Süßes Wasser - Peter Pachel - E-Book

Süßes Wasser E-Book

Peter Pachel

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Beschreibung

Auf der griechischen Insel Paros neigt sich die Urlaubssaison ihrem Ende zu. Katharina Waldmann freut sich auf die wohlverdiente Entspannung nach einem langen Arbeitstag. Zu später Stunde soll noch eine Vermisstenanzeige für einen verschwundenen Ehemann aufgenommen werden – ein Routinefall, dem sie keine große Beachtung schenkt. Als jedoch die Leiche des Vermissten kurz darauf in einer Zisterne gefunden wird, sehen sich Katharina und ihr Team plötzlich in ein Netz aus mysteriösen Mordfällen und Schmiergeldern verstrickt. Korruption, Fahrlässigkeit und unendliche Gier – die von Paros über Amsterdam bis nach Thailand reicht. Die einzige scheinbare Gemeinsamkeit scheint die Firma AquaTop zu sein. Aber was kann Meerwasserentsalzung mit dem Mord zu tun haben? Passend zur Spannung gibt es leckere Rezepte, die den Griechenland-Krimi zu einem kulinarischen Erlebnis machen.

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Seitenzahl: 365

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Peter Pachel

Süßes Wasser

Kommissarin Katharina Waldmannermittelt auf Paros

Krimi

Paros-Krimi

Pachel, Peter : Süßes Wasser. Kommissarin Waldmann

ermittelt auf Paros. Paros-Krimi. Hamburg, edition krimi 2022

Originalausgabe

EPUB-ISBN: 978-3-948972-66-0

Das Original ist im Größenwahn Verlag erschienen.

Dieses Buch ist auch als Print erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

Print-ISBN: 978-3-948972-65-3

Umschlaggestaltung: © Annelie Lamers, edition krimi

Umschlagmotiv: © Peter Pachel

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die edition krimi ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

_______________________________

© edition krimi, Hamburg 2022

Alle Rechte vorbehalten.

https://www.edition-krimi.de

Inhalt

„September 2013“: „Parikia, Paros“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Ein knappes Jahr vorher – Oktober 2012“: „Europazentrale der AquaTop AG, Amsterdam, Niederlande“

„November 2012“: „Koh Samui, Provinz Surat Thani, Thailand“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Takis Papandreou“: „Parikia, Paros“

„Ein knappes Jahr vorher – Oktober 2012“: „Europazentrale der AquaTop AG Amsterdam, Niederlande“

„Georgios Apostolopoulos“: „Náoussa, Paros“

„Dezember 2012“: „Koh Samui, Provinz Surat Thani, Thailand“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Cháris Papadakis“: „Parikia, Paros“

„Filippos Panos“: „Parikia, Paros“

„November 2012“: „Europazentrale der AquaTop AG Amsterdam, Niederlande“

„Dezember 2012“: „Koh Samui, Provinz Surat Thani, Thailand“

„Georgios Apostolopoulos“: „Náoussa, Paros“

„Marika Psará“: „Parikia, Paros“

„November 2012“: „Europazentrale der AquaTop AG Amsterdam, Niederlande“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„November 2012“: „Europazentrale der AquaTop AG Amsterdam, Niederlande“

„Dezember 2012“: „Koh Samui, Provinz Surat Thani Thailand,“

„Cháris Papadakis“: „Parikia, Paros“

„Georgios Apostolopoulos“: „Náoussa, Paros“

„Prof. Dr. Sotírios Kourzounáris“: „Athen, Kapodistrias Universität“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Dezember 2012“: „Europazentrale der AquaTop AG Amsterdam, Niederlande“

„Georgios Apostolopoulos“: „Náoussa, Paros“

„Prof. Dr. Sotírios Kourzounáris“: „Athen, Kapodistrias Universität“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Januar 2013“: „Europazentrale der AquaTop AG Amsterdam, Niederlande“

„Georgios Apostolopoulos“: „Náoussa, Paros“

„Angelikí Karafoulidou“: „Athen, Glyfada“

„Januar 2013“: „Europazentrale der AquaTop AG Amsterdam, Niederlande“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Georgios Apostolopoulos“: „Náoussa, Paros“

„Januar 2013“: „Europazentrale der AquaTop AG Amsterdam, Niederlande“

„Angelikí Karafoulidou“: „Athen“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Georgios Apostolopoulos“: „Náoussa, Paros“

„Angelikí Karafoulidou“: „Athen“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Filippos Panos“: „Parikia, Paros“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Katharina Waldmann“: „Amsterdam“

„Angelikí Karafoulidou“: „Athen“

„Filippos Panos“: „Parikia, Paros“

„Katharina Waldmann“: „Amsterdam, Niederlande“

„Filippos Panos“: „Parikia, Paros“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Toon de Vries“: „Amsterdam, Niederlande“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Toon de Vries“: „Amsterdam, Niederlande“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Toon de Vries“: „Amsterdam, Niederlande“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Toon de Vries“: „Amsterdam, Niederlande“

„Katharina Waldmann“: „Parikia, Paros“

„Toon de Vries“: „Amsterdam, Niederlande“

„Studio Madame Karen“: „Amsterdam, Niederlande“

„Toon de Vries“: „Amsterdam Niederlande“

„Katharina Waldmann“„Parikia, Paros“

„Personen und Lokales:“

„PAROS LANDKARTE“

„Rezepte“

„Biographisches“

„Danke“

Für alle Langzeit-Griechenland-Begeisterten und alle,die es werden wollen.

Ohne Wasser gibt es kein Leben. Wasser ist ein kost­bares, für den Menschen unentbehrliches Gut (Europäische Wasser­charta).

Obwohl unser Planet zu mehr als 70 Prozent damit bedeckt ist, wird Wasser zunehmend ein knappes Gut. Denn gerade einmal drei Prozent dieser gewaltigen Mengen sind trinkbares Süßwasser und wiederum nur ein Drittel davon ist für die menschliche Nutzung erreichbar. Die steigende Nachfrage nach Energie, Nahrung und sauberem Wasser wird die ohnehin schon schwelende Wasserkrise noch weiter verschärfen.

(Zitat Weltwasserforum 2012 in Marseille)

September 2013

Parikia, Paros

Kostas Aristidis hatte sich für den heutigen Nach­mittag extra eine Stunde früher frei genommen. Er wollte pünktlich an dem vereinbarten Treffpunkt erscheinen, zu dem man ihn mit Nachdruck hinzitiert hatte. Früher wäre er einfach so aus seinem Büro in der Stadtverwaltung von Parikia verschwunden, doch diese Zeiten waren endgültig vorbei, seitdem man das Personal rigoros zusammengestrichen hatte. Einen dringenden Arztbesuch hatte er seinem Kollegen vorgegaukelt und sich auch kurz in dem immer vollen Wartebereich der städtischen Krankenstation sehen lassen. Dann hatte er sich auf den Weg nach Lefkes gemacht, zu dem kurzfristig anberaumten Termin.

Er hatte schlecht geschlafen, nachdem er gestern Abend den Anruf auf seiner Mailbox vorgefunden hatte und die ganze Nacht darüber gegrübelt, was so dringend war und keinen Aufschub zuließ. Eine vage Ahnung hatte er schon, warum man sich mit ihm so kurzfristig treffen wollte und das machte ihm ein wenig Angst, zumal der ausgewählte Treffpunkt eindeutig mit seiner Aufgabe in der Behörde zu tun hatte. Es musste mit dieser sonderbaren Nachricht zu tun haben, die er schon Anfang des Jahres erhalten hatte und mit der er zunächst nichts hatte anfangen können. Wie eine Warnung hatte sie damals geklungen, und jetzt, gute acht Monate später, bekam sie für ihn eine ganz neue Bedeutung. Kostas Aristidis war kein ängstlicher Mensch und hatte sich zu dem Treffen durchgerungen. Er wollte endlich ein paar Antworten haben, nachdem er erst neulich mehrfach vergeblich versucht hatte, den damaligen Absender zu kontaktieren.

Es war zwar nur eine Vermutung, aber vorsichtshalber hatte er umgehend seinen alten Schulfreund Sotírios beauftragt, ihm bei der Aufklärung behilflich zu sein. Morgen früh würde er ihn anrufen und ihm die Details erklären. Vielleicht war man aber auch nur auf seine Forderung eingegangen und wollte die Angelegenheit schnell und ohne große Aufmerksamkeit aus der Welt schaffen. Als technischer Angestellter kümmerte er sich seit vielen Jahren um alle Belange der öffentlichen Trinkwasserversorgung auf Paros, seiner Heimatinsel im Zentrum der Kykladen in der südlichen Ägäis. Vorbei an ein paar spielenden Kindern passierte er den Ortsausgang des idyllischen Bergdorfes und fuhr weiter in Richtung der höchsten Inselerhebung des Ágii Pantes zu der großen Zisterne. Diese hatte früher einige Ortschaften und einzelne Gehöfte mit Trinkwasser versorgt, wurde heute aber bis auf wenige Ausnahmen nur noch zur Bewässerung der Felder genutzt. Der große Wasserspeicher lag weit hinter dem letzten Wohnhaus von Lefkes und war von der ansteigenden Straße nur für Ortskundige wie ihn zu finden. Versteckt hinter mehreren großen Ginsterbüschen, die einen im Sommer grell entgegen lachten, lag der kleine Pfad, der zu dem alten Reservoir führte.

Er parkte seinen Wagen im Schatten der großen Sträucher, seine Augen suchten unruhig die unmittelbare Umgebung ab, Ausschau haltend nach dem unbekannten Anrufer, der ihm in gebrochenem Englisch die Nachricht hinterlassen hatte. Doch er konnte keinerlei Anzeichen von einem weiteren Besucher in der verlassenen Gegend ent­decken, so wie meistens, wenn ihn eine Routine­begehung des großen Speichers nach hier oben führte. Diese machte er regelmäßig, um sicherzustellen, dass sich keine Vögel oder sonstiges Getier Zugang zu dem verschlossenen Behälter verschafft hatten und für eine Verunreinigung des ­Wassers sorgten.

Er war eine gute Viertelstunde früher zu dem Treffen erschienen, um die Ankunft des Anrufers beobachten zu können, und sein Plan schien aufzugehen, dachte er, als er den steinigen Weg bis zu dem kleinen Tor entlanglief, das den Zugang zu dem eingezäunten Areal frei gab. Doch das verwitterte, alte Holzgatter, welches normalerweise mit einer rostigen Eisenkette versperrt war, stand offen, was ihm äußerst seltsam vorkam. Außer ihm hatte nur noch sein Kollege einen Schlüssel, und der saß zweifelsohne in seinem Büro in Parikia und ärgerte sich darüber, den Rest des Nachmittages allein die anstehenden Arbeiten erledigen zu müssen. Vorsichtig betrat er das eingezäunte Gelände, immer damit rechnend den Unbekannten anzutreffen. Er ging langsam weiter auf die beiden massiven Felsblöcke zu, hinter denen sich die dicke Stahltür, die den Zugang zu der eigentlichen Zisterne freigab, versteckte. Fast hätte es ihm den Atem verschlagen, als er erkennen musste, dass auch diese Tür offenstand, und eine innerliche Stimme drängte ihn den Rückzug anzutreten. Doch er wollte wissen, wer sich da unerlaubten Zutritt zu dem Wasserbehälter verschafft hatte und näherte sich vorsichtig der halb geöffneten Tür. Zögerlich setzte er den ersten Schritt in das dunkle Innere des großen, von außen vollständig bewachsenen, unterirdischen Gebäudes. Seine Augen, noch geblendet von der hellen Sonne, konnten schwach die Umrisse der ­steilen Treppe erkennen, die hinunter zu der Wasseroberfläche führte. Dann nahm er noch für den Bruchteil einer Sekunde einen schwarzen Schatten seitlich von ihm wahr, und ein dumpfer Schlag auf seinen Kopf ließ ihn kopfüber die modrigen Treppenstufen hinabstürzen.

Katharina Waldmann

Parikia, Paros

Katharina Waldmann schaltete gerade die Alarmanlage ein und griff nach ihrer Jacke, um nach einem langen Tag in ihrer Dienststelle endlich den Feierabend einzuläuten, als sie von einem heftigen Klopfen an der Eingangstür unterbrochen wurde. Es war ein eher ruhiger Tag gewesen in der Polizeidienststelle. Die Insel schüttelte langsam die letzten Urlauber ab, sodass nach drei überaus betriebsamen Monaten, der langersehnte Paroanische Alltag wieder einkehren konnte. Ab nächstem Montag würde der Winterfährplan gelten, und das war immer der Startpunkt für die stillere Zeit des Jahres. Zur Zufriedenheit der Bevölkerung hatte der Tourismus auch in diesem Sommer wieder zugelegt, was allen auf Paros guttat und ein wenig über die spürbaren Folgen der Krise hinweghalf. Die Presse sprach zwar davon, dass das Schlimmste überstanden sei, doch bei den normalen Leuten war bisher wenig davon zu spüren. Die hohen Steuern und das Verschwinden des staatlichen Gesundheitssystems hatten viele Insel­bewohner an den Rand des Ruins getrieben.

Erneut klopfte jemand ungestüm an die Tür. Katharina stand missmutig auf. Ihr gesamtes Team, welches aus vier männlichen Polizeibeamten und einer Kollegin bestand, war schon vor einiger Zeit gegangen, und sie hatte sich daran gemacht ihren Schreibtisch zu ordnen. In der Hektik von Juli bis September war daran nicht zu denken, und dementsprechend sah das Chaos an ihrem Arbeitsplatz auch aus. Fast zwei Jahre waren jetzt schon vergangen, seit sie die Leitung der Dienststelle in der Hauptstadt von Paros übernommen hatte, und nach wie vor bereute sie es keine Sekunde Athen den Rücken gekehrt und sich auf ihrer Lieblings­insel neu eingerichtet zu haben. Ihr neuer Lebensmittelpunkt war jetzt Paros, ganz besonders Ambelas, der kleine Ort in der Nähe von Náoussa im Norden der Insel, der ihr so richtig ans Herz gewachsen war. Anfangs hatte sie noch etwas mit den einsamen Wintermonaten in dem beschaulichen Dorf gehadert, aber nachdem Dawid, ihr neuer Lebenspartner, bei ihr eingezogen war, hatte ihr Privat­leben nach langer Durststrecke eine positive Wendung genommen. Sie war rundum zufrieden.

Sie lief die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, um dem ungeduldigen Fremden die Tür zu öffnen. Draußen dämmerte es bereits, vor lauter Aufräumarbeiten hatte sie total die Zeit vergessen.

»Kalispera. Was gibt’s so Dringendes?«

»Ich brauche Ihre Hilfe! Mein Mann …«

»Was ist mit ihm?«

Vor Katharina stand eine Frau mit ängstlich aufgerissenen Augen. Sie trug einen schwarzen kurzen Rock und hohe Stöckelschuhe. Ihr Haar war wild zerzaust.

»Mein Mann ist weg!«

Mit einer knappen Handbewegung bat Katharina die ihr fremde Person einzutreten. »Mein Mann ist verschwunden!«, wiederholte die Unbekannte aufgebracht. Katharina zeigte ihr den Weg in das Büro ihres Stellvertreters Filippos, das als nächstes zur Eingangstür lag. »Setzen Sie sich erst einmal.«

»Ich will eine Vermisstenanzeige aufgeben «, sagte die Frau mit verzweifelter Stimme. Katharina zeigte auf den Stuhl, auf dem die Fremde Platz nehmen sollte. »Helfen Sie mir!«, flehte sie und legte ihre große rote Handtasche auf den Schreibtisch.

Katharina lies ihre Jacke auf den Bürostuhl fallen und berührte behutsam die Schulter der verängstigten Frau.

»Wie heißt Ihr Mann?« Die Stimme der Kommissarin klang professionell.

Die Frau rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.

»Kostas.«

»Und sein Nachname?«

»Aristidis.«

Katharina wurde ungeduldig.

»Wie lange vermissen Sie ihren Mann denn schon?«

»Noch nicht sehr lange«, erklärte die verunsicherte Frau verlegen, während sie aus ihrer Handtasche ein Smartphone hervorkramte und begann nach Bildern zu suchen. »Mein Kostas …«, flüsterte sie leise und legte das Gerät auf den Tisch, um mit Hilfe ihres Zeigefingers und Daumen ein Bild zu vergrößern.

Katharina betrachtete eine Weile das Foto: Ein Mann, Anfang Fünfzig mit schwarzen Haaren und Oberlippenbart lächelte in die Kamera. Seine braunen Augen leuchteten im Sonnenlicht, ein dunkles kleines Muttermal saß markant auf seiner rechten Wange. »Kann es einen Grund für sein Verschwinden geben?« Ohne eine Antwort abzuwarten zog sie ein Formular aus einer Schublade um die Personalien aufzunehmen.

»Was für einen Grund sollte es geben?« Ein beleidigter Blick richtete sich auf die Kommissarin. »Kostas kommt immer sehr pünktlich nach Hause!«

»Wie heißen Sie?«

»Wieso fragen Sie mich nach meinem Namen?« Die Frau blickte Katharina fragend an. »Mein Mann ist verschwunden! Den sollen Sie suchen! Kostas! Kostas Aristidis, heißt er«, wiederholte sie und zeigte hektisch auf das Bild.

Katharina musste sich zusammenreißen. Dramatische Auftritte konnte sie nicht leiden, schon gar nicht um diese Zeit. »Ich muss Ihre Personalien aufnehmen, liebe Frau.«

Die Besucherin erschrak über den bestimmenden Ton der Kommissarin.

»Also! Wie ist ihr Name?«

»Rika«, antwortete die Frau und griff sich in ihr verstrubbeltes Haar. Eine wilde, blond gefärbte Mähne fiel jetzt über ihre Schultern.

»Rika?«, hinterfragte die Beamtin mit leichter Verwunderung. »Das ist doch kein Name! Höchstens ein Kosename!«

»Natürlich ist es ein Kosename!«, bestätigte die Frau aufgewühlt und fügte leise hinzu: »Eine Abkürzung von Marika, aber ich werde immer Rika gerufen.«

»So, so! Marika. Und Ihr Nachname lautet ebenfalls Aristidis?«

»Nein, Psará!«, antwortete die Frau mit brüchiger Stimme.

Die Kommissarin schrieb den Namen in das vor ihr liegende Formular. »Ihren Personalausweis bitte!«

Die Besucherin reagierte nicht, sie saß in sich versunken auf ihrem Stuhl.

Katharina schaute leicht entnervt auf die Uhr an der Wand im Hintergrund. Die Zeiger standen auf 19:10 Uhr, sie wollte endlich nach Hause. Die zierliche Frau schluchzte plötzlich ungehemmt los und betrachtete dabei mit Sehnsucht das Foto ihres Ehemanns auf dem Display ihres Handys.

»Seit wann vermissen Sie Ihren Mann schon?« Die verstörte Frau holte ein Taschentuch aus ihrer Tasche.

Katharina nahm sich zusammen und wartete geduldig, bis Marika sich ihre Nasse geputzt hatte. Danach betrachtete diese sich im Spiegel des Smartphones, schob eine blondierte Strähne aus dem verweinten Gesicht und korrigierte den verschmierten Lidschatten mit ihrem Taschentuch. Dann tippte sie mit dem rot lackierten Zeigefinger auf die Wahlwiederholungstaste ihres Telefons und hielt es ans Ohr. »Sehen Sie! „Er hebt nicht ab!«

»Ihr Mann?« Katharina war irritiert von der späten Besucherin, die mit ihrem farbenfrohen Make Up, ihrer ungestümen Frisur und ihrem Sexappeal auf jede Theaterbühne gepasst hätte.

»Der Kostas, panajá mou! Der Kostas!« Sie bekreuzigte sich und blickte zur Decke, als suche sie nach Erlösung.

Katharina verdrehte ihre Augen, sie konnte es überhaupt nicht leiden, wenn Gott, oder, wie gerade geschehen, die Panajá – die Muttergottes – ins Spiel gebracht wurde. Eine typische Angewohnheit der Griechen, die sie nicht akzeptierte, immer, wenn es tragisch wurde, verlangten sie Hilfe von oben. »Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Mann gesprochen?« fragte sie und hoffte, dass das weinende Dornröschen endlich aufhören würde ihr Gesicht in ihrem Smartphone zu begutachten.

»Seit seinem Mittagessen in der Taverna Georgios. Von dort kam sein letztes Lebenszeichen. Die haben die leckerste Keftedakia auf Paros …«

»Und am welchen Tag war dieses besagte Mittagessen?«

Die Katzenaugen von Marika nahmen einen gekränkten Ausdruck an. »Ja, heute, natürlich!«

»Heute?« Katharina legte den Stift beiseite. »Sie vermissen Ihren Mann erst seit heute Mittag?« fragte sie erzürnt.

»Panajá mou!«, Marika bekreuzigte sich wieder mehrfach. »Ja, seit heute Mittag! So gegen 13:00 Uhr hat er sich bei mir gemeldet, wie gesagt, aus dem Restaurant. Danach musste er zurück ins Büro und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«

Katharina riss nun endgültig der Geduldsfaden. »Feierabend!« Sie wollte endlich nach Hause. Das Verschwinden dieses Mannes war gerade einmal ein paar Stunden her. Sie unterbrach das Geschwätz der Besucherin abrupt, was ihr einen tödlichen Blick von Rika bescherte. » Ich werde für einen erwachsenen Mann, der gerade einmal ein paar Stunden verschwunden ist, keine Vermisstenanzeige auf­nehmen. Kommen Sie Morgen wieder!» Für Katharina war die Angelegenheit erledigt.

»Was fällt Ihnen ein?«, mokierte sich Marika. »Das ist ja unerhört!« »Ich verlange sofort einen anderen Beamten!«

»Sehen Sie hier jemanden außer uns? Alle sind weg, und das machen wir jetzt auch.« Sie legte das Aufnahmeprotokoll verärgert zur Seite, schnappte sich ihre Jacke und ihre schwarze Ledertasche und klickte die Tischlampe aus.

»Aber, ich will eine Vermisstenanzeige aufgeben.«, beklagte sich Marika verzweifelt und beobachtete, wie die Kommissarin mit schnellen Bewegungen einen Lichtschalter nach dem anderen ausschaltete und zum Verlassen des Büros aufforderte. »Sein Auto steht im Hafen unten auf dem Parkplatz. Verstehen Sie nicht?«

»Liebe Frau Psará«, Katharina packte nun die späte Besucherin sanft an ihrem Elenbogen und geleitete sie in Richtung Ausgang. »Sie machen sich sicher umsonst Sorgen.«

»Aber ich kenne doch meinen Kostas!« Die Frau wollte immer noch nicht aufgeben. »Er geht immer ans Telefon, wenn ich anrufe.«

»Ich kann und werde keine Vermisstenanzeige aufnehmen, weil ihr Mann sich seit fünf Stunden nicht mehr bei Ihnen gemeldet hat!«, erklärte Katharina noch einmal mit Nachdruck. Sie komplementierte die kleine Frau nach draußen und schaute noch einmal zurück ins Gebäude. Alle Lichter waren aus.

»Sie verstehen mich nicht …«

»Nach so kurzer Zeit kann ich da leider noch nichts unternehmen.« Die Kommissarin kannte solche Situation aus Athen und konnte sich gut vorstellen, dass die gesuchte Person nach einem Rausch oder Ehekrach spätestens am nächsten oder übernächsten Tag wieder auftauchen würde. Wahrscheinlich saß ihr Gatte betrunken in einer Taverne und hatte Zeit und Raum hinter sich gelassen. Und mit einer versetzten Ehefrau wollte und konnte sie sich jetzt nicht einlassen. »Bitte telefonieren Sie zunächst alle ihre Bekannten ab«, sagte sie in aller Förmlichkeit und verriegelte die Eingangstür des Polizeigebäudes. »Wenn er bis morgen nicht zu Hause erscheint oder sich meldet, können sie gerne wieder kommen und wir nehmen den Fall auf.«

Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand wissen, dass das Verschwinden dieses Mannes aus Parikia nur ein kleines Mosaiksteinchen in einem skrupellosen Verbrechen darstellte.

Ein knappes Jahr vorher – Oktober 2012

Europazentrale der AquaTop AG, Amsterdam, Niederlande

Dr. Alexander Brünner hatte gegen 15:00 Uhr zu einer Videokonferenz geladen und konnte es kaum erwarten seinen neuesten Coup öffentlich zu machen. Seit Sechs Uhr in der Früh rannte er schon wie ein aufgeblasener Pfau durch seine Abteilung und raunzte seinen Mitarbeitern Anweisungen zu. Sogar sein Hemd hatte er schon wechseln müssen, so sehr hatte ihn seine innere Erregung zum Schwitzen gebracht. Alle Top-Analysten hatten zugesagt, und er würde einmal mehr zeigen, wer hier der kreative Kopf in diesem Unternehmen war. Schon dreimal hatte er die Videoanlage hoch- und runtergefahren, um absolut sicher zu gehen, dass alles funktionierte. Sogar einen Mitarbeiter aus der IT-Abteilung hatte er zur Sicherheit bestellt, damit im Falle eines Falles auch jemand mit technischem Sachverstand zur Stelle war. Schon mehrfach hatte er die gesamte Konferenz in seinem Kopf durchgespielt, und auf einen Punkt war er ganz besonders stolz. Die Eröffnung der Videokonferenz würde von Tom Polster persönlich – dem CEO der AquaTop AG – direkt live aus dem Headquarter in New York durchgeführt werden um der Bedeutung dieses Deals auch den richtigen Rahmen zu geben. Dabei würde sicherlich auch mehrfach sein Name erwähnt werden, denn er war es ja schließlich, der dieses Projekt federführend zum Abschluss gebracht hatte. Der Gedanke daran erregte ihn enorm, und er plante gedanklich schon den nächsten Sprung auf seiner Karriereleiter. Das wurde auch langsam Zeit, zumal er schon fast zwei Jahre auf seiner jetzigen Position verharrte. Davor hatte er 18 Monate die deutsche Niederlassung geführt, jetzt war es endlich Zeit für etwas Größeres. Hinter vorgehaltener Hand war schon davon die Rede, dass er die Leitung der soeben akquirierten Unternehmung übernehmen sollte, und das war genau der Job, den er brauchte, um in naher Zukunft ganz nach oben zu kommen. Es würde ein hartes Stück Arbeit werden die Firma auf den richtigen Kurs zu bringen, so wie es den Leitlinien der AquaTop AG entsprach, aber genau die richtige Aufgabe um später ins Headquarter nach New York berufen zu werden. Er berauschte sich immer wieder an dem Gedanken, aber jetzt galt es zunächst einmal die erfolgreich abgeschlossene Akquisition gebührend zu verkaufen und zu feiern. OsmoTec, so hieß das mittelständische High Tech Unternehmen mit circa 400 Mitarbeitern, welches nach zähen Verhandlungen nun, wie zahlreiche andere Firmen auch, zu dem Imperium der AquaTop AG gehörte und eine Produktlücke schloss, die dem Konzern auch die Marktführerschaft bei der Meerwasserentsalzung sicherte. Nachdem die Übernahme so gut wie sicher war, hatte man innerhalb von nur zwei Wochen eine eigene Abteilung zusammengestellt, die sich in Zukunft um den bestehenden Kundenstamm der OsmoTec kümmern sollte. Dieser bestand fast ausschließlich aus Betrieben, die ihr Geld mit der Lieferung von Trinkwasser, aufbereitet aus Meerwasser, in vielen Regionen auf der ganzen Welt verdienten. Schon lange plante die Firma in dieses lukrative Business einzusteigen, doch bislang fehlte die richtige Technik und Tom Polster hatte bereits mehrfach das für neue Zukäufe verantwortliche Management ausgetauscht. Erst mit Alexander Brünner war Bewegung in die Sache gekommen, und schnell hatte sich OsmoTec als die geeignete Firma herausgestellt, galt sie doch weltweit als Top-Hersteller von Entsalzungsmodulen zur Trinkwassergewinnung.

Besonders in Südeuropa und in Südostasien war das kreative Unternehmen in den letzten Jahren ­gewachsen und hatte sich dort viele Lorbeeren auf dem Gebiet der Meerwasser­entsalzung verdient. Umso betroffener reagierte die gesamte Belegschaft, als sie von dem geplanten Verkauf ihres so erfolgreich geführten Familienunternehmens überrascht wurden. Zahlreiche Umstrukturierungen ­wurden befürchtet, so wie es bereits ähnlichen Betrieben ihrer Branche ergangen war, die im Laufe der letzten Jahre von der AquaTop übernommen worden waren. Der alte Eigentümer hätte gerne eine andere Lösung gehabt, aber es fehlte ganz einfach an einem geeigneten Nachfolger und mit seinen 82 Jahren war sein Ausstieg aus der Firma schon lange überfällig. Sein Ziel bestand in der Einbindung seines Lebenswerkes in einen liquiden, weltweit operierenden Konzern und mit diesem Konzept konnte er schließlich auch seine Mitarbeiter überzeugen. Die Verhandlungen dauerten fast ein ganzes Jahr, bis der Deal schließlich in trockenen Tüchern war. Die nächsten Schritte nach einem neuen Einkauf waren bei der AquaTop AG in einer Standardarbeitsanweisung – auch SOP genannt – genauestens dokumentiert und folgten einem festen Muster.

Als allererste Maßnahme würde die Geschäfts­führung ausgetauscht und mit einem führenden Angestellten der AquaTop AG besetzt werden, der, wenn alles klappte, Dr. Alexander Brünner heißen sollte. Er rechnete mit der Ernennung innerhalb der nächsten Tage, denn Tom ­Polster hatte sich für Ende der Woche in Amsterdam angekündigt, und dann würden wohl alle geplanten Personalien im Zusammenhang mit dem Kauf der OsmoTec GmbH offiziell bekannt gegeben werden. Den Gedanken, dass eventuell jemand anderes für diese Position in Betracht gezogen werden könnte, ließ Dr. Brünner erst gar nicht zu, denn die Vorstellung in der zweiten Reihe zu agieren war für ihn vollkommen unakzeptabel. So wie er allgemein nur wenige in seinem direkten Umfeld akzeptierte, darunter zwangsläufig das Seniormanagement der AquaTop AG und Madame Karen, die Betreiberin eines kleinen Domina-Studios in der Kerkstraat. Zu dieser Frau pflegte er eine ganz besondere Beziehung, er war ihr bedingungslos verfallen. Sie war seine Vertraute, bei ihr hatte er sich schon so manches Leid von der Seele geredet. Hierhin verschwand er regelmäßig, wenn sein innerer Druck wieder einmal zu groß wurde und er nach der harten Hand der resoluten Dame gierte. Sie war sein Ventil, und unter dem strengen Blick von Madame Karen konnte er sich der aufgestauten Dinge entledigen um dann, nicht nur um ein paar Hundert Euro erleichtert, wieder an sein Tagesgeschäft zu gehen. Dass er dabei neben seinen kleinen Beichtgeständnissen auch noch Lust empfand, machte einen Besuch in dem intimen Studio ganz besonders attraktiv. Das würde er vermissen, wenn er denn irgendwann einmal in die heiligen Hallen des Headquarters in New York wechseln würde. In dem neuen Unternehmen würde er freie Hand haben, um die im Vorfeld akribisch analysierten Einsparpotentiale schnellstens umzusetzen. Noch in dieser Woche würden zwei Mitarbeiter von Human Resources, der Personalabteilung von AquaTop, sich in dem ehemaligen Familienunternehmen umsehen und von allen Führungskräften ein Profil anlegen. Dabei würden schon in der ersten Runde ein paar kritische Angestellte auf der Strecke bleiben. Kein Job, bei dem man sich Freunde machte, aber das wurde auch nicht von ihnen verlangt, ganz im Gegenteil, hier setzte die AquaTop AG nur auf Köpfe, die ohne Zaudern alle erforderlichen Maßnahmen ohne Rücksicht umsetzten. Die Ergebnisse würde man Brünner sodann sofort zur Verfügung stellen, damit er sich mit seinem neuen Team alsbald an die Arbeit machen konnte. Unter strenger Beobachtung würde er dabei in den nächsten Wochen stehen, und er wusste, dass er sich keinen Fehler erlauben durfte, was das Erreichen der gesteckten Ziele betraf. Der hoch motivierte Manager war nicht zufällig für diese anspruchsvolle Aufgabe ausgewählt worden, so wie auch alle anderen wichtigen Entscheidungen bei der AquaTop AG nicht dem Zufall überlassen wurden. Entscheidend war ein kleiner Vermerk in seiner Personalakte gewesen, dass ihn für heikle Aufgaben wie diese geradezu prädestinierte. Er gehörte zu dem Managertyp mit ausgeprägten soziopathischen Merkmalen, das hatte ein eigens für die AquaTop entwickelter Persönlichkeitstest ergeben. Der hauseigene Konzernpsychologe hatte seinerzeit sogar von einer Einstellung abgeraten, doch höchst angetan von Brünners souveränem Auftritt hatte sich die weibliche Leitung von Human Resources darüber hinweggesetzt. Die entscheidende Stimme kam von Sonja Roberts, der globalen Direktorin der Abteilung, die in Brünner einen exzellenten Nachwuchsmanager sah, der dem Unternehmen nur zu guttun würde. Inwieweit ihre persönlichen Präferenzen für den, von ihr mehrfach als attraktiv und sexy bezeichneten Brünner dabei eine Rolle gespielt hatten, konnte nie geklärt werden. Auf jeden Fall war er bestens geeignet für großangelegte Umstrukturierungen, bei denen die Gefühlswelt gekränkter und verunsicherter Mitarbeiter völlig ausgeblendet werden musste.

Für Dr. Alexander Brünner war es ein Problem, sich in andere Menschen hinein zu versetzen, geschweige denn in deren Seelenleben, was ihm völlig fremd war, so wie er auch äußerst selten von Schuldgefühlen ereilt wurde. Im Fokus seines Handelns stand stets er selbst, immer darauf bedacht im Sinne seiner Auftraggeber zu glänzen. Seiner narzisstischen Neigung folgend, eilte er auf die Toilette um sich im Spiegel zu mustern. Seine Krawatte saß korrekt, er sah weder zu blass aus, noch hatte er Schweißflecken auf seinem Hemd. Jetzt, um Gottes Willen keine Schwäche zeigen, dachte er. Der zugeschaltete Konzernpsychologe würde dies sofort erkennen und ihm negativ auslegen. Er betrachtet sich von allen Seiten, es gab nichts zu mäkeln und so betrat der ehrgeizige Manager mit kühlem Blick wenige Minuten vor 15:00 Uhr den Konferenzraum.

November 2012

Koh Samui, Provinz Surat Thani, Thailand

Michael Kober lehnte sich entspannt zurück und wartete auf seinen Papayasalat, den er sich bei einem seiner Angestellten bestellt hatte und den er fast jeden Mittag zur gleichen Zeit auf der großzügigen Restaurant­terrasse zu sich nahm. Das Sun Flower Ressort, welches er nun schon seit gut zwei Jahren leitete, war bereits gut gebucht, obwohl es im November immer noch zu starken Wolkenbrüchen kommen konnte. Doch man spürte längst das nahende Ende der Regenzeit und für die nächsten drei Monate gab es bereits zahlreiche Reservierungen, die die Kasse klingeln ließen. Zum Glück hatten sie den Trend der Zeit früh genug erkannt und das in die Jahre gekommene Ressort zu einer Luxusherberge umgebaut. Die immer zahlreicher kommenden Touristen aus Russland und zunehmend auch aus China waren bereit, für Extravagantes kräftig in die Tasche zu greifen. Die Zeiten der mittellosen Backpacker, die lange die drittgrößte Insel im Golf von Thailand belagert hatten, waren endgültig vorbei und Fünf-Sterne-Hotels wie das Sun Flower gaben zunehmend den Ton auf Koh Samui an. Das Ressort lag ganz im Norden der Insel am weitläufigen Maenam Strand, einer der wenigen Ecken, wo es noch recht beschaulich zuging. Wem mehr nach Nightlife und Abenteuer zumute war, war am Chaweng Beach besser aufgehoben. Michael Kober liebte diesen Strandabschnitt und sein Blick schweifte stolz über den liebevoll angelegten Garten, in dem zwischen viel Grün und blühenden Gewächsen die unterschiedlichen Bungalows versteckt waren.

Als er damals beschlossen hatte nach Asien zu gehen, konnte er sich mehrere Anlagen aussuchen, denn Deutsche Führungskräfte im Hotelgewerbe wurden weltweit gesucht, man schätzte ihre Disziplin und Gründlichkeit. Seine Entscheidung war letztendlich auf das Sun Flower gefallen, denn dort hatte man dem jungen Manager viel freie Hand bei der Umgestaltung gelassen und dazu ein großzügiges Budget zur Verfügung gestellt, von dem er bei anderen Hotels nur träumen konnte. Jetzt war soweit alles auf dem neuesten Stand, bis auf eine notwendige Sanierung, aber auch die war bereits durchgeplant und sollte in der nächsten Woche in Angriff genommen werden.

Die Schattenseiten des in den letzten Jahren stark zugenommenen Tourismus auf dem als »Trauminsel« beworbenen Koh Samui machten sich in unterschiedlichster Form vor allem für die ursprünglichen Einwohner bemerkbar. So beklagten sich viele, ihr Land an Unternehmer vom Festland verloren zu haben und darüber, dass vielerorts die Kokospalmen-Haine, die früher zahlreiche Strände säumten, mehr und mehr verschwunden waren.

Doch am meisten machten ihnen die stark gestiegene Preise für Lebensmittel sowie für Trinkwasser zu schaffen. Denn unter dem rasanten Bevölkerungszuwachs hatten ganz besonders sowohl die Qualität als auch die Quantität des kostbaren Nass’ gelitten. Das hatte zur Folge, dass die Insulaner heute oft auf Wasser aus Flaschen zugreifen mussten, was ein immer größeres Loch in ihren meist kargen Geldbeutel riss. Auch im Sun Flower Ressort war das ein erheblicher Kostenfaktor und Michael Kober war schon länger damit beschäftigt, eine andere, auf Dauer günstigere Lösung zur Trinkwasser­versorgung zu suchen. Vor zwei Monaten war er dann auf die Anzeige einer deutschen Firma gestoßen, die in Bangkok ein Büro unterhielt und Trink­wasseraufbereitungssysteme für Hotelanlagen anbot. Sein Interesse war sofort geweckt und nach ein paar Telefonaten mit der Niederlassung in der Hauptstadt war ein Mitarbeiter zu einem Beratungsgespräch zu ihm auf die Insel gekommen.

Der entsandte Berater der OsmoTec GmbH sprach fließend Deutsch und war bestens vorbereitet, als er sein Konzept dem Hotelmanager vorstellte. Er hatte sogar eine Liste bereits abgeschlossener Projekte mit im Gepäck, die ähnliche Probleme mit der lokalen Trinkwasserqualität hatten und bereit waren sich mit dem noch unschlüssigen Manager auszutauschen. Das hatte er dann auch getan und die Rückmeldungen, die er bekam, waren durchweg positiv, was ihn in seiner Entscheidung eine hauseigene Trinkwasseraufbereitung aufzubauen, beflügelte.

Als nächster Schritt mussten gemeinsam mit dem hoteleigenen Hausingenieur die technischen Daten aufgenommen werden um die Bemessung einer geeigneten Anlage vorzunehmen und ein Angebot erstellen zu können. Laut Berechnungen der Firma OsmoTec sollte sich bei dem angegebenen Trinkwasserbedarf des Sun Flower Ressort, die Anlage schon nach knapp zwei Jahren amortisieren, eine Rückfrage bei den gelisteten Referenzen bestätigte Michael Kober diese Daten. Das überzeugte ihn schließlich, und mit diesen fundierten Informationen beantragte er die notwendigen Mittel bei der Hotelzentrale. Schon nach ein paar Tagen erhielt er grünes Licht für die geplanten Umbaumaßnahmen.

Das alles war schon vor einigen Wochen erfolgt, und jetzt war es endlich soweit und das Sun Flower Ressort würde in der nächsten Woche auf eine autarke Trinkwassergewinnung mittels mehrerer Umkehrosmose-Module der Firma OsmoTec umgestellt werden. Er hoffte, dass die ganzen Installationen in der vereinbarten Zeit über die Bühne gehen würden, denn ab Anfang Dezember begann die Hauptsaison und dann war keine Zeit mehr für die Koordination irgendwelcher Bauarbeiten.

Genüsslich widmete er sich seinem Papayasalat mit Limettendressing, den er mittlerweile sogar in der »normalen« thailändischen Schärfe essen konnte. Seine europäischen Geschmacksknospen hatten sich angepasst, so wie er sich auch an die Lebensweise der Thais gewöhnt hatte. Er mochte ihre Ruhe und Gelassenheit, eine vollkommen andere Art zu leben, als die im hektischen Deutschland, und das machte sich positiv in seinem ganzen Leben bemerkbar.

Dass es in wenigen Wochen mit der thailändischen Gelassenheit vorbei sein sollte und er an die Grenzen seiner Belastbarkeit kommen würde, konnte er an diesem entspannten Novembertag noch nicht erahnen.

Katharina Waldmann

Parikia, Paros

Katharina drehte sich im Halbschlaf noch einmal auf die Seite, ihre Hand tastete nach Dawid um die letzten Minuten gemeinsam das warme Bett zu genießen. Doch sie griff ins Leere, denn er war schon vor einer Stunde aufgestanden und frühzeitig zu seiner Werkstatt aufgebrochen. Eine wichtige Arbeit musste nach Naxos geliefert werden, und somit entfiel das gemeinsame Frühstück, an das sie sich so gewöhnt hatten und – bis auf wenige Ausnahmen – auch täglich zelebrierten. Der Wecker hatte jetzt schon das zweite Mal geklingelt und es wurde Zeit aufzustehen, das gab ihr auch Karl, ihr verwöhnter Kater eindeutig zu verstehen. Sie schaltete den Alarm aus und schwang sich aus ihrem großen Bett, das Dawid kurz nach seinem Einzug gebaut hatte.

Den heutigen Tag würde sie auch wieder nutzen um ihre während der Sommerzeit liegen gebliebene Ablage zu sichten und aufzuräumen. Es war Freitag, und sie freute sich auf ihre langjährige Kollegin und Freundin Angelikí, mit der sie so lange in der Athener Mordkommission zusammengearbeitet hatte. Ihr Besuch war schon mehrfach angekündigt, aber immer wieder verschoben worden. Diesmal schien es tatsächlich zu klappen, und sie hoffte eine Menge Neuig­keiten aus ihrer alten Dienststelle zu erfahren. Außerdem schien Angelikí ihr etwas wichtiges Privates mitteilen zu wollen, so geheimnisvoll wie sie am Telefon geklungen hatte. Katharina war schon ganz neugierig. Hektisch schaute sie auf die Uhr – für ein ausgiebiges Frühstück blieb keine Zeit mehr, wenn der Morgen ruhig verlief, könnte sie das aber vielleicht später gemeinsam mit ihrem Team nachholen. Ein gesponsertes Arbeitsfrühstück mit der ganzen Mannschaft, den drei Beamten Takis, Konstantinos und Spyros, die sie von ihrem Vorgänger und Freund Adonis Georgidis übernommen hatte, sowie ihrem Stellvertreter Filippos aus Athen und ihrer Sekretärin Xenia, war stets eine gern gesehene Geste. Eine kleine Entschädigung für die früher stattgefundene Beköstigung durch Adonis’ Frau Nektaria, einer begnadeten Köchin, die es sich nicht nehmen ließ, ihren Mann und dessen Mitarbeiter regelmäßig in der Dienststelle zu bekochen. Katharina wusste von den Kochkünsten Nektarias, war sie doch während ihrer Urlaube auf Paros häufig bei den Georgidis eingeladen gewesen. Nektaria hätte an der langgepflegten Tradition auch gerne festgehalten, doch für die Kommissarin kam das nicht in Frage, sie waren ja schließlich kein Restaurantbetrieb, sondern eine Polizeidienststelle. Eine ihrer ersten Maßnahmen, um etwas frischen Wind in die behäbige Truppe zu bekommen. Die drei alteingesessenen Polizisten hatten es mürrisch zur Kenntnis genommen.

Schnell machte sie sich auf den Weg von Ambelas nach Parikia, eine Strecke, die, wenn es gut lief, in zwanzig Minuten zu schaffen war. Ihr Autoradio dudelte leise vor sich hin, und während sie die Abzweigung in Richtung Parikia nahm, hörte sie in den Morgennachrichten von erneuten Protestkundgebungen in Athen und Thessaloniki. Der Grund dafür war die geplante Privatisierung der öffentlichen Trinkwasserversorgung, und das erregte seit einigen Wochen die Gemüter. Die Bevölkerung befürchtete weitere Kostensteigerungen und wehrte sich mit allen Mitteln, aber unter dem Druck der Troika waren bereits beide großen Versorger in Aktiengesellschaften umgewandelt worden um eine Übernahme durch einen privaten Investor vorzubereiten. An vorderster Front mit dabei war auch die AquaTop AG, und das verantwortliche Management wartete schon ungeduldig auf die Unterzeichnung der entsprechenden Verträge. Katharina missfiel der Gedanke zutiefst, sie hatte Freunde in Großbritannien, die sich oft über die ständig steigenden Trinkwassergebühren beschwerten, seitdem die Thatcher-Regierung in einer großen Welle viele behördlichen Einrichtungen, so auch die öffentliche Trinkwasserversorgung, privatisiert hatte. Doch nicht nur die großen Städte in Griechenland standen auf der Einkaufsliste der AquaTop AG, auch viele Kykladen Inseln waren seit längerem im Visier des Großkonzerns. Besonders auf Mykonos war man aufmerksam geworden, nachdem die Negativschlagzeilen zu Trinkwasserengpässen in den Sommermonaten immer häufiger in der Presse erschienen. Große Tankschiffe mussten mittlerweile jedes Jahr für teures Geld gechartert werden, um den immer weiter sinkenden Grundwasserspiegel auszugleichen und eine einigermaßen ausreichende Trinkwasserversorgung auf der Touristeninsel sicherzustellen. Auch auf Paros hatte der Grundwasserspiegel mittlerweile eine kritische Grenze erreicht, und es bedurfte dringend neuer Konzepte um auch in Zukunft die Insel mit genügend Trinkwasser zu versorgen.

Sie stellte ihren Wagen auf dem für sie reservierten Parkplatz, direkt vor der Polizeistation ab und eilte an die Eingangstür. Schon beim Öffnen der Tür vernahm sie einen angenehmen Kaffeegeruch. Die gute Xenia, von Anfang an ihre Verbündete, war schon da und hatte wie jeden Morgen frischen Kaffee zubereitet. Katharina betrat mit einem fröhlichen »Kalimeraaa« ihre Dienststelle und ging direkt in Richtung Küche.

»Kakí iméra!«, hörte sie eine Stimme aus dem ersten Büroraum und Katharina schaute fragend ihre Sekretärin an, die gerade eine Tasse Kaffee einschenkte und sie ihr übereichte.

»Kaliméra, Katharina«, begrüßte Xenia ihre Chefin und deutete mit einem Kaffeelöffel in der Hand auf das benachbarte Büro.

»Wer ist da drin?«

»Xenias abfällige Handbewegung verhieß nichts Gutes. »Takis nimmt gerade eine Vermisstenanzeige auf«. Sie flüsterte fast.

»Und?« Katharina schürfte an ihrem Kaffee.

»Die Frau sucht ihren Ehemann und … und ist sehr sauer, weil …. ja, weil …«Sie suchte nach den richtigen Worten.

»Weil ich sie gestern weggeschickt habe!«, ergänzte Katharina.

»Genau!« Xenia war sichtlich erleichtert, dass sie keine weitere Erklärungen liefern musste »Takis gibt sein Bestes!« Sie ist seine Nachbarin.«

»Oh, je!« Katharina seufzte tief. Die Insulaner kannten sich fast alle, waren verwandt, verschwägert und vielfach trugen sie Familienfehden über Generationen aus. Sie selbst war in der Paroanischen Gesellschaft eine »Neue« und musste oft feststellen, dass die Bewohner untereinander mit einem sanfteren, manchmal recht kumpelhaften Verhalten ihre Beziehungen zueinander pflegten. Ganz anders, als sie es aus Athen gewohnt war.

»Es ist alles OK«, sagte Xenia beruhigend und lächelte. Die gute Seele der Dienststelle war wie sie, eine »Fremde« vom Festland und obwohl verheiratet mit einem Paroaner, hatte sie manchmal das Gefühl, dass sie nicht wirklich zu den Einheimischen gehörte. Sie hatte das eine oder andere Mal mit Katharina darüber gesprochen, und das verband die beiden Frauen. Katharina, die in Athen aufgewachsen und Jahre lang im Dschungel der Millionenstadt gearbeitet hatte, pflegte einen raueren Ton gegenüber Verbrechern, Straftätern oder Gesetzesbrechern im Allgemeinen als ihre Kollegen aus Paros. Takis, ihr Dienstältester Mitarbeiter, war da genau das Gegenteil. Seine Art, mit den Insulanern zu sprechen, war demonstrativ brüderlich und familiär. Ausdrücke, die Katharina zum Rasen brachten und am Anfang für viel Zoff zwischen den beiden gesorgt hatte. Dabei spielte natürlich auch die Tatsache, dass Takis nicht den Posten des Stellvertreters bekommen hatte, eine große Rolle. Mittelweile hatten sich die Wogen geglättet und Katharina verstand besser, wie die Paroaner tickten. In vielen Fällen überlies sie dann Takis das Feld und agierte im Hintergrund, was der wohlwollend registrierte.

Mit der Erkenntnis, dass wieder einmal ein »Familienfall« vorlag, also ein Fall für Takis, ging sie mit großen Schritten Richtung Flur. Mit der Tasse Kaffee in der Hand lief sie weiter in ihr Büro ohne einen Blick in Takis Zimmer zu werfen, wo der mit sanfter Stimme versuchte der Frau neuen Mut zu geben. Als eine gefühlte Stunde später Takis Marika Psará bis zur Ausgangtür begleitete – rührend und fürsorglich, so als wäre sie seine Schwester – hörte sie ihn mit einer Stimme, die echte Anteilnahme vermuten ließ sagen: »Ich kümmere mich persönlich darum, Rika.«

»Danke, Takis« kam die gehauchte Antwort und das schnell leiser werdende Klacken der Stilettos signalisierte, dass die Psará sich entfernt hatte.

»Kalimera, Katharina« Takis blieb an der geöffneten Tür ihres Büros stehen.

»Der Ehemann ist wohl immer noch nicht aufgetaucht!«, bemerke die Kommissarin knapp, bevor er etwas sagen konnte. »Im Grunde genommen ist selbst nach einer Nacht noch kein dringender Handlungsbedarf gegeben!«

»Aber ich kenne Kostas und Rika persönlich«, protestierte der rundliche Polizist

»Dann solltest wohl auch du die Nachforschungen einleiten!«, sagte sie prompt und führte ihre Kaffeetasse an ihre Lippen.

Takis brauchte einige Sekunden um zu begreifen, dass Katharina ihm gerade offiziell den Fall zugewiesen hatte und er die Vermisstenanzeige, die er aufgenommen hatte, nun abarbeiten durfte.

»Ja, ja sofort«, sagte er zufrieden, »ich beginne bei seiner Arbeitsstelle.«

»Danke, dass du dich um Frau Psará kümmerst«, erwiderte Katharina und damit war die Angelegenheit für Sie erledigt. Ein Routinefall, der sich bestimmt schnell aufklären würde.

Takis blieb mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch zurück. Dieses »Danke« aus Katharinas Mund irritierte ihn. Vielleicht weil er es so selten hörte, ein Danke von seiner Vorgesetzten. War es ironisch oder herzlich gemeint?

Katharina widmete sich wieder dem Chaos auf ihrem Schreibtisch. Beim Anblick des Notizzettels, auf dem die Ankunftszeit von Angelikí vermerkt war, glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Das Wochenende stand vor der Tür.

Takis Papandreou

Parikia, Paros

Takis folgte der Straße entlang der Hafenpromenade in Richtung des Hotels Pandrossos, das auf einer Anhöhe am Ende der Allee lag. Dort machte die Straße eine scharfe Linkskurve, hinter der sich die Stadtverwaltung befand. Er dachte an Rika und ihre vom Weinen ­geröteten Augen, die sie mit ihrer Sonnenbrille versucht hatte zu verstecken, als sie heute Morgen vor ihm stand. Sie hatte an seine Tür geklopft und er war geschockt gewesen, als sie augenblicklich angefangen hatte zu weinen. Er hatte ihr einfühlsam erklärt, warum Katharina sie weggeschickt hatte. Vorschriften hin oder her, er hätte sofort gehandelt. Wie konnte man nur Rika nicht helfen! Er parkte seinen Wagen in der kleinen Einbuchtung vor dem Gebäude, das hinter einer Treppe und einem großen Vorplatz lag. Obwohl er schon unzählige Male hier gewesen war, schweifte sein Blick aufs Meer hinaus, und er genoss für einen Moment den wunderbaren Ausblick, den man von hier oben hatte. Den weitläufigen Platz schmückte ein uralter Feigenbaum, in dessen Stamm sich über die Jahre unzählige Liebespaare verewigt hatten. Plötzlich musste er sich eingestehen, dass Rikas Anblick ein Kribbeln bei ihm ausgelöst hatte. Er konnte nicht definieren, woran es lag. Waren es die traurigen Augen oder ihre blondierte Haarpracht? Das tiefe Dekolleté? Und dann noch dieser Feigenbaum! Erinnerungen wurden unweigerlich wach und er suchte an dem dicken Baumstamm, bis er die Stelle fand. Ein über die lange Zeit verwachsenes eingeritztes Herz unterlegt mit den Buchstaben »T+R«. Takis, mittlerweile Mitte Fünfzig, blickte zurück auf die Jahre, Sommer und Winter der Vergangenheit. Gefühle überwältigten ihn für einen Moment, Gefühle, die er noch nie geäußert hatte. Rika war sein geheimes Verlangen. Rika, die für ihn Unerreichbare, verheiratet mit Kostas Aristidis, seinem Nachbarn, Schulfreund und entferntem Vetter. Rika, die seit vielen Jahren gegenüber wohnte. Takis holte tief Luft. Das Blau der Ägäis hatte die Kraft ihn zu beruhigen. Ob Kostas tatsächlich etwas zugestoßen war, fragte er sich. Oder wünschte er es sich sogar insgeheim? Er schüttelte energisch den Kopf, löste seine Hände abrupt von dem Feigenbaum und machte sich auf den Weg in Richtung der Abteilung für Trinkwasser­versorgung, die in einem Nebengebäude untergebracht war.

Cháris Papadakis telefonierte gerade lautstark, als Takis sein Büro betrat. Er wirkte gestresst, und auf seinem Schreibtisch stapelten sich unzählige Aktenordner. Inmitten der Berge von Papier versteckten sich ein halbleeres Glas Frappé, ein volles Glas Wasser, ein seit Tagen nicht geleerter Aschenbecher, ein Päckchen Assos Filter, Kugelschreiber und ein Foto seiner zwei Kinder. Takis und Cháris kannten sich, waren fast gleichaltrig und pflegten wenig Sympathie zueinander. Der Polizist mochte den angeberischen Ton nicht, den Cháris häufig an den Tag legte. Als sich die Blicke der zwei Männer trafen, wurde Cháris Stimme spontan lauter und prahlender. Er gab ihm ein Handzeichen sich auf den Stuhl an dem zweiten Schreibtisch in dem engen Büro, der nicht besetzt war, zu setzen. Der Polizist nickte dankend, bevorzugte es aber zu stehen. Weder der Raum, noch der Stuhl luden dazu ein Platz zu nehmen oder sogar hier zu verweilen. Das klingelnde Telefon auf dem leeren Schreibtisch nervte dazu gewaltig, und Cháris lautstarkes Telefongespräch über die politischen Auswirkungen in seinem Job interessierten ihn nicht.

»Mensch, Takis!«, rief Charis schließlich als er endlich den Telefonhörer aufgelegt hatte. »Finde um Gottes Willen schnell Kostas!« Eine theatralische Handbewegung unterstrich seine Worte und erst danach reichte er ihm seine Hand. »Rika ist außer sich!«, fügte er noch hinzu.

»Dafür bin ich da!« Takis schüttelte nur widerwillig die angebotene Hand. »Aber dazu brauche ich deine Mithilfe«, sagte er und bewegte sich Richtung Fenster. »Wann hast du Kostas Aristidis das letzte Mal gesehen?«

»Gestern …«

»Und? Was hat er gemacht?«

»Nichts, also nichts Besonderes.«

»Ist er ganz normal zur Arbeit erschienen?«

»Ja, doch …« Charis versuchte sich den Tagesablauf gedanklich in Erinnerung zu rufen. Takis beobachtete, wie sein Gesprächspartner mehrfach den Kopf schüttelte und ein plötzliches Aufblitzen in dessen Augen signalisierte, dass es vielleicht doch etwas Außergewöhnliches gegeben hatte. »Es war eigentlich ein Tag wie jeder andere.« Seine Stimme wirkte künstlich. »Stress pur!«, ergänzte er und zeigte auf die Stapel von Anträgen und Bauzeichnungen, die überall herum lagen. »Kostas ist etwas früher weg, weil er einen Arzttermin hatte.«

Takis horchte auf.

»Er hatte Probleme mit seinem Magen, hat er mir erzählt und wollte das abklären lassen.«

»Ist das sein Schreibtisch?«

»Ja, wir sind zu zweit hier.« Cháris war es unangenehm, als der Polizist in der Unordnung auf Kostas Schreibtisch herumblätterte. Er seufzte. »Wer weiß, ob wir nächstes Jahr unseren Job überhaupt noch haben! Jetzt wollen die auch noch die gesamte Trinkwasserversorgung privatisieren!«