Geheimnis Schiva - A. Kaiden - E-Book

Geheimnis Schiva E-Book

A. Kaiden

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Beschreibung

Die 16-jährige Lara leidet sehr unter ihrer Einsamkeit. Sie kann ihre Schüchternheit nicht überwinden und fühlt sich völlig missverstanden. Eines Tages flüchtet sich die Jugendliche nach einem Streit mit ihrem jüngeren Bruder in ihr Zimmer, wo sie unter Tränen und mit dem Wunsch, woanders zu sein, einschläft. Als sie aufwacht, findet sie sich in einer fremden Welt Schiva wieder. Lara überwindet ihre Furcht und lernt dort viele, neue Menschen kennen. Sie erfährt, dass sie durch eine Art Meditation nach Schiva gelangen kann - wann immer sie es möchte. Schon nach kurzer Zeit wird Schiva ihr zweites Zuhause, welches viele Freunde und Wunder für sie bereit hält. Doch nicht alles in Schiva ist perfekt, was Lara bitter feststellen muss. Schon bald beginnt für sie ein Kampf um Leben und Tod.

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Seitenzahl: 208

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Kapitel 3: Samstag, 8:00 Uhr

1. Auflage Februar 2018

Copyright by A. Kaiden

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, insbesondere der Veröffentlichung im Internet auch einzelner Teile Nachdruck, auch auszugweise, nur mit Genehmigung der

Autorin A. Kaiden

Umschlagsillustration: Marie-Katharina Wölk von Klaud Design

ISBN Nr. 978-3-7375-6752-7

Besuchen Sie mich in Facebook unter https://facebook/a.kaiden159357

und im Internet unter

www.a-kaiden.de

oder in Youtube unter A. Kaiden

Geheimnis Schiva

Von A. Kaiden

Widmung

Für meinen Vater,

der leider nie eines meiner Manuskripte lesen konnte und der jederzeit ein offenes Ohr und tröstende Worte für mich hatte.

Vielen Dank für Deine Liebe und Unterstützung in allen Lebenslagen. Durch Dich habe ich gelernt, was Ehrgeiz bedeutet und konnte meinen Traum verwirklichen.

Kapitel 1: Donnerstag, 15:20 Uhr

Nun reichte es! Lara war wütend. Sehr wütend. Nicht nur, dass sie immer im Streit gegen ihren Bruder Stan verlor, nein! Daran konnte sie sich ja wohl oder übel noch gewöhnen, aber dass ihre Eltern gar nichts dazu sagten, wenn sie stritten, ja diese Tatsache war für Lara das Schlimmste. Mehr noch – sie fühlte sich unverstanden und völlig hilflos. Wenn ihr Bruder auf Streit aus war und wie so oft sie als Opfer wählte, wenn er über sie herzog, sie beleidigte, zutiefst demütigte und die Eltern nur zusahen oder gar den Raum verließen, blieb Lara nur noch eins übrig: Rückzug! Die Flucht in ihr Zimmer. Dort war sie sicher, in ihrem kleinen Zimmer, dem Ort ihrer Fantasie. Ihre kleine Burg der Geborgenheit. Abgeschottet vom Rest der Welt.

So war es auch dieses Mal wieder. Wütend stieß sie die Tür zu und schloss ab. Geschafft! Nun konnte keiner sehen, wie sie weinend, die Hände vor ihrem Gesicht, zu Boden ging und dort zusammengekauert liegen blieb. Niemand konnte sehen, wie sie versuchte, ihren ganzen Schmerz und ihre Wut hinauszuweinen. An Tagen wie diesen hasste sie ihre Umwelt, ihre Schwäche, ihre Hilflosigkeit, sich selbst und das Leben.

So erging es Lara fast jeden Tag und sie hatte niemanden, mit dem sie über ihre Probleme und Gefühle sprechen konnte. Sie war allein. Schon immer. Noch nie hatte sie einfach auf Leute zugehen können. Sie war viel zu schüchtern, verschlossen und wurde von den anderen deswegen oft missverstanden. Vielleicht war es auch ihr Wunsch nach einer perfekten Freundschaft, der die anderen Mädchen von ihr entfernte. Sie verlangte in einer Freundschaft nach absolutem Zusammenhalt, Vertrauen und Ehrlichkeit. Verlangte sie womöglich zu viel von anderen Menschen? Lara wusste es nicht. Weder ihre Mitschüler noch ihre Lehrer schienen sie zu mögen. Die Welt war einfach ungerecht, grausam und gemein.

Als sie nun wieder stark verkrampft auf dem Boden kauerte, wirbelten ihr Erinnerungen und Gedankenfetzen wild durcheinander durch den Kopf. Sollten die anderen sie doch alle meiden. Sie brauchte niemanden. Nicht ihre Klassenkameraden noch irgendwelche Lehrer und auch nicht ihre Eltern oder ihren jüngeren Bruder! Sie würde es schon schaffen. Irgendwie. Egal wie allein sie auch war. Dennoch schmerzte ihr Körper und ihr Herz schrie protestierend auf. Innerlich zerrissen und völlig verwirrt, schlief sie mit dem sehnlichsten Wunsch, woanders zu sein, ein.

*

„Amboss! Hey, Amboss, komm schnell her! Wir haben Besuch!”

Lara hatte die Augen geschlossen, als sie diese fremde, schrille Frauenstimme vernahm.

„Das Wirtshaus ist geschlossen! Sag, sie sollen Leine ziehen und in zwei Stunden wiederkommen! Auf dem Schild vorne steht doch, dass wir erst um neunzehn Uhr öffnen! Könnte ja jeder einfach hereinstürmen und …“

„Es ist ein Mädchen – ein Mädchen aus der anderen Welt, Amboss! Nun beweg endlich deinen fetten Hintern hierher und bring einen Eimer mit kaltem Wasser mit!“

„Ist ja gut, ist ja gut, du alte Meckerziege!“

Lara hörte, wie sich eine schnaufende Gestalt mit schweren Schritten näherte. Da sie nicht wusste, was zu tun war, ließ sie ihre Augen geschlossen. Was ging hier vor? Träumte sie? Sie war doch daheim in ihrem Zimmer, nicht wahr? Oder war jemand in ihrem Zimmer? Nein, das konnte unmöglich sein. Sie musste träumen. Das war die einzig vernünftige Erklärung. Ihre Fantasie ging mal wieder mit ihr durch.

„Aha“, brummte die dunkle Männerstimme, „dann wollen wir mal ihren Schönheitsschlaf beenden!“

Nach diesen Worten bekam Lara das kalte Wasser, von dem vorher die Rede gewesen war, zu spüren. Schlagartig riss sie die Augen auf und sprang hoch. Zitternd und triefnass stand sie da und blickte sich hektisch um. Das sah nicht aus wie ihr Zimmer und für einen Traum war es zu real.

„Na also, Kindchen, geht doch“, meinte die Frau, welcher die schrille Stimme gehörte. Sie war ungefähr einen Kopf größer als Lara und trug einen zigeunerartigen Rock mit weißer Bluse. Lara schätzte die schlanke Frau auf ungefähr vierzig. Sie sah verwegen aus, dennoch empfand Lara sie als sehr hübsch. Sie konnte ihre Augen nicht von deren feuerroten, langen Locken abwenden, die verspielt hin und her wippten. Die Rothaarige begann wieder zu sprechen und lächelte sie freundlich an.

„Ich bin Lucie. Du bist hier im Wirtshaus ‚Zur Singenden Schwalbe‘ und dieser alte, dicke Mann neben mir ist Amboss, der Wirt des Hauses.“

Der Wirt stand breitbeinig und mit verschränkten Armen da. Er hatte eine Glatze, dafür jedoch einen dicken Bart und einen golden schimmernden Ohrring im linken Ohr. Durch seine Haltung schwoll sein fetter Bauch noch mehr aus dem dreckigen T-Shirt hervor und Lara schluckte. Amboss starrte verschmitzt auf Laras dünnen Kurzpullover, der durch die unfreiwillige Dusche etwas durchsichtig geworden war. In Lara stieg ein Gefühl von Unbehagen und Angst auf. Dieser Blick schien sich durch sie hindurch zu bohren. Und mit jeder weiteren Sekunde wurde dieses Gefühl stärker. Ihr zitternder Körper versteifte sich und sie biss sich ängstlich auf ihre schmale Unterlippe. In ihrem Kopf herrschte völliges Chaos. Was ging hier vor sich? Wo war sie? Und vor allen Dingen: Wie kam sie überhaupt hierher?

„Wo glotzt du denn wieder hin, du Hornochse! Hol ihr lieber ein großes Handtuch und einen Mantel! Du hast das arme Ding ja ganz nass gemacht! Soll sie sich etwa erkälten? Nun mach schon, beeile dich!“, herrschte ihn Lucie an.

Der Wirt drehte sich mürrisch um.

„Nie hat man seinen Spaß. Sie wollte doch selbst, dass ich der Kleinen das Wasser übergieße. Typisch Frau – egal was man macht, es ist verkehrt!“

Langsam verschwand der übergewichtige Mann die Treppe nach oben und Lara war sichtlich erleichtert, als er oben verschwunden war. Die Anspannung in ihrem Körper begann sich zu lösen.

„Dieser alte Trottel muss immer gleich einen falschen Eindruck von sich vermitteln! Dabei ist er echt in Ordnung. Du wirst sehen, wenn du ihn einmal näher kennengelernt hast, kannst du mit ihm über alles reden und Pferde stehlen. Sag mal, wie heißt du eigentlich?“

Neugierig musterte die schlanke Frau Lara, und das Mädchen musterte sie ebenso interessiert zurück.

„Lara, Lara Rhomben“, brachte sie zögernd heraus. Zwar fühlte sie sich nicht mehr so unbehaglich, wohl war ihr allerdings auch nicht. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was hier vor sich ging. Irgendwie unheimlich.

„Okay, Lara. Ich gehe jetzt erst einmal in die Küche und mach dir einen schönen warmen Kaffee! Wirst sehen, der macht dich fit!“

Mit diesen Worten verschwand Lucie in der Tür hinter der Bar. Nun war Lara allein. Diesen Augenblick nutzte sie, um sich etwas genauer umzusehen. Irgendetwas musste ihr doch bekannt vorkommen. Für alles gab es doch eine logische Erklärung. Hier würde es nicht anders sein. Sie musste nur genau suchen und die Ruhe bewahren. Ihre Augen schwirrten ruhelos in dem Gebäude umher. Um sie herum waren lauter Holztische mit Stühlen platziert, die schon bessere Tage gesehen haben mussten. Rechts neben ihr befand sich die Bar mit Gläsern und verschieden gefüllten Getränkeflaschen. Dahinter war die Tür, durch die Lucie gegangen war. Lara seufzte auf. Definitiv ein Restaurant und zwar ein ziemlich altbackenes. Alles hier war in Holz gekleidet. Nichts war ihr hier im Geringsten vertraut. Ihr Blick glitt weiter. Genau vor ihr vor ihr war eine etwas größere Bühne aufgebaut, die mit dem Raum verwachsen zu sein schien. Etwas weiter rechts davon führte eine Treppe nach oben. Hinter Lara war noch eine Holztür, wahrscheinlich der Eingang vom sogenannten Wirtshaus. Sie kannte diesen Ort nicht! Ausgeschlossen. Hier war sie noch nie gewesen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr Blut rauschte ihr in den Ohren.

„So, trink erst mal das hier!“

Erschrocken fuhr Lara zusammen. Sie hatte Lucie, die ihr eine Tasse Kaffee reichte, nicht kommen hören. Dankbar nahm sie das heiße Getränk an und atmete den aromatischen Geruch tief ein.

„Du bist nicht die Erste, die von der anderen Welt hierher nach Schiva kommt“, begann die Frau wieder zu sprechen. „Vor ungefähr drei Wochen kam ein Mädchen in deinem Alter hierher. Ja, hier ist der Transformator!“

„Tran… Transformator?“, wiederholte Lara ungläubig. Sie konnte nicht ganz folgen.

„Ja, genau. Du stehst noch darauf!“

Langsam blickte Lara auf den Boden. Tatsächlich stand sie auf einer Plattform, die mit einem seltsam grünlich leuchtenden Stern gekennzeichnet war. Sie war beunruhigt, irgendetwas schien hier nicht zu stimmen. Die Situation wuchs ihr über den Kopf.

„Dies ist der einzige Transformator hier im Dorf. Wer einmal in Schiva war, kommt immer wieder zurück. So wie dieses Mädchen … Wie hieß sie noch mal? Mein Gedächtnis ist momentan zum Kotzen. Entschuldige, Kleines. Amboss müsste es wissen. Wo steckt dieser dicke Idiot eigentlich schon wieder? AMBOSS!“

„Ist ja gut! Musst du denn immer so schreien und Hektik verbreiten?“

Stolpernd kam der Wirt mit einem großen, hellblauen Handtuch herunter.

„Na also, wird aber auch Zeit! Was machst du denn nur immer so lange? Es ist echt zum Mäusemelken mit dir.“

Sie riss dem Wirt das Handtuch aus den Händen und legte es Lara um die Schultern.

„Danke, Mister …“

„Amboss. Sag einfach nur Amboss zu mir, Kleines!“, unterbrach der Wirt sie freundlich und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Lara nickte dankbar. Vielleicht war er doch nicht so übel.

Lucie richtete sich an den Wirt.

„Sag mal, weißt du noch, wie das Mädchen hieß, das vor drei Wochen hier ankam?“

Nachdenklich strich sich der kräftige Mann mit seinen Wurstfingern durch seinen vollen Bart.

„Tanja“, antwortete er schließlich nach einer kurzen Pause und schnalzte bestätigend mit seiner Zunge.

„Genau, das war’s! Sie kommt fast jeden Tag nach Schiva und ‚Zur Singenden Schwalbe’. Nicht wahr, Amboss?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, schnatterte die Frau weiter.

„Ich bin mir sicher, ihr werdet euch gut verstehen und … Hey! Gehst du schon wieder? Du bist doch gerade erst gekommen!“

„Wa-was?“

Lara schaute, verwirrt durch diese plötzliche Frage und den empörten Gesichtsausdruck von Lucie, an sich herunter. Mit einem Mal wurde ihr übel, als sie verstand, was die Rothaarige meinte. Sie wurde durchsichtig! Oder löste sie sich gar in Luft auf?

„Sie weiß noch nicht, wie es funktioniert! Sie ist doch das erste Mal hier!“, erwiderte Amboss gelassen. „Du kommst aber morgen wieder, in Ordnung?“

„Setze dich einfach bequem irgendwohin und konzentriere dich auf das Wort Schiva und auf unser Wirtshaus!“, rief ihr Lucie noch hinterher, bevor alles um sie herum dunkel wurde und Stille einkehrte.

*

„Lara! Lara schläfst du schon wieder?!

Langsam öffnete sie die Augen. Sie war in ihrem Zimmer. Verunsichert blinzelte sie mit den Augen. Doch das Bild blieb gleich. Sie musste wohl doch eingeschlafen sein.

„Lara!“

Dies war die immer lauter werdende Stimme ihrer Mutter, die ungeduldig an Laras Tür klopfte.

„Ja?“, rief Lara noch immer halb schlafend auf dem Boden.

„Es gibt Abendessen. Das nächste Mal warte ich nicht so lange! Hast du gehört?“

„Ist gut!“, gab Lara schlecht gelaunt von sich. Die wohlige Benommenheit wich der grauen Realität und dem Alltag. Sie hörte, wie ihre Mutter die Treppe hinunterging. Gerade als sie aufstehen und ebenfalls zum Abendessen gehen wollte, bemerkte sie die Kaffeetasse in ihrer linken Hand, auf der groß und deutlich „Zur Singenden Schwalbe“ zu lesen war.

Kapitel 2: Freitag, 21:02 Uhr

Es war zwanzig Uhr, als Lara am nächsten Tag ihre Zimmertür zugeschlossen hatte, alles verdunkelte und Kerzen anzündete. Nachdenklich blickte sie noch mal auf die Kaffeetasse, die sie auf dem Fenstersims platziert hatte, bevor sie ganz ruhig die Augen schloss und versuchte, sich zu konzentrieren. So saß sie einige Minuten da, bis sie ein lautes Stimmengewirr vernahm.

Zögernd und etwas ängstlich öffnete sie die Augen. Tatsächlich! Sie befand sich, wie gestern, im Gasthaus „Zur Singenden Schwalbe“. Nur dieses Mal herrschte hier voller Betrieb. Alle Tische waren besetzt. Nachdenklich und ein bisschen sehnsüchtig starrte Lara einen kurzen Moment lang zur Bühne hinüber, die nach wie vor leer war,. Dann erblickte sie Amboss hinter der Bar, der gerade Bier in die klobigen Schoppengläser füllte. Zügig bahnte sie sich einen Weg durch das große Menschengewirr auf ihn zu. Irgendwie – sie konnte es sich nicht erklären – fühlte sie sich hier wohl, beinahe geborgen. Ja, es war schon fast wie zu Hause. Sie schluckte und verbannte den Gedanken schnell in das hinterste Eck ihres Bewusstseins.

„Hey! Ich wusste doch, dass du wieder kommst! Willst du etwas trinken? Geht natürlich auf Kosten des Hauses!“

Amboss grinste Lara breit ins Gesicht. Er hatte wirklich alle Hände voll zu tun. Auf seiner Stirn liefen ein paar Schweißperlen herab. Dennoch war er gut gelaunt und erinnerte sie in dem Moment an einen großen Bären.

„Danke, das ist lieb. Eine Cola, bitte“, antwortete Lara lächelnd. Der Wirt wollte gerade etwas erwidern, als sich an einem der hinteren Tische ein großer, hagerer Mann über die lange Warterei beschwerte. Daraufhin nickte Amboss nur kurz und wandte sich dann noch schnell einmal an Lara.

„Deine Cola kommt gleich, versprochen.“

Mit diesen Worten ging er eilig zum anderen Ende der Bar und füllte erneut Bier in eines der großen Gläser. Wieder wanderten Laras Blicke zu der großen, unbesetzten Bühne. Was für Musik wurde hier wohl so gespielt? Und vor allem: Wann? Was würde sie dafür geben, einer Band oder einem Sänger zu lauschen.

„Deine Cola, Kleines!“

„Da…“, aber Amboss war schon wieder verschwunden. Ob es hier wohl immer so hektisch zuging? Nachdenklich nippte Lara an ihrer kalten Cola und begann zu sinnieren. Sie konnte also Gegenstände von hier in ihre Wirklichkeit mitnehmen. Wirklich praktisch, einerseits. Andererseits, was war, wenn ihr hier etwas zustoßen sollte? Wie wirkte sich hier zum Beispiel eine Verletzung aus? Unsinn, warum sollte ihr hier etwas passieren?! In Gedanken schalt sie sich eine Närrin. Sie war doch echt ein Hasenfuß. Eine Eigenschaft, die sie so sehr an sich hasste. Das hier war eine erfundene Welt, die eben ziemlich real war. Aber wie war diese reale Welt überhaupt entstanden? War es vielleicht eine andere Dimension? Der Gedanke verwirrte sie.

„Lara! Super, dass du wieder bei uns bist!“

Das war Lucies laute, aber freudig klingende Stimme. Lara drehte sich um und sah direkt in das erhitzte Gesicht der Frau.

„Ich sag’s ja immer wieder! Wer einmal in Schiva war, den zieht es immer wieder hierher zurück!“

Fröhlich nahm die Frau Lara in ihre Arme und drückte sie fest an sich.

„Du solltest nicht so viel nachdenken, Kleines, das macht alt und beschert Falten“, sagte Lucie, als sie Lara losgelassen und ihr grübelndes Gesicht sah. Verlegen schaute Lara auf den Boden. Warum konnten nur alle wie in einem offenen Buch in ihr lesen? Sie war wirklich zu leicht zu durchschauen – gar nicht gut.

„Ich … hab viele Fragen über Schiva, die ich euch gerne stellen würde, aber ich will Sie, ähm, damit nicht nerven oder langweilen oder so.“

„Ach Unsinn, Lara“, erwiderte Lucie schnell, „natürlich werde ich …“

„Da bist du ja endlich! Hier ist wie jeden Freitag die Hölle los und du kommst zwei Stunden zu spät! Was denkst du dir eigentlich, was ich die ganze Zeit tue!“

„Jetzt halt aber mal die Luft an, Dicker!“, unterbrach Lucie den aufgebrachten Wirt. „Ich habe auch einen triftigen Grund für meine Verspätung!“

„Ach ja? Und der wäre?“

Wütend und durchgeschwitzt betrachtete Amboss die Kellnerin, die sich gerade eine weiße Schürze um die Hüften band.

„Später! Jetzt ist keine Zeit zum Reden“, antwortete sie knapp, aber bestimmt, und nickte dabei kaum merklich in Laras Richtung. Dem Mädchen war die Situation irgendwie peinlich. Warum wusste sie auch nicht genau.

„In Ordnung“, gab Amboss schnaufend nach, „aber beeile dich! Die nehmen uns sonst noch die Bude auseinander.“

Nun spurtete er wieder hinter die Bar und musste gleich darauf neue Bestellungen ausführen. Lara schwor sich, auf keinen Fall nach der Schule in der Gastronomie anzufangen. Viel zu hektisch. Dem wäre sie nicht gewachsen.

„Der beruhigt sich schon wieder! Ist halt viel los! Deine Fragen werde ich dir morgen beantworten, in Ordnung? Ist jetzt nicht der günstigste Zeitpunkt. Es ist freitags immer so viel Betrieb. An den anderen Tagen ist es hier fast wie ausgestorben“, meinte Lucie, bevor sie ein Tablett mit vollen Gläsern nahm und begann, von Tisch zu Tisch eilen.

Lara gestand sich ein, dass dieser Abend wirklich ungünstig zum Reden war. Es eilte ja auch nicht mit ihren Fragen, denn sie wollte auf jeden Fall noch öfter herkommen. Trotzdem fand sie es seltsam, dass die „Singende Schwalbe“ an anderen Tagen leer sein sollte. Das hörte sich irgendwie unwirklich an, aber immerhin war das hier alles ja auch nicht echt. Zumindest fast nicht, oder?

„Ach verdammt!“, murmelte Lara, „ich muss wirklich aufhören, mir so viele Gedanken zu machen! Lucie hat völlig recht.“

Wie war eigentlich Schiva? Sie war ja bisher nur in dem Gasthaus gewesen. Na ja, sie war eben erst das zweite Mal hier. Dies wollte sie ändern und zwar sofort. Hier konnte sie ohnehin nicht viel tun und die beiden waren viel zu beschäftigt, um sich mit ihr herumzuschlagen. Lara beschloss, ihre Cola auszutrinken und dann das Gasthaus zu verlassen. Sie blickte kurz zur Tür, durch die eben weitere Gäste hereingekommen waren. In diesem Moment spürte sie, dass jemand sie beobachtete. Ihr wurde unwohl zumute. Schnell dreht sich Lara um. Sie musste nicht lange suchen, denn sein Blick ließ die Luft erzittern. Er war ungefähr zwanzig Jahre alt, trug schwarze, lange Jeans, einen ebenfalls schwarzen Pullover und schwarze Schuhe. Seine Haut war beinahe unnatürlich blass und seine schwarzen, düsteren Augen funkelten sie böse und warnend zugleich an. Seine hellbraunen, fast weißlich wirkenden, schulterlangen Haare fielen ihm sanft ins kantige Gesicht.

Lara schloss schnell die Augen. Ihr lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken. Zögernd öffnete sie ihre Augen wieder und machte sich darauf gefasst, seinem messerscharfen Blick standzuhalten, doch er war weg. Spurlos verschwunden. Hektisch sah sie sich um. So schnell konnte er unmöglich das Gasthaus verlassen haben. Er musste hier noch irgendwo sein, jedoch konnte sie ihn nirgends entdecken. Es war, als hätte die Erde sich aufgetan und ihren Fürsten der Unterwelt wieder geschluckt.

„Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!“

Lucie brachte gerade einige leere Gläser zurück und sah sie mit einem sorgenvollen Blick an. Lara schluckte.

„Ich … da war“, stammelte sie verwirrt. Die Frau sah sie wartend an und Lara fühlte sich sichtlich unwohl.

„Ach nichts. Ich glaube, ich bin nur ein bisschen müde.“

„Denk daran, egal was ist, du kannst es uns sagen. Dafür sind wir da.“

„Danke, ehrlich.“

Lucie nickte und wollte sich gerade abwenden, als Lara sie zaudernd an der Schürze festhielt und noch eine Frage stellte.

„Komme ich nur zurück nach Hause, wenn ich auf dem Transformator stehe?“

„Nein. Bei der Rückkehr ist es egal, wo du bist. Nur wenn du nach Schiva kommst, ist der Transformator hier dein Ankunftsplatz“, antwortete die Kellnerin sachlich, nickte dem Mädchen noch einmal zu und verschwand schließlich in der Tür hinter der Bar. Lara leerte schnell ihr Glas und drängte sich durch die Menschenmenge auf die Ausgangstür zu. Sie brauchte dringend frische Luft. Viel zu langsam konnte sie sich durch die angetrunkene Menschenmasse kämpfen und fast hatte sie es zur Ausgangstür geschafft, doch bevor sie hinausgehen konnte, befand sie sich auch schon wieder in ihrem mit Kerzen beleuchteten Zimmer.

Kapitel 3: Samstag, 8:00 Uhr

Am nächsten Tag kehrte Lara um acht Uhr nach Schiva zurück. Daheim spitzte sich die Lage, wie ihr schien, immer mehr zu. Vielleicht sollte sie von zu Hause ausziehen, allerdings hatte sie kein Geld, da sie noch zur Schule ging. Doch sie nahm sich vor, spätestens wenn sie eine Ausbildung gefunden hatte, ihr Elternhaus zu verlassen. Unbedingt.

„Stan hat ja so viel um die Ohren“ oder „er ist in einem schwierigem Alter“, „zum Streit gehören immer zwei“, waren die typischen Antworten ihrer Mutter, wenn Lara zu ihr kam und erzählte, dass sie das nicht mehr aushalten würde. Es war immer dasselbe. So auch gestern Abend. Warum musste sie sich das immer gefallen lassen? Das war doch einfach nur ungerecht! Warum durfte sie nichts und ihr Bruder hatte bei allem Narrenfreiheit? Bestimmt hatte sie etwas in ihrem früheren Leben verbrochen und musste jetzt dafür büßen –die Nachwehen von schlechten Taten aus einem vorherigen Leben.

Als sie nun ankam, war alles im Wirtshaus still und verlassen. Suchend blickte sie sich um, doch weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.

„Hallo? Lucie? Amboss? Ich bin es. Seid ihr da?“

Jedoch bekam Lara keine Antwort. Sollte sie warten, bis sie kamen? Vielleicht waren sie nur kurz aus dem Haus und würden jede Sekunde zurückkommen. Was aber, falls nicht?

„Sie werden bestimmt gleich kommen“, murmelte Lara leise vor sich hin wie ein trotziges, kleines Kind. Ihr war unwohl zumute. Sie war nicht gerne allein, denn das war sie ohnehin meistens. Sie hatte keine Freundinnen, nicht mal gute Kameraden, keinen Freund, einfach niemanden. Das Einzige, was sie hatte, war ihr jüngerer Bruder Stan, der es sich zum Hobby gemacht hatte, sie zu quälen. In Gedanken versunken ging Lara auf die Bühne zu. Es musste ein tolles Gefühl sein, auf der Bühne zu stehen, zu singen und von unzähligen Leuten bewundert zu werden. Sie musste einfach auf die Bühne steigen, es zog sie geradezu magisch an. Sie schaute sich vorher noch einmal kurz um, doch sie war noch immer allein. Vorsichtig kletterte Lara auf die Bühne und fluchte leise vor sich hin, als sie prompt in einen kleinen Splitter trat. Als sie nun so auf der Bühne stand und herunterblickte auf die leeren Tische und Stühle, durchzog ein berauschendes Prickeln ihren Körper. Schnell schloss sie ihre Augen und stellte sich vor, wie sich der Raum langsam füllte, wie immer mehr Menschen in das Gasthaus strömten, um sich die letzten freien Plätze zu ergattern und um sie zu sehen. Sie, Lara, die sonst nicht beachtet wurde. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Es war ein tolles Gefühl, auf der Bühne zu stehen, und langsam, ohne dass sie es selbst bemerkte, fing sie an ihr Lieblingslied „It’s a Heartache“ von Bonnie Tylor zu singen. Alles um sie herum war vergessen. Es zählte nur der Moment. Sie ließ sich einfach von den Wogen des Glücks und ihrer Fantasie treiben. Auch ihre brennenden Augen vermochten sie nicht aufzuhalten.

Als sie den Song zu Ende gesungen hatte und sich die Tränen mit dem Ärmel ihres roten Pullis abwischte, vernahm sie ein lautes Klatschen. Erschrocken schlug Lara die Augen auf. An einem der hinteren Tische saß Amboss, der jetzt aufstand und auf sie zu schlenderte.

„Mädchen, das war wirklich klasse! Du hast echt Talent. Eine Engelsstimme, wirklich wie von einem Engel! Sagenhaft.“

Er reichte Lara seine große Hand und half ihr von der Bühne herunter. Lara lächelte verlegen. Es war ihr etwas peinlich, dass jemand sie so gesehen hatte, voller Gefühl, voller Emotionen – die richtige Lara, die die sich eigentlich nie traute, anderen zu offenbaren. Sie mochte das Gefühl nicht. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.

„Als ich reinkam, hörte ich deine Stimme. Du singst so – wie soll ich es ausdrücken? Mit ganzem Herzen! Genau, das ist es! Du singst mit ganzem Herzen, bist voll dabei.“

Amboss sah sie begeistert und bewundernd zugleich an. Lara errötete sichtlich unter seinem Blick. Er schien es tatsächlich ernst zu meinen. Er fand sie wirklich gut! Das war eine ganz neue Situation für sie – aber es war irgendwie schön. Sie schluckte.

„Was ist los?“, fragte der Wirt erstaunt, als er ihre Reaktion bemerkte.

„Ich meine das wirklich ernst! Ein Amboss lügt niemals! Das kannst du mir glauben!“, versicherte er ihr eilig und fuchtelte dabei mit seinen großen Händen in der Luft herum wie ein Betrunkener, der seinen Halt verlor. Sie musste leicht grinsen.

„Nein, es ist nur“, begann Lara zögernd zu sprechen, „das hat mir bisher noch niemand gesagt. Ich bin …“

„Was?! Das hat dir noch niemand gesagt?!“, unterbrach der Wirt sie und Empörung klang in seiner Stimme mit. „Was ist mit deiner Familie? Die hat dich doch bestimmt schon singen gehört.“

Lara nickte kurz und blickte, immer noch verlegen von der Begeisterung des Mannes, zu Boden. Sie war sichtlich verwirrt.

„Dafür interessiert sich niemand daheim. Aber das ist nicht so schlimm.“

Der Wirt sah sie durchdringend an und schüttelte nachdenklich seinen Kopf.

„Du kannst mit mir über alles reden, das weißt du ja. Ganz gleich, was es ist, und sag nicht, dass es dir egal ist oder nicht so schlimm. Das kaufe ich dir nicht ab.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, legte Amboss seinen Arm um Laras schmale Schulter und schob sie zum Tresen.