Griechisches Gift - Peter Pachel - E-Book

Griechisches Gift E-Book

Peter Pachel

0,0

Beschreibung

Hellblau leuchtet der Himmel über Paros. Katharina Waldmann bereitet sich auf das Osterfest vor. Auch einige Touristen verbringen bereits die Feiertage auf den Kykladen, so wie Marlene Winter, die sogar ein Grundstück auf der Nachbarinsel Amorgos erwerben will. Ein Treffen mit Makler Frank Felten soll die letzten Einzelheiten abklären. Doch das Abendessen in der traditionellen Taverne im Hafen von Naoussa verläuft tödlich für den Mitarbeiter der Immobilienfirma Dreamroom GmbH. Ein schrecklicher Verdacht kommt auf. Hat hier jemand nachgeholfen und wenn ja, wer hat es auf den unsympathischen deutschen Makler abgesehen? "Eine spannende, hitzeflirrende ›Wer war's?‹-Geschichte. Peter Pachel feiert die griechische Küche." schrieb die Zeitschrift BRIGITTE über den ersten Fall der deutsch-griechischen Kommissarin Waldmann in "Maroulas Geheimnis". Im zweiten Fall dienen die weiß-blauen Kykladeninseln, enge Gassen, weite Strände und klares Wasser erneut als Kulisse für die Ermittlungen. Die Auswahl an Kochrezepten am Ende des Buches rundet das kriminalistische Abenteuer in der Ägäis ab.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 317

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Peter Pachel

Griechisches Gift

Kommissarin Katharina Waldmannermittelt auf Paros

Krimi

Für alle Langzeit-Griechenland-Begeisterten und alle,die es werden wollen.

»Er aber ging umher, und als er merkte, dass ihm die Schenkel schwer wurden, legte er sich gerade hin auf den Rücken: denn so hatte es ihn der Mensch geheißen. Darauf berührte ihn eben dieser, der ihm das Gift gegeben hatte, von Zeit zu Zeit und untersuchte seine Füße und Schenkel. Dann drückte er ihm den Fuß stark und fragte, ob er es fühle; er sagte: ›Nein‹. Und darauf die Knie, und so ging er immer höher hinauf und zeigte uns, wie er erkaltete und erstarrte. Darauf berührte er ihn noch einmal und sagte, wenn ihm das bis ans Herz käme, dann würde er hin sein.«

Platon: Phaidon (übersetzt von Friedrich Schleiermacher)

Inhalt

HEIMAT AIGIALI, AMORGOS, APRIL 2010

KATHARINA WALDMANN AMBELAS, PAROS, APRIL 2012

MARLENE WINTER STUTTGART

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

STEFANOS KOURAKIS NAOUSSA, PAROS

GEORGIOS APOSTOLOPOULOS LAGERI, PAROS

KATHARINA WALDMANN NAOUSSA, PAROS

BRIAN PANTOULIS NEW YORK

FRANK FELTEN FRANKFURT, DREAMROOM GMBH

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

MARLENE WINTER STUTTGART

KATHARINA WALDMANN PARIKIA, PAROS

STEFANOS KOURAKIS NAOUSSA, PAROS

MARLENE WINTER PAROS, FLUGHAFEN

GEORGIOS APOSTOLOPOULOS NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN ASMBELAS, PAROS

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

STEFANOS KOURAKIS NAOUSSA, PAROS

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN AMBELAS, PAROS

KATHARINA WALDMANN NAOUSSA, PAROS

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN NAOUSSA, PAROS

FILIPPOS PANOS NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN PARIKIA, PAROS

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

KATHARINA WALDMANN PARIKIA, PAROS

GEORGIOS APOSTOLOPOULOS LAGERI, PAROS

FILIPPOS PANOS PARIKA, PAROS

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN AMBELAS, PAROS

KATHARINA WALDMANN PARIKIA, PAROS

STEFANOS KOURAKIS NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN NAOUSSA, PAROS

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

KATHARINA WALDMANN PARIKIA, PAROS

GEORGIOS APOSTOLOPOULOS LAGERI, PAROS

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN ERMOUPOLIS, SYROS

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

THOMAS KRÄMER NAOUSSA, PAROS

FILIPPOS PANOS NAOUSSA, PAROS

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

FILIPPOS PANOS NAXOS, STADT

KATHARINA WALDMANN ERMOUPOLIS, SYROS

STEFANOS KOURAKIS AIGIALI, AMORGOS

KATHARINA WALDMANN AIGIALI, AMORGOS

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN AIGIALI, AMORGOS

MARLENE WINTER NAOUSSA, PAROS

KATHARINA WALDMANN AIGIALI, AMORGOS

MARLENE WINTER AIGIALI, AMORGOS

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

KATHARINA WALDMANN AIGIALI, AMORGOS

MARLENE WINTER AIGIALI, AMORGOS

THOMAS KRÄMER AIGIALI, AMORGOS

KATHARINA WALDMANN AIGIALI, AMORGOS

THOMAS KRÄMER AIGIALI, AMORGOS

KATHARINA WALDMANN AIGIALI, AMORGOS

KONSTANTINOS KARAFOUDIS AMORGOS, KLOSTER CHOZOWIOTISSA

KATHARINA WALDMANN AIGIALI, AMORGOS

KONSTANTINOS KARAFOUDIS AMORGOS, KLOSTER CHOZOWIOTISSA

KATHARINA WALDMANN ›O ILIOS‹, AMORGOS

KONSTANTINOS KARAFOUDIS AMORGOS BRACHLAND

KATHARINA WALDMANN ›O ILIOS‹, AMORGOS

KATHARINA WALDMANN AIGIALI, AMORGOS

PERSONEN UND LOKALES

PAROS LANDKARTE

BIOGRAPHISCHES

HEIMAT AIGIALI, AMORGOS, APRIL 2010

Jannis Pantoulis sog kräftig die frische Morgenluft ein und machte sich auf den Weg ins Dorf für ein paar Besorgungen. Es war noch früh und angenehm kühl, als er die vielen Stufen zu dem kleinen Pfad hinauf stieg, der weit oberhalb seines Grundstücks entlang führte. Wieder einmal konnten seine Augen sich kaum satt sehen an der Schönheit seines Heimatortes, auf die er so lange hatte verzichten müssen.

Jedes Mal erlebte er diese Gefühle in den ersten Tagen so intensiv, wenn er nach fast sechs Monaten harter Arbeit in New York zurück in seine alte Heimat kam, in der er nun bis Oktober bleiben würde. Diesen Rhythmus pflegte er seit fast dreißig Jahren, und langsam musste er eine Entscheidung treffen, wie und wo er seinen letzten Lebensabschnitt verbringen wollte. Nachdem seine Frau verstorben war, hielt ihn nicht mehr viel in der amerikanischen Metropole, die ihm, selbst nach so langer Zeit, nie wirklich ein Gefühl von Heimat vermittelt hatte. Mit dieser fälligen Entscheidung haderte er schon länger, zumal es ihm in all den Jahren nicht gelungen war, seinen Sohn für das geliebte Amorgos zu begeistern. Er allein konnte das großzügige Stück Land nicht mehr bewirtschaften, aber jetzt hatte man ihm ein sehr interessantes Angebot gemacht.

Der kleine Weg oberhalb seines Hauses war unwegsam und führte zunächst ein Stück an der Steilküste entlang, bis er später in einen breiten Kieselstrand nahe dem Ortseingang von Aigiali mündete. Hier kannte er beinahe jeden; am Abend ging er regelmäßig in die gesellige Taverne, nicht nur zum Essen, sondern insbesondere, um am gesellschaftlichen Leben des Dorfes teilzunehmen.

So war es auch an jenem Abend des 10. April, als er nach einem arbeitsreichen Tag auf seinen Feldern hungrig das urige Restaurant betrat. Es war brechend voll, und er hatte Glück, noch einen kleinen Tisch nahe am Ausgang zu ergattern, stets beobachtet von einer Person, die ihn voller Ungeduld erwartet hatte.

Von dem mit Heißhunger bestellten Mahl sollte Jannis Pantoulis jedoch an diesem Abend nichts mehr genießen können, denn eine gute Stunde später wurde nur noch sein Tod festgestellt.

KATHARINA WALDMANN AMBELAS, PAROS, APRIL 2012

Katharina Waldmann hatte sich ihren alten Schaukelstuhl auf die Terrasse geholt und war voller Zuversicht, ihn endlich dort stehen lassen zu können. Ein altes Erbstück, an dem ihr Herz hing, eines der wenigen Möbel, die sie von Athen mitgenommen hatte. Bislang hatte sie ihn immer wieder zurück ins Haus tragen müssen, denn der in den Wintermonaten fallende Regen und der kalte Nordwind bekamen dem alten Stück nicht gut. So langsam setzte sich aber die Sonne durch, und wenn es windstill war, konnte man sogar ohne Jacke draußen die Wärme genießen.

Es war Anfang April. Noch kämpfte die Sonne um ihre Vormachtstellung nach einem ungewöhnlich langen Winter in Katharinas neuer Heimat. Ein schönes Gefühl, dem Ende des unwirtlichen Wetters auf Paros entgegensehen zu können. Ab jetzt ging es mit großen Schritten auf den Sommer zu, und Katharina freute sich auf das bevorstehende Osterwochenende. Das ganze Dorf engagierte sich bereits lustvoll in den Traditionen der ›Megali Evdomada‹, der Großen und Heiligen Karwoche vor Ostern.

Katharina war das ganze Spektakel fast zu viel, da kam sie ganz nach ihrem deutschen Vater, was ihre griechische Mutter bis heute nicht verstand. Sie war ein Kind zweier Kulturen, das spürte sie in vielen Lebenslagen und hatte dies oft als äußerst positiv empfunden. So war es zum großen Teil ihren deutschen Wurzeln und den typisch deutschen Eigenschaften ›Fleiß und Disziplin‹ zu verdanken, dass sie es beruflich so weit geschafft und man ihr vor einigen Jahren die Leitung der Mordkommission in Athen übertragen hatte. Jedoch, bei der Pflege griechischer Traditionen sah sie die Dinge wesentlich entspannter.

Katharina nahm es auch mit der vierzigtägigen Fastenperiode vor Ostern, der ›Nistía‹, nicht so genau und gönnte sich durchaus hin und wieder ein Stück Fleisch, was eigentlich während der Zeit zwischen Karneval und Ostern nicht gegessen werden sollte, besonders in der Karwoche, wo zusätzlich das Öl auf der Tabuliste steht. Gemäß der Regel ›nur was aus der Erde wächst‹ stehen Gemüse, Obst und Reis auf dem Speiseplan. Demnach könnte die griechische Fastenzeit als ›fast‹ vegan bezeichnet werden, wäre da nicht eine weitere Maßgabe, die erlaubt, Lebensmittel zu essen, die kein Blut enthalten. Somit kommen zur Fastenzeit auch Meeresfrüchte und Schnecken zum Einsatz.

Zum großen Fest hatten sich Katharinas Eltern angekündigt, ganz gespannt darauf, wo und wie ihre Tochter jetzt lebte. Mit ihnen gemeinsam und ein paar Freunden würde sie am Samstag die Ostermesse in Naoussa besuchen. Katharina war während des übrigen Jahres eher selten in einer Kirche anzutreffen, aber zu Ostern stand die Mitternachtsmesse mit ihrer Familie immer auf dem Programm. Sie war sich sicher, dass es ihren alten Herrschaften auf Paros gut gefallen würde: Das gesamte Dorf, hatte Katharina erfahren, traf sich auf dem großen Kirchplatz vor der Panagía-Kirche, die mit ihren zwei weißen Glockentürmen weit sichtbar auf einem Hügel über der Stadt thronte. Nachdem das Licht entfacht und zwischen den Anwesenden weitergereicht war, würde jeder mit seiner Kerze nach Hause gehen und das schwarze Kreuzzeichen über der Haustür aus den Vorjahren mit der brennenden Kerze überzeichnen, um sich anschließend mit Freunden und Familie zum Fastenbrechen zu versammeln. Dieses Jahr würde ihre Mutter die traditionelle Ostersuppe – Majirítsa – zubereiten. Schon dreimal hatte sie angerufen, ob auch wirklich alle Zutaten vorrätig seien. Die normalerweise im engsten Familienkreis stattfindende Feier am Ostersonntag würde bei Katharina in diesem Jahr etwas größer ausfallen, denn sie hatte kurzentschlossen viele Freunde an diesem Tag eingeladen, um in erweiterter Runde endlich ihre neue Bleibe einzuweihen.

Die lange kalte Jahreszeit war eine neue Erfahrung für die Kommissarin gewesen, so entbehrungsreich hatte sie sich die Wintermonate ganz und gar nicht vorgestellt. Ambelas hieß der verschlafene Fischerort im Norden der Insel, wo sie jetzt lebte. Das kleine Nest wurde von Touristen oft als ›World's End‹ beschrieben, weil die einzige Hauptstraße des Dorfes auf einem runden Platz am Meer einfach endete. Von diesem Platz aus hatte man einen wunderbaren Blick über das funkelnde Meer auf die Nachbarinsel Naxos, die so nah erschien, als ob man hinschwimmen könnte. Von Anfang an hatte dieser Ausblick Katharina fasziniert, obwohl ihr bewusst war, dass es in der dunklen Jahreszeit verdammt einsam werden konnte.

So war sie sich auch im ersten Winter etwas verlassen vorgekommen, aber bis nach Naoussa, dem lebendigen Touristenort, waren es ja nur ein paar Autominuten. Leider war ab November auch dort nicht mehr viel los; an diese Ruhe hatte sie sich gewöhnen müssen. Zum Glück gab es in ihrem neuen Haus viel zu tun. So hatte sie sich die rauen Winterabende mit Handwerksarbeiten vertreiben können.

Erst im September letzten Jahres war Katharina von Athen nach Paros gezogen, nachdem endlich für sie ein geeigneter Nachfolger in der Athener Mordkommission gefunden wurde; das war die Bedingung für ihren Wechsel gewesen. Lange hatte sie diesem Zeitpunkt entgegen gefiebert.

Der Abschied war ihr nicht schwer gefallen. Sie hatte der Großstadt den Rücken kehren wollen, diesem urbanen Moloch, wo die Krise im Alltagsleben zunehmend ihr brutales Gesicht offenbarte. Ganze Bezirke verwahrlosten. Es tat ihr in der Seele weh, ihre Stadt in einem so traurigen Zustand zu erleben. Immer mehr Bürger, die ihren Job verloren hatten oder denen die Rente drastisch gekürzt worden war, lebten auf der Straße. Die pure Verzweiflung sprach aus ihren Augen. Gewaltdelikte hatten enorm zugenommen, und das Dezernat hatte alle Hände voll zu tun, die ansteigende Kriminalität in den Griff zu bekommen.

Auch auf Paros zeigten sich die Auswirkungen. Hier waren die Umsätze in der letzten Saison dramatisch eingebrochen, viele griechische Urlauber waren ausgeblieben. Die konnten sich einen Urlaub auf einer ihrer eigenen Inseln nicht mehr leisten, und deren Geld fehlte nun vielen Hotel- und Pensionsbesitzern ebenso wie dem örtlichen Handel.

Nachdem Ende Oktober die letzten Touristen Paros verlassen hatten, gab es kein anderes Thema mehr als die wirtschaftlichen Probleme, und Katharina war froh, einen krisensicheren Job bei der Polizei in Parikia zu haben. Den Arbeitsplatz hatte sie ihrem langjährigen Freund Adonis zu verdanken, der sie nach ihrem Diensteinsatz im Mai des vergangenen Jahres als seine Nachfolgerin vorgeschlagen hatte. Jetzt war sie die Leiterin der hiesigen Polizeibehörde auf Paros und konnte es endlich etwas gemächlicher angehen lassen. In den ersten Monaten hatte sie sich regelrecht zur Ruhe zwingen müssen. Zu lange war sie der ständigen Hektik des Athener Kommissariats ausgesetzt gewesen. Als sich im Spätherbst der Inselalltag mehr und mehr beruhigte, spürte Katharina, dass sie langsam angekommen war. Adonis hatte sich während der ersten zwei Monate fast täglich auf der Polizeistation blicken lassen, um sie in ihrer neuen Aufgabe zu unterstützen. Mittlerweile erfreute sich der Ex-Polizist seines wohlverdienten Ruhestandes. Vom Kollegenkreis in Paros war die neue Kommissarin mit viel Respekt aufgenommen worden; den hatte sie sich im letzten Jahr durch die schnelle Aufklärung des spektakulären Mordfalls Jannis Kostatídis erworben.

Jetzt saß sie gedankenversunken in ihrem alten Schaukelstuhl und genoss die wohligen Sonnenstrahlen, während ihr Blick stolz zu der offenen Küche schweifte. In diese hatte sie die meiste Zeit investiert, für Katharina war es der wichtigste Raum im ganzen Heim. Nicht, dass die Küche der Vorbesitzerin zu alt gewesen wäre. Sie hatte ihr einfach nicht gefallen, und so hatte sie sich eben eine neue gebaut, ganz nach ihren Wünschen und Vorstellungen.

Hätte sie zur Miete gewohnt, wäre eine solche Investition niemals in Frage gekommen. Aber die damalige Hauseigentümerin Stella Koutzári hatte ihr einen so günstigen Kaufpreis angeboten, den Katharina einfach nicht ausschlagen konnte. Und wie ein Glücksfall war ihr die Empfehlung Adonis' in den Schoß gefallen, den österreichischen Schreiner Dawid mit dem Neubau der Küche zu beauftragen. Der hatte sich als veritable menschliche Ideenschmiede entpuppt. Gemeinsam mit dem kreativen Handwerker hatte sie über den Winter eine neue Wirkungsstätte geschaffen, in der sie nun kulinarische Orgien veranstalten konnte. Endlich kochen können für viele Gäste, mit Gemüse und Kräutern aus dem eigenen Garten – wie oft hatte sie sich das gewünscht, als sie noch in dem beengten Athen wohnte.

Inspiriert durch einige Fachmagazine war ein Raum entstanden, in dem sie für ihr Leben gern verweilte. Mit fast zwanzig Quadratmetern bot die Küche genug Raum für eine großflächige Kochinsel, in die sie einen Gas- und einen Elektroherd hatte einbauen lassen; und es reichte noch für einen Tisch zum Essen in kleiner Runde. Für größere Einladungen hatte sie ihren alten Eichentisch im Wohnzimmer, an dem locker zwölf Gäste Platz hatten. Das Riesenmöbel hatte in ihrer Athener Bleibe fast die ganze Wohnung eingenommen.

Fast fünf Monate hatten die Umbauarbeiten gedauert. Dawid musste mehrmals in die griechische Hauptstadt reisen, um Material zu beschaffen. Insbesondere die von Katharina ausgewählten Farbtöne hatten einiger Recherchen bedurft. Jetzt strahlte der ganze Raum in Beige und Lindgrün, was der Küche eine harmonische Wärme verlieh. Billig war das alles nicht gerade gewesen, aber es hatte sich gelohnt; schließlich würde es für die nächsten Jahre ihr Zuhause sein.

Nach Fertigstellung ihres Kochtempels hatte sie plötzlich eine aufkommende Wehmut verspürt. Anfangs wusste sie diese Gefühlswallung nicht zu deuten, doch dann wurde ihr klar: Es waren die gemeinsamen Tage mit Dawid, die ihr fehlten. Katharina erschrak etwas über diesen Anflug ungewohnter Sehnsüchte; widerstrebend musste sie sich eingestehen, dass der kräftig gebaute Schreiner ihr ans Herz gewachsen war. Obwohl sie sich meistens nur kurz am Tag gesehen hatten, gefielen der Kommissarin seine ruhige Art und sein handwerkliches Können. Morgens, bevor sie zu ihrer Dienststelle gefahren war, hatten sie die Arbeiten für den Tag besprochen, und wenn es zwischendurch etwas zu klären gab, hatten sie telefoniert. Schon nach kurzer Zeit war eine Vertrautheit mit Dawid entstanden, die sie selten erlebt hatte. Das muss wohl an der neuen Umgebung liegen, dachte sie sich, denn im hektischen Athen wäre ihr so etwas nicht ohne weiteres passiert.

Wenn sie so darüber nachdachte, empfand sie es als äußerst angenehm, endlich einmal für einen Mann mehr zu empfinden als nur das Bedürfnis nach einem One-Night-Stand, ein Vergnügen, das Katharina sich nach ihrer Scheidung ab und zu gegönnt hatte. Doch nie hatte sie mehr daraus werden lassen. Irgendwie schienen die meisten Männer ihr nicht gewachsen zu sein, denn sie strahlte ein respekteinflößendes Selbstbewusstsein aus, das sie aus ihrer Funktion als Kommissarin ins Privatleben einbrachte. Damit konnten Liebhaber nur selten umgehen. Außerdem hatte sie nach nächtlichen Herrenbesuchen immer furchtbaren Ärger mit ihrem Kater Karl, der ihr die fremden Eindringlinge ausgesprochen übel nahm. Tagelang streunte er wie eine beleidigte Diva durch die Wohnung und würdigte sie keines Blickes. Auf Paros musste Karl kleinere Brötchen backen, denn auf der Insel sah sich der verzogene Stadtkater plötzlich mit Horden von streunenden Katzen konfrontiert, denen nichts geschenkt wurde. Schon mehrfach hatte er reichlich auf die Nase bekommen, wenn er blasiert sein neues Terrain erkundete.

Mit Dawid, dachte Katharina, war alles anders. Mit ihm konnte sie sich erstmals wieder eine Beziehung vorstellen. Es war schon passiert, dass sie ihn ohne triftigen Grund einfach angerufen hatte, wenn er sich an einem Tag nicht meldete, nur um seine sanfte Stimme zu hören, die so gar nicht zu dem kernigen Kerl passte. Für ihn war ihr Beruf nichts Besonderes, er schien ihn überhaupt nicht zu beeindrucken. Irgendwann hatte er eher beiläufig danach gefragt, aber keine große Geschichte daraus gemacht. Das hatte ihr imponiert. Ja, mit Dawid, da ginge was, schmunzelte sie in sich hinein und dachte an die erfreuliche Entwicklung der letzten Wochen. Er war vor neun Jahren mit seiner Frau nach Paros gekommen, doch diese hatte sich schnell in einen Hotelier verliebt und ihn verlassen. Seitdem lebte Dawid alleine und bot seine Schreinerarbeiten an. Und jetzt, sann sie, war er fertig mit der Küche, und nun? Dawid war zwar nicht aus der Welt, dazu war Paros einfach zu klein, aber seine Abwesenheit riss ein großes Loch in ihre Gemütswelt. Zu ihrer Einweihungsparty am Ostersonntag hatte sie ihn jedenfalls eingeladen, und seine spontane Zusage deutete sie als gutes Omen für ihre aufkeimende Beziehung. Danach würde ihr schon etwas einfallen, schließlich gab es noch genug andere Räume in der neuen Bleibe, die dringend einer Umgestaltung bedurften …

MARLENE WINTER STUTTGART

Marlene Winter hatte sich den Samstagnachmittag extra frei gehalten, um die aktuellen Immobilienangebote zu durchforsten. Das tat sie schon seit drei Monaten, und jedes Mal, wenn sie den Umschlag in ihrem Briefkasten vorfand, wurde sie ganz zappelig. Sie machte es sich in ihrem schicken Appartement gemütlich und goss sich einen Cognac ein. Gespannt saß sie auf ihrem braunen Designersofa, zu ihrer Rechten die teure Kaschmirdecke für kalte Tage. Wieder war sie voller Hoffnung, diesmal könnte etwas Passendes dabei sein. Eigentlich hatte sie ein klares Profil ihrer Vorstellungen erstellt, aber bisher war nicht zu erkennen, dass auf ihre Wünsche eingegangen würde. Vielleicht sollte sie mit der Maklerfirma ein ernstes Wort reden, damit etwas Schwung in die Angelegenheit kam. Oder war sie nur zu ungeduldig?, überlegte sie einen Moment, wohlwissend, dass Gelassenheit nicht zu ihren Stärken zählte. Sie war eine Frau der Tat, und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, brannte sie darauf, es schnellstmöglich umzusetzen. Dann gab es kein Pardon, und alle Beteiligten hatten sich zu sputen, ansonsten konnte Marlene recht ungemütlich werden. Ihr Auftreten war stets freundlich und souverän; sie hasste jede Form von Schwäche. Mit ihren einundfünfzig Jahren war sie eine attraktive Frau mit starker Ausstrahlung. Das meist stramm zurückgekämmte dunkle Haar und die ausgewählt elegante Kleidung machten sie zu einer stolzen Erscheinung.

Voller Erwartung riss sie den weißen DIN-A-4-Umschlag auf und sah, dass einige Objekte mit einem Textmarker angestrichen waren. Ihr Agent hatte ihr die interessantesten Objekte vorsortiert und kurz kommentiert, sodass sie nicht alle Offerten einzeln durchgehen musste; für sie eine Selbstverständlichkeit, schließlich bekam er als ihr Dienstleister eine großzügige Provision, falls es zu einem Abschluss kommen sollte.

Ein Objekt mit freiem Blick aufs Meer suchte sie, am liebsten in Aigiali, dem beschaulichen Hafendorf im Norden von Amorgos, der größeren Kykladen-Insel, die mit Naxos und Ios quasi ein Dreieck im Mittelmeer südöstlich von Paros bildet. Das Grundstück sollte groß genug sein für einen Gemüsegarten sowie einen Tanzplatz mit überdachtem Pavillon; so hatte sie es dem Makler beschrieben. Die in Frage kommende Preiskategorie hatte sie trotz mehrfacher Nachfrage bewusst offen gelassen; dazu kannte sie diese Halunken von Immobilienmaklern zu gut, um denen ihre Budgetverhältnisse preiszugeben.

Während der letzten zehn Jahre hatte Marlene ihren Sommerurlaub auf dieser Insel verbracht; nun, nach Abschluss ihrer Zusatzausbildung zur Tanztherapeutin, wollte sie im Frühjahr und Spätherbst Kurse auf Amorgos anbieten. Das nötige Geld hatte sie in trockenen Tüchern, nachdem ihr Ex-Mann sie endlich ausgezahlt hatte. Sie hatte lange gebraucht, ihn zum Verkauf des ehemals gemeinsamen Hauses zu bewegen. Doch auch an dieser Angelegenheit hatte sie beharrlich gearbeitet und letztlich ihren Gatten davon überzeugt, das Anwesen zu veräußern. Er hätte es lieber zunächst vermietet in der Hoffnung, sie würde irgendwann zu ihm zurückkehren. Noch immer liebte er sie und hatte an der Trennung heftig zu knabbern. Für Marlene dagegen war alles längst beendet, und sie hatte sich genau überlegt, wie für sie das Beste herauszuholen wäre. Der Verkauf des Bungalows hatte zu diesem Plan gehört; ohne ihn wäre die Idee mit einem künftigen Besitz auf Amorgos nicht zu realisieren gewesen. Der stattliche Geldbetrag hatte für ein schickes Appartement im Stuttgarter Westen gereicht, und es war noch genug übrig geblieben, um sich ihren lang gehegten Wunsch zu erfüllen. In dem gut situierten Stadtteil betrieb die ausgebildete Ärztin seit vielen Jahren eine Praxis. Ihr treuer Patientenstamm verhalf ihr zu einem üppigen Einkommen. Wenn sie aber, wie geplant, mehr Zeit in Griechenland verbringen wollte, würde sie ihre Arbeitszeit in Stuttgart herunterfahren müssen, was sich wiederum in ihrem Geldbeutel bemerkbar machen würde.

Sie hatte an alles gedacht, alle Eventualitäten durchgespielt, um vor bösen Überraschungen gefeit zu sein. Minutiös hatte sie ihr Projekt auf Amorgos in Angriff genommen, hatte sogar schon Kontakt zu einem Webdesigner, der ihr eine Homepage für ihre neue Tätigkeit gestalten sollte. Jetzt fehlte nur noch das kleine Haus mit Tanzplatz nebst Pavillon, und es konnte losgehen. Sie solle nicht zu lange warten, hatte ihr Frank Felten von der Dreamroom GmbH mehrfach geraten. Billiger würde sie nie mehr an ein Häuschen auf einer griechischen Insel kommen, behauptete er. Bei aller Tragik, die der wirtschaftliche Einbruch in Griechenland ausgelöst hatte, kam Marlene Winter diese Krise recht gelegen. Die Preise für Ferienhäuser und Wohnungen waren seit Monaten im freien Fall. Viele Griechen, die sich ihr Feriendomizil auf einer der vielen Inseln gekauft oder auf eigenem Land gebaut hatten, mussten jetzt verkaufen, um wieder an flüssiges Kapital zu kommen.

Der Makler hat gut reden, er soll mir lieber endlich etwas Geeignetes anbieten, dachte sie und nahm einen großen Schluck aus dem angewärmten Cognacschwenker.

Die Fachärztin für Psychiatrie bereiste seit vielen Jahren die Kykladen und hatte schon lange mit dem Gedanken an eine Bleibe auf einer ihrer Lieblingsinseln gespielt. Aber ganz ohne Sicherheit wollte sie diesen Schritt nicht wagen; so war ihr die Idee mit der Tanztherapie gekommen. Zusammen mit ihrer Tätigkeit als Ärztin war es eine ideale Kombination.

Lange war sie auf Paros fixiert gewesen, ihrer Lieblingsinsel; erst in den letzten Jahren hatte sie sich mit Amorgos angefreundet. Neben dem starken Preisgefälle spielte zudem eine Rolle, dass es auf Paros bereits zu viele solcher Einrichtungen gab und sie auf Amorgos eine der ersten sein würde. Außerdem bekam man dort zwei Häuser für den Preis einer Immobilie auf Paros. Daran hatte sich auch in der Krise nichts geändert, und die Preise auf Paros sprengten ganz einfach ihr Budget.

Vor zehn Jahren hätte sie selbst nicht geglaubt, jemals einer anderen Insel als Paros den Vorzug zu geben. Doch animiert von der jährlich zusammentreffenden Touristenfamilie auf Paros war sie auf Amorgos neugierig geworden. Einige Mitglieder dieser eingeschworenen Urlaubertruppe waren regelmäßig zu Ausflügen auf die Nachbarinseln aufgebrochen; Amorgos schien für alle ein Highlight gewesen zu sein. Marlene erinnerte sich noch genau, wie sie in ihrem Lieblingstreffpunkt Aliportas gesessen hatten – dem zentral gelegenen Café in Naoussa, von ihren Freunden gemeinhin ›das Familiennest‹ genannt –, und Seelchen, die Älteste in der Runde, ihr mit ihrer ständigen Schwärmerei über Amorgos auf die Nerven gegangen war. Schon eine ganze Weile hatte die Schweizerin ihre Freunde zu einem Abstecher dorthin zu bewegen versucht, mit einem Packen Bilder in der Hand war sie von Tisch zu Tisch gelaufen. »Ihr müsst da unbedingt mal hin. Diese Ruhe und diese karge, zerklüftete Landschaft. Ihr könnt dort stundenlang wandern, ohne einer Menschenseele zu begegnen«, hatte sie geseufzt und ein paar Fotos auf den Tisch gelegt. »Hier, schaut euch das an, ein Kloster mitten in den Fels gebaut, so etwas Schönes habe ich noch nirgendwo gesehen. Das muss man erlebt haben«, hatte sie sich begeistert und dabei ihrem Gatten Paul zugewinkt, der ihre Werbeversuche beobachtete. »Ihr könnt doch nicht die ganze Zeit nur am Strand liegen.«

Das Kloster Chozowiotissa war tatsächlich faszinierend anzusehen; als weißer Klecks auf dem braunen Felsen, dreihundert Meter über dem Meer, wirkte es wie ein Fremdkörper in der kahlen Steinwand. Es waren dieses Foto und der aus Seelchens Augen sprühende Feuereifer, die Marlene damals zu einem Abstecher nach Amorgos bewegt hatten. Danach war sie immer wieder dorthin gefahren, hatte Gefallen an der Ruhe und der Unberührtheit dieses spartanischen Eilandes gefunden.

Genau betrachtet, war ihre Sturm- und Drang-Phase sowieso vorbei. Mit ihrem neuen Projekt wollte sie es etwas seriöser und in einer ruhigeren Umgebung angehen lassen. Waren das noch Zeiten gewesen, als sie mit ihrer besten Freundin Lisa viele aufregende Sommer in Naoussa verbracht und für Gesprächsstoff in dem kleinen Küstenort gesorgt hatte! Ein jedes Ding hat seine Zeit, dachte sie, und jetzt ist es Zeit für Amorgos. Euphorisiert von dem Gedanken blätterte sie akribisch die markierten Objekte ihres Maklers durch und hätte dabei fast den handgeschriebenen Zettel von Frank Felten übersehen.

BRACHLAND AUF DEN KYKLADEN

Das abgelegene, seit Jahren unbenutzte Steinhaus, das eher einem Schuppen ähnelte, war bestens geeignet, um ungestört einem traditionellen Handwerk nachgehen zu können; einem Handwerk, das bei vielen Griechen längst in Vergessenheit geraten war. In diese Einsamkeit verirrten sich keine neugierigen Besucher, bis auf ein paar Ziegen, die gelegentlich um das verfallene Gebäude streunten. Das Haus gehörte schon lange zum Besitz der Familie, ganz früher waren hier Schweine gehalten worden, aber dafür schien sich seit Jahren keiner mehr zu interessieren.

Fast drei Monate hatten die Umbauarbeiten gedauert, bis die kleine Werkstatt soweit hergerichtet war, dass alles bereit war für die Arbeit an dem großen Projekt. Ein Projekt, über das man noch lange reden sollte. Äußerlich waren dem Schuppen diese Veränderungen nicht anzusehen, aber das war Absicht, denn nur so war die nötige Verschwiegenheit garantiert.

STEFANOS KOURAKIS NAOUSSA, PAROS

Stefanos wurde wach, weil ihn fröstelte. Wieder einmal war er in einem seiner Weinkeller eingeschlafen, nachdem er sich den Kopf darüber zermartert hatte, wie er an zusätzliche Anbauflächen kommen könnte. Die Anfragen, die er mittlerweile aus der ganzen Welt erhielt, konnte er längst nicht mehr alle bedienen. Dadurch ging ihm einiges an Umsatz durch die Lappen. In Anbetracht der desolaten Wirtschaftslage im gesamten Land war das eigentlich eine für ihn positive Entwicklung, wenn er nur genügend Land zur Verfügung hätte zum Anbau seiner Weine.

Auf Paros hatte er alle Kapazitäten ausgeschöpft, ihm blieb nichts anderes übrig, als auf die Nachbarinseln auszuweichen. Erstmals hatte er vor einigen Jahren auf Amorgos mit dem Anbau begonnen, nachdem er sich nach geeigneten Gegenden auf den Kykladen umgesehen hatte. Die besten Lagen befanden sich auf Höhen zwischen 250 und 400 Metern, am fruchtbarsten waren Schiefer- und Tonmergelböden, um die geläufigen Rebsorten für den Weißwein Monemvasía und den Rotwein Mandilaría zu kultivieren. Zwar hatte er begonnen, auch internationale Rebsorten wie Sauvignon Blanc und Cabernet Sauvignon zu züchten, allerdings nur in geringem Volumen. Mit den beiden Klassikern verdiente er sein Geld, in diese Rebsorten hatte sein Unternehmen in den letzten Jahren viel Arbeit gesteckt. Jetzt endlich begann er, die Ernte seiner Mühen einzufahren. Ein paar seiner Weine hatten es sogar in die höchste griechische Qualitätsstufe OPAP geschafft, worauf er mächtig stolz war.

Das mit Liebe geführte Weingut Maróssi am Ortsrand von Naoussa befand sich seit Jahrzehnten im Besitz seiner Familie; den echten Durchbruch hatte Stefanos erst mit der Ausrichtung auf ökologischen Weinbau geschafft, den er insbesondere auf Amorgos betrieb. So pendelte er regelmäßig zwischen Paros und den gepachteten Parzellen außerhalb von Aigiali, um dort nach dem Rechten zu sehen und seinen Pächter Ilias Galanis zu treffen, einen wortkargen Zeitgenossen, dessen Familie von Amorgos stammte und die ihren Unterhalt seit Generationen mit dem Anbau von Gemüse und Oliven verdiente. Das sollte nach den Vorstellungen von Ilías auch weiterhin so bleiben.

Schon mehrfach hatte Stefanos versucht, an weitere Grundstücke in dieser Gegend zu gelangen, bisher ohne Erfolg. Dabei hatte er ein ganz besonderes Stück Land im Auge gehabt, das einem Nachbarn von Ilías gehört hatte. Jener Nachbar war vor knapp zwei Jahren auf sonderbare Weise verstorben. Vor dessen Tod hatte Stefanos ihn mehrmals persönlich kontaktiert und ihm Angebote in seine Wahlheimat Amerika geschickt, doch leider nie eine Antwort erhalten. Stefanos war am Todestag des Mannes selbst auf Amorgos gewesen und hatte den Vorfall miterlebt. ›Plötzlicher Herztod‹ hatte ein aus dem zwanzig Kilometer entfernten Hauptort der Insel Katapola herbeigeholter Arzt lakonisch festgestellt, nachdem er fast eine Stunde bis zum Eintreffen in Aigiali gebraucht hatte. Einfach so zusammengebrochen war der gute Mann, als er in einer vielbesuchten Taverne gesessen hatte. Einige der anwesenden Gäste hatten berichtet, dass er wie gelähmt auf seinem Stuhl gehockt und kurz vor seinem Ableben jäh nach Luft geschnappt habe. Jetzt lag er auf dem kleinen Friedhof oberhalb des Hafenstädtchens. Seine letzte Ruhestätte verwahrloste.

Jannis Pantoulis war sein Name gewesen. Man erzählte, dass er in New York mehrere griechische Restaurants betrieben hatte. Nur im Sommer war er in seine alte Heimat zurückgekehrt und hatte mit Leib und Seele seine Felder bewirtschaftet. Diese lagen seit dem Todesfall brach, nur gelegentlich kümmerte sich Ilías um das Nötigste. Jannis' Bruder und seinen Sohn Brian hatte man seit der Beerdigung nie wieder auf Amorgos gesehen, sie schienen sich weder für die Grabstätte ihres Angehörigen noch für das schroffe Stück Land zu interessieren.

Das tat Stefanos Kourakis dafür umso mehr, doch alle seine Bemühungen, mit den Erben ins Gespräch zu kommen, waren bisher im Sande verlaufen; sehr zu seinem Ärger – aber heute würde er keine Lösung mehr finden. Es war spät und er beschloss, den Rest der Nacht lieber im warmen Bett zu verbringen.

GEORGIOS APOSTOLOPOULOS LAGERI, PAROS

Georgios strich sich zufrieden über den kleinen Bauchansatz, den er seit seinem Klinikaufenthalt angesetzt hatte. Noch vor einem halben Jahr wäre so eine Wölbung für ihn einer Katastrophe gleichgekommen, er hätte alles daran gesetzt, diese schnellstmöglich wieder los zu werden. Aber die Ereignisse der letzten Monate hatten ihn verändert, auch wenn es ihm immer noch schwer fiel, die Finger von seinem geliebten Alkohol zu lassen. Doch es gab keine Alternative, das hatten ihm die Ärzte in der Athener Euroklinik ganz klar zu verstehen gegeben. Zu schlecht waren seine Leberwerte durch den langjährigen, exzessiven Alkohol- und Medikamentenmissbrauch gewesen. Im Nachhinein betrachtet war der Mordanschlag auf ihn seine Rettung gewesen, so absurd das auch klang, denn sonst hätte er sich nach seiner Wiederherstellung niemals in die Suchtabteilung der Spezialklinik einweisen lassen und hätte nie Louis, den fürsorglichen Krankenpfleger, kennen- und liebengelernt.

Anfangs hatte er den Mittdreißiger gar nicht richtig wahrgenommen, zu stark hatte man ihn mit Medikamenten sediert. Vor Beginn diverser Therapien war Georgios für einige Zeit ruhiggestellt worden. Wie im Nebel hatte er in dieser Zeit seine Umgebung wahrgenommen, und erst als man das Clomethiazol-Präparat langsam reduzierte, erkannte er, was für ein netter Bursche den ganzen Tag um ihn herumwuselte.

»Ich glaube, es wird endlich einmal Zeit, an die frische Luft zu gehen«, hatte Louis eines Morgens gesagt und ihm aus dem Bett geholfen. »Der Therapeut will Sie heute sehen, und da sollten wir Ihren Kreislauf vorher in Schwung bringen. Wie wär’s mit einem Spaziergang im Park?« Aufmunternd hatte er Georgios dabei angesehen. Der selbst hatte sich furchtbar gefühlt; seine Bewegungsabläufe schlichen dahin wie in Zeitlupe, hatte er doch die letzten Wochen fast nur gelegen und geschlafen. Sein Kreislauf war vollkommen am Boden; ihm war sofort schwindelig geworden bei dem Versuch, ein paar Meter auf eigenen Beinen zu gehen. Schwerfällig hatte er seinen leeren Kopf zu dem Betreuer gedreht und diesen zum ersten Mal genauer betrachtet. In der weißen engen Hose und dem kurzen Pflegerkittel sah Louis richtig sexy aus, hatte er gedacht, und nach Tagen voller Trübsinn war sein Gemütszustand ein wenig heller geworden.

Es hätte ihn durchaus schlimmer treffen können, hatte Georgios seinerzeit überlegt, bei all den grantigen Schwestern in der Klinik. Aber vielleicht gehörte das ja zur Therapie? Fast hätte ihn dieser Gedanke zum Lachen gebracht, wäre seine Verfassung weniger desolat gewesen, und er hatte geahnt, dass noch ein langer Weg vor ihm lag vor seiner Rückkehr nach Paros.

Ob er dies überhaupt wollte? Nicht einmal das war ihm zu jenem Zeitpunkt klar gewesen; zu stark litt er noch unter dem Trauma des Mordanschlags. Von der verhafteten Person war nichts mehr zu befürchten, diese saß seinerzeit bereits hinter Gittern für den Mord an Jannis Kostatídis sowie für den Mordanschlag auf ihn selbst. Das hatte ihm die Kommissarin ausrichten lassen. Sie hatte ihn eigens in der Klinik besucht, um ihm dies mitzuteilen.

Er hatte damals das Familienanwesen von seiner verstorbenen Mutter geerbt; leider nicht er allein, denn es gab noch die Haushälterin Sophia, der das Vorderhaus vermacht wurde, wo sie ihren letzten Lebensabschnitt verbringen wollte. Das Haus war riesig; es gab genug Platz, sich aus dem Weg zu gehen. Trotzdem wusste er damals nicht, ob er es zusammen mit der alten Frau dort aushalten konnte.

Louis hatte ihn beherzt untergehakt und die ersten Schritte mit ihm zurückgelegt. »Na, das geht doch schon wieder, jetzt ziehen Sie sich eine Jacke an, und ab an die frische Luft«, hatte er befohlen. Georgios hatte die positive Wirkung genossen, die Louis auf ihn ausübte.

Zunehmend hatte er Gefallen an den gemeinsamen Momenten mit dem beherzten Pfleger gefunden. Mit jedem weiteren Tag in der Klinik waren sich der angeschlagene Patient und der fröhliche Sanitäter ein Stück näher gekommen. Georgios war schnell klar geworden, dass hier etwas ganz anderes vor sich ging, als er es in all den Jahren mit seinen Männerbekanntschaften erlebt hatte. Es hatte keinen schnellen Sex gegeben, wie er ihn sich auf Mýkonos oft besorgt hatte. Es war viel mehr die einfühlsame Nähe von Louis, die ihm gut getan hatte. Ganz davon abgesehen wäre er für schnellen Sex in seinem maroden Zustand gar nicht in der Lage gewesen. Tag für Tag war es dank Louis' Unterstützung mühsam, doch stetig aufwärts mit ihm gegangen. Die verschiedenen Therapien hatten Wirkung gezeigt.

Als eines Morgens sein Betreuer mit einem großen Bündel von Sophia in seinem Zimmer auftauchte, hatte er erstmals wieder Lust am Leben verspürt. Mit viel Liebe hatte die Haushälterin ein Carepaket für ihn zusammengestellt. Seit der Beerdigung seiner Mutter hatte er nichts mehr von der alten Dame gehört, zu sehr waren die Fronten zwischen ihnen beiden verhärtet gewesen. Mit solch einer Geste hatte er nicht gerechnet. Sogar einen Brief hatte sie ihm geschrieben. Zögerlich hatte er die handgeschriebenen Zeilen gelesen. Sie war einsam gewesen in dem großen Haus, der Brief hatte versöhnliche Töne angeschlagen. Bis dahin hatte er lediglich von Kiriakos, einem Freund und regelmäßigen Besucher aus Paros, einige spärliche Informationen aus Naoussa und so ein vages Bild davon erhalten, was auf dem elterlichen Anwesen in seiner Abwesenheit geschehen war. Es musste für die alte Frau ein hartes Stück Arbeit gewesen sein, das große Haus ganz allein in Schuss zu halten. Beim Lesen hatte er Mitleid für Sophia empfunden. An diesem Abend hatte er zusammen mit Louis die Leckereien genossen und sich das erste Mal seit langer Zeit nach seinem geliebten Lageri-Grundstück zurück gesehnt.

Das war jetzt gut sechs Monate her, er war schon eine ganze Weile zurück auf Paros, haderte aber noch immer mit der Frage, was er mit dem großen Stück Land machen sollte. Er hatte sich vorgenommen, sich vor übereilten Entscheidungen zu hüten. Finanziell war er mehr als abgesichert, daher konnte er sich Zeit lassen, auch wenn verschiedene Immobiliengesellschaften ihn weiterhin bedrängten. Mehr und mehr reifte in ihm eine Idee, eine ganz neue Richtung einzuschlagen, und Louis sollte bei diesem Plan eine wesentliche Rolle spielen.

KATHARINA WALDMANN NAOUSSA, PAROS

Katharina war spät dran, sie musste sich beeilen, um rechtzeitig zur wöchentlichen Arbeitsbesprechung zu erscheinen.

Heute standen einige Punkte auf der Agenda, die mit dem Polizeiteam besprochen werden mussten. Ganz oben auf der Liste: eine Einbruchserie in die während des Winters meist unbewohnten Ferienhäuser, die ihnen seit langem Kopfzerbrechen bereitete. Doch alle Versuche, der Diebesbande auf die Schliche zu kommen, waren bislang gescheitert. Es gab bereits negative Berichte in der ›Paros Life‹, die von vielen ausländischen Besuchern gelesen wurde. Das machte die Sache für die Kommissarin und ihr Team nicht leichter. Wenn sie nur nicht so knapp besetzt wären! Und jetzt war auch noch Alexis, ein langjähriger Kollege, für mindestens sechs Monate ausgefallen. Ein Bandscheibenvorfall, der dringend in Athen operiert werden musste. So wie sie Alexis nach den ersten Monaten der Zusammenarbeit einschätzte, würde er versuchen, daraus eine längere Auszeit zu machen. Die Einstellung zum Job war auf der Insel eher lässig. »Sigá-sigá« hieß es, immer mit der Ruhe – da gab es in ihren Augen einigen Optimierungsbedarf. Man hatte sich gemütlich eingerichtet bei der Polizei auf Paros, zumal es glücklicherweise wenig spektakuläre Fälle gab. Der Mord an Jannis Kostatídis, dem Kellner aus dem Aliportas, im letzten Sommer war die große Ausnahme gewesen.

Doch Katharina kam der Ausfall von Alexis gar nicht so ungelegen. Mehrfach war sie mit ihm schon aneinander geraten, denn sie hatte den Eindruck, dass er ihre Autorität zu unterwandern versuchte. Dies verursachte ihr Störgefühle, dennoch hielt sie es für verfrüht, sich bereits jetzt gegen Alexis zu entscheiden.

Sie musste lächeln beim Gedanken an das Versprechen, das sie nach ihrem ersten Einsatz auf Paros im vergangenen Jahr gegeben hatte. Filippos, ihr ehemaliger Kollege aus Athen, würde lieber heute als morgen nach Paros wechseln; und sie beide zusammen, das wäre ein starkes Team. Nur zu gerne hätte sie den jungen Mann wieder als Assistenten. Sie musste nur noch mit der Präfektur in Ermoupoli auf der Insel Syros sprechen, wo sich die zentrale Verwaltung der Kykladen befand. Dort mussten alle neuen Stellen genehmigt werden; in diesen Zeiten keine einfache Aufgabe, wurden doch Behördenstellen derzeit eher massenhaft abgebaut. Und dann kam sie mit der Bitte um einen Stellvertreter! Dennoch war Katharina davon überzeugt, Filippos genehmigt zu bekommen. Das würde sie heute noch klären, damit wollte sie ihren Ex-Kollegen überraschen. Ein schöner Gedanke.

Auf Syros fand alle sechs Monate ein Treffen sämtlicher Polizeibehörden der Kykladen statt. Katharina hatte kurz nach ihrem Amtsantritt auf Paros an einer dieser