Geheimnis des Ruhegebetes - Peter Dyckhoff - E-Book

Geheimnis des Ruhegebetes E-Book

Peter Dyckhoff

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Beschreibung

Das Ruhegebet ist eine einfache und sehr wirkungsvolle Gebetweise, um die inneren Kraftquellen zu erschließen. Es geht auf den Mönch und Wüstenvater Johannes Cassian (360–435) zurück. Peter Dyckhoff eröffnet Zugänge zum Ruhegebet, nähert sich Schritt für Schritt seinem Geheimnis und bestärkt Leserinnen und Leser, die das Ruhegebet beten, in ihrem eigenen Lebens- und Glaubensweg. „Vor fast fünfzig Jahren erlernte ich das Ruhegebet, das eine Wandlung in mir vollzog, die zu einem tiefgreifenden, grundlegenden Glauben führte. Ganz allmählich darf ich mich seit dieser Zeit dem »Geheimnis des Glaubens« nähern – eine der wesentlichsten Erfahrungen in meinem Leben. Es freut mich, dass ich in diesem Buch die Erkenntnisse und das Wissen um das Ruhegebet weitergeben kann." (Peter Dyckhoff)

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Vignetten, Embleme, Symbole: Quagga-illustrations, Berlin,

Dr. Rita Gudermann

Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand, Stefan Weigand

Umschlagmotiv: Vilhelm Hammershoi, Die Ruhe: 1905, bpk RMN – Grand Palais, Paris, Musée d’Orsay, Foto: Michèle Bellot

E-Book-Konvertierung: post scriptum, Emmendingen / Hüfingen

ISBN (E-Book) 978-3-451-80882-1

ISBN (Buch) 978-3-451-37528-6

Inhalt

Vorwort

I. Teil: Das Ruhegebet ent-decken

1. Kapitel Hingabe an die Liebe Gottes

2. Kapitel Christliche Tradition bewahren

3. Kapitel Aller Anfang ist leicht

4. Kapitel Sechs Sprossen der Gebetsleiter

5. Kapitel Ort und Dauer des Betens

6. Kapitel Anrufung des allerheiligsten ­Namens Jesu Christi

7. Kapitel Die rechte Wegrichtung einschlagen

8. Kapitel Vater, in deine Hände lege ich ­meinen Geist

9. Kapitel Gottes Wille geschieht

10. Kapitel Bete ruhig

11. Kapitel Reden, Schweigen, Loslassen

12. Kapitel Bedeutung des Schweigens

13. Kapitel Tut dies zu meinem Gedächtnis

14. Kapitel Staunen und Anbeten

15. Kapitel Zeit investieren statt zu verlieren

16. Kapitel Wesentliches verändert sich

17. Kapitel Beständigkeit

18. Kapitel Ruhe und Aktivität

19. Kapitel Ruhig beten

20. Kapitel Umgang mit Gedanken

21. Kapitel Tränen vergießen im Ruhegebet

22. Kapitel Die Welt der Träume und das Ruhegebet

23. Kapitel Überlieferung des Ruhegebetes und des Gebetswortes

24. Kapitel Verschiedene Gebetsarten

25. Kapitel Ruhegebet und Psalmengebet

26. Kapitel Das Ruhegebet und verwandte ­Gebete

27. Kapitel Hinweise zum Ruhegebet

II. TeilIn das Geheimnis des ­Ruhegebetes eintauchen

1. Kapitel Das Ruhegebet wertschätzen

2. Kapitel Rückbindung an den Ursprung

3. Kapitel Das Ruhegebet wird zum »­Glut­gebet«

4. Kapitel Sich dem Geheimnis nähern

5. Kapitel Zusammenhang von Körper, Geist und Seele

6. Kapitel Nahrung der Seele, Nahrung des Körpers

7. Kapitel Die Mitte des Ruhegebetes: das Gebetswort

8. Kapitel Gebetswort nicht wechseln

9. Kapitel Das Ruhegebet und dämonische Kräfte

10. Kapitel Geheimnis der Entgrenzung

11. Kapitel Im Geist und in der Wahrheit ­anbeten

12. Kapitel Auch der Herr ging diesen Weg

13. Kapitel Das Gebet der Hingabe in der ­Heiligen Schrift

14. Kapitel Eine weitere Quelle des Ruhegebetes

15. Kapitel Mir geschehe, wie du es gesagt hast

16. Kapitel Wege zur Wahrheit

17. Kapitel Einblick in göttliche Geheimnisse

18. Kapitel Zeichen erkennen

19. Kapitel Bilder lassen das Wesentliche ­ahnen

20. Kapitel Die leise Sprache Gottes

III. TeilDer weglose Weg zur ­unerschöpflichen Quelle

1. Kapitel Unterschiedliche Erfahrungen

2. Kapitel Inmitten aller Aktivität die Ruhe in Gott bewahren

3. Kapitel Entgrenzung des Gebetes

4. Kapitel Das Veränderliche und das ­Unveränderliche

5. Kapitel Zieh fort aus deinem Land

6. Kapitel Der Abrahamsweg

7. Kapitel Das Opfer Abrahams

8. Kapitel Philosophie der Hingabe

9. Kapitel Der Tod als letzte Hingabe

10. Kapitel Schlüssel zur inneren Kraftquelle

11. Kapitel Rücksicht und Nächstenliebe ­wachsen

12. Kapitel Ruhe und Erfolg gehören zusammen

13. Kapitel Kraft des Gebetes

14. Kapitel Auswirkungen des Ruhegebetes

15. Kapitel Auswirkungen des Ruhegebetes nach Thalassios, dem Libyer

16. Kapitel Auswirkungen des Ruhegebetes nach Niketas Stethatos

17. Kapitel Auswirkungen des Ruhegebetes nach Symeon dem Neuen Theologen

18. Kapitel Gegen das Vergessen

19. Kapitel Der weglose Weg

20. Kapitel Ruhevolle Wachheit und ­Gottes­bewusstsein

Literatur

Der Autor

Vorwort

Wie ist es möglich, dass eine so einfache Gebetsweise wie das Ruhegebet eine so große Wirkung zeigen kann? Viele Menschen haben niemals gelernt, zu beten, oder sie haben es durch ihre Lebensumstände wieder verlernt. Andere ­klagen darüber, ihr Gebet zeige keine Wirkung und geben es wieder auf. Es gibt aber auch viele Menschen, die von der Kraft des Betens überzeugt sind, da sie wunderbare Erfahrungen mit dem Gebet gemacht haben.

Aus meinem Leben kenne ich beide Seiten. Ein harter Schicksalsschlag traf meine Familie, und ich war gezwungen, von Heute auf Morgen sowohl mein berufliches als auch mein privates Leben zu ändern. Nach dem plötzlichen Unfalltod meines Vaters übernahm ich die Geschäftsführung, die viel Verantwortung mit sich brachte. Diese Tätigkeit – ich war noch jung und kam von der Universität – lag mir in keiner Weise. Mein Versagen konnte ich nicht zugeben und griff stattdessen zu Alkohol und Tablet­ten. Meine inständigen Gebete – so glaubte ich –, die ich zum Himmel schickte, brachten keine Veränderung in mein Leben. Aus Verzweiflung gab ich die religiöse Praxis meines Glaubens auf und wandte mich äußeren, trügerischen Dingen zu. Es war wie ein Sterben mitten im Leben.

Die christliche Lehre erlebte ich als Anforderung an mich, etwas zu leisten und Erwartungen zu erfüllen. Durch meinen allmählichen Abstieg – es vergingen zehn Jahre – kam ich in Bereiche, die nicht mehr tragbar waren. Tief unten angelangt, erreichte mich eines Tages die Einladung, an einem Kursus zur Einübung in das Ruhegebet teilzunehmen. Ich sah dies als Chance und sagte zu. Bereits während des Kurses durfte ich erfahren, dass keine Leistung gefordert war, sondern dass ich mit all meiner Last, meinem Schatten und meinen Sünden vor Gott treten durfte. Durch Hingabe im Gebet lernte ich, mich im Loslassen zu üben.

In den darauf folgenden Wochen geschah eine Wandlung mit mir, die zu einem tief greifenden grundlegenden Glauben führte. Ganz allmählich durfte ich mich dem »Geheimnis des Glaubens« nähern – eine Erfahrung, die zu den wesentlichsten Erfahrungen in meinem Leben gehört. Durch das Ruhegebet fielen mehr und mehr dunkle Schatten von mir ab, und ich durfte erleben, wie es in mir – ich möchte sagen, in meiner Seele – lichter wurde. Mein gesamtes Leben änderte sich von Grund auf und mein Wunsch, Priester zu werden, den ich bereits als Jugend­licher in meinem Herzen hegte, wurde verwirklicht.

Da das Ruhegebet – ich bete es seit 45 Jahren regelmäßig zwei Mal am Tag – der Anstoß für meine äußerliche als auch innerliche Wandlung war, frage ich nach vielen Jahren der Praxis: Was ist das Geheimnis des Ruhegebetes? Dieser Frage möchte ich in diesem Buch nachgehen, um vielen Menschen den Zugang zu dieser alten und so einfachen Gebetsweise zu eröffnen und um allen Menschen, die das Ruhegebet beten, Unterstützung und Ermutigung auf ihrem Lebens- und Glaubensweg zu geben.

Als Priester hatte und habe ich in besonderer Weise die Möglichkeit, auf das Ruhegebet und seine wunderbaren – allerdings individuell verschiedenen – Auswirkungen hinzuweisen. Bischof Dr. Josef Homeyer erlaubte mir, in der Diözese Hildesheim ein kleines Bildungshaus zu errichten, das den Namen »Haus Cassian« trug. Johannes Cassian (360–435) war der Erste, der die Hesychastische Gebetsweise, also das Ruhegebet, aufzeichnete und dadurch bis heute im Original zugänglich macht.

Da im Lauf der Jahre das Interesse am Ruhegebet zunahm, bildete ich Lehrende des Ruhegebetes aus, die Kurse zur »Einübung in das Ruhegebet« und darüber hinaus Vertiefungskurse anbieten sowie regelmäßige Gebetstreffen durchführen. Im Internet stellen sich unter www.ruhegebet.com die Lehrenden vor und nennen ihre Angebote zum Ruhegebet.

Wie ganz von selbst, wurde die Verbreitung des Ruhe­gebetes zu meiner Lebensaufgabe. Es wurde mir ermöglicht, im Jahr 2012 die »Stiftung-Ruhegebet« (www.Stiftung-Ruhegebet.de) zu gründen, sodass hoffentlich die Verbreitung des Ruhegebetes und seine Pflege nach meinem Tod fortgeführt wird. Vielen Menschen in Bedrängnis durften wir bisher helfen, indem wir sie in die Praxis des Ruhegebetes einwiesen. Aber auch Menschen, die ihr Leben erfüllender leben und vor allem ihren Glauben vertiefen möchten, erlernen und praktizieren diese Gebetsweise mit großem Gewinn.

Das Ruhegebet entspringt christlichen Quellen und stellt die Urform des später auf dem Berg Athos und in Russland gepflegten Jesus- oder Herzensgebetes dar. Diese Quelle christlichen Lebens hat bis heute ihre Bedeutung und Aktualität nicht verloren. Unsere zum Teil müde gewordene und gleichzeitig gefährdete christliche Gegenwart ist letztlich von tiefer Sehnsucht nach Verankerung im Glauben und Gotteserfahrungen erfüllt und sucht nach leicht gangbaren Wegen. Durch das Beten des Ruhe­gebetes wird die Reinheit des Herzens zu einem andauernden Zustand, der einen entscheidenden Wendepunkt auf dem geistlichen Weg des Christen darstellt. Diese Art des Betens bedeutet jedoch auch eine große Herausforderung: Die meisten Menschen können nur sehr schwer begreifen, dass die Wahrheit und das Wesentliche so einfach sind.

Die aus dem Ruhegebet gewonnene Ruhe kann nicht nur helfen, den Alltag kraftvoller und sicherer zu bestehen, sondern sie schenkt auch das Gefühl der letzten Geborgenheit in Gott. Die Grundhaltung in diesem Gebet ist die eines Empfangenden, der sich vertrauend und »willenlos« auf Gott ver-lässt. Die sich ausbreitende tiefe Ruhe wird zum Schutz gegen neue Störfaktoren, leitet eine Entgrenzung auf Gott ein und stabilisiert Geist und Körper.

Einer Welt, die von zerstörerischen Kräften bedroht ist, aber zutiefst die Sehnsucht nach Frieden und göttlicher Nähe verspürt, kommt das Ruhegebet in seiner Einfachheit und gleichzeitig großen Wirksamkeit entgegen. Bei der enormen Reizüberflutung, der wir ständig ausgesetzt sind, muss zur Ruhe der Nacht eine weitere, geistige Erfahrung der Stille kommen, damit wir nicht krank werden. Es muss Zeiten der Stille und des Schweigens geben, in denen wir uns von allem Sichtbaren und Hörbaren lösen und uns dem »Unsichtbaren« zuwenden. Wenn wir unser Leben entsprechend einrichten, werden wir von dem Zuviel und der damit verbundenen Dunkelheit befreit, sodass uns das Licht, Christus, einleuchten kann.

Doch wo bleibt in unserem Leben Raum und Zeit für das Gebet, für das Schweigen und für die Ruhe, von der Gott am siebten Schöpfungstag spricht und uns bittet, diesen Tag der Ruhe zu heiligen? Die Praxis des Ruhegebetes möchte helfen, unser Leben tragfähiger zu gestalten, eine umfassendere Einsicht zu gewinnen und Jesus Christus als das wegweisende Licht bewusst zu erleben. Wenn wir mit ihm diesen Weg gehen, werden unser Herz und unser Verstand von seiner Wahrheit durchdrungen sein.

Staunend über die Wandlung, die sich durch das Ruhe­gebet in vielen Menschen vollzieht, möchte ich noch einmal die Frage stellen: Wie ist es möglich, dass eine so einfache Gebetsweise wie das Ruhegebet eine so große Wirkung zeigen kann? Welches Geheimnis liegt dem Ruhegebet ­zugrunde?

Die 67 Kapitel dieses Buches sind in drei Abschnitte aufgeteilt: »Das Ruhegebet ent-decken«, »In das Geheimnis des Ruhegebetes eintauchen« und »Der weglose Weg zur unerschöpflichen Quelle«. Schrittweise wird der Leser in das Geheimnis des Ruhegebetes eingeführt, doch letztlich bleibt dieser Versuch Fragment, da uns als in dieser Welt lebenden Menschen noch der letzte Zugang zum »Geheimnis des Glaubens« fehlt.

Da ich mit vielen Menschen diesen Gebetsweg gemeinsam gegangen bin und weiterhin gehe, weiß ich um unsere Vergesslichkeit. Wesentliches, das wir einmal eingesehen und erlebt haben, wird schnell wieder vergessen, und es schieben sich allzu schnell und all zu leicht andere unwesentliche Dinge in den Vordergrund. Dieser Tendenz, die dem Alltag eigen ist, möchte ich entgegenwirken. Damit das Vergessen bei dem so kostbaren Gut des Ruhe­gebetes nicht geschieht, habe ich es für erforderlich gehalten, Wesentliches, um es zu festigen, an mehreren ­Stellen mit gleichen oder mit anderen Worten zu wiederholen. Dadurch soll ein Überlesen von Wesentlichem vermieden und die Geschwindigkeit des Lesens entschleunigt werden.

Die Symbole oder Bilder vor jedem Kapitel möchten den Leser einladen, inne zu halten, ihre Aussagen zu erspüren und sie mit in den jeweils folgenden Text zu nehmen. Möge das Buch »Geheimnis des Ruhegebetes« dazu beitragen, dass viele Menschen diesen wunderbaren Gebetsweg neu entdecken und denen, die das Ruhegebet bereits beten, tiefere Einsicht und Erkenntnis gewährt werden. Möge das Buch den großen Wert dieses alten christlichen Gebetsweges erkennen lassen und den Betenden zu Jesus Christus führen, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.

1. KapitelHingabe an die Liebe Gottes

Bei einer Schrift über das Gebet sollte am Anfang darüber gesprochen werden, wie lebensnotwendig es ist, zu beten, wie wichtig es ist, Gott einen Teil unserer Zeit zu schenken und welche wunderbaren Ergebnisse der Betende erwarten darf. Eines allerdings ist Voraussetzung: Zum Beten darf man weder gezwungen werden noch sich selbst zwingen, sondern es sollte aus freudigem Herzen geschehen.

Die Erfahrung lehrt uns, dass immer wieder Hindernisse auf dem Weg zum Ziel auftreten, die unser Beten belasten, da sie die liebende Anziehung Gottes stören und uns ungeduldig machen und zweifeln lassen. Diese Störfaktoren können als schlechte Charaktereigenschaften in uns selbst beheimatet sein oder wir sind noch nicht tief genug im Glauben verankert, sodass eine Menge unguter Eindrücke von uns zugelassen werden. Ohne diese Hindernisse wäre es für uns ein Leichtes, ungestört und freudig zu beten und auf diesem Weg schnell Fortschritte zu erzielen. Inneres Glück und eine Art Seligkeit würden uns dauerhaft erfüllen und das Ziel, auf das hin wir geschaffen sind, würde in unserem Inneren Gestalt annehmen.

Denn in meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangen hält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden (Römerbrief 7,22–23).

Um wahrhaft beten zu können, müssen diese Hindernisse, Schwierigkeiten und Erschwernisse aus dem Weg geräumt werden. Das erfolgreichste Mittel besteht darin, die Hingabe an den Willen Gottes einzuüben. Daraus entsteht – fast ganz von selbst –, dass wir mehr aus unserem Leben machen, indem wir Gutes bewirken. Sowohl durch das Loslassen all unserer Vorstellungen und Bindungen, vornehmlich im Ruhegebet, als auch die guten Werke auf der aktiven Seite unseres Lebens werden nach und nach alle im Wege stehenden Hindernisse abgebaut.

Die Hingabe an den Willen und die Liebe Gottes, die gleichzeitig Huldigung, Staunen und Anbetung ist, bewirkt eine Stärkung und eine wunderbare Erfrischung ­unseres Geistes – so, als ob der Tau des Himmels sich auf unseren Geist und unsere Seele legen würde. Wir öffnen uns mehr und mehr dem Wehen des Heiligen Geistes und erleben bereits für kurze Augenblicke einen überirdischen Zustand, der das menschliche Herz mit Freude und einer Art Seligkeit erfüllt. Bei diesem Zufließen der Liebe Gottes wird nach und nach alles hinweg gespült, was nicht zu uns gehört und dem Strömen dieser Liebe hinderlich ist.

Der Hauch des Heiligen Geistes gestaltet uns um zu dem, wie Gott jeden einzelnen Menschen gedacht und im Grunde erschaffen hat. Es entsteht eine größere Freude zu geistigen Dingen und Mut, neue Intentionen in die Tat umzusetzen. Es entwickelt sich zusätzlich ein Gefühl für alles, was uns daran hindert, das liebende Entgegenkommen Gottes wahrzunehmen. Dieser Prozess geht so weit, dass wir sogar Abscheu und Ekel vor allem empfinden, was sich störend und hemmend zwischen uns und den Schöpfer stellt. Dies können unter Umständen Dinge sein, die uns früher lieb waren oder uns sogar beherrschten.

Diese wunderbaren Erfolge des hingebenden Betens werden zur täglichen Erfahrung. Wenn wir das Ruhegebet beendet haben, drängt es uns, gute Vorsätze zu erneuern und Empfangenes in die Tat umzusetzen. Ja, manchmal sind wir sogar entflammt, etwas Neues anzugehen und es kreativ zu gestalten. Damit geht immer der Wunsch einher, dem Herrn zu gefallen und ihn zu lieben. Es soll uns gut und immer besser gehen. Dazu hat der Herr viel Dunkles und Schmerzhaftes auf sich genommen und uns den Weg zum Vater neu gewiesen. Wenn wir all das, was er uns aus Liebe geschenkt hat und immer neu schenken möchte, richtig anwenden und zu Empfangenen werden, wird sich unsere Seele erneuern und leicht und licht werden.

Wenn du fragst, wie man die Hingabe an Gott übt, so lautet die Antwort:

Wende dich in deinen Gedanken und in deinem Herzen Gott zu.Im sanften Wiederholen seines allerheiligsten Namens entsteht eine Gemütsverfassung, die wir Hingabe an den Willen Gottes nennen.Von hier aus werden wir zu allem Guten angeregt, das wir dann außerhalb unseres Ruhegebetes in die Tat umsetzen.

Diese heilige Gebetsweise wird von allen großen und bekannten Betern gepriesen und empfohlen, denn sie ist das einfachste Mittel, sich ohne jegliche Anstrengung dem Schöpfer zu nähern. Obwohl diese Art zu beten nur eine unter vielen ist, so hat sie doch eine ganz besondere Tiefenwirkung. Viele Aspekte unseres Lebens, wenn nicht sogar alle, werden gereinigt, belebt und erneuert.

Der Kardinal-Bischof und Kirchenlehrer Bonaventura (um 1217–1274) gibt den Rat:

Um in Geduld die Widerwärtigkeiten dieses Lebens ertragen zu können: Wende dich dem Gebet der Hingabe zu.Möchtest du Standfestigkeit erlangen, um den Versuchungen des Feindes zu widerstehen, so praktiziere ­dieses Gebet.Das Gebet baut die Eigenwilligkeit deines Eigenwillens mit seinen unguten Neigungen und Begierden ab, sodass dein Wille zum Willen Gottes wird.Bete regelmäßig das Gebet der Hingabe und du wirst die Machenschaften des Widersachers erkennen und nicht mehr auf seine Betrügereien hereinfallen.Soll sich die Herzensfreude in dir vermehren, sodass du deinen Lebensweg auch unter vorübergehenden Schwierigkeiten konsequent weitergehen kannst, so bete.Möchtest du aus deinem Herzen die Zudringlichkeiten der eitlen und egoistischen Gedanken entfernt wissen, so nimm das Gebet der Hingabe auf.Gerade durch dieses Gebet speist du deine Gefühle und deine Gedanken mit der Gnade, die der Herr dir schenkt, weil du dich ihm öffnest. So wird deine Innerlichkeit zum Quell guter Gedanken und Neigungen.Um dein Herz auf dem Weg zu Gott zu reinigen, zu kräftigen und in Gott zu verankern, bete regelmäßig das Gebet der Hingabe.Möchtest du deine Seele frei von allen Lastern wissen, damit gute Eigenschaften Platz finden und sich wie eine Pflanze verwurzeln können, so bete regelmäßig in der genannten Weise. Du wirst die Gnade des Heiligen Geistes empfangen, der lehrt, das Rechte zu tun.Um Fortschritte auf deinem geistlichen Weg zu erzielen, um dem Herrn entgegenzugehen und seine liebevolle Nähe zu spüren, übe dich im Gebet der Hingabe. Denn dies ist der Weg, auf dem sich deine Seele am schnellsten und auf anstrengungslose Weise zum Anschauen und zur Freude an himmlischen Dingen erhebt.

Außer Bonaventura haben noch viele andere berühmte Kirchenlehrer und Kirchenlehrerinnen von der Einmaligkeit und Kraft dieses Betens gesprochen und geschrieben. ­Außer der Heiligen Schrift, die ebenso ein vortreffliches Beispiel des hingebenden Betens gibt, legen viele Menschen von dem von Bonaventura Gesagten täglich Zeugnis ab, indem sich noch weitaus Größeres und Erhabeneres in ihnen und mit ihnen ereignet. Nenne mir ein Gebet, das wirksamer ist und reicher die göttlichen Güter in uns entfaltet als das Ruhegebet, ein Gebet der völligen Hingabe!

Ein anderer geistlicher Lehrer, der nicht mit seinem Namen genannt werden möchte, lobt ebenfalls die reinigende und Gottes Geist aufbauende Kraft dieses Gebetes: Im Gebet der Hingabe an den Willen und die Liebe Gottes wird die Seele als erstes von allen Sünden gereinigt, sodass die Liebe Gottes in das Innere des Menschen strömen kann. Der Glaube, der vielleicht vorher nicht genügend greifbar war, wird zur Gewissheit und die darüber hinaus gehende Hoffnung wird gestärkt. Der menschliche Geist erfährt tiefe Freude, wenn Gottes Heiliger Geist das Feuer seiner Liebe in uns entzündet. Das Herz legt alle Unruhe ab und erfährt die Ruhe in Gott, die er am siebten Schöpfungstag geheiligt hat.

Es geschehen durch das Ruhegebet weitere wunderbare Dinge, die nicht zu glauben sind, wenn man sie selbst nicht erfährt. Gottes Geheimnis offenbart sich schrittweise in unserem Inneren, sodass sich unumstößliche Wahrheit enthüllt. Die Menschen, die sich auf diesem Weg zu Gott befinden, berichten einstimmig, dass sie besser den Versuchungen widerstehen können und die Traurigkeit sie nicht mehr quält. Gefühle, die früher teils dunkel gefärbt waren, erneuern sich und werden lichter. Aus unguten Eigenschaften und Lastern entwickeln sich leuchtende Funken kreativer Intelligenz, unter denen das Feuer der göttlichen Liebe brennt. Ja, man darf ohne zu übertreiben sagen: Menschen, die diesen Weg der Hingabe auf Gott hin gehen, stehen die Himmel offen. Da die Sehnsucht Gottes der Mensch ist, kann dieser in seiner Offenheit Gottes Liebe in Fülle annehmen und sie praktisch in seinem Leben umsetzen und weiterschenken.

Viele weitere Zeugnisse eines so überaus fruchtbringenden Gebetes könnten angeführt werden, doch sollen die obengenannten Aussagen vorerst genügen.

2. KapitelChristliche Tradition bewahren

Je weniger du durch Besserwissen in den natürlichen Ablauf des Ruhegebetes eingreifst, umso schneller kommst du an dein Ziel. Verschieb nicht die alte Grenze, die deine Väter gesetzt haben (Sprichwörter 22,28).

Vertraue deinem Lehrer des Ruhegebetes und verlass dich auf seine Führung. Prüfe allerdings vorher, ob der Kursus, den du besuchen möchtest, hier und jetzt der richtige für dich ist. Auch der Lehrer wird genau auf dich schauen und dich nach der Väter Weise prüfen. Er wird dir Fragen stellen und dich bitten, sie ihm schriftlich zu beantworten. Sträubst du dich dagegen, solltest du unmittelbar mit ihm darüber sprechen und herausfinden, was dem Vertrauen im Wege steht. Wenn sich herausstellt, dass deinem Einstieg in das Ruhe­gebet noch zu viel entgegensteht, solltest du noch einige Zeit warten.Eine weitere Eigenschaft, von der du annehmen darfst, dass dein Lehrer sie besitzt, besteht darin, in Werk und Wort wahrhaftig zu sein. Hierin sind auch die Äußerungen deiner Gedanken und Gefühle eingeschlossen. Das Wesen deines Wortes ist Wahrheit (Psalm 119,160a).Da du im Ruhegebet deinen eigenen Willen dem Herrn übergibst, um den seinen zu empfangen, gehört der Gehorsam dem Lehrenden gegenüber bereits zu dieser Einübung. Du wirst von ihm niemals etwas erfahren, was dir und deiner geistlichen Entwicklung nicht gut tut. Nach dieser Übung, die für viele die schwerste ist, wirst du erfahren, dass dein Wille an Eigenwilligkeit verloren hat und es dir leicht wird, ihn durchzusetzen und dich zu behaupten.Ein Einübungskursus in das Ruhegebet darf weder mit völligem Schweigen noch mit ständigen theologischen Diskussionen gleichgesetzt werden. Rechthaberische Menschen und diejenigen, die ständig widersprechen müssen, können sowohl für den Lehrenden als auch für die anderen Kursteilnehmer zur Qual und ständigen Störung werden. Wenn aber einer meint, er müsse darüber streiten: Wir und auch die Gemeinde Gottes kennen einen solchen Brauch nicht (1. Korintherbrief 11,16). Der ständige Widerspruch und die Rechthaberei stammen aus einer Gesinnung, die durch Unglauben und Hochmut geprägt ist.Andererseits dürfen wir uns aber auch während des Kurses nicht scheuen, das vor der Gruppe oder im persönlichen Fragebogen kundzutun, was in unserem Herzen verborgen ist und jetzt ans Licht kommen möchte. Nicht selten kommt es in einem Kursus dazu, dass der Teilnehmer den Wunsch hat, das Sakrament der Versöhnung zu empfangen. Dies sollte ihm unter allen Umständen möglich gemacht werden. Ich will dem Herrn meine Frevel bekennen. Und du hast mir die Schuld vergeben (Psalm32,5b). Wenn ich neben Gutem auch Ungutes ausspreche, das sich durch die tiefe göttliche Ruhe in Bewegung setzt und mir zu Bewusstsein kommt, wird das Ungute sich nicht mehren, sondern geheilt werden.

Aus der Beachtung dieser fünf Punkte wird ­Demut geboren. Aus ihr wiederum entsteht ein klareres Unter­scheidungsvermögen, dem ein klarerer Blick, die ­Ahnung des Kommenden und unter Umständen die Vorausschau folgen. Dies jedoch ist ein Geschenk Gottes, das er denen verleiht, die er dazu würdig erachtet.

Die Ursache der Verderbnis und der Sterblichkeit liegt im Ungehorsam Adams, der es aus seinen Augen und seinem Herzen verlor, Gott zu danken und in seiner Überheblichkeit selbst sein wollte wie Gott. Eigensinnigkeit und mangelnder Gehorsam führten bei ihm zur Missachtung und Übertretung des göttlichen Gebotes. Die Ursache der Erneuerung und der Unsterblichkeit wurde uns durch den Gehorsam des zweiten Adam, unseres Herrn und Heilands Jesus Christus, geschenkt. Was ich gesagt habe, habe ich nicht aus mir selbst, sondern der Vater, der mich gesandt hat, hat mir aufgetragen, was ich sagen und reden soll. Und ich weiß, dass sein Auftrag ewiges Leben ist. Was ich also sage, sage ich so, wie es mir der Vater gesagt hat (Johannes 12,49–50).

Diese ständige Verbindung und geistliche Verbundenheit mit dem himmlischen Vater ist das Ziel des Ruhegebetes. Dazu wird der Weg der Hingabe beschritten, der nicht nur während des Betens eingeübt wird, sondern auch während des aktiven Lebens immer wieder eingeübt werden kann. Wenn ein Schüler ständig alles hinterfragen würde, wäre ihm die eigene Erfahrung der inneren und göttlichen Ruhe versagt. Es bedarf des Vertrauens, um sich hingeben zu können. Erst dann macht der Betende die Erfahrung, sich selbst zu verlassen und in immer tiefer werdender Versenkung in Gott einzutauchen und von ihm gehalten und getragen zu werden.

Ist jemand wegen seiner Eigenwilligkeit, seiner Selbst­gefälligkeit und eventuell auch wegen seines Hochmuts noch nicht in der Lage, das Ruhegebet zu beten, gibt es für ihn selbstverständlich Hinleitungen, die zum Ziel führen.

Da viele von uns glauben, alles theologisch und intellektuell durchdringen zu können, fällt es ihnen schwer, den Rat eines anderen anzunehmen und entsprechend danach zu handeln. Doch was wissen wir schon von der Kultur des Ruhegebetes, seiner Anwendung und den Auswirkungen, die sich bereits am Anfang auf feinen Ebenen des Bewusstseins zeigen? Daher ist es notwendig, neben der individuellen Gebetserfahrung auch ein Wissen zu erhalten, das diese subtilen Vorgänge erklärt. Zunächst wird eine Kenntnis vermittelt, die in die wunderbare einsame Ruhe einführt. Alles fragmentarische Wissen, über das wir eventuell verfügen, sollten wir beiseitelassen und das neu aufnehmen, was die Wüstenväter zum Erlernen des Ruhegebetes überliefert haben.

Wir sollten auf keinen Fall im Alleingang mit dem Ruhe­gebet experimentieren, sondern einen erfahrenden Lehrer des Ruhegebetes zumindest am Anfang an unserer Seite haben. Dadurch bleiben uns viele Umwege und Irrtümer erspart, die schnell dazu führen, das Ruhegebet wieder aufzugeben mit der Begründung, dass es nichts für uns sei. Wenn ich ein weites Meer überqueren möchte, benötige ich einen verständigen Steuermann. Letztlich ist es Gottes Heiliger Geist, der mich führt und lenkt, doch dieses grenzenlose Vertrauen und die Ganzhingabe müssen zunächst auf einfache Weise eingeübt werden. Wer allerdings meint, dies für sich allein vollziehen zu können, kann sich mächtig irren.

Die Kunst der Künste, die Wissenschaft der Wissenschaften, das heißt, den Weg zu Gott zu beschreiten und dabei das geistige Meer zu überqueren, dürfen wir uns nicht allein zutrauen – wir benötigen einen bewährten und wahren Steuermann und Lehrer. Wer sich einbildet, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich (Galaterbrief 6,3).

Viele Menschen glauben von sich, auf dem rechten Weg zu sein oder gar das Ziel schon erreicht zu haben, ohne je einen Schritt getan zu haben. Wie ist es uns möglich, ohne Erfahrungen und ohne das dazugehörende Wissen

mit widergöttlichen Kräften umzugehen, die uns zu Fall bringen möchten,Wahrhaftes von Trugbildern zu unterscheiden,die körperlichen Sinne mit den Kräften der Seele abzustimmen,die leise Sprache Gottes zu hören und Offenbarungen zu erkennen,Verführungen und Wahnvorstellungen von der Führung und dem Geleit Gottes zu unterscheiden,in Mysterien und Geheimnisse vorzudringen, die der Herr für uns bereitet hat?

Wir müssen bestätigt bekommen und sicher sein, dass wir nicht vergeblich laufen oder gelaufen sind (vgl. Galaterbrief 2,2b). Nur einfach so zu laufen, wie wir es wollen, bringt uns nicht weiter. Es geht immer und immer wieder um den Einklang unseres Willens mit dem Willen Gottes. Dann wird der Herr dir in allem das rechte Verständnis geben (2. Timotheusbrief 2,7b).

Der Lehrende – und dessen dürfen wir sicher sein – wird uns in alles Notwendige und von Gott Geliebte einführen, uns an die Hand nehmen und auf der Grundlage unserer Erfahrung uns Gott gefällige und geistliche Dinge dar­legen, die man den meisten nicht darlegen kann. Die Erfahrungs- und Wissensgrundlage bilden die geisterfüllten und begnadeten Aussprüche der Wüstenväter und vieler geistlicher Väter in der Zeit danach.

3. KapitelAller Anfang ist leicht

Das Ruhegebet schafft einen Zustand im Betenden, der von allen dunklen Schatten gereinigt ist und gleichzeitig die Seele vor neuen zerstörerischen Elementen bewahrt, die von außen herantreten. Für einen Menschen gibt es nichts Schlimmeres als eine zunehmende Verdunkelung der Seele ertragen zu müssen, ohne durch seine Religion ein Mittel in der Hand zu haben, die stärker werdende Dunkelheit zu bremsen und sie so lange zu erhellen, bis sie vergeht oder sich gar in Licht wandelt. Jesus Christus, die Gottesmutter und viele Heilige haben uns ein Gott gefälliges Leben vorgelebt und konkrete Wege in die Nachfolge Christi aufgezeigt. Eigentlich dürfte es daher keine Verdunkelung der Seele oder den »Tod« der Seele geben.

Wenn wir das Gebet regelmäßig pflegen und unser Leben so einrichten, dass wir uns bewusst nicht allzu vielen negativen Kräften aussetzen oder ihnen durch ein kleines Stoßgebet, das wir wiederholen, eine Absage erteilen, dürfen wir von geistlichem Fortschritt sprechen. Sind wir jedoch fahrlässig in unserem religiösen Leben, müssen wir damit rechnen, dass sich Böses in uns festsetzt und wir nicht voran kommen. Unserer Seele wohnt eine geheime Kraft inne, die sich darin äußert, dass sie sich auf den Himmel ausrichten und sich zu göttlicher Sehnsucht und Liebe bewegen möchte. Auf dem Weg dorthin gibt es viele Zwischenstationen mit verschiedenen Versuchungen, die besonders die Menschen überfallen, die allein leben. Lassen wir uns nicht aufhalten und zum Hochmut verführen, wenn wir zum Beispiel ein »übernatürliches Licht« sehen, einen besonderen Duft wahrnehmen oder eventuell Stimmen hören. Kein Wunder, denn auch der Satan tarnt sich als Engel des Lichts (2. Korintherbrief 11,14).

Wir müssen uns sehr davor hüten, uns ständig mit uns selbst zu beschäftigen und gar noch hohe Erwartungen an unser Gebetsleben zu stellen. Im Ruhe­gebet dürfen wir nicht krampfhaft unsere Gedanken zusammenhalten, müssen uns von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen trennen und dürfen uns auch nicht bewusst geistig sammeln. Sich auf die Worte des Gebetes zu konzentrieren, entspricht ebenso wenig dem Ruhegebet. Dieses Gebet der Hingabe und des Lassens, das durch die Wiederholung des kurzen Gebetswortes uns immer neu auf Gott ausrichtet und gleichzeitig hell wach sein lässt, hört sofort auf, ein Hingabegebet zu sein, wenn wir bewusst in eine Gedankenaktivität einsteigen. Wie schnell sich böse und eitle Dinge einschleichen, bemerken wir kaum.

Dass sich viele Menschen dem Schöpfer so fern fühlen, liegt zum Teil daran, dass sie sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigen. Damit geben sie dem Herrn weder Raum noch Zeit, sich ihnen zu nähern und sie mit der göttlichen Liebe zu beschenken. Oft beherrscht eitle Ehrsucht einen Menschen, ohne dass er es bemerkt. Er verachtet aus Hochmut die anderen, verurteilt sie und bildet sich sogar noch ein, Vorbild für andere zu sein. Lasst sie, es sind blinde Blindenführer. Und wenn ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in eine Grube fallen (Matthäus 15,14).

Wir müssen uns davor hüten, mit dem Ruhegebet eigene Wege zu gehen, das heißt, es nach Gutdünken mal hier und mal dort zu beten oder es gar so zu verändern, wie wir es im Augenblick für besser erachten. Selbst wenn ich dem Lehrenden des Ruhegebetes, den ich mir ausgesucht habe, keine Lebensweisheiten abnehmen kann, so darf ich doch darauf vertrauen, dass er kompetent ist in den Weisungen, die er mir zum Gebet gibt. Ich sollte daher den Rat, den er mir gibt, auch bedenkenlos umsetzen. Wirf einfach alle Sorge, die du eventuell in Bezug auf das Ruhegebet hast, auf den Lehrenden, denn er wird für dich und dein Gebetsleben Sorge tragen. Genieße diese Sorglosigkeit, die dir zuteilwird, so kannst du umso vertrauensvoller und leichter dich dem Schöpfer im Gebet hingeben. Aber auch zwischen dir und dem Lehrenden sollte ein gutes Vertrauensverhältnis bestehen. Wenn du allerdings schon gleich am Anfang ein ungutes Gefühl hast, ihm die Beantwortung der Fragen oder gar deine Anschrift anzuvertrauen, solltest du zu jemand anderem gehen.

Um geistlich wesentliche Fortschritte auf deinem Gebetsweg zu machen, bedarfst du eines Menschen, dem du rückhaltlos vertrauen kannst. Hörst du auf ihn und das, was er dir rät, bleibst du frei von Misstrauen und von allen Zweifeln. So sollte dein neuer Lebensweg mit dem Ruhegebet beginnen. Gehst du voll Vertrauen diesen wunderbaren Weg, solltest du dich mehr und mehr von der Leichtigkeit führen lassen, die dir geschenkt wird, wenn du bereit bist, dich ganz und gar von der Sehnsucht Gottes anziehen zu lassen. Du brauchst nicht, wie es in verschiedenen Schulen gelehrt wird, mit dem Geist deine Sinne zu beobachten und sie zu kontrollieren, du brauchst nicht deinem inneren Schatten intellektuell auf die Spur zu kommen … du brauchst auf nichts Acht zu geben, sondern nur ganz sanft und leicht bei geschlossenen Augen dein Gebetswort zu wiederholen. Dass daraus geistig-geistlicher Gewinn entstehen soll, ist für viele Menschen anfangs ­undenkbar.

Die Tatsache, vor Gott etwas leisten zu müssen und mit etwas Großem aufzuwarten, ist in manchen Menschen so tief verankert, dass ihnen der gedankliche Einstieg in das Ruhegebet recht schwer fällt. Der Lehrende weiß, dass er hier intellektuell nicht weiter kommt und verweist auf die Praxis, mit der er sobald wie möglich beginnen sollte. Habe ich eine bestimmte köstliche Speise in meinem Leben noch niemals probiert, so bleibt sie mir fremd, wenn nur über sie geredet wird, anstatt sie zu kosten. Eine große Unterstützung auf deinem Gebetsweg besteht nicht nur darin, auf den Lehrenden des Ruhegebetes zu hören, sondern auch darin, deinen Alltag und dein Denken, Sprechen und Tun so aufrecht zu gestalten, als ob dir der Herr bei allem zusehen würde.

Dein Gewissen – es ist der Türhüter zu deiner Innerlichkeit – solltest du rein bewahren, das heißt, nichts tun, was Gott nicht gefällt. Je wachsamer der Türhüter ist, umso weniger dunkle Elemente kommen in dein Inneres und verschatten deine Seele. Dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein (Markus 13,34b). Sei offen und ehrlich auch deinem geistlichen Begleiter gegenüber und bedenke, wie viel Zeit er in dich investiert, und dass er immer für dich da ist, wenn du ihn brauchst. Durch Aufrichtigkeit anderen Menschen gegenüber kannst du deinen geistlichen Fortschritt durch das Ruhegebet sehr unterstützen.

Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu! (Tobit 4,15)Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!(Matthäus 7,12a)

Mit den Dingen der Welt, zu denen auch Speise, Trank, Kleidung und Geld gehören, solltest du verantwortungsbewusst umgehen und keinen Missbrauch damit treiben. Mit allem solltest du so umgehen, als ob es vor Gott geschähe. Wenn du ihn zu deinem Maßstab nimmst, wird dich niemals dein Gewissen anklagen. Wenn diese und andere gute Voraussetzungen erfüllt werden, wird sich schon sehr bald das Psalmenwort an dir erfüllen: ­Kostet und seht, wie gütig der Herr ist (Psalm 34,9a). Dein ständig umherspringender Geist wird mit tiefer göttlicher Ruhe erfüllt und möchte sich nicht mehr vom Ort des Gebetes entfernen, um so lange wie möglich in diesem Zustand zu bleiben. Es breitet sich eine wunderbare Erfüllung aus, die Petrus auf dem Berg Tabor erfahren hat und mit den Worten beschreibt: Herr, es ist gut, dass wir hier sind (­Matthäus 17,4b). Doch fordert Jesus seine Jünger – und damit auch uns – nach dieser vorösterlichen Erfahrung auf, den Berg der Verklärung wieder zu verlassen, hinabzusteigen in das Tal, um auch die Niederungen des Lebens zu ­bestehen.

Jemand, der das Ruhegebet einzig und allein von außen betrachtet und noch über keine Erfahrung verfügt, kann das Wesentliche dieser heilbringenden Gebetsweise nicht erfassen. Für ihn scheint im Gegensatz zu denen, die das Ruhegebet beten, das Wort zu gelten: »Aller Anfang ist schwer!«

Vom Herzen her kommen die bösen Gedanken zu Unzucht, Ehebruch, Verleugnungen … (vgl. Matthäus 15,19). Daher ist, um in einem Bild zu sprechen, der Becher zuerst innen zu säubern, denn dann ist er auch außen rein (vgl. Matthäus 23,26). Daher ließen die Wüstenväter wie auch die frühen Kirchenväter, die das hesychastische Gebet übten, zunächst jedes andere geistliche Werk fort und wandten sich ganz und gar dem Ruhegebet zu – im Wissen und aus Erfahrung, dass sie hiermit am ehesten geistlichen Fortschritt erzielen würden. Je mehr sich jemand mit dem Gebet der Ruhe beschäftigt und es parallel dazu auch regelmäßig praktiziert, umso mehr wird er der göttlichen Gnadengaben gewürdigt.

Es ist nicht gut, wenn wir unserem Geist erlauben, sich zu teilen. Dies geschieht zum Beispiel beim Beten sehr leicht. Wir beten mit den Lippen und unser Geist beschäftigt sich mit völlig anderen Dingen. Dies wird dann besonders gefährlich, wenn es von selbst geschieht und wir es nicht einmal bemerken. Beten wir jedoch das Ruhegebet genau nach den Angaben Cassians, gehen wir nicht diese Gefahr ein, da wir immer wieder zu unserem Gebetswort zurückkehren. Diese Gebetsweise findet in größter Armut statt, sodass die erste Seligpreisung genau auf sie zutrifft: Selig die Armen im Geist (Matthäus 5,3a).

Das heißt, glücklich sind jene, die während des Ruhegebetes und darüber hinaus in ihrem Herzen keine Dinge dieser Welt erwägen, sondern arm sind an jedem weltlichen Gedanken. Genau das ist das vornehmliche Ziel des Ruhe­gebetes, vor Gott arm zu werden und es zu bleiben. Nur derjenige kann in der Tiefe seines Seins gewürdigt werden, der ein reines und empfangsbereites Herz hat. Das gesamte menschliche Leben baut auf diesem Fundament auf: alle guten Eigenschaften und Tugenden.

Suche dir für das Ruhegebet einen abgeschiedenen und ruhigen Platz, schließe die Tür und ebenso deine Augen. Nimm in dein Denken dein Gebetswort auf und wiederhole es sanft. Damit sammelst du deinen Geist und hältst ihn davon ab, aktiv zu sein. Wenn dein Geist sich jedoch verselbstständigt und dich vom Gebet in weltliche oder auch geistliche Dinge geführt hat, so kehre in dem Augenblick zu deinem Gebetswort zurück, wenn es dir bewusst wird, dass du es innerlich nicht wiederholst. Sei sicher – du brauchst nicht darüber nachzudenken oder darüber zu sprechen: Das Ruhegebet führt ganz von selbst deinen Atem und deinen Geist zu dem Ort, wo dein Herz ist, zu dem Ort, wo Gott wohnt oder wohnen möchte. Euch jedoch muss es um sein Reich gehen; dann wird euch das andere dazugegeben (Lukas 12,31).

Es kann durchaus sein, dass du auf dem Weg in dein Herz zunächst Finsternis, Gefühllosigkeit oder Härte wahrnimmst. Wie ein Wunder wirst du jedoch schon bald Wandlung erfahren, die dir Licht und unaufhörliche Freude offenbart, sobald du diesen geheiligten Raum betrittst. Kehrst du aus dem Ruhegebet zurück in deine Aktivität, wirst du wunderbare Veränderungen feststellen, an erster Stelle eine geschärfte Wahrnehmung und größeres Unterscheidungsvermögen. Generell sind die Gnadengaben bei jedem Menschen individuell verschieden – ganz abhängig davon, was er am dringendsten benötigt oder woran er krankt. Von jetzt an lebt der Mensch mit einem breiten, wohl funktionierenden Sensorium, das ihm signalisiert, was zu tun und was zu lassen ist, wann zu sprechen und wann zu schweigen ist. Ein geistlicher Vater fand das Wort: »Setz dich in deine Zelle, und sie wird dich alles lehren.«

Der erste Erfolg des Ruhegebetes besteht in der Verringerung der unguten Leidenschaften, der Überheblichkeit und jeglicher Form von Eitelkeit. Indem Jesus Christus immer mehr zur Mitte unseres Lebens wird, lösen wir uns langsam von dem, was bisher zu unserer Mitte gehörte. Damit jedoch dieser Prozess fortschreiten kann und nichts ihn verzögert oder gar zum Stillstand bringt, ist das regelmäßige Gebet der Hingabe mindestens zweimal am Tag eine Notwendigkeit. Das Herz – gemeint ist unsere Innerlichkeit – wird frei von allem, was einengt und krank macht, und unser Geist verlangt und sucht danach, Freund Gottes zu werden. Indem sich unser Geist durch das Gebet der zu Gott ziehenden Sehnsucht hingibt, wird er stark und lässt es nicht mehr zu, dass schlechte Gedanken in unser Herz eindringen und es erneut belasten.

Mit dem Namen Jesu Christi lösen sich in uns alle Verwirrungen und ungelöste Eindrücke auf wie das Wachs im Feuer. Sehr bald schon empfinden wir Stille und Ruhe in unserem Inneren und die dunklen Kräfte haben keine Gewalt mehr, uns zu verwirren. Sie prallen von uns ab, sodass sie uns weder erreichen noch dass wir einen Krieg mit ihnen führen müssen. Doch müssen wir, solange wir in dieser Welt leben, Acht geben, dass uns nicht die vielen und verschiedenen Verwirrungen, die der Böse sich immer neu zurecht legt, einholen und uns zu Fall bringen.

Ist die Wurzel heilig, so sind es auch die Zweige. Wenn aber einige Zweige herausgebrochen wurden und wenn du als Zweig vom wilden Ölbaum in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest und damit Anteil erhieltest an der Kraft seiner Wurzel, so erhebe dich nicht über die anderen Zweige. Wenn du es aber tust, sollst du wissen: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich (­Römerbrief 11,16–18).

Im Ruhegebet lernen wir, uns vollständig von allen Dingen zurückzuziehen und uns in Frieden Gott vollkommen hinzugeben. Er ist es, der all das, was wir an Gutem begonnen haben, auch vollenden wird. Der Schlüssel für das Himmelreich ist das Gebet. Durch das Ruhegebet halten wir ihn in unseren Händen und es liegt ganz allein an uns, ob wir ihn zum Öffnen der vor uns stehenden verschlossenen Türen benutzen oder nicht. Wer allerdings nur auf das Gegenwärtige ausgerichtet ist, dem fehlt aller Wahrscheinlichkeit nach die freudige Zuversicht auf das Himmelreich.

4. KapitelSechs Sprossen der Gebetsleiter

Bevor die sechs Schritte vorgestellt werden, sollen sie zum besseren Verständnis durch einige Bemerkungen eingeleitet werden. Ein kostbarer Diamant wird nicht achtlos zur Seite gelegt, sondern man bringt ihn in eine schöne Fassung, damit er wertgeschätzt wird, leuchten und Freude bringen kann.

Bevor man auf einem Instrument spielt, muss es gestimmt werden. Ebenso muss unser Herz auf diese wunderbare Gebetsweise des Ruhegebetes vorbereitet und eingestimmt werden. Der Wertschätzung der Anrufung des allerheiligsten Namens des Herrn sollte sich der Mensch zu allererst bewusst werden. Er sollte wissen, wer es ist, den er anruft und wem er sich nähern möchte. Am Anfang muss die Notwendigkeit erkannt werden; später stellt sich die Hochachtung und Ehrfurcht vor dem Herrn – bevor wir mit dem Gebet beginnen – ganz von selbst ein. Um sich besser und schneller in die Liebe Gottes zu versenken, ist es ratsam, sich vor dem Beten zu sammeln, das heißt, keine neuen Eindrücke mehr aufzunehmen, zu schweigen und die Gedanken auf Gott auszurichten.

Der Herr möchte unserer Seele das schenken, was sie am notwendigsten bedarf. Um dieses kostbare Geschenk annehmen und wertschätzen zu können, müssen wir uns in Stille und durch Schweigen vorbereiten. Wenn wir einmal im Loslassen und im Schweigen geübt sind, bedarf es keiner langen Vorbereitung mehr, denn unsere Seele drängt es zum Herrn, wenn wir ihr freien Lauf lassen und sie nicht durch neue Sorgen und Probleme belasten. Dies bezieht sich auf die Zeit unmittelbar vor dem Ruhegebet. Selbstverständlich treten wir so vor den Herrn, wie wir sind: mit all unseren guten und schlechten Eigenschaften, mit unseren Sorgen und Problemen, aber auch mit unserer Freude und Dankbarkeit.

Haben wir das Gebet der Hingabe beendet und es steigt ein Gefühl des Dankes auf, so sollten wir diesen Dank auch Gott gegenüber ausdrücken. Diese Gefühle stellen sich erfahrungsgemäß oft nach dem Abendgebet ein, wenn ein guter und gesegneter Tag hinter uns liegt. Wenn es unsere Zeit erlaubt, dürfen wir am Ende für diejenigen bitten, die der Gnadenzuwendung Gottes am meisten bedürfen. Dazu reicht es, genau wie wir es im Gebet der Hingabe vollziehen, den Namen Gottes und den Namen dessen mehrmals sanft und langsam zu wiederholen, für den wir um die Gnade Gottes bitten.

Von großer Wichtigkeit ist es, im Gebet der Hingabe bewusst keine eigenen Gedanken zu denken, sondern nur den einmal gewählten Gebetsvers, den Namen Gottes oder Jesu Christi, innerlich auszusprechen und sanft zu wiederholen. Dadurch bleiben wir anstrengungslos in der Ausrichtung auf den Herrn und obliegen auch nicht der Versuchung einzuschlafen. Unsere subjektive Beurteilung dessen, was im Gebet geschieht, ist nicht maßgebend. Wir sollten nur wissen, dass sich anfangs wie auch später im fortgeschrittenen Zustand viele unausgedrückte Eindrücke durch die tiefe Ruhe für Körper, Geist und Seele in Bewegung setzen und sich durch unsere Gefühle und Gedanken ausdrücken. Niemand darf hier von Störungen sprechen oder gar sagen: »Ich konnte heute gar nicht recht beten!«. Im Gegenteil: Er sollte sich freuen, dass sich mehr und mehr der Weg zum Ziel ebnet.

Das Gesagte sind Empfehlungen aus einer Jahrhunderte langen Gebetskultur, die ohne jegliche Gefahr übernommen werden können – Voraussetzung allerdings ist, das Ruhegebet nicht zu lange zu beten. Die Wüsten­väter, von denen es stammt, empfehlen ausdrücklich, niemals zu lange zu beten, sondern dafür lieber mehrmals am Tag. Dies gilt vornehmlich für kontemplativ lebende Menschen in Orden und in entsprechenden Gemeinschaften. Für uns, die wir in einer sehr lauten, oft aggressiven und hektischen Welt leben, hat sich herausgestellt, dass die besten Erfahrungen gemacht werden, wenn der Betende sich zweimal am Tag für jeweils zwanzig Minuten in die Stille zurückzieht. Wir sollten uns nicht anmaßen, es besser zu wissen und nach unserem Gutdünken Variationen dieser alten christlichen Gebetsweise zu treffen. Hier beginnt bereits das Opfer, das wir im Gebet der Hingabe vollziehen: Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden (Johannes 3,30).

Vielleicht darf noch etwas mit Nachdruck gesagt werden: Nicht das mechanische Tun ist entscheidend, sondern die gläubige und vertrauende Einstellung dem Schöpfer gegenüber. Weisungen, die von Menschen gegeben werden, sind Erfahrungswerte, die richtungweisend sind. Allein entscheidend jedoch ist das Wirken des Heiligen Geistes, der aufbricht, wo Aufbruch gefordert ist, der lehrt, wo Belehrung notwendig ist, und die Herzen mit dem Feuer seiner Liebe erfüllt.

Erster SchrittVorbereitung zum Gebet

An erster Stelle sollte die Freude am Beten stehen oder, wenn sie sich nicht zeigt, die Einsicht, dass Beten lebensnotwendig ist und zum tragenden Fundament wird für jegliche Belastung, die uns auferlegt wird. Wir sollten nach Möglichkeit kein Gebet aus profanen Gründen ausfallen lassen.

Abgesehen davon, dass man überall und immer beten kann, sollten wir uns einen entsprechenden Ort zum Beten und eine feste Zeit aussuchen. Wenn man gern beim Beten knien möchte, sollte man es tun. Die meisten Menschen jedoch bekommen Schmerzen, wenn sie zwanzig Minuten in dieser Haltung verbringen. Daher wird geraten, sich beim Ruhegebet zu setzen, denn es kommt wesentlich mehr auf die geistige Haltung an als auf die körperliche.Ein Blick auf das Kreuz, das vielleicht in unserer Nähe steht, erinnert an die Ganzhingabe, die Jesus am Kreuz vollzogen hat, als er betete: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist (Lukas 23,46).Unsere Hingabe beginnt mit diesem Schritt: Wir denken bewusst keine Gedanken oder gehen ihnen nach, sondern lassen – indem wir uns auf den Herrn ausrichten – zunächst alles von selbst kommen und gehen. Das Bewusstsein, dass Gott allgegenwärtig ist, möge uns dabei helfen.Viele Menschen erinnern sich in diesen Augenblicken an Gedanken, Worte oder Taten, die andere verletzt haben oder generell nicht gut waren. Dies geschieht vornehmlich beim Abendgebet. Wir vertiefen an dieser Stelle aber unsere unguten Eigenschaften nicht, sondern halten uns dem Herrn so hin wie wir sind.Um unsere Demut zu bezeugen, können wir uns kurz vor dem verneigen, der in uns und um uns anwesend ist. Ein anschließendes Kreuzzeichen drückt aus, dass wir uns zum christlichen Glauben bekennen.

Welch große Ehre bedeutet es für mich, den Namen des Herrn anrufen zu können, der mich geschaffen und mir das Leben geschenkt hat. Dieser kurze Impuls, wenn er sich von selbst einstellt, dient dazu, dem Herrn zu danken. Gott, eine unendliche Fülle von Reichtum, Größe und Liebe, möchte mich in seiner Zuwendung erreichen, mich berühren und beschenken. Oft kommen diese oder ähnliche Gefühle von selbst. Wir lassen sie zu, holen sie aber nicht bewusst durch unser Denken herbei. Das Gebet der Hingabe bedarf im Grund keiner besonderen Vorbereitung; es hat nichts mit einer Betrachtung oder aktiven Leistung unseres Geistes zu tun – weder mit Gefühlen, Vorstellungen oder biblischen Geschehnissen, die sich als Bilder offenbaren. In aller Armut des Geistes, wie sie der Herr zu Beginn der Bergpredigt gelehrt hat, treten wir, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, vor ihn hin. Selig die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich (Matthäus 5,3).

Die Zeit des Gebetes wird am besten genutzt, wenn wir unser Ego vollständig zurücknehmen und jedes Mal, wenn es sich zeigt oder in den Vordergrund drängt – was durch bestimmte Gedanken- oder Wunschinhalte geschieht – all dem nicht nachgehen, sondern an die Stelle unser Gebetswort in sanfter Wiederholung setzen. Das Ruhe­gebet ist ein sich Versenken in Gott, das ganz von selbst geschieht, wenn wir uns im Loslassen üben. Das Wunderbare ist: Wir sind wach, aber nicht aktiv.

Diesen von Gott geschenkten Zustand spüren wir zunächst nur in der Zurückgezogenheit in unser Inneres, wo Gnade beginnt, sich auszubreiten. Die Früchte unseres Gebetes werden sich vornehmlich außerhalb des Betens zeigen, indem uns Kraft zu neuen Taten und Dingen beflügelt, wir immer mehr im Einklang mit dem Willen Gottes leben und wir unsere Dienste und Pflichten gern und freudig auf uns nehmen. Gebetsweisen, die mit einer inneren Wandlung lange auf sich warten lassen, sind von einem nicht so hohen Wert wie das Gebet der Hingabe.

Zweiter SchrittAuf den Eigenwillen verzichten

Ist die Vorbereitung beendet – sie sollte nur kurz sein – beginnen wir mit dem eigentlichen Ruhegebet. Es sei noch einmal vorausgeschickt: Das Hingabegebet hat nichts mit Konzentration, Aufmerksamkeit, Leistung oder irgendeiner Erwartung zu tun, sondern ist reine Hingabe dessen, was ich bin und habe. Vielen Menschen fällt es außerordentlich schwer, diesen Schritt zu begreifen und einzusehen. Bestimmte Sichtweisen, die religiöse Erziehung mit sich gebracht hat, hindern daran, arm und nackt vor Gott zu treten, um einfach vor ihm da zu sein, zu staunen und ihn schweigend anzubeten – ohne Worte und Gedanken, sondern bloß durch unser Dasein. Ohne etwas zu tun, schenken wir dem Herrn einen Teil unserer Zeit, sodass er uns berühren, ergreifen und wandeln kann.

Empfangen wir dabei einen tiefen Zustand innerer Ruhe und Gelassenheit, so liegt es nicht in unserer Hand und auch nicht in unserem Ermessen, ihn festzuhalten. Als Empfangende nehmen wir das, was der Herr uns zugedacht hat, dankend an – ohne einzugreifen oder unseren eigenen Willen kund zu tun.

Die eigentliche Gebetszeit sollte ganz und gar dem Ruhegebet gewidmet sein. Daher – um es noch einmal zu sagen – sollte für die Vorbereitung nicht allzu viel Zeit aufgewandt werden. Nicht die Zeit unserer Aktivität ist entscheidend, sondern die, die wir im Schweigen vor Gott verbringen. Hier öffnen wir uns der unendlichen Weite, der wir uns durch Denken niemals nähern können. Sind wir jedoch derart zerstreut, dass wir nicht den Weg zum eigentlichen Beten finden, sollten wir über die Atmung gehen, die sonst beim Gebet der Hingabe unbeachtet bleibt. Wir atmen etwas länger aus und langsam etwas tiefer ein und spüren, wie der Luftstrom geht und kommt. Beim Ausatmen kann der Gedanke des Abgebens oder gar des Sterbens in Gott sehr hilfreich sein, denn er hat mit dem Loslassen zu tun, was sich vielleicht noch nicht so schnell wie sonst einstellen will.

Durch das Gebetswort, das an die Stelle unserer bewusst gesteuerten Gedanken tritt, langweilt sich unser Geist und macht durch Inaktivität den Weg in eine größere Innerlichkeit frei. Dies gehört zu den wesentlichen Geheimnissen des Ruhegebetes, das uns in ungeahnte Tiefen unseres Selbst und darüber hinaus in die Nähe Gottes führt. Wird unserem Geist dagegen keine Richtung gegeben, wandert er unruhig wie eine Honig suchende Biene von Blume zu Blume. Nach den verschiedenen Seiten hin beginnt er sich zu zerstreuen und verliert seine tragende Mitte. Lassen wir ständig diese freie Assoziation zu, gewinnt unser Geist zwar an Weite, doch er verliert an Tiefe. Die Versenkung im Gebet der Hingabe ist zwar für unseren aktiven Geist recht uninteressant, doch gewinnt er wesentlich an Sub­stanz, wenn wir wieder aus dem Gebet auftauchen.

Ein Kämpfen und Ringen mit sogenannten störenden Gedanken ist dagegen völlig sinnlos, denn im Kämpfen schaffen sie immer neue Gedanken und halten uns somit an der Oberfläche gefangen. Wenn unser Geist im Gebet ganz von selbst Gedanken aus sich entlässt, sollten wir sie an uns unbeachtet vorbeiziehen lassen wie die Wolken weiterziehen, die gerade die Sonne bedecken. Bei guter Absicht und der Bereitschaft zur Hingabe wird der Herr uns unweigerlich Ruhephasen schenken, die in eine ruhevolle Wachheit und ein »beredtes« Schweigen vor Gott übergehen. Er wird unser Herz weiten und fähig machen, mehr Liebe aufzunehmen, um auch anderen mehr Liebe zu schenken. In allem jedoch können wir nichts voraussagen, denn der Herr behält sich vor, wem er welche Gnaden zuströmen lässt.

Dritter SchrittDie Mitte unseres Lebens erfahrbar ­werden lassen und gewandelt werden

Beginnen wir mit dem Ruhegebet, schließen wir die Augen, um alle äußeren visuellen Reize auszuschließen. Bei geschlossenen Augen direkt ins Licht oder gar in eine flackernde Kerze zu schauen, ist nicht ratsam, denn es macht nervös. Wir lernen schrittweise, in der Zeit unseres Betens nichts zu tun, dabei aber auf Gott oder Christus ausgerichtet und wach zu bleiben. Dies geschieht, wenn wir den Namen Jesu oder seinen Namen mit der Bitte um Erbarmen innerlich aussprechen, ohne dabei die Zunge und die Lippen zu bewegen.

Im vierten Kapitel der Apostelgeschichte werden Petrus und Johannes nach der Heilung des Lahmgeborenen vor den Hohen Rat gebracht und gefragt: Mit welcher Kraft oder in wessen Namen habt ihr das getan? Und da sagt ­Petrus: Im Namen Jesu Christi von Nazaret … In keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen (Apostelgeschichte 4,7 b.12). Im Namen Jesu ist Heil! Darum rufen auch wir im Gebet der Hingabe seinen Namen an und wiederholen ihn sanft und langsam:

Herr Jesus ChristusJesus Christus Herr JesusJesus, du ChristosAdonaiJesus

Eine andere ebenso alt tradierte Anrufung besteht im Namen Jesu, der mit einer Bitte um Erbarmen in Verbindung gebracht wird – so, wie im Evangelium der blinde Bettler Bartimäus ruft: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! (Markus 10,47)

Jesus Christus, erbarme dich meinerJesus Christus, erbarme dich unserHerr, erbarme dich meinerHerr, erbarme dich unserChristus, erbarme dichHerr, erbarme dichChriste eleisonJesus ChristusKyrie eleisonJesus, HerrHerr JesusMaranathaImmanuelAbba

Wir sollten von uns aus keine anderen Gebetsworte wählen, sondern nur die von den Wüstenvätern vorgegebenen. Man wählt sich einmal und für immer ein Wort, das man dann auch nicht mehr austauscht gegen ein anderes – selbst wenn es ein vorgegebenes ist. Auch laut aussprechen sollte man es nicht mehr, weil es sich mehr und mehr in unsere Innerlichkeit vertieft und in unserer Seele verwurzelt. Wenn man grob mit dem einmal gewählten Gebetswort umgeht, laufen wir Gefahr, seine heilende Wirkung zu zerstören. Betrachten wir es daher als unser persönliches ­Geheimnis, das niemanden außer uns etwas angeht.

Lassen wir ohne jegliche Vorstellung von Jesus Christus im Ruhegebet seinen Namen oder die mit seinem Namen verbundene Bitte um Erbarmen tief in uns eindringen wie ein Samenkorn, das, um zu wachsen, selbst stirbt, um mannigfaltige Frucht zu bringen. Das, was im Verborgenen geschieht, ist für uns unfassbar: sterben um zu leben, nicht aktiv sein, um aktiv sein zu können, nicht zu denken, um klarer und kreativer denken zu können. Auf guten Boden ist der Same bei dem gesät, der das Wort Gottes hört und es auch versteht; er bringt dann Frucht, hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach (Matthäus 13,23).

Kommen während unseres Betens Vorstellungen und Bilder – ganz gleich welcher Art –, so lassen wir sie, wie die bereits erwähnten Wolken vor der Sonne, einfach an uns vorüberziehen ohne sie festzuhalten oder in sie einzusteigen. Wenn der Herr uns etwas Wichtiges sagen oder gar sich uns zeigen möchte, wird er es in unserem aktiven Wachzustand tun oder, wenn es sich bereits im Gebet der Hingabe vollzogen hat, dann nochmals tun – dessen dürfen wir ganz gewiss sein.

Wir müssen sehr vorsichtig sein mit dem, was sich während des Gebetes ereignet, denn jedes Bild kann wegen des reinigenden Charakters auch ein Trugbild sein, und jeder noch so leuchtende Gedanke kann ein irreführender sein. Die Wahrheit, die wir nicht immer sofort erkennen können, wird sich außerhalb unseres Betens erneut offenbaren, sodass wir entsprechend und richtig handeln können. Das größte Opfer, das wir Gott darbringen können, sind wir selbst. Daher sollten wir uns im Ruhegebet nicht um uns selbst kümmern und bemühen, sondern geschehen lassen, was geschehen möchte.

Es kann nicht oft genug gesagt und betont werden: Im Gebet der Hingabe sind wir von uns aus nicht aktiv, sondern werden zu Empfangenden der Gnade und der Liebe Gottes – das sanfte Wiederholen des Gebetswortes ausgenommen. Jegliche Anstrengung, Vorstellung oder Erwartung ist hier fehl am Platz und schiebt sich wie ein hemmender oder spaltender Keil zwischen die uns entgegenkommende Gnade Gottes und den Ort des Himmels in uns: unser Herz.

Die Wüstenväter, bei denen das Ruhegebet oder Hesychastische Gebet entstanden ist, sahen einzig und allein in Jesus Christus ihren Lehrmeister. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus (Matthäus 23,10). Viele Geheimnisse, die der Herr hätte offenbaren können, tat er nicht kund, weil die Menschen ihn dann noch mehr missverstanden hätten. Er vertraute darauf, dass alle, die ihm wahrhaft nachfolgen, zur rechten Zeit das rechte Wissen erhalten. Alle Menschen, die das Ruhegebet regelmäßig beten, berichten davon, dass sie tiefer in die Geheimnisse der Heiligen Schrift und des Lebens eingeführt wurden und werden.

Maßgeblich für ihr asketisches Leben und ihr Gebet war für die Wüstenväter das Gebet Jesu. Das Wenige, was die Evangelisten darüber sagen, reichte für sie bereits aus, um das Gebet der Hingabe danach zu gestalten. Ein weiteres Vorbild für die Gebetskultur der Wüstenväter waren die Menschen aus dem Neuen Testament, die durch ihre Bitte um Erbarmen für sich selbst und andere bei ­Jesus Heil und Heiligung suchten. Aus dem Alten Testament, vornehmlich aus den Psalmen, war den Wüstenvätern bekannt, welche Macht der Name Gottes in sich birgt und dass Gott sich durch Jesus den Menschen offenbart. Das lebendige Wort, das seit ewigen Zeiten beim Vater weilt und das Gott spricht, ist Jesus Christus. Im Hingabegebet, das sich am Beten Jesu orientiert, kann zur Anrufung des göttlichen Namens noch die Bitte um Erbarmen kommen.

»Und noch immer beseitigt der Name Jesu bei den Menschen Zerrüttung des Verstandes und Besessenheit und heilt Krankheiten; ebenso flößt er eine wunderbare Sanftmut, Bescheidenheit, Menschenfreundlichkeit, Güte und Friedensliebe denen ein, die nicht um weltlicher Vorteile willen oder aus gewissen menschlichen Rücksichten Glauben nur heucheln, sondern vielmehr aus voller Überzeugung die Lehre von Gott und von Christus annehmen«, schreibt Origenes (185–254) in seinem Werk »Gegen ­Celsus«.

Wenn wir uns zum Ruhegebet für zwanzig Minuten an einen ruhigen Ort zurückziehen, treiben wir keinen Aufwand. Wir setzen uns, schließen die Augen und spüren vielleicht zu Beginn schon ein wenig Ruhe. Ohne uns anzustrengen oder uns zu konzentrieren, nehmen wir innerlich unser Gebetswort auf und wiederholen es ganz einfach und sanft. Da wir unser Wort nicht festhalten, wird es, von uns unbemerkt, nach kurzer Zeit verschwinden. Es kann nicht lange dauern, dann spüren wir, dass wir uns in Gedanken befinden, Bilder auftauchen, Gefühle uns tragen oder beschweren – kurz gesagt: Andere Elemente haben unser Gebetswort hinweg gespült. Ohne in die ganz von selbst aufkommenden Gedanken, Bilder oder Gefühle einzusteigen, kehren wir einfach und leicht zu unserem Gebetswort zurück.