Ruhegebet - Peter Dyckhoff - E-Book

Ruhegebet E-Book

Peter Dyckhoff

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Beschreibung

Viele Menschen erleben das Ruhegebet als Quelle der Gelassenheit und Weg zur Gottesbegegnung. Doch was, wenn im Gebet Irritationen aufkommen? Wie beginnt man das Ruhegebet am besten, was gilt es zu beachten? Nicht wenige Beter sind sich noch unsicher und wissen nicht, wer ihnen kompetent Auskunft geben kann. Peter Dyckhoffs Anliegen ist es, diesen Menschen einen Zugang zu diesem Gebetsschatz zu erschließen. Er beantwortet viele der Fragen, die ihm in seiner fünfzigjährigen Zeit der intensiven Beschäftigung mit dem Ruhegebet erreicht haben, und schöpft aus seiner reichen Erfahrung als Gebetslehrer. Kurze Fragen beantwortet er tiefgehend, aber prägnant – für Anfänger und Fortgeschrittene ein Gewinn!

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Die Bibeltexte sind entnommen aus:

Die Bibel. Die Heilige Schrift

des Alten und Neuen Bundes

Vollständige deutsche Ausgabe

© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN E-Book 978-3-451-82239-1

ISBN Print 978-3-451-38486-8

Inhalt

Vorwort

Erster Teil:Hinführung zum Ruhegebet

1.Das Ruhegebet: ein christlicher Weg

Bedeutung des Ruhegebetes

Das Ruhegebet als grundlegendes Gebet

Das Ruhegebet für jeden?

Das Ruhegebet – ein christliches Gebet

2.Lebensaktivität durch Ruhe

Alleinsein als reinigende Kraft

Über Erfahrungen schweigen

Interesse wecken

Körperliche Übungen

Armut des Geistes

Einfluss auf körperliche Bedürfnisse

3.Voraussetzungen

Aufwand für ein einfaches Gebet

Wege zur Zielerreichung

Selbsterkenntnis

Zeitlicher Aufwand

Einhalten der Gebetszeit

Zweimal zwanzig Minuten täglich

Himmelsrichtung und Ort des Betens

Kinder und das Ruhegebet

Das Ruhegebet beim Autofahren

4.Abgrenzung von anderen Gebetsweisen

Ruhegebet und Meditation

Kombination mit anderen Gebetsweisen?

Jesusgebet und Ruhegebet

Gebetsgruppe »Herzensgebet«

Weder Methode noch Technik

Konversion und Rosenkranz

Ruhegebet oder Rosenkranz

Ruhegebet oder Stoßgebet

Spontanes Beten

Andere Glaubensrichtungen

Einfluss auf das Ruhegebet

Autogenes Training

Das Ruhegebet und der Zen-Buddhismus

Krija-Yoga und Ruhegebet

Beten für andere

Stellvertretend beten

Fürbittgebet

5.Psychologie der Wüstenväter

Die Wüstenväter als Tradenten

Überfülle an Angeboten

Bekanntheit des Ruhegebetes

Verbreitung des Ruhegebetes

Das Ruhegebet – im Westen kaum bekannt

Anteil für alle

Sich befreit fühlen

Eigene Akzente im Ruhegebet

6.Krankheiten

Früherkennung

Vom Ruhegebet ausgeschlossen

Das Ruhegebet aussetzen

Gedanken an Krebs

Kopfschmerzen im Ruhegebet

Hoher Blutdruck

Schwere Form von Erschöpfung

Depressive Schübe

Depressionen

Das Ruhegebet bei Herzbeschwerden

Das Ruhegebet nach einem Schlaganfall

Epilepsie und Ruhegebet

Das Ruhegebet und Tinnitus

Einsicht in eigenes Tun

7.Zweifel und Kritik

Zweifel am Ruhegebet

Im Wettbewerb stehen

Flucht vor der Wirklichkeit?

Ruhegebet ohne Ergebnisse

Falsche Erwartungen

Erhoffte Wirkungen bleiben aus

Negative Gefühle

Angst vor Selbsthypnose

Theorie und Praxis

Aufwand für unser Ich

Überfrachtung

Loslassen statt Kontrolle

Erfahrungen mancher Beter

Gefühlskälte

Furcht vor Manipulation

»Abneigung« und »Heiligkeit«

Gefühle gegen Gott

8.Kurse zur Einübung

Notwendigkeit eines Einübungskursus

Teilnahme an einem Einübungskursus

Lehrende des Ruhegebetes

Geistliche Begleitung

Weg-Weisungen

Persönliches Gespräch

Fragebogen

Zahl der Kursteilnehmer

Austausch von Erfahrungen

Weitere Fortschritte

Zweiter Teil:Praxis des Ruhegebetes

1.Bereitung zum Ruhegebet

Zeit vor dem Ruhegebet

Aktivitäten vor dem Beten

Vorbereitungen

Geistliche Texte als Vorbereitung

Praktische Hinweise

Warnhinweise

Körperhaltung

Das Ruhegebet im Sitzen beten

Haltung der Hände während des Ruhegebetes

Auswahl des Gebetswortes

Stille

Enthaltung von Speisen und Getränken

Ort des Betens

Bestimmte Tageszeit

Verlängerte Gebetszeit

Innere oder biologische Uhr

Das Ruhegebet beenden

2.Konzentration und Betrachtung

»Ringen« um das Ruhegebet

Leichtigkeit des Ruhegebetes

Ruhegebet oder Betrachtung

Ruhegebet, Bibellesung und Betrachtung

Konzentration vermeiden

Meditative Musik

Atmung und Konzentration

3.Hingabe – das Ruhegebet

Das Ruhegebet ist Hingabe

Verkopfung erkennen und vermeiden

Anbetung und Ruhegebet

Hingabe im Ruhegebet

Vertrautes losgelassen

Hohe Erwartungen

Aufgeben von Erwartungen

Geduld haben

Eigene Worte im Ruhegebet

Armut des Geistes

4.Befreiung von Hindernissen

Reinigender Charakter des Ruhegebetes

Befreiung von schwerer Last

Belastungen und Überspannungen

Störungen im Ruhegebet

Gegner des Gebetes

Alte Gefühle kommen hoch

Befreiung von Unruhe

Körperliche Unruhe

Schlaf während des Ruhegebetes

Gleicht ein Ruhegebet dem anderen?

Kann durch das Ruhegebet ein vorgestellter Glaube aufbrechen?

5.Rechter Gebrauch des Gebetswortes

Wahl und rechter Gebrauch des Gebetswortes

Die eigentliche Aufgabe des Gebetswortes

Gebetswort nicht wechseln und nichtaussprechen

Wiederholung des Gebetswortes

Das Gebetswort in der heiligen Messe

Gebetswort in der Liturgie

Umgang mit dem Gebetswort

Kostbarkeit des Gebetswortes

Geheimnis um das Gebetswort

Die Wiederholung des Gebetswortes: Magie?

Loslassen des Atemrhythmus

Das Ruhegebet auf verschiedene Weise beten

Gebetswort im Alltag

Das Ruhegebet in schwierigen Situationen

Mehrere Gebetsworte

Wechsel des Gebetswortes

Präsenz des Gebetswortes

Melodie des Gebetswortes

6.Umgang mit Gedanken

Aufkommende Gedanken

Ungewolltes Weiterdenken

Gedanken während des Ruhegebetes

Störende Gedanken

Ablenkungen

Rückkehr zum Ruhegebet

Verdrängen von Gedanken

7.Falsche Anwendung

Unregelmäßigkeit beim Beten

Nachlässigkeit und Überziehen der Gebetszeit

Übertreiben

Ruhegebet und Zeit für die Familie

Gebetshaltung

Kaffee als Aufputschmittel

Das Ruhegebet im Schnellverfahren

Häufigkeit des Betens

Zurückhaltung bei anderen

Dritter Teil:Auswirkungen des Ruhegebetes

1.Körperliche, psychische und religiöse Auswirkungen

Allgemeine Auswirkungen

Individuelle Auswirkungen

Erfahrungen

Auswirkungen auf andere Menschen

Sind Auswirkungen des Ruhegebetes vorherzusagen?

Kann ich dem Eifer für das Ruhegebet freien Lauf lassen?

Folgen von zusätzlicher Gebetszeit

Schlaf im Ruhegebet

Veränderung des Essverhaltens

Schwangerschaft

Negative Begleiterscheinungen

Einfluss von Literatur und Fernsehen

Raum- und Zeitgefühl verändern sich

Religiöse Auswirkungen

Tiefer Glaube befreit

2.Erfüllung im Ruhegebet

Rechte Gebetserfahrungen

Ausbleiben der Auswirkungen

Präsent sein

Ungenutztes Potenzial

Zustand der Stille

Liebe als Frucht des Ruhegebetes

Reifen durch das Ruhegebet

Freundschaft ermöglichen

Gemeinsames Beten

Vorteile gemeinsamen Betens

3.Vertiefung im Glauben

Gründe, das Ruhegebet zu beten

Das Beten Jesu und das Ruhegebet

Dein Wille geschehe

Verstehen der Heiligen Schrift

Soll man den Wünschen nachgeben, die das Ruhegebet auslöst?

Bezug zur Realität

Freundschaft pflegen

Tiefenwirkung

Wandlung in der heiligen Messe

Ende des Ruhegebetes

4.Ruhe und göttliche Ruhe

Unterschied zwischen Ruhe und göttlicher Ruhe

Innerer Aufbruch

Aus dem Gebet gewonnene Ruhe

Religiosität

Beten ohne Unterlass

Ruhegebet ohne Gedanken

5.Das Ziel: Einssein mit Gott

Geschenk durch das Ruhegebet

Ziel des Ruhegebetes

Ein Kreuzzeichen als Dank nach dem Ruhegebet

Untrennbar mit Gott verbunden

Gottesbewusstsein

Literatur

Bildnachweis

Vorwort

Wer einen geistlichen Begleiter gefunden hat, darf sich sehr glücklich schätzen. Wenn dieser dann auch noch die Erfahrung im Ruhegebet und das Wissen um das Ruhegebet mitbringt, nach dem man eventuell lange gesucht hat, sollte man dies als besonderes Zeichen werten.

Die individuelle Seelsorge ist heute leider selten geworden, da es vielen Geistlichen an Zeit fehlt, um sich über einen längeren Zeitraum mit einem Gott Suchenden oder einer kleinen Gruppe zu befassen. Mag man denn noch gern zu jemandem gehen, der während des einstündigen Gespräches unter Zeitdruck steht? Eine pastorale Begleitung geht bis auf die Anfänge der Kirche zurück und war und ist in jeder Zeit ein notwendiges und vorrangiges Bedürfnis.

Da ich den Wünschen vieler Menschen, sie mit dem Ruhegebet vertraut zu machen und dann als persönlicher geistlicher Begleiter für sie da zu sein, nicht mehr allein nachkommen konnte, entschloss ich mich, Lehrende für das Ruhegebet auszubilden. Es sind Priester, weibliche und männliche Ordensleute, Diakone, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, Lehrer und Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen. Die Erfahrung lehrt leider, dass gerade Priester, die das Ruhegebet lehren – obwohl sie es von ihrem Herzen her gern möchten –, aus zeitlichen Gründen kaum Vorträge zum Ruhegebet halten und die entsprechenden Kurse leiten können. Ein Kursus zur Einübung in das Ruhegebet bedarf in jeder Hinsicht einer guten Vorbereitung. Gehört es nicht für uns Christen zu unseren vornehmsten Aufgaben, unser Gebetsleben zu kultivieren und zu vertiefen, um in allen Lebenssituationen das liebende Entgegenkommen Gottes noch intensiver zu erfahren?

Vielen Rat- und Hilfesuchenden steht ein geistlicher Begleiter nicht immer zur Verfügung – besonders dann nicht, wenn man ihn am notwendigsten braucht. Dieses Buch Das Ruhegebet – Fragen und Antworten möchte daher versuchen, soweit es überhaupt möglich ist, an seine Stelle zu treten. Es ist für alle geschrieben, die

•sich für das Ruhegebet interessieren und Näheres zu dieser Gebetsweise erfahren möchten,

•keine langen Texte und Ausführungen lesen, sondern schnell und prägnant ihre spezifische Frage beantwortet haben möchten,

•in Ermangelung eines Lehrenden des Ruhegebetes darauf angewiesen sind, sich das Ruhegebet selbst beizubringen,

•das Ruhegebet beten und Erfahrungen machen, die sie nicht einordnen können,

•Bestätigung oder Korrektur auf ihrem Weg mit dem Ruhegebet suchen,

•ihr Wissen um das Ruhegebet festigen und erweitern möchten,

•aus langjähriger Erfahrung anderer ihr Ruhegebet erneuern und vertiefen wollen,

•gern wissen möchten, wie es anderen mit dem Ruhegebet ergeht und welche Fragen generell gestellt werden.

Seit fünfzig Jahren sammle ich die Erfahrungen, die ich mit mir selbst und mit anderen zum Ruhegebet gemacht habe, schreibe sie auf, schaue sie immer wieder durch und ergänze sie. So konnte ich über einen langen Zeitraum feststellen, welche Fragen am häufigsten gestellt wurden, an welcher Stelle die meisten Schwierigkeiten und Hemmungen auftraten, und immer wieder – an erster Stelle stehend – durfte ich miterleben, welch wunderbare Veränderungen bei den Betenden durch das Ruhegebet auftraten. Das Ruhegebet wurde nach und nach zu meiner Lebensaufgabe.

Dazu gehören auch die vielen Erfahrungen, die die Lehrenden des Ruhegebetes bei sich selbst und mit ihren Kursteilnehmern gemacht haben. Auch diese aktuellen Berichte sind in die Fragen und Antworten in diesem Buch eingeflossen.

Auch ohne Wegweisung durch einen Lehrenden des Ruhegebetes oder durch ein diese Gebetsweise unterstützendes Buch ist der Gott Suchende letztlich selbst in der Lage, einen Weg zu finden, der ihn zu Gott führt. Der Wegweisende – und dies dürfen wir niemals vergessen – ist Christus, der uns durch sein Leben, seine Botschaft, seinen Tod und seine Auferstehung im Neuen und Ewigen Bund die Tore zum Vater immer wieder öffnete und öffnet. Es ist natürlich außerordentlich hilfreich, wenn ein erfahrener geistlicher Begleiter unsere aufkommenden Fragen beantworten und uns vor Irr- und Umwegen bewahren kann. Diese Aufgabe hat in Ermangelung eines ständigen geistlichen Begleiters dieses Buch Das Ruhegebet – Fragen und Antworten übernommen, das somit auch zu einem Begleiter werden möchte.

Die Antworten auf viele Fragen sind sehr individuell und nicht allgemeingültig, sondern eher richtungweisend. Manche Antworten sind und bleiben Fragment und bedürfen daher über das Buch hinaus eines persönlichen Gespräches – auf jeden Fall aber eines tiefen hingebenden Gebetes zum Herrn, der uns in seiner unendlichen Güte und Liebe zur rechten Zeit den Weg weist und Antwort gibt.

Niemand – und das möchte ich nochmals ausführlich betonen – muss mit seinem Gebetsweg, den er gewählt hat, allein bleiben. Über dieses Buch und seine Antworten hinaus wird es immer Menschen geben, die aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Wissens menschliche Hilfe gewähren können. Möge dieses Buch sowohl ein Anstoß als auch ein Anweg sein.

Infolge der oft starken Auswirkungen des Ruhegebetes muss gesagt werden, dass wir es nicht über die empfohlene Zeit von zweimal zwanzig Minuten am Tag ausdehnen sollen. Psychisch labile und schwer kranke Menschen sollten diesen Gebetsweg nur in Abstimmung mit ihrem Arzt und in Begleitung eines im Ruhegebet erfahrenen Lehrers gehen. Dasselbe gilt für Alkoholiker und diejenigen, die von Drogen abhängig sind oder waren. Selbst wenn der behandelnde Arzt seinem Patienten zum Ruhegebet rät, sollte ihm bei jedem Schritt zur Einübung ein geistlicher Begleiter zur Seite stehen. Dieser wird die Gebetszeit anfangs nur auf einige Minuten festsetzen und mit dem Kranken zusammen beten.

Die äußere und die innere Ruhe, die durch das Ruhegebet verstärkt und vertieft werden, bringen Ungutes, das noch in uns ist, ans Licht, das heißt in unser Bewusstsein. Damit dieser Prozess nicht so stark wird, sollten wir uns unbedingt an die in diesem Buch gegebenen Weisungen halten. So wird ein gesunder Ausgleich geschaffen, damit wir während eines so intensiven Vorgangs der inneren Reinigung unsere gesunde Mitte nicht verlieren.

Dieses Buch ist als geistlicher Begleiter von großem Wert, damit wir bei Unsicherheit und aufkommenden Fragen nachschauen können. Auf diese Weise hat der Fragende nicht das Gefühl, alleingelassen zu sein, sondern er fühlt sich in einer Gemeinschaft mit Menschen, die ein gleiches Anliegen haben. Die Antworten sind in der Lage, den Gebetsweg des Ruhegebetes von Grund auf aufzuzeigen, die rechte Vorgehensweise im Ruhegebet zu bestätigen oder den Gebetsweg zu korrigieren. Möge somit dieses Buch zu einem Segen werden für alle, die das Ruhegebet beten möchten, und für alle, die es bereits beten und Fortschritte machen wollen.

Peter Dyckhoff

Erster Teil:Hinführung zum Ruhegebet

1. Das Ruhegebet: ein christlicher Weg

Bedeutung des Ruhegebetes

Warum ist das Ruhegebet für viele Menschen heute so wichtig?

Das Ruhegebet ist eine Gebetsweise, die den ganzen Menschen anspricht, seine Persönlichkeit entfaltet und den Glauben vertieft. Dieser Weg ist daher heute wichtiger denn je.

•Momente des Wohlbefindens und der wahren geistlichen Freude finden sich bei vielen Menschen selten.

•Es besteht eine große Sehnsucht nach echter Ursprünglichkeit und Natürlichkeit.

•Der Körper macht Anspannungen und Leiden sichtbar. Er spiegelt unverarbeitete innere Vorgänge, Erfahrungen und Gefühle in mannigfaltiger Weise wider.

•Seelische Belastungen drücken sich in körperlichen Spannungen aus, die auch das Gefühlsspektrum eingrenzen.

•Viele Menschen verbringen ihr Leben, ohne zu beten. Oft macht das Leiden sie erst reif dazu, ihr wahres Wesen wirklich zu spüren und die Notwendigkeit des Betens zu erkennen.

•Verkrampfungen oder ein Sich-Gehenlassen stehen der individuellen Selbstverwirklichung und dem persönlichen Beten im Weg.

•Die Sehnsucht nach Glaubenserfahrung und -vertiefung ist überaus groß – selbst wenn sie von den meisten Menschen nicht erkannt oder zugegeben wird.

Der Ruhelosigkeit unserer Zeit wird mit dem Ruhegebet die Methode des in vielen Jahrhunderten des Christentums bewährten Weges in das innere Ruhen entgegengesetzt. Die äußere Lebensaktivität wird täglich zweimal in einem Ruhepunkt aufgefangen. Das Gebet der Ruhe führt allmählich zur andauernden tiefen inneren Ruhe, die in Gott gegründet ist. Für sehr viele Menschen ist das Ruhegebet heute bereits unverzichtbar geworden. Man erfährt in der Öffentlichkeit allerdings nicht viel darüber, weil das Ruhegebet im Verborgenen, »hinter verschlossenen Türen«, gebetet und absichtlich nicht viel darüber gesprochen wird. Das Ruhegebet kommt der Sehnsucht nach Ganzheit entgegen, nach Integration von Geist, Seele und Körper, nach Erkenntnis und Bewältigung des dunklen Schattens im Menschen. Durch das Ruhegebet findet der Betende zunächst einmal zu sich selbst und wird damit auch durchlässig für den Geist Christi.

Das Ruhegebet als grundlegendes Gebet

Ich habe viel über das Ruhegebet gelesen und mich mit ihm auseinandergesetzt. Doch würde ich gern – kurz zusammengefasst – erfahren, was das Ruhegebet so wesentlich macht.

Diese einfache Gebetsweise, das Ruhegebet, trägt wesentlich dazu bei, Körper, Geist und Seele zu kultivieren, das heißt, uns von allem zu befreien, was nicht zu uns gehört, und uns Gott näherzubringen. Anstatt uns in dem Vielerlei der Oberfläche zu verlieren, erfahren wir durch Sammlung tiefere Dimensionen des Seins und eine Beständigkeit des Herzens. Vor diesem Aufbruch in ungeahnte Tiefen der Schöpfung schrecken viele Menschen zurück, weil ihnen Hingabebereitschaft und Gottvertrauen fehlen. Es kommt noch hinzu, dass viele der Ansicht sind, das Gottesreich würde sich uns ohne Leistung und Anstrengung nicht offenbaren. Dabei geschieht dies einzig und allein durch liebende Hingabe. Das Ruhegebet bereitet uns dazu den Weg, dass wir zu Empfangenden der Liebe Gottes werden. Grundvoraussetzung dafür, dass wir auf den Anwegen richtig Fuß fassen und auf ihnen beständig weiter zu unserem Ziel gehen können, ist das Eingebundensein in eine unseren körperlichen und geistigen Fähigkeiten entsprechende sinngebende Arbeit.

Hierdurch ergibt sich ein Wechsel zwischen Ruhe und Aktivität, wie wir ihn als zugrunde liegende Ordnung in der gesamten Schöpfung erleben. Gebet und Arbeit helfen, Belastungen und Sorgen abzubauen und eine größere Stabilität wachsen zu lassen. Der Betende, der mit der Lehre und einfachen Praxis des Ruhegebetes vertraut ist, macht die wesentliche Erfahrung: Dieser Gebetsweg unterscheidet sich grundlegend von allen anderen Gebetsformen und Betrachtungsweisen. Im Ruhegebet werden keine biblischen Texte bedacht; theologisches Wissen ist nicht erforderlich. Es dient nicht der unmittelbaren Wissensgewinnung, sondern führt ohne Leistung, ohne Konzentration und bildhafte Vorstellungen auf dem Weg der Erfahrung nicht nur in einen Bereich tiefer Ruhe, sondern in die göttliche Ruhe, die der Herr am siebten Schöpfungstag allem Geschaffenen eingepflanzt hat. Das Ruhegebet ist ein einfaches und müheloses Gebet, das zum Wesentlichen des Lebens führt, zur wirklichen, unerschöpflichen Kraftquelle. Es ist ein Mittel, die Reinheit des Herzens und der Seele zu erlangen. Durch die Praxis des Ruhegebetes richtet sich der Geist ganz auf Gott aus, damit er sich uns ganz schenken kann.

Das Ruhegebet für jeden?

Ich habe das Gefühl, dass das Ruhegebet nicht für alle Menschen das Richtige ist. Hätten sonst die Wüstenväter eine so strenge Auswahl getroffen? Nach welchen Kriterien erfolgt heute die Auswahl?

Es gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Menschen, sich zu entwickeln und sich zu entfalten, um somit größere Gottesnähe und Liebe zu erfahren. Das, was wir sein könnten und sollten, werden wir nicht von selbst: Wir müssen lernen, üben, Erfahrungen sammeln und verarbeiten. Vor allem jedoch sollten wir dem Schöpfer einen Teil unserer Zeit zurückschenken, damit er uns mit seiner Gnade erfüllen kann. Das Ruhegebet spricht den ganzen Menschen an und verwandelt ihn dahin, dass er sich mehr und mehr der erbarmenden Liebe Gottes öffnet. Gerade diejenigen, die von sich sagen, nicht beten zu können oder die Freude am Beten verloren haben, werden durch erste Erfahrungen mit dem Ruhegebet ermutigt, ihr Gebetsleben neu zu beginnen. Diese Art zu beten hat wunderbare Auswirkungen auf das eigene Leben, auf Körper, Geist und Seele, und auf das Leben anderer Menschen und auf die gesamte Schöpfung.

•Das Ruhegebet kann von allen Christen bedenkenlos praktiziert werden – unabhängig vom Alter oder der Konfession.

•Wer jedoch unter hohem Blutdruck, Herzbeschwerden, Atemproblemen, Netzhautablösungen oder Rückenschmerzen leidet, wer ein Kind erwartet, sich gerade von einer Operation erholt oder unter einer chronischen Krankheit leidet, sollte unbedingt vorher einen Arzt fragen.

•Psychisch labile und kranke Menschen sollten diesen Weg allerdings nur in Abstimmung mit ihrem Arzt und dann in Begleitung eines erfahrenen Geistlichen gehen. Dasselbe gilt für Alkoholiker und diejenigen, die von Drogen abhängig sind oder waren.

•Die Einübung in das Ruhegebet ist ein christlicher Weg für alle, die über die Begrenztheit im Alltag hinaus wollen, um von der wirklichen, unerschöpflichen Kraftquelle zu erfahren – unabhängig vom Beruf, dem persönlichen Lebensweg und theologischem Wissen.

•Das tiefste Anliegen des Ruhegebetes besteht darin, dass der Betende in allem und durch alles eine Begegnung mit dem Schöpfer erfährt, dem Urgrund allen Seins, mit Gott, der die Liebe ist.

Das Ruhegebet – ein christliches Gebet

Was unterscheidet das Ruhegebet von ähnlichen Gebetsweisen anderer Religionen?

Das Ruhegebet unterscheidet sich von ähnlichen Gebetsweisen anderer Religionen und Kulturen dadurch, dass es von seinen Wurzeln her ein christliches Gebet ist. Im Buddhismus und im Hinduismus, in denen es sogenannte mantrische Gebetsweisen gibt, wie auch in anderen Religionen kommt Jesus Christus nicht vor. Von allen Weltreligionen ist das Christentum die einzige Religion, in der Jesus Christus Mensch wird – in allem uns gleich außer der Sünde. Und dieser Sohn Gottes, Jesus Christus, wird im Ruhegebet angerufen oder es erfolgt zusammen mit seinem Namen eine allgemeine Bitte um Erbarmen. Diese einfache Gebetsweise, die hesychastisches Beten genannt wird, wurde im vierten Jahrhundert von Makarios dem Großen und Evagrius Pontikus entwickelt und später von Johannes Cassian verfeinert und aufgeschrieben.

Das Ruhegebet ist keine Gebetstechnik, sondern es beinhaltet eine ausdrückliche persönliche Beziehung zu Gott und einen bewussten Glauben an die Menschwerdung Jesu Christi. Das Ziel dieses Gebetes besteht nicht darin, alle Gedanken aufzuheben und die Seele in ein bodenloses Nichts fallen zu lassen, sondern der Sehnsucht der Seele zu folgen, von Gott berührt und eins mit ihm zu werden. Das Ruhegebet ist daher auf eine unmittelbare Begegnung ausgerichtet, auf das Du Gottes. Es setzt ein Bekenntnis des Glaubens an dieses Du als den eingeborenen Sohn Gottes voraus, der in Wahrheit zugleich göttlich und ganz und gar menschlich ist, an Gott, der in Jesus Christus zu unserem Erlöser und Heiland geworden ist.

Die Erniedrigung und Erhöhung Christi beschreibt der Philipperbrief mit wunderbaren Worten des Glaubens: Der in der Daseinsweise Gottes war, hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich selbst, nahm Sklavendasein an und wurde den Menschen gleich. Im Äußeren erfunden als Mensch, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, auf dass im Namen Jesu sich jedes Knie beuge im Himmel, auf der Erde und unter der Erde und jede Zunge bekennt: Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes, des Vaters (Philipperbrief 2,5–11).

2. Lebensaktivität durch Ruhe

Alleinsein als reinigende Kraft

Stimmt es, dass ein Rückzug in die Stille oder ein Vertiefungskursus die guten Auswirkungen des Ruhegebetes unterstützt und beschleunigt?

Für ein paar Stunden oder gar Tage in die Einsamkeit zu gehen, unterstützt die guten Auswirkungen des Ruhegebetes. Gerade in der Zurückgezogenheit wird uns Einblick gegeben in tiefere Zusammenhänge, sodass sich der Grund manchen Tuns offenbart und sich der Sinn von vielem, was uns bisher verschlossen war, erschließt. Auch göttliche Geheimnisse offenbaren sich gern in der äußeren Stille und in der Stille unseres Herzens. Aber auch Unstimmigkeiten, eigene Schwächen und Fehler werden uns in der Einsamkeit stärker bewusst. Sie gleichen ungezügelten Pferden, die, durch die Ruhe angeregt, aus ihren auferlegten Schranken hervorbrechen. Die äußere Ruhe und die innere Ruhe, die durch das Gebet verstärkt und vertieft werden, bringen Ungutes, das noch in uns ist, ans Licht. Damit dieser Prozess nicht zu stark wird, sollte uns ein geistlicher Begleiter zur Seite stehen. Er wird gegebenenfalls unsere Gebetszeit reduzieren und uns zu mehr Tätigkeit anregen. Es wird ein gesunder Ausgleich geschaffen, damit wir während eines so intensiven Vorgangs der inneren Reinigung unsere gesunde Mitte nicht verlieren.

Besuchen wir für einige Tage einen Vertiefungskursus, müssen wir damit rechnen, dass – wie die Wüstenväter sagen – »giftige Schlangen und wilde Tiere« sich in unserem Inneren bemerkbar machen. Im Umgang mit anderen Menschen machen wir leicht diese für unser Unwohlsein verantwortlich. Im Alleinsein richten sich dann unsere Aggressoren gegen bestimmte Dinge. Ein Mönch erinnert sich an die Zeit, als er in der Einsamkeit lebte: »In mir kam damals gegen die Schreibfeder, deren Dicke oder Dünne mir missfiel, eine starke Regung des Unwillens auf. Ich hätte sie vor Wut am liebsten zerbrochen. Ein anderes Mal war es das Messer, das mich zur Weißglut brachte, denn seine Schneide war – wie ich meinte – zu stumpf. Auch der Feuerstein erregte meinen Zorn, wenn es mir nicht gelang, den Funken überspringen zu lassen. Ich verwünschte dann all diese Dinge und war wütend auf sie. Nicht selten machte ich sogar dunkle und teuflische Kräfte für meinen Missmut verantwortlich.« Es ist gut, wenn uns innewohnende negative Kräfte verlassen; doch sollten wir diesen Vorgang so steuern, dass kein anderer Mensch, aber auch kein Tier, unter unserem Unmut leidet, weil wir die Ursache auf den anderen projizieren.

Über Erfahrungen schweigen

Ich habe des Öfteren in der Literatur zum Ruhegebet gelesen, dass man über seine Gebetserfahrungen möglichst nicht sprechen sollte. Doch das Herz ist davon voll. Warum wird das Schweigen empfohlen?

Es gibt Menschen, die müssen über jede Erfahrung, die sie gemacht haben, sofort mit jemandem sprechen. Allzu oft nur drängen sie sich dabei anderen auf und ernten auf die Dauer Ablehnung. Andere hingegen – und das sind die Klügeren – behalten erst einmal alles für sich und berichten erst von ihren Erfahrungen, wenn sie danach gefragt werden. Oft dauert es lange, ein Gefragter zu sein. Wenn wir jedoch die stille Zeit vorher – trotz Zweifelns an uns selbst und trotz des Einsamseins – ausgehalten und überstanden haben, werden wir umso mehr Freude und Dankbarkeit empfinden, wenn andere gespannt auf eine Antwort von uns warten. Ein wahrhaft Betender drängt sich niemandem auf, sondern erkennt den rechten Zeitpunkt, um dann aus seinem Herzen die Wahrheit zu reden. So sollte es mit den Erfahrungen des Ruhegebetes sein wie auch mit dem Wissen, das jemand durch seinen Lehrer oder durch Lektüre erworben hat. Es ist nur allzu gut verstehbar, dass wir gern das, was uns zur Befreiung hilft und immer neu zu Gutem bewegt, auch anderen mitteilen möchten. Doch vorerst ist Zurückhaltung geboten, denn wir könnten durch unseren voreiligen Enthusiasmus abstoßend wirken oder gar Erwartungen schüren, die dann von jemand anderem nicht erreicht werden.

Es ist also ratsam, vorerst mit den guten Ergebnissen des Ruhegebetes zurückhaltend zu sein und sich niemandem aufzudrängen – besonders, wenn wir nicht gefragt sind. Ausgenommen davon ist selbstverständlich unser geistlicher Begleiter oder ein Gott naher Mensch, zu dem wir Vertrauen haben. Es wird eine Zeit kommen, in der man uns fragt, was bei uns die auffallend positiven Veränderungen bewirkt hat. Wir sollten dann klar, aber kurz antworten und den anderen nicht mit zu vielen Worten überhäufen. Je mehr wir unser Geheimnis für uns behalten, umso größer ist die Wirkkraft nach außen.

Ein Mönch, der Gottes Nähe und Liebe ausstrahlte und zu dem viele Menschen kamen, um seinen Segen und Hilfe zu erbitten, sagte, nachdem er gefragt wurde, warum er immer so schweigsam sei: »Ehe ich ein Wort an die Menschen richte, richte ich zuvor hundert an Gott!«

Interesse wecken

Mehreren Bekannten von mir habe ich – da ich so begeistert vom Ruhegebet bin – das Buch »Ruhegebet« und das DVD‑Set geschenkt. Die Rückmeldung war durchaus positiv – beides sei sehr interessant, so hieß es. Aber niemand sagt etwas darüber, ob er das Ruhegebet auch praktizieren wolle. Soll ich konkret nachfragen?

Wenn Sie gute Erfahrungen mit dem Ruhegebet gemacht haben, ist es verständlich, dass Sie diese gern mit anderen Menschen teilen möchten, besonders mit denen, die Ihnen am Herzen liegen. Sie zu beschenken mit Literatur zum Ruhegebet und DVDs, ist nicht der richtige Weg. Damit drängen Sie sich zu sehr auf und erzeugen bei allen eine zu große Erwartungshaltung. Fragen Sie also nicht nach und warten es auch nicht ab, bis sich jemand bei Ihnen meldet. Gehen Sie einen ganz anderen Weg, der mit Zurückhaltung zu tun hat, aber eine tiefgreifende Wirkung hat. Er beruht auf der Tatsache, dass das Wesentliche von selbst geschieht und wir nicht einmal die Weichen stellen oder Vorsorge treffen müssen. Gerade vonseiten der Verwandten oder Bekannten bestehen häufig Vorurteile gegenüber dem, was wir tun und für Heil bringend halten. Daher heißt es: Bei Familienangehörigen sehr behutsam und eher zurückhaltend mit dem Ruhegebet umgehen.

Wenn wir möglichst unauffällig und unaufdringlich, aber konstant das Ruhegebet beten, so hat es die beste Wirkung auf andere. Je mehr man ungefragt darüber redet, umso mehr entfernt man den anderen von dem, was wir ihm eigentlich nahebringen möchten. Die Wandlung zum Besseren, die unser Ruhegebet in Gang setzt, hat auf unsere Umwelt eine weitaus größere Wirkung als alle Worte und Bücher zusammen. Es ist also das eigene Beispiel, das überzeugt. Reden Sie also erst dann vom Ruhegebet, wenn Sie danach gefragt werden. Antworten Sie kurz und eindeutig, ohne aufdringlich zu sein. Dabei ist sehr wichtig, Folgendes zu bedenken und zu beachten: Reden Sie so vom Ruhegebet, dass Sie Ihr eigenes »Geheimnis« – das Gebetswort und Ihre guten Erfahrungen – nicht preisgeben. Es könnte Ihnen unter Umständen sehr wehtun, wenn der Zuhörer mit Dingen, die Ihnen kostbar sind, fahrlässig oder oberflächlich umgeht. Bleiben Sie in allem, was das Ruhegebet betrifft, sehr zurückhaltend und verweisen einen Familienangehörigen oder Bekannten auf einen Lehrenden des Ruhegebetes und die entsprechenden Kurse, die unter www.ruhegebet.de angeboten werden. Halten Sie sich selbst zurück!

Körperliche Übungen

Vor dem gemeinsamen Ruhegebet im Einübungskursus führte uns der Lehrende mit einer wohltuenden Übung durch unseren Körper – von den Füßen bis zum Scheiteldach. Kann ich diese Übung auch zu Hause wiederholen?

Es gibt viele wohltuende körperliche Übungen, die meistens mit einer bewussten Atemübung beginnen. Bestimmte Bewegungsabläufe führen zu einer größeren Ausgewogenheit, die nicht nur den Körper, sondern auch die Seele ansprechen. Diese eher sanften Übungen, die nicht unmittelbar zur Einübung in das Ruhegebet gehören, können sowohl vor dem Ruhegebet als auch nachher ausgeführt werden. Sie dürfen allerdings nicht zu einer Anstrengung werden. Auch hier, wie beim Ruhegebet, darf es nicht um Leistung gehen. Um in die Ausgewogenheit von Körper, Geist und Seele zu kommen oder in ihr zu bleiben, sollte nichts übertrieben werden. Im Essen und Trinken Maß zu halten, auf einer nicht zu weichen Unterlage zu schlafen, das sexuelle Leben angemessen zu gestalten und viele weitere ausgewogene Verhaltensweisen dienen dazu, die kostbaren Gaben Gottes zu kultivieren und zu pflegen. Jede gute und angemessene Verhaltensweise unterstützt den geistlichen Weg des Ruhegebetes, auf dem nichts und rein gar nichts abgetötet werden darf.

Die Übungen sprechen sowohl unsere innere als auch unsere äußere Haltung an und verwandeln sie. Es sind daher keine reinen Körperübungen. Es handelt sich vielmehr um Übungen, die den ganzen Menschen betreffen, ihn in all seinen Dimensionen aufrufen und wandeln. Daher ist es notwendig, sich bei den Übungen daran zu gewöhnen, mit seinem vollen Bewusstsein in seinen Körper zu gehen, ihn zu spüren und in jedem Augenblick ganz präsent zu sein.

Wie von selbst kann sich unser Wesen, das ureigentlich ein göttliches ist, besser entfalten und klarer in die Welt hineinleuchten, wenn der Strahlkraft sowohl körperlich als auch geistig nichts mehr im Wege steht. Das Ziel dieser Übungen besteht nicht darin, etwas zu »können« oder zu »leisten«, sondern einzig und allein, Präsenz zu erreichen, damit das Wesentliche – die Liebe und die Gnade des Schöpfers – durch uns transparent wird. Der Sinn einer jeden Übung ist Verwandlung, sodass sich das durchsetzen kann, was wir wirklich und eigentlich sind: Geschöpfe oder Kinder Gottes, die in Verbindung mit ihrem Ursprung stehen, der Liebe ist.

Armut des Geistes

Während meines Einübungskurses wurde wiederholt von der Armut des Geistes gesprochen und dabei der Beginn der Bergpredigt erwähnt. Ich habe die Beziehung der Armut des Geistes zum Ruhegebet nicht verstanden.

Wenn das Ruhegebet durch die Wiederholung des Gebetswortes bewirkt, dass die gedankliche Aktivität abnimmt und aller geistige Besitz losgelassen wird, kann der Geist einfach und leicht in der strengen Armut dieser kurzen Anrufung schwingen. Dies geschieht so lange, bis jener Glückszustand erreicht ist, den das Evangelium »selig« nennt. So ist auch die erste Seligpreisung zu verstehen: Selig, die arm sind im Geist; denn ihnen gehört das Himmelreich (Matthäus 5,3).

Kann es eine größere und heiligere Armut geben als diese, in der wir erkennen, dass wir aus uns selbst kraftlos sind und darum fremder Hilfe bedürfen? Hängt doch unser ganzes Leben und Wesen in jedem Augenblick von Gott und seiner liebenden Zuwendung ab. Im Ruhegebet lebt, ja, atmet der Betende diese Armut immer mehr. Sie ist mit der einfachen, in sich selbst schwingenden Ruhe gleichzusetzen, die den Reichtum der ganzen Schöpfung in sich enthält, der Ruhe, von der am siebten Schöpfungstag Gott selbst spricht. Wenn dann nach und nach diese Ruhe, in der alles Sein, Werden und Vergehen verborgen manifestiert ist, im Betenden lebendig wird, kann er sie in ihrem ganzen Reichtum aktiv erfahren; natürlich ganz individuell und entsprechend seiner jeweiligen Lebenssituation.

Der Ruf »Selig, die arm sind vor Gott« löst für den menschlichen Verstand ein Paradoxum aus, das nicht begriffen werden kann. Wenn Cassian zum Ausdruck bringt, dass die Fülle und der Reichtum des Ruhegebetes in seiner Armut liegen, so bedeutet dies für das Denken einen Widerspruch. Für denjenigen jedoch, der die Erfahrung des Armseins vor Gott im Gebet gemacht hat, ist dieses Wort Jesu nicht nur verständlich und einsehbar, sondern es wird für ihn auch zur Erfüllung. Wenn, wie gesagt, im Ruhegebet die gedankliche Aktivität abnimmt und damit aller geistige Besitz losgelassen wird, entsteht die Armut im Geist, von der das Evangelium in der Bergpredigt spricht. Jesus meint mit diesem Armsein auch, dass vom Menschen keine Vorleistung gefordert wird, um befreit und geheilt zu werden. Dieses Armsein im Geiste vor Gott kann nicht willentlich erreicht werden, sondern nur durch wiederholte Hingabe.

Einfluss auf körperliche Bedürfnisse

Hat das Ruhegebet einen Einfluss auf das sexuelle Verhalten?

Die vitale Lebenskraft erlaubt uns nicht, ohne Begehren und ohne sexuelle Wünsche zu sein. Geben wir ihnen jedoch ständig nach, werden wir nach absehbarer Zeit nicht mehr Herr über sie sein. Sie besitzen uns, anstatt, dass wir sie besitzen. Dies kann so weit führen, dass uns die sexuellen Kräfte ganz und gar besessen machen. Andererseits dürfen wir diese Kräfte aber auch nicht gewaltsam abtöten, denn sie sind für eine bestimmte Aufgabe vom Schöpfer in uns hineingelegt. Jeder muss für sich entscheiden, wie er mit seiner Sexualität umgeht. Vergeudet er jedoch ständig diese Kräfte nur aus einem Lustempfinden heraus, entfremdet er sie ihrer eigentlichen Aufgabe: der Liebe zweier Menschen Ausdruck zu geben und, wenn der Schöpfer es möchte, ein Kind ins Leben zu rufen. Vielen Menschen fällt es schwer, gerade im Bereich der Sexualität die rechten Entscheidungen zu treffen.

Die tägliche Übung des Ruhegebetes trägt in ganz besonders wirkungsvoller Weise dazu bei, diffuse Kräfte in uns zu sammeln und zu ordnen, sodass sie uns, anderen und generell dem Leben dienen. Dazu gehört auch die Sexualität, die zwar nicht direkt vom Betenden angesprochen, jedoch durch tiefe Ruhe während des Betens beeinflusst wird. Uns zuströmende gute Kräfte fließen als Erstes dorthin, wo sie am nötigsten gebraucht werden, um zu ordnen und zu heilen. Durch das Ruhegebet tritt ein Wandlungsprozess für Leib und Seele ein und gleichzeitig dürfen wir einen schrittweisen Aufstieg zu Gott erleben. Der Betende macht im Laufe der Zeit die wunderbare Erfahrung, dass, wenn seine sexuellen Wünsche ihn vorher sehr stark beherrscht haben, er jetzt selbst der Herr über dieses Verlangen ist. Da wir uns im Gebet immer wieder an den Herrn wenden, dürfen wir sicher sein, dass er unser gesamtes Leben in rechte Bahnen lenkt und uns beschützt. Wir werden im Ruhegebet zur eigenen Mitte geführt und auf diesem Weg werden alle unsere Eigenschaften kultiviert. Hier darf nicht die Rede von Abtötung sein, denn sie ist wider alle Natur gerichtet und keineswegs im Sinne des Schöpfers. Wie oben bereits gesagt wurde, so strömen die durch das Ruhegebet frei werdenden guten, ordnenden und heilenden Kräfte zuerst dorthin, wo wir sie am nötigsten brauchen. Sollte dies der Bereich unserer Sexualität sein, dürfen wir sicher sein, dass der Schöpfer uns Notwendiges zukommen lässt.

3. Voraussetzungen

Aufwand für ein einfaches Gebet

Die Bedingungen, die zum Einüben in das Ruhegebet geschaffen werden sollten, sind sehr anspruchsvoll. Ist das überhaupt durchführbar?

Äußerlich zur Ruhe zu kommen, ist eine unbedingte Voraussetzung für das Ruhegebet. Sie basiert auf der Weisung Jesu aus der Bergpredigt: Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer und schließe deine Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten (Matthäus 6,6 und Coll. IX,35). Die folgenden Punkte zur Bereitung aufrichtigen Betens sind Empfehlungen von Cassian, die das zur Ruhe-Kommen im Gebet und die guten Auswirkungen außerhalb des Gebetes unterstützen.

•Als Erstes müssen wir äußerlich zur Ruhe kommen und dürfen körperlichen Wünschen und Begierden keine Beachtung schenken.

•Wir sollten frei werden von allem, was unsere Aufmerksamkeit ungut fesselt, und nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden.

•Alles dumme und unnötige Geschwätz sollten wir meiden – vornehmlich das Gerede über andere.

•Verwirrung, die durch Zorn oder übergroße Traurigkeit entsteht, dürfen wir nicht zulassen. Alle Sucht und Befriedigung rein egoistischer Bedürfnisse sollten wir von der Wurzel her ausrotten.

Was immer unsere Seele vor dem Ruhegebet beeindruckt hat, steigt in ihr hoch, wenn wir beten, indem das Gedächtnis es uns einflüstert. Wir müssen also in etwa die Verfassung, in der wir uns beim Beten befinden wollen, schon vor der Gebetszeit bereiten. Das Ruhegebet verlangt selbst keine besondere Vorbereitung. Man kann es einüben, wo und wann immer man es möchte. Einerseits helfen natürlich die das Gebet unterstützenden, oben genannten Verhaltensweisen, die Cassian empfiehlt, schneller und ungehinderter in eine tiefe Ruhe einzutauchen. Andererseits sind die Auswirkungen des über einen längeren Zeitraum geübten Ruhegebetes so stark, dass sich alle die von Cassian genannten Faktoren von selbst einstellen. Viele Anfänger in damaliger wie auch in heutiger Zeit fragen jedoch danach, was sie von sich aus beitragen können, um die guten Auswirkungen des Gebetes zu unterstützen und zu beschleunigen. Die vier genannten Punkte helfen dabei.

Wege zur Zielerreichung

Viele geistige Erneuerer haben den Menschen Ziele vor Augen gestellt, die ein normal lebender Mensch eigentlich niemals in seinem Leben erreichen kann. Liegt da bei Cassian nicht auch eine Gefahr, wenn er die Auswirkungen des Ruhegebetes als so hoch beschreibt und von Zielen spricht, die utopisch scheinen?

Diese Frage ist durchaus berechtigt und wird von vielen gestellt. Zum einen darf die Sehnsucht des Menschen nach Gott niemals erlahmen. Es muss Erneuerer geben, die jeweils in ihrer Zeit die Heils- und Erwartungsbotschaften des Neuen Testamentes der Zeit entsprechend formulieren und erfahrbar machen. Gemessen an den Zielen, die Jesus Christus den Menschen vorgibt – denken wir nur an die Bergpredigt –, sind diejenigen, von denen Cassian spricht, eher bescheiden. Cassian hat lediglich die Erfahrungen und die Entwicklung, die er und andere mit dem Ruhegebet machten, in Worte gefasst.

Bedenken Sie dabei, dass das geistliche Niveau zu seiner Zeit ein wesentlich höheres war, als es heute ist. Durch die Verkopfung, die in den letzten Jahrhunderten hier bei uns eingetreten ist, trat leider – bis auf wenige Ausnahmen – die religiöse Erfahrung ganz in den Hintergrund. Zu den Ausnahmen gehören die religiösen Erneuerer, die vergessenes Glaubensgut wieder ins Bewusstsein der Menschen bringen und somit einen lebendigen Glauben wecken. In jedem Fall ist es wichtig, nicht in der Routine und Grauzone des Alltags zu erlahmen, sondern immer neu wieder aufzubrechen und sich motiviert auf einen geistlichen Weg zu begeben. Selbstverständlich dürfen Erwartungen und die mit ihnen verbundenen Ziele nicht zu hoch angesetzt werden, sondern sie müssen für unsere Zeit und unsere Vorstellungen angemessen sein.

Durch Ihre Frage wird deutlich, wie weit sich das von uns gelebte Christsein von den ursprünglichen Werten entfernt hat und unbedingt belebt werden muss. Vieles bleibt Theorie und Spekulation, wenn nicht – zumindest ansatzweise – wieder geistliche Erfahrungen gemacht werden. Ein wirklicher Individuations- und Integrationsprozess vollzieht sich erst durch das Gehen eines geistlichen Weges, der ständig neu einen Aufbruch fordert, dann aber auf heilsame Weise rechte Erkenntnis und Erfahrung miteinander verbindet. Dass wir hier ganz unten und bescheiden ansetzen müssen, ohne gleich nach den Sternen zu greifen, liegt nahe.

Selbsterkenntnis

Ist es eine Bedingung, um in das Ruhegebet eingewiesen zu werden, dass man die dunkle Seite seines Lebens, seinen Schatten, zuerst kennenlernen und analysieren muss?

Nein, durchaus nicht. Das Ruhegebet hat nichts mit psychologischer oder tiefenpsychologischer Analyse zu tun. Seine Wirkung jedoch ist ganzheitlich, sodass sowohl die physische als auch die psychische Seite des Menschen angesprochen werden. Hält der Übende die empfohlenen Zeiten ein und erfüllt die Bedingungen, die zu Beginn des Kursus angegeben sind, sollte er sich um rein gar nichts kümmern als einzig und allein darum, dem Schöpfer einen kleinen Teil seiner Lebenszeit im Ruhegebet zurückzuschenken. Alles andere wie Selbstbeobachtung, Analysen, Erwartungen und willentliche Steuerung sind Eingriffe in einen Vorgang, der ganz von selbst auf natürliche Weise sich entwickeln und ablaufen möchte.

Ein Mann entdeckte eines Tages, dass er einen Schatten hatte. Eine derartige Angst überfiel ihn, dass er davonrannte, um seinen eigenen Schatten loszuwerden. Als er nach einigen Tagen immer noch auf der Flucht war, versagten seine Kräfte und er brach tot zusammen. Was hätte er tun können, um die Angst vor seinem eigenen Schatten zu verlieren? Wenn er in den Schatten eines großen Baumes getreten wäre, hätte er ein wenig Ruhe gefunden und festgestellt, dass der Baum seinen Schatten aufgenommen hat. Wie viel mehr wird Christus, wenn wir im Ruhegebet innehalten und seinen Namen anrufen, unseren Schatten liebend annehmen und verwandeln? Im Gebet treten wir unter das Kreuz, von dem Heil und Leben und Segen ausgeht. Wir dürfen sicher sein, dass wir ganz ohne Analyse unseres Schattens von der Liebe Christi angezogen, befreit und verwandelt werden.

Das Beispiel möchte den mehr oder weniger verborgenen inneren Weg des Ruhegebetes anschaulich machen. Es möchte uns darüber hinaus aber auch bewusst machen, dass wir bei Gott Vergebung finden, wenn wir uns ihm gegenüber öffnen und zugeben, dass wir gefehlt haben. Er weiß aber auch um die vererbte oder schicksalhafte dunkle Seite unseres Lebens, die er ebenso annimmt und wandelt. Achten wir aber auch auf die Gefahren, die der Lebensalltag mit sich bringt, und sind uns der Notwendigkeit eines entlastenden, befreienden und heilenden Betens bewusst.

Zeitlicher Aufwand

Warum braucht es so viel Zeit, das Ruhegebet zu erlernen?

Es muss gewährleistet sein, wenn jemand diesen Weg gehen möchte, dass er die notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Sicherlich gibt es kurz gefasste Gebetslehren, die sich nur mit knappen Worten auf das Wesentliche beschränken. Cassian möchte jedoch den Anfänger nur sehr langsam in das Geheimnis des Ruhegebetes einführen. Er ist mit konkreten Anweisungen noch äußerst zurückhaltend und möchte zunächst prüfen,

•wie ernst es dem Fragenden mit seinem Wunsch ist, tiefer in die Welt des Gebetes und damit in das Ruhegebet einzudringen,

•über welches Durchhaltevermögen er verfügt,

•ob er dem geistlichen Aufbau der Unterweisung folgen kann,

•inwieweit er bereit ist, den eigenen Willen zurückzunehmen und vertrauend und bedenkenlos den jeweils nächsten Schritt zu tun,

•ob er seine Ungeduld überwindet, nicht vorgreift und den rechten Zeitpunkt abwarten kann.

Gleich zu Beginn der ersten Unterredung mit den Vätern spricht Cassian die Strenge des Abtes Moses an, der eher ablehnend und unbeugsam war, wenn er die verborgene Tür zur Vollkommenheit jemandem öffnen sollte, der sich nicht in Wahrheit nach ihr sehnte und nicht ganzen Herzens bereit war, die vorgegebenen Schritte zu vollziehen. Es schien ihm Verrat zu sein, wenn er die aus der Überlieferung übermittelten und aus eigener Erfahrung bestätigten verborgenen geistlichen Geheimnisse jemandem enthüllen würde, der nur lau und unaufrichtig nach ihnen verlangt. Abt Moses weiß, dass es sich hier um tiefste Wahrheiten und letzte Dinge handelt, in die nur der eingeweiht werden darf, der die Prüfungen besteht und sich aufrichtigen Herzens nach Vervollkommnung seines Gebetslebens sehnt. Nicht nur derjenige, der das Ruhegebet erlernen möchte, muss Zeit aufbringen, sondern ebenso – und vielleicht noch weitaus mehr – der Lehrende des Ruhegebetes. Er hält sich streng an die überlieferten Anweisungen mit den entsprechenden Schritten zur Einübung und möchte natürlich gern erleben, dass auch sein Zeitaufwand und sein Engagement Erfolg zeigen.

Einhalten der Gebetszeit

Die immer tiefer werdende Stille im Ruhegebet bekommt mir so gut, dass es mir schwerfällt, nach zwanzig Minuten das Gebet zu beenden. Gern würde ich meine Gebetszeit um das Doppelte verlängern. Kann ich dies tun?

Es ist gut, dass Sie fragen und nicht einfach Ihre Gebetszeit verlängern, weil sie das Gefühl haben, dass das Ruhegebet Ihnen guttut. Bleiben Sie unbedingt bei der Gebetszeit von zweimal zwanzig Minuten am Tag. Eine Zeit darüber hinaus – obwohl Sie subjektiv ein gutes Empfinden haben – würde vor allem Ihrem Nervensystem nicht guttun. Dies gilt vor allem für Anfänger im Ruhegebet.

Diese Vorsichtsmaßnahme möchte helfen, sich nicht zu verlieren. Die Grenzen, die uns in dieser Welt und Zeit auferlegt sind, müssen wir annehmen und willig nach dem Ruhegebet zu ihnen zurückkehren, wenn wir in Gott Entgrenzung erfahren haben. Wenn man übertreibt, können die Gesundheit und die Seele Schaden nehmen, der sich eventuell noch auf andere Menschen auswirkt. Die eigene Verantwortung und die Nächstenliebe gebieten es uns, die vorgegebene Zeit auf dem geistlichen Weg einzuhalten. Das geistliche Fortschreiten muss unbedingt unserer Gangart angepasst werden. Die Gefahr besteht nämlich, durch gute spirituelle Erfahrungen unersättlich zu werden und mit allen Mitteln zu versuchen, den geistigen Weg zu beschleunigen. Damit der Betende nicht Schaden an seiner Gesundheit und seiner Seele nimmt, sollte er sich seiner inneren und äußeren Grenzen bewusst sein und nichts herausfordern.

Eine Begebenheit möchte diese Vorsichtsmaßnahme unterstreichen: Ein junger Arzt erlernt das Ruhegebet und ist gleich schon ab dem ersten Tag begeistert. Als Gegensatz zu seiner fordernden und anstrengenden Arbeit im Beruf möchte er das Ruhegebet nicht mehr missen und beginnt, die Gebetszeit aus eigener Überzeugung zu verlängern, ja, er sitzt sogar an freien Wochenenden bis zu drei Stunden im Ruhegebet. Nach wie vor und noch mehr als zuvor ist er begeistert von dieser Gebetsweise, bis bei ihm nach einigen Wochen Angst aufkommt, die immer stärker wird und auch nachts nicht aufhört. Anstatt sich bei einem Lehrenden des Ruhegebetes Rat zu holen, setzt er das Ruhegebet von heute auf morgen ab. Die Angst nimmt zu und er weiß weder aus noch ein. Schließlich nimmt er die Hilfe eines Psychiaters in Anspruch und ein Klinikaufenthalt bleibt ihm nicht erspart.

Zweimal zwanzig Minuten täglich

Ich lese, dass die Mönche, Einsiedler und Pilger das Ruhegebet fast ständig gebetet haben. Warum ist die Gebetszeit für einen Laien auf zwanzig Minuten beschränkt?

Cassian sagt einfühlend: »Wiege diesen Vers in deinem Herzen, dann wird er dir zum segensreichen Gebet.« Dieses ohne Unterbrechung selbst bei der Arbeit und auf Reisen zu tun, gilt nur für den monastisch lebenden Menschen, der sein Leben, ja, jeden Atemzug, Gott geweiht hat. Er hat versprochen, Tag und Nacht den Schöpfer mit all seinen Kräften zu loben und ihm zu dienen. Dem immerwährenden Gebet der ägyptischen Mönche durfte nichts vorgezogen werden. Da sie durch einfache Handarbeit ihren Lebensunterhalt verdienten, konnten sie bei all ihrem Tun beten. Diese Lebens- und Gebetsweise haben die Athos-Mönche übernommen, wie auch viele spätere Klostergemeinschaften auf der ganzen Welt. In der Literatur findet sich dieses immerwährende Beten bei allen Hesychasten, die als Mönche für Mönche ihre Anweisungen schrieben. Die beiden allgemein verständlichen Werke, die überall eine große Verbreitung fanden, sind »Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers«, herausgegeben von Emmanuel Jungclaussen, und »Auf den Bergen des Kaukasus, Gespräch zweier Einsiedler über das Jesus-Gebet« von Schimonach Ilarion. Hier geht es jeweils auch um ein Beten ohne Unterlass. Nicht nur die Einsiedler und Mönche haben ihr Leben immerwährend auf Gott ausgerichtet, sondern auch der Pilger auf seinem Weg zur Erfüllung des Wortes »Betet ohne Unterlass«.

Die in dieser Literatur gegebenen Anweisungen dürfen unter keinen Umständen von Menschen übernommen werden, die nicht monastisch und gleichzeitig kontemplativ leben. Für sie gilt die Anweisung, sich für das Ruhegebet eigens Zeit zu nehmen und es nicht während irgendeiner anderen Tätigkeit zu beten. Zwanzig Minuten – zweimal am Tag – reichen völlig aus. Es wird empfohlen, nicht unmittelbar vor dem Schlafengehen das Ruhegebet zu beten, da sich sonst durch den aktivierenden Charakter des Ruhegebetes Einschlafschwierigkeiten einstellen können. Bittere und schmerzhafte Erfahrungen eines Zuviel haben gezeigt, dass es sich nicht nur um eine Empfehlung handeln darf, sondern dass diese relativ kurze Gebetszeit für das Ruhegebet eine Anweisung sein muss. Es gibt allerdings Ausnahmen, in denen mehrmals am Tag gebetet werden kann: vor belastenden Ereignissen, während einer Krankheit und im Alter.

Himmelsrichtung und Ort des Betens

Ist das aus einem tiefen Bedürfnis kommende Gebet nahezu wirkungslos, wenn es zur »falschen« Himmelsrichtung und an einem Ort verrichtet wird, der durch ein tragisches Schicksal beladen ist?

Die geografische Ausrichtung beim Beten ist zwar nicht entscheidend, aber auch nicht unbedeutend. Von den vier Himmelsrichtungen haben wegen des Sonnenuntergangs und des Sonnenaufgangs der Osten und der Westen eine besondere Bedeutung. Wer sollte da nicht ganz von selbst darauf kommen, dass man beim Beten sich symbolisch dahin neigt und die Seele hinschauen lässt, wo der »Aufgang des wahren Lichtes« (vgl. Johannes 1,9; Lukas 1,78) ist? Das wahre Licht und die wahre Sonne ist Christus, der die Seele erleuchtet.

In den meisten Kulturen beginnen Riten und Gebete mit der Hinwendung zum Osten, dem Aufgang des Lichtes. Die Apsis christlicher Kirchen weist ebenfalls nach Osten, was nicht nur Symbolcharakter hat, sondern dem Beten erfahrungsgemäß eine unterstützende Kraft gibt. Die im Osten aufgehende Sonne symbolisiert Christus, den Auferstandenen, der uns mit geöffneten Armen voll Liebe entgegenkommt. Aber für euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und unter ihren Flügeln Heilung (Maleachi 3,20).

Es ist zwar verständlich, dass jemand – sollte nach Osten kein Fenster sein – lieber in Richtung eines Fens