Glückswolkenträume - Marte Cormann - E-Book
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Glückswolkenträume E-Book

Marte Cormann

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Beschreibung

Mehr als nur eine schrecklich nette Familie: Der humorvolle Feelgood-Roman »Glückswolkenträume« von Marte Cormann jetzt als eBook bei dotbooks. Für Marlen läuft eigentlich alles perfekt: Die junge Journalistin macht Karriere, bewohnt ein wunderschönes Loft – und ums Eck gibt es den besten Italiener der Stadt, wo sie sich gemeinsam mit ihren besten Freundinnen ungestört über Männer und andere Zeitvertreibe amüsieren kann. Doch dann nimmt das unbeschwerte Single-Leben eine rasante Wendung, als Marlen sich durch eine Verkettung verrückter Zufälle mit einem Mal um ein kleines Baby kümmern muss! Dass sie keinerlei Ahnung von Kindererziehung hat, hält Marlen nach anfänglichen Zweifeln nicht davon ab, mit der bezaubernden kleinen Lisa und ihren Freundinnen eine chaotische, aber herzliche Patchwork-Familie zu bilden. Was nun noch fehlt? Ein Papa für Lisa! Und vielleicht könnte der auch Marlens Herz zum Tanzen bringen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der gefühlvolle Feelgood-und Freundinnen-Roman »Glückswolkenträume« von Marte Cormann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 382

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Über dieses Buch:

Für Marlen läuft eigentlich alles perfekt: Die junge Journalistin macht Karriere, bewohnt ein wunderschönes Loft – und ums Eck gibt es den besten Italiener der Stadt, wo sie sich gemeinsam mit ihren besten Freundinnen ungestört über Männer und andere Zeitvertreibe amüsieren kann. Doch dann nimmt das unbeschwerte Single-Leben eine rasante Wendung, als Marlen sich durch eine Verkettung verrückter Zufälle mit einem Mal um ein kleines Baby kümmern muss! Dass sie keinerlei Ahnung von Kindererziehung hat, hält Marlen nach anfänglichen Zweifeln nicht davon ab, mit der bezaubernden kleinen Lisa und ihren Freundinnen eine chaotische, aber herzliche Patchwork-Familie zu bilden. Was nun noch fehlt? Ein Papa für Lisa! Und vielleicht könnte der auch Marlens Herz zum Tanzen bringen?

Über die Autorin:

Marte Cormann, geboren 1956 in Düsseldorf, begann neben ihrer Karriere als Verwaltungswirtin schon 1993 mit dem Schreiben von Romanen und Drehbüchern. Ihr erster Roman, »Ein Buchclub zum Verlieben«, wurde erfolgreich für das ZDF verfilmt.

Marte Cormann veröffentlichte bei dotbooks bereits die folgenden Romane:»Cappuccinoküsse«»Sommerglück und Liebeszauber«»Sommerregenzauber«»Ein Buchclub zum Verlieben«»Liebeszauber à la Carte«

Daneben veröffentlichte sie einen Sammelband mit schwarzhumorigen Kurz-Krimis: »Bis der Tod euch scheidet«

Unter dem Pseudonym Liza Kent veröffentlichte sie auch den Roman »Die Liebe der Zeitenwanderin«.

Die Website der Autorin: www.martecormann.de

***

Aktualisierte eBook-Neuausgabe Mai 2020

Dieses Buch erschien bereits 1998 unter dem Titel »Frauen al dente« bei Heyne

Copyright © der Originalausgabe 1998 Marte Cormann

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / GreyLilac / april70

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96148-884-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Glückswolkenträume« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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Marte Cormann

Glückswolkenträume

Roman

dotbooks.

Für Svea-Britt und Lennart

Ich danke allen; besonders aber meinem Mann Herbert und meinen Eltern für ihre gleichbleibende Unterstützung; Hildegard Aretz; Beatrix van Vlodrop, Westdeutsche Zeitung; Herrn Esser, Jugendamt der Stadt Meerbusch; Helga Stein, Sozialer Dienst der Stadt Meerbusch; Herrn Emmerichs, Bestattungsinstitut Emmerichs; und natürlich Petra Neumann.

Der vorliegende Roman ist frei erfunden. Ähnlichkeiten und Namen mit lebenden und verstobenen Personen sind daher rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1

»… Herr Weber wird uns gegen Ende des Jahres verlassen. Könnten Sie sich vorstellen, wer für seine Nachfolge in Frage kommt?«

»Ich!« rutschte es Marlen Sommer heraus. Sie war verantwortliche Redakteurin für den Bereich Reportagen bei der Frauenzeitschrift pleasure. Im selben Augenblick brach ihr vor lauter Aufregung auch schon der Schweiß aus, und ihr Herz schlug mindestens drei Takte schneller als sonst. Das Vier-Augen-Gespräch im Büro ihrer Chefin entwickelte eine überraschende Dynamik. Angelika Weigold, pleasure-Chefredakteurin, hatte sie mit dieser Frage völlig überrumpelt. Zwar munkelten Insider schon seit einiger Zeit hinter vorgehaltener Hand, der stellvertretende Chefredakteur habe ein lukratives Angebot von einem Privatsender erhalten, doch solche Gerüchte gehörten zum Redaktionsalltag. Lichtblicke im täglichen Einerlei der Routinearbeit.

Angelika Weigold beobachtete Marlen schmunzelnd. Selbstverständlich hatte sie damit gerechnet, daß ihre junge Kollegin den Hut in den Ring werfen würde. Marlen brannte vor Ehrgeiz. Und sie schrieb gut, sogar verdammt gut. Hervorragende Recherchen und eine flüssige, anschauliche Schreibe prägten ihren ganz persönlichen Stil. Doch leider ließ sie sich noch zu häufig von ihren Emotionen mitreißen, selbst dann, wenn eigentlich journalistische Abgeklärtheit gefragt war. Doch mit zunehmendem Alter und wachsender menschlicher Reife würde sie zu den Top-Journalistinnen in Deutschland zählen, da war Angelika Weigold sich sicher.

»Sie wissen, was ein solcher Job mit sich bringt? Einsatz, Einsatz und noch einmal Einsatz. Wie alt sind Sie?«

Irritiert schlug Marlen die Beine übereinander. »Mitte Dreißig.« Angelika Weigold sondierte das Terrain, soviel stand fest, doch welche Antworten wollte sie hören? Vermutlich nicht, daß Marlen von Ehe und Kindersegen träumte. »Und bevor Sie weiter fragen«, fuhr sie daher entschlossen fort, »solange ich denken kann, träume ich davon, eines Tages als Chefredakteurin für mein eigenes Blatt verantwortlich zu sein …«

»… Sie haben es also auf meine Position abgesehen, mit anderen Worten?!« warf die Weigold ein, wobei ein süffisantes Lächeln um ihre Lippen spielte.

Nervös bemerkte Marlen ihren Schnitzer. Prompt begannen rote, unangenehm juckende Flecken ihren Hals hinaufzukriechen. Zum Glück würden sie unter dem buntgeblümten Seidentuch, das sie über dem Blazer trug, für die Weigold unsichtbar bleiben. Die war und blieb eben ein alter Drachen. Die winzigste Blöße reizte sie zum Angriff. Doch in Marlen sollte sie sich getäuscht haben. So rasch ließ sie sich nun auch wieder nicht ins Boxhorn jagen.

»Ich habe nicht gesagt, daß ich Ihren Platz einnehmen möchte. Aber wie jeder Mensch habe ich meine Träume. Und der Weg nach oben führt nun mal über die Stellvertretung. Einmal ganz davon abgesehen, daß ich für den Job die absolut Beste bin«, schloß sie selbstbewußt. Aber eigentlich hatte sie doch was anderes sagen wollen? Ach ja. »Und Kinder kommen für mich überhaupt nicht in Frage.« Ihre letzten Worte unterstrich sie mit einer energischen Handbewegung. Am liebsten hätte sie noch hinzugefügt, daß sie nicht wie ihre Mutter Büro gegen Herd tauschen wollte. Um später dann bei ihrer Tochter ewige Dankbarkeit einzufordern … Doch was ging die Weigold ihre Familiengeschichte an?

»Falsche Bescheidenheit gehört jedenfalls nicht zu Ihren Fehlern«, entgegnete diese. »Sie scheinen zu wissen, was Sie wollen. Mich brauchen Sie allerdings nicht vonIhren Fähigkeiten zu überzeugen, ich kenne ihren Wert. Im Gegensatz zu den Herren im Vorstand, die über Ihre Bewerbung zu entscheiden haben.« Dann schrieb sie in großen, fließenden Buchstaben auf ein Blatt Papier.

»Vermutlich haben außer mir noch andere Kollegen Interesse an der Stelle?« versuchte Marlen ihre Chancen auszuloten.

Doch die Weigold ließ sich nicht aus der Reserve locken. Statt dessen reichte sie Marlen das Blatt Papier, auf dem nun das Wort ›Umstrukturierung‹ zu lesen war. »Hierüber sollten Sie sich Gedanken machen, wenn Sie sich ernsthaft bewerben wollen. Unsere Abonnentenzahlen sinken. Der Vorstand erwägt die Umstrukturierung von pleasure. Das Blatt soll moderner werden, hart am Wind der Zeit, sozusagen. Ein Magazin für die moderne, berufstätige Frau, die weiß, was sie will. Legen Sie Ihre Vorschläge schriftlich dar, möglichst mit Kostenanalyse. Leistung und Kreativität setzen sich immer durch.« Die Weigold zog eine prallgefüllte Unterschriftsmappe zu sich heran. Die Audienz war beendet.

Marlen verstand den Wink, trotzdem fragte sie: »Bis wann hätten Sie die Unterlagen gerne?«

»Am liebsten noch gestern, Marlen. Und um Ihre Frage nach weiteren Kandidaten zu beantworten: Wem aus der Redaktion trauen Sie diesen Job denn noch zu?«

Marlen schluckte trocken. Die Weigold war wirklich ein gemeines Aas. Erwartete sie ernsthaft von ihr, daß sie ihre Gegenkandidaten selbst in den Sattel hob? Doch andererseits – was hatte sie schon zu verlieren? Ihr eigener Ruf war tadellos und für den Vorstand würde sie eine Analyse vorbereiten, die alle überzeugte. Wenigstens hoffte sie das. Da konnte es auf keinen Fall schaden, auch mit Menschenkenntnis zu glänzen. Und mit sachlicher Unvoreingenommenheit. Dennoch blieb ein flaues Gefühl im Magen, als sie sagte: »Ich könnte mir Frau Kranach als mögliche Bewerberin vorstellen. Sie ist ehrgeizig und zielstrebig.« Allerdings würde Marlen sich eher die Zunge abbeißen, als auch nur ein positives Wort über die Arbeit der Kranach zu verlieren. Die war in ihren Augen nämlich unter Standard.

»Interessante Einschätzung«, antwortete die Weigold, ohne eine Miene zu verziehen. Dann schlug sie die Mappe auf und setzte ihre Unterschrift unter das erste Schreiben. Doch wiederum unterbrach sie sich. »Übrigens erwarte ich von meiner künftigen Stellvertreterin absolute Loyalität, Offenheit und die Fähigkeit zur Teamarbeit. Eine Bewerberin, die neben herausragender Leistung diese Eigenschaften mitbringt, verdient meine absolute Unterstützung.«

Behutsam zog Marlen die Tür hinter sich ins Schloß.

Hurra!!!!

»Wohl zuviel Tennis gesehen, gestern Abend?« grinste Rabuske, das Redaktionsfaktotum, als er Marlen dabei ertappte, wie sie in typischer Boris-Becker-Manier den Arm hochriß.

Übermütig strahlte sie den alten Mann an. »Von wegen Tennis. Die größten Schlachten werden heutzutage in den Büros geschlagen, Herr Rabuske.«

»Da haben Sie wohl recht«, nickte Rabuske eifrig. »Wissen Sie, was Meier aus der Fünften sich gestern Nachmittag wieder geleistet hat?«

Bloß das nicht! Rabuske kam im ganzen Haus herum und war daher eine schier unerschöpfliche Quelle für Bürotratsch aller Art. Doch im Augenblick stand Marlen wirklich nicht der Sinn danach.

»Keine Zeit, Herr Rabuske, ich muß dringend aufs Klo!« Marlen rettete sich hinter die Tür mit dem D-Schild. Marmorlook und saubere Waschbecken empfingen sie. Selbst die Kloschüssel funkelte wie frisch poliert. Ganz eindeutig Chefetage. Dagegen das Klo unten auf dem Sklavengang, dort wo auch sie ihr Büro hatte …

Aus dem Spiegel leuchtete ihr das Gesicht einer hinreißenden Frau entgegen. Erfolg macht schön, Marlen Sommer, du bist der lebende Beweis dafür, stellte sie verblüfft fest. Nun gut, ihre braunen, naturgelockten Haare trug sie schon seit Jahren bis auf die Schultern, doch trotz unablässiger Intensivpflege hatten sie noch nie so geglänzt wie heute. Ganz zu schweigen von ihren himmelblauen Augen, die mit den Diamantsplittern in ihren Ohrclips um die Wette funkelten. Sie würde Weber beerben, das schwor sie sich beim Anblick ihres Spiegelbildes. Sie war gut, sie war besser, sie war unschlagbar. Außerdem war die Weigold auf ihrer Seite, da war Marlen sich sicher. Auch wenn sie das nicht ausdrücklich gesagt hatte. Aber mehr als ihre letzte Bemerkung war von der damenhaft distanzierten Weigold auch nicht zu erwarten. Jetzt brauchte sie nur noch die Herren aus dem Vorstand zu überzeugen. Ob sie Rabuske schon um Umzugkartons bitten sollte?

»Oh Verzeihung, ich muß mich in der Tür geirrt haben?!«

Beim Klang der sonoren Männerstimme fuhr Marlen erschrocken herum. Sprachlos starrte sie den Fremden an, der in seiner stattlichen Länge den Türrahmen ausfüllte und nun unschlüssig einen Schritt zurück auf den Hur trat. Mit einem Blick auf das ›D‹ vergewisserte er sich, daß tatsächlich er es war, der sich geirrt hatte. Verwundert schüttelte er den Kopf.

»Nichts für ungut«, murmelte er noch einmal hastig, fort war er.

Durchaus attraktiv, wahrscheinlich irgendein Promi auf Redaktionsbesuch, überlegte Marlen auf dem Weg zurück in ihr Büro. Schade, wenn man Rabuske brauchte, war er nirgends zu sehen. Er würde ihr bestimmt sagen können, wer der große Unbekannte war.

»Na, war's schlimm?« erkundigte Tanja sich mitfühlend bei ihr. Tröstend bot die Redaktionssekretärin Marlen eine Tasse mit frisch aufgebrühtem Kaffee an. Sie machte keinen Hehl aus ihrer Neugier. Die Vier-Augen-Gespräche bei der Weigold genossen legendären Ruhm, denn selten bedeuteten sie etwas Gutes. In der Regel hagelte es dann kompromißlose und mitunter ätzende Kritik, während sie ihre seltenen Belobigungen stets vor versammeltem Redaktionsstab verlieh. Ebenfalls ein zweischneidiges Vergnügen. Wer wollte schon als Streber der Nation den hämisch-neiderfüllten Blicken seiner Kollegen ausgesetzt werden?

Marlen verschanzte sich hinter einer betont gleichmütigen Miene und stöckelte an Tanja vorbei in ihr Büro. Um gleich darauf noch einmal den Kopf herauszustecken.

»Eine neue Artikelserie, nichts Besonderes. Bitte sorg dafür, daß ich in der nächsten halben Stunde nicht gestört werde.« Tür zu.

Gekränkt griff Tanja zum Telefonhörer. Eine gute Sekretärin wußte immer Mittel und Wege, um an wirklich wichtige Informationen zu gelangen. Und sie, Tanja, war eine hervorragende Sekretärin.

Marlens Schreibtisch bog sich unter Bergen von Papier, und auch das Körbchen mit der Tagespost quoll über. Doch sie verspürte nicht die geringste Lust, sich an die Arbeit zu begeben. Heute war ein besonderer Tag, ihr Tag. Die Weigold hatte ihr die Karriereleiter hingehalten, nun brauchte sie nur noch den Fuß auf die Sprossen zu setzen. Wenn das kein Grund zum Feiern war. Sie würde Barbara und Hella zu Nudeln und Chianti zum Italiener einladen, zu ihrem Italiener.

Hella, Barbara und Marlen hatten sich vor einem Jahr durch eine Wohnungsannonce kennengelernt. Großzügige 4-Zimmer-Wohnung, Küche, Diele, Bad, Parkettboden, mitten im Herzen von Düsseldorf, hatte in der Annonce gestanden. Der Makler hatte alle drei Interessentinnen gleichzeitig zur Besichtigung eingeladen. Und für alle drei stand sehr schnell fest, daß die Wohnung der absolute Traum war. Südlage mit großer Loggia, Ausblick ins Grüne, der Stadtpark direkt gegenüber. Und das Beste, nur fünf Minuten bis zu ihren jeweiligen Arbeitsplätzen in der City. Aber der Preis …!

Und dann schlug dieser pfiffige Makler, der die Traumwohnung bereits seit Wochen vergeblich wie Sauerbier angeboten hatte, den verblüfften Frauen vor, die Wohnung gemeinsam zu beziehen. Die ideale Lösung für drei karrieremäßig stark engagierte Singles, die sich ohnehin nur abends begegnen würden. Anfangs Ratlosigkeit. Doch dann erwärmte Marlen sich als erste für diesen Gedanken. Ihr Mietvertrag lief in drei Wochen aus, es wurde für sie also allerhöchste Zeit, eine neue Bleibe zu finden. Hella und Barbara erging es ähnlich, und den endgültigen Ausschlag gab ihre gemeinsame Vorliebe für italienisches Essen, stark geknofelt selbstverständlich, die sie beim Italiener um die Ecke entdeckten. Noch mit leichtem Rotweinnebel im Hirn unterzeichneten sie einen Tag später bereits den Mietvertrag, und pünktlich zwei Wochen später zogen sie ein. Und, oh Wunder – trotz anfänglicher Skepsis – bewährte sich ihre Weiberwirtschaft bislang bestens. Insgeheim kam sie Marlen sogar wie die beste aller möglichen Lebensformen vor. Nach einem anstrengenden Tag in der Redaktion genoß sie es einfach, die Nähe vertrauter Menschen um sich zu spüren, ohne über jede Minute, die sie später als sonst nach Hause kam, Rechenschaft ablegen zu müssen. Zweimal in der Woche kam die Putzfrau, und so war auch das heikelste Thema des Zusammenlebens zu aller Zufriedenheit geklärt. Stattdessen genossen sie spontane Klönabende oder gemeinsame Essen bei ihrem Italiener.

Marlen durchforstete ihr Notizbuch nach den Telefonnummern der Freundinnen. Sie telefonierten selten während der Arbeitszeit miteinander. Zuviel Streß, zuviel Hektik. Doch Ausnahmen bestätigten die Regel.

Hella Merten, die Bankkauffrau mit dem Spezialgebiet Kreditwesen, weilte wieder einmal in einer Besprechung, aus der sie leider nicht herausgerufen werden durfte. So hinterließ Marlen bei Hellas Sekretärin nur Ort und Zeitpunkt ihres Treffens. »Aber nicht vergessen,« fügte sie unklugerweise hinzu, womit sie sich auf Ewigkeiten alle Sympathien verscherzte.

Hoffentlich traf sie wenigstens die Dritte im Bunde an. Barbara Koch arbeitete zur Zeit als Referentin im Verkehrsministerium, genaugenommen nur als Schwangerschaftsvertretung, da die ersehnte Festanstellung trotz ihres Diploms in Sozialwissenschaften auf sich warten ließ.

Marlen lauschte dem monotonen Klang des Freizeichens, das aus dem Hörer drang. Ihre Freundin meldete sich nicht. Nach zehnmal Klingeln legte Marlen entnervt auf.

Die schönste Freude verlor an Glanz, wenn frau sie mit niemand teilen konnte. Mißmutig musterte Marlen den Stapel säuberlich geöffneter Umschläge, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Mindestens fünf unverlangt eingesandte Manuskripte von Hobbyautoren. Herz- und Schmerzgeschichten, wie auch pleasure sie veröffentlichte. Angeblich alles Geschichten, wie das Leben sie schrieb. Naja!

Entschlossen schnappte Marlen sich den Stapel mit der unerledigten Post. »Hier, Tanja, Arbeit für dich. Sieh mal durch, ob für uns etwas dabei ist. Ich bin auf Recherche und komm heute auch nicht mehr rein.«

»So gut möchte ich es auch mal haben«, maulte Tanja. »Immer muß ich Stallwache halten.«

»Maul nicht, dafür feierst du auch öfter krank«, konterte Marlen anzüglich.

»Jetzt fang du nicht auch noch mit diesem Drückebergergeschwafel an, sonst kündige ich dir wirklich dieFreundschaft«, grollte Tanja finster. Was konnte denn sie dafür, daß sie mit einem so empfindlichen Magen geschlagen war und manche Nächte mehr vor dem Klo als im Bett verbrachte.

Marlen umarmte sie herzlich. »Nichts für ungut, Tanja. Du weißt doch, daß ich ohne dich total aufgeschmissen wäre. Morgen spendiere ich uns ein Stück Kuchen zum Frühstück. Wie immer Apfel mit Sahne?«

»Klar doch. Aber glaub nicht, daß ich bestechlich bin.« Natürlich war Tanja bestechlich, und das wußte nicht nur Marlen.

»Tschau!« Marlen schnappte sich ihren Mantel und eilte hinaus. Als erstes würde sie ihrem Geldautomaten einen Besuch abstatten, danach einen Bummel über die Kö wagen, in der Hoffnung, endlich den ersehnten edel-grauen Hosenanzug aus pflegeleichtem Sommertextil zu entdecken, von dem sie schon so lange träumte. Und last but not least stand der wöchentliche Besuch bei ihrer Kosmetikerin auf dem Programm. Der Termin war um fünf, bis dahin blieb ihr noch genügend Zeit, den Nachmittag zu genießen. Obwohl ihr die Worte der Weigold, von wegen Einsatz, Einsatz, Einsatz, noch im Ohr klangen, verspürte sie nicht das geringste schlechte Gewissen. Der Vorstand schenkte ihr nichts, wenn er Marlen auf die Stellvertretung setzte. Dafür hatte sie pleasure in der Vergangenheit schon so manche unbezahlte Überstunde nach Feierabend oder am Wochenende geschenkt. Und sie würde es erst recht in Zukunft tun. Doch selbst ein Arbeitstier wie Marlen lechzte mitunter nach Belohnungen. Und ihre Belohnung würde der heutige freie Nachmittag sein.

»Ach, die Kollegin Sommer, wie nett.« Unverkennbar Margarete Kranach, die anerkannt intriganteste Kollegin im Haus. Vorsicht war angesagt. Zu allem Überfluß heftete sie sich auch noch an Marlens Fersen. Seite an Seite liefen sie die Treppe hinab bis ins Erdgeschoß.

»Ein Mäuslein hat mir geflüstert, daß du deinen Adlerblick auf die Nachfolge von Weber geworfen hast«, schoß sie auch schon ihren ersten Giftpfeil ab.

Die alte Klapperschlange ist wieder einmal erstaunlich gut informiert, wunderte Marlen sich.

»Du wirst dich auf einen harten Kampf einstellen müssen. Auf den Job sind auch noch andere scharf, zum Beispiel ich«, fuhr die Kranach mit eingefrorenem Lächeln fort. Sprach's und setzte zum Sprint an, um als erste den Ausgang zu erreichen. Sozusagen als symbolische Handlung.

Diese blöde Kuh!

»Wie heißt es so schön, Kollegin Kranach? Möge die Bessere gewinnen«, rief Marlen ihr hinterher. Leider konnte die es nicht mehr hören.

Bildete die Kranach sich wirklich ein, sie einschüchtern zu können? Pech für sie. Marlen war jederzeit bereit, den Fehdehandschuh aufzunehmen. Sie weilte derzeit auf Wolke sieben und fühlte sich jedem Kampf gewachsen.

Kapitel 2

Der Einkaufsbummel wurde der Flop des Jahrhunderts, nichts war es mit dem ersehnten edelgrauen Hosenanzug. Edelgrau war out, Marine war angesagt. Doch Marlen verspürte nicht die allergeringste Lust auf Seefahrt. Auch wenn sie sich von einer Schickimicki-Verkäuferin belehren lassen mußte, daß Marine in diesem Sommer absolut trendy wäre und Legionen von Verkäuferinnen ihr im Laufe des Nachmittags noch recht geben sollten. Aber ebenso hartnäckig, wie sie versuchten, Marlen vom einzig wahren Modetrend des Sommers zu überzeugen, bestand diese auf ihrem Wunsch nach einem grauen Hosenanzug, einem edelgrauen genaugenommen.

Eigentlich Grund genug für eine waschechte Einkaufsdepression, doch nicht an einem wunderschönen Mainachmittag wie heute. Die Sonne schien und die Straßencafes auf der Kö erlebten die langersehnte Hochkonjunktur. Und als Tüpfelchen auf dem ›i‹ und mit einem Quentchen Glück würde Marlen bald auf dem Sessel der stellvertretenden Chefredakteurin von pleasure Platz nehmen. Eine Vorstellung, die sie restlos entzückte.

Marlen gönnte sich einen Cappuccino in ihrem Lieblingscafé. Erst jetzt spürte sie ihre schmerzenden Füße. Vielleicht wäre es sinnvoller, statt in einen grauen Hosenanzug in ein paar wirklich bequeme Schuhe zu investieren. Marke Edelpumps mit eingebautem Finn-Comfort. Der Traum jeder stöckelschuhgeplagten Frau. So unauffällig wie möglich schlüpfte sie unter dem Tisch aus den Schuhen. Welche Wohltat! Während sie beim freundlichen Ambientekellner ihre Bestellung aufgab, übte sie sich im Zehenspielen. Strecken, krümmen, strecken, krümmen…

»Gestatten?« Der zweite, noch freie Stuhl an ihrem Tisch wurde unsanft zurückgestoßen, und ohne ihre Antwort abzuwarten, ließ ein modisch gegelter Beau sich darauf fallen. Augenblicklich verschanzte Marlen sich hinter den dunklen Gläsern ihrer Sonnenbrille. Der Typ war mindestens zehn Jahre jünger als sie. Vermutlich ein angehender Spitzenmanager, allerdings einer, dem man seinen Knigge erst mühsam in Managerkursen beibringen mußte. Ungeniert flegelte er seine Beine unter den Tisch, so daß Marlen ihrerseits die Gouvernantenhaltung einnehmen mußte, um nicht von ihm getreten zu werden. Marlen schoß Giftblicke durch ihre Sonnenbrille, doch bedauerlicherweise konnte er diese nicht wahrnehmen. Statt dessen beugte er sich sogar zu ihr herüber.

»Trinken Sie 'nen Kaffee mit mir?« fragte er, mit Fäulnis im Atem.

Angeekelt lehnte Marlen ab. »Danke, nein«, entgegnete sie frostig. Entschlossen winkte sie dem Ober nach der Rechnung. Sie schlüpfte in ihren linken Schuh, doch nach dem rechten tastete sie vergeblich. Nervös krümmte sie sich, um einen Blick unter den Tisch zu werfen. Verflixt! Nichts. Wo war ihr Schuh?

»Wie eine Kostverächterin sehen Sie eigentlich gar nicht aus«, baggerte der Beau. »Und ich bin ein ausgesprochener Spezialist für reifere Frauen, Sie wissen gar nicht, was Sie verpassen, wenn Sie mir einen Korb geben.«

Marlen glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. Was bildete dieser Schnösel sich eigentlich ein. Na warte, der sollte die passende Antwort zu hören bekommen.

»Gehört einer der Damen vielleicht dieser rote Pumps?« erhob sich im selben Augenblick die Stimme des freundlichen Kellners über die Stimmen seiner Gäste. Belustigtes Gelächter. Entsetzt fuhr Marlens Kopf zu ihm herum. Das war ihr Schuh, ohne Zweifel. Dieser Flegel neben ihr hatte ihn vermutlich mit seinen langen Beinen weggeschossen. Dann war es auch an ihm, ihr aus der Patsche zu helfen.

»Das ist mein Schuh«, wandte sie sich mit abgerungenem Lächeln an ihn, laut genug, daß der Ober und die Gäste, die in der Nähe saßen, sie verstehen konnten. »Wären Sie bitte so nett, ihn für mich zu holen?«

»Nichts lieber als das. Ich wußte doch, daß wir heute noch zusammenkommen«, grinste er selbstgefällig. »He! Ober, bringen Sie den Schuh mal hier rüber, die Dame kann wohl schlecht in Nylons zu Ihnen herübergehumpelt kommen,« rief er lauthals.

Wenn Marlen etwas unter Garantie nicht ausstehen konnte, dann waren das überhebliche, dummdreiste Menschen, die ihre Umwelt wie den letzten Dreck behandelten. Und dieser Patron neben ihr war so ziemlich das Allerletzte.

»Nun hören Sie mir mal gut zu, Sie megadreister Dummfink«, tönte sie in einer Lautstärke, die jedem Feldwebel auf dem Exerzierplatz zur Ehre gereicht hätte. »Ihre Mutti hat Sie wohl zu früh aus den Pampers gelassen! Wenn Sie sich nicht augenblicklich bei dem Ober und mir für ihr unverschämtes Benehmen entschuldigen, hänge ich Ihnen eine Anzeige wegen sexueller Belästigung an, Zeugen habe ich ja genug, ist das klar?«

Neben ihr erstarrte der Beau zu Stein. Die Blicke der Gäste, überwiegend gepflegte Mitfünfzigerinnen und distinguierte Geschäftsleute, ruhten nun abwartend und feindselig auf ihm. Ein kurzes Zögern verriet seine Unsicherheit. Dann warf er fluchend einen Zehner auf den Tisch und stieß den Stuhl zurück.

»Den Teufel werd' ich«, quetschte er zähneknirschend hervor. Fluchtartig verschwand er zwischen den Passanten.

»Sorry, aber das mußte einfach sein«, rief Marlen lachend und schlüpfte in ihren Schuh. »Was bin ich Ihnen schuldig?« erkundigte sie sich beim Ober und zückte ihre Brieftasche.

»Der Cappuccino geht auf Rechnung des Hauses«, winkte er ab.

»Danke!« Marlen schlenderte die wenigen Meter hinüber zur U-Bahnstation. Ihre Wut war verraucht. Nach diesem Intermezzo fühlte sie sich sogar ausgesprochen erheitert. Im Vorbeigehen fiel ihr Blick auf eine Schaufensterauslage. Und da war es, das Ich-verwöhn-mich-Mitbringsel des heutigen Tages. Sieben Zentimeter hoch, dickbäuchig, mit schlankem Fuß. Ein schwarzer Saxophonist unter Glas. Ein absolutes Kleinod von Schneekugel. Marlen liebte Schneekugeln, seitdem sie denken konnte. Weit über hundert Stück hatte sie seither in allen Größen, Formen und Farben zusammengetragen. Von Dornröschen im Dornenschloß bis zur Maria von Lourdes warteten sie nun darauf, von ihr in regelmäßigen Abständen abgestaubt und geschüttelt zu werden. Und selbst die kleinen, bösartigen Nadelstiche ihrer beiden Mitbewohnerinnen hielten Marlen nicht davon ab, sich für immer wieder neue, ungewöhnliche Stücke zu begeistern.

»Mit einem Bein steckst du eben noch in den Kinderschuhen«, neckte Hella sie eines Abends, als Marlen in der Vorweihnachtszeit voller Stolz eine Kugel präsentierte, in der ein Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten durch den Schnee raste. Mit Beleuchtung und Musik. Das gute Stück hatte einen halben Hunderter verschlungen, doch Marlens Freude fiel bei Hellas Worten wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Selbst die Erinnerung an diese Bemerkung ärgerte sie noch. Aber es käme einem Wunder gleich, wenn die supertüchtige, supererfolgreiche, stets korrekte und leider etwas spröde Hella auch nur einen Funken Verständnis für Marlens Tick zeigte.

Mit dem Saxophonisten in der Tasche eilte sie die U-Bahngänge entlang. Bald fünf Uhr, die Kosmetikerin wartete.

»Nur zwei Mark für die Obdachlosenzeitung, eine Mark für den Verkäufer«, nuschelte der Mann. Er war einer von der ordentlicheren Sorte, Marlen kannte ihn bereits. Sie fischte aus ihrer Manteltasche zwei Markstücke und gab sie dem Mann. Als er sich mit einem schiefen Lächeln bei ihr bedankte, blitzte für den Bruchteil von Sekunden eine Goldkrone in seinem Mund auf. Was trieb Menschen wie ihn auf die Straße? Was trieb immer mehr obdachlose Frauen auf die Straße? Wäre das nicht ein Superthema für pleasure? Doch sie verwarf diesen Gedanken rasch wieder.

»Frauen von heute sehnen sich nach positiver Lebenshilfe. Wer tagsüber Kinder, Haushalt und Beruf unter einen Hut bringen muß, dem steht abends nicht der Sinn nach den Problemen anderer. Wenn schon Probleme, dann gleich mit der Patentlösung für alle. Immerhin leben wir im Jahrzehnt des Superweibs.« Originalton Weigold anläßlich ihrer Einführungsrede bei pleasure. Und die Verkaufszahlen hatten ihr recht gegeben. Noch nie hatte eine neue Frauenzeitschrift sich derartig schnell auf dem Markt durchsetzen können. Merkwürdig nur, daß seit letztem Herbst die Abonnentenzahlen kontinuierlich sanken.

Das Kosmetikinstitut lag in einer winzigen Seitenstraße, ganz in der Nähe von Marlens Wohnung. Als sie den Laden betrat, erklang ein melodisches Windspiel, das in Marlen die Sehnsucht nach der Romantik lauschiger Mittelmeernächte weckte. In diese Töne hatte sie sich sofort bei ihrem ersten Besuch verliebt. Doch alle Versuche, es Nena Hiller, der Inhaberin des Instituts abzukaufen, waren gescheitert.

»Komme sofort, Frau Sommer. Machen Sie es sich schon einmal in Nummer zwei bequem.«

Behandlungsraum Nummer zwei lag zur Nordseite hinaus und war entsprechend kühl. Marlen schlüpfte aus ihrer Bluse und kuschelte sich rasch in die wollene Decke, die einladend über den Behandlungsstuhl gebreitet lag. Es duftete nach Mandarinen und Vanille, Nena war überzeugte Anhängerin der Aromatherapie. Marlen schloß die Augen, in der besten Absicht, sich zu entspannen.

»So ist es richtig, Frau Sommer. Einmal in Ruhe die Seele baumeln lassen, Ihre Haut wird es Ihnen danken.« Ein Schatten legte sich auf Marlens Gesicht, als Nena Hiller sich prüfend über sie beugte. Marlen schlug die Augen genau in dem Augenblick auf, als die Kosmetikerin bedenklich mit dem Kopf wackelte.

»Neue Unreinheiten auf der Stirn und seitlich am Haaransatz, typische Streßstellen«, murmelte sie.

»Streß? Das wundert mich aber, eigentlich läuft es bei mir im Augenblick ganz ruhig«, bemühte Marlen sich, zwischen ihrer Haut und der Kosmetikerin zu vermitteln. Doch letztere hörte ihr überhaupt nicht zu. Statt dessen schürzte sie sorgenvoll ihre Lippen, um gleich darauf mit ernster Miene zu fragen: »Wie alt sind Sie?«

Marlen schluckte trocken. Huch! Heute war alle Welt an ihrem Alter interessiert. Die Weigold, der Beau und nun die Hiller. Wollte Nena ihr nun ein Kompliment für ihr faltenfreies Gesicht machen oder erwartete sie im Gegenteil ein fachkosmetisches Donnerwetter für vorzeitige Hautalterung? Bedauerlicherweise schien das Pendel zu Marlens Ungunsten auszuschlagen.

»Was halten Sie davon, wenn wir es mal mit einer Modellage probieren? Das ist eine Gesichtsmaske, die langsam antrocknet und dabei ein angenehmes Wärmegefühl entwickelt. Durch die Wärme wird Ihre Haut intensiv durchblutet und verliert ihren fahlen Schein. Zudem werden auf diese Weise kleine Fältchen ausgebügelt.«

Marlen spürte das Blut hinter ihren Schläfen pochen. Der Schreck war ihr in alle Glieder gefahren. »Ist es denn so schlimm?« entfuhr es ihr. Drastischer konnte frau ja wohl kaum darauf hingewiesen werden, daß die biologische Uhr ablief. Wo seid ihr geblieben, ihr Jugendjahre?

Endlich bemerkte Nena, was sie in ihrem Arbeitseifer angerichtet hatte. Sie lachte. »Keine Angst, für 'ne Frischzellentherapie ist es noch zu früh. Aber wie heißt es so schön? Wehret den Anfängen! Wie wär's also?«

Irgendwie keimte in Marlen der schreckliche Gedanke, daß der heutige Tag zwar ganz stark angefangen hatte, nun aber spürbar nachließ. Doch was blieb ihr übrig, sie fügte sich in ihr Schicksal. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, seufzte sie.

Das ließ Nena sich nicht zweimal sagen. Nachdem sie Marlen hinreichend unter Dampf gesetzt hatte, tobte sie sich zunächst an ihren Unreinheiten aus. Sie quetschte, schob und drückte, und gelegentlich kam sie auch nicht umhin, Marlens zarte Gesichtshaut anzuritzen. Als diese Tortur glücklich überstanden war, begann sie zu zupfen. Erst verpaßte sie Marlens dunklen Augenbrauen den einzig richtigen Schwung, dann machte sie vereinzelten Kinnborsten den Garaus.

»So, das war's schon«, verkündete sie endlich. Marlen bemühte sich, ihre angespannte Muskulatur wieder zu entkrampfen. Natürlich kein Vergleich mit dem Zahnarzt, aber dort wurde man gnädigerweise vor der Behandlung betäubt.

»Die Maske ist angereichert mit Mineralien, alles natürlich. Ich bin sicher, Sie werden begeistert sein.« Nena klatschte die matschige Pampe bereits mit einem dicken Spachtel auf Marlens gereinigtes Gesicht. Der Mund blieb verschont, die Augen erhielten eine Spezialmaske.

»So, jetzt nicht mehr sprechen, die Maske muß nun antrocknen. Nachher nehmen wir sie dann in einem Stück ab. In zwanzig Minuten sehe ich wieder nach Ihnen. Möchten Sie dabei ein wenig Musik hören?«

Marlen winkte ab, bevor Nena ihren ganzen Körper in warme Decken einschnürte. Keine Entspannungskassetten, lieber grübelte sie darüber nach, wie das neue Konzept von pleasure aussehen sollte.

Zischeln und Wispern riß Marlen aus ihren Träumen. Sie mußte eingeschlafen sein. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedachte, daß tausend Ameisen auf ihrem Gesicht Schlittschuh liefen.

»Hab ich's dir nicht gesagt? Eine echte Mumie. Macht Mama alles selbst. Jetzt bekomm ich aber auch deine Puppe. Gewonnen ist gewonnen.« Die dünne Kinderstimme befand sich ganz in der Nähe von Marlens rechtem Ohr.

Marlen spürte, wie sie sich versteifte. Kinder im allgemeinen und erst recht im besonderen waren ihr suspekt. Sie waren launenhaft und unberechenbar, lebhaft und wild und neigten zu Unfällen aller Art. Außerdem waren sie gnadenlos in der Beurteilung ihrer Mitmenschen, saugten aber jedes arme Opfer, das den Fehler beging, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, aus bis aufs Mark. Nein danke. Null Bock auf Kinder.

Aber jeder Zweifel war ausgeschlossen. Woher, um Himmels willen, kamen ausgerechnet hier, an diesem ruhigen Ort, zwei Kinder? Es waren mindestens zwei, das kam schon einer ganzen Horde gleich. Marlen fühlte sich ihren gaffenden Blicken hilflos ausgeliefert. In ihrem Zustand, verborgen unter einer steinharten Mineralienmaske und in Decken gewickelt wie eine … eine … eine Mumie. Jawohl, der Vergleich war durchaus passend.

»Macht deine Mama die Menschen vorher auch selber tot?« fragte das zweite Mädchen nun ein wenig ängstlich.

»Quatsch, wie kommst du denn da drauf? Meine Mama bringt doch keinen um!«

»Dann ist es auch keine Mumie. Mein Papa hat gesagt, so 'ne Mumie ist nichts anderes als eine eingewickelte Leiche.« Die Kleine kannte sich aus.

Marlen schwante Übles.

»Du willst mir bloß deine Puppe nicht geben, aber du mußt sie mir geben, du hast verloren.« Streit lag in der Luft.

»Erst guck ich nach, ob tatsächlich 'ne Leiche unter der Maske liegt.« Die Kinder rückten spürbar näher an Marlen heran. Panik erfaßte sie. Die beiden sollten nicht wagen, sie anzurühren. Fieberhaft überlegte sie, wie sie den Übergriff abwehren konnte. Doch die Decken um sie herum saßen stramm und absolut abwurfsicher.

Tock, tock, tock.

Zunächst vorsichtig, dann zunehmend wagemutiger, klopften die Mädchen auf Marlens Mineralienmaske herum. Das Spiel schien ihnen Spaß zu machen.

Das hielt ja die stärkste Frau nicht aus. Was zuviel war, war zuviel. Marlen stieß ein unwilliges Grunzen aus und kämpfte sich mit aller Kraft aus ihren Decken.

»Aaaaaaaaaah!!!« Laut kreischend stoben die Mädchen davon.

»Was ist denn hier los? Habe ich euch nicht gesagt, daß ihr in den Behandlungsräumen nichts verloren habt? Ab mit euch nach oben!« Nenas energische Stimme verfolgte die beiden noch, doch dann wandte sie sich lachend an Marlen.

»Jetzt haben Sie den beiden aber einen tüchtigen Schrecken eingejagt. So schnell werden sie sich nicht mehr hier unten blicken lassen.« Sanft drückte Nena Marlen zurück auf die Liege.

Wer hat hier wem einen Schrecken eingejagt, protestierte Marlen insgeheim. Dankbar spürte sie, wie ihr Gesicht endlich von der leidigen Maske erlöst wurde.

»Wunderbar!« befand Nena. Sie wischte die Reste mit einem feuchten Tuch ab, trug eine leichte Tagescreme auf und hielt Nena einen Spiegel vors Gesicht.

»Sehen Sie, wie schön Ihre Haut jetzt durchblutet ist?« fragte sie stolz und zufrieden.

Entsetzt starrte Marlen auf ihr rosiges Spiegelbild. Oder besser formuliert, auf ihr puterrotes Spiegelbild. Ihr Gesicht sah wie ein Heizkessel aus, kurz vor der Explosion.

»Soo kann ich unmöglich auf die Straße gehen!« entfuhr es ihr.

Prompt verfinsterte sich Nenas Miene. »Überlegen Sie mal, wieviel Nährstoffe wir soeben in Ihre Haut gepumpt haben. Sie verlangen doch nicht etwa im Ernst von mir, daß ich jetzt alles wieder mit Make-up zustopfe? Drei bis vier Stunden sollten Sie mindestens warten.«

Selbst die emanzipierteste Frau schmolz unter den Händen und den unnachgiebigen Worten ihres Friseurs oder ihrer Kosmetikerin zu Wachs. Kleinlaut fügte Marlen sich in ihr Schicksal. Sie wagte noch nicht einmal den Wunsch nach einem Hauch von Augen-Make-up zu äußern. Bloß weg aus dieser Folterkammer, heim in ihre eigenen, sicheren vier Wände. Was machte es schon, wenn sie die zwei Straßen bis nach Hause mit gesenktem Haupt und im Schatten der Hauswände zurücklegte.

Kurz vor acht betrat Marlen das Ristorante. Während sie Giovanni, dem Hausherrn, durch die Tischreihen folgte, gratulierte sie sich zu dem Weitblick, ihren Stammtisch reservieren zu lassen. Wie stets um diese Zeit war das Lokal brechend voll.

»Was darf ich Ihnen zu trinken bringen, Signorina? Eine Karaffe von unserem Hauswein, wie immer?« Giovanni bot ihr zuvorkommend den Stuhl an.

»Gerne, Giovanni. Und bitte die Karte. Allerdings warte ich mit der Bestellung noch, bis meine Freundinnen eintreffen.«

»Prego!« Ungewohnt befangen nahm Marlen die Speisekarte entgegen. Unter der zentimeterdicken Schicht Abdeckcreme, die sie sich aufs Gesicht gepinselt hatte, prickelte ihre Haut noch immer. Starrten die übrigen Gäste nicht längst alle zu ihr herüber? Vermutlich pure Einbildung, doch sicherheitshalber versenkte Marlen ihr Haupt rasch in die Speisekarte. Keine üble Tarnung. Nur gelegentlich tauchte sie auf, um einen Blick auf neu eintreffende Gäste zu werfen. Wo blieben die zwei bloß? Hoffentlich hatte Marlens Nachricht sie überhaupt erreicht. Um Hella machte Marlen sich die geringsten Sorgen. Deren gewissenhafte Sekretärin hatte ihr die frohe Botschaft bestimmt ausgerichtet, früher oder später würde sie hier aufkreuzen. Doch bei Barbara war ihr nichts anderes mehr übrig geblieben, als die Einladung zu Pasta und Wein auf den Kühlschrank zu heften. Der zentrale Umschlagplatz für Nachrichten aller Art in ihrer Wohngemeinschaft. Und außerdem stets Barbaras erste Anlaufstelle, nachdem sie die Wohnung betreten hatte.

Ein neuer Schwall Gäste schwappte herein. Eine Gruppe von fünf oder sechs Leuten. Mitten unter ihnen Barbara. Sie war die einzige Frau in der Runde. Ihr glucksendes Lachen war bis an Marlens Tisch zu hören, ihre auffällige Erscheinung war wirklich nicht zu übersehen. 1,75 m barocke Fülle, hervorragend proportioniert, steckten in einem schwarzen Popelineoverall, der zum Glück genügend Raum für ihre ausladende Oberweite bot. Ihre streichholzkurzen, karottenrot gefärbten Haare und die grau-grün gesprenkelten Katzenaugen signalisierten Unabhängigkeit und Mut zur Extravaganz. Für Marlens Geschmack neigte sie einen Touch zuviel zur Selbstinszenierung. Nicht unbedingt die passende Aufmachung für eine solide Karriere im Verkehrsministerium. Doch letztendlich war dies nicht ihr Problem. Sie jedenfalls mochte Barbaras direkte Art, ihre Spontaneität und ihre Herzlichkeit. Wenn sie nicht wäre, wer weiß, ob sie das Leben mit Hella allein lange ausgehalten hätte.

»Huhu, Barbara! Hierher!« Marlen winkte ihr erfreut zu.

Barbara stutzte, als sie sie erkannte. Sie wandte sich an einen der Männer und wechselte ein paar Worte mit ihm. Dann kam sie mit weichen, wiegenden Schritten an ihren Tisch.

»Nanu, mit dir habe ich hier überhaupt nicht gerechnet«, begrüßte sie Marlen erstaunt. Sie machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu setzen, sondern blieb abwartend stehen.

»Hast du meinen Zettel nicht gelesen? Es gibt was zu feiern, ich wollte dich und Hella zum Essen einladen«, reagierte Marlen enttäuscht.

Barbara beugte sich zu ihr hinunter. Eine Duftwolke Poison senkte sich dabei auf Marlen herab. Die Freundin war auf Männerpirsch.

»Ach je, aber ich war heute noch nicht zu Hause. Den ganzen Tag habe ich mich durch so einen schrecklichen Pressetermin gequält. Und jetzt müssen wir das Ganze noch einmal im wahrsten Sinne des Wortes durchkauen, du weißt schon. Der Staatssekretär ist auch dabei, sieh nicht rüber. Der kleine Dicke mit der Glatze.«

Marlen warf einen verstohlenen Blick über Barbaras Schulter. Der einzige kleine Dicke in der Gruppe, den sie ausmachen konnte, warf soeben begehrliche Blicke auf das wohlgerundete Hinterteil ihrer Freundin. Als er Marlens Blick begegnete, wandte er sich abrupt seinem Gesprächspartner zur Rechten zu.

»Dein Staatssekretär wartet schon auf dich«, raunte Marlen. Klar, daß für Barbara in einer solchen Situation ein Staatssekretär Vorrang haben mußte. Karrierefrau wußte, was sich gehörte.

»Wir feiern nachher zu Hause miteinander, alles klar?« Marlen nickte bloß. Barbara wurde bereits mit ›Hallo‹ von der Männerrunde wieder aufgenommen.

Gleich halb neun. Von Hella noch immer keine Spur. Marlen beschloß, ihrem knurrenden Magen einen Gefallen zu tun, und einfach zu bestellen. Sie entschied sich für ›Pasta frutti di mare‹, mit einem Hauch von Knoblauch und winkte nach Giovanni.

»Ist dieser Platz noch frei?« Nicht schon wieder! Ungnädig musterte sie den Mann. Der Typ sah nicht übel aus, schlank, braungebrannt, mit modisch pomadisierter Yuppifrisur. Dazu ausgesprochen modisch gekleidet in dunkelgrauem Einreiher, blütenweißem Hemd, schwarzen Edelslippern an den Füßen. Marlen schätzte ihn auf Anfang dreißig, also jünger als sie. Er besaß eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Schnösel-Beau von heute Nachmittag, doch seine Manieren waren entschieden besser, jedenfalls blieb er am Tisch stehen, bis sie ihm gnädig erlaubte, Platz zu nehmen. Ein Mann für eine Nacht? Lag durchaus im Bereich der Möglichkeiten.

»Pasta frutti di mare, aber ohne Knoblauch«, bestellte Marlen mit strahlendem Lächeln. Giovannis Augenbrauen schössen erstaunt in die Höhe. Ohne Knoblauch? Doch dann glitt sein erfahrener Blick hinüber zu dem Neuankömmling.

»Darf ich das dritte Gedeck abräumen?« erkundigte er sich wissend.

»Ich fürchte, meine Freundin hat mich versetzt«, bestätigte Marlen.

»Bringen Sie mir bitte das Gleiche wie für die Dame«, bestellte der Mann. »Ich bin sicher, daß wir viel gemeinsam haben.«

Zwei Karaffen Hauswein und eine Pasta frutti di mare später schwebte Marlen zum zweiten Mal an diesem Tag auf Wolke sieben. Jens Ebert hieß der Knabe, dessen Charme vermutlich selbst die eiserne Jungfrau überwältigen würde. Und sie dachte nicht im Traum daran, heute Nacht ihren Keuschheitsgürtel anzulegen. Wenn es schon nicht mit dem edelgrauen Hosenanzug und auch nicht mit dem gemeinsamen Freundinnen-Essen geklappt hatte, dann würde sie sich eben diesen Jens als Belohnung gönnen. Knackiges, appetitlich gebräuntes Frischfleisch in ihrem Bett, verlockender als das köstlichste Tiramisu zum Dessert. Eigentlich blieb nur noch die Frage zu klären, zu dir oder zu mir?

»Hätten Sie Lust auf einen Espresso bei mir zu Hause, tiefschwarz und süß?« fragte Marlen lässig, während sie Giovanni nach der Rechnung winkte.

In den Augen ihres Gegenübers blitzte es überrascht auf. Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.

»Klingt verführerisch«, sagte er.

»Zusammen oder getrennt?« Giovanni.

»Zusammen, selbstverständlich«, lächelte Jens Ebert und blinzelte Marlen verschwörerisch zu.

Aha, der Gute wollte sich nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen, registrierte Marlen. Insgeheim amüsiert verfolgte sie, wie Jens in sein Sakko griff, um die vermutlich goldene Kreditkarte hervorzuzaubern. Doch binnen Sekunden wechselte sein Gesichtsausdruck von wohlwollend-überheblich zu jungenhaft-zerknirscht. Seine langen, feingliedrigen Finger tasteten zunehmend hektisch alle vorhandenen Taschen seiner Jacke ab. Er erhob sich halb, um die Prozedur bei den Gesäßtaschen seiner Hose fortzusetzen und dann mit beiden Händen gleichzeitig in die Seitentasche zu fahren.

»Ich muß sie vergessen haben«, stieß er endlich hervor. »Es ist mir wirklich furchtbar unangenehm … Aber Sie könnten mir das Geld vielleicht vorstrecken, bis …?«

Marlen hörte schon nicht mehr hin. In ihrer Phantasie fühlte sie bereits, wie diese langen, feingliedrigen Finger ihre geheimsten Körperebenen erkundeten. Sie beglich die Rechnung und bemühte sich, Giovannis mißbilligenden Blick zu übersehen. Jetzt war nicht die Zeit, um sich mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Sie wollte diesen Jens in ihrem Bett, und zwar so schnell wie möglich. Und schließlich konnte jeder mal die Brieftasche vergessen, oder?

Im Hinausgehen warf Marlen noch einen prüfenden Blick zu Barbara hinüber, die sich mit dem Staatssekretär die Sitzbank teilte. Die beiden hielten ziemlichen Abstand. Und dennoch – hoffentlich beging Barbara keine Dummheit.

Kapitel 3

Marlen stieg Jens voran die Treppen in die dritte Etage hinauf bis zu ihrer Wohnung. Dabei bemühte sie sich, mit jedem Schritt die Vorzüge ihres kleinen, aber festen Hinterteils und ihre langen, unbestrumpften Beine ins rechte Licht zu rücken. Als Königin des One-Night-Stands wußte sie, auf welcher Stufe der Erotik sie ihre Lover abholen mußte. Ein bißchen Hüftgewackel hatte da noch nie seine Wirkung verfehlt.

Auch diesmal verbuchte sie vollen Erfolg. Bei ihrem Anblick verfehlte Jens glatt eine Stufe. Er stolperte und wäre sicherlich gefallen, wenn er nicht noch im letzten Augenblick Halt an ihrem rechten Bein gefunden hätte. Was Marlen allerdings nun wiederum beträchtlich ins Wanken brachte. Hastig klammerte sie sich am Treppengeländer fest.

»Alles in Ordnung?« stieß sie hervor.

»Absolut bestens!« versicherte er ihr.

Marlen blickte auf ihn hinunter und fühlte seinen festen Griff um ihre Wade. Als er ihn lockerte, schien es ihr, als strichen seine Finger über ihre gebräunte Haut. Augenblicklich stellte sich das vertraute Ziehen in ihrem Bauch ein.

»Erst mal sehen, ob die Luft rein ist«, lächelte sie ihr verführerischstes Lächeln. Sie hatte es wochenlang vor dem Spiegel geprobt, bevor sie es das erste Mal einsetzte. Hella, die sie prompt dabei erwischt hatte, nannte es spöttisch Marlens Auf-die-Bäume-ihr-Affen-der-Wald-wird-gefegt-Lächeln. Woraus natürlich der pure Neid sprach, Hella selbst stand nicht gerade im Ruf einer großen Aufreißerin.

Die Wohnung lag still und dunkel. Marlen schaltete die Deckenbeleuchtung an und dimmte sie auf ein angenehm geheimnisvolles Halbdunkel. Atmosphäre pur.

Sie unterdrückte den Impuls, sich ihre Hochhacker einfach von den Füßen zu kicken und barfuß hinüber in die Küche zu laufen. Stöckelschuhe gehörten für sie zum Liebesspiel wie die Schlange zum Paradies. Statt dessen schlüpfte sie aus ihrer Transparenzbluse und ließ das federleichte Material malerisch über den nächstgelegenen Stuhl flattern. Einzig wegen der Signalwirkung, denn darunter trug sie als eigentliches Hauptkleidungsstück eine weiße Corsage. Immer noch ausreichend verhüllend für den Fall, daß Jens wider Erwarten nicht in Stimmung kam.

»Ich mag es stark, du auch?« fragte sie, während sie das Espressopulver in die Maschine löffelte.

»Gibt es eine andere Art?«

Sie deutete seine Worte auf die einzig richtige Weise. Zur Belohnung schenkte sie ihm ein Es-lohnt-sich-du-wirst-schon-sehen-Lächeln. Doch als er spontan einen Schritt auf sie zutrat, wandte sie sich ab, um geschäftig mit der Espressomaschine zu hantieren. Sie konnte seine Blicke auf ihrer Haut spüren und genoß sie. Die nächsten fünf Sekunden würden darüber entscheiden, wie der Abend weiterlief. Würde er sie jetzt atemlos von hinten umschlingen und ihr feuchte Küsse in den Nacken drücken? Dies würde rasch zum Ziel führen, doch eigentlich stand ihr heute Abend der Sinn nach mehr.

»Ziemlich schwül hier, findest du nicht auch?«

Spielerisch griff sie nach seiner Krawatte in edelgrau, exakt dem Farbton, nach dem sie sich heute nachmittag die Füße wund gelaufen hatte. Ein Omen. Die Schlaufe mit dem lässig gebundenen Knoten lag locker um seinen Hals. Langsam zog sie die Schlinge ein wenig enger zusammen, so eng, daß sie sich ihm auf Atemlänge näherte. Seine Augenbrauen zuckten überrascht in die Höhe. In seinen Augen blitzte Irritation auf.

»Ich scheine an eine Frau mit Killerinstinkt geraten zu sein«, gab er sich überlegen, doch seine Arme zuckten, als wollte er seine Hände aus den Hosentaschen reißen, in die er sie kurz zuvor lässig vergraben hatte.

»In meinen Armen ist noch niemand gestorben, höchstens im übertragenen Sinne.« Sie mochte es, wie er abwartend vor ihr stand, irritiert und erwartungsvoll zugleich. Entschlossen öffnete sie den obersten Knopf seines Hemdes. Dann den zweiten, den dritten … Gebräuntes, festes Fleisch kam zum Vorschein, haarlos, aber dafür durchtrainiert. So wie sie es liebte. Sie zog das Hemd vorne auseinander und hauchte warmen Atem über seine Brust. Augenblicklich spürte sie seine Reaktion gegen ihren Schoß klopfen. Nur weiter so.

Sie streifte ihm das Hemd von den Schultern. Fasziniert studierte sie seinen perfekten Body. Der Mann war einfach makellos. Fast zu schön, um wahr zu sein. Gerade durchtrainiert genug, um sämtliche ihrer Lustinstinkte in Alarmbereitschaft zu versetzen. Sie wollte mehr von ihm sehen.

Gehorsam zog er die Hände aus den Hosentaschen und ließ dabei sein Hemd achtlos zu Boden fallen. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, hakte sie den Verschluß seiner Hose auf. Erwartungsvoll zog sie den Reißverschluß hinunter, der ein wenig hakte. Er trug blütenweiße Boxershorts. Appetitlich der Mann, auch in diesem Detail. Zum Reinbeißen eben.

Tief atmete sie seinen Duft ein, ein orientalisches Duftwasser, das sie auf eine Idee brachte. Sie ließ ihren Blick durch die Küche schweifen, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Barbaras Kassettenrekorder. Barbaras neueste sportliche Leidenschaft gehörte dem Bauchtanz. Aus Platzgründen übte sie ihn immer in der geräumigen Diele, während sie den Rekorder mit der passenden Musik wegen der Steckdosen in der Küche deponierte. Kurz entschlossen drückte sie die ON-Taste. Augenblicklich erfüllten orientalische Bauchtanzklänge den Raum. Marlen kletterte auf einen Küchenstuhl und von dort aus auf den Tisch. Viel Ahnung vom Bauchtanz besaß sie zwar nicht, doch soviel wußte sie: Immer schön das Becken rollen. Was sie hingebungsvoll tat. Sie warf den Kopf zurück und schüttelte ihre braune Haarmähne. Amüsiert beobachtete sie, wie Jens jede ihrer Bewegungen wie hypnotisiert verfolgte. Nur mit Boxershorts und Krawatte bekleidet hatte er Mühe, seine Hände sinnvoll unterzubringen. Dem konnte abgeholfen werden. Während sie sich im Rhythmus der Musik aufreizend sinnlich wiegte, löste sie die Haken ihrer Corsage. Seine Blicke klebten an ihren Brüsten, als sie hervorsprangen. Unwillkürlich machte er einen Schritt auf sie zu, doch sie wehrte ihn lässig ab, indem sie ihm mit dem Fuß gegen die Brust tippte.

»Fang!« befahl sie. Grinsend fing er die Corsage auf. Er versenkte seine Nase hinein und nahm ihren Duft in sich auf.

»Jetzt den Rock!« bat er.