Gesprächsführung in der Seelsorge - Reinhold Ruthe - E-Book

Gesprächsführung in der Seelsorge E-Book

Reinhold Ruthe

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Beschreibung

Dieses Buch enthält das bewährte Standardwerk von Reinhold RutheGesprächsführung in der Seelsorge“. Damit liegt ein umfassendes Handbuch zur therapeutischen Seelsorge vor, das in erster Linie ein Buch aus der Praxis und für die Praxis ist. Es bietet ein klares therapeutisches Konzept, das sich an der Bibel orientiert. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Seelsorger und Berater hat Reinhold Ruthe dieses Arbeitsbuch entwickelt. Er wendet sich damit an Seelsorger wie auch an interessierte Laien , die in der Gemeinde mit den Problemen Rat suchender Menschen konfrontiert werden. Das umfassende Handbuch zur therapeutischen Seelsorge von Reinhold Ruthe – aus der Praxis, für die Praxis.

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Reinhold Ruthe

Handbuch der therapeutischen Seelsorge Band2

Gesprächsführung in der Seelsorge

Ein praktischer Leitfaden für Seelsorger und Berater

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86506-818-7

© 2009 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: GettyImages

Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Kapitel 1 Was ist Seelsorge?

Ziel der Seelsorge

Zum Verhältnis von Heil und Heilung

Beraten ‒ bezeugen ‒ befreien

Die Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers ‒ Vorteile und Grenzen

Kapitel 2 Der Seelsorger klärt die Probleme und den Arbeitsauftrag

Was bewegt den Ratsuchenden?

Der Seelsorger fragt nach dem Problem

Der Seelsorger wiederholt das Problem

Sieben Versionen, wie der Seelsorger an ein Problem herangehen kann

Drei Formen des Problems

Der Arbeitsauftrag

Herausarbeitung des Problems ‒ Herausarbeitung des Arbeitsauftrags

Die Unterschiede zwischen Problem und Arbeitsauftrag

Richtige und falsche Arbeitsaufträge

Ein problematischer Arbeitsauftrag ‒ ein Beispiel

Der Abschluss des Gesprächs

Kapitel 3 Aktives Zuhören lernen

Welche Vorteile hat aktives Zuhören?

Varianten des reflektierenden Zuhörens

Aktives Zuhören muss ständig neu trainiert werden

Zuhören heißt, das Wesentliche zu erfassen

Ein Beispiel erleichtert das aktive Zuhören

Kapitel 4 Der Seelsorger erarbeitet die Motive

Probleme und Motive

Die Folgen ungeistlicher Motive

Fünf Beispiele zur Motivationsklärung

Die Reaktionen des anderen verraten seine Ziele und Motive

Wozu sucht ein Ratsuchender den Seelsorger auf?

Kapitel 5 Der Seelsorger schaut sich und seine Gesprächsführung an

Der Seelsorger und die Selbsterforschung

Wie habe ich die bisherigen Gespräche erlebt? ‒ Fragen an den Ratsuchenden

Fragebogen zur Selbstprüfung für den Seelsorger

Wenn der Seelsorger Probleme mit sich hat

Der Seelsorger überprüft seine Gesprächseinstellung

Der Seelsorger bestimmt nicht das Gespräch

Der Seelsorger überprüft sein „Helfersyndrom“

Der Seelsorger und sein Umgang mit Sympathie und Antipathie

Der Seelsorger überredet nicht

Der Seelsorger bevorzugt die „offene Kommunikation“

Der Seelsorger überprüft sein einfühlendes Reflektieren

Selbsterforschungsfragebogen für den Seelsorger

Kapitel 6 Über den Umgang mit Fehlern und Fallen

Die drei Arten von Anliegen

Der Seelsorger hebt die drei Anliegen ins Licht

Über den Umgang mit Fehlern in der Gesprächsführung

Über den Umgang mit Deutungen

Stellen Sie selbst Ihre Deutungen in Frage!

Über den Umgang mit Gesprächspausen

Über den Umgang mit Ratschlägen

Über den Umgang mit Allgemeinsätzen

Über den Umgang mit eigenen Erfahrungen

Über den Umgang mit so genannten „guten Absichten“

Über den Umgang mit „Gesunden“ und „Kranken“

Über den Umgang mit Persönlichkeitsstrukturen

Über den Umgang mit Gesprächsanteilen bei zwei Ratsuchenden

Wenig hilfreiche Fragen an den Ratsuchenden

Fragen zu Gebieten, die der Ratsuchende nicht angesprochen hat

Suggestivfragen und mehrere Fragen auf einmal

Kapitel 7 Über den Umgang mit Glaubensproblemen

Beispiel: Beten

Beispiel: Besuch bei einem unheilbar Kranken

Beispiel: Ich habe schreckliche Angst!

Beispiel: Wenn das Ende kommt

Kapitel 8 Wie kommt es zur Lebensstilkorrektur?

Wann wird eine Lebensstiländerung fruchtbar?

Praxis der Gesprächsführung ‒ Vier Schritte

Es gibt Veränderungen nach einem Gespräch

Was schränkt Lebensstiländerungen ein?

Die Lebensstilkorrektur ‒ mit Gottes Hilfe

Kapitel 9 Über den Umgang mit Vergebung und Beichte

Vergebung ist ein Prozess

Vergebung ist ein erster Schritt

Wenn nach der Vergebung bittere Gefühle bleiben

Vergebung und Befreiung bei okkulten Belastungen

Beichte und Vergebung

Fragen zur Selbstprüfung

Vergebung und das konkrete Gebet

Wie konkret beten wir?

Wie lauten hilfreiche Gebete?

Vergeben und Verzeihen in Ehe und Partnerschaft

Literaturhinweise

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Gesprächsführung ist die Grundlage für eine fruchtbare und hilfreiche Seelsorge. Gespräche bestimmen das Klima zwischen Ratsuchendem und Seelsorger.

Gesprächsführung ist das Band der Verständigung zwischen den Parteien.

Unter Gesprächsführung verstehen wir die Kunst,

den Ratsuchenden ernst zu nehmen,

die Probleme zu erkennen und zu verstehen,

die Motive und Hintergründe der Symptome zu erhellen

und mit Gottes Hilfe gemeinsame hilfreiche Lösungen zu suchen.

Was beinhaltet beratende und therapeutische Seelsorge?

Beratende therapeutische Seelsorge ist vom Wesen her biblische Seelsorge. Im geistlichen Sinne ist der Mensch kein Selbstversorger, sondern darauf angewiesen, umsorgt zu werden. „Alle eure Sorge werft auf ihn; er sorgt für euch“, heißt es in 1. Petrus 5,7. Das bedeutet also, der eigentliche Seelsorger ist Christus, wir sind seine Werkzeuge und Mitarbeiter.

Therapeutisch meint zweierlei: Das griechische Wort „therapeuo“ bedeutet „dienen“ und „helfen“. Von daher sind therapeutische Seelsorger keine Psychotherapeuten oder Ärzte, sondern berufene Mitarbeiter des Herrn. Jesus hat seine Jünger und uns dazu berufen, zu predigen und zu heilen (Markus 6 und Matthäus 10). Wortzeugnis und Tatzeugnis, Glaubenshilfe und Lebenshilfe gehören unverbrüchlich zusammen.

Auf der anderen Seite verwendet man aber auch methodische und wissenschaftliche Hilfen aus den Humanwissenschaften. Therapeutische Seelsorge ist Fachseelsorge. Therapeutische Seelsorge ist ganzheitliche Seelsorge. Glaubensprobleme, Ehe-, Lebens- und Familienkonflikte werden aus dem Lebensstil dieses Menschen erklärt. Die unbewussten Ziele und Motive der Symptome werden diagnostiziert und bewusst gemacht. Therapeutische Seelsorge zielt nicht nur auf Heilung von Ängsten, von Beziehungsstörungen und von seelischen Verwundungen, von Lebens- und Familienproblemen, sondern hat das Heilwerden in Christus im Auge.

Von daher sollte auch jedes seelsorgerliche Gespräch mit dem Gebetsruf beginnen: „Herr, ich bin dein Werkzeug, dein Mitarbeiter, dein Mund. Ich verlasse mich auf deinen Heiligen Geist, der meine Gespräche steuert. Ich danke dir, dass du der Dritte in unserer Mitte bist.“

Dieses Buch über Gesprächsführung in der Seelsorge ist in erster Linie für Laien gedacht, die als bewusste Christen in der Gemeinde und für die Gemeinde Seelsorge treiben. Ich hoffe aber, dass auch Prediger, Diakone, kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einen Gewinn davon haben.

Bewusst habe ich darauf verzichtet, alle Hilfen, Methoden und Instrumente, die aus verschiedenen humanwissenschaftlichen Bereichen genommen sind, literarisch exakt zu belegen. Ich habe Anregungen

aus der Gesprächspsychotherapie von Karl Rogers,

aus der Individualpsychologie von Alfred Adler,

aus der rational-emotiven Therapie von Albert Ellis,

aus der Logotherapie von Viktor E. Frankl,

aus der kognitiven Therapie

und aus Büchern und Belegen von Jay E. Adams, Werner Jentsch, Lawrence J. Crabb, Michael Dietrich und vielen anderen verwendet.

Die Anregungen sind das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit als Seelsorger und Berater. Über 20 Jahre habe ich eine Beratungsstelle für Ehe-, Lebens- und Familienfragen in der Landeskirche geleitet. Vor dreizehn Jahren habe ich mit meiner Frau und meiner Tochter ein Institut für beratende und therapeutische Seelsorge gegründet, in dem engagierte und bewusste Christen in Lehrgängen dafür ausgebildet wurden, eine fachlich kompetente Seelsorge zu leisten.

Dieses Institut hat im Jahre 2000 seine Arbeit eingestellt. Inzwischen haben sich daraus aber drei weitere Institute gebildet, die die Arbeit fortsetzen.

Kapitel 1

Was ist Seelsorge?

Der Begriff Seelsorge kommt in der Bibel nicht vor. Die Bibel beschreibt aber die unterschiedlichsten seelsorgerlichen Aktivitäten. Da der christliche Glaube alle Lebensbereiche umfasst, hat Seelsorge immer mit Glaubens- und Lebenshilfe zu tun. Seelsorge ist praxisbezogene Vermittlung des Evangeliums in Form von freien Gesprächen, in denen die Seelsorge Gottes zur Sprache kommt. Professor Werner Jentsch hat die Haupttätigkeiten des Seelsorgers präzise mit „beraten ‒ bezeugen ‒ und befreien“ gekennzeichnet. Das heißt, der Seelsorger bringt sich persönlich als Zeuge ein, versucht sachlich und kompetent Gespräche zu führen und befreit den Ratsuchenden im Namen Jesu von Schuld und Sünde, wenn dieser darum bittet.

Der hebräische Begriff für Seele, nämlich nefesh, weist darauf hin, dass der Mensch einen Leib hat. Seele ist ein an den Körper gebundenes Leben. Seele ist nach biblischem Verständnis das lebendige Geschöpf. Seelsorge beschäftigt sich also mit dem ganzen Menschen,

mit seiner Körperlichkeit,

mit seinem Denken,

mit seinen Gefühlen, Emotionen und Affekten

und mit seinem geistlichen Erleben.

Sorge spielt im Neuen Testament eine große Rolle. Paulus sorgt sich um die Gemeinde (2. Korinther 11,28). Paulus spricht von der „wechselseitigen“ Seelsorge der Gemeindeglieder untereinander (1. Korinther 12,25). Jesus will, dass die Sorge überwunden wird: „Sorget nicht!“ (Matthäus 6,25). Das eigentliche Monopol für die Sorge liegt bei Gott. Seelsorge ist in der Tat sorgemotiviert.

Seelsorge ist also Personensorge und Menschensorge im Namen Jesu. Dieser Zusammenhang wird bereits auf den ersten Seiten der Bibel deutlich: „Da bildete Gott, der Herr, den Menschen aus Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens. So wurde der Mensch eine lebendige Seele“ (1. Mose 2,7).

Der Mensch bekam die Seele nicht als Zubehör, er wurde eine lebendige Seele. Früher sagte man im Volksmund völlig richtig: „Der Ort hat dreihundert Seelen.“ Gemeint sind dreihundert Menschen, dreihundert Personen aus Fleisch und Blut.

Jesus Christus bildet die Mitte der Seelsorge und darf von diesem Platz nicht verdrängt werden.

Ziel der Seelsorge

Das Ziel der Seelsorge besteht darin, den Menschen in seinen Nöten zu verstehen, ihn in seinen Problemen und Schwierigkeiten zu begleiten, ihm Trost zu vermitteln und mit ihm gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Der Seelsorger will Raum für Gottes Wirken öffnen, so dass der Ratsuchende eine Begegnung mit Jesus Christus in seinen konkreten Problemsituationen erfahren kann.

Ziel der Gesprächsführung in der Seelsorge ist,

dass der Ratsuchende seine Probleme mit allen Einzelheiten ausbreiten kann und schon dadurch ein Stück Entlastung erfährt;

dass dem Ratsuchenden bewusst wird, dass alle Probleme

ganzheitlich

zu verstehen sind. Sie tangieren Leib, Seele und Geist, Gott und die Mitmenschen;

dass der Ratsuchende sich mit allem, was er zu sagen hat, verstanden und ernst genommen fühlt;

dass der Ratsuchende mehr zu seinem wirklichen Wesen, zu seinem Ich und zu seiner Persönlichkeit findet;

dass der Ratsuchende sich als gleichwertiger Mitarbeiter im Beratungsprozess versteht;

dass der Ratsuchende den Mut und die Freiheit gewinnt, ohne Angst und ohne Abwehr über Schwierigkeiten und Belastungen seines Lebens oder über Beziehungsstörungen zu sprechen;

dass der Ratsuchende ermutigt wird, über Glaubensfragen, Glaubenszweifel und Glaubensängste zu sprechen;

dass der Ratsuchende lernt, mehr Eigenständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit zu entfalten;

dass der Ratsuchende die Stärke gewinnt, unabhängiger (auch vom Seelsorger) zu werden, um selbst Lösungen für seine Probleme zu finden;

dass der Ratsuchende zur Selbsthinterfragung angeregt wird und den Sinn und das Ziel seiner Verhaltensmuster und Lebensgrundeinstellungen versteht;

dass der Ratsuchende als Christ lernt, die versteckten Wünsche, Ziele und Motive seiner möglichen Probleme konkret ins Gebet zu nehmen;

dass der Ratsuchende gewonnen wird, konstruktive Veränderungen und Lebensstilkorrekturen als Mensch und Christ zu erfahren.

Zum Verhältnis von Heil und Heilung

Durch den Sündenfall gehört der Mensch zur gefallenen Welt. Sünde, Tod und Teufel als Feinde Gottes beweisen ihre Macht. Gleichzeitig ist jeder Mensch aber ein Geschöpf Gottes. Er ist begabt, zu denken, zu fühlen, zu handeln und sich für oder gegen Gott zu entscheiden.

Ohne eine Beziehung zu Jesus Christus lebt der Mensch getrennt von Gott. Er ist ein Sünder und benötigt die Erlösung durch Jesus Christus. Dieses Heil ist menschlich nicht machbar, es ist dem Menschen allein in Christus zugesprochen.

Seit dem Sündenfall lebt der Mensch eine dreifache Störung:

er hat Beziehungsstörungen

mit sich

,

er hat Beziehungsstörungen

mit anderen

,

er hat Beziehungsstörungen

mit Gott

.

Durch körperliche Störungen, durch falsch verarbeitete Lernprozesse von früher Kindheit an und durch Verhaltens- und Einstellungsstörungen können Denken, Handeln und Fühlen des Menschen verändert werden. Drei verschiedene Möglichkeiten gibt es, seelische Störungen zu heilen oder zu verringern:

medikamentöse Behandlung,

Veränderung der bisherigen Lebenseinstellung,

Wiederherstellung der Beziehung zu Gott.

Bei überwiegend körperlich begründeten Störungen, etwa Psychosen oder endogenen Depressionen, werden in erster Linie Medikamente eingesetzt. Bei so genannten neurotischen Störungen, etwa Zwängen, Ängsten, Entscheidungsschwächen, Süchten und Phobien, können verschiedene therapeutische Schulen helfen.

Menschen können Heilung erfahren, aber kein Heil. Denn das Heil ist eine geistliche Dimension. Es geht um Sünde und Trennung von Gott. Menschen, die hier im letzten Sinne des Wortes heil werden, erfahren in der Regel auch Heilung auf vielen anderen Lebensgebieten.

Seelsorger, die Heil und Heilung eines Menschen im Auge behalten, betreiben eine ganzheitliche Seelsorge. Denn selten ist ein Problem nur auf einen Aspekt des Menschen bezogen. In der Regel ist es so, dass der ganze Mensch in allen Lebens- und Glaubensbezügen betroffen ist.

Der Theologe und Therapeut Wolfgang Bittner hat über Heil und Heilung ein Buch geschrieben, in dem er formuliert:

„Wovon gehen wir aus? Mit Jesu Wiederkunft, auf die unser Leben und unser Dienst ausgerichtet sind, ist uns ein ,Datum’ gegeben, das uns leiten muss. Erst mit seiner Wiederkunft wird der Tod als der letzte Feind überwunden sein. Vorher ist eine Heilung von Krankheit ebenso wie die Totenerweckung Zeichen der kommenden Herrschaft Gottes und nicht die Normalität. Solange der Tod nicht vernichtet ist, kann auch unter uns die Krankheit ,noch nicht’ als überwunden gelten. Hier sind uns Grenzen gesetzt, die ohne Gefahr der Schwärmerei nicht überstiegen werden können …. Wenn Gott uns Menschen in

Jesus Christus, seinem Sohn, sein Heil schenkt, dann bedeutet das, dass er uns aus der Verfallenheit an all das Böse, in dem wir stehen, herauslöst. ,Heil’, das ist Gottes entschlossenes Nein zum Bösen in allen seinen Erscheinungsformen und allen seinen Auswirkungen …. Heil und Heilung sind für die Bibel eine unlösbare Einheit. Weil Gott unser Heil will, weil er uns Menschen als ganze meint, will er, dass wir an Geist, Seele und Leib heile Menschen werden.“1

Jesus will uns nicht nur glücklich machen, er will uns selig machen. Er will nicht nur unser Wohl, sondern auch unser Heil. Er will, dass wir uns nicht nur wohl fühlen, sondern auch, dass wir heil sind. Von zehn Leprakranken kehrte einer um und dankte ihm. Jesus sagte zu ihm: „Dein Glaube hat dich gerettet.“

Beraten ‒ bezeugen ‒ befreien

Mein ehemaliger Lehrer, Prof.Dr.Werner Jentsch, hat für meine Begriffe am treffendsten die Leitgedanken biblisch therapeutischer Seelsorge formuliert: Beraten ‒ bezeugen ‒ befreien. Diese drei Haupttätigkeiten der Seelsorge sind und bleiben tonangebend.

Der Seelsorger ist ein Berater.

Der Seelsorger ist ein Zeuge.

Der Seelsorger ist ein Befreier.2

Werner Jentsch bringt auf den Punkt, wo heutzutage die Schwerpunkte in Beratung und Seelsorge liegen:

„Dann tritt unter Umständen die Konvergenz (Übereinstimmung) von Beratung und Seelsorge in der Person ein. Könnte es doch sein, dass ein solcher Berater einmal mitten im Beratungsprozess Farbe bekennen muss, was er selber denkt. Er kann dann nicht ausweichen, sondern wird Stellung beziehen, ohne damit den Klienten dirigistisch zu beeinflussen. Mehr denn je schlägt zurzeit in der Seelsorge die Stunde des ,Laien’ bzw. des Nicht-Experten. Was wir heute im Dienst am Menschen brauchen, ist jedenfalls nicht immer die institutionalisierte, sondern die personalisierte Beratung, und nicht nur die ordinierte, sondern die personalisierte Seelsorge!“3

Genau das sind auch meine Erfahrungen. Viele Pfarrer und Pastoren haben an unserem Institut für „beratende und therapeutische Seelsorge“ ihre Ausbildung gemacht. Die Folge? Immer mehr Gemeindeglieder suchen diese kompetenten Fachseelsorger auf. Plötzlich wandelt sich der Dienst in der Gemeinde. Die Seelsorge wird zu einem Schwerpunkt.

Und der Nachteil? Der hauptamtliche Pastor und Mitarbeiter wird übermäßig stark frequentiert. Andere Dienste in der Gemeinde werden vernachlässigt. Jentsch hat Recht, wir brauchen dringend kompetente Laien, die als engagierte Christen in der Gemeinde aktiv sind und sich zu Fachseelsorgern ausbilden lassen, um für die Gemeinde den beraterisch-seelsorgerlichen Dienst zu übernehmen.

Beraten

Die erste Haupttätigkeit des Seelsorgers ist das Beraten. Der Seelsorger ist Berater unter dem Evangelium. Der Seelsorger als Berater sagt dem Ratsuchenden von vornherein, dass er keine Patentrezepte parat hat. Beide arbeiten gemeinsam daran, Lösungen für konkrete Glaubens- und Lebensprobleme zu finden.

Die Konzeption einer gesprächstherapeutischen Beratung ist in den 50er Jahren von Carl Rogers am konsequentesten entwickelt worden. Einsicht, Vertrauen und Unabhängigkeit des Ratsuchenden spielen eine große Rolle. Rogers' Beratungsmethode will „Hilfe zur Selbsthilfe“. In diesem „klientenorientierten Konzept“ sind Hilfen aus dem Glauben ausgeklammert.

Aber Beratung unter dem Evangelium ist mehr

… als innere Blockaden beim Ratsuchenden abzubauen,

… als befriedigende Beziehung mitmenschlicher Art zu erreichen,

… als die Last der Probleme und die Übernahme von Verantwortlichkeit zu bewältigen,

… als Gewinnung von Ich-Identifikation und Ich-Stärke,

… als Reifungs-, Werde- und Wachstumshilfe.

Bezeugen

Der zweite Schwerpunkt der Seelsorgetätigkeit ist das Bezeugen. Der Seelsorger ist Zeuge Jesu Christi. Er hat einen apostolischen Auftrag. Der Seelsorger will dem Ratsuchenden nicht nur zur fehlenden „Ich-Stärke“ verhelfen, es geht auch um die Forderung Jesu. „Tut Buße!“, ändert euch total, kehrt um und lasst euch bedingungslos auf Jesus ein. Von daher ist Seelsorge immer auch ein Stück Glaubenshilfe. Glaubenshilfe und Lebenshilfe sind keine Gegensätze, sie schließen sich nicht gegenseitig aus. Richtige Glaubenshilfe verwirklicht sich in der Lebenshilfe.

Was ist ein Zeuge?

Der griechische Ausdruck mártys (davon ist der Märtyrer abgeleitet) meint einen Menschen, der aufgrund seines Augenscheins und seines Erlebens sichere Kunde von etwas geben kann. Der Ausdruck wird im Neuen Testament auch für Menschen gebraucht, die vor Gericht zeugen. Im Neuen Testament sind Zeugen dann Personen, die direkte Kunde von Taten Gottes bringen oder ihnen unmittelbar Offenbartes mitteilen können. Ein Zeuge im Verständnis des Evangeliums ist ein Christuszeuge. Er hat etwas mit dem Auferstandenen erfahren und legt anderen gegenüber davon Zeugnis ab.

In der Seelsorge erlebe ich immer wieder, dass mich ein Ratsuchender befragt:

„Wie sehen

Sie

das denn als Christ?“

„Wie gehen

Sie

als Christ damit um?“

„Wie haben

Sie

als Christ in Problembereichen Gottes Hilfe erfahren?“

Selbstverständlich gehe ich darauf ein. Ich kann mich nicht hinter einem privaten Schutzschild verstecken, wie ich es in Berlin während meiner Ausbildung zum Eheberater gelernt habe: „Hilft Ihnen das, wenn ich darüber rede, wie ich Problemsituationen bewältigt habe?“

Dieses „therapeutische Distanzverhalten“ kann in einigen Fällen hilfreich sein, etwa wenn der Seelsorger dazu neigt, zu viel über sich zu berichten. Hier bin ich als Zeuge gefragt und deshalb antworte ich. Selbstverständlich mache ich darauf aufmerksam,

… dass es meine Erfahrungen mit Jesus sind,

… dass es meine Praktiken waren oder sind, wie ich gehandelt habe,

… dass es meinem Lebensstil entspricht, diese Entscheidungen zu treffen.

Das Zeugnis gerät leicht in den Hintergrund, weil das Gesprächsanliegen des Ratsuchenden einen breiten Raum einnimmt. Zu Recht. Und doch hat das Gesprächsanliegen des Ratsuchenden etwas mit seinem Glauben zu tun. In den Problemen werden nicht nur „Fehlentscheidungen“ und „irrige Überzeugungen“ deutlich, sondern immer auch Schuld vor Gott und dem Nächsten.

Der Zeuge gibt Zeugnis,

aber er

erdrückt

den Ratsuchenden nicht,

er

überredet

den Ratsuchenden nicht,

er

zwingt

den Ratsuchenden nicht,

er

erpresst

den Ratsuchenden nicht.

Die Erlösungstat Jesu ist ein Angebot, keine Drohung. Es ist nicht nötig, dass der Berater Christ ist. Der Seelsorger aber, der berät, muss ein Zeuge Jesu Christi sein.

In praktischen Beispielen soll das Zeugnis des Seelsorgers zur Sprache kommen.

Befreien

Die meisten Ratsuchenden, die kommen, leiden unter verschiedensten Symptomen.

Sie leiden unter dem Druck der Vergangenheit.

Sie leiden unter Ängsten und Phobien.

Sie leiden unter unerklärlichen Zwängen.

Sie leiden unter Befürchtungen und Zweifeln.

Sie leiden unter Ehestörungen und Sexualproblemen.

Sie leiden unter Schuld und Schuldgefühlen.

Die Befreiung von echter Schuld ist ohne Christus undenkbar. „Wenn mich nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei“ (Johannes 8,36). Deutlich muss werden: Wirkliche Vergebung bezieht sich auf wirkliche Schuld. Leider gibt es auch eingeredete, eingebildete und irrige Schuldgefühle. Es können krankhafte, neurotische Schuldgefühle sein, die sensible Menschen falsch gehört, falsch interpretiert und falsch verarbeitet haben.

Buße macht frei und hilft zur Freude. Der Mensch wird eine Last los.

Wer beichtet, sagt Nein zu seinem Verhalten und Ja zu Christus. Sündenbekenntnis und Christusbekenntnis gehören zusammen. Befreien können nur Befreite. Daher muss der Seelsorger selbst die Befreiung seiner Schuld durch Christus erfahren haben. Wer Seelsorge an sich erfahren hat, wer vor einem Menschen Sünde bekannt hat und wem die Vergebung im Namen Jesu zugesprochen wurde, der kann diesen Befreiungsdienst in der Seelsorge am hilfreichsten verrichten.

Werner Jentsch fasst noch einmal zusammen, wie Befreiung in der christlichen Seelsorge zu verstehen ist:

„Die offene Frage allerdings ist, was sich die jeweiligen Vertreter des Gedankens einer seelsorgerlichen Befreiung konkret unter der erstrebten Freiheit vorstellen. Die einen denken, dass die seelsorgerliche Befreiungshilfe ausschließlich oder doch zumindest wesentlich durch die Kräfte des Evangeliums zustande kommen, die anderen meinen, dass die Person des therapeutischen Seelsorgers oder zumindest bestimmte tiefenpsychologische oder gesprächs- und gruppentherapeutische Methoden im Prozess der Seelsorge den Ausschlag geben. An sich müssen sich der Glaube an den absoluten Befreier Jesus Christus und der sachgemäße Einsatz humanwissenschaftlicher Methoden nicht gegenseitig ausschließen, wohl aber wird der Seelsorger im biblisch-reformatorischen Verständnis bei den verschiedenen Versuchen seelsorgerlicher Befreiungshilfe kritisch-konstruktive Fragen zu stellen haben: Bildet Jesus hiernach die Mitte des Befreiens, oder hat er seinen Platz an eine Person bzw. an eine Methode abtreten müssen?“4

Ich bin sehr dankbar für alle Methoden, Anregungen, Instrumente und Hilfen aus den Humanwissenschaften. Für die praktische Arbeit in Gesprächsführung und Seelsorge möchte ich sie nicht missen. Aber wirkliche Befreiung, die Heil und Wohl des Menschen umfasst, findet sich nur in Jesus Christus.

Die Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers ‒ Vorteile und Grenzen

Carl Rogers legt Wert darauf, dass der „innere Bezugsrahmen“ des Ratsuchenden erfasst wird.

Was meint er damit?

Der „innere Bezugsrahmen“ meint die subjektive Welt des Ratsuchenden.

Der „innere Bezugsrahmen“ meint die subjektiv empfundenen Gefühle von Freude oder Schmerz, Trauer oder Aggression, die vollgültig einzufühlen sind.

Der „innere Bezugsrahmen“ des Ratsuchenden soll so genau wie möglich nachempfunden, gespiegelt und wahrgenommen werden.

Der „innere Bezugsrahmen“ des Ratsuchenden soll beim Seelsorger so reflektiert werden, dass der Ratsuchende sich jetzt besser versteht, als er sich vorher selbst wahrgenommen hat.

Diese Therapierichtung hat weltweit ein großes Echo gefunden. Einige Grundprinzipien sind und bleiben bedenkenswert:

echt sein,

einfühlendes Verstehen,

unbedingte Annahme.

Es geht darum, den Ratsuchenden bedingungslos ernst zu nehmen. Rogers klientenzentrierte Methode hat den Eindruck erweckt, als wäre diese Methode die einzige Möglichkeit, in der Seelsorge dem christlichen Auftrag durch ein nicht-direktives und spiegelndes Verfahren gerecht zu werden. Diese annehmende Gesprächsführung hat viele Vorteile. Sie schafft gegenseitiges Vertrauen und verringert den Widerstand, der ein fruchtbares Beratungsergebnis blockiert.

Kritisch zu Carl Rogers' Gesprächspsychotherapie ist zu sagen:

1. Das Menschenbild trägt humanistische Züge.

Die Gesprächspsychotherapie traut dem Menschen viel zu.

Die Veränderbarkeit durch den einfühlenden und verstehenden Therapeuten wird sehr groß geschrieben. Der Mensch wird optimistisch beurteilt.

Die Bibel ist in dieser Hinsicht nüchterner: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1. Mose 8,21).

Der Mensch ist nicht nur eine unausgeglichene Persönlichkeit, er ist ein Sünder.

2. Die Beziehung zu Gott wird von Rogers nicht berührt. Anstelle von Gott und Glaube stehen Freiheit und Selbstverwirklichung.

Rogers lehnt eine Wertsetzung von außen ab.

Selbstbefreiung und Selbsterlösung spielen die Hauptrolle.

Es wird allein mit den Selbstheilungskräften des Menschen gerechnet.

3. Das Selbst des Menschen steht im Mittelpunkt.

Bei Carl Rogers dreht sich alles um das Selbst des Menschen.

Für Christen kann das Selbst nicht die letzte Instanz sein.

Das Zentrum der christlichen Seelsorge ist nicht das Selbst, sondern Christus.

4. Nicht nur Gefühle, sondern Ziele werden gespiegelt.

Rogers legt großen Wert darauf, dass der Therapeut die Gefühle des Menschen spiegelt. Zu den Gefühlen zählen in erster Linie: Ängste, Ärger, Schmerz, Freude, Trauer, Wut und Bitterkeit.

Der Seelsorger, der die Gefühle des Ratsuchenden spiegelt, hilft ihm, sich differenzierter wahrzunehmen. Er hilft ihm, sich schöne, schwere und bittere Erfahrungen und Ereignisse mit den damit verbundenen Gefühlen ins Bewusstsein zu bringen.

Die therapeutische Seelsorge legt großen Wert darauf, dass die Ziele der Gefühle, die Zwecke und Motive von Gefühlsregungen und Verhaltensmustern ans Licht kommen. Wenn Gefühle Werkzeuge sind, die von der Person des Ratsuchenden in Dienst gestellt werden, müssen die versteckten Motive und Beweggründe ins Bewusstsein gehoben werden.

5. Die bedingungslose Annahme ist für Christen nicht möglich.

Die Annahme des Ratsuchenden hat auch in der Seelsorge einen hohen Stellenwert. Der andere wird angenommen mit seinen Stärken und Schwächen, mit seinen positiven und negativen Gefühlen, mit seinen konstruktiven und destruktiven Einstellungen.

Akzeptanz heißt aber nicht, Abweichungen in Haltung und Verhalten zu billigen. Der Gegenstand des Akzeptierens ist nicht das „Gute“ im Menschen, sondern das „Reale“. Die Sünde wird ernst genommen. Der Zweck des Akzeptierens ist ein seelsorgerlicher.

Wie sagt Paulus: „Den Juden bin ich geworden wie ein Jude, auf dass ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich geworden wie einer unter dem Gesetz ‒ wiewohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin, auf dass ich die, die so unter dem Gesetz sind, gewinne“ (1. Korinther 9,20).

Ich verstehe Paulus so und ergänze: Ich versetze mich ganz in den Juden, in den Gesetzlichen, in den Gesetzlosen, in den Homosexuellen und den sexuell Gestörten hinein. Ich nehme ihn zunächst mit seinen Eigenarten, Verhaltensmustern und Sünden an, ich kann aber nicht innerlich mit ihm übereinstimmen. Akzeptiere ich ihn bedingungslos, kann ich seine Mithilfe zur Veränderung nicht erwarten und erreichen.

6. Der Seelsorger, der gesprächstherapeutisch arbeitet, ist auch als Zeuge gefragt.

Viele Gespräche kreisen im Wesentlichen um Sachthemen: Ängste, Zwänge, Ehe- und Erziehungsprobleme, Lebensfragen, Kommunikationsschwierigkeiten und Selbstwertstörungen.

Die so genannte „Spiegel-Methode“ ist eine hilfreiche Technik, die Fragen und Konflikte des Ratsuchenden ernst zu nehmen. Der Seelsorger muss ein feines Gespür dafür haben, weil diese Sachfragen mit Glaubensfragen verknüpft sind.

Die „Kunst“ besteht darin, nicht plump die „Gute Nachricht“ dem Ratsuchenden überzustülpen, sondern an den Nahtstellen deutlich zu machen.

Die Existenz-, Lebens- und Beziehungsprobleme des Menschen sind eine hilfreiche Möglichkeit, auf Gott, der das A und O unseres Lebens ist, hinzuweisen.