Liebeszauber à la Carte - Marte Cormann - E-Book
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Liebeszauber à la Carte E-Book

Marte Cormann

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Beschreibung

Eine Prise Romantik, ein Schuss Humor und viel Herz: Der entzückende Glücksroman »Liebeszauber à la Carte« von Marte Cormann als eBook bei dotbooks. Die junge Köchin Bea sieht ihren Traum zum Greifen nah: Sie will nach Lyon zum internationalen Wettbewerb »Bocuse d’Or« reisen. Doch ein Schicksalsschlag sorgt dafür, dass Bea ihren Platz in der Küche eines Gourmetrestaurants verliert – und auf einmal muss sie die alte und wenig glamouröse Gaststätte ihrer Eltern übernehmen. Aber den Traum von der Goldmedaille in Lyon aufgeben? Das kommt für Bea nicht in Frage und sie bereitet sich weiter mit Herzblut auf den »Bocuse« vor … bis ein attraktiver Restaurantkritiker erst ihre Küche und dann ihr Gefühle durcheinanderbringt! Aber kann sie ihm wirklich vertrauen – oder will er nur ihre Rezepte ausspionieren? Denn in Herzensangelegenheiten hat sich Bea schon zu oft die Finger verbrannt … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Liebesroman »Liebeszauber à la Carte« von Marte Cormann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 325

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Über dieses Buch:

Die junge Köchin Bea sieht ihren Traum zum Greifen nah: Sie will nach Lyon zum internationalen Wettbewerb »Bocuse d’Or« reisen. Doch ein Schicksalsschlag sorgt dafür, dass Bea ihren Platz in der Küche eines Gourmetrestaurants verliert – und auf einmal muss sie die alte und wenig glamouröse Gaststätte ihrer Eltern übernehmen. Aber den Traum von der Goldmedaille in Lyon aufgeben? Das kommt für Bea nicht in Frage und sie bereitet sich weiter mit Herzblut auf den »Bocuse« vor … bis ein attraktiver Restaurantkritiker erst ihre Küche und dann ihr Gefühle durcheinanderbringt! Aber kann sie ihm wirklich vertrauen – oder will er nur ihre Rezepte ausspionieren? Denn in Herzensangelegenheiten hat sich Bea schon zu oft die Finger verbrannt …

Über die Autorin:

Marte Cormann, geboren 1956 in Düsseldorf, begann neben ihrer Karriere als Verwaltungswirtin schon 1993 mit dem Schreiben von Romanen und Drehbüchern. Ihr erster Roman, »Ein Buchclub zum Verlieben«, wurde erfolgreich für das ZDF verfilmt.

Marte Cormann veröffentlichte bei dotbooks bereits die folgenden Romane:»Cappuccinoküsse«»Sommerglück und Liebeszauber«»Glückswolkenträume«»Ein Buchclub zum Verlieben«»Sommerregenzauber«

Daneben veröffentlichte sie einen Sammelband mit schwarzhumorigen Kurz-Krimis:»Bis der Tod euch scheidet«

Unter dem Pseudonym Liza Kent veröffentlichte sie auch den Roman »Die Liebe der Zeitenwanderin«.

***

Überarbeitete eBook-Neuausgabe Juni 2020

Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel »Nebenbei die Liebe« im Heyne Verlag

Copyright © der Originalausgabe 2005 bei Heyne Verlag, München

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung zweier Bildmotive von © shutterstock / VICUSCHKA und © pixabay / Jill Wellington

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96148-881-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Liebeszauber à la Carte« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

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Marte Cormann

Liebeszauber à la Carte

Roman

dotbooks.

Für meinen Vater Alfred Gedatus

Prolog

»Wisst ihr, was heute für ein Tag ist, Jungs?«

Wilhelm Gessler, genannt Willi, platzte beinahe vor Stolz auf seine Tochter Bea, seinem einzigen Kind. Er selbst war Koch und Gastwirt mit Leib und Seele. Im Augenblick stand er hinter dem Tresen seiner Kneipe Bei Willi und tunkte die gebrauchten Biergläser ins Spülwasser. Dann stülpte er sie über die aufrecht stehenden Spülbürsten, drehte sie mit routinierten Handbewegungen zum Säubern darüber und zog sie mit einem leichten Flopp wieder aus dem Wasser. Er reichte sie an seine Frau Silja weiter, die sie nahm und abtrocknete.

Silja Gessler war eine hübsche Frau von vierundfünfzig Jahren, die sich ernsthaft bemühte mitzuarbeiten. Aber ihr Interesse richtete sich mehr auf Dinge, die sich weit ab von der Realität anderer Menschen bewegten. Edwin Bauer, genannt Ed, der direkt neben ihr auf einem Barhocker mehr hing als saß, nahm jedes Glas, das sie ihm reichte, aus ihrer Hand und trocknete es selbst noch einmal gründlich ab. Erst danach waren die Gläser wirklich trocken.

»Heute entscheidet sich, wer für Deutschland zur nächsten Kocholympiade fahrt«, sagte Willi.

»Kocholympiade? Ich kenn nur die Sportolympiade.« Bauer Johann Davids nahm das vor Kälte beschlagene Glas, das vor ihm stand, und kippte den Schnaps mit einem Zug hinunter.

»Die besten Jungköche der Welt treffen sich alle zwei Jahre in Frankreich, um ihren Champion zu ermitteln. Erst einmal hat eine Frau den Wettbewerb gewonnen.«

»Sag bloß, deine Bea macht da mit?«

Willi Gessler strahlte über das ganze Gesicht. »Heute kämpft sie um die deutsche Meisterschaft. Wenn sie gewinnt, vertritt sie unsere Nationalfarben in Lyon.«

Eine Minute lang herrschte beeindrucktes Schweigen. Dann zündete sich Johann eine seiner geliebten Zigarren an und bestellte mit einem Finger ein zweites Glas Schnaps. »Also ich weiß nicht«, sagte er.

»Was weißt du nicht?« Willi, der die Flasche bereits in der Hand hielt, wartete.

»Kochen ist doch mehr ein Männerberuf. Für Frauen ist dat doch viel zu hart.« Johann schaute die Flasche an. Doch Willi machte keine Anstalten, ihm einzuschenken.

»So ein Quatsch. Meine Bea packt das schon. Die hat schon in den besten Küchen der Welt gekocht und sich überall durchgesetzt.« Silja, seine Frau, hatte nun endgültig die Lust am Gläserabtrocknen verloren. Sie rutschte von ihrem Sitz und nahm Ed an die Hand.

»Hilfst du mir Kräuter sammeln?«, fragte sie ihn.

»Ich kann noch nicht weg.« Ed, Bedienung und Mädchen für alles im Bei Willi, ließ seinen Blick über das voll besetzte Lokal schweifen. An fast allen Tischen wurde noch gegessen und getrunken, gelacht und geraucht. Noch war nicht abzusehen, wann der letzte Gast gehen würde.

»Ich brauche deinen Ed noch hier im Lokal, Silja. Geh allein. Du findest die Kräuter, die du suchst, auch ohne ihn.« Willi störten die vielen Zuschauer nicht. Mit dem freien Arm – die andere Hand hielt immer noch die Schnapsflasche – umarmte er seine Frau und küsste sie auf den Mund. Derart liebevoll und intensiv, dass sich dabei ihr rechtes Bein wie von selbst angewinkelt nach hinten in die Höhe hob.

»Kokett wie ein junges Mädchen.« Der alte Johann grinste Ed breit an. Mit dem Kopf zeigte er auf die Schnapsflasche. Doch Ed schüttelte ebenfalls grinsend den Kopf. Da war nichts zu machen. Ein weiteres Glas würde es erst geben, wenn Willi es so entschied.

»In Norwegen nannte man mich auch die Kräuterhexe«, sagte Silja, atemlos nach Luft schnappend. »Niemand kannte sich so gut aus wie ich.«

»Mittlerweile bist du sogar noch besser geworden«, bestätigte ihr Mann bereitwillig mit einem liebevollen Lächeln. »Du riechst die Kräuter schon, bevor sie aus der Erde kommen.« Ohne hinzusehen, füllte er endlich Johanns Glas. Erleichtert leerte der alte Mann es in einem Zug.

»Weißt du was?«, sagte Willi zu seiner Frau. »Ich rufe unsere Bea schnell noch an und sage ihr, dass wir alle an sie denken. Stell dir mal vor, Silja – unsere Tochter gewinnt den Bocuse d'Or, die Olympiade der Köche. Ich sage dir, in dreißig Jahren gab es noch nie einen Ruhetag in diesem Lokal. Aber wenn unsere Bea in Lyon an den Start geht, dann machen wir hier dicht und fahren nach Frankreich.«

»Und wann fahren wir nach Norwegen?« Silja strich sich aufgeregt die Haare aus dem Gesicht.

»Bald, mein Schatz, das habe ich dir doch versprochen.« Willi hatte den Telefonhörer bereits in der Hand. Seine Finger zitterten, als er die Nummer von Beas Handy wählte.

»Mein Gott, bin ich aufgeregt. Mein Herz hüpft richtig. Als ob ich selbst dort vorkochen müsste.« Angespannt lauschte er in den Hörer hinein.

Kapitel 1

Beatrix Gessler, kurz Bea genannt, spürte, wie das Handy in ihrer Hosentasche vibrierte, doch es war der falsche Zeitpunkt, um das Gespräch entgegenzunehmen. Sollte der Anrufer doch auf die Mailbox sprechen. Später würde sie zurückrufen.

»Eine hauchdünne Scheibe Butter, mehr nicht, habe ich gesagt! Ich will hier gewinnen, Mann!« Die Worte kamen leise und scharf.

Bea richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Soßenfond, der im Topf vor ihr auf dem Herd die ersten Bläschen warf.

Jean-Pierre Meyer, ihr Commis, mit seinen vierundzwanzig Jahren vier Jahre jünger als Bea, reichte ihr wortlos das vorher exakt ausgewogene Stück Fett. Es kam auf jedes Gramm an. Ein Tick zu viel und die Soße würde eine andere Konsistenz annehmen, nicht mehr so leicht schmecken, wie Bea es mit ihm in unzähligen Trainingseinheiten ausgetüftelt hatte.

Mit schnellen, routinierten Bewegungen aus dem Handgelenk heraus verrührte Bea die Butter in der Soße.

»Salbei.« Sie trat einen Schritt zurück, um Jean-Pierre am Herd Platz zu machen, damit auch wirklich jedes noch so fein gehackte Teil vom Küchenbrett in den Topf hineingelangte. Winzige Schweißperlen glitzerten in ihrem Haaransatz, und innerlich schimpfte sie über sich selbst, weil sie vergessen hatte, unter ihrer Kochmütze das Schweißband anzulegen. In ihren schlimmsten Albträumen malte sie sich häufig aus, wie ein winziger Tropfen Schweiß in den Topf fiel und den Geschmack der Soße verdarb, die sie in Wochen und Monaten gemeinsam mit ihrem Commis entwickelt hatte. Ausgerechnet bei einem Wettbewerb wie der deutschen Meisterschaft käme ein solcher Vorfall der Katastrophe gleich. Dieser Wettkampf war nicht irgendein Kochwettbewerb. Es ging auch um den Einzug ins internationale Finale des wohl berühmtesten Wettbewerbs der Welt, dem Bocuse d'Or. Benannt nach seinem Erfinder und Initiator Paul Bocuse, dem französischen Meisterkoch.

Seit ihrer Ausbildung zur Köchin träumte Bea davon, diesen Wettbewerb für Deutschland zu gewinnen. Eine verwegene Hoffnung, wie sie selbst zugab. Nach wie vor handelte es sich bei der Spitzengastronomie um eine Männerdomäne. Unter den weltweit besten Köchen befand sich mit Johanna Maier aus Österreich nur eine einzige Frau. Und erst ein Mal in der Geschichte des Bocuse d'Or war es einer Frau gelungen, den Kocholymp zu erklimmen. Lea Linster aus Luxemburg hatte geschafft, wovon Bea noch träumte. Seitdem waren fast fünfzehn Jahre vergangen. Die junge Köchin fand, dass die Zeit nun reif war, um selbst das Siegertreppchen zu besteigen.

Doch bevor es so weit war, galt es, starke Nerven zu bewahren. Bis in die deutsche Endausscheidung hatte sie es bereits geschafft.

Doch mit ihr kämpften vier weitere Jungköche aus den besten Restaurants Deutschlands um die große Ehre, ihr Heimatland beim Endkampf in Lyon vertreten zu dürfen.

Bea bezweifelte stark, dass es ihren männlichen Kollegen ausschließlich um die Ehre ging. Genau wie ihr selbst war auch den anderen klar, dass eine gute Platzierung in Lyon den internationalen Durchbruch in der Spitzengastronomie bedeutete. Wie in kaum einem anderen Beruf wurden die besten Jobs und Positionen der Branche nahezu ausschließlich durch Flüsterpropaganda vergeben. Wer von Witzigmann oder den anderen alten Könnern der Küche empfohlen wurde, besaß beinahe einen Freibrief für jede Spitzenposition.

Aber mitten im Wettkampf blieb für Überlegungen dieser Art keine Zeit. Vielmehr war nun hundertprozentige Leistung gefordert, besser noch zweihundertprozentige.

Ihr Gefühl sagte ihr, dass ihr exakt noch vier Minuten zur Verfügung standen, um die Speisen auf die Teller zu füllen. Ein pfeilartiger Blick zur Uhr bestätigte es ihr. Zehn Tellergerichte, zwei Platten, so wie es das Reglement vorsah. Appetitlich angerichtet. Fertig zur Präsentation.

Neun … acht … sieben … sechs … fünf … vier … drei … zwei … eins.

»Mesdames et Messieurs, die Zeit ist abgelaufen. Bitte machen Sie sich fertig zur Präsentation.« Alexander Witthaus, der Vorsitzende der Jury, gab das Zeichen zum Abschluss.

Bea brauchte nicht in die übrigen Kochkojen hinüberzusehen, um zu wissen, dass auch ihre Mitbewerber in exakt derselben Sekunde fertig geworden waren. Bei allen handelte es sich um Profiköche, und allen war dank des intensiven Trainings der Zeitplan des Wettkampfs längst in Fleisch und Blut übergegangen. Sie wischte sich die Finger sorgfältig an ihrer Schürze ab. Hilfreiche Geister trugen die Tellergerichte hinüber zu den Tischen, an denen die einzelnen Jurymitglieder saßen. Die Präsentation der Platten übernahm Bea gemeinsam mit Jean-Pierre selbst. Dabei versuchte sie, in der Miene von Alexander Witthaus zu forschen. Doch es gelang ihr nicht. Sein Gesichtsausdruck hätte jedem Pokerspieler zur Ehre gereicht.

»So, jetzt heißt es abwarten«, sagte Bea. Während die Jurymitglieder die Speisen verköstigten und sich ihre Eindrücke notierten, konnten sich die Jungköche entspannen. Zumindest theoretisch. In der Realität reichte das Adrenalin, das jeder von ihnen angestaut hatte, für die nächsten achtundvierzig Stunden. Nun begann das große Warten.

Warten. Warten. Warten.

Mit Nerven, die zum Zerreißen gespannt waren. Blitzschnell zog Bea ihrem Commis angewidert die Zigarette aus dem Mund, die er sich erst einen Moment zuvor angezündet hatte.

»Willst du dir deinen Geschmackssinn völlig verderben?«, fragte sie.

»He, bist du verrückt? Das war meine Letzte!« Jean-Pierre ging auf die Knie, um den kostbaren Glimmstängel vor den Fußtritten der anderen zu retten. Bea hatte sie achtlos zur Seite geworfen.

Dorthin, wo bereits andere Kippen lagen. Alle waren vor Nervosität nur angeraucht und dann wieder weggeworfen worden. Bea strich sich mit dem Handrücken den zarten Schweiß von der Stirn. Zu ihrem Schrecken zitterte ihre Hand dabei. Sofort senkte sie den Arm.

»Es tut mir leid, Jean-Pierre. Das wollte ich nicht. Ich habe wohl überreagiert. Kommt nicht wieder vor«, entschuldigte sie sich.

Jean-Pierre, der seine Zigarette wieder gefunden hatte und nun nach Streichhölzern suchte, winkte ab. »Schon okay. Glaubst du, mir geht es besser? Wenn ich nicht endlich Nikotin in meine Lunge bekomme, drehe ich noch durch.«

Bea verkniff sich jeden weiteren Kommentar. Sie hasste das Rauchen und alles, was damit zusammenhing. Aber jede weitere Diskussion darüber würde zu diesem Zeitpunkt in einem heftigen Streit enden.

»Bin gleich wieder da.«

Sie schlug den Weg zur Damentoilette ein, dem einzigen Rückzugsort, der ihr bei diesem Männerwettbewerb blieb. Hier konnte sie sich wenigstens für ein paar Minuten nur auf sich selbst konzentrieren. Während sie es sich auf dem heruntergeklappten Toilettensitz bequem machte, fragte sie sich zum wiederholten Male, warum sie sich diesem mörderischen Wettbewerbsstress aussetzte. Reichte es nicht, einfach nur eine gute Köchin zu sein? Musste es auch noch die Spitzengastronomie mit ihren extrem hohen Ansprüchen und den mitunter etwas dünkelhaften Kunden sein?

Weil Kochen mein Leben ist, gab sie sich selbst die Antwort. Ich möchte nicht gut, sondern besser sein. Ich möchte zeigen, was ich kann und das Letzte aus mir herausholen.

Für Sekunden fielen ihr die Augen zu. In den vorangegangenen Nächten war sie mit Jean-Pierre wieder und wieder die Wettkampfgerichte durchgegangen. Jeder Handgriff musste bis zur Perfektion sitzen, wenn sie hier gewinnen wollten.

Und sie brannte vor Ehrgeiz. Ein Beruf ohne Engagement und ohne Spaß ist wie ein vergeudetes Leben, hatte mal jemand zu ihr gesagt. Das Kochen war für sie Leidenschaft und Leben in einem.

Ich bin ein Kochoholic, dachte sie und war stolz darauf.

Doch überreizt und nur auf das einzige Ziel konzentriert, fühlte sich Bea nicht im Stande, über mögliche Konsequenzen, die sich für sie aus dieser Erkenntnis ergaben, nachzudenken. Leise aufstöhnend über den Wirrwarr in ihrem Kopf, drückte Bea die Wasserspülung.

Im Spiegel starrte ihr unter der weißen Kochmütze ein vor Anspannung blasses Gesicht entgegen. Nur die dunklen Haare, die straff nach hinten gebunden waren, verliehen ihr etwas Farbe.

Ebenso wie die großen haselnussbraunen Augen, die ihr Gesicht prägten. Mit dem Finger rubbelte sie über ihre Lippen, damit sie rosiger wirkten.

Ihr Chef, Hermann Brombeck, Spitzengastronom aus Baden- Baden, hatte ihr geraten, den Vorteil ihrer Weiblichkeit vor der Jury auszunutzen. Zwischen den vier Männern würde eine attraktive Frau einen netten Blickfang darstellen, wie er sich ausdrückte.

Und in diesem Wettbewerb wäre es sicherlich besonders wichtig aufzufallen. Bea hatte den Rat brummelnd zur Kenntnis genommen. Leider hatte sie bereits früher die unangenehme Erfahrung machen müssen, dass sich Gesichts-Make-up unter dem Einfluss der Küchendämpfe wie eine Ölschicht auf ihr Gesicht legte und irgendwann zerrann. Also verzichtete sie darauf. Da Wimperntusche verschmierte, selbst die wasserfeste, hatte sie sich vor der Meisterschaft lediglich die Wimpern färben lassen und einen hellroten Fettstift auf die Lippen aufgetragen. Mittlerweile allerdings hatte sich selbst dieses Mini-Make-up aufgelöst. Bea streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Als ob es auf ein bisschen Schminke wirklich ankam. Schließlich trat sie hier nicht als Modepüppchen, sondern als Köchin an. Sie wollte mit der Qualität ihrer Arbeit überzeugen. So, wie jeder ihrer männlichen Mitbewerber auch.

Erschrocken warf sie einen Blick zur Uhr. Ganz in ihre Gedanken versunken, hätte sie beinahe die Zeit vergessen. In wenigen Minuten würde die Jury ihre Entscheidung verkünden. Hastig wusch sich Bea die Hände und strich sie an ihrer Schürze trocken. Dann eilte sie hinaus, zurück in den Vorhof der Hölle, in dem in wenigen Minuten über ihr Leben entschieden wurde.

Im großen Saal brodelte aufgeregtes Stimmengewirr. Die Luft schien vor Spannung zu vibrieren, als Alexander Witthaus sich laut Gehör verschaffte.

»Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu der Entscheidung, auf die wir alle schon so gespannt warten. Wie Sie wissen, ermitteln wir mit diesem Wettbewerb nicht nur den oder die Gewinnerin der deutschen Kochmeisterschaft. Der Titel Deutscher Meister wird den oder die Gewinnerin dazu berechtigen, Deutschland bei dem internationalen Wettkampf Bocuse d'Or zu vertreten. Noch nie ist es einem deutschen Teilnehmer des Wettbewerbs gelungen, einen der vorderen Plätze zu belegen.« Er blickte streng über den Rand seiner Brille.

Prompt fühlten sich die ehemaligen Teilnehmer des Wettbewerbs, von denen die meisten ebenfalls anwesend waren, schuldig. Je nach Charakter sahen sie entweder betreten zu Boden oder verschanzten ihre Gefühle hinter einer betont gleichmütigen Miene.

»Im nächsten Jahr soll alles anders werden. Die fünf Teilnehmer des heutigen Wettbewerbs sind in einem aufwändigen Auswahlverfahren unter den zwölf besten Jungköchen Deutschlands ermittelt worden. Es wird nur einen Sieger geben –« Bea hüstelte laut und hörbar. Witthaus sah erstaunt zu ihr herüber, verstand aber sofort.

»… oder eine Siegerin«, korrigierte er sich selbst mit einem Schmunzeln. Suchend ließ er seinen Blick durch den Saal schweifen. »Bei insgesamt fünf Wettbewerbsterminen sind unsere fünf Kandidaten gegeneinander angetreten. Jedes Jurymitglied hat jede Speise, die gefertigt worden ist, verköstigt und benotet.

Einzelergebnisse und die Gesamtergebnisse des jeweiligen Tages wurden unter notarieller Aufsicht vertraulich ermittelt und beim zuständigen Notar hinterlegt.«

Erleichtert atmete Witthaus auf, als er den Notar aufs Stichwort genau heraneilen sah. »Willkommen, Herr Notar Dr. Kürschner. Steht der Sieger der diesjährigen deutschen Meisterschaft nun fest?« Witthaus bemühte sich um eine launige Note und reagierte gereizt, als abermals Beas lautes Hüsteln unüberhörbar für alle durch den Saal tönte.

Trotzdem verbesserte er sich. »Oder ist es dieses Mal vielleicht sogar eine Siegerin?«

Bea fühlte, wie sich die surrenden Kameras auf sie richteten. Wie immer nahm die Presse regen Anteil an dem kulinarischen Großereignis. Sie errötete bis unter die Haarwurzeln. An die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit musste sie sich erst noch gewöhnen.

Dr. Kürschner verzog keine Miene, als er Witthaus den goldfarbenen Umschlag überreichte. »Das Ergebnis fiel knapp, aber letztlich eindeutig aus.«

Was für eine Floskel, schoss es Bea verärgert durch den Kopf. Wollte er damit den Wettbewerbsteilnehmern Trost spenden oder sich selbst gegen Anfeindungen und Kritik absichern? Ein zweiter Platz blieb ein zweiter Platz, den man sich nicht schönreden konnte.

Angespannt lauschte sie, dass Alexander Witthaus endlich das Ergebnis verkündete. Sie spürte, wie ihr ein kleines Rinnsal Schweiß zwischen den Brüsten den Bauch hinunterlief.

Mach endlich! Sag mir, dass ich verloren habe!

»Sieger der diesjährigen deutschen Meisterschaft –« Er machte eine kleine Pause, als wartete er darauf, dass Bea ihn hüstelnd korrigierte. Doch diesmal war Bea dazu nicht in der Lage. Sie faltete ihre Hände hinter dem Rücken und hoffte, dass man ihr die Nervosität nicht allzu deutlich anmerkte.

Witthaus grinste breit. »Ich korrigiere mich: Die Siegerin der diesjährigen deutschen Meisterschaft und der Vorausscheidung zum Bocuse d'Or ist – Beatrix Gessler vom Restaurant Chez Pierre in Baden-Baden! Ich gratuliere.«

Bea stand wie betäubt. Während um sie herum das Chaos ausbrach, legte sich ein Schleier vor ihre Augen. In ihren Ohren rauschte es. Nur gedämpft drangen die Gratulationen der anderen an ihr Ohr.

Es ist passiert. Ich glaub es nicht. Wow. Ich. Wirklich? Wow? Bea erschien es wie eine Ewigkeit, bis sie wieder halbwegs klar denken konnte. Sie hatte um diesen Sieg gekämpft, ihre persönlichen Bedürfnisse zurückgestellt, nur noch für ihre Arbeit gelebt, Privatleben kannte sie nicht mehr.

Und nun das!!!

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr sie befürchtet hatte, allenfalls als Alibifrau in die Endausscheidung gewählt worden zu sein. Als sie gebeten wurde, nach vorne zu Witthaus ans Mikrofon zu treten, um dort die Auszeichnung in Empfang zu nehmen, fanden ihre Füße für sie allein den Weg. Ihr Kopf arbeitete noch daran, den freudigen Schock zu verkraften.

»Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen. Ich bin sicher, dass Sie Deutschland im Wettbewerb würdig vertreten werden.« Witthaus schüttelte ihr strahlend die Hand. Bea wusste, dass er und ihr Vater vor langer Zeit einmal Seite an Seite im selben Restaurant gearbeitet hatten und seitdem immer noch Freunde waren. Doch niemals hätte er Einfluss auf die Entscheidung der Jury nehmen können. Mit Sicherheit hätte er es auch nicht gewollt. Witthaus galt als durch und durch integer.

»Danke.« Bea nahm die Trophäe wie ein rohes Ei in die Hände. Sie winkte Jean-Pierre heran, damit er mit ihr den Erfolg teilen konnte.

»Diesen Preis habe ich nicht allein errungen. Ohne meinen Commis, Jean-Pierre, ebenfalls angestellt im Restaurant Chez Pierre in Baden-Baden, wäre dieser Erfolg nie möglich gewesen.«

Sie reichte den Pokal an Jean-Pierre weiter, der genau wie sie mit seinem Grinsen jedem Honigkuchenpferd Ehre bereitete. So mussten sich amerikanische Schauspieler bei der Verleihung des Grammy fühlen, die Oskar-Verleihung fest im Blick.

So fühlten sich Sieger.

Und noch einer zeigte sich hocherfreut. »Gut gemacht, ihr zwei. Ich werde das Restaurant erweitern müssen.« Beas Chef schwelgte bereits in visionären Umsatzzahlen. Die Gäste würden bald in Scharen in sein Restaurant strömen, um von der neuen Deutschen Meisterin bekocht zu werden.

Bea selbst genoss ihr Glück. Sie nahm das Glas Champagner, das man ihr reichte, nippte aber nur vorsichtig daran.

Den Moment des Triumphs wollte sie nüchtern genießen.

»Wer ist diese Frau?«

Ein paar Meter von ihr entfernt konnte Patrick Wismer seine Neugier nicht länger zurückhalten.

Seine Frage galt seinem Onkel Alfons Messmer, Spitzenkoch aus Saarbrücken. Wie Witthaus zählte Messmer zu den Jurymitgliedern. Doch im Gegensatz zu ihm zeigte er sich alles andere als erfreut über den Sieg von Bea.

»Schade um den schönen Spitzenplatz. Als Frau hat sie in Lyon keine Chance.«

»Es dürfte ihr schwer fallen, sich in Lyon als Mann zu verkleiden.« Patrick kniff die Augen zusammen, als er Bea aus der Entfernung musterte. »Dafür ist sie viel zu niedlich.«

Sein Kennerblick zeigte ihm dunkle Haare zu einer hellen Haut und kugelrunde Knopfaugen. Als Maus wäre Bea Gessler der Star eines jeden Disneyfilms gewesen. Zumal sie offensichtlich über das Kämpferherz einer Löwin verfügte. Anders hätte sie angesichts der wirklich hervorragenden männlichen Konkurrenz niemals gewonnen. Zu Beginn des Wettkampfs hatte man ihr allenfalls eine Außenseiterposition zugestanden.

»Welche Punktzahl hast du ihr gegeben?«, fragte Patrick.

»Du weißt, dass ich dir das nicht sagen darf«, antwortete sein Onkel. Die genaue Punktzahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurde in jedem Wettkampf geheim ermittelt. Selbst untereinander tauschten die Jury-Mitglieder ihre Bewertung nicht aus. So sollten Absprachen verhindert werden.

»Entschuldige.«

Es entstand eine kleine Pause, in der sie beide den Trubel um Bea stumm beobachteten.

»Die Soße zum Fisch war ein Gedicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals Vergleichbares gekostet habe.« Als Messmer den erstaunten Blick seines Neffen auffing, fügte er fast widerwillig hinzu: »Als Koch kannst du von ihr durchaus noch lernen.« Patrick grinste breit. Im Augenblick würde sie ihn nur in ihrer Eigenschaft als Frau interessieren.

Der Wirbel, der um die erste weibliche deutsche Meisterin veranstaltet wurde, war unbeschreiblich. Fotokameras klickten, Reporter drängelten, um an ihre Interviews zu kommen. Bea musste ihre Mundwinkel zu einem strahlenden Dauerlächeln verziehen, fühlte sich aber bald so erschöpft, dass man ihr die Anstrengung ansah. Sie war froh, als der Rummel sich ein wenig legte und ihr Zeit für ein Glas Champagner mit ihrem Commis blieb.

»Danke«, sagte sie schlicht. Erschöpft hockten sie nebeneinander. Nun, da die Anspannung langsam nachließ, waren sie kaum noch in der Lage, ein Wort miteinander zu wechseln. »Auf uns kommt eine Menge Arbeit zu«, fügte Bea schließlich noch an.

»Noch mehr Arbeit?« Jean-Pierre warf ihr einen amüsierten Blick zu. Die Ringe unter seinen Augen erzählten von den vielen nächtlichen Übungsstunden, die sie vor dem heutigen Tag gemeinsam eingelegt hatten.

»Meine Verlobte wollte mir schon den Ring zurückgeben, weil sie dachte, ich hätte ein Verhältnis mit dir. Kein normaler Mann schlägt sich die Nächte um die Ohren, bloß, um endlich die perfekte Soße zu entdecken.«

»Perfekt ist die Soße leider immer noch nicht. Irgendwas fehlt noch

–«

»Komm, lass gut sein. Darüber können wir in den nächsten Tagen nachdenken. Jetzt ruf ich erst mal zu Hause an. Meine Isi kann schon mal das Bett vorwärmen.« Er zog sein Handy aus der Tasche. »Und wer wartet heute Nacht auf dich? Mister Lollipop?« Bea verstand sofort, dass er mit seiner Bemerkung nicht an Süßigkeiten dachte. Sie runzelte die Stirn. Plumpe Anzüglichkeiten mochte sie nicht, aber im täglichen Küchenstress gehörten sie leider zum Alltag.

»Kümmere du dich um deine Isi. Ich kümmere mich um mich selbst.«

»Sag ich doch.«

Bea verdrehte genervt die Augen, als er mit anzüglichem Grinsen zu seinem Handy griff. Mit geübten Fingern wählte er die Telefonnummer seiner Liebsten. Bea erinnerte sich daran, dass ihr Handy während des Wettbewerbs einen Anruf signalisiert hatte.

Ihre Hand fuhr unter ihre weite Kochschürze zu ihrer Hosentasche. Auf dem Display des Apparates waren ein unbeantworteter Anruf und eine Nachricht auf der Mailbox vermerkt. Sie drückte die entsprechende Taste und wartete, bis die Computerstimme ihren Namen nannte.

»Beatrix Gessler. Sie haben eine Nachricht erhalten.«

»Nun mach schon.« Wie immer dauerte es Bea viel zu lange, bis die Mailbox den Anruf ausspuckte. In ihrer Nähe rutschte einer Bedienung ein Tablett mit Gläsern aus den Händen. Bea entfernte sich rasch ein paar Schritte, um kein Wort der Mitteilung zu verpassen.

Es war die Stimme ihres Vaters, laut und deutlich. »Hallo, mein Schatz. Keine Angst, du gewinnst bestimmt. Jedenfalls drücke ich dir ganz fest die Daumen. Und, ja – bitte ruf an, wenn du fertig bist und das Ergebnis kennst.«

Ein Lächeln glitt über Beas Gesicht, als sie den Anruf speicherte und die Telefonnummer ihrer Eltern wählte. Rings um ihn herum konnte die Welt untergehen, aber ihr Vater würde nie aufhören, an sie zu denken und an sie zu glauben. Ihr Kopf nahm vorweg, wie ihr Vater sich über ihren Sieg freuen würde.

»Die nächste Runde geht aufs Haus!«, würde er freudestrahlend rufen und dabei nicht auf die Kosten achten.

Bea war sein einziges Kind. Es machte ihn glücklich, dass sie den gleichen Beruf wie er ergriffen hatte.

Es klingelte dreimal, bis auf der anderen Seite das Gespräch angenommen wurde.

»Hallo, Paps.«

»Bea, Liebes. Bist du es?« Es war Silja, ihre Mutter, die antwortete.

»Ich hab's geschafft, Ma. Ich hab den Wettbewerb gewonnen. Ich geh nach Lyon.«

»Sehr schön, Liebes. Das wird deinem Vater gefallen.«

»Ist er nicht da?«

»Doch, er liegt nebenan.«

»Er liegt? Um diese Zeit? Ist was passiert?«

»Mach dir keine Sorgen, Kind. Deinem Vater geht's gut. Er –« Angestrengt lauschte Bea, als sich jemand offensichtlich darum bemühte, Silja den Telefonhörer aus der Hand zu nehmen.

»Frau Gessler?« Bea war sich sicher, die männliche Stimme, die nun zu ihr sprach, noch nie gehört zu haben. Unwillkürlich begann sie zu frösteln. Eine dumpfe Vorahnung erfasste sie.

»Ja?«

»Mein Name ist Bauer. Ich bin ein Freund Ihres Vaters.«

»Wo ist er? Ich möchte ihn sprechen.« Sie musste das Handy in die andere Hand wechseln. Die war plötzlich schweißnass.

»Frau Gessler, Ihr Vater ist – tot.«

Die Endgültigkeit dieser Worte traf Bea mitten ins Herz. »Tot? Ich habe gerade noch mit ihm gesprochen, das heißt, ich habe seine Stimme gehört. Er hat mich angerufen.«

»Sein Herz setzte plötzlich aus. Wir haben sofort den Rettungswagen alarmiert, doch der Arzt konnte ihm nicht mehr helfen.«

»Aber mein Vater war nicht krank. Er war kerngesund. Es ging ihm gut.«

»Frau Gessler. Es sind einige Formalitäten zu erledigen. Es wäre besser, wenn Sie nach Hause kämen.«

»Ja, natürlich. Ich fahre gleich los.«

»Vielleicht sollten Sie besser nicht mit dem Auto fahren –.«

»Ich brauche meinen Wagen. Ich muss arbeiten, ich …« Sie verstummte ratlos und wunderte sich darüber, dass ihr Mund wusste, was zu reden war, obwohl sie selbst doch gar nichts begriff.

Ihr Vater war tot? Wie war das möglich? Er hatte doch gerade noch auf ihr Band gesprochen.

»Ich fahre gleich los«, wiederholte sie dumpf. »Ich fahre gleich los.«

Kapitel 2

Bea hatte es dem Navigationssystem ihres Autos zu verdanken, dass sie den Weg nach Hause fand. Fassungslosigkeit und Trauer waren die Gefühle, die sie auf dieser Fahrt begleiteten. Aber auch Ratlosigkeit und eine leise Beklemmung. Während der letzten Jahre hatte sie ausschließlich für ihren Beruf gelebt. München, Straßburg, Palma de Mallorca waren nur einige Orte, in denen sie die hohe Kunst des Kochens studiert hatte. Sie durfte den berühmtesten Köchen der Welt über die Schulter schauen. Darüber hinaus hatte sie das Leben ausgeblendet.

Auch für Kontakte zu ihrer Familie war kaum Zeit übrig geblieben. Bei den wenigen Telefonaten, die sie mit ihrem Vater geführt hatte, war es fast ausschließlich um ihre Arbeit gegangen. Er unterstützte sie in ihrem Bestreben, eines Tages zu den Spitzenköchen der Welt aufzusteigen, obwohl er für sich selbst einen anderen Weg gewählt hatte.

Auch er hatte sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Auch er war wie Bea durch die Welt gereist. So lange, bis er in Norwegen Silja kennen lernte, die Frau seines Lebens. Mit ihr kehrte er nach Deutschland zurück, um eine Familie zu gründen. Statt der Haute Cuisine zu dienen, eröffnete er einen Gasthof, ohne Glamour, ohne Esprit. Mehr eine Kneipe als ein Restaurant. Je mehr Bea selbst vom Handwerk verstand, desto weiter gingen ihre Vorstellungen auseinander.

Von nun an würde alles anders werden.

Die Erinnerungen begleiteten Bea, bis sie auf dem Parkplatz neben ihrem Elternhaus den Wagen abstellte und die wenigen Sachen aus dem Kofferraum nahm, die sie eingepackt hatte. Trotzdem traf es sie wie ein Schlag, als sie den Zettel las, der das Unfassbare erklärte.

Wegen Trauerfall geschlossen. Seitdem Bea denken konnte, war der Gasthof nie geschlossen gewesen.

Willi Gessler, ihr Vater, war tot.

Umso irritierender empfand Bea das Verhalten ihrer Mutter, die ihr die Tür öffnete. Vor Freude strahlend breitete Silja die Arme für ihre Tochter aus.

»Bea, mein Liebling, wie schön, dass du uns besuchen kommst.« Als sie Bea umarmte, verströmte sie den vertrauten Duft nach frischen Gräsern. Bea konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Mutter jemals anders gerochen hatte.

»Ich wünschte nur, wir hätten uns unter anderen Umständen wiedergesehen.« Befangen drückte Bea ihre Mutter an sich. Tapfer kämpfte sie mit den Tränen. Wie sollte sie auch weinen, wenn ihre Mutter vor Freude über das Wiedersehen lachte? Dabei musste Silja der Tod ihres Mannes unendlich nah gehen. Sie und ihr Vater hatten immer eine Einheit gebildet. Als Kind hatte Bea sich häufig ausgeschlossen gefühlt, wenn sie die beiden beobachtete. Die Liebe zwischen ihnen schien grenzenlos zu sein. Gegenseitig lasen sie sich die Gedanken von den Lippen, bevor der andere sie aussprach.

»Mein Ziel ist es, dich und deine Mutter glücklich zu sehen«, hatte ihr Vater einmal während einer hitzigen Diskussion mit ihr erklärt.

»Wenn ihr glücklich seid, bin ich es ebenfalls. Mehr wünsche ich mir nicht vom Leben.« Damals hatte Bea über so viel Bescheidenheit nur den Kopf schütteln können.

»Wie geht es dir, Mutter?«, fragte sie nun.

»Sehr gut, mein Schatz.« Siljas Augen strahlten sie an. Es bestand kein Zweifel, dass sie es ernst meinte.

»Und Vater? Wo finde ich ihn?« Bea fühlte sich plötzlich unbehaglich in der Nähe ihrer Mutter. Angesichts ihrer fröhlichen Gelassenheit kam sie sich mit ihrer eigenen Trauer so verloren vor.

»Er ist fort.«

»Man hat ihn schon abgeholt? Ich würde ihn gerne noch einmal sehen.«

»Aber sicher, mein Kind, warum nicht?«

Silja führte ihre Tochter nicht nach oben in die elterliche Wohnung, sondern in den Gastraum. Befangen ließ Bea ihre Blicke über die mit groben Leinendecken geschmückten Tische schweifen. Nichts schien sich seit ihrem letzten Besuch vor fast zwei Jahren verändert zu haben. Die Fensterbänke waren immer noch mit den gleichen Pflanzen in den bunten Keramikübertöpfen voll gestellt. Lampenschirme aus Korb hingen über den Tischen.

Und die Wände wurden immer noch von den Fotos geschmückt, die an das Leben ihres Vaters vor seiner Zeit als Wirt eines Landgasthofes erinnerten. Fotos, die ihn mit weißer Kochmütze und Schürze am Herd eines spanischen Luxushotels zeigten. Auf einem anderen Foto ließ er sich von einem japanischen Kollegen das Filetieren eines Rochen erklären. Und dann hingen da natürlich die unendlich vielen Fotos, die ihn und Silja beim Lachsfischen in Norwegen zeigten, unübersehbar frisch ineinander verliebt. Die Fotos bildeten einen eigentümlichen Kontrast zu dem rustikalen Mobiliar. Früher hatte Bea sich nur instinktiv darüber gewundert. Heute, mit weitaus geschulterem Blick, sprang ihr der Stilbruch geradezu ins Auge. Sie schalt sich selbst oberflächlich, weil sie sich darüber Gedanken machte, aber möglicherweise fiel es ihr auch nur deshalb auf, weil der Raum ohne ihren Vater seine Seele verloren zu haben schien.

Bea erschrak, als sich ein Schatten aus einer dunklen Nische löste.

»Willkommen zu Hause.«

Sie war sich sicher, den Mann, der nun abwartend stehen blieb, noch nie gesehen zu haben. Er war mindestens einen Kopf größer als sie. Sehr schlank. Sein dunkles Polohemd lag ihm locker am Körper. Die Baumwollhosen, die er trug, schienen nur von dem Gürtel gehalten zu werden. Rotblonde, störrische Haare, ein scharfer Blick aus klaren blauen Augen. Sie spürte seine instinktive Abneigung, als er sie taxierend betrachtete. Aus einem ihr nicht bekannten Grund schien er ihr gegenüber eher feindselig eingestellt zu sein. Fragend sah sie hinüber zu ihrer Mutter.

»Das ist Ed. Ed ist unser Freund.« Silja ging zu dem Mann hinüber und hakte sich wie selbstverständlich bei ihm ein. Mit gerunzelter Stirn bemerkte Bea, wie Ed liebevoll die Hand ihrer Mutter streichelte.

»Seltsam, Vater hat Ihren Namen nie erwähnt.«

»Wann sollte er auch?« Silja sah ihre Tochter mit staunenden Augen an. »Du warst ja nie da.«

Bea beschloss, es zunächst dabei bewenden zu lassen. Aus irgendeinem Grunde schien ihre Mutter ihr keine weiteren Erklärungen geben zu wollen.

»Ich bin Bea Gessler«, stellte sie sich förmlich vor. »Soll ich Ed zu Ihnen sagen, oder haben Sie noch einen Nachnamen?«

In seinen Augen blitzte Spott auf. Bea fühlte, wie Ärger in ihr hochstieg.

»Edwin Bauer«, sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung, mit der er sie offensichtlich provozieren wollte. »Ihr Vater und Ihre Mutter nennen mich Ed.«

»Nun, ich werde bei Edwin bleiben. Der Name Ed scheint mir doch eher für ein Pferd geeignet zu sein.« Sie schnupperte unauffällig.

Ohne Zweifel wehte von Ed eine leichte Alkoholfahne zu ihr herüber. Wahrscheinlich hatte er auf den Schreck hin etwas getrunken. Ihr war auch nach einem Cognac zu Mute, doch eine feine Stimme in ihr riet dazu, einen klaren Kopf zu bewahren. Die Situation besaß auch so schon etwas Surreales für sie. »Sie kennen doch die Fernsehreihe Ed, das sprechende Pferd? Früher gehörte sie zu meinen absoluten Lieblingsserien. Flipper und Fury natürlich auch.« Verwirrt verstummte Bea. Warum erzählte sie ihm das?

»Sprechen Sie immer so viel?« Sanft löste Ed sich aus Siljas Umklammerung. Er führte sie zu einem Tisch und schaffte es, dass sie dort Platz nahm. Dann ging er hinter die Theke und begann, Tee aufzubrühen. Alles wirkte selbstverständlich, als hätte er es schon tausendmal zuvor gemacht.

»Möchten Sie auch etwas trinken?«, fragte er Bea.

Bea warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war bereits weit nach Mitternacht.

»Ich denke, wir sollten schlafen gehen. Morgen gibt es doch bestimmt jede Menge Formalitäten für die Beerdigung zu erledigen.« Sie wandte sich ihrer Mutter zu.

»Wir sollten morgen so früh wie möglich zum Bestattungsinstitut fahren, damit das Wichtigste besprochen ist, bevor ich gegen Mittag zurück nach Baden-Baden fahre. Länger hat mein Chef mir nicht freigegeben.«

»Sie kommen nicht zur Beerdigung Ihres Vaters?« Eds Stimme klang emotionslos, dennoch fühlte Bea sich angegriffen. Um Streit zu vermeiden, versuchte sie, nicht darauf einzugehen.

»Danke, Herr Bauer, dass Sie sich um meine Mutter gekümmert haben. Aber ich denke, wir sollten jetzt wirklich alle zu Bett gehen.«

»Aber es ist doch noch so früh«, protestierte ihre Mutter. »Ich will noch nicht schlafen.«

Bea musste wider Willen lachen. »Das sagst ausgerechnet du? Früher bist du immer Punkt zehn am Abend ins Bett gegangen, egal, was hier unten im Schankraum noch los war.«

»Früher. Ja, das war eine schöne Zeit.«

Ed schlüpfte in seinen Blouson und ging an Bea vorbei zur Tür.

»Ich nehme an, wir sehen uns morgen?«

»Aus welchem Grund?«

Er schaute sie aus glasigen Augen an, die Bea trotz der leichten Fahne auf seine Müdigkeit zurückführte. »Wir können natürlich auch ein anderes Mal miteinander reden.«

»Oder gar nicht?«

»Oder gar nicht, ganz recht. Gute Nacht. Ihre Mutter freut sich bestimmt, wenn Sie sich zur Abwechslung mal etwas Zeit für sie nehmen.«

»Es freut mich, dass Ihnen unsere Familienangelegenheiten so am Herzen liegen«, sagte Bea kühl. »Aber, ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, wieso.«

»Im Grunde genommen gehen sie mich wirklich nichts an.« Ed zog den Reißverschluss seiner Jacke bis zum Kinn hinauf, als ob ihm kalt wäre. Als er sich zu Silja hinabbeugte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, wirkte er sehr sanft und zärtlich.

Fast wie ein Liebhaber, schoss es Bea durch den Kopf. Mit gerunzelter Stirn verfolgte sie, wie Edwin Bauer an ihr vorbei zur Tür schlenderte.

»Schließen Sie ab, wenn ich raus bin. Es ist sicherer«, wandte er sich an Bea. Ein Hauch von Besorgnis schwang in seiner Stimme.

»Danke für den Hinweis. Aber ich bin nicht ängstlich.«

Unter seinem abschätzenden Blick fühlte Bea sich plötzlich unbehaglich in ihrer Haut. Demonstrativ gähnte sie, als sie endlich hinter ihm die Tür schließen konnte. Dennoch drehte sie den Schlüssel zur Sicherheit zweimal im Schloss herum.

»Ein unangenehmer Mensch«, sagte sie über ihre Schulter hinweg zu ihrer Mutter. »Er wirkt irgendwie undurchsichtig auf mich.

Kennst du ihn schon lange?«

»Meinst du Ed?« Silja dehnte das E beim Sprechen in die Länge.

»Ed ist so ein wunderbarer Mensch. Dein Vater hat immer sehr große Stücke auf ihn gehalten.« Silja wandte sich ab, ging zu einem Schrank und holte einen Stapel sauberer Tischdecken heraus.

»Was machst du da, Mutter?«

»Ich decke die Tische neu ein. Unsere Gäste mögen es nicht, wenn die Tücher unsauber sind.«

Bestürzt beobachtete Bea sie. Scheinbar suchte Silja nach einer Möglichkeit, um sich abzureagieren und zu beschäftigen. »Leg dich schlafen, Mutter. Die Tischtücher haben Zeit. Der Gasthof bleibt morgen geschlossen.«

»Ach, wirklich?« Aus Siljas Augen sprach ihre Fassungslosigkeit. Wieder fühlte Bea sich durch Siljas Reaktion irritiert. Hatte sie ernsthaft vorgehabt, morgen den Gasthof wie üblich zu eröffnen?

»Du weißt doch, dass ich morgen Mittag wieder zurückfahre. Ich habe meine Arbeit. Die kann ich nicht einfach aufgeben.«

»Ja.« Silja nickte ernsthaft. »Das verstehe ich doch. Soll ich dir noch eine Tasse warmen Kakao machen, damit du gut schlafen kannst?«

Bea umarmte ihre Mutter gerührt. »Danke, das ist lieb von dir. Aber ich denke, ich brauche mein Bett nur anzusehen, um einzuschlafen. Willst du nicht auch hier unten Schluss machen?«

»Ja. Gleich. Schlaf schön.«

Bevor die Tür hinter Bea ins Schloss fiel, galt ihr letzter Blick ihrer Mutter. Sorgfältig schlug Silja ein Tischtuch auf und breitete es über einen der Tische, ganz auf ihre Arbeit konzentriert.