Typen und Temperamente - Reinhold Ruthe - E-Book

Typen und Temperamente E-Book

Reinhold Ruthe

4,9

Beschreibung

Jeder Menschen ist Unikum und Individuum, einzigartig und einmalig. Aber doch gibt es viele Ähnlichkeiten in Stärken und Schwächen, Interessen und Verhalten. Reinhold Ruth stellt vier typische Persönlichkeitsprofile von Menschen heraus. Die Neuauflage ist ein Helfer auf der Suche nach den eigenen Schattenseiten, Stärken und Schwächen. Mit einem ausführlichen Testverfahren finden auch Sie zu einem annähernd genauen Bild Ihres Ichs - und lernen sich und andere besser verstehen.

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Reinhold Ruthe

Typen und Temperamente

Die vier Persönlichkeitsstrukturen

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

10. Auflage 2016

ISBN 978-3-96140-020-1

© 1998 by Joh. Brendow & Sohn Verlag, GmbH, D-47443 Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelgrafik: Shutterstock

Satz: Hans Winkens, Wegberg

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

I. Wir sind alle verschieden

1. Die Theorien

1.1 Die vier Temperamente nach Hippokrates

1.2 Grundformen der Angst

1.3 Ist Vererbung alles?

1.4 Die »Trotzmacht des Geistes«

2. Erfahrungen machen

2.1 Wie gewinnen wir Erfahrungen?

2.2 Welche Erfahrungen haben wir gemacht?

2.3 Lebensentwürfe und private Logik

2.4 Sind negative Erfahrungsmuster korrigierbar?

3. Persönlichkeitsstruktur als Charisma

II. Die vier Persönlichkeitsstile

Hilfen zum Verständnis

1. Die schizoide Persönlichkeit

1.1 Die Grundstruktur

1.2 Die Kindheit

1.3 Bevorzugte Berufe

1.4 Der schizoide Patient

1.5 Der Glaube

1.6 Der schizoide Mensch in der Beziehung

1.7 Die wahren Motive

1.8 Therapeutisch-seelsorgerliche Hilfe

2. Die depressive Persönlichkeit

2.1 Die Grundstruktur

2.2 Die Kindheit

2.3 Bevorzugte Berufe

2.4 Der depressive Patient

2.5 Der Glaube

2.6 Der depressive Mensch in der Beziehung

2.7 Die wahren Motive

2.8 Therapeutisch-seelsorgerliche Hilfe

3. Die zwanghafte Persönlichkeit

3.1 Die Grundstruktur

3.2 Die Kindheit

3.3 Bevorzugte Berufe

3.4 Der zwanghafte Patient

3.5 Der Glaube

3.6 Der zwanghafte Mensch in der Beziehung

3.7 Die wahren Motive

3.8 Therapeutisch-seelsorgerliche Hilfe

4. Die hysterische Persönlichkeit

4.1 Die Grundstruktur

4.2 Die Kindheit

4.3 Bevorzugte Berufe

4.4 Der hysterische Patient

4.5 Der Glaube

4.6 Der hysterische Mensch in der Beziehung

4.7 Die wahren Motive

4.8 Therapeutisch-seelsorgerliche Hilfe

Schlussbetrachtung

III: Praxis-Teil

1. Hilfen zur Selbsterforschung und für die seelsorgerliche Praxis

2. Fragebogen für die Kurzdiagnose

3. Hinweise zum Ausfüllen des Fragebogens

4. Testfragen

5. Testauswertung

Literaturhinweise

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Vor einigen Jahren, es war an einem Sonntagmorgen, erlebten wir die folgende Begebenheit, die sicher Sonntag für Sonntag an vielen Orten so geschieht:

Wir kamen aus dem Gottesdienst und betrachteten die Besucher, die aus der Kirche strömten. Vor dem Gebäude bildeten sich kleine Grüppchen, die lebhaft oder gedämpft miteinander redeten. Im Gottesdienst hatte ein damals bekannter Evangelist sehr wortgewandt und lebendig über den 23. Psalm gepredigt. Gestenreich hatte er eindrückliche Bilder benutzt, die teilweise zum Schmunzeln anregten. Einmal hatte die gesamte Gemeinde lauthals gelacht.

Neben uns diskutierten einige Gottesdienstbesucher mittleren Alters über die Predigt. Die unterschiedlichen Urteile waren bezeichnend. Eine temperamentvolle Frau, die auch in der Gemeinde aktiv mitarbeitete, ließ ihre Begeisterung heraus: »Fantastisch! Das ist Feuer des Glaubens! Man spürt ihm die Vollmacht ab!«

Etwas außerhalb der Gruppe stand ein großer, stattlicher Herr. Er hatte bisher nichts gesagt, seine Gesichtszüge waren unbeweglich geblieben. Er schüttelte nur ungläubig den Kopf und sagte: »Der kann sich bloß gut verkaufen! Mir ist die nüchterne Predigt unseres Pastors lieber.« Zwei andere nickten und stimmten ihm zu. Ein junger Mann und eine ältere Frau überfielen ihn mit einem Wortschwall und brachten ihn lautstark zum Schweigen. Sie fühlten sich emotional angesprochen, waren begeistert und des Lobes voll über den Prediger und seine Predigt.

Unterschiedliche Eindrücke sind Realität

in unserer Kirche,

in der Politik,

in der Ehe und Familie,

im zwischenmenschlichen Zusammenleben.

Wir Menschen sind grundverschieden im Denken, Fühlen und Handeln. Unsere Persönlichkeitsstruktur ist einmalig und hilft uns, unser Leben nach unseren Vorstellungen und Glaubensüberzeugungen zu meistern.

Aber wie sind wir eigentlich? Und warum sind wir so, wie wir sind? Wie können wir unser Verhalten begreifen, unsere Motive ergründen, aus dem Kreislauf ewig wiederkehrender Probleme ausbrechen?

Dieses Buch möchte Ihnen vier Persönlichkeitsprofile vorstellen, mit deren Hilfe Sie lernen können,

sich selbst und andere besser zu verstehen,

Ihre Arbeitshaltung, Ihre Beziehungsprobleme und Ihren Erziehungsstil deutlicher zu erkennen,

Ihr Gefühlsleben mit seinen Stärken und Schwächen zu durchschauen,

Ihren Glaubensalltag und den Ihrer Mitmenschen barmherziger zu beurteilen,

Ihre Schattenseiten herauszufinden und anzugehen und

Ihre Gaben ausfindig zu machen und einzusetzen.

Dabei verwenden wir die verschiedenen Begriffe Persönlichkeitsstil, -struktur, -profil, -merkmale, Typen, Temperamente, Charaktereigenarten und Veranlagungen synonym.

Wozu soll das dienen?

Wir Menschen möchten gerne Ordnung in das Chaos unseres Lebens bringen, Klarheit und Übersicht haben, auch in uns selbst. Wenn es uns gelingt, Lebenspartner, Eltern und Freunde eher zu verstehen und die Beweggründe und Motive des Gegenübers besser zu erspüren, können wir ihnen barmherziger und liebevoller begegnen.

Selbsterkenntnis und Erkenntnis des Mitmenschen spielen im menschlichen und zwischenmenschlichen Leben eine große Rolle. Erkennen ist auch ein zentrales Wort der Bibel. Erkenntnis Gottes ist immer mit An-Erkenntnis verbunden. »Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin« (Ps 46,11).

Wahre Erkenntnis wird aber erst durch Liebe gewonnen. So wurde in ältester Zeit, von der Wurzel des Wortes ausgehend, erkennen für die geschlechtliche Vereinigung von Mann und Frau gebraucht. »Adam erkannte seine Frau Eva« (1. Mose 4,11).

Wer den anderen erkennt, liebt ihn.

Wer den anderen erkennt, versteht ihn.

Wer den anderen erkennt, erhebt sich nicht über ihn.

Wer den anderen erkennt, hilft ihm.

Wer den anderen erkennt, wird sich aus Liebe verändern und umwandeln lassen.

Erkennen hat viel mit Liebe zu tun. Für das Lesen und Erforschen der Persönlichkeitsstile in diesem Buch gilt also: Erst die Liebe gibt der Erkenntnis den richtigen Stellenwert. Erkenntnis ohne Liebe ist sinnlos und nutzlos. Die Agape, die Liebe aus Christus, adelt unsere Erkenntnis und verhindert, das Wissen über uns und den anderen zu missbrauchen.

Wir möchten an dieser Stelle den weit über tausend Ratsuchenden danken, die unsere Fragen beantworteten und mit ihren Angaben unsere Untersuchungen möglich machten.

Ihr Selbstporträt-Test

Bevor Sie im Buch weiterlesen, bitten wir Sie, folgende Dinge zunächst zu bedenken:

Wenn Sie ein relativ genaues Testprofil über Ihre Person erstellen möchten, beantworten Sie die Fragen auf den Seiten 191–199 vor dem Weiterlesen. (Sie sind dann nicht voreingenommen.) Eine Testauswertung finden Sie im Anschluss daran.

Auf den Seiten 186–188 finden Sie eine hilfreiche Kurzdiagnose, die Ihre wesentlichen Verhaltensmuster und Persönlichkeitsmerkmale hervorhebt.

Dort kreuzen Sie die Zahlen an, die nach Ihrer Überzeugung am ehesten Ihr Lebensgefühl widerspiegeln.

0 heißt: Sie können sich weder für die linke noch für die rechte Seite entscheiden.

5 heißt: Dieses Verhaltensmuster ist bei Ihnen stark ausgeprägt.

Ihr Partner, Ihr Lebensgefährte, ein Freund oder eine Freundin können ebenfalls die Verhaltensmuster ankreuzen, die für Sie zutreffend sind. Anschließend können Sie sich über Stärken, Überzeugungen und Gewohnheiten Gedanken machen, die Ihnen im Zusammenleben Freude oder Nöte bereiten.

I. Wir sind alle verschieden

KAPITEL 1

Die Theorien

Jeder Mensch ist einmalig, das wissen wir. Keine zwei Individuen sind völlig gleich. Nicht einmal zwei Fingerabdrücke stimmen weltweit überein. Bestimmte Völker verkörpern zwar ähnliche Merkmale. Sie haben eine gleiche Hautfarbe, eine bestimmte Augenstellung, eine charakteristische Nasen- und Ohrenform, wulstige oder schmale Lippen, gedrungene oder lang gezogene Körperformen. Und doch sind alle Menschen – beim näheren Hinsehen – einmalige Individuen. Im Fühlen, Denken, Handeln und im Aussehen sind sie Originale. Gott hat in seiner Weisheit Menschen, Pflanzen und Tiere in unvergleichbarer Einzigartigkeit erschaffen. Kein Blatt an Buche, Eiche oder Birnbaum gleicht dem anderen. Gott hat schöpferische Wunder vollbracht.

Seit Menschen die Erde bevölkern, hat es Versuche gegeben, den Menschen in seiner Einmaligkeit besser zu verstehen und seine Eigenarten und Verhaltensmuster einzugruppieren. Es gibt unzählige Schlüssel, das Rätsel Mensch »aufzuschließen« und sein Wesen zu erfassen.

1.1 Die vier Temperamente nach Hippokrates

Die wohl älteste schriftlich fixierte Theorie stammt von dem griechischen Arzt Hippokrates, dem Vater und Begründer westlicher Medizin. Seine Lehre von den vier Temperamenten hat mit intuitiver Sicherheit Lebensgrundstrukturen gekennzeichnet, die sich weit über 2 000 Jahre erhalten haben und heute noch Anwendung finden. Wir wollen sie im Folgenden kurz erläutern.

Der Arzt Hippokrates, der im 5. Jahrhundert vor Christus lebte, ging von einer engen Verknüpfung zwischen leiblichen, seelischen und geistigen Aspekten des Menschen aus. Für ihn waren Gesundheit bzw. Krankheit mit der Persönlichkeit eng verbunden. Diese Erkenntnis war für die damalige Zeit revolutionär.

Das Wort »Temperament« beinhaltet »richtige Mischung«. Jeder Mensch in seinem Temperament ist also eine Mischung aus

sanguinischen,

cholerischen,

melancholischen und

phlegmatischen Anteilen.

Die Formulierung der vier Temperamente ist von vier Körperflüssigkeiten abgeleitet worden, die man damals für die Persönlichkeitsstruktur verantwortlich machte:

Man war der Meinung, dass eine bestimmte Mischung dieser Körpersäfte ein hervorstechendes Temperament hervorbringen würde. Die Beobachtung der vier unterschiedlichen Temperamente hat sich als richtig erwiesen. Die Ableitung aus den Körpersäften hingegen ist längst widerlegt. Folgende Persönlichkeitsmerkmale charakterisieren das jeweilige Temperament:

Das sanguinische Temperament kennzeichnet den fröhlichen und gern genießenden Menschen. Er ist

aktiv und ruhelos,

warmherzig und charmant,

offenherzig und redselig,

unbefangen und unterhaltsam,

liebenswürdig und lebhaft.

Das melancholische Temperament kennzeichnet den bedrückten und schwermütigen Menschen. Er ist in erster Linie

gefühlvoll und selbstbezogen,

idealistisch und enttäuscht,

verletzlich und grüblerisch,

sensibel und künstlerisch veranlagt,

gründlich und treu,

zuverlässig und selbstdiszipliniert,

pessimistisch und unentschlossen.

Das cholerische Temperament kennzeichnet den heißblütigen Menschen mit einem schnellen, aktiven Handeln. Er ist in erster Linie

tatkräftig und entschlussfreudig,

willensstark und zuversichtlich,

gefühlsarm und wenig mitempfindend,

schroff und dickfellig,

eigensinnig und unnachgiebig,

herrschsüchtig und jähzornig.

Das phlegmatische Temperament kennzeichnet den schwerfälligen, friedlichen und langsamen Menschen. Er ist in erster Linie

ruhig und ausgeglichen,

gutmütig und friedliebend,

nüchtern und praktisch,

langsam und faul,

kalt, sachlich und gleichgültig,

selbstsüchtig und unmotiviert.

Jedes Temperament hat positive und negative Seiten, Stärken und Schwächen. Diese vier Temperamente finden wir überall auf der Welt. Und auch in der Bibel begegnen uns Menschen, die jeweils ein vorherrschendes Temperament widerspiegeln.

1.2 Grundformen der Angst

Weniger um Temperamente als vielmehr um Persönlichkeitsstrukturen, d.h. um vier allgemein gültige Grundeinstellungen und Verhaltensmöglichkeiten, geht es dem Psychoanalytiker Fritz Riemann1. Er orientiert sich an den Begriffen der Neurosenlehre, betont aber ausdrücklich, dass wir alle diese vier Persönlichkeitsstrukturen verkörpern. Er schildert weitgehend gesunde Strukturen, macht aber am lebensgeschichtlichen Hintergrund der Typen auch neurotische Aspekte (heute: neurotische Störungen) deutlich. Er spricht von

der schizoiden,

der depressiven,

der zwanghaften und

der hysterischen Persönlichkeitsstruktur.

Diese Persönlichkeitsstrukturen, die in Psychiatrie, Medizin und Psychologie gebräuchlich sind, werden in diesem Buch eingehend behandelt.

Fritz Riemann geht davon aus, dass die Welt vier mächtigen Impulsen gehorcht. Am Beispiel der Erde werden diese vier Kräfte definiert. Gleichzeitig ist für ihn die Erde ein Bild oder Gleichnis für den Menschen, der auch von vier Strebungen im Gleichgewicht gehalten wird:

Die Erde vollzieht eine Eigendrehung (er spricht hier von Rotation).

Die Erde umkreist die Sonne (Revolution).

Die Erde wird gehalten durch Schwerkraft (zentripetales Verhalten).

Die Erde wird gehalten durch Fliehkraft (zentrifugales Verhalten).

Alle vier Kräfte sind notwendig, um die Erde im Gleichgewicht zu halten. Würde eine Bewegung ausfallen oder ernsthaft gestört werden, käme die Ordnung durcheinander und die Erde würde im Chaos enden. Diese vier Grundimpulse überträgt Riemann auf das menschliche Leben und filtert vier Lebensgrundeinstellungen heraus, die für das persönliche Leben und für das Zusammenleben maßgeblich sind.

Grundimpuls 1:

Die Rotation (die Eigendrehung)

Die Eigendrehung ist notwendig, um eine selbstständige, einmalige und unabhängige Person zu werden. Der Mensch ist ein unverwechselbares Individuum. Damit verbunden sind Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstbewahrung.

Grundimpuls 2:

Revolution (das Kreisen um den anderen)

Hier geht es um den anderen Aspekt des Menschen. Gemeint sind: Hingabe, Nächstenliebe, Fürsorge. Das Kreisen um den anderen meint Abhängigkeit, Innigkeit, Nähe und Füreinander-Dasein. Die beiden Impulse sind gegensätzlich. Aber beide Verhaltensmuster sind lebensnotwendig.

Grundimpuls 3:

Schwerkraft

Hier geht es um Dauer, um Bleibendes, um Klarheit und um Geborgenheit.

Das Leben muss berechenbar sein. Alles hat seinen Platz und seinen Ort. Stabilität, Grenzen und Strukturen spielen eine wichtige Rolle.

Grundimpuls 4:

Fliehkraft

Darunter wird Wandelbarkeit und Veränderung verstanden. Es geht um die Kraft, Vertrautes und Traditionen hinter sich zu lassen. Ein Mensch mit Fliehkraft geht über Grenzen hinaus und ist sehr kreativ. Er wagt das Unbekannte, kann Abschied nehmen vom Erreichten und sich auf Neues einlassen.

Auch die letzten beiden Grundimpulse sind gegensätzlich und gehören wie die anderen beiden zum ganzheitlichen Leben. Vier Grundimpulse bestimmen positiv unser Dasein und halten den Menschen im seelischen Gleichgewicht. Riemann sieht diese Grundimpulse in Beziehung zu jeweils spezifischen Ängsten. Die vier Grundformen der Angst entsprechen also den vier Grundimpulsen und Strebungen des Menschen.

Grundimpuls 1:

Die schizoide Persönlichkeitsstruktur

Der schizoide Mensch hat Angst vor Selbsthingabe,

der schizoide Mensch hat Angst vor Abhängigkeit,

der schizoide Mensch hat Angst vor Ich-Verlust,

der schizoide Mensch hat Angst vor zu viel Nähe.

Grundimpuls 2:

Die depressive Persönlichkeitsstruktur

Der depressive Mensch hat Angst vor Selbstwerdung,

der depressive Mensch hat Angst vor Ungeborgenheit,

der depressive Mensch hat Angst vor Isolation,

der depressive Mensch hat Angst, verlassen zu werden.

Grundimpuls 3:

Die zwanghafte Persönlichkeitsstruktur

Der zwanghafte Mensch hat Angst vor Wandlung,

der zwanghafte Mensch hat Angst vor Unsicherheit,

der zwanghafte Mensch hat Angst vor Chaos,

der zwanghafte Mensch hat Angst vor Kompromissen, Toleranz und Freiheit,

der zwanghafte Mensch hat Angst, Risiken einzugehen.

Grundimpuls 4:

Die hysterische Persönlichkeitsstruktur

Der hysterische Mensch hat Angst vor Unfreiheit,

der hysterische Mensch hat Angst, festgelegt zu werden,

der hysterische Mensch hat Angst vor Einengung durch Richtlinien und Prinzipien.

Zu jeder Strebung gehört die Angst vor der Gegenstrebung. So stehen sich jeweils zwei Charaktertypen diametral gegenüber. Schizoide und depressive Persönlichkeitsstrukturen haben gegensätzliche Einstellungs- und Verhaltensmuster. Das Gleiche gilt für die zwanghaften und hysterischen Persönlichkeitsmerkmale. Für das Zusammenleben in Familie und Ehe, am Arbeitsplatz und in der Gemeinde ist es hilfreich, diese Unterschiede zu kennen. Die Betreffenden können sich dann besser aufeinander einstellen. Ein tieferes Verständnis weckt die Bereitschaft, die Bedürfnisse des Nächsten ernst zu nehmen und das eigene Verhalten zu überprüfen. Wer die typischen Grundmuster der vier Persönlichkeiten nicht wahrnimmt und nicht einordnen kann, wird kaum sein eigenes Verhalten und seine Strategien durchschauen und entsprechend verändern wollen.

1.3 Ist Vererbung alles?

»Erkenne dich selbst!« Dieses Motto im griechischen Altertum brannte den Menschen damals und brennt ihnen bis heute auf den Nägeln. Menschen wollen sich und ihrem rätselhaften Wesen auf die Spur kommen. Hat Gott jede noch so winzige Eigenart bei uns geplant?

Hat er in Ei und Samenzelle alle Charaktereigenarten hineingelegt?

Hat der Schöpfer Schwächen und Stärken, positive und negative Verhaltensmuster erblich vorherbestimmt? Viele solcher Fragen stellen wir uns.

Die Erbanlage-Theorie geht davon aus, dass moralische Einstellungen, spezifische Begabungen, die Art und Höhe des Intelligenzquotienten seit der Zeugung festliegen und durch äußere Einflüsse nur wenig beeinflusst oder korrigiert werden können.

Zweifellos spielen die Vererbungsgesetze eine große Rolle. Jeder Mensch ist mit bestimmten Fähigkeiten, Neigungen und Schwächen geboren worden. Aber während die Tiere weitgehend von einer »natürlichen Veranlagung« (Instinkt) beherrscht werden, hat der Mensch Möglichkeiten, Konsequenzen aus seiner Erbanlage zu ziehen. Dies ist für uns von großer Bedeutung.

Der Mensch kann eine Erbanlage benutzen,

er kann mit ihr das Leben gestalten,

er kann die Anlage verkümmern lassen,

er kann sie aber auch entfalten.

Das liegt in seinem Ermessen.

Prof.R. Dreikurs machte die bezeichnende Aussage: »Daher ist es klar, dass es für die endgültige Gestaltung der Persönlichkeit nicht entscheidend ist, was einer mitbringt, sondern was er daraus macht.«2

Ohne Zweifel ist es so, dass die Chromosomen, die Träger des Erbguts, das Erscheinungsbild der nächsten Generation prägen können. Aber nicht die Eigenschaften und Merkmale selbst werden vererbt, sondern lediglich die Fähigkeiten bzw. Voraussetzungen, diese Merkmale und Eigenschaften wieder zu entwickeln. Das heißt:

Der Mensch gibt Antwort,

der Mensch nimmt Stellung,

der Mensch zieht Konsequenzen,

der Mensch bearbeitet kreativ seine biologischen Voraussetzungen.

So sieht es auch der österreichische Arzt und Tiefenpsychologe Alfred Adler: »Nicht die Tatsachen bestimmen unser Leben, sondern wie wir sie deuten.«

Wir hingegen sagen gern:

»Das ist ein geborener Betrüger.«

»Das ist eine geborene Prostituierte.«

»Der ist ein geborener Fußballer.«

»Der ist ein geborener Künstler.«

Wir sind davon überzeugt, das Kind sei wie der Vater:

sein Ehrgeiz,

seine Art zu sprechen,

seine Art, sich zu geben,

seine Durchsetzungskraft,

seine Intelligenz.

Oder wir glauben vom Kind, dass es wie die Mutter sei,

so korpulent,

so nervös,

so fürsorglich,

so ängstlich,

so fröhlich,

so dominant usw.

Wir pflichten dem Sprichwort bei: »Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen«, und merken gar nicht, dass uns mit dem Bejahen dieser Aussage in der Erziehung unserer Kinder die Hände gebunden sind.

Die gerade genannte Volksweisheit hat jedoch wenig mit Vererbung zu tun. Die Jungen haben von den Alten gelernt, die Kinder haben von Eltern ihre Verhaltensmuster abgeschaut. Die Vererbung wird für Einstellungseigenarten verantwortlich gemacht, die wir nachgemacht, entdeckt, erfahren und neu entwickelt haben. Was trauen wir unseren Kindern überhaupt zu? Glauben wir, dass sie selbst etwas zu Stande bringen werden? Oder denken wir, ihr Lebensweg sei durch die Vererbung schon vorherbestimmt?

Wenn wir einem Menschen seine Begabung absprechen, wenn wir ihm alle Hoffnung nehmen, dass er eigenverantwortlich etwas zu Stande bringt, werden wir auf diese Weise

sein Selbstvertrauen erschüttern,

seinen Lebensmut untergraben,

seine Leistungsfähigkeit blockieren und

seine Gaben, die Gott ihm geschenkt hat, verschütten.

Während meiner Zeit als Generalsekretär des CVJM in Hamburg betreute ich lange Zeit einen Strafgefangenen, der fünf Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Einmal erzählte er mir, dass sein pessimistischer Vater ihn fortlaufend als »hoffnungslosen Fall« bezeichnet habe, ihm nichts zugetraut und ihm ständig seine ordentliche, begabte und tüchtige Schwester als Vorbild vor Augen gestellt habe. Wie oft habe er sich den Satz anhören müssen: »Du bist nichts, du wirst nichts, du landest noch mal im Knast.« Die Psychologen sprechen hier von der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. – Dieser Sohn landete tatsächlich im Gefängnis. Als ich einmal mit dem Vater telefonierte, um eine Auskunft zu erhalten, sagte er zu mir: »Bei dem vergeuden Sie nur Ihre Zeit. Als Baby haben wir dem schon seinen schlechten Charakter angesehen.«

Wir sehen:

Eine pessimistische Haltung,

eine ungläubige Einstellung,

eine negative Erwartung und damit eine entmutigende Erziehung

fördern Persönlichkeitsstrukturen, die dem Leben misstrauisch und destruktiv begegnen.

Auch Fritz Riemann, dem wir eine Zusammenfassung der vier Persönlichkeitsstrukturen aus tiefenpsychologischer Sicht verdanken, nimmt unmissverständlich Stellung, wenn er schreibt:

»Nicht nur, weil ich einen bestimmten Körperbau habe, bin ich so oder so, sondern weil ich eine bestimmte Einstellung, ein bestimmtes Verhalten zur Welt, zum Leben habe, das ich aus meiner Lebensgeschichte erworben habe, prägt das meine Persönlichkeit und verleiht ihr bestimmte strukturelle Züge. Was daran schicksalhaft ist – die mitgebrachte psychophysische Anlage, die Umwelt unserer Kindheit mit den Persönlichkeiten unserer Eltern und Erzieher sowie die Gesellschaft mit ihren Spielregeln, in die wir hineingeboren werden –, ist in gewissen Grenzen durchaus selbst zu gestalten, kann verändert werden, ist jedenfalls nicht nur ein Hinzunehmendes.«3

1.4 Die »Trotzmacht des Geistes«

Über die Wechselbeziehung zwischen Anlage und schöpferischer Gestaltung hat der Psychiater Viktor E. Frankl einleuchtend und überzeugend geschrieben:

»Ist denn der seelische Charakter eines Menschen nicht angeboren? Und gar erst der leibliche, der Körperbau-Typus – ist ihm der Charakter nicht schicksalhaft verbunden? Nun, wer so spricht, beweist damit nur, dass er über der Psychologie, Biologie und Soziologie, also über den seelischen, leiblichen und gesellschaftlichen Bedingt- und Gegebenheiten menschlichen Daseins, das spezifisch Menschliche vollends verkennt. Denn Mensch-Sein im eigentlichen Sinne fängt ja dort überhaupt erst an, wo der Mensch über alle Bedingtheit irgendwie auch schon hinaus ist, und zwar kraft dessen, was man die Trotzmacht des Geistes nennen darf.«4

Was heißt das im Einzelnen?

Vererbung und Anlagen sind zwar mächtig, aber nicht allmächtig. Der Geist formt letztlich den Charakter.

Wer sich ausschließlich auf Anlage und Vererbung beruft, denkt fatalistisch und möglicherweise neurotisch. Frankl sagt: »Und damit stehen wir vor einer typisch neuzeitlichen Verhaltensweise, nämlich dem Fatalismus, also dem Aberglauben an die Mächtigkeit des Schicksals.«5

Wer sein Schicksal für besiegelt hält, wird außer Stande sein, es zu besiegen.

Der Mensch hat Triebe, aber die Triebe haben nicht den Menschen. Der Mensch kann seine Triebe beherrschen, im Gegensatz zum Tier.

Der Mensch hat bestimmte Eigenarten und Eigenschaften. Aber er ist ihnen nicht willenlos ausgeliefert. Veränderung ist möglich.

Wir haben es in der Hand, was wir aus uns machen und machen lassen. Persönlichkeitsstrukturen sind kein unverrückbares Schicksal. Fehler, Sünden und schlechte Gewohnheiten können wir ablegen. (Das heißt jedoch nicht, dass wir eine Persönlichkeitsstruktur völlig umstrukturieren könnten. Aus einem hysterischen Typus lässt sich nun mal kein zwanghaftes Profil machen.)

Auch Paulus glaubt an die Veränderbarkeit des »alten Adam« und an die Korrektur unserer Persönlichkeitsstruktur, wenn er schreibt:

»Meine lieben Freunde! Diese Zusagen gelten uns. Wir wollen uns darum von allem rein machen, was Körper und Seele beschmutzt. Wir wollen den Willen Gottes ernst nehmen und uns bemühen, so zu werden, wie er uns haben möchte« (2. Kor. 7,1).

Wir haben uns bewusst und unbewusst Verhaltensmuster und Charaktereigenschaften zugelegt, mit denen wir das Leben meistern. Wir können diesen Persönlichkeitsstrukturen begegnen und sie Gott zum Gestalten und Korrigieren überlassen.

KAPITEL 2

Erfahrungen machen

Vor der Eigenverantwortlichkeit jedoch stehen die Erfahrungen, die wir gemacht haben. Diese wollen wir nun näher betrachten.

Erfahrungen spielen im menschlichen Leben eine große Rolle. Wir sagen gern: »Der Mensch wird durch Erfahrungen klug.« Er lernt mehr durch Erfahrung als durch theoretisches Wissen. Im Berufsleben, in der Wirtschaft, in der Krankenpflege, im christlichen Glauben: Erfahrung ist unverzichtbar. Und überall werden Menschen mit Erfahrungen gesucht. Erfahrungen sind der Motor für alle Initiativen, die wir ergreifen oder nicht ergreifen. Erfahrungen beeinflussen unser So-geworden-Sein, unsere Vorstellungen, unsere Entscheidungen und unsere Pläne.

Der eher aktive Mensch hat in der Regel positive Erfahrungen gemacht und traut sich etwas zu.

Er packt zu,

er traut sich,

er wagt etwas,

er bringt sich ein.

Der passive Mensch hat oft schlechte Erfahrungen gemacht. Was tut er?

Er verhält sich vorsichtig,

er wartet ab,

er riskiert nichts,

er verhält sich misstrauischer.

(Es gibt natürlich auch den gegenteiligen Effekt, dass ein vernachlässigtes Kind etwa aus der Not heraus selbst aktiv wird.)

Wie kommt es nun aber, dass Gutmütige und Opferbereite oft ihr Leben lang ausgenutzt werden, obwohl sie durch negative Erfahrungen längst hätten klug werden müssen?

Wie kommt es, dass Völker immer wieder Kriege führen, obwohl sie durch Erfahrungen aus der Vergangenheit gelernt haben müssten, dass Kriege keine Völkerprobleme lösen?

Wie kommt es, dass Millionen von Menschen gesehen, gelesen und erfahren haben, dass Drogen den Menschen ruinieren, und sie trotzdem Suchtmittel konsumieren?

Die Erfahrung allein macht Menschen offensichtlich nicht klüger. Erst dann können wir aus Erfahrungen schöpfen,

wenn wir unsere persönliche Art und Weise zu denken kennen,

wenn wir die uns eigenen Muster durchschauen,

wenn wir unsere subjektive Beobachtungsweise erkannt haben, mit der wir eigene Erfahrungen deuten und bearbeiten.

2.1 Wie gewinnen wir Erfahrungen?

Ein Kind erlebt seine Umgebung, seine Familie, seine Eltern und Geschwister. Es wird mit dem Denken, Fühlen, Handeln und Bewerten der nächsten Angehörigen konfrontiert und registriert alle Eindrücke. Sämtliche Erlebnisse und Geschehnisse werden aber nicht nur gespeichert, sondern auch verarbeitet. Der Mensch ist kein lebloser