Göbekli Tepe - Harry Eilenstein - E-Book

Göbekli Tepe E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Seit 1995 müssen die Archäologen die Frühgeschichte der Menschheit umschreiben - niemand hatte damit gerechnet, dass es in der frühen Jungsteinzeit schon Tempel hätte geben können ... vor 12.000 Jahren, gleich nach dem Ende der Eiszeit - und sie wurden zudem noch von Jägern statt von Ackerbauern errichtet. Die Tempel bestehen aus z.T. über 5m hohen Pfeilern, die oft mit einer Vielfalt von Reliefs versehen sind: Stiere, Keiler, Widder, Kraniche, Geier, Schlangen, Skorpione, Spinnen, Hütten, abstrakte Symbole und vieles mehr. Eine ganze Welt, von der man bis vor 15 Jahren nichts geahnt hatte, öffnete sich wieder. Diese Bilder sind keine Schrift, aber sie lassen sich trotzdem lesen. Es beginnt mit dem Erlernen von Vokabeln: der Panther ist das "Adjektiv" für "Stärke", die Herdentiere sind das "Adjektiv" für "Fruchtbarkeit", der Kranich ist wie alle Vögel ein Hinweis auf die Seele, da man bei einem Beinahe-Tod sich selber über seinem Körper schwebend erlebt. Als nächsten lassen sich dann die Szenen, in denen diese Tiere stehen, wie "Sätze" lesen: ein kopfloser Mann, der einen Vogelkopf ergreift, wird als Toter im Jenseits erkennbar, der sich in einen Seelenvogel verwandelt; ein Totempfahl mit einem Panthermann lässt sich als ein Jäger begreifen, der sich von seinen Ahnen die Kraft des Panthers wünscht, um mit Erfolg jagen zu können. Das Weltbild der Erbauer der Tempel von Göbekli Tepe am Oberlauf des Euphrat war die Grundlage für die späteren schriftlichen Religionen. In den frühen Überlieferungen finden sich die Bilder fast unverändert wieder: die Muttergöttin mit dem Skorpion, die Geiergöttin, der Urmensch Adam-Atum, der Seelenvogel, der über der Mumie schwebt ... Durch die bis in kleine Details hinein genaue Analogie zwischen der Biographie eines Menschen und der Geschichte der Menschheit wird vieles in den Bildern verständlicher - und die Bilder finden einen ganz persönlichen Bezug zum heutigen Menschen. Durch die Fortschritte der Sprachwissenschaft in den letzten zwanzig Jahren ist sogar bekannt, wie "Panther", "Stier", "Schlange", "Sonne" und viele andere Bilder aus den Tempeln damals genannt wurden. Wenn man Göbekli Tepe kennenlernt, weitet sich das eigene Weltbild.

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Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)

Das Beziehungsmandala (52 S.)

für Klaus Schmidt und alle, die die Tempel von Göbekli Tepe mitausgegraben haben

Inhaltsverzeichnis

Göbekli Tepe

Die geographische Lage

Die klimatische Situation

Die kulturelle Situation

Die vorkeramische Phase der Jungsteinzeit

Die vorkeramische Phase der Jungsteinzeit I: Pionierphase

Die vorkeramische Phase der Jungsteinzeit II: Spätzeit

Die Entdeckung der Töpferei

Göbekli Tepe

Die Entwicklungsdynamik zu Beginn der Jungsteinzeit

Die religiöse Situation

Die Zeit vor Göbekli Tepe

Die Zeit während Göbekli Tepe

Die Zeit nach Göbekli Tepe

Übersicht über Göbekli Tepe

Die T-Pfeiler

Die Tempel von Göbekli Tepe

Der Schlangentempel

Der Fuchstempel

Der Wildschweintempel

Der Kranichtempel

„Tempel E“

„Tempel F“

„Tempel G“

„Tempel H“

Der Panthertempel

Weitere Tempel auf dem Göbekli Tepe

Einzelfunde auf dem Göbekli Tepe

Analyse der T-Pfeiler und der Motive von Göbekli Tepe

Die Analyse der T-Pfeiler

Die Anzahl der Pfeiler in den Tempeln

Die thematische Anordnung der bebilderten T-Pfeiler

Die Motive in den Tempeln von Göbekli Tepe

Die Häufigkeit der Motive

Die Verteilung der Motive auf die vier Arten von T-Pfeilern

Vergleich der Zentralpfeiler

Die Platzierung der Motive auf den T-Pfeilern

Die Kombination der Motive mit anderen Motiven

Die Sichtbarkeit der Motive vom Eingang her

Die Tempel im Umkreis von Göbekli Tepe

Der Tempel von Sefer Tepe

Der Tempel von Karahan

Der Tempel von Sanliurfa-Yeni Mahalle

Der Tempel von Hamzan Tepe

Der Tempel von Nevali Cori

Der Tempel von Kilisik

Die Tempel von Cayönü

Der Tempel von Körtik Tepe

Der Tempel von Nemrik

Der Turm von Jericho

Vergleich der Tempel

Einzelfunde aus der Umgebung von Göbekli Tepe

Jerf el-Ahmar

Tell Abr

Tell Qaramel

Ain Sakhri

Chronologie der Fundorte

Die Priesterschaft von Göbekli Tepe

Das Ritual von Göbekli Tepe

Der große Mensch

Die Sprache der Erbauer von Göbekli Tepe

Die Symbole von Göbekli Tepe

Zusammenfassung

Mögliche Motive auf neuen Funden

1. Göbekli Tepe

Göbekli Tepe (Blick nach Westen)

Bis vor zwei Jahrzehnten war es die gängige Meinung unter Archäologen, daß die Menschen der Altsteinzeit, die hauptsächlich von der Jagd lebten, vor 10.000 Jahren entdeckten, daß die Ernährung durch das Sammeln der Körner von Gräsern (dem späteren Getreide) und von Wildgemüse wesentlich besser sichergestellt werden konnte. Man ging davon aus, daß sich bald darauf aus der Pflege der Körnergraswiesen und ihrer Verteidigung gegen Antilopen und andere Nahrungskonkurrenten die Landwirtschaft gebildet hat. Daraus entwickelten sich wiederum größere Gemeinschaften, die schließlich zu Städten, Fürstentümern und um 3.000 v.Chr. zu Königreichen wurden, in denen sich die Herrscher selber aufwendige Denkmäler setzten.

Der Grundgedanke dieser Auffassung der menschlichen Geschichte war, daß sie sich aus materiellen Notwendigkeiten ergeben hat: Die unsichere Versorgung durch die Jagd führte zu dem Bestreben, sich durch Ackerbau und Viehzucht gegen Hungerzeiten abzusichern; die bessere Nahrungsversorgung ermöglichte eine Arbeitsteilung, die wiederum z.B. sorgfältiger hergestellte Steinwerkzeuge ermöglichte, die ihrerseits zu einer höheren Effektivität und Produktivität führten usw.

Die ersten großen Steinbauten sollten diesem Ansicht über die menschliche Geschichte zufolge erst dann entstanden sein, als die Menschen durch diese verbesserten Produktionsweisen in der Lage waren, genügend Menschen für die Arbeiten an Kultbauten freizustellen – also zu Beginn des Königtums.

Auch wenn diese Überlegungen grundsätzlich richtig sind und eine große Rolle spielen, hat sich diese Szenerie durch die Entdeckung der Anlagen von Göbekli Tepe gleich in mehren Hinsichten grundlegend geändert:

Die Steinbauten von Göbekli Tepe wurden von Menschen errichtet, die noch weitgehend von der Jagd lebten.

Diese Menschen hatten bereits eine hohe und viele Menschen umfassende soziale Organisation – mehrere Tausend statt der bisher vermuteten Jagdgemeinschaften von einem Dutzend Personen oder der kleinen mittelsteinzeitlichen Verbände von Jägern und Sammlern von ca. 50 Personen.

Die ersten Siedlungen wurden nicht von Ackerbauern, sondern von Jägern errichtet. Die Bewohner dieser Siedlungen errichteten gemeinschaftlich die steinernen Anlagen von Göbekli Tepe.

Seit 1994 wird die Anlage unter der Leitung des Archäologen Klaus Schmidt ausgegraben. Bisher wurden erst 5% des gesamten Geländes freigelegt. Auf dem flachen Gipfel des Berges Göbekli Tepe befindet sich ein von Menschen aufgeschütteter Hügel von ca. 300m x 300m Größe, der in der Mitte ca. 15m hoch ist. Die sorgfältige vollständige Ausgrabung dieses Hügels wird noch weit mehr als 50 Jahre dauern.

Auf dem Berg Göbekli Tepe wurden von den damaligen Menschen immer wieder neue Anlagen aus stehenden Steinen und Bruchsteinmauern errichtet, die dann nach einiger Zeit mit Geröll aufgefüllt worden sind. Auf ihnen wurden dann neue Anlagen gebaut. Die stehenden Steine sind T-förmig zugeschlagen und zwischen 1,5m und 5,5m hoch. Einzelne T-Steine sollten bis zu 9m hoch werden, wie man anhand von angefangenen, aber dann zerbrochenen Steinen im Steinbruch auf dem Göbekli Tepe sehen kann.

Je ca. ein Dutzend dieser T-Steine in einer Mauer bilden einen Kreis um meistens zwei größere T-Steine in der Mitte. Diese Anlage ist manchmal noch von weiteren Mauern umgeben. Bisher sind auf dem Göbekli Tepe mindestens 20 solcher Steinkreise entdeckt, aber erst 4 ausgegraben worden. Die 20 bisher bekannten Anlagen bestehen aus insgesamt weit über 200 T-Steinen.

Diese T-Steine sind etwa zur Hälfte mit Reliefs oder Skulpturen versehen, die eine große Vielfalt aufweisen. Es fanden sich auch große sowie viele kleinere Einzelplastiken. Die Art der Bearbeitung der Steine zeigt, daß sie von „Fachleuten“ mit großer Übung hergestellt worden sind, die zudem alle in derselben stilistischen Tradition standen. Die Skulpturen sind also nicht das Werk einzelner, unabhängiger Künstler, sondern von Vertretern ein- und derselben künstlerischen „Schule“ gefertigt worden.

Die Funde von Göbekli Tepe lassen sich in mehrere Bauphasen unterteilen, die von mindestens 11.000 v.Chr. bis 8.000 v.Chr. reichen. Diese steinernen Anlagen standen nicht isoliert in der damaligen Welt, aber sie waren mit Abstand in jeder Hinsicht die größten. Ähnliche, kleinere Anlagen vor allem aus der späteren Zeit von Göbekli Tepe finden sich auch in dem Umkreis von Göbekli Tepe in einem Radius von ca. 50 km und einem einzelnen Vorposten in 120km Entfernung.

Die Ausgrabung von Göbekli Tepe wird wahrscheinlich noch einige Überraschungen zutage fördern, aber es ist schon heute möglich, mithilfe der bisherigen Funde zumindest eine grobe Skizze der Weltanschauung der damaligen Menschen zu zeichnen.

Kreis aus T-Pfeilern mit zwei T-Pfeilern in der Mitte („Kranichtempel“)

1. A Die geographische Lage

Göbekli Tepe liegt im Südosten der Türkei nahe der syrischen Grenze in einem weiten, flachen Hügelland etwa 3km von einem der drei Quellflüsse des Belich, einem kleineren Nebenfluß des Euphrat, entfernt.

Lage der Fundorte der Anlagen mit T-Pfeilern aus der frühen Jungsteinzeit

Die übrigen Orte, an denen man T-Pfeiler gefunden hat, liegen rings um Göbekli Tepe in alle Richtungen verteilt:

östlich 35km:

Sefer Tepe

südöstlich 25km:

Karahan

südwestlich 15km:

Sanliurfa-Yeni Mahalle

südwestlich 25 km:

Hamzan Tepe

nordwestlich 20km:

Nevali Cori

nordwestlich 50km:

Kilisik

nordöstlich 120 km:

Cayönü

Der Gipfel des Göbekli Tepe („bauchiger Berg“) ist 780m hoch und bildet ein flaches Plateau. Die umliegenden Täler liegen ca. 300 m tiefer. Vom Gipfel des Göbekli Tepe aus kann man über die weite fruchtbare Ebene im Süden, die von dem Belich durchflossen wird, überblicken.

1. der Göbekli Tepe liegt nördlich der fruchtbaren Ebene (dunkelgrün) am Belich, einem Nebenfluß des Euphrat

2. unten die Ebene des Flusses Belich, nördlich davon der Göbekli Tepe und oben links der Atatürk-Staudamm

3. der Göbekli Tepe liegt auf der höchsten Hügelkette nördlich der Ebene

4. unten die letzten Ausläufer der Ebene, oben rechts Ackerland, dazwischen die Hügelkette mit dem Göbekli Tepe

5. der Göbekli Tepe ist der beste Aussichtspunkt nördlich der Ebene

6. der künstliche Hügel (rotbraun) bedeckt ca. 40% des Hochplateaus

7. der künstliche Hügel auf dem Göbekli Tepe unterscheidet sich deutlich in der Farbe von dem Berg selber

8. bisher sind nur 5% der Fläche ausgegraben; die beiden helleren Flächen sind Schutzdächer

„fruchtbarer Halbmond“

Göbekli Tepe liegt am Nordrand des „fruchtbaren Halbmondes“. Dieser Bereich, der eigentlich nicht die Form eines Halbmondes, sondern einer Mondsichel hat, erstreckt sich von Südwesten her vom Jordantal in Israel über Jordanien und Syrien nach Norden, dann südlich des anatolischen Hochlandes der Türkei entlang nach Osten und dann wieder den Euphrat und Tigris hinab.

Blick auf den Göbekli Tepe von Süden

Blick vom Göbekli Tepe aus auf die Ebene im Süden

Der Berg Göbekli Tepe besteht aus Kalkstein, der sich gut mit Hämmern und Keilen aus Obsidian und Feuerstein bearbeiten läßt.

Interessanterweise glauben die Sumerer, daß ihre ältesten Götter, die Anunaki, vor Urzeiten im Norden von ihnen (wo der Göbekli Tepe liegt) auf dem Berg Du-Ku gelebt haben. Von dort sollen sie den Sumerern den Ackerbau, die Viehzucht und die Webkunst gebracht haben. Diese Götter hatten noch keine individuellen Namen.

Der Name Anunnaki bedeutet möglicherweise „die von königlichem Blut“. Wenn diese Übersetzung zutreffen sollte, müßte dies ein neuerer Name aus der Zeit des Königtums sein. Die Übersetzung für Du-Ku ist recht unsicher, da insbesondere „Du“ viele Bedeutung hat. Eine Möglichkeit, die zu Göbekli Tepe passen würde, ist „Ort, an den der Thronsockel der Gottheit gestellt wurde“. Diese Übersetzung setzt sich aus „du“ für „setzen, stellen“ und „ku“ für „Thronsockel einer Gottheit“ zusammen.

Es ist zumindestens denkbar, daß dies eine Erinnerung der Sumerer an die zur Zeit der Erfindung der sumerischen Keilschrift bereits 5.000 Jahre zurückliegende Kultur auf dem Göbekli Tepe gewesen ist.

1. B Die klimatische Situation

Das Klima war in Göbekli Tepe um 9.500 v.Chr. in etwa wie heute: warme Sommer und milde Winter; nicht viel, aber ausreichend Regen für eine geschlossene Pflanzendecke. Die heutige oft kahle, felsige Landschaft ist erst viel später durch das Abholzen der Wälder durch die Menschen entstanden.

Die Erbauung der Tempel auf dem Göbekli Tepe lag klimatisch gesehen an einem markanten Zeitpunkt, denn um 9.500 v.Chr. liegt der Übergang von der letzten Eiszeit zu der heutigen Warmzeit. Diese letzte Eiszeit dauerte von 140.000 v.Chr. bis 9.500 v.Chr. Kurz vor dieser Eiszeit ist vor 170.000 Jahren in Südafrika der Homo Sapiens entstanden, der seit ca. 100.000 Jahren auch Eurasien besiedelt hat. Der Homo sapiens hat folglich ab 9.500 v.Chr. das erste Mal eine Warmzeit in Eurasien erlebt.

Das Ende der letzten Eiszeit kam im Vergleich zu ihrer 130.000-jährigen Dauer sehr plötzlich: Zwischen 11.500 v.Chr. und 9.500 v.Chr. erwärmte sich die Erde um 8°C. Dadurch schmolzen die Gletscher und die Polkappen, wodurch der Meeresspiegel, der während der Eiszeit um ca. 125m gesunken war, in etwa wieder auf die heutige Höhe stieg. Als Folge dieser Veränderungen wandelte sich auch die Vegetation und die Tierwelt sehr stark. Durch das deutlich verbesserte Nahrungsangebot durch die üppigere Vegetation gab es sehr viel mehr jagdbares Wild für die Menschen.

Die sehr starken Regen- bzw. Schneefälle während der Eiszeit hatten weltweit, selbst in der Sahara, viele riesige Seen entstehen lassen, die mittlerweile wieder verschwunden sind wie z.B. der Tschad-See. Am nächsten zu Göbekli Tepe lag von diesen Eiszeit-Seen der Urmia-See in der Hochebene des Iran, der damals mehrmals so groß war wie heute.

In der weiten Ebene südlich des damals noch bewaldeten Göbekli Tepe wuchsen unter anderem wilde Gerste sowie Emmer und Einkorn, aus denen später der Weizen gezüchtet worden ist. Diese Getreidesorten wurden damals schon als Nahrungsergänzung gesammelt. In den Niederungen gab es größere Grasflächen, Sümpfe und Laubwälder, während in den Höhenlagen Laubmischwälder standen.

In dieser Landschaft gab es sehr viel Wild: Antilopen, Gazellen, Rothirsche, Rehe, Wildziegen, Wildschafe, Auerochsen, Wildschweine, Wildesel und kleine Pferdearten. Auch Vögel gab es in vielen Arten und großen Mengen: u.a. Enten, Gänse, Kraniche und Flamingos. Die Ebene südlich des Göbekli Tepe war damals ein Paradies für die hauptsächlich von der Jagd lebenden Menschen, die Göbekli Tepe erbauten.

Es gab allerdings auch Raubtiere – vor allem den Panther, da der Löwe die Steppe bevorzugt und der Bär die kälteren Berggegenden im Norden. Weitere Gefahren für die damaligen Menschen waren die Schlangen sowie die giftigen Tausendfüßler und die giftigen Spinnen. Ein markantes Tier im Alltag der Jäger aus der frühen Jungsteinzeit waren auch die Geier, die hoch am Himmel über den Bergen und den Ebenen ihre Kreise zogen.

1. C Die kulturelle Situation

Die Tempelanlagen von Göbekli Tepe sind in der frühen Jungsteinzeit entstanden. Zu dieser Zeit gab es die ersten Anfänge von Ackerbau und die ersten größeren Gemeinschaften von Menschen. Eine wichtige Erfindung der Jungsteinzeit ist die Töpferei, die aber erst entdeckt worden ist, nachdem Göbekli Tepe bereits wieder verlassen worden war. Anhand der Töpferei wird die Jungsteinzeit in zwei große Phasen unterteilt: die erste, vorkeramische Phase und die zweite, keramische Phase.

Der Jungsteinzeit ging die Mittelsteinzeit voraus, in der die Steinwerkzeuge verbessert wurden und der Wolf gezähmt wurde, aus dem dann nach und nach der Hund entstand. Zudem wurde die Jagd zunehmend durch das Sammeln von Wildgemüse und von den Körnern von Gräsern, aus dem später das Getreide gezüchtet wurde, ergänzt.

kulturelle Entwicklung

Epoche

Zeit

wichtige Merkmale

Kult

Altsteinzeit

1.500.000 – 20.000 v.Chr.

Benutzung von Feuer, Steinwerkzeuge, Jagd; Gruppen von ca. 12 Personen, Hütten und Zelte

Schamanismus

Mittelsteinzeit

20.000 v.Chr. – 9.500 v.Chr.

geschliffene Steinwerkzeuge, Jagen und Sammeln, Zähmung des Wolfes; Gruppen von 50 Personen, Hütten und Zelte;

seit 35.000 v.Chr.: Höhlenmalerei, Frauenstatuetten

Jungsteinzeit

ohne Keramik

Pionierphase

9.500 v.Chr. – 8.700 v.Chr.

Ende der Eiszeit, verbesserte Ernährung; saisonale Gruppen von 2.000 Personen, runde Häuser im Tal,

Kultplätze auf Bergen,

Göbekli Tepe

Spätphase

8.700 v.Chr. – 6.600 v.Chr.

Anfänge von Ackerbau und Viehzucht; rechteckige Häuser

Göbekli Tepe

, Kultplätze auch in Tälern

mit Keramik

6.600 v.Chr. – 3.250 v.Chr.

Keramik, Dörfer an den Flüssen, Ackerbau, Viehzucht

Tempel in den Dörfern

(Königtum)

ab 3.250 v.Chr.

Zentralverwaltung (Ägypten)

Sonnenkult

a) Die vorkeramische Phase der Jungsteinzeit

Die vorkeramische Phase der Jungsteinzeit beginnt um 9.500 v.Chr. mit der Errichtung der ersten Häuser. Im Gegensatz zu den Zelten und Hütten, die bereits der Homo erectus vor 600.000 Jahren erfunden hatte, als er in das kalte Nordeurasien zog, bestehen Häuser nicht nur aus Stöcken, Mammutknochen, Fellen u.ä., sondern auch aus Lehm. Einige frühe Häuser waren auch aus behauenen Steinen zusammengefügt. Ein Haus ist also durch seine Mauern definiert. Diese Häuser waren zunächst wie die Hütten und die Zelte rund oder oval.

Diese erste Hälfte der Jungsteinzeit begann nicht an einem ganz bestimmten Zeitpunkt, sondern war ein allmählicher Übergang, der von ca. 11.500 v.Chr. bis 9.500 v.Chr. dauerte. In ihm entstanden zunächst saisonal genutzte festere Lager, aus denen sich dann nach und nach festere Hütten entwickelten, die schließlich das ganze Jahr über bewohnt wurden, während die Jäger von diesem Lager aus durch die umliegenden Steppen und Wälder streiften.

Dieser allmähliche, 2.000 Jahre dauernden Übergang vom Nomandentum zur Seßhaftigkeit wurde von den Jägern vollzogen – nicht von den Ackerbauern, wie man lange Zeit gedacht hat. Dies wurde u.a. dadurch möglich, daß in dem wärmeren nacheiszeitlichen Klima mit seiner üppigen Vegetation wesentlich mehr Wild auf einer bestimmten Fläche leben konnte als vorher in dem rauhen, kalten Eiszeitklima, das nur einen kargen Pflanzenwuchs zuließ.

Diese Seßhaftigkeit führte u.a. auch dazu, daß man stets in der Nähe der Gräber der Ahnen war. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn in der Altsteinzeit waren die Ahnen, also die Eltern und Großeltern, für die Menschen die innere Orientierung, da sie von ihnen alles, was sie wußten und konnten, durch Nachahmung erlernt hatten. Dadurch, daß die Menschen nun ständig in der Nähe der Gräber ihrer Ahnen in einem beständigen Lagerplatz lebten, wurde aus der bisherigen inneren Orientierung an den Eltern, Großeltern und Ahnen auch eine räumliche Orientierung an den Gräbern der Ahnen. Dadurch entstand eine innere Bindung an den Wohnort, die schließlich zu der Errichtung der Tempel von Göbekli Tepe, die sich vor allem auf die Ahnen beziehen, geführt hat.

b) Die vorkeramische Phase der Jungsteinzeit: Pionierphase

Die „Pionierphase“ der frühen Jungsteinzeit dauerte 800 Jahre – sie reichte von 9.500 v.Chr. bis 8.700 v.Chr.

Um 9.000 v.Chr. wurde der rechte Winkel entdeckt. Er wurde gleich in drei wesentlichen Bereichen angewendet: in dem Bau rechteckiger Häuser, in der Herstellung von luftgetrockneten Lehmziegeln und in den rechtwinkligen T-Pfeilern von Göbekli Tepe. Der rechte Winkel ist heute so allgegenwärtig, daß es zunächst einmal gar nicht auffällt, daß er eine menschliche Erfindung ist. In der Natur haben jedoch alle Dinge eine runde oder eine von etwas rundem abgeleitete Form: Tiere, Pflanzen, Steine, Flußläufe, Wolken, Sonne, Mond … Selbst die Bienenwaben ergeben sich aus der platz- und materialsparendsten Aneinanderlagerung der runden Brutröhren der Bienen.

Der rechte Winkel ist hingegen das Merkmal des gestaltenden Willens des Menschen. Gleichgroße, rechtwinklige Dinge lassen sich ohne Lücke aufeinanderstapeln, nebeneinanderstellen und somit stabil und tragfähig anordnen. Der rechte Winkel ist daher das Ergebnis des gestalterischen Impulses der damaligen Menschen.

Dies stimmt damit überein, daß es damals das erste mal größere zusammenlebende Gemeinschaften gab, die mehr als nur ein Dutzend Personen wie in der Altsteinzeit umfaßten. Das Zusammenleben dieser Gemeinschaften mußte ebenfalls organisiert werden – was auch gelang, wie die Errichtung der Tempel von Göbekli Tepe zeigt, die nur von Gemeinschaften von mindestens 2.000 Personen gebaut werden konnten.

Der rechte Winkel zeigt also den ordnenden Gestaltungswillen der damaligen Menschen. Dieser Gestaltungswille ist etwas völlig anderes als das „Leben in der Natur als Teil der Natur“ wie in der Altsteinzeit. Diese neue Haltung bedeutete, daß sich der Mensch der Natur gegenüberstellte und sie und sich als getrennt betrachtete.

Dieser Entwicklungsschritt findet sich auch bei jedem einzelnen Menschen wieder und ist Teil der sieben Phasen des Lebens:

In der oralen Phase des Säuglings (0 – 1 Jahr) lebt der Mensch in Symbiose mit seiner Mutter, ist weitgehend ein Teil von ihr, vertraut ihr vollständig und nimmt von ihr alles an. Man könnte diese Phase durch ein „Ja“ charakterisieren. Sie entspricht der Lebensform in der Altsteinzeit: als ein Teil der Natur in der Natur leben.

Der nächste Schritt in der Entwicklung des Individuums ist die anale Phase des Kleinkindes (1 – 3 Jahre): das Erlernen der Sprache und des Laufens und vor allem des „Nein!“. Wie die Menschen in der frühen Jungsteinzeit stellt sich auch das Kleinkind der Welt (und seiner Mutter) gegenüber und beginnt zu urteilen: was will ich und was will ich nicht. Dies entspricht sowohl dem Bau von rechtwinkligen Häusern aus rechtwinkligen Ziegeln als auch dem frühen Ackerbau und der Viehzucht, die die Welt in Kultur und Natur unterteilten, also in „von mir gewollt“ und in „das andere“.

Der dritte Entwicklungsschritt des Individuums ist die Entdeckung des „Ich!!!“ in der phallischen Phase (3 – ca. 10 Jahre). Sie entspricht unverkennbar dem Königtum, das um 3.000 v.Chr. entstand: die völlige Unterordnung des Ganzen unter ein sie leitendes Zentrum – unter das Ich bzw. den König.

In der genitalen Phase, die besser als Pubertät bekannt ist, richtet sich der Mensch nach außen und prüft die Welt, seine Fähigkeit, seine Mitmenschen und sucht letztlich nach dem „Du?“, also nach einer Beziehung. In diesem Forschen und Erproben und ersten eigenständigen Erschaffen läßt sich leicht der Materialismus mit seinen Forschungen, Erfindungen, Produktionen, Industrien, Eroberungen und Machtkämpfen wiederfinden.

Nach diesen vier von Sigmund Freud beschriebenen Phasen schließt sich als fünfte die adulte Phase an, in der der Einzelne sich auf eine Beziehung festlegt, einen Hausstand gründet und selber Vater oder Mutter wird. Diese Phase ist im Gegensatz zu der Pubertät mit ihrem Wettbewerb und Wettkampf durch Kooperation geprägt: Der Einzelne hat das Ganze im Blick – er fördert durch sein verantwortungsvolles Handeln das Ganze und er wird auf das Ganze vertrauend von ihm getragen. Dies ist auch das Ziel des derzeit neu entstehenden globalen Denkens und Handelns, das aus der Wertschätzung des Individuellen und der Kooperation aller Individuen miteinander besteht.

Auf das „Ja“ der oralen Phase und der Altsteinzeit folgte das „Nein!“ der analen Phase und der Jungsteinzeit, die zusammen die Entstehung des „Ich!!!“ der phallischen Phase und des Königtums ermöglichten. Auf der Grundlage dieses „Ich!!!“ wurde es in der genitalen Phase und dem Materialismus möglich, sich dem „Du?“ zuzuwenden, was schließlich zu dem „Wir.“ der derzeit beginnenden globalen Phase führte.

Die nächste, sechste Epoche liegt kollektiv gesehen noch in der Zukunft. Sie entspricht in der individuellen Biographie der Zeit, in der die Kinder aus dem Haus gegangen sind und in der man sich einen sicheren Lebensunterhalt erworben hat und auch ansonsten alle Dinge in geordneten und sicheren Bahnen verlaufen. In dieser Phase hat der reife Erwachsene mehr Zeit und Erfahrung als je zuvor und kann diese zum einen durch neue Entdeckungen, Forschungen, Begegnungen u.ä. nutzen und genießen und er kann seine Erfahrungen zum anderen an jüngere weitergeben. Daher könnte man diesen Abschnitt „tutorale Phase“ nennen. Da sie kollektiv gesehen noch in der Zukunft liegt, ist es nicht verwunderlich, daß sie vor allem in Science-Fiction-Romanen immer wieder beschrieben worden ist: der Planet der Weisen, die in Frieden mit sich und der Natur leben und in der Regel spirituell hochstehende Wesen sind.

Die letzte, siebte Entwicklungsstufe ist schließlich das hohe Alter. In dieser „geronten Phase“ erlangt man Weisheit und erkennt das Wesen der Welt. Dies liegt kollektiv gesehen aber noch in ferner Zukunft.

Die Entdeckung des rechten Winkels läßt sich dieser Analogie zwischen Biographie und Menschheitsgeschichte zufolge mit dem Beginn der analen Phase beim Kleinkind vergleichen. Ein wesentliches Element dieser Phase ist bei dem Kleinkind bei dem Übergang zur analen Phasen das Erlernen der Sprache. Auch in dieser Hinsicht könnte es eine Analogie geben, wenn man sich die damalige Situation einmal näher betrachtet.

Die einfachste Form der nicht nur rein reflexartigen Informationsverarbeitung ist sowohl bei den Menschen als auch bei den Tieren die Assoziation. Durch sie kann Tieren ein bestimmtes Verhalten antrainiert werden – sie sind „lernfähig“, d.h. sie können zwei Ereignisse, die mehrmals gemeinsam auftreten, miteinander verknüpfen. Die Grundlage dafür ist eine komplexe Erinnerungsfähigkeit.

Diese Informationsverarbeitung durch Assoziationen findet sich im Menschen auch noch heute: in Träumen, in Gedankensprüngen, in Märchen, Mythen, im „Brainstorming“ usw. Die Orientierung mithilfe von Assoziationen benötigt als Grundlage die genaue Kenntnis jedes einzelnen Dinges in der eigenen Welt, da mit Assoziationen nur dann z.B. ein konkreter Mensch zutreffend erfaßt werden kann, wenn man ausreichend viele Erlebnisse mit diesem Menschen gehabt hat. Diese Voraussetzung war aber seit der Entstehung der großen Gemeinschaften zu Beginn der Jungsteinzeit nicht mehr gegeben, denn man konnte unmöglich 2.000 Menschen genau und persönlich kennen. Es war also nötig, eine neue Form der Informationsverarbeitung und der Orientierung zu entwickeln.

Der naheliegendste Ansatz war die Reduzierung der genauen Kenntnis auf bestimmte wesentliche Merkmale. Dadurch konnte man dann auch die weniger genau bekannten Dinge einordnen. Mithilfe dieser Vorgehensweise war man in der Lage, die 2.000 Menschen der eigenen Gemeinschaft zumindest schon einmal in Männer, Frauen, Kinder, Bauern, Jäger, Zimmerleute, Steinmetze, Fischer, Hirten, Schamanen usw. einzuteilen.

Durch diese Methode entstand aber nicht nur die Möglichkeit des Vergleiches, sondern auch eine abstraktere Ebene. Es entstanden neben den früheren konkreten Einheiten („mein Vater“, „unser Zelt“, „mein Messer“ u.ä.) nun auch die allgemeineren Bilder des Bauern, des Fischers, des Jägers, des Zimmermannes usw. Zu den konkreten Bilder, die aus den Assoziationen zu konkreten Dingen entstanden, kamen nun die abstrakteren Urbilder hinzu, die durch das Erfassen der Analogien entstanden waren und die die allgemeinen Qualitäten einer Gruppe von gleichartigen Dingen darstellten („Alle Fischer fangen Fische.“).

Wenn man diesen vergleichen Ansatz bei der Informationsverarbeitung in einem zweiten Schritt auf das gesamte Erleben der damaligen Menschen ausweitet, wird die Entstehung einer vergleichenden und abstrahierenden Beschreibung der gesamten Welt greifbar, die alles gleichartige und zyklische in ein Urbild zusammenfaßt. Diese Form der Weltbeschreibung wird im allgemeinen mythologisches Weltbild genannt. Die Mythen sind folglich zunächst einmal eine Methode gewesen, die Welt insgesamt mithilfe von Vergleichen zu beschreiben und dadurch auch all die Menschen, Dinge und Vorgänge, die man nicht mehr durch intensives eigenes Erleben, also durch Assoziationen kennenlernen konnte, in ihrem wesentlichen Charakter zu erfassen und einzuordnen.

Diese Entdeckung wird auch Auswirkungen auf die Entwicklung der Sprache in der frühen Jungsteinzeit gehabt haben.

Eine Sprache, die rein auf Assoziationen beruht, ist wie die Sprache eines Kleinkindes: Sie besteht aus den wichtigen Substantiven („Mama“, „Auto“, „Banane“, „Saft“, „Papa“ …), die mit der passenden Betonung und Lautstärke ausgesprochen für jeden unmißverständlich deutlich machen, was gemeint ist.

Wenn nun die Analogie als neues Ordnungselement zu diesen Einzelwort-Aussagen hinzukommt, entstehen zunächst einmal abstraktere Begriffe wie z.B. die der Berufe, der Jahreszeiten, der Tätigkeiten in den Jahreszeiten u.ä., also Begriffe wie „Aussaat“, „Ernte“, „Dürrezeit“, „Regenzeit“, „Steinmetz“ usw.

Noch prägender wird es aber wohl gewesen sein, daß durch das Analogieprinzip auch die Stellung der Worte zueinander bedeutsam wurde, denn nachdem erst einmal durch die Analogien das Verhältnis aller Dinge zueinander beschrieben und in einer Mythologie zusammengefaßt worden war, lag es nahe, diese Form der generellen Ordnung auch auf die Sprache zu übertragen. Auf diese Weise wird in der frühen Jungsteinzeit die Grammatik entstanden sein. Die Grammatik ermöglicht es, nicht nur wie in einer rein assoziativen Sprache mit Worten auf etwas hinzuweisen und das eigene Gefühl dazu durch den Tonfall auszudrücken, sondern auch Strukturen und Verhältnisse zwischen Dingen auszudrücken. Diese Form der Abstraktion wird die Möglichkeiten zur Kooperation zwischen den Menschen wesentlich verbessert haben und letztlich die Grundlage für die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Handeln größerer Menschengruppen gebildet haben.

Die Grammatik erlaubte es sowohl, Dinge auszudrücken, die über das Hier und Jetzt hinausgingen, als auch Dinge zu formulieren, die abstrakter und allgemeingültiger waren. Beide Fähigkeiten sind unabdingbar für die Errichtung eines so aufwendigen Bauwerkes wie Göbekli Tepe.

Vermutlich sind zu Beginn der Jungsteinzeit auch in zunehmendem Maße Verben und Adjektive entwickelt worden, da auch diese beiden Wortgruppen letztlich die Darstellung von Analogie-Essenzen sind: jedes Verben stellt eine Form der Bewegung dar, die von den verschiedensten Dingen ausgeführt werden kann, und Adjektive beschreiben Eigenschaften, die an den verschiedensten Dingen gefunden werden kann.

Die Menschen scheinen allgemein die Eigenheit zu haben, daß sie dann, wenn sie neue Möglichkeiten entdecken, diese auch sofort ausprobieren müssen.

Dies zeigt sich eindrucksvoll z.B. im frühen Königtum, als es das erste Mal die Möglichkeit gab, daß sehr viele Menschen zusammen ein Bauwerk unter der Leitung und aus dem Impuls eines Einzelnen heraus errichteten. Auf diese Weise entstanden um 2.600 v.Chr. die Pyramiden von Gizeh.

Als um 600 v.Chr. Buddha, Jaina, Patanjali, Laotse, Kungfutse, Zarathustra, Zalmoxis und Pythagoras die Selbstverantwortung der Menschen lehrten und zur Unterstützung dieser Qualität die Mysterien von Eleusis, die des Mithras und des Dionysos sowie die von Samothrake gegründet wurden, entstanden in den 200 Jahren danach als Ausdruck dieses neuen Selbstbewußtseins sechs der sieben klassischen Weltwunder (das siebte waren die Pyramiden von Gizeh).

Diese Haltung ist auch heute noch bestens bekannt: Als es technisch möglich wurde, baute man Raketen, um damit auf den Mond zu fliegen – einfach weil es möglich war und man davon begeistert war und man es deshalb wollte. Die Frage des zeitlichen und finanziellen Aufwandes war dabei ohne große Bedeutung.

Dieselbe Haltung kann man auch schon bei den Erbauern von Göbekli Tepe vermuten. Die abstrakteren Begriffe und die Grammatik ermöglichten das Erfassen der Urbilder, die hinter den konkreten Erlebnissen und Tätigkeiten der damaligen Menschen standen. Zugleich ermöglichte diese Fähigkeit auch die Koordination großer Menschengruppen. Beides zusammen ergab dann die Möglichkeit, die bisherigen Traditionen auf eine viel großartigere und allgemeinere Art als bisher darzustellen.

Durch diese abstrahierende Betrachtungsweise mithilfe von Vergleichen wurde auch „hinter“ den konkreten Ahnen, die in Gräbern nahe bei den Lebenden lagen, der Urahn aller Menschen bewußter. Durch das damalige „Neue Denken“ begann man nach Allgemeingültigerem, nach Regeln, nach Beständigkeiten und nach den Grundlagen für das Konkrete zu suchen. Zum einen findet dies seinen Ausdruck in der Formulierung der Mythen, die eine allgemeine Weltbeschreibung sind, und zum anderen in der Errichtung der Tempel, die ein in Stein gehauener, dauerhafter Ausdruck dieser mythischen Weltanschauung sind.

Auch die kleinen Kinder in der analen Phase suchen nach diesen Regeln, diesem Rhythmus und dieser Verläßlichkeit der Abläufe, um auf der Grundlage dieser Regeln selber sicher und effektiv handeln zu können.

Da die Analogien nichts Neues erschaffen, sondern „lediglich“ die Komplexität der Welt in Urbildern und Mythen zusammenfassen, werden die Tempel von Göbekli Tepe keine grundlegend neuen Auffassungen über die Welt ausdrücken, sondern werden eher eine grundlegend neue Art sein, die Auffassungen über die Welt darzustellen.

So kann man z.B. davon ausgehen, daß in der frühen Jungsteinzeit die Eltern für ihre Kinder dieselbe wichtige Bedeutung gehabt haben wie in der Altsteinzeit, aber daß diese Orientierung an den konkreten Eltern nun zu abstrakteren, allgemeingültigeren Regeln und Vorbildern wurde: Neben den Eltern wurde allmählich der Urahn sichtbar, der das Bild des für alle Menschen gleichermaßen sinnvollen Verhaltens war.

Dieser Vorgang der Verinnerlichung des Vorbildes der Eltern und seine Verwandlung in abstraktere Verhaltensregeln läßt sich bei Kindern in der analen Phase beobachten. In dieser Phase brauchen sie eindeutige, klare und verläßliche Regeln.

In der Pionierphase der frühen Jungsteinzeit gab es noch einige andere Entwicklungen. Wie bereits erwähnt, wurden ab ca. 8.500 v.Chr. Gerste sowie Emmer und Einkorn, die die „Großeltern“ des Weizens sind, nun nicht mehr nur gesammelt, sondern auch beschützt und ausgesät. Um dieses Getreide auch für das übrige Jahr lagern zu können, wurden Getreidesilos errichtet, die die ersten Gemeinschaftsbauten der Menschen gewesen sind. Diese ersten Getreidebauern lebten in der westlichen Hälfte des „fruchtbaren Halbmondes“, der in etwa von Israel bis nach Göbekli Tepe reichte. In dieser Zeit wurden auch die ersten Schweine domestiziert.

Durch diese Entwicklungen entstand etwas Neues, dessen Folgen sehr weitreichend waren: Es gab zum ersten mal in der menschlichen Geschichte Besitz, der über die eigene Kleidung und die eigenen Waffen und Geräte deutlich hinausging: die Getreidevorräte, die Ansammlungen von aufwendig hergestellten Geräten und die Viehherden. Dies führte zu ersten Diebstählen und Raubüberfällen und somit auch zu Angriffen von (armen) Menschengruppen auf andere (reiche) Menschengruppen. Vor dieser Zeit wird es zwar immer wieder einmal Streitigkeiten zwischen einzelnen Menschen um Revierkämpfe, bei der Paarung u.ä. gegeben haben, aber wohl kaum organisierte Angriffe auf andere Menschengruppen – einfach deshalb, weil ein Sieg bei einem solchen Angriff keinerlei Vorteile hätte bringen können.

Diese ersten Kämpfe von Menschengruppen gegen andere Menschengruppen lassen sich durch von Menschen zugefügte Verletzungen an Skeletten aus dieser Zeit nachweisen. Konsequenterweise wurden als Reaktion auf diese Überfälle damals die ersten Schutzmauern um die Siedlungen gezogen und vermutlich auch eine ständige Wache eingerichtet. Dies war ebenfalls ein folgenreicher Schritt, da er die Entstehung des Militärs bedeutete, deren Anführer einige Jahrtausende später dann zu den Fürsten und Königen wurden.

Auch dieser Aspekt der kollektiven Geschichte findet sich in der individuellen Biographie wieder. Während der Säugling in der oralen Phase alles in die Hand nimmt, was gerade da ist und lediglich bei einen allgemeinen Mangel zu weinen beginnt, hat das Kleinkind in der analen Phase sehr genaue Vorstellungen darüber, was wem gehört: „Meins!!!“ Die Auseinandersetzungen über das Spielzeug sind auch bei den Kindern in der Regel der Anlaß für Streitigkeiten.

Der Besitz sichert das Leben und seine Qualität und ist daher zugleich das Objekt und die Ursache des Kampfes zwischen verschiedenen Menschen bzw. Menschengruppen.

Es gibt noch eine weitere Entwicklung, von der man in diesem Zusammenhang ausgehen kann. In den großen Gemeinschaften der Erbauer von Göbekli Tepe werden durch den beginnenden Ackerbau und die ersten Ansätze von Viehzucht sowie den neuen, vergleichenden Blick auf die Welt auch Dinge in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten sein, die vorher nicht von so großer Bedeutung gewesen sein werden. Dazu werden z.B. der Erdboden bzw. die Erde als Ganzes, der Regen, Trockenzeiten, Aussaattermine und ähnliches gehört haben. Man kann vermuten, daß diese neuen Dinge mithilfe der bereits bekannten Dinge und der Bilder aus den bisherigen Weltvorstellungen beschrieben worden sind. Doch das gehört schon in das nächste Kapitel über die religiöse Situation der Erbauer von Göbekli Tepe.

Das Prinzip des Ordnens, dessen zeitlicher Aspekt der regelmäßige Rhythmus ist, ist ein wesentlicher Aspekt der Dinge, die Kinder benötigen, um sich sicher zu fühlen: Die Kinder wollen wissen, wo sie etwas finden, und ein in seinen Grundzügen geregelter Tagesablauf erleichtert Kindern und Eltern das gemeinsame Leben.

Dieses ordnende Prinzip findet sich bereits in der frühen Jungsteinzeit nicht nur in der Herstellung von rechteckigen Ziegeln und rechteckigen Häusern, sondern auch in der geplanten Anlage von Siedlungen, in denen die Gebäude nicht wahllos nebeneinander stehen, sondern nach einem Plan angeordnet sind, in dem die Wohnhäuser, die Werkstätten, die Gemeinschaftsgebäude, die Tempel usw. alle ihre eigenen „Viertel“ haben und alle Gebäude auf dieselbe Himmelrichtung hin ausgerichtet sind.

Diese Siedlungen sind zudem teilweise durch zusätzliche Baumaßnahmen wie Schutzmauern oder Dämme gegen Überschwemmungen umgeben.

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Diese Darstellung der Entwicklungen in der frühen Jungsteinzeit läßt möglicherweise den Eindruck aufkommen, als ob nach der Eiszeit die Jäger ganz plötzlich ihre Eigenständigkeit entdeckt hätten. Dies ist jedoch eher ein allmählicher Vorgang gewesen, der nach der Eiszeit sozusagen seine „kritische Masse“ erreichte und eine tiefe Verwandlung einleitete, die ihren prägnantesten Ausdruck in den T-Pfeiler-Tempeln fand.

Man kann durchaus die altsteinzeitlichen Höhlenmalerein, die um ca. 35.000 v.Chr. begonnen wurden und um ca. 12.000 v.Chr. endeten, als den Anfang dieser allmählichen Entfaltung einer Kultur ansehen, die dann in dem Tempelbau auf dem Göbekli Tepe ihren endgültigen Durchbruch fand.

Aus den altsteinzeitlichen Höhlenmalerein von La Marche und von Lussac-les-Chateau sind einige Portrait-Zeichnungen bekannt, die man als die Vorläufer der Tonstatuen aus der Zeit der T-Pfeiler-Tempel ansehen kann, die den Verstorbenen nachgebildeten wurden – auch wenn diese altsteinzeitlichen Portraits nicht im Zusammenhang mit einem Totenkult gestanden haben werden.

Auch in der individuellen Entwicklung gibt es kein bestimmtes Datum, an dem der Übergang von der oralen zur analen Phase stattfindet, sondern eher ein allmähliches Herantasten an die neue Verhaltensweisen.

Wie die folgenden Nachzeichnungen von acht Portraits aus den Höhlenmalerein von La Marche und von Lussac-les-Chateau zeigen, hat es auch in der Altsteinzeit durchaus schon einen Sinn für Individualität gegeben:

La Marche

La Marche

La Marche

La Marche

La Marche

La Marche

Lussac-les-Chateau

Lussac-les-Chateau

c) Die vorkeramische Phase der Jungsteinzeit: Spätzeit

Die Spätzeit der ersten Hälfte der Jungsteinzeit, in der es noch keine gebrannte Keramik gab, dauerte von 8.700 v.Chr. bis 6.600 v.Chr.

Der Ackerbau machte in dieser Zeit deutliche Fortschritte und wurde effektiver. Das frühere Sammeln wurde nun durch Aussaat, Beschützen der Felder u.ä. ergänzt. Da der Ackerbau viel Wasser benötigte, war es einfacher, ihn in den Tälern zu betreiben als oben auf den grasigen Hügeln, wo die Vorformen des Getreides wild wuchsen. Das bedeutete, daß die Menschen ihre großen, geordneten Jäger-Siedlungen auf den Hügeln aufgaben und kleine, meist ungeordnete Dörfer von wenigen Häusern in den Flußauen gründeten, wo sie Felder anlegten. Dies waren die ersten „richtigen“ Bauern. Dieser „Umzug“ fand um 8.000 v.Chr. statt. Lediglich in Zentralanatolien behielten die Menschen die geordnete Bauweise vereinzelt weiterhin bei.

Zusätzlich zu den Schweinen wurden nun auch die Ziege und das Schaf domestiziert. Außerhalb des fruchtbaren Halbmondes entstanden damals parallel zu den Ackerbauern auch menschliche Gemeinschaften, die auf nomadische Weise nur von der Viehzucht lebten. Einige dieser Nomaden zogen durch das anatolische Hochland nach Norden und weiter zwischen dem Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer hindurch in die weiten südrussischen Steppen. Sie waren die Vorfahren der späteren Indogermanen.

Der Hausbau wurde verändert, um eine größere Sicherheit für die Bewohner zu erreichen. Zunächst waren die Häuser Nachbauten der altsteinzeitlichen Hütten aus stabileren Materialien gewesen, aber nun wurden die Eingänge auf das Dach verlegt, sodaß man zunächst von außen mit einer Leiter hinauf und dann mit Hilfe einer zweiten Leiter wieder durch die Luke hineinklettern mußte. Diese Konstruktion wurde erst jetzt dadurch ermöglicht, daß die Dächer stabil genug waren, um sie begehen zu können. Diese „Dachterrassen“ wurden vermutlich auch für die verschiedensten Tätigkeiten genutzt.

Ein ähnlicher Baustil findet sich auch bei den Tempeln von Göbekli Tepe, die auch keinen Eingang besitzen, sodaß man mithilfe von Leitern o.ä. über die Mauer in den Tempel hinein- und wieder hinausklettern mußte.

Die Wohnhäuser wurden deutlich komplexer und erhielten zum einen einen Unterbau aus vielen kleineren Vorratskammern sowie eine „Kanalisation“, die aus einem kleinen Abflußkanal bestand. Teilweise gab es unter den Vorratsräumen sogar noch flache Unterkammern, damit der Boden dieser „Kellerräume“ trocken blieb und die dort gelagerten Lebensmittel nicht verdarben.

Beide Neuerungen sind wieder Analogien zu den neuen Errungenschaften eines Kleinkindes zu Beginn der analen Phase: Das Kleinkind erlernt, windelrein zu werden (was der Kanalisation entspricht), und es lernt, über das Hier und Jetzt hinaus zu denken und kann durchaus verstehen, daß es dann, wenn es nicht gleich alle Süßigkeiten auf einmal aufißt, auch später noch welche haben wird (was der Vorratshaltung entspricht).

Es fällt auf, daß in vielen Siedlungen die Häuser nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet waren. Auch die Gemeinschaftsbauten bzw. Tempel im Zentrum der Siedlungen waren auf diese Weise ausgerichtet. Anfangs waren die Häuser in der Nord-Süd-Achse ausgerichtet und später in der Ost-West-Achse.

Diese Ausrichtung zeigt, daß das Abstraktionsvermögen der Menschen sich soweit entwickelt hatte, daß die Himmelsrichtungen nicht nur wie für den altsteinzeitlichen Jäger ein Mittel der Orientierung waren, damit er wieder zu seinem Lagerplatz zurückfand, sondern daß sie auch schon eine symbolische Bedeutung gehabt haben müssen, denn sonst gäbe es keinen Grund, die Häuser in vielen Siedlungen alle nach Süd-Nord bzw. nach Ost-West hin auszurichten.

Indirekt zeigt das auch, daß die Menschen in der frühen Jungsteinzeit den Sonnenstand beobachteten, denn nur dadurch konnte man die Himmelsrichtungen erfassen. Diese Sonnenbeobachtung zeigt sich auch daran, daß z.B. in Jericho ein Turm so errichtet wurde, daß der Schatten des Gipfels des höchsten Berges rings um Jericho beim Untergang der Sonne zur Sommersonnenwende genau auf diesen Turm traf.

Aus der damaligen Zeit stammen auch die ersten Wandmalereien in den Gebäuden. Sie unterscheiden sich deutlich von den rein assoziativ angeordneten Bildern der Höhlenmalerein aus der Altsteinzeit, die letztlich nur eine Ansammlung vieler Motive ohne räumliche Anordnung sind – ähnlich den Bildern eines kleinen Kindes auf einem Blatt Papier, auf dem die Bilder zwar thematisch zusammengehören, aber keinen räumlichen Bezug zueinander haben, der einer äußeren Gegebenheit entsprechen würde.

Die Darstellungen der Jungsteinzeit zeigen jedoch meistens schon eine räumlich gewollte Anordnung, Reihen sich wiederholender Motive oder größere geometrische Muster. Diese Form der Ordnung beruht auf der Analogie, die sortiert, gruppiert, zusammenfaßt und das Urbild z.B. durch seine Größe hervorhebt. Dieser Bezug der einzelnen Motive zueinander entspricht dem Bezug der einzelnen Worte in der Sprache zueinander, also der Grammatik.

Der nächste Schritt findet dann erst zu Beginn der Epoche des Königtums statt: Die Entdeckung der Grundlinie, die alle dargestellten Dinge zusammenfaßt und als Abbild des Außen betont. Das äußere Vorbild der Grundlinie sind der Erdboden und der Horizont.

In dieser zweiten Phase der ersten Hälfte der Jungsteinzeit wurde die Bearbeitung von gediegenem Kupfer entdeckt, das man durch Hämmern zu kleinen Geräten und zu Schmuck verarbeitete – noch vor der Erfindung der Töpferei.

d) Die Entdeckung der Töpferei

Die frühesten gebrannten Krüge aus Ton stammen aus China und wurden um 16.000 v.Chr., also noch während der Altsteinzeit hergestellt. Diese Entdeckung hatte sich zwar bereits nach 1.000 Jahren bis auf die japanischen Inseln ausgebreitet, aber nicht den Weg nach Westen in die vom Euphrat und Tigris durchflossene Ebene gefunden. Im fruchtbaren Halbmond ist die Töpferei erst 10.000 Jahre später unabhängig von China um 6.600 v.Chr. entdeckt worden.

Damals gelang es den Viehzüchtern auch, den Auerochsen zu zähmen, sodaß nun die Rinderzucht begann, die deutlich ertragreicher war als die Zucht von Ziegen oder Schafen. Sie ermöglichte auch eine größere Milchproduktion.

Die Eingänge der Häuser wurden in dieser Periode wieder ebenerdig angebracht. Möglicherweise hatte dies gleich drei Ursachen: das einfachere Betreten der Häuser, den verbesserten Schutz der Siedlungen durch Mauern und Wächter sowie die Möglichkeit, mithilfe der Tür und eines Dachloches den Rauch der Feuer in den Hütten abziehen lassen zu können. Der Ruß auf den Rippen der Skelette der Menschen, die in „Dachluken-Häusern“ wohnten, zeigt, daß die Bewohner dieser Art von Gebäuden aufgrund der schlechten Belüftung „Raucherlungen“ hatten.

Die bekannteste Siedlung aus der frühen Zeit der Töpferei ist Çatal Höyük, das 150 km nördlich von Göbekli Tepe am Ufer des Euphrats liegt. Diese Siedlung ist in mehreren Hinsichten eine Ausnahmeerscheinung: Zunächst einmal gibt es aus dieser Zeit keine andere derart große Siedlung, die über 3.000 Einwohner hat; dann sind in ihr sehr viele Wandgemälde erhalten geblieben sowie die früheste Statuette einer Göttin, die von zwei Panthern begleitet auf einem Thron sitzt und sich später in vielen Mythen als Löwengöttin wiederfindet; und schließlich war Çatal Höyük sozusagen das „Industrieviertel“ des Neolithikums im Bereich des fruchtbaren Halbmondes, da diese Stadt hauptsächlich von der Herstellung von Geräten aus Obsidian, den man in dem nahegelegenen Vulkan fand, lebte.

e) Göbekli Tepe

Die Tempel auf dem Göbekli Tepe stammen sowohl aus der frühen Pionierphase als auch aus der Spätphase der ersten Hälfte der Jungsteinzeit, also aus der Zeit, zu der es noch keine Töpferei gab. An den Tempelanlagen von Göbekli Tepe sind die beiden Phasen z.B. daran erkennbar, daß die frühen Anlagen rund bis oval angelegt worden sind, während die späteren Anlagen bereits rechteckig oder quadratisch waren.

Die Erbauer der frühen, runden Tempel waren noch fast ausschließlich Jäger, während die Erbauer der späteren Tempel schon mit dem Ackerbau begonnen hatten. Als die Bauern um 8.000 v.Chr. in die Flußauen und die Ebenen hinabzogen, da dort das für den Ackerbau notwendige Wasser vorhanden war, wurde Göbekli Tepe mit Geröll und Erde zugeschüttet und verlassen.

Die ältesten Anlagen auf dem Göbekli Tepe sind bisher noch gar nicht ausgegraben worden, da sie sich in der Mitte des künstlichen Hügels befinden, der dort 15m hoch ist. Dieser Hügel ist dadurch entstanden, daß die alten Tempelanlagen immer wieder einmal mit Geröll und Erde aufgefüllt und auf ihnen dann neue Tempel errichtet worden sind. Da die zweitoberste Schicht bereits bis 9.500 v.Chr. zurückreicht, kann man davon ausgehen, daß man schließlich unten in der Mitte des Hügels Anlagen finden wird, die noch aus der späten Mittelsteinzeit datieren.

Es muß hier also auch schon in der späten Mittelsteinzeit seßhafte Jäger und Sammler gegeben haben, für die der Göbekli Tepe der Nabel ihrer Welt gewesen ist. Genau dies ist auch die deutsche Übersetzung des türkischen Namens Göbekli Tepe: „Bauchberg“ oder „Nabelberg“.

Auf diesem frühneolithischen „Tempelberg“ fanden sich keine der üblichen Merkmale von Wohnsiedlungen wie Grundmauern, „Müllhalden“ von Küchenabfällen (Knochenreste) u.ä., weshalb es sicher ist, daß es sich bei den Anlagen um Gebäude mit einer religiösen Funktion handelt. Es fanden sich nur am Rande des Tempelbereiches einige kleine Unterkünfte, die vielleicht so etwas wie „Pilgerherbergen“, Wohnungen für die Steinmetze oder vielleicht für „Tempelwächter“ gewesen sind.

Die ca. 100.000 Knochenreste, die bisher auf dem Göbekli Tepe gefunden worden sind, stammen allesamt von den Resten der wilde Tiere, die die Menschen erlegtet und während ihrer Arbeit an den Tempeln verspeist (aufgehackte Knochen) haben. Die Knochen stammen zu über 60% von Gazellen, die somit das wichtigste Jagdtier gewesen sein muß. Der Speiseplan wurde durch Wildschwein, Schaf, Rothirsch sowie einem Dutzend verschiedener Vögel wie z.B. Geier, Enten, Gänse und Kranich ergänzt. Dieser Speiseplan zeigt, daß die Erbauer von Göbekli Tepe Jäger gewesen sind.

Wie auch schon in den altsteinzeitlichen Höhlenbildern unterscheidet sich der prozentuale Anteil der auf den T-Pfeilern dargestellten Tiere erheblich von dem prozentualen Anteil der Tiere auf dem jeweiligen Speiseplan und auch von ihrer Häufigkeit in der die Menschen umgebenden Natur. Daraus kann man mit Sicherheit schließen, daß die Bilder in den altsteinzeitlichen Höhlen und die Reliefs auf den T-Steinen von Göbekli Tepe weder einfache Abbildung der Natur noch Jagdzauber sein können. Die Tiere müssen folglich noch eine weitere, religiös-magische Bedeutung gehabt haben.

Göbekli Tepe könnte damals nicht nur das Heiligtum der Menschen in der fruchtbaren Ebene des Belich-Flusses gewesen sein, sondern weit darüber hinaus bekannt gewesen sein – zumindest zeigen die Funde von Schmucksteinen und Muscheln, daß es schon einen blühenden Handel bis nach Zypern im Mittelmeer, an das Rote Meer und an den indischen Ozean gegeben haben muß. Göbekli Tepe kann also nicht völlig isoliert in der damaligen Welt gestanden haben, auch wenn die Tempel möglicherweise von ihrer Funktion her an die Menschen in der Ebene des Belich-Flusses gebunden waren.

Die Zeit der Jäger von Göbekli Tepe ist auch keineswegs nur roh und unzivilisiert gewesen, wie die kunstvollen Knöpfe, Perlen und andere Gegenstände aus Obsidian, Feuerstein und gediegenem Kupfer zeigen. Auch die Herstellung der T-Pfeiler mit ihren Reliefs und Skulpturen, sowie die sehr sorgfältig gearbeiteten Steinhämmer und Steinäxte und sonstigen steinernen Geräte, die man auf dem Tempelberg fand, zeigen, daß es eine sehr fortschrittliche handwerkliche Kultur gegeben haben muß – auch wenn das bearbeitete Material „nur“ Stein war.

Die Steinbrucharbeiten sind eine nicht zu unterschätzende Aufgabe gewesen: Mit ihren Steinhämmern schlugen die Erbauer von Göbekli Tepe einen schmalen Graben in den gewachsenen Felsen rings um den Teil des Felsens, aus dem sie einen T-Pfeiler herstellen wollten, unterhöhlten ihn dann und brachen ihn dann vom Untergrund ab. Auf dieselbe Weise haben auch noch 7.500 Jahre später die Ägypter ihre Obelisken aus dem massiven Fels herausgearbeitet.

Diese Steinbrüche lagen ca. 100m bis 300m von dem eigentlichen Tempelhügel entfernt auf der Kuppe des Göbekli Tepe außerhalb des Tempelbezirkes. Um einen 10t schweren T-Pfeiler mithilfe von Rollen (Holzstämmen) ziehen zu können, brauchte man mindestens 40 Personen. Ohne die Rollen wären es sogar 150 Personen – und es ist unwahrscheinlich, daß schon damals das „Rad“ in dieser Form bekannt gewesen ist, da selbst die Ägypten ihre z.T. über 500t schweren Obelisken mithilfe von hölzernen Schlitten über Sand und Öl gezogen haben statt über quer zur Zugrichtung unter dem Obelisken liegende Rollbalken.

Da die größten T-Pfeiler in Göbekli Tepe über 20t wiegen, müssen für den Transport und die Aufrichtung dieser Pfeiler für einige Tage 500 Menschen nur für die Arbeit an dem Pfeiler zusammengekommen sein. Zusätzlich muß es dann auch noch „Küchenpersonal“ u.ä. gegeben haben.

f) Die Entwicklungsdynamik zu Beginn der Jungsteinzeit

Bis vor wenigen Jahren war es noch die allgemein anerkannte Ansicht, daß der Ackerbau größere Gemeinschaften ermöglicht hat, die dann wiederum komplexere soziale Strukturen entwickelt haben, die dann ihrerseits in neuen religiösen Formen Ausdruck gefunden haben.

Diese Reihenfolge mußte durch die Entdeckung von Göbekli Tepe neu geordnet werden. Die Entwicklung könnte nach Einbeziehung der Funde von Göbekli Tepe wie folgt ausgesehen haben:

Durch den Reichtum an Jagdwild in dem wärmeren Klima nach dem Ende der Eiszeit entstanden deutlich größere zusammenlebende Menschengruppen als zuvor. Dadurch bildeten sich komplexere soziale Strukturen, die zur Ausbildung der neuartigen Form der Informationsverarbeitung mithilfe von Analogien führte, da die komplexen Situationen mit ihren zeitweise über 2.000 Menschen umfassenden Gruppen nur durch die damals neuartigen Vergleiche und Abstraktionen erfaßt werden konnten.

Aus diesem neuen Prinzip ergaben sich dann Urbilder und auch ein neues, gegenüber der Umwelt distanzierteres Bewußtsein: Eine Assoziation ist direkter und mit der Sache selber verbunden, während ein Vergleich eine abstrakte Beschreibung einer Gruppe von gleichartigen Dingen ist. Dieses „Neue Denken“ hat dann zu einer abstrakteren Beschreibung der Welt geführt, die nicht mehr das konkrete, persönliche Erlebnis eines Menschen abbildete, sondern sozusagen den Standartcharakter von Dingen und den Standardverlauf von Situationen beschrieb. Die Gesamtheit solcher Beschreibungen bei einem Volk ergeben dann ihre Mythen.

Dieses Neue Denken, das aus einer beobachtenden Distanz und der Verwendung von Vergleichen bestand, ermöglichte es, von dem früheren Leben im Hier und Jetzt zu einer Gestaltung des eigenen Lebens und der eigenen Umwelt zu gelangen. Zunächst einmal zeigte sich diese neue Qualität in der Entdeckung des rechten Winkels, durch den man stabile Strukturen, insbesondere Ziegelhäuser, errichten konnte.

Die Kombination der Entdeckung dieses Neuen Denkens mit der Entdeckung der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten führte zum Erbauen der Tempel von Göbekli Tepe. Diese Tempel sind die Darstellung der Essenzen dieses Neuen Denkens, also der mythologischen Weltbeschreibung, mithilfe der durch rechte Winkel geprägten T-Pfeiler von Göbekli Tepe.

Eine weitere, aber erst später reifende Anwendung dieses Neuen Denkens war dann die Gestaltung der eigenen Umwelt mithilfe von Ackerbau und Viehzucht.

1. D Die religiöse Situation

a) Die Zeit vor Göbekli Tepe

Um die Tempel von Göbekli Tepe zu verstehen, ist es hilfreich zu betrachten, aus welcher Situation heraus sie entstanden sind und welche religiösen Vorstellungen es zu diesem Zeitpunkt bereits gegeben hatte. Die Mittelsteinzeit als der Ausgangspunkt der Veränderungen in der frühen Jungsteinzeit liegt zwar schon lange zurück, aber es sind dennoch einige Dinge über das damalige Weltbild bekannt.

Am einfachsten und deutlichsten ist in der Alt- und Mittelsteinzeit zunächst die Bedeutung der Mutter zu erfassen. Sie wurde seit ca. 35.000 v.Chr. in der Form von Hunderten von kleinen Statuetten vor allem aus Stein von den damaligen Menschen hergestellt. Es wurden auch einige wenige Männerfiguren angefertigt und ebenso auch Tiere, aber die Frauenfiguren sind eindeutig prägend.

In der oralen Phase in der Biographie eines Individuums, die der Alt- und Mittelsteinzeit in der Geschichte der Menschen entspricht, findet sich diese Mutterbezogenheit in der großen Bedeutung der Mutter für das Baby wieder, die sich u.a. auch in fast jeder Therapie sehr deutlich zeigt.

Dieses Mutterbild der Menschen der Alt- und Mittelsteinzeit könnte man die „Große Mutter“ nennen. Anhand der Statuetten, Reliefs und Höhlenmalereien lassen sich zunächst fünf mit ihr verbundene Symbole erfassen:

Sie hat eine große Leibesfülle. Dies wird sie wahrscheinlich als die Ernährerin darstellen und indirekt auch als die Schwangere, d.h. die alle Menschen Gebärende.

Sie wurde mit einem Horn in ihrer Hand dargestellt. Dieses Horn wird vermutlich ihren Schoß und indirekt daher auch ihr Muttersein symbolisiert haben. Die Wahl eines Hornes als Symbol ist auch noch eine Assoziation zu den Rindern. Die wesentliche Qualität der Rinder und aller anderen Herdentiere ist der Umstand, daß sie in Herden auftreten, d.h. daß sie viele sind. Da sie viele sind, müssen sie demnach fruchtbar sein und erfolgreich viele Kinder zur Welt bringen. Das Horn in der Hand der Großen Mutter ist folglich wohl auch als ein (magischer) Wunsch zu verstehen: „Große Mutter, laß uns zahlreich wie die Rinder in ihren Herden sein!“ Durch die Verallgemeinerung dieses Symboles entstand sehr viel später das Füllhorn.

Es gibt einige Darstellungen, in denen die Gestalt der Großen Mutter in die einer Kuh übergeht. Sie bestätigen die Assoziation zwischen den beiden, die die Fruchtbarkeit der großen Mutter betonen soll.

An einem großen Teil der späteren Statuetten stehen die Frauen mit angewinkelten Knien und in der Hüfte vornübergebeugt. Da bei den feiner ausgearbeiteten Statuetten zudem fast immer Scham und Brüste betont worden sind, könnte man diese Z-förmige Haltung entweder als eine Haltung bei einer sexuellen Vereinigung oder als eine Haltung des Gebärens auffassen – zumindestens wird durch diese Z-Haltung der Schoß betont.

Schließlich gibt es eine Darstellung der großen Mutter, auf der sie wie auf einer Skatkarte doppelt erscheint. Daraus wird man schließen können, daß die große Mutter zwei Aspekte gehabt haben wird. Die Art der Darstellung läßt vermuten, daß diese beiden Aspekte einen Gegensatz gebildet haben werden. Am naheliegendsten ist die Annahme, daß es sich dabei um das Diesseits und das Jenseits gehandelt hat.

Die Große Mutter würde demnach sowohl im Diesseits als auch im Jenseits das Gebären und das Ernähren darstellen, was im Grunde selbstverständlich ist, da dies die primären Funktionen der Mutter für ihr Kind sind.

Kuh/Frau-Mischformen

gebückte Frau

Frau mit Horn

doppelte Frau

Die Annahme, daß die doppelte Darstellung der Großen Mutter auf Diesseits und Jenseits hinweist, setzt natürlich die Vorstellung eines Jenseits voraus, die sich ihrerseits nur aus der Ansicht, daß es eine Seele gibt, die den Tod überdauert, bilden kann.

Es gibt ein Erlebnis, das sehr eindrücklich die Existenz einer Seele zeigt, d.h. eines bewußten Elementes im Menschen, das unabhängig von seinem materiellen Körper existiert. Diese Erfahrung tritt am häufigsten in Gefahrensituationen auf und wird Nahtod-Erlebnis genannt. Über diese Erlebnisse berichten die Menschen stets, daß sie ihren Körper verlassen und über ihm geschwebt haben, sodaß sie sich selber unter sich liegen sahen. In diesem Zustand konnten sie sehen und hören, was an dem Ort, an dem sie sich befanden, geschah, und sie konnten sich auch von diesem Ort fortbewegen. Dies war ihnen möglich, obwohl sie in vielen Fällen bereits klinisch tot waren.

Die Funktion dieses Verlassens des eigenen Körpers ist leicht einzusehen, wenn man von der Existenz einer solchen eigenständig existierenden Seele ausgeht: Wenn vor einem der hungrige Löwe brüllt, man alleine und ohne Waffen ist und hinter einem ein steiler Abgrund jede Flucht unmöglich macht, gibt es keine Möglichkeit mehr, sich zu retten. Offenbar beschließt die Seele in solchen Situationen, daß es besser ist, den Körper aufzugeben und auf das Erlebnis der Schmerzen, wenn man von dem Löwen zerrissen wird, zu verzichten.

Das Verlassen des eigenen Körpers kann entweder durch äußere Umstände (z.B. bevorstehender Tod), durch den Zustand des Körpers (z.B. schwere Krankheit) oder einen Schock ausgelöst werden. Im ersten und zweiten Fall würde man den daraus resultierenden, bewußtlosen Zustand eher einen Nahtod-Erlebnis nennen und in dem dritten Fall wahrscheinlich eher eine Ohnmacht.

Auslöser für solch ein Verlassen des materiellen Körpers mit der Seele können in der heutigen Zeit Unfälle, Gefahrensituationen, Kriegserlebnisse, Operationen, Bedrohungen, Mißbrauch und ähnliches mehr sein. Bis vor ca. 40 Jahren, als bei Operationen allgemein noch mit Chloroform betäubt wurde, kam es sehr häufig vor, daß sich der Patient während der Operation zumindest zeitweilig selber von oben her bei der OP zuschaute. Die modernen Betäubungsmittel haben mittlerweile nicht mehr diesen Nebeneffekt.

Die eben genannten Situationen sind oft auch die Auslöser für die Entstehung eines Traumas. Daher zählt in der Traumatherapie das Verlassen des eigenen Körpers zu den häufigsten Symptomen. Dies wird in diesem Zusammenhang meist Dissoziation genannt.

Was wird ein Neandertaler wohl seinem Bruder erzählt haben, wenn er bei einem Nahtod-Erlebnis über sich selber geschwebt und den eigenen materiellen Körper dabei von oben her gesehen hat?: „Ich war wie ein Vogel – ich habe über mir geschwebt.“

Aus diesem Erlebnis wird auch schon der Neandertaler wie die heutigen Menschen geschlossen haben, daß es etwas in ihm gibt, daß nicht an den eigenen materiellen Körper gebunden ist und das daher wohl auch nicht von dem Tod des materiellen Körpers betroffen ist.

Auf diese Weise könnte, sobald die Menschen die Sprache entwickelt hatten und sich solche Erlebnisse gegenseitig mitteilen konnten, die Vorstellung einer Seele entstanden sein. Da die ersten bekannten Bestattungen 280.000 Jahre alt sind und Bestattungen ohne die Vorstellungen, daß es eine Seele gibt, nur recht begrenzt Sinn ergeben, kann man davon ausgehen, daß die Seelenvorstellungen zumindest bis zu dem Homo erectus und den Neandertalern zurückreichen.

Für diese Annahme spricht auch, daß man in einigen Gräbern von dem Mund des Toten eine Spur aus Ocker bis an die Oberfläche gelegt hat, was man eigentlich nur so deuten kann, daß der Tote symbolisch weiteratmen können sollte. Da der Tote aber eben tot war, kann sich dieses Arrangement nur auf die Seele des Toten bezogen haben.

Ein weiterer Hinweis darauf, daß auch schon den frühesten Menschen das Verlassen des eigenen Körpers bei einem Nahtoderlebnis bekannt gewesen ist, besteht in der Beobachtung, daß es auch bei Tieren Ohnmachten in Gefahrensituationen gibt. Am bekanntesten sind sie vermutlich, zumindest in bäuerlichen Gegenden, von den Hühnern, die bei großer Gefahr manchmal wie tot umfallen, aber sich dann später wieder erheben. Wenn es dieses Verlassen des eigenen Körpers sowohl bei den heutigen Menschen als auch bei den Tieren vorkommt, dann sollte es auch den Menschen in der Steinzeit geläufig gewesen sein.

Aus dem Bild des Vogels, daß damals vermutlich für die Beschreibung des Schwebens bzw. Fliegens während des Nahtoderlebnisses benutzt wurde, ergab sich die weltweit verbreitete Symbolik des Seelenvogels. Diese Symbolik ist deshalb so allgegenwärtig, weil sie zum einen so naheliegend ist und weil sie durch jedes neue Nahtoderlebnis eines Menschen wieder als sinnvoll und treffend bestätigt wird.

Die älteste Darstellung eines Seelenvogels stammt aus den Höhlenmalerein von Lascaux und die bekannteste aus Ägypten:

Seelenvogel, Lascaux, Altsteinzeit

Mumie und Seelenvogel („Ba“), Ägypten

Es ist durchaus möglich, solche „out of body“-Erlebnisse, wie sie im englischsprachigen Raum genannt werden, bewußt zu wiederholen. Sie werden in der sie beschreibenden Literatur meist „Astralreise“ genannt. Diesen Begriff leitet sich von der Bezeichnung „Astralkörper“ („Sternenkörper“) ab, den der Arzt Paracelsus für die „Lebenskraft“ im Menschen geprägt hat.

Dieses bewußte Verlassenkönnen des eigenen Körpers bedeutet, daß man dann bewußt im Bereich der Seelen ist und von dort aus daher auch einfacher mit den Seelen anderer lebender Menschen und auch mit den Seelen der Verstorbenen Kontakt aufnehmen kann. Diese drei Fähigkeiten, also die Astralreise, der Kontakt zu den Seelen der Lebenden und der Kontakt zu denen der Ahnen sind die drei Merkmale, die einen Schamanen ausmachen, der bezeichnenderweise stets durch ein Nahtoderlebnis zu seiner Berufung auserwählt wird.

Der Schamane ist weltweit der früheste erfaßbare „religiöse Spezialist“. Seine Tätigkeit beruht fast vollständig auf seiner Fähigkeit, mithilfe von gezielt herbeigeführten Astralreisen den Kontakt zu den Ahnen herstellen zu können.

Die Wichtigkeit der Ahnen ist sowohl ein wesentliches Merkmal des Schamanismus als auch allgemein der Religionen der Naturvölker und der frühesten schriftlich überlieferten Religionen. Der Grund dafür ist, daß die Menschen damals so gut wie alles von ihren Eltern durch Nachahmung erlernten: Die Eltern waren diejenigen, die wußten „wie Leben geht“. Dieses Lernen durch Nachahmung entspricht dem Prinzip der Assoziation – es ist das älteste Lernprinzip, daß auch von den höheren Tieren gut bekannt ist.

Die Nachahmung der Eltern ist die intensivste Prägung, da sie nach den Instinkten, die reflexhaft ablaufen und bereits bei der Geburt festgelegt sind, die zweitälteste Schicht der Psyche der Menschen ist – sowohl kollektiv als auch individuell. Die Realität dieser Prägung und zugleich auch die Wirksamkeit des Kontaktes mit den eigenen Ahnen kann man am einfachsten und am eindrücklichsten bei Familienaufstellungen kennenlernen. Dies ist eine Therapiemethode, die Bert Hellinger von afrikanischen Schamanen erlernte und für die westliche Welt weiterentwickelte.

Es ist recht wahrscheinlich, daß sich ein Mensch, der damals in der Altsteinzeit ein Nahtoderlebnis gehabt hat und dieses Erlebnis nutzen wollte, an einen Schamanen gewendet haben wird, um von ihm zu erfahren, wie er dieses Verlassen des eigenen Körpers und die damit verbundene Möglichkeit des Kontaktes zu den Ahnen im Jenseits absichtlich herbeiführen konnte. Dadurch werden die ersten sippenübergeordneten Gemeinschaften entstanden sein, die auf der Verbindung eines Schamanen zu seinen Schülern beruhte, denn es ist recht unwahrscheinlich, daß es in jeder der ca. ein Dutzend Menschen umfassenden Jagdgruppen einen Schamanen gegeben haben wird.

Diese ersten nichtfamiliären Schamanen-Gemeinschaften waren die ersten „gemeinnützigen Vereine“.

Wenn man einmal betrachtet, auf welche Weise Kinder das Sprechen erlernen, fällt vor allem auf, daß sie zunächst einmal nur Substantive benutzen und ihre Absicht durch die Betonung des Wortes, die Lautstärke ihrer Stimme und evtl. durch Gesten ausdrücken. Dies liegt daran, daß Substantive am einfachsten zu erfassen sind und man dazu nur Assoziationen benötigt: Es genügt, etwas in die Hand zu nehmen und dann das Wort dieser Sache auszusprechen.

Verben sind schon abstrakter, da sie Vorgänge bezeichnen, die im Zusammenhang mit verschiedenen Dingen auftreten können. Dasselbe gilt für Adjektive. Völlig abstrakt sind dann Worte wie „nichtsdestotrotz“ u.ä., die abstrakte Zusammenhänge zwischen ganzen Aussagen ausdrücken.

Interessant für die Betrachtung des Weltbildes der Menschen in der Altsteinzeit ist vor allem eine sehr einfache Bildungsweise von Adjektiven, die auf der Assoziation beruht: Man kann eine Sache dadurch beschreiben, daß man sie mit einer anderen, gut bekannte Sache vergleicht, die das Merkmal, das man hervorheben will, in besonderem Maße besitzt.

Auf diese Weise war es z.B. möglich, das für alle anderen unsichtbare und daher abstrakte Fliegen beim Nahtoderlebnis durch ein „wie ein Vogel“ auszudrücken. Auf dieselbe Weise ist auch die Große Mutter „wie ein Rind“, also fruchtbar. Der starke und erfolgreiche Jäger ist demnach „wie ein Löwe“.