Die Uhr meines Vaters - Ekkehard Wolf - E-Book

Die Uhr meines Vaters E-Book

Ekkehard Wolf

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Beschreibung

Stellen Sie sich einmal vor, Sie seien das letzte lebende Kind eines Mannes, der 1885 geboren wurde und eines Tages im Februar vor Ihren Augen gestorben ist. Wie fühlen Sie sich dann? Ich hatte bis zu diesem Tag immer wieder fürchterliche Albträume gehabt. Dabei ging es immer wieder um die gleiche Sache. Alle Träume hatten das gleiche Ende, mein Vater war tot. Ich hatte Angst vor diesen Träumen, da ich Angst davor hatte, dass Vater sterben könnte. Dass diese Furcht nicht so ganz unbegründet war, lag auf der Hand. Immerhin war mein Vater bereits 77 Jahre alt. Anders, als alle anderen Väter im Dorf war er hier nicht aufgewachsen. Meine Mutter übrigens auch nicht. Beide hatte es hierher aufgrund familiärer Unbilden verschlagen, die auch geprägt waren von der Nachkriegswirren. Vielleicht lag es daran, dass meine Eltern nicht Mama und Papa hießen, sondern Vater und Mutti. Aber jetzt war das nicht mehr so wichtig.

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Seitenzahl: 117

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Ekkehard Wolf

Die Uhr meines Vaters

Erinnerungen eines alten Mannes

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Anfang

Armsen 38

Klauen und Hauen und andere Sachen, die verboten waren

Doktor und andere Spiele

Dorferziehung

Leben

Sterben

Abschied auf Raten

Tapetenwechsel

Gute Taten

Neue Orientierungen

Para Bellum

Para pacem

Familienglück

Neue Ufer

Wo gelebt wird, da wird auch gelitten

Impressum neobooks

Anfang

Die Uhr meines Vaters

- Erinnerungen eines alten Mannes

Von Ekkehard Wolf

Inhalt:

Anfang

Armsen 38

Klauen und Hauen und andere Sachen, die verboten waren

Doktor und andere Spiele

Dorferziehung

Leben

Sterben

Abschied auf Raten

Tapetenwechsel

Gute Taten

Neue Orientierungen

Para Bellum

Para pacem

Familienglück

Neue Ufer

Wo gelebt wird, da wird auch gelitten

Die Uhr meines Vaters liegt wie eigentlich an jedem Tag vor mir auf dem Schreibtisch. Und ich überlege wie immer, ob ich sie noch einmal zur Reparatur geben soll. So, wie ich das in den vergangenen Jahren schon mehrfach getan habe. Ein bisschen ist das so, als ob ich versuchen würde, das Rad des Lebens auf diese Weise ein wenig zu verlängern. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob ich dabei an das Leben meines Vaters denke, oder an mein eigenes. Erstmals vor dieses Problem gestellt worden bin ich an dem Tag, an dem ich im Grunde ziel- und weitgehend orientierungslos auf dieser Welt zurück geblieben bin. Der Ausdruck traumatisiert war damals noch nicht so gebräuchlich. Ja, was soll ich sagen? Das war natürlich ganz schrecklich. So richtig fertig bin ich damit immer noch nicht. An sich war das eigentlich ein ganz normaler Tag gewesen. So normal, wie Tage damals bei uns nun mal gewesen sind. Wir haben in einem kleinen Dorf gewohnt. Armsen heißt das. Für mich ist es das schönste Dorf der Welt. Ganz abgelegen und daher mit vielleicht eigenwilligen Traditionen wie dem germanischen Sportfest, bei dem sich die Teilnehmer sogar im Baumweitwurf messen. Falls es wirklich einen Menschen geben sollte, der nicht weiß, wo Armsen liegt: Das Dorf liegt in Niedersachsen und gehört inzwischen zu Kirchlinteln und das gehört zum Landkreis Verden und das liegt ungefähr 30 Kilometer östlich von Bremen. Hier habe ich die ersten 11 Jahre meines Lebens verbracht. Das erste, woran ich mich erinnere, ist das morgendliche Krähen eines Hahnes und der eigenartige Duft, der mich umgab, wenn ich das Fenster öffnete, um nach dem Hahn Ausschau zu halten. Damals wohnten wir im Dachgeschoss bei Familie Kappenberg. Das war insofern bemerkenswert, als Vater aufgrund seiner Kriegsverletzung aus dem 1. Weltkrieg mit nur einem Bein auskommen musste. Das tägliche Auf und Ab auf der schmalen Stiege dürfte für ihn kein Zuckerschlecken gewesen sein. Aber natürlich habe ich das damals nicht bemerkt, ich kannte es ja nicht anders. Wir hatten damals einen Hund, der Strupp hieß und eine Gartenlaube, in der ich zum ersten Mal mit der großen Politik in Berührung kam.

In der Hütte stand ein Schrank, genannt Spielschrank. In einer der Schubladen fand ich eines Tages kleine Figuren, die früher einmal Pappsoldaten gewesen waren. Jetzt waren sie nicht mehr zu gebrauchen, da irgendjemand sie zerrissen hatte. Dieser Irgendjemand waren englische Soldaten gewesen, denen diese Figuren bei einer Hausdurchsuchung in die Hände gefallen waren, die mein Vater über sich hatte ergehen lassen müssen, nachdem er aus der amerikanischen Zone zugezogen war. Die Soldaten hatten es für richtig befunden, diese Relikte des deutschen Militarismus mit Stumpf und Stiel auszurotten. Das hat Vater mir erzählt. Ich hätte gern mit den Pappsoldaten gespielt. Das ging jetzt nicht mehr. Deshalb mochte ich die Engländer nicht. Da war ich vielleicht vier oder fünf Jahre alt.

Abgesehen von dieser Prägung hat sich mir seltsamerweise vor allem der große Kachelofen eingeprägt, der hinten in der guten Stube von Kappenbergs stand und eine wohlige Wärme verbreitet hat. Diese Beobachtung hat dazu geführt, dass ich bis Mitte zwanzig ernsthaft davon überzeugt war, dass der ideale Standort für einen Heizkörper hinten im Raum sein müsse.

Ein anderer Erinnerungsfetzen aus der Zeit bei Kappenbergs ist die Sache mit den Zöpfen meiner Schwester. An denen habe ich mich nach einem Besuch mit meinem Vater bei Frisör Hellwinkel in Verden erfolgreich im Umgang mit einer Schere versucht. Ich werde das Geschrei meiner Schwester nicht vergessen, als sie begriff, was ich da angerichtet hatte. Die darauf folgende Abreibung natürlich auch nicht. Mit uns Kindern gespielt haben damals zwei ältere Mädchen; soweit ich mich erinnere gehörten die zur Familie Störk, die neben den Kappenbergs gewohnt haben.

Armsen 38

Später sind wir dann in das Haus mit der Hausnummer 38 umgezogen, in dessen überheiztem Wohnzimmer Vater und ich an diesem Tag saßen. Wir, das waren Vater, Mutti, meine kleine Schwester Erdmute (Mute) und ich. Das Haus liegt direkt neben dem Gebäude, das damals als Erholungsheim für Kinder genutzt wurde. Es hatte fünf Zimmer, glaube ich. In zwei Zimmern wohnten die Heinzes. Nachdem wir nach Verden gezogen sind, sind die dann in den Anbau an der Scheune gezogen, in dem zuvor die Schnells gewohnt haben. Herr Heinze ist dann an Krebs erkrankt. Ich kann mich erinnern, dass mich der Eindruck des körperlichen Verfalls in der Endphase der Krankheit ziemlich getroffen hat. Seither versuche sich solchen Begegnungen aus dem Weg zu gehen. In den anderen drei Zimmern wohnten wir. Wir hatten auch noch eine Küche und ein richtiges Badezimmer mit einem richtigen Klo und einer richtigen Badewanne, die mit heißem Wasser befüllt werden konnte, das aus einem Boiler kam, der mit Propangas befeuert wurde, und – wir haben Klopapier benutzt. Was es damals noch nicht gab, war ein Kühlschrank. Wenn Lebensmittel wie etwa Obst haltbar gemacht werden sollten, mussten sie entweder getrocknet oder eingemacht werden. Die Einweckgläser wurden anschließend in einem halb hohen, kleinen Keller verstaut, der über eine kleine Stiege von der Küche aus erreicht werden konnte. Dieser Keller hatte ein kleines Fenster und daran muss ich immer denken, wenn ich an die Fabel von dem Fuchs und dem Wolf denke. Die Küche selbst war der Ort, an dem gekocht und gegessen wurde. Für das Kochen war Mutti zuständig und für das Essen wir alle und zwar gemeinsam.

Mute, meine Schwester und ich haben in demselben Zimmer geschlafen, wie die Eltern. Das war das Schlafzimmer. Im Winter haben sich da immer Eisblumen an den Fensterscheiben gebildet. Dazu gab es auch eine Geschichte, also dazu, wie die da hingekommen sind. So eine Art Märchen. Aber ich erinnere mich nicht mehr so genau daran, nur das die Eisfee dahinter steckte, die versucht hat, den Kindern damit eine Freude zu machen. Tatsächlich lag das mit den Eisblumen natürlich daran, dass der Raum auch im Winter nicht beheizt wurde und die Luftfeuchtigkeit in Frostnächten an den gefrorenen Scheiben haften geblieben ist. Aber mit solchen Banalitäten wurden wir damals nicht behelligt. Ähnliches galt für die Sache mit dem Storch, der bekanntlich die Kinder bringt. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir den immer versucht mit Zuckerwasser anzulocken, wenn wir mal wieder ein Geschwisterchen haben wollten. Die Methode braucht übrigens niemand versuchen nachzuahmen. Sie funktioniert definitiv nicht. Aber in unserem aufgeklärten Zeitalter ist das ja vermutlich ohnehin jedem klar. Neben dem Schlafzimmer gab es das Wohnzimmer. In dem standen neben dem Schreibtisch auch die alten Bücherschränke, die Vater irgendwie aus seinem ersten Leben in unsere damalige Gegenwart gerettet hatte. Erstaunlicherweise hatten wir sogar einen Fernseher, der jeden Tag pünktlich um acht Uhr abends zur Tagesschau eingeschaltet wurde. Direkt daneben befand sich das Weihnachtszimmer. Das haben wir praktisch nicht benutzt, obwohl oder gerade weil dort unsere guten Möbel standen. Nach vorne raus war die Diele. Da hat der Vermieter jede Woche am Freitag seinen Verkaufsstand aufgebaut, und sein Fleisch und seine Wurst verkauft. Der Vermieter war Schlachter und mein Vater hat seinem Sohn Spanisch beigebracht, weil der auswandern wollte – nach Brasilien. Das war schon ziemlich peinlich für Vater, als der Sohn des Schlachters schrieb, wie es ihm in Brasilien mit Spanisch ergangen war.

Von der Diele aus ging eine Treppe auf den Dachboden. Da hatten Generationen von Vorbewohnern all die Dinge abgelegt, die sie nicht mehr haben wollten. Für mich war das ein Ort zu Stöbern. Das war eigentlich nicht erlaubt, aber auch nicht richtig verboten. Es war spannend, auch wenn ich da nie etwas gefunden habe, was ich hätte gebrauchen können. Aber dafür gab es viele Sachen, die es sonst eben nicht mehr gab. Ausrangierte Küchengeräte, Teile von Pferdegeschirren und solche Sachen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Fell eines Hasen. Das hatte irgendjemand verkehrt herum aufgehängt - zum Trocknen – und dann aber wohl einfach vergessen.

Vor dem Haus war der Hof. Rechts war die Scheune. Da standen Wagen und Sachen drin, die Bauern so brauchen. Hinter der Scheune wurde im Sommer immer eine riesige Dreschmaschine aufgestellt, deren Antrieb über einen ewig langen Treibriemen erfolgte und die nicht nur einen Höllenlärm machte, sondern dazu auch den gesamten Vorplatz in eine große Staubwolke gehüllt hat. Direkt daneben habe ich einmal eine tote Taube gefunden, die meine Mutter dann gerupft und gebraten hat. Geschmeckt hat das Tierchen hervorragend, aber viel war nicht daran. Vielleicht ist das der Grund dafür , dass ich seither nie wieder eine Taube auf den Teller bekommen habe.

Im Anbau der Scheune wohnte eine andere Familie, die Schnells. Die Schnells hatten zwei Töchter. Die eine hieß Bärbel. Das war wohl meine erste Liebe. An den Namen der Älteren kann ich mich nicht erinnern. Die Mutter hat die Wäsche draußen in einer Badewanne gewaschen. Da habe ich mal einen großen Stein rein geworfen. Danach hat es ganz schön was gesetzt. So war das damals eben. Ich hab danach dann eben keine Steine mehr in die Wäsche geworfen. Schließlich gab es ja noch genügend andere Möglichkeiten, Unsinn anzustellen. Den Beschwerden der Nachbarn und der nachfolgenden Dresche nach zu urteilen, scheint meine Phantasie mich da durchaus erfinderisch gemacht zu haben.

Gegenüber der Scheune war so ein kleines Gebäude, eine Art Schuppen. Keine Ahnung, wie das richtig heißt. Im vorderen Teil war die Waschküche. Die hat meine Mutter benutzt. Da stand ein großer Trog. Der war außen aus Stein und hatte einen Kessel aus Metall. Oben drauf war ein großer Deckel. Unten befand sich eine Art Ofen. Den konnte man anheizen und so das Wasser im Kessel zum Kochen bringen. Da kam die Kochwäsche rein. Die musste ständig umgerührt werden mit einem großen Holzlöffel. In der Mitte des Häuschens war ein Hühnerstall, in den die Hennen abends eingeschlossen wurden. Tagsüber wackelten die Tiere über die Höfe und suchten sich ihr Futter auf der Straße. Wem die Hühner gehörten kann ich nicht mehr sagen, aber ich glaube den Schnells. Ich erinnere mich aber daran, wie die Hühner geschlachtet wurden. Dafür gab es einen Hackklotz hinter der Scheune. Der war eigentlich zum Holzhacken da. Bei Bedarf wurde er aber auch für die Hühner hergenommen. Denen wurde der Kopf mit dem Beil abgehackt. Danach wurden die immer losgelassen. Die sind dann noch eine Zeitlang rumgelaufen. Irgendwie war das immer eine lustige Sache. Jedenfalls ist keiner auf die Idee gekommen, uns Kinder vor so etwas fernzuhalten, im Gegenteil. Das war auch nicht anders, wenn Enten geschlachtet wurden. Aber das war nicht so interessant, weil denen einfach die Hälse umgedreht wurden und sie dann nicht mehr durch die Gegend gelaufen sind. Bei Schweinen war das noch wieder anders. Die haben das irgendwie gemerkt, was los war und haben dann versucht, zu entwischen. Da sind dann immer alle hinterher und haben sie wieder eingefangen. Ich glaube die nannten das die Sau durchs Dorf treiben. Anschließend wurde das Schwein von ein paar Mann an den Beinen festgehalten und umgekippt. Der Schlachter hat ihm dann mit dem Bolzenschussgerät eins verpasst, damit es ruhig war. Dann hat er dem Viech die Halsader aufgeschnitten und das Blut abgezapft. Das wurde dann glaube ich für die Blutwurst gebraucht. Dann wurde das Schwein an den Hinterfüßen aufgehängt und aufgeschnitten und die Gedärme rausgenommen. Anschließend ging der Schlachter her und teilte das Tier mit einem großen Beil in zwei Hälften. Bevor so ein Schwein geschlachtet wurde, hatte es, verglichen mit den heutigen Verhältnissen, ein saugutes Leben. Die Viecher suhlten sich im Dreck und wurden mit dem gefüttert, was vom Essen der Menschen übrig blieb. Gelegentlich stöberte ein Schwein auch in dem kleinen Eichenwald, um sich voll zu fressen. Aber das ist, glaube ich, nicht so oft passiert.

Wenn ein Schwein geschlachtet wurde, war das immer ein besonderes Ereignis. Zum Schluss gab es das Schlachtfest. Da sind dann die, die daran beteiligt waren zum großen Festschmaus zusammengekommen. Da waren wir aber nicht dabei. Aber manchmal haben wir am nächsten Tag eine Portion Knipp gekriegt. Das war dann immer etwas ganz Besonderes.

Im letzten Teil des kleinen Gebäudes war die Jauchegrube. Die hat meine Mutter im Herbst mit einer großen Kelle abgeschöpft und damit den Garten gedüngt. Unter dem Dach des Bauwerks war noch ein kleiner Spitzgiebel. Als wir groß genug waren, da hochzuklettern, haben wir uns da gerne versteckt und verbotene Sachen gemacht. Ich habe da zum Beispiel meine erste Zigarette geraucht. Da war ich vielleicht acht oder neun.

Klauen und Hauen und andere Sachen, die verboten waren

Wenn ich so zurückdenke, haben wir überhaupt ziemlich oft Sachen gemacht, die eigentlich verboten waren.