Rette sich, wer kann! - Ekkehard Wolf - E-Book

Rette sich, wer kann! E-Book

Ekkehard Wolf

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Beschreibung

Es gibt Menschen, an sich gute Menschen, die verzweifeln am Zustand dieser Welt. Einige dieser Verzweifelten lösen das Problem, indem sie freiwillig aus dem Leben scheiden. Andere versuchen Zeichen zu setzen, indem sie zum Beispiel Flugblätter auslegen, in denen dazu aufgerufen wird, diese Flugblätter zu kopieren und dann alle Kopien an anderer Stelle auszulegen. Was würden Sie tun, wenn Sie ein solches Flugblatt in die Hände bekommen sollten? Kein Problem? Auch dann nicht, wenn darauf detaillierte Hinweise enthalten sind, wie sie mit ganz einfachen Mitteln so unbedeutende kleine Einrichtungen, wie die Schaltzentralen von Kraftwerksanlagen lahm legen können?

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Ekkehard Wolf

Rette sich, wer kann!

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Rette sich, wer kann!

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Nachtrag

KLARSTELLUNG

Impressum neobooks

Rette sich, wer kann!

Europakrimi „Schattenmann“ – Band 3

von Ekkehard Wolf

NICHTS IST SO, WIE ES SCHEINT –

ABER DER SCHEIN KANN TRÜGEN!

Kapitel 1

„Kommen Sie rein, und machen Sie die Tür hinter sich zu.“

Kriminaloberrat Günther Rogge tat, wie ihm geheißen wurde. Er hatte im Laufe der Jahre auch bereits höflichere Einladungen erhalten, sich andererseits inzwischen aber daran gewöhnt, dass die „junge Dame“, die nunmehr mit der Leitung der Dienststelle beauftragt war, wenig Neigung zeigte, sich mit langen Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten.

Die promovierte Expertin für internationale Subventionskriminalität und inzwischen Leitende Polizeidirektorin Dr. Andrea Grafunder, war in Wirklichkeit weder besonders jung noch, wie Rogge bereits hatte erfahren dürfen, unbedingt das, was man gemeinhin als eine Dame zu bezeichnen pflegt. Trotzdem hatte sie vor wenigen Monaten für viele überraschend einen Karrieresprung an die Spitze der Abteilung gemacht. Vorbei an vielen Altgedienten, versteht sich. Und ebenso versteht es sich, dass ihr dies den Einstieg nicht eben erleichtert hat, zumal sie gar nicht so schlecht aussah und das wiederum allerlei Mutmaßungen zu den besonderen Qualifikationen genährt hatte, denen sie ihren kometenhaften Aufstieg wohl zu verdanken hatte.

Derartige Gedankengänge waren der Abteilungsleiterin nicht fremd geblieben und es versteht sich gleichfalls, dass deren Bereitschaft zu einem kollegialen Umgangston hierdurch ebenso wie durch die mangelnde Kooperationsbereitschaft eben dieser Altgedienten nicht gerade gefördert wurde. Ganz besonders galt das für Rogge, da der im Gegensatz zu vielen anderen Mitarbeitern seinen fehlenden Respekt bei jeder sich bietenden Gelegenheit schon fast provokativ zur Schau stellte.

Mit einer knappen Handbewegung lud sie den Kriminaloberrat ein sich zu setzen. Rogge kam dieser Aufforderung nach und streckte die Beine aus.

Er fühlte sich an diesem Montagmorgen nicht sonderlich. Der vergangene Abend war, wie im Grunde eigentlich die letzten Tage zuvor auch, wieder ziemlich lang geworden. Die kleine Feier hatte sich hingezogen. Seine Darmprobleme wurden durch solch „kleine Orgien“, wie er derartige Betriebsfeste zu bezeichnen pflegte, auch nicht gerade besser. Er wusste das und hätte es demzufolge vorgezogen früher zu gehen. Aber irgendwie hatte er wie so häufig die Gelegenheit zum Absprung verpasst und danach war es dann halt wieder sehr spät geworden, und feucht und qualmig und jetzt war er schlapp und müde und zu fast gar nicht zu gebrauchen. Seine neue Chefin hatte sich mit derartigen Befindlichkeiten offensichtlich nicht herumzuschlagen. „Wir haben mal wieder Kurierpost in die Hände bekommen,“ kam sie ohne Umschweife zur Sache, „und ich möchte, dass Sie sich der Sache annehmen.“ Rogge war nicht wohl und er hätte gern den Gürtel seiner Hose ein wenig gelockert, um der unangenehmen Spannung seiner Bauchdecke Entlastung zu verschaffen, aber ihm war klar, dass das hier nicht ging und deshalb sehnte er das Ende der Besprechung herbei. Folglich machte er keinerlei Anstalten, sich jetzt und hier in langatmige Diskussionen verwickeln zu lassen. Seiner Chefin, soweit hatte er sie mittlerweile verstanden, kam das durchaus gelegen. Sie mochte keine unnötigen Debatten, sondern verlangte „effektive Arbeit.“ Der Vorgang, um den es bei der Kurierpost ging, war in der Abteilung zudem bereits mehrfach zur Sprache gekommen, auch wenn die in dieser Sache bisher erzielten Ergebnisse nicht unbedingt der Vorgabe effektiven Arbeitens entsprachen.

Mit den Worten „ich schau’ mir das gerne einmal an,“ versuchte sich Rogge der unmittelbaren Nähe zu seiner Vorgesetzten zu entziehen und hatte damit sogar den erhofften Erfolg. Die Abteilungsleiterin reichte ihm die Akte, erhob sich und entließ ihn mit dem Hinweis aus der Besprechung, dass sie erwarte, er werde der Sache die ihr gebührende Priorität einräumen. Als Rogge beim Schließen der Tür hinter sich noch einen Blick zurück auf Andrea Grafunder warf, saß diese bereits wieder an ihrem Schreibtisch und widmete sich einem anderen Aktenordner.

Anschließend tat Rogge zunächst einmal das, wonach ihm an diesem Morgen am stärksten zumute war. Besonders eildürftig schien ihm der gerade übertragene Fall tatsächlich nicht zu sein – er verschloss daher sein Büro und meldete sich zu einem Auswärtstermin ab. Die Akte mit der Kurierpost begleitete ihn dabei vorschriftswidrig in seine Wohnung. Hier zog er es vor, sich für die nächsten Stunden erst im Bad und dann in seinem Bett von den Anstrengungen der vergangenen Nacht zu erholen. Als er am frühen Nachmittag glaubte soweit wieder hergestellt zu sein, um sich dem Aktenstudium widmen zu können, nahm er sich die Unterlagen vor.

Der Fall an sich war klar. Irgendwo da draußen, in der schönen heilen Welt war jemand der Auffassung, eben diese Welt mit einer kleinen Anschlagsserie beglücken zu sollen. Weniger klar war, wie ernst dieser oder diese Ankündigung genommen werden musste. Obwohl, oder gerade weil dummerweise auch nach der jüngsten Ankündigungsserie unklar blieb, mit welcher Dimension von Anschlägen tatsächlich gerechnet werden musste. Was sich bisher ereignet hatte, mutete eher ein wenig seltsam als gefährlich an. Bei insgesamt vier nahezu gleichzeitig verübten Anschlägen auf Hochleitungsmasten entlang der S-Bahn Strecke der S7, waren zwischen Icking und Wolfratshausen alte mechanische Taschenuhren als Auslösemechanismen verwendet worden. Wegen einer in allen Fällen gleichermaßen fehlerhaften Berechnung der für die Sprengung der Masten notwendigen Menge an Sprengstoff, hatte der angerichtete Schaden „mehr symbolischen Charakter“, wie der Oberrat erst kürzlich zur Verärgerung seiner Abteilungsleiterin im Verlauf einer Dienstbesprechung angemerkt hatte. Obwohl er durchaus einräumen musste, dass aufgrund der Auswahl der Masten im Erfolgsfall ein zwar zeitlich befristeter, zugleich aber wohl überregionaler Stromausfall zu verzeichnen gewesen wäre, der wiederum hätte zur Folge haben können, dass zahlreiche Haushalte und Betriebe vorübergehend ohne Strom dagestanden hätten und möglicherweise auch das in der Nähe befindliche Kernkraftwerk ein klitzekleines Kühlproblem hätte haben können. Hätte, hätte, hätte, hatte aber nicht. Dass die Berechnung fehlerhaft war, hatten die Experten auch darauf zurückgeführt, dass mit Tri-Trinal eine Mischung verwendet wurde, die gern zur Zeit des 1. Weltkrieges eingesetzt worden war. Rogge war daher geneigt, den gesamten Vorgang als eine der Enten einzustufen, zu deren Jagd die Polizei immer einmal wieder und zu seinem Leidwesen in letzter Zeit immer öfter eingeladen wurde. An wichtigtuerischen Verrückten, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Polizeiapparate dieser Welt in Atem zu halten, hat es in der Vergangenheit nicht gemangelt und mangelte es auch heute nicht. In diesem Fall fiel dem Beamten allerdings trotz der nicht eben kleinen Zahl an Jahren, die er als Erfahrung einzubringen in der Lage war, die Einschätzung schwer, ob es sich hier um Spinner oder eine ernstzunehmende Gefährdung handelte.

Das fing damit an, dass die Botschaften nicht wie heutzutage üblich für Jedermann sichtbar im Internet veröffentlicht waren.

Zudem waren die „abgefangenen Kuriermitteilungen“ so dilettantisch getarnt, dass sich dem erfahrenen Kriminaler fast ein bisschen der Eindruck aufdrängte, die Entdeckung der Post sei Teil des Attentatsplanes. Aber welcher Attentäter kann schon ein Interesse an der Aufdeckung seiner Tat haben, bevor diese ausgeführt ist? Außer, der Plan soll überhaupt nicht zur Ausführung gelangen oder dessen Aufdeckung ist für die Ausführung des Attentats erforderlich.

Andererseits ließen die konkreten Vorbereitungen, die sich aus den abgefangenen Botschaften ablesen ließen, kaum einen anderen Schluss zu, als dass hier jemand am Werke ist, der ganz ernsthaft die Absicht hat, eine richtig üble Schandtat zu begehen oder besser begehen zu lassen. Genau diese Zielrichtung sorgte dafür, bei Rogge ein ausgesprochen ungutes Gefühl aufkommen zu lassen. Zumal auch die erkennbare Motivlage Anlass zur Sorge geben musste; denn da waren offenkundig Überzeugungstäter mit missionarischem Drang am Werke. Und auch die Werkzeuge erweckten nicht gerade den Eindruck harmloser Spinnerei, wenngleich auch nicht zu übersehen war, dass Der- oder Diejenige(n) – schon um seine neue Vorgesetzte zu ärgern hatte Rogge es sich angewöhnt, in diesen „geschlechtsneutralen“ Begrifflichkeiten zu formulieren – die hinter den Vorbereitungen standen, sich über weite Strecken Technologien bei der Durchführung ihrer Anschläge zu bedienen gedachten, die nicht unbedingt in die heutige Zeit zu passen schienen.

„Ein wenig hinterwäldlerisch,“ wie es der mit der Analyse der ins Auge gefassten Sprengmittel beauftragte Experte beispielsweise ausgedrückt hatte, dessen handschriftliche Stellungnahme der Akte in vorausschauender Weise bereits beigefügt war.

Folglich deutete dieses Detail für den Experten bereits wieder eher auf Dilettanten hin.

Andererseits konnte auch hier nicht ausgeschlossen werden, dass die allseitige Verfügbarkeit gerade dieser hinterwäldlerischen Mittel die Durchführbarkeit der angedachten Attentate sehr erleichterte und damit auch schon wieder wahrscheinlich machte.

Im gleichen Atemzug hatten sich ihm die Anschläge in Ägypten in Erinnerung gerufen. Bomben mit Zeitschaltuhren, die auch für Waschmaschinen verwendet werden, sind in Ägypten bereits mehrfach gezündet worden. Bei einer Serie von Anschlägen auf der Sinai-Halbinsel zwischen 2004 und 2006 kamen dadurch etwa 120 Menschen, überwiegend Touristen, ums Leben. Sogar diese Vorgehensweise erschien im Vergleich zu den hier vorgeschlagenen Methoden aber geradezu modern. „Das Ganze hat was kochbuchartiges,“ hatte es denn auch besagter Sprengstoffexperte intern ausgedrückt und damit die Ermittlungen zugleich auch mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in eine politische Richtung balanciert, die eben über eine gewisse Affinität zu dem berühmt-berüchtigten „Kochbuch“ verfügt.

Nicht dazu passte hingegen das, was die Verfasser/Innen dieser Botschaften bisher über die Auslösemechanismen geruht hatten bekannt werden zu lassen.

Der oder die Verfasser regten an, mechanische Zündvorrichtungen zu verwenden, die Rogge nicht zufällig irgendwie an Wecker erinnerten, die nur eben irgendwie sehr viel komplizierter und zugleich aufgrund des quecksilbergesteuerten Auslösemechanismus auch wieder sehr viel heimtückischer waren.

Wie der Oberrat amüsiert zur Kenntnis nahm, stammten diese Vorrichtungen mechanisch gesehen damit im Prinzip aus einer Zeit, in der die Kochbuchgeneration noch nicht einmal laufen gelernt haben konnte. Dazu kam, dass diese Gerätschaften aus eben diesem Grunde „eigentlich“, wie es besagter Experte auszudrücken pflegte, „auf regulärem Wege heutzutage überhaupt nicht mehr beschafft“ werden konnten.

„Außer vielleicht in irgendwelchen fiesen Kellern von einigen ewig Gestrigen, die das Zeug dann aber im Prinzip seit Jahrzehnten für eben diesen Zweck gebunkert haben müssten,“ kommentierte der Kriminaloberrat diese Einschätzung mit dem ihm eigenen Sarkasmus.

Er verstand nicht viel von diesen Dingen und nahm sich deshalb vor, das Thema bei nächster Gelegenheit einmal dem alten Uhrmacher vorzulegen, der sich solche altertümliche Sprengfallen zu seinem Hobby auserkoren hatte.

Der heutige Abend würde hierfür eine gute Gelegenheit bieten, da er nach Dienstschluss ohnehin verabredet hatte ihn aufzusuchen, um seine eigene Uhr von der Reparatur zu holen.

Vorläufig musste sich Rogge damit begnügen zu erkennen, dass er es mit einem rundherum reichlich verworrenen Lagebild zu tu hatte.

Er war überzeugt davon, unter dem Strich jedenfalls gegenwärtig nicht davon ausgehen zu müssen, es hier mit einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr zu tun zu haben. Andernfalls, dessen war sich Rogge gewiss, wäre der Fall mit Sicherheit nicht bei ihm gelandet.

Hoch genug, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, man habe dem Vorgang nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, nicht hoch genug, um damit wichtige Kapazitäten zu einer Zeit zu binden, in der es sicher Wichtigeres zu tun gab, als sich mit solchen Fisemantenten aufzuhalten.

So ähnlich dürfte „Madame“ die Entscheidung gegenüber ihren Vorgesetzten begründet haben, diesen Fall gerade ihm zu übertragen. Dessen war sich Rogge sicher und entschloss sich daher dazu, seine lieben Mitarbeiter/innen zunächst einmal mit der Suche nach den üblichen Vergleichsfällen zu beschäftigen.

Dazu beraumte er für den nächsten Dienstag kurzfristig eine Dienstbesprechung an, zu der er auch gleich die junge Profilerin bat, die vor wenigen Wochen ihren Dienst im Amt aufgenommen hatte.

„Dienstag ist Dienstag,“ hatte er zur Begründung angemerkt und sich als Einziger köstlich über dieses Wortspiel amüsiert.

Inzwischen war die Zeit des Dienstschlusses gefährlich nahe gerückt und Rogge entschloss sich dazu, diesen erst gar nicht mehr abzuwarten. Jedenfalls nicht im Büro.

Er packte seine Siebensachen, zu denen inzwischen auch ein Notebook gehörte, das für sich in Anspruch nahm ‚tough’ zu sein und das er sich in Wirklichkeit allein aus sentimentaler Verklärung angeschafft hatte. Immerhin standen diese kleinen Computer in dem Ruf besonders zuverlässig und mit robuster Technik ausgestattet zu sein. Ein Zuverlässigkeitsmerkmal, das Rogge allemal dem ansonsten bei seinen Kolleginnen und Kollegen sehr verbreiteten Streben vorzuziehen war, den jeweils neuesten Stand der Technik in den Händen zu haben. Natürlich hatte er Probleme damit, sich selbst eine derartige Gefühlsduselei einzugestehen. Das hinderte ihn aber nicht daran, selbige auszuleben.

Völlig gleichgültig war ihm hingegen der Umstand, dass die Verwendung eines solchen privaten Computers schlicht und ergreifend vorschriftswidrig war und ihm dieser Verstoß bei böswilliger Betrachtung den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit und damit ein entsprechendes Disziplinarverfahren einbringen konnte.

Allein diese Haltung hätte seine Vorgesetzten bei genauerem Hinsehen dazu veranlassen müssen darüber nachzudenken, ob es tatsächlich noch vertretbar war, einem Mann mit dieser Dienstauffassung auch weiterhin Vorgänge von einiger Bedeutung anzuvertrauen.

Er war jedoch nicht defätistisch genug, um seine Dienstauffassung ständig nach außen zu kehren und so entband er seine Vorgesetzten auch von der Notwendigkeit, sich darüber allzu große Gedanken machen zu müssen.

Rogge hatte gerade sein Köfferchen zugeklappt, die Schreibtischschublade verschlossen und war im Begriff sich von seinem Sessel zu erheben, als sich die Klinke der Tür zu seinem Büro vorsichtig bis zum Anschlag senkte. Er lehnte sich zurück und blickte gespannt auf das Türblatt.

Die Klinke blieb gedrückt, aber die Tür wurde nicht geöffnet.

Rogge begriff, dass der oder diejenige, von der die Klinke betätigt wurde, wohl davon überrascht worden war, die Tür geöffnet vorzufinden.

Jetzt suchte die Person vermutlich händeringend nach einer Erklärung dafür, hier einfach eingedrungen zu sein, ohne zumindest geklopft zu haben. Also konnte es sich nur um einen Rangniederen handeln, machte sich der Oberrat klar und wurde im selben Moment eines Besseren belehrt.

Ausgerechnet seine neue Abteilungsleiterin steckte den Kopf durch die Tür, sah ihn mit ihren wachen Augen an und erkundigte sich mit ungewohnt umgänglicher Stimme danach, ob sie kurz hereinkommen dürfe.

Rogge hatte ganz ausgeprägt das Gefühl, dass ‚Madame’ eigentlich nur deshalb an seiner Tür gelandet war, um sich davon zu überzeugen, dass er das Büro bereits verlassen hatte - wieder einmal selbstverständlich vor Dienstschluss. Doch auch diesen Gedanken beschloss Rogge besser für sich zu behalten.

„Kommen Sie herein,“ forderte er die leitende Polizeidirektorin statt dessen auf und war ehrlich gespannt, welchen Grund für ihren plötzlichen Besuch sie sich zwischen Tür und Angel würde einfallen lassen.

Die Vorgesetzte ließ ihn nicht lange zappeln. Sie setzte sich - selbstverständlich unaufgefordert - an den runden Tisch, an dem Rogge seine kleinen Lagebesprechungen abzuhalten pflegte, lud ihn mit einer Handbewegung ein, sich dazu zu gesellen, wartete ab, bis er es sich bequem gemacht hatte und überfiel ihn sodann mit der simplen Frage, wie weit er inzwischen gekommen sei.

Rogges gedehntes „äh, ja“ löste bei ihr ein verstehendes „aha“ aus.

Da die Dame Grafunder trotzdem keine Anstalten machte, das Büro umgehend wieder zu verlassen, sondern ihn statt dessen weiterhin mit fragendem Blick erwartungsvoll ansah, blieb diesem nichts anderes übrig, als sich zu einigen weiteren Ausführungen zu bequemen.

Viel hatte er nicht zu sagen und so musste sich seine Vorgesetzte mit der hochinteressanten Tatsache zufrieden geben, dass ihr Mitarbeiter sich die Unterlagen „bereits angesehen“ hatte und dabei auf „einige Ungereimtheiten“ gestoßen war, die jetzt zu erläutern „natürlich zu weit führen“ würde.

Dr. Andrea Grafunder erkundigte sich noch höflich danach, wie er weiter vorzugehen gedenke, bedankte sich dann ebenso höflich, entschuldigte sich im Gehen sogar noch für die Störung und wünschte ihm zum Schluss „viel Erfolg bei der Bearbeitung des Falles.“ Danach ließ sie ihn allein.

Rogge hatte sich erhoben, war aus Gewohnheit bereits auf dem Weg zur Tür gewesen, um ihr diese zu öffnen, doch sie hatte ihn mit den Worten daran gehindert: „Nein, lassen Sie mal, ich finde noch allein hinaus.“ Zurück blieb bei Rogge ein doch deutlich ungutes Gefühl.

Ihm war klar, dass er soeben nicht gerade einen besonders kompetenten Eindruck hinterlassen hatte und das wurmte ihn, auch wenn er wie üblich versuchte, diesen Anflug von kritischer Selbsteinschätzung mit einer kurz verbalisierten Trotzhaltung zu überspielen.

Er sah auf die Uhr, wartete noch die verbleibenden wenigen Minuten bis zum offiziellen Dienstschluss ab, ließ dann noch einige Minuten vergehen, die er damit verbrachte, in der Schublade seines Schreibtisches nach einem Memorystick zu suchen, der sich in Wirklichkeit bereits in seiner Hosentasche befand.

Als der Kriminaler schließlich doch noch den Weg heraus aus dem Dienstgebäude fand, war es bereits eine gute Viertelstunde nach Dienst – Schluss, wie Rogge diesen Zeitabschnitt pointiert zu bezeichnen pflegte.

Auf direktem Weg begab er sich zu seinem Audi, den er vor wenigen Monaten günstig von einem Bekannten erworben hatte. Ihm war nicht entgangen, dass es auch innerhalb des Dienstes böse Zungen gab, die behaupteten, bei dem Bekannten habe es sich um einen bekannten Kriminellen gehandelt, der sich über den Preis für das Auto des besonderen Wohlwollens des Polizisten vergewissern wollte. Rogge hatte eingeräumt, dass auch andere Menschen zu Wortspielen fähig waren, sich ansonsten hiervon nicht weiter beirren lassen.

Wenn man bereits dadurch zum Kriminellen wurde, dass man als Grieche auf die Idee kam, mit Autos zu handeln, dann war sein Bekannter sicher ein Krimineller.

Noch auf dem Weg zu seinem Wagen sah er auf die Uhr und erinnerte sich daran, welchem anderen Bekannten er noch einen kurzen Besuch abstatten wollte.

„Wenn einer weiß, wie und wo man anklopfen muss, um an solche Spielsachen heranzukommen, dann vermutlich der,“ machte sich der Polizist Mut und stellte alle Bedenken zurück.

Als Rogge es eine knappe Stunde später geschafft hatte, sich durch den Feierabendverkehr zu dem Uhrmacher durchzukämpfen, erwartete ihn dort eine kleine Überraschung.

Kapitel 2

Er wurde Augenzeuge eines handfesten Streits, in dessen Verlauf ein aufgebrachter Mann, der vielleicht Mitte dreißig sein möchte, dem altern Herrn vorwarf, wissentlich mit falschen Angaben beim Verkauf alter Uhren zu arbeiten. Nur dem Einschreiten Rogges hatte es der alte Herr zu verdanken, dass es nicht zu Handgreiflichkeiten kam. Trotzdem sah sich der Gescholtene entgegen der Erwartung Rogges nicht einmal ansatzweise dazu in der Lage, ihm in der Sache weiterzuhelfen.

„Ich bin Uhrmacher, Herr Rogge, nicht Waffenhändler,“ hatte dieser ihm so unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass selbst Rogge Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Aussage kamen.

Bei einer ausgiebigen Tasse Tee hatte er sich danach darauf beschränkt, seinen Bekannten mit einer spöttischen Bemerkung hierzu zusätzlich in Rage zu versetzen, indem er sich erstaunt darüber gab, dass es zwischen beiden einen Unterschied gäbe.

In der Sache brachte ihn diese Vorgehensweise selbstverständlich nicht wirklich weiter und so blieb ihm nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge wieder von dannen zu ziehen.

Der Lösung seines Problems war der ‚Rächer der Gerechten’, wie er von seinen Freunden gern verulkt wurde, damit allerdings keinen Schritt näher gekommen.

Auf dem Weg zu seinem nächsten Ziel hatte er in Gedanken immer wieder den merkwürdigen Fall gestreift, war aber zu keinem weiterführenden Ergebnis gelangt und hatte es daher vorgezogen, sich in der kommenden Woche intensiver in das Thema hineinzuknien. Bis dahin würde er das verlängerte Wochenende genießen, sich erst einmal richtig ausschlafen und keinen Schritt aus dem Haus machen. Tatsächlich kam es etwas anders, aber das soll ja vorkommen.

Das Vorkommnis dieses Wochenendes war jene kurzfristig anberaumte, kleine Feier, zu der es ihn gerade hinzog. Die Kurzfristigkeit ergab sich daraus, dass der jungen Profilerin mit dem schönen Vornamen Luise am Vormittag „spontan eingefallen war“, wie sie sich ausgedrückt hatte, ihren neuen Vorgesetzten zur kombinierten Einweihungs- und Einstandsparty in ihre neue Wohnung einzuladen und er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ebenso spontan zugesagt hatte. Da sich die Freunde der zu allem Überfluss auch noch schön anzuschauenden jungen Frau zur Einweihung einiges hatten einfallen lassen, hatte der Abend lustig begonnen. Bei den meisten der anderen Gäste hatte es sich überwiegend um recht junge Leute gehandelt, die kein Problem damit hatten, so richtig abzufeiern. An den weiteren, insbesondere späten Verlauf konnte er sich dagegen nur noch sehr vage erinnern. Seinem Kater nach zu urteilen, musste es aber so feuchtfröhlich weiter gegangen sein, dass er es am Ende vorgezogen hatte, sich dort für einige Zeit schlafen zu legen. Irgendwann gegen morgen war er dann aufgewacht, hatte benebelt festgestellt, dass er offenbar im Bett seiner Kollegin gelandet war, hatte sodann aber beruhigt registriert, dass das von ihm benutzte Bett wohl im Gästezimmer stand, hatte bei dem Versuch, sich zu orientieren die Türen zu zwei weiteren Zimmern geöffnet und dabei feststellen müssen, dass er offenkundig nicht der einzige Partygast war, der hier übernachtete, hatte sich nach dem Gang zur Toilette ein Taxi bestellt und war schließlich auf leisen Sohlen aus der Wohnung geschlichen. Er war so dicht gewesen, dass er noch auf dem Weg zu sich beschlossen hatte, am Montag nicht zum Dienst zu erscheinen. Um nicht aufzufallen, nahm er sich zugleich vor, sich zu Wochenbeginn gleich für drei Tage krank zu melden. In seinen vier Wänden angekommen, war er noch immer so mitgenommen, dass er es vorzog, sofort wieder ins Bett zu gehen. Als er am frühen Nachmittag wieder erwachte, fiel ihm auf, dass er ja ohne sein Auto hier gelandet war. Also bestellte er sich erneut ein Taxi, ließ sich zurück zur Wohnung der schönen Luise fahren, wie die Profilerin intern bereits genannt wurde und wunderte sich beim Anblick des Hauses der jungen Beamtin ein weiteres Mal darüber, dass sie in der Lage war, sich ein solches Anwesen zu leisten; denn der Ausdruck „Wohnung“ war für dieses großzügige Etablissement wahrhaftig eine ziemlich Untertreibung

Um sich ein wenig abzureagieren trat der Endvierziger anschließend erst einmal kräftig auf das Gaspedal. Allerdings nur, um von der nächsten roten Ampel schon wieder gestoppt zu werden. Rogge war nahe daran, seinen Frust freien Lauf zu lassen und das Stoppsignal einfach zu übersehen. Dass er dieser Eingebung nicht Folge leistete war allein dem gerade noch rechtzeitigen Blick in den Rückspiegel zu verdanken.

Unmittelbar hinter ihm hatte sich ein Streifenwagen positioniert, dessen Besatzung vermutlich nur darauf wartete, den Fahrer des flotten POLOS bei dieser Verkehrsregelübertretung auf frischer Tat stellen zu können.

Rogge tat seinen Kollegen von er Verkehrspolizei diesen Gefallen nicht. Das bewahrte ihn gleichwohl nicht davor, wenig später in eine Fahrzeugkontrolle wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verwickelt zu werden. Dass die Kollegen noch einmal von einer kostenpflichtigen Verwarnung abzusehen bereit waren, hatte der Kriminaloberrat an diesem Tag dann schließlich nur dem Respekt zu verdanken, den seine Kollegen dem Dienstausweis entgegenbrachten, den Rogge ihnen unter die Nase rieb.

Seine Laune besserte sich durch dieses Erlebnis trotzdem nicht nachhaltig. Er zog es daher vor, auf die Autobahn auszuweichen und seinem Wagen dort einmal so richtig die Sporen zu geben. Als er gegen 23 Uhr schließlich wieder vor seiner eigenen Haustür landete, hatte er laut Tacho mehr als 300 Kilometer zurück gelegt. Wo er in der Zwischenzeit überall gewesen war, hätte er aber auch unter der Folter nicht mehr angeben können.

Als er gegen neun Uhr am Donnerstag der Folgewoche sein Büro betrat, war er immerhin so weit wieder hergestellt, dass er sofort wild entschlossen daran ging, dem Fall die gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Dass es erst einmal wieder bei dem Vorsatz blieb, war dem an sich nicht unerfreulichen Umstand einer Geburtstagsfeier geschuldet.

Ausgerechnet die junge Profilerin hatte es sich nicht nehmen lassen, aus Anlass ihres xxxten Geburtstages erneut „die Puppen tanzen“ zu lassen. Auf die Gepflogenheiten der Dienststelle herunter gebrochen, bedeutete dies immerhin ein kleines aber ausgesprochen leckeres Frühstück, dass die Kollegin liebevoll vorbereitet hatte und dem sich folglich auch Rogge aus Gründen der Höflichkeit nicht hatte verweigern können. Irgendwie hatte er zwar das Gefühl, dass ihre augenzwinkernd vorgetragene Frage, ob er heute auch „ein wenig Appetit habe“ von einem ein ganz klein wenig anzüglichen Unterton getragen war, doch er war sich nicht sicher und zog es vor, das zu überhören. Da sich der Imbiss zugleich ein wenig hinzog, musste leider auch die fest eingeplante intensive Vorbereitung der Lagebesprechung entfallen und dementsprechend unstrukturiert verlief dann auch die Sitzung.

Dies allein war so ungewöhnlich nicht. Ledigleich der Umstand, dass es sich die neue Abteilungsleiterin in den Kopf gesetzt hatte, ausgerechnet an dieser Sitzung teilnehmen zu müssen, ließ das kleine Debakel in den Augen Rogges ein wenig bedenklicher erscheinen, als ihm das sonst erschienen wäre. Immerhin verhärtete sich im Verlauf der Sitzung der Verdacht, wonach die beiden Personen, die vor wenigen Tagen nach einen schweren Verkehrsunfall auf der B-11a nach einem Frontalzusammenstoß mit einem auf die falsche Spur geratenen LKW ums Leben gekommen waren mit diesem Fall in Verbindung gebracht werden mussten. Auch diese Erkenntnis änderte indes nicht wirklich etwas an der trüben Stimmung, die an diesem Tage herrschte. Das lag auch daran, das trotz den in den Resten ihres ausgebrannten Fahrzeuges aufgefundenen Aufrufen keine Verbindungen zu anderen Personen hergestellt werden konnten. Immerhin hatten sich die Teilnehmer der Besprechung daraufhin auf eine gewisse grobe Aufgabenverteilung bei der weiteren Bearbeitung des Falls verständigt und auch darauf, sich mit frischen Kräften bereits am kommenden Tag in dieser Sache erneut zusammen zu setzen.

Rogge nutzte die Zeit nach der Mittagspause, um sich die verfügbaren Exemplare der Kurierpost noch einmal zu Gemüte zu führen. Das abgefangene Dossier bestand aus einem neutralen Anschreiben, das sich an eine Person richtete, die weder unter der angegebenen Adresse noch sonst irgendwo ausfindig zu machen war. Darin bedankte sich der Absender für das Interesse an dem beigefügten Material und bat darum, für dessen weitere Verbreitung Sorge zu tragen. Der eigentlich interessante Teil des „Materials“ bestand in der unmissverständlichen Aufforderung an „Jeden, den es angeht“ zum gewaltsamen „Widerstand gegen die fortschreitende Globalisierung“. Beunruhigend war dieser Aufruf nicht zuletzt unter dem Blickwinkel der aufgeführten Zielperspektiven für entsprechende Anschläge. Jedes der empfohlenen Zielobjekte hatte irgendwie Symbolcharakter.

So wurden etwa Wasserwerke und Speicher, aber auch Rückhaltebecken, wie Stauseen als wirkungsvolle Demonstrationsobjekte für den gedankenlosen Umgang der westlichen Welt mit dem kostbarsten aller Rohstoffe angepriesen. Selbstverständlich durften auch Kraftwerke nicht fehlen. „Schließlich,“ so hieß es zur Begründung, „wird durch das Verheizen von Kohle, Öl und Gas nicht nur sinnlos CO2 produziert, sondern zugleich auch dem Rest der Welt mit diesem tollen Vorbild die fixe Idee vorgegaukelt, man müsse es nur genauso machen, und schon breite ich der Wohlstand überall auf der Welt aus.“ Dass damit auch Bahnen und Bahnhöfe ebenso wie Schiffe und Häfen sowie Flughäfen und Flugzeuge als Zielobjekte mit besonderer Symbolkraft nicht fehlen durften, verstand sich, wie Rogge mit leicht zynischem Einschlag einräumte, dabei fast schon wie von selbst. Was die Aufzählung ein wenig unübersichtlich machte, war der an sich nicht wirklich neue Hinweis, dass sich geeignete Zielobjekte „in allen Staaten der nördlichen Halbkugel in Hülle und Fülle“ finden ließen.

Die damit unterschwellig verbundene Botschaft sollte wohl lauten, sucht euch ein passendes Ziel, baut euch eure Haftladungen und jagt das ganze möglichst medienträchtig in die Luft.

Perfekterweise richtete sich die Botschaft damit an jede/n, der irgendwie in der Lage war, Buchstaben zu Worten zusammen zu setzen und bereit war, für eine solche Aktion ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen.

Der Absender selbst war hier mit gutem Beispiel voraus gegangen. Wie die Nachforschungen ergaben, hatte er die Post ausgerechnet von einem Briefkasten aus in die Welt versandt, der sich beinahe in Sichtweite des Amtes befand.

Rogge kannte dieses Überbleibsel aus den Zeiten der gelben Post. Wie auch andere Mitarbeiter des Amtes benutzte er ihn gelegentlich, um auf dem Weg zum Dienst noch eben schnell Sendungen auf den Weg zu bringen, die auf dem Postweg befördert werden mussten.

Die Inkaufnahme der damit notwendigerweise verbundenen Risiken stellte, wie sich auch Rogge eingestehen musste, ebenfalls solch eine merkwürdige Besonderheit dieser Botschaften dar. Da der oder die Verfasser/innen die konkrete Umsetzung der vielfältigen Anregungen ebenso wie die Auswahl der konkreten Zielobjekte großzügig dem oder der sowie den Attentatswilligen überließ, ergab sich „erfreulicherweise eine gut eingrenzbare und auch jederzeit zu kontrollierende Gemengelage von allerhöchstens einigen zehntausend gefährdeten Objekten,“ wie Rogge seinen „verehrten Kollegen“ in nicht minder zynischem Unterton bereits während der Lagebesprechung zu verstehen gegeben hatte.

Immerhin, und das war aus Sicht des Kriminalers positiv zu werten, bot der Fall wegen seiner internationalen Dimension die Aussicht auf die eine oder andere Dienstreise ins mehr oder weniger benachbarte Ausland. Erfahrungsgemäß würde es dabei im Wesentlichen von ihm selbst und seinen phantasievollen Begründungen abhängen, in welcher Gegend der zivilisierten Welt er bei dieser Gelegenheit seine Nachforschungen zu dem gewünschten Ergebnis würde führen dürfen. Naheliegenderweise hatte er diesen Gedanken im Verlauf der Lagebesprechung nicht ausgebreitet. Doch diese Entscheidung über das wann und wohin wurde ihm durch den Fortgang der Ereignisse zunächst einmal ohnehin abgenommen, wie im Verlauf einer Dienstbesprechung erfuhr, die einige Zeit später im Büro seiner Vorgesetzten anberaumt wurde.

Kapitel 3

Ausgerechnet aus Tallin hatten sich die zuständigen Behörden mit einem Amtshilfeersuchen an das BKA gewandt.

Hier hatte sich anscheinend jemand hingesetzt und den Aufruf zur Tat ins Estnische übersetzt und diesen Text dann an einem windigen Tag per Flugblattaktion in der Innenstadt per Luftpost verteilen lassen.

„Die Kollegen dort möchten nun gern wissen, was wir davon halten,“ hatte ihm der mit der Beobachtung des internationalen Umfeldes beauftragte Kollege nicht ohne eine gewisse Schadenfreude mitgeteilt und zugleich auch angefragt, ob er schon mal einen Flug buchen sollte. Rogge hatte in diesem Fall erst einmal dankend abgelehnt und den „lieben Kollegen“ gebeten, zunächst doch noch ein „wenig mehr Informationen“ über das zu beschaffen, was den Kollegen in der Hauptstadt der Baltenrepublik anscheinend so viel Kopfzerbrechen bereitete.

Das Ergebnis hatte nicht lange auf sich warten lassen. Bereits am übernächsten Tag hatte Rogge eine Kopie des Papiers, einschließlich einer Übersetzung ins Deutsche auf dem Schreibtisch. Und diese verhieß nichts gutes; denn während in der bisherigen Kurierpost mehr allgemein dazu aufgerufen wurde, zur Tat zu schreiten, hatte es sich der oder die estnische Verbreiter/in offenkundig in den Kopf gesetzt, ein entsprechendes Signal zwar nicht möglichst bald dafür aber höchst spektakulär in die Welt zu setzen.

Für die „Großtat“ auserkoren hatte er oder sie sich ausgerechnet das Atomkraftwerk, das in Litauen das bestehende Kraftwerk Ignalina ersetzen soll. Perfiderweise enthielt das Papier die konkrete Aufforderung, einen entsprechenden Zündmechanismus im Verlauf der Bauarbeiten so in die Anlage zu implementieren, dass diese punktgenau an einem nicht näher bestimmten Tag nach Inbetriebnahme des Kraftwerkes den GAU auslösen würde.

Rogge lehnte sich in seinem Sessel zurück.

Er musste sich eingestehen, dass ein solches Vorhaben im Rahmen der Vorgaben aus Sicht eines möglichen Attentäters Sinn machen könnte. In das Kontrollzentrum oder die Außenhülle eines Atomkraftwerkes, in die Unmengen von Stahl eingearbeitet werden, einen altertümlichen Sprengmechanismus aus Metall einzubauen, dürfte kaum zu identifizieren sein. Da in diesem Fall zudem die Detonation von außen nach innen angelegt sein würde, dürften auch die konzeptionellen Sicherungen zu überwinden sein, da diese das Kraftwerk in erster Linie gegen eine Detonation schützen sollen, die von außen einwirkt.

Zudem könnte der Zeitfaktor ein solches Vorhaben begünstigen. Wenn es möglich sein sollte, den Zündmechanismus etwa durch eine bestimmte Umgebungstemperatur mit einer Vorlaufzeit von zwei Tagen zu aktivieren, so bliebe für den oder die Täter/in/nen sogar noch ausreichend Zeit, sich mit Familie und Freunden so rechtzeitig aus der Gefahrenzone zu bringen, dass der GAU keine unmittelbare Gefahr für ihn oder sie mehr darstellt.

Als besonders ärgerlich war zudem zu werten, dass die Kollegen in Estland dem Anschein nach keine rechte Vorstellung davon hatten, wie viele dieser Aufrufe verbreitet worden sind.

Noch während Rogge sich auszumalen versuchte, welche Folgen ein solcher Anschlag für die Debatte um die Sicherheit von Nuklearanlagen haben dürfte, erreichte ihn bereits eine Mitteilung, die einer Entwarnung sehr nahe kam. Der estnischen Polizei war eine junge Frau ins Netz gegangen, die nach Aussagen ihres früheren Freundes als Urheberin und Verteilerin des Attentatsaufrufes angesehen werden musste.

In den Augen Rogges lieferte genau dieser Sachverhalt allerdings die unabweisbare Notwenigkeit für eine unaufschiebbare Dienstreise, die zu buchen er dann auch gleich in die eigenen Hände nahm.

Wenn er gegenüber sich selbst etwas selbstkritischer eingestellt gewesen wäre, hätte er sich zweifelsfrei eingestehen müssen, dass seine Bereitschaft diesen Flug umgehend zu buchen weniger mit dem aktuellen Fall als mit der vagen Hoffnung zu tun hatte, bei dieser Gelegenheit eine Spur der Frau zu finden, die ihm in der Glovico Sache so unversehens den Rücken gekehrt hatte, obwohl sie ein Kind von ihm erwartete.

So kam es, dass sich noch am selben Abend eine dreiköpfige Delegation aus Wiesbaden auf den Weg zu den estnischen Ermittlern aufmachte und, dort angekommen, darum bat, in die laufenden Untersuchungen einbezogen zu werden.

Dem Wunsch wurde umgehend entsprochen und bei dieser Gelegenheit wurden die drei angereisten Beamten mit der erhebenden Einsicht vertraut gemacht, dass die Festgenommene tatsächlich lediglich als Übersetzerin und Verteilerin tätig geworden war, nicht jedoch als Urheberin des Textes in Frage kam. Das freundliche Angebot der estnischen Kollegen, die junge Dame trotzdem erneut zu befragen, hatten die Angereisten freudig angenommen.

Als die junge Frau in den Raum geführt wurde, stutzte Rogge kurz und zog die Stirn in Falten. Die Festgenommene war mittelgroß und trug ihre hellblonden Haare in einem Knoten zurück gesteckt. Diese Aufmachung erinnerte Rogge irgendwie an die Haartracht, die er häufig bei Landfrauen im Baltikum hatte beobachten können und folglich speicherte er sie für sich sogleich unter als die „Baltin“ ab, Bekleidet war sie mit einem dunklen Rock und einer hellen Bluse. Der Oberrat registrierte, dass die Dame fast ein wenig schamhaft den Blick senkte. Spontan kam es ihm so vor, als ob er die junge Frau kennen würde. Aber er wusste nicht, wo er sie hinpacken sollte.

Erst auf den zweiten Blick hin machte er sich klar, dass das wohl daher rührte, dass die Dame eine gewisse Ähnlichkeit mit der Frau hatte, deren Verschwinden dem Oberrat seither keine Ruhe mehr ließ, nur eben etwas jünger.

Dem Anschein nach mochte die Festgenommene Anfang bis höchstens Mitte Zwanzig sein. Die Tage in der U-Haft hatten sie sichtbar mitgenommen. Ihr Gesicht war blass und sie wirkte müde. Anscheinend war sie aus dem Stand heraus festgenommen worden und hatte seither keine Gelegenheit gehabt, sich frisch einzukleiden. Die helle Bluse machte einen leicht zerknitterten Eindruck und der Beschuldigten war dies bewusst und anscheinend unangenehm. Mit den Fingerspitzen zupfte sie zunächst an den Ärmelbündchen und versuchte dann, den Stoff mit den Händen ein wenig zu glätten. Wie zufällig zeichneten sich die Konturen Ihres Oberkörpers dabei für einen Moment lang sehr deutlich ab. Es war nur ein ganz kurzer Blick, den sie Rogge dabei zuwarf, doch der ließ ihn aufmerksam werden. Es sprach etwas ausgesprochen Provozierendes aus ihren Augen und das hatte so gar nicht zu tun mit dem niedergeschlagenen Eindruck, den sie beim Hereinkommen vermittelt hatte.

Um sich zu vergewissern blickte Rogge auf das vor ihm liegende Datenblatt und zog die Augenbrauen hoch. Er hatte sich verschätzt, die Frau würde in wenigen Monaten ihren dreißigsten Geburtstag feiern.

Um dem oder der Täter/in auf die Spur zu kommen konnte die kleine Germanistikstudentin, namens Julia Enkell, als welche sich die vermeintliche Attentäterin in spe laut den Eintragungen ihres Ausweises entpuppt hatte, bedauerlicherweise bis jetzt keine wirklich weiterführenden sachdienlichen Hinweise machen.

Sie hatte die Gelegenheit wahrgenommen, sich ein paar Dollar zu verdienen und das Ganze zudem für eine der üblichen Szeneaktionen gehalten, mit denen verschiedene Gruppen seit geraumer Zeit versuchten, das Problembewusstsein in Sachen Atomenergienutzung in den postsowjetischen, baltischen Staaten auf internationales Niveau zu bringen.

Immerhin war sie in der Lage, vergleichsweise konkrete Angaben zu den Auftraggebern zu machen.

Ein Mann mittleren Alters hatte sie unter Vermittlung eines Kommilitonen angesprochen, der gelegentlich Touristen bei Stadtführungen begleitete und ihr den Auftrag erteilt, das Papier zu übersetzen, zu vervielfältigen und dann in den Cafes im Universitätsviertel auszulegen.

Die junge Frau war sich daher ganz sicher, den Auftraggeber als Touristen identifizieren zu können. Und sie war sich ebenfalls sicher, dass dieser Tourist der Aussprache nach aus Deutschland oder vielleicht noch Österreich stammen musste.

Er hatte bar und im Voraus bezahlt und die junge Frau hatte sich daher verpflichtet gefühlt, ihre Zusage auch einzuhalten. Das klang glaubhaft. Dreihundert Euro stellten für die kleine Studentin sicher keinen Pappenstiel dar. Rogge war sich nach diesen Auskünften keineswegs sicher, wie er nun weitermachen sollte.

Bei Licht besehen dürfte der jungen Dame vielleicht gerade noch ein Phantombild zu entlocken sein. Mit dem Fall an sich hatte sie aber im eigentlichen Sinne offenkundig nichts zu tun.

Alles andere sah nunmehr nach der üblichen Routinearbeit aus: Um herauszufinden, wer der Studentin diesen Auftrag erteilt hatte, würde es notwenig sein, die Passagierlisten der Reisegruppen zur Luft und zur See für den fraglichen Zeitraum zu überprüfen, die Daten der Grenzkontrollstellen abzufragen, bei den Hotels die Gästebücher einzusehen und so den Kreis der infrage kommenden Personen systematisch einzugrenzen.

Rogge war sich im Grunde sicher, dass diese Vorgehensweise vergleichsweise schnell zu dem gewünschten Resultat würde führen müssen und er seiner Dienststelle den Auftraggeber bereits in den nächsten Tagen, spätestens Wochen auf dem silbernen Tablett würde präsentieren können.

Schließlich, so machte sich der Oberrat klar, dürfte die Zahl der aus Deutschland stammenden Touristen mittleren Alters, auf die sich zur fraglichen Zeit die Beschreibung der Studentin anwenden ließ, sehr überschaubar sein.

Es war also kaum damit zu rechnen, dass sich der Übeltäter noch lange den Fragen der Ermittler würde entziehen können.

Der Kriminaler war innerlich bereits im Begriff, erneut die Koffer zu packen. um die Heimreise anzutreten, als ihn eine kleine Ergänzung im Vernehmungsprotokoll stutzig machte, die zu erwähnen die junge Germanistikstudentin bisher nicht für nötig befunden hatte.

Der Mann hatte sich nicht nur in Begleitung ihres Kommilitonen befunden. Im Wagen vor dem Lokal, in dem sie sich getroffen hatten, habe noch eine Frau gesessen, die selbst ansonsten aber nicht weiter in Erscheinung getreten sei. An deren Aussehen konnte sich die Studentin daher auch nicht erinnern. Dafür war ihr bei dem Auto aufgefallen, dass es sich um ein Fahrzeug mit einem einheimischen Kennzeichen gehandelt hatte. Rogge freute sich über die hiermit erreichten Fortschritte im Schweinsgalopp und erkundigte sich bei seinen estnischen Kollegen danach, ob deren Befragungen bezüglich des Fahrzeuges bereits zu irgendwelchen verwertbaren Ergebnissen geführt hatten.

Nachdem er ihnen das Gefühl gegeben hatte, wieder in die Ermittlungen einbezogen zu sein, ließen diese ihn nicht im unklaren darüber, dass es sich bei dem Wagen vermutlich um das Fahrzeug des Deutschen gehandelt haben dürfte, das zur Verschleierung seiner tatsächlichen Herkunft lediglich mit einem estnischen Kennzeichen ausgestattet worden war.

Zu dieser Einsicht waren die Kollegen gelangt, nachdem sie die Fahrzeugdaten, die ihnen der Kommilitone der Studentin im übrigen sehr genau hatte beschreiben können, als Volkswagen identifiziert und diese Angaben dann mit den in Estland gemeldeten Wagen dieses Typs abgeglichen hatten. Ein solcher Wagen war in dieser Farbe im ganzen Land nicht zugelassen.

Spät, aber wie die späteren Ereignisse noch zeigen sollten, nicht zu spät, begann Rogge hellhörig zu werden. Immerhin bedeutete diese Erkenntnis, dass der große Unbekannte neben der ahnungslosen Studentin und deren Kommilitonen weitere Helfer im Land gehabt haben musste und das wiederum ließ die baldige Identifizierung dieses Herrn weniger wahrscheinlich erscheinen. Schließlich war kaum anzunehmen, dass jemand, der es für geboten hält zwar mit dem eigenen Wagen, aber gefälschtem Nummernschild aufzukreuzen ausgerechnet im Hotel seinen richtigen Namen angegeben haben sollte.

Als er versuchte diesen Sachverhalt zu klären, konnten ihn seine einheimischen Kollegen wieder beruhigen.

Es sei aus Sowjetzeiten her üblich, sich im Hotel die Reisepässe der Gäste aushändigen zu lassen, wurde dem Beamten aus Deutschland versichert.

Nicht so sicher waren sich die Kollegen aus Tallin hingegen in der Frage, ob der Gesuchte überhaupt in einem Hotel genächtigt hatte und falls ja, ob er dann dort seinen eigenen Pass vorgelegt haben dürfte. Ausgeschlossen werden konnte das zu diesem Zeitpunkt jedoch auch nicht. Die Überprüfung der einschlägigen Unterkünfte jedenfalls war noch nicht abgeschlossen. Als einzig belastbarer Hoffnungsschimmer verblieb damit vorerst die Begleiterin des Mannes. Wie sich alle beratenden Beamten schnell einig geworden waren, dürfte diese kaum als blinde Passagierin in dem Wagen gesessen haben. Sie müsste folglich in der Lage sein, auch einige Worte zur Identität des Gesuchten zu verlieren.

„Zu dumm nur“, musste sich Rogge eingestehen, dass ausgerechnet die Identität dieser Frau auch nicht bekannt war und in Ermangelung einer brauchbaren Beschreibung wohl so schnell auch nicht in Erfahrung zu bringen sein dürfte.

Für einen Moment blieb Rogge daher ebenso ratlos wie seine Begleiter und auch den Esten ging es offenkundig nicht viel besser.

„Mir fällt da gerade noch etwas ein,“ ließ sich in genau diesem Moment die junge Frau vernehmen.

Sie hatte sich entschieden deutsch zu sprechen, was ihr als Germanistikstudentin auch nicht sonderlich schwer viel, aber die mühselige Übersetzungsarbeit jedenfalls in einer Richtung überflüssig machte.

„Was ist Ihnen noch eingefallen?“, erkundigte sich Rogge wissbegierig. Die junge Frau errötete leicht und blickte dann ein wenig verschämt zu Boden, sagte aber nichts.

Es dauerte noch einen Moment, bis nun auch die estnischen Beamten von dem Gedankenblitz der Studentin in ihrer Sprache erfuhren. Aber auch deren Fragen verweigerte sich die Frau beharrlich.

Was um alles in der Welt konnte so peinlich sein, dass es einer jungen Frau angeblich erst mit stundenlanger Verspätung einfiel, dann aber doch nicht ausgesprochen werden konnte?

„Ist Ihnen der Mann irgendwie zu nahe getreten?“

Rogge versuchte sich dem Thema auf, wie er fand, dezentem Umweg anzunähern, lag aber bereits mit der angedeuteten Vermutung anscheinend völlig falsch. Jedenfalls reagierte die junge Frau mit heftigem Kopfschütteln.

Rogge war ratlos und blickte daher die junge Profilerin hilfesuchend an.

„Sollen wir vielleicht einen Moment nach draußen gehen?“, versuchte diese daraufhin der Studentin eine Brücke zu bauen. Deren zustimmende Reaktion bewies ihr, ins Schwarze getroffen zu haben.

Die Profilerin sah Rogge fragend an, dieser gab den fragenden Blick an seine estnischen Kollegen weiter und nickte schließlich seiner Kollegin zustimmend zu, nachdem auch die Esten gestisch Zustimmung signalisiert hatten.

Beide Frauen verließen daraufhin den Raum. Deren Abwesenheit versuchten die verbliebenen Männer mit Belanglosigkeiten zu überbrücken. Als beide Frauen nach wenig mehr als fünf Minuten bereits wieder in den Raum zurückkehrten, richteten sich alle Augen neugierig auf sie.

Ohne ein Wort nahm die Studentin wieder ihren Platz ein. Der Blick war, wie Rogge ein wenig irritiert feststellen mussten, noch immer gesenkt. Seinen fragenden Blick beantwortete die Profilerin mit hochgezogenen Augenbrauen. Als ihr Chef nicht begriff, stellte sie sich neben ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Sie musste mal für kleine Mädchen.“

Rogge blieb im Wortsinne die Spucke weg. „Und deshalb macht die hier ein solches Theater?“, kam es ihm so trocken über die Lippen., dass er erst einmal nach dem vor ihm stehenden Wasserglas greifen und sich erfrischen musste.

„Das auch, aber da ist natürlich noch was“, gab ihm seine Mitarbeiterin zu verstehen und räusperte sich verlegen. „Jetzt fängt die auch noch an?“ Der Kriminaloberrat zeigte sich verwundert und begann sich ernsthaft dafür zu interessieren, was es spannendes gab. Doch anstatt einer klaren Auskunft druckste die Kollegin herum und wand sich wie ein Wurm.

„Sie erwarten jetzt aber nicht im Ernst, dass ich ebenfalls für einen Moment mit Ihnen vor die Tür gehe, oder?“ Doch kaum hatte Rogge es fertig gebracht, diesen Gedanken auszusprechen, als sowohl die junge Frau, wie auch die Profilerin wie auf Kommando heftig mit dem Kopf zu nicken begannen.

„Falls ihr beiden mal auf die Idee kommen solltet, euch als Synkronspringerinnen für den Sprung vom 10 Meter Brett anzumelden, so kann ich euch bestätigen, dass der Anfang gar nicht so schlecht ist.“ An der Reaktion beider Frauen wurde ihm schnell klar, dass er diese Art von Gehässigkeit besser unterlassen hätte.

Während die Estin es vorzog, den Kopf wie ein geprügelter Hund noch tiefer zwischen den hochgezogenen Schultern verschwinden zu lassen, fuhr ihn seine Mitarbeiterin in einem Ton an, den er von Untergebenen so bisher wirklich nicht gewohnt war. „Was bilden Sie sich eigentlich ein, wer Sie sind Herr Rogge? Wir versuchen Ihnen hier so behutsam wie möglich näher zu bringen, dass es ein wenig peinlich für Sie werden könnte, wenn die Aussage, die Sie verlangen, hier in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird, und Sie haben nichts besseres zu tun, als sich wieder einmal über alles lustig zu machen.“