintlicher Treffpunkt der Gesuchten ausgemacht worden. Aber auch diese Entdeckung hatte die Fahndung nicht wirklich voran gebracht. Das Haus war zwar mit einem beträchtlichen technischen Aufwand gegen ungebetene Gäste aufgerüstet gewesen – aber leer.

Nicht auszuschließen war auch, dass mit eben diesem technischen Aufwand das Herannahen der Einsatzkräfte so frühzeitig erkannt worden war, dass sich die im Haus Versammelten in aller Ruhe hatten aus dem Staub machen können.

Noch in der Nacht wurden auf hoher See kurz nacheinander zwei verlassene Schlauchboote der Marke „Metzler“ von Frachtern gesichtet und aufgefischt. Insassen: Fehlanzeige.

„Das deutet doch wohl darauf hin, dass die entweder abgesoffen sind oder uns eine saftige Nase gedreht haben.“ Die Rothaarige vom US-Dienst kommentierte diese Meldung gegen Ende der Abschlussbesprechung ihrerseits nunmehr bewusst sarkastisch. Dabei verzichtete sie nicht einmal ansatzweise auf ihr aufreizendes Lächeln und nahm in Kauf, dass ihr Larsson einen ganz und gar nicht freundlichen Blick zuwarf.

„Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?“ Die Frage hatte Larsson zwar auf der Zunge gelegen.

Er verkniff sie sich angesichts der andauernden Anwesenheit der Kollegen aus Kopenhagen, nahm sich aber vor, der Sache einmal auf den Grund zu gehen.

„Eine typische Amerikanerin eben,“ versuchte er sich vorläufig einzureden. Damit war für ihn vorläufig zumindest schon einmal die Frage entschieden, für wen die Rothaarige Frau arbeitete.

„Na also, es geht doch.“ Selbstzufrieden lehnte sich die junge Amerikanerin an jenem Abend kurz nach Ende der spätabendlichen Dienstbesprechung in ihrem Hotelzimmer in Hjörring zurück und schob sich die Brille zurecht.

Sie war weder kurz- noch weitsichtig, fand aber, dass ihr eine Brille einen eindeutig intellektuelleren Touch verlieh. Sie fand, dass ihr das stand und fand auch, dass sie so jünger aussah.

Seit ihrer Einstellung durch die US-Regierung hatte sie die Gelegenheit erhalten, die halbe Welt in dienstlichem Auftrag zu bereisen. Zeit für den Aufbau einer festen Beziehung war dabei allerdings nicht geblieben. Den Gedanken an die Gründung einer eigenen Familie hatte sie weit von sich geschoben. Diese Ungebundenheit machte sie für ihren Brötchengeber zusätzlich attraktiv. Es fiel ihr schwer sich einzugestehen, dass sie unter der sich daraus ergebenden Einsamkeit litt. Sie hatte dieses Gefühl immer verdrängt, aber seit sie auf die 30 zuging, spürte sie ganz deutlich, dass die Zeit begann weg zu laufen. Sie musste sich entscheiden, wusste aber nicht was ihr wichtiger war. In den ersten Jahren hatte sie sich eingeredet, dass sie aufgrund ihrer besonderen Qualifikation mit Aufgaben betraut wurde, die es unmöglich machten, für längere Zeit an einem Ort zu bleiben.

Zum Ausgleich war sie Männerbekanntschaften außerdienstlich nicht aus dem Weg gegangen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass das auffallen könnte und war deshalb nicht schlecht überrascht, als sie eines Tages offiziell dazu ermahnt wurde, auf „Sicherheit“ zu achten. Seither war sie sorgfältiger darauf bedacht, dass ihre Eskapaden nicht ruchbar wurden. Sie hatte sich im Laufe der Zeit zu einer regelrechten Verschleierungsspezialistin gemausert. Um sich abzulenken hatte sie außerdem eine ausgeprägte Neigung zum Schopping entwickelt. Mittlerweile war sie sogar ein wenig stolz darauf, sich zu einer echten Schnäppchenjägerin entwickelt zu haben, deren Spürsinn so schnell nichts entging. Zu einer weiteren Macke hatte sich ihre Vorliebe für dicke Pullover entwickelt.

Anfänglich hatte sie damit ihre Figur vor den begehrlichen Blicken der Mitschüler schützen wollen. Im Dienst stand sie deshalb mittlerweile sogar in dem Ruf, ein wenig schrullig zu sein. Das schmeichelte ihr ganz und gar nicht. Auf die dicken Pullover hatte sie trotzdem aus Trotz nicht verzichtet.

Heimlich zog sie diese über dem Busen inzwischen schon einmal etwas straffer, aber nicht aus. Nachlässig fuhr sie sich an diesem Abend mit den Händen durchs Haar und dachte darüber nach, wie der Tag gelaufen war.

Ihre Beteiligung an diesem Einsatz hatte sie nicht nur ihrer eigenen Initiative zu verdanken. Offiziell befand sie sich zu einem Kurzurlaub in Dänemark. Ihr „Chef“, Oberstleutnant Schultz hatte sie gebeten, nach Ihrer Landung in Kopenhagen doch einmal kurz bei seinem alten Bekannten Hansen hereinzuschauen und ihm seine Grüße auszurichten.

„Vielleicht zeigt der Ihnen bei der Gelegenheit ja sogar ein bisschen, wie die Dänen so arbeiten,“ hatte Schultz mit leicht ironischem Unterton hinzugefügt und Viola Ekström war sich keineswegs sicher gewesen, ob die süffisante Bemerkung nicht sogar eine typisch männliche Anzüglichkeit enthielt, war sich da aber keineswegs sicher gewesen.

Hansen erwies sich als souveräner Profi, der bestimmt nichts anbrennen ließ. Er hatte sich tatsächlich sehr erfreut gezeigt, wieder einmal von Schultz zu hören und dessen Mitarbeiterin gefragt, ob sie „Lust“ habe, an dem Einsatz teilzunehmen. Natürlich hatte sie „Lust“ gehabt.

„Habe ich eigentlich immer,“ hatte sie Hansen in routiniert geschäftsmäßigem Ton beschieden und ihm dabei so herausfordernd direkt in die Augen gesehen, dass diesem sein Herz in die Hose gerutscht war. Kurzfristig als eine Art Begleitadjutant an einem operativen Einsatz gegen eine ukrainische Killertruppe in Dänemark teilnehmen zu dürfen, erlebte man schließlich nicht alle Tage. Da sie nicht damit zu rechnen hatte, für dessen Verlauf zur Rechenschaft gezogen zu werden, war der Misserfolg der Aktion für Viola kein Beinbruch gewesen. Immerhin hatte sie auf diese Weise tatsächlich einen interessanten Einblick in die Vorgehensweise der Dänen erhalten. Mochte der alte Larsson auch noch so fluchen.

„Schön, das können wir abhaken, jetzt ab in den Norden,“ dachte Ola, wie sie von ihren Freunden genannt wurde. Während Sie diesen Gedanken nachhing, klopfte es an der Tür. „Wer ist da,“ fragte die Rothaarige überrascht aber mit fester Stimme. Die Antwort verblüffte sie.

Mit diesem Gast hatte die Mitarbeiterin der NSA und Spezialistin für Datensicherheit hier nicht gerechnet.

„Kommen Sie herein,“ lautete dessen ungeachtet ihre Antwort. Die Informationen, die der Besucher ihr in dem folgenden knapp 30 Minuten dauernden Gespräch übermittelte, waren nicht dazu geeignet, ihrem bevorstehenden Besuch in Norwegen mit derselben Vorfreunde entgegen zu sehen, mit der sie sich bisher darauf eingestellt hatte.

„Sie erinnern sich an den merkwürdigen Trojaner, über den wir seinerzeit beim Triforium kurz gesprochen haben?“

Viola Ekström erinnerte sich nur dunkel. Es hatte einen Moment gedauert, bis sie geschaltet hatte.

„Ja und?“

„Uns ist aufgefallen, dass es den Polen kürzlich zufällig gelungen ist, mehrere Telephongespräche abzuhören, die den Schluss zulassen, dass es kriminellen Strukturen mit Hilfe von Glovico gelungen sein könnte, in die Datennetze amerikanischer Großbanken einzudringen und diese so zu manipulieren, dass es ihnen möglich sein dürfte, größere Bargeldbeträge abzuheben und das Geld mit Kurieren von den USA nach Europa zu transferieren. Da noch immer völlig unklar ist, wer hinter der Aktion steckt, habe ich mir gedacht, es könnte vielleicht nützlich sein, wenn Sie sich auch einmal damit befassen. Da könnte sich eine ausgesprochen brisante Geschichte anbahnen.“

„Wie haben Sie erfahren, dass ich hier bin,“ fragte sie ihren Gast beim Hinausgehen. Die Antwort stellte sie zufrieden. Der Besucher hatte die Tür hinter sich zu gezogen und war gegangen. Noch bevor Viola Ekström das soeben Gehörte noch einmal Revue passieren lassen konnte, klingelte bereits das Telephon.

Vom anderen Ende der Leitung vernahm sie die vertraute Stimme ihrer deutschen Freundin. „Das Haus ist nicht schwer zu finden. Du fährst auf der Küstenstraße nach Norden bis Bergen und dann in weiter in Richtung Eidfjord. Sieben Kilometer vorher passierst du eine Brücke, die über einen kleinen Bach führt. Gleich danach siehst du auf der linken Seite einige grasbedeckte Hütten. Wenn du die Einfahrt nimmst, fährst du direkt auf das Haus zu. Wir treffen uns dort übermorgen gegen neunzehn Uhr.“

Viola Ekström hatte verstanden, legte den Hörer auf und dachte nach.

Am einfachsten würde es wohl sein, die Fähre von Hanstholm über Egersund nach Bergen zu nehmen. „Damit hab’ ich die ganze Nacht zur Verfügung. Und mit ein wenig Glück ergibt sich zwischendurch ja sogar noch eine kleine Gelegenheit. Wenn nicht, habe ich wenigstens gut gegessen,“ machte sich die Amerikanerin klar. Alternativ hätte sie auch am übernächsten Tag den Flieger von Ahus nehmen können. Die Maschine würde gegen 14.00 Uhr in Bergen ankommen. Zeit genug, um danach mit dem Auto über Eidfjord zum Treffpunkt zu fahren. Aber dann hätte sie auch noch die kommende Nacht im Hotel in Hjörring verbringen müssen. Eine echte Chance, um sich auch nur ein wenig zu amüsieren, würde sich hier kaum bieten. Da war das Schiff schon besser. Gelegenheiten für ein kleines One-Night-Event boten sich da immer. Ob sich ein passender Typ finden lassen würde, stand auf einem anderen Blatt. Man würde ja sehen. In jedem Fall hatte die nach außen hin so spröde Endzwanzigerin einfach mal wieder Lust auf eine kleine Abwechslung. Mit irgendwelchen Komplikationen am nächsten Morgen war bei diesen Vergnügungen an Bord nicht zu rechnen. Man machte es miteinander ohne lästige Hemmungen und trennte sich dann wieder, ohne lange Fragen zu stellen. Außerdem ließ sich ein solcher Trip leichter als Kurzurlaub deklarieren. Violas Vorliebe für das Meer in Kombination mit kleinen Kreuzfahrten war hinlänglich bekannt. Eine Flugreise hätte da wohl eher Rückfragen ausgelöst. Ihr Entschluss stand damit fest.

Die notwendigen Reiseutensilien waren am nächsten Morgen schnell gepackt. Über das Haustelephon des Hotels bestellte sich die rothaarige Frau ein Taxi und ließ sich nach Hanstholm chauffieren. Bis zum Ablegen der Fähre blieb sogar noch ein wenig Zeit für einen kleinen Bummel durch das Einkaufszentrum. Spontan kaufte sich die EDV-Spezialistin dort einen dicken norwegischen Parka. „An Bord ist es auf Deck einfach schon recht kühl,“ rechtfertigte sie die Ausgabe vor sich selbst, „und wer weiß, ob ich drüben genug Zeit haben werde.“ So bestückt checkte sie gegen 18.00 Uhr auf der Fähre ein, buchte an Bord eine nicht ganz billige Außenkabine, nahm dort eine ausgiebige Dusche und kostümierte sich danach ein wenig aufreizender als sonst üblich.

„Die Kerle können ruhig merken, dass ich nicht abgeneigt bin,“ griente sich die Rothaarige vor dem Spiegel an, während sie sich die Augenbrauen nachzog. Danach ging es ab ins Lokal, wo sie recht schnell die gewünschte Aufmerksamkeit auf sich zog.

Knapp 2000 km weiter im Norden

Knapp 2000 km weiter im Norden passierten zur gleichen Zeit die frischgebackene Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft in Moskau, Tatjana Wolkowa alias Ruth Waldner und ihr Bekannter Tolja Timofefa die russisch norwegische Grenze. Auf die Idee, ihre alte Freundin in Norwegen zu treffen, war die Deutsche von ihrer polnischen Mitstreiterin bereits Mitte Juni in Moskau gebracht worden. Aufgrund des Ausfalls einer bewährten Dolmetscherin infolge eines längeren Krankenhausaufenthaltes, war die Angestellte der Konsularabteilung gefragt worden, ob sie einspringen könne. Wie von der entsendenden Dienststelle vorausgesehen, waren ihre perfekten Sprachkenntnisse in beiden Sprachen bereits nach wenigen Wochen in der Telephonzentrale so positiv aufgefallen, dass man ihr das Angebot gemacht hatte, zukünftig auch für den Besucherdienst tätig zu werden. Als es darum ging, im August eine deutsche Expertengruppe nach Murmansk zu begleiten, die sich über den Fortgang der Arbeiten zur Konservierung der atomaren Überbleibsel der Nordmeerflotte informieren wollte, hatte sie nach Rücksprache mit Berlin ohne Umschweife zugesagt. Von dieser Dienstreise hatte sie ihrer polnischen Bekannten erzählt. Das allerdings hatte sie sich nicht genehmigen lassen.

„Wenn du sowieso da oben bist, mach’ doch einen kleinen Abstecher nach Norwegen. Wir können uns dort treffen,“ hatte Agnieszka Malik daraufhin angeregt und Ruth Waldner hatte zugestimmt. Um nach Beendigung der Inspektionsreise nicht gleich nach Moskau zurückkehren zu müssen, würde sie sich offiziell einige Tage frei nehmen, um ihre ‚Verwandten’ in Archangelsk zu besuchen. Das Urlaubsgesuch war vom Leiter der Konsularabteilung genehmigt worden. Ihre Dienststelle in Berlin hatte hiervon hingegen nichts erfahren. Dafür war der Mann informiert, für den Ruth Waldner schon seit ihrer Jugend tätig war.

„Es wird also niemandem ungewöhnlich erscheinen, wenn ich für einige Tage nicht in Moskau erreichbar sein werde,“ resümierte die Frau mit den zwei Pässen jetzt während der Wagen die kleine Schlange vor der Grenze hinter sich gelassen hatte.

Um vor unangenehmen Überraschungen sicher zu sein, hatte sie vorbeugend kurz vor der Abreise aus Murmansk ihr Handy abgeschaltet. Eine Ortung war also ausgeschlossen. Damit blieb ihr genügend Zeit, um von der Stadt am Nordmeer aus direkt nach Norwegen zu fahren. Vadim hatte ihr die notwendigen Papiere besorgt. Es würde zwar ein harter Zweitagestrip bis nach Eidfjord werden, aber die Sache, um die es ging, sollte besser unter vier Augen besprochen werden. Die Sache war dringlich. Das hatte ihr früherer und in gewisser Weise auch jetziger Vorgesetzter ohne lange Diskussionen eingesehen. Nach der gemeinsamen Meinung Beider hatte es nicht einer gewissen Ironie des Schicksals entbehrt, dass sie über die Vermittlung Haffners nunmehr zu legalen Kooperationspartnern gemacht worden waren.

Der jetzige Oberst hatte als junger KGB Offizier entscheidend dazu beigetragen, dass die Familie Waldner in die BRD hatte ausreisen können. Als Gegenleistung hatte der Dienst auf der üblichen informellen Zusammenarbeit bestanden. Vadim war der Familie als „Führungsoffizier“ zugeteilt worden. Die Anregung ihrer polnischen Bekannten bot jetzt eine gute Gelegenheit, die Zusammenarbeit in neue Bahnen zu lenken. Dass ihr der Abstecher nach Norwegen auch aus anderen Gründen nicht unangenehm war, das hatte sie natürlich auch Vadim nicht unter die Nase gerieben. Seinen Vorschlag die Reise in Begleitung anzutreten hatte sie zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass man heutzutage ja nicht mehr sicher sein könne, wen man sich da ins Boot holt. Da der FSB-Offizier nicht bereit war locker zu lassen, hatten sie sich schließlich gemeinsam darauf verständigt, dass Tolja fahren sollte. Damit war definitiv ausgeschlossen, dass innerdienstlich ein Dritter von der Sache Wind bekam.

Alles lief wie geplant. Als Tatjana am Bahnhof der Nordmeerstadt ankam, wartete ihr Fahrer bereits. Der Grenzübertritt gestaltete sich ebenfalls problemlos, in den Augen Tatjanas zu problemlos. „Warum werden wir hier nicht gründlicher kontrolliert,“ fragte die Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft, BND-Agentin und langjährige inoffizielle Mitarbeiterin des KGB ihren „Ehemann“, der am Steuer des russischen Geländewagens der Marke Lada-Niva saß.

„Keine Ahnung, sieht aus, als ob wir angekündigt sind,“ gab der Angesprochene grinsend zurück.

„Das darf doch nicht wahr sein,“ ärgerte sich die Frau, die sich laut Passeintrag „Tatjana“ nannte, und fuhr lauthals fort: „Wer kann das gewesen sein?“ Stark stimmungsabhängig zu reagieren gehörte zu den ausgesprochenen Schwächen der Frau mit den vielen Gesichtern. Sie konnte „aus dem Stand heraus“ ohne jede Vorwarnung von einem Stimmungshoch in ein abgrundtiefes Loch fallen. Nachdem ihr diese Gemütsschwankungen bewusst geworden waren, hatte sie viel Energie darauf verwandt, diese Schwäche in eine Tugend zu verwandeln. Üblicherweise hatte sie die Überleitungen mittlerweile so im Griff, dass sie mit Gefühlsausbrüchen spielen konnte, wie auf einer Tastatur. Je nach Bedarf und Belieben spielte sie insbesondere bei Männern die Unbedarfte, die mit trauriger Miene dringend auf Hilfe angewiesen war, um im nächsten Augenblick wie einen widerspenstigen Gesprächspartner wie eine Furie an die Wand zu drücken. Aber eben nur üblicherweise. Gerade jetzt waren die Pferde wieder einmal mit ihr durchgegangen. Wenn eine Situation begann kritisch zu werden, stieg die Gefahr, dass sie die Kontrolle verlor. Tolja wusste das, machte daher eine lässige Handbewegung in Richtung auf seine Brieftasche und erwiderte: „Da war vorher mehr drin.“ „Tatjana“ hatte verstanden. Mit Geld konnte man in Russland eben alles machen. Auf norwegischer Seite ließ sich diese Methode selbstverständlich nicht wiederholen. Da aber die Papiere in Ordnung waren, gab es auch hier keine Veranlassung für ernsthafte Verzögerungen. In Kirkenes verbrachte das Paar die Nacht in getrennten Zimmern. Am nächsten Morgen warteten beide auf dem Flugplatz bis 11.15 Uhr auf den Flug nach Bergen, wo sie um 15.20 Uhr landeten. In der Stadt mit dem alten Hansekontor nahmen sich beide einen Leihwagen. Um Tolja eine Freude zu machen, willigte Tatjana ein, einen Range Rover anzumieten. Das wenige Gepäck war in dem großen Geländewagen schnell verstaut. Der Kosak setzte sich ans Steuer und lenkte das schwere Fahrzeug auf die Straße, auf der bereits zwei dunkle BMW-Limousinen der 7’er Reihe warteten.

Für Viola Ekström verlief die Nacht auf dem Schiff keineswegs so wie erhofft

Für Viola Ekström verlief die Nacht auf dem Schiff keineswegs sowie erhofft. Zwar hatte sich nach dem Essen in der Bar zunächst ein attraktiv wirkender Schwede mit fast akzentfreiem Englisch an sie herangemacht. Die Erwartung auf ein unkompliziertes Date verflog jedoch recht schnell, nachdem sich ein weiterer Fahrgast zu ihnen gesellte. Der Amerikanerin wurde klar, das sich die beiden Männer kannten und offenkundig versuchten, sie entsprechend abgefüllt zu einem flotten Dreier zu veranlassen. Aber darauf stand der jungen Frau aus Kentucky nun einmal nicht der Sinn. Nicht, dass ihre Neugierde auf diesem Gebiet bereits befriedigt worden wäre. Sie hatte sich schlicht bereits vor Jahren auf dem Kollege entschlossen, sich auf derartige Spielchen nicht einzulassen. Es waren ausgerechnet ihre Kommilitonen gewesen, die ihr mit ihren Prahlereien über das, was sie in solchen Situationen mit dem Mädchen alles angestellten, die Lust auf derartige Erlebisse gründlich verdorben hatten. Aus vorweggenommener Rache für die entgangene Nachtbegegnung hatte sie die beiden Männer zwar erst noch kräftig angebaggert, um ihnen das Gefühl zu geben, da würde was gehen. Aber da es für den Aufbau einer weiteren Bekanntschaft bereits zu spät war, nutzte die junge Frau gegen 23.00 Uhr die Gelegenheit eines Gangs zur Toilette, um die beiden Schweden mit ihren Begehrlichkeiten allein zu lassen.

Zurück in ihrer Kabine packte sie ihr Notebook aus, stellte per Wireless LAN eine Verbindung zum Internet her und klinkte sich in ein laufendes Chatforum ein, in dem über Zombierechnern diskutiert wurde. Das, was sie dort erfuhr, passte zwar in das Bild, das ihr der unerwartete Besucher am Abend zuvor vermittelt hatte, trug aber zugleich dazu bei, dass sie der Begegnung des kommenden Tages mit abermals deutlich gemischteren Gefühlen entgegensah, als bisher.

Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht verließ Viola Ekström die Fähre am nächsten Morgen bereits in Egersund.

„Ich hab’ wirklich keine Lust, die beiden Typen jetzt noch den ganzen Vormittag zu ertragen,“ hatte sie sich für diesen Entschluss selbst gerechtfertigt. Am Hafen hatte sie sich einen Mietwagen genommen. Bei dem Fahrzeug handelte es sich um einen kleinen Bus älteren Typs von Volkswagen.

„Notfalls kann ich mich da über Nacht einrichten,“ entschied die junge Frau. Die Fahrt über die neue Küstenstraße über Stavanger war anschließend ohne Probleme verlaufen. Auch das vereinbarte Haus, in dem das Treffen stattfinden sollte, hatte sie auf Anhieb ausfindig machen können. Der Schlüssel hatte verabredungsgemäß unter der Fußmatte gelegen. Bei ihrem Eintreffen war es erst kurz vor 18.00 Uhr gewesen. Ihr war damit ausreichend Zeit geblieben, sich im Gebäude selbst und in der näheren Umgebung ein wenig umzusehen. Außer ihrem Haus gab es noch vier andere Häuser gleicher Bauweise auf dem Gelände. Keines davon war belegt. Das Grundstück vor dem Haus mündete direkt an einen Fjord. Ein kleiner Bootsanleger mit einem Ruderboot bot der Besucherin Gelegenheit, ihre Lebensgeister unbeobachtet bei einem Bad im kalten Wasser zu reaktivieren.

Sie liebte diese Form der Entspannung. Gleich nach ihrer Ankunft hatte das tiefe Blau des Wassers an dem langgezogenen Fjord sie magisch angezogen. Sie liebte auch das klare, kalte Wasser. Das war einer der Gründe, warum sie keinerlei Probleme damit hatte, in Schottland ihren Dienst zu verrichten. Auch dort fanden sich solche Gewässer.

Die Erfrischung hatte eine knappe Dreiviertelstunde in Anspruch genommen. Gegen 18.45 Uhr war sie dann ins Haus zurück gegangen und schaltete den Fernseher ein. Auf einem der Programme lief eine der alten Serien aus US-Produktion, die in Europa anscheinend immer mit einer mehrjährigen Verzögerung auftauchten.

Viola ließ den Film laufen, da er in der Originalsprache gesendet wurde und lediglich mit Untertiteln auf norwegisch unterlegt war. Sie bemerkte erst am Ende des Films, dass es inzwischen bereits kurz vor acht war.

„Merkwürdig,“ dachte sie bei sich, „das passt doch eigentlich gar nicht zu ihr.“ Sie überlegte kurz, ob sie versuchen sollte, die Mobilnummer ihrer Freundin anzuwählen, entschied sich aber dann doch dagegen. „Wozu ein Risiko eingehen?“ Die blöde Panne ihres Vorgesetzten vor zwei Jahren, dessen Aufenthaltsort hatte geortet werden können, weil er vergessen hatte, sein Handy abzuschalten, steckte ihr noch immer in den Knochen. Seine Eltern hatten sich damals an die Telephongesellschaft mit der Bitte gewandt, ihn ausfindig zu machen, da seine Frau in einen schweren Autounfall verwickelt worden war. Der gesamte Auftrag hatte damals auf der Kippe gestanden, da die Eltern ihres Vorgesetzten versucht hatten, ihn über die örtliche Polizei ausfindig zu machen.

Die Zeit verging, aber „Rosi“ kam nicht.

Kurz vor halb neun hörte Viola ein Fahrzeug auf der Zufahrt zum Ferienhausgelände und ging sofort nach draußen.

Der Wagen war kurz vor ihrem Haus nach rechts weggebogen. Es handelte sich um einen dunklen Audi A6. Die genaue Farbe vermochte sie in der Dämmerung nicht zu erkennen. „Eine Polin,“ registrierte sie automatisch für sich, als sie das Nummernschild erblickte. Der Wagen hielt an einem der hinteren Häuser. Zwei junge Männer und eine Frau stiegen aus. „Merkwürdig, wieso zwei Männer?“ Als sie das Auto hatte einbiegen sehen, hatte sie sich zunächst darauf eingestellt, dass Ruth in dem Wagen sitzen könnte. Unwillkürlich spürte sie jetzt, wie jenes ungute Gefühl in ihr aufstieg, das sie in der Vergangenheit immer dann befallen hatte, wenn sich irgendetwas völlig anders zu entwickeln begann, als sie es geplant hatte.

„Besser, du verziehst dich hier jetzt erst einmal,“ hörte die junge Frau ihre innere Stimme sagen. Zurück im Haus hatte sie mit wenigen Handgriffen ihre Sachen aus dem Bad genommen und in die Reisetasche gesteckt. Als sie erneut die Tür öffnete um zu dem VW-Bus zu gehen, hörte sie die Stimmen der beiden Männer. Die Autotüren wurden zugeschlagen. Danach die Haustür. Dann herrschte Stille. Viola wartete eine lange Minute lang ab, lauschte, hörte nichts als das Rauschen des nahegelegenen Wasserfalls und das Geräusch vorbeifahrender Autos.

„Mach’ dich nicht verrückt,“ dachte sie bei sich, „jetzt irgendwo da draußen zu warten macht doch keinen Sinn.“ Doch die Vorsicht überwog schließlich. Ohne die Tür zu schließen überquerte sie mit wenigen Schritten die Zufahrt, erreichte den kleinen Trampelpfad, der in das Wäldchen führte und verschwand dort.

Bereits nach wenigen Metern machte sie Halt, wartete und lauschte in die Nacht. „Ok, dann lassen wir uns einmal überraschen.“ Vorsichtig stellte sie ihre Reisetasche ab und ließ sich darauf nieder. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihr, dass es mittlerweile bereits kurz nach neun geworden war. „Ein Scheißspiel ist das,“ ärgerte sich die Rothaarige. „Rosi, wo steckst du nur?“

Die Minuten verstrichen. Von den Polen war nicht viel zu hören. Lediglich ein kurzes helles Lachen drang einmal zu der Wartenden herüber, dann noch ein etwas ausgedehnterer Quiekton, wie er weiblichen Wesen zueigen ist, wenn sie beispielsweise gekitzelt werden. Danach wieder Stille.

„Ich kann mir denken, was die da drüben treiben,“ dachte sich die junge Frau. Unwillkürlich fielen ihr dabei die beiden Typen wieder ein, die in der vergangenen Nacht versucht hatten, sich an sie heran zu machen. Die Uhr zeigte kurz nach 10 an. Der Himmel war sternenklar und in diesem Breiten bereits im Spätsommer empfindlich kühl. „Nur gut, dass ich mir diese Jacke noch zugelegt habe.“

Die junge Frau merkte, wie ihre Gedanken abglitten. Hin zu jener Frau, deren Nichterscheinen sie zunehmend zu beunruhigen begann.

Erstmals waren sich beide in Feldafing am Starnberger See im Rahmen eines informellen Treffens verschiedener Nachrichtendienste begegnet. Das Koordinationstreffen diente hauptsächlich der Abstimmung der Vorgehensweise und der Wege des Informationsaustausches zwischen den befreundeten Diensten in Fällen, in denen eine Seite den Verdacht auf Internetstraftaten hatte, die von einem Drittland aus gesteuert wurden. Das war gerade einmal fünf Jahre her. Allzu viel verstanden die Teilnehmer seinerzeit nicht von der Materie. Rose war damals so alt gewesen, wie Viola heute – neunundzwanzig. Sie selbst hatte dort ihren 25’sten Geburtstag verlebt. Eigentlich hieß sie ja Ruth, aber Viola hatte sie ganz einfach umgetauft, weil sie fand, dass dieser Name viel besser zu ihr passte. Ihre Dienststelle hatte die noch unerfahrene Mitarbeiterin gemeinsam mit neun männlichen Kollegen dort angemeldet, weil sie die Atmosphäre derartiger Veranstaltungen kennen lernen sollte. Große inhaltliche Erwartungen hegte von amerikanischer Seite seinerzeit niemand. Das Treffen war auf Wunsch der Deutschen zustande gekommen. „Rose“ hatte an der Tagung als Vertreterin des 1991 gegründeten Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik teilgenommen. Es gehörte zum Konzept der Veranstalter, dass sich die Teilnehmer aus den verschiedenen Ländern auch persönlich besser kennen lernen sollten.

Die Unterbringung erfolgte daher gemischtnational. „Rose“ war Viola bereits bei der Vorstellungsrunde aufgefallen. Die Deutsche hatte nicht ganz ihre Größe, war schlank, dunkelblond, und litt offenkundig nicht an einem Mangel an Selbstvertrauen.

„Ach ja, und falls das noch jemand nicht bemerkt haben sollte, ich bin eine Frau,“ hatte sie zum Abschluss ihrer Vorstellung mit eisigem Blick in die von Männern dominierte Runde geworfen. Viola selbst war fast Einmeterfünfundsiebzig groß, von Natur aus ebenfalls blond und hatte das, was man eine sportliche Figur nennt. Dass ihr in der Schule und ebenso auf dem College aufgrund ihres Aussehens nicht selten der nicht als Anerkennung gemeinte Spitzname ‚die Deutsche’ angehängt wurde, hatte ihr keineswegs geschmeichelt. Die Rotfärbung ihrer Haare war bereits als Jugendliche in gewisser Weise ihre kleine Trotzreaktion gewesen. In Feldafing hatte sich Viola das Zweibettzimmer mit Rose geteilt. Im Verlauf der vierzehntägigen Begegnung, waren sich beide schnell näher gekommen und das nicht nur mental. Für Viola war es eine völlig neue Erfahrung gewesen, mit einer Frau zusammen zu sein. Gleichgeschlechtlichen Sex zu haben, war für sie bis dahin unvorstellbar gewesen. Auch danach war sie nie der Versuchung erlegen, sich mit einer anderen Frau einzulassen. Mit Rose dagegen war das etwas anderes gewesen. Noch immer lief ihr ein kleiner Schauer über den Rücken, wenn sie sich an deren erste intensive Berührung erinnerte. Sie hatte es einfach nicht halten können und hätte ihre Lust fast laut hinaus geschrieen.