Guignol's Band I - Louis-Ferdinand Céline - E-Book

Guignol's Band I E-Book

Louis-Ferdinand Céline

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dies ist die erste Übertragung von «Guignol's Band» ins Deutsche. Auflösung und Panik bestimmen das Romangeschehen: der Ausnahmezustand des Krieges im London des Jahres 1915, der verwundete Erzähler Ferdinand im halbkriminellen Milieu, inmitten einer Bande von Zuhältern, Prostituierten, Hehlern und Bombenwerfern. Wie Gliederpuppen (Guignol spielt auf das gleichnamige Theater für Horrorstücke an) zappeln die Personen an Fäden, die der Krieg zieht. Die Handlungsabläufe geraten außer Kontrolle, sie steigern sich ins Reißende und treiben auf die Katastrophe zu - das Ordnungsgefüge bricht zusammen. Der Sprachrhythmiker Céline peitscht die Sätze in ein atemberaubendes Furioso und spielt zu einer Endzeit auf, der er selber nur mit knapper Not entgehen sollte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 484

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Louis-Ferdinand Céline

Guignol's Band

Roman

Aus dem Französischen von Werner Bökenkamp. Mit einem Nachwort von Hanns Grössel

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Geneigte Leser, weniger ...Bravum! Wravum! … ...Sehr schön gesagt! ...Man ist mit ...Natürlich werd ich ...Ich habe einen ...Nehmen wir mal ...Den Cascade hat ...Als Clodowitz uns ...Sobald ihr Hintern ...Wir hielten einen ...Im Augenblick, da ...Ich sah mir ...Ich erzähle das ...Das gab ein ...Schön, sehr schön, ...So war ich ...Alles in allem ...Nachwort
[zur Inhaltsübersicht]

Geneigte Leser, weniger geneigte, feindselige, Kritiker! Da hab ich doch wieder solche Geschichten mit diesem ‹Guignol’s› Buch I! Verurteilt mich nicht voreilig! Wartet doch mal die Fortsetzung ab! das Buch II, das Buch III! alles klärt sich auf, entwickelt sich, kommt in Ordnung! Es fehlen ja noch drei Viertel! So was gibt’s doch nicht! Aber es musste schnell gedruckt werden wegen höchst bedenklicher Umstände, da man nicht weiß, wer da leben bleibt oder stirbt! Denoël[1] … Sie? ich? … Ich hatte 1200 Seiten vor! Stellen Sie sich das mal vor!

«Sie tun gut daran, uns zu warnen! Wir werden die Fortsetzung niemals kaufen! So ein Dieb! Was für ein missratenes Buch! Eine Tranlampe sind Sie! ein Hanswurst! ein Grobian! ein Verräter! ein Jude!»

Alles.

Ich weiß, ich weiß, ich bin’s gewöhnt … das ist meine Musik!

Ich kotze alle Leute an.

Und wenn sie es fürs Abitur lernen, in zweihundert Jahren, und die Chinesen? Was werden sie dazu sagen?

«Aber da, ach du Elend! der Freigeist! Und die drei Pünktchen! Oje, Ihre drei Pünktchen. Wieder überall! ein Skandal! Er verstümmelt uns unsere französische Sprache! Das ist die Niedertracht! Ins Gefängnis! Geben Sie uns die Pinke zurück! Sie Miesling! er verletzt all unsere Sprachregeln! Das Miststück! Das ist himmelschreiend!

Eine entsetzliche Szene!

«Unlesbar! Der Wüstling! Der Lump! Der Betrüger!»

Vorläufig!

Da kommt doch der Denoël ganz außer sich an.

«Aber sagen Sie mal, ich verstehe da überhaupt nichts! Nein, so was! Das ist doch fürchterlich! ganz unmöglich! Ich sehe da nur Krawalle in Ihrem Buch! Das ist ja nicht mal ein Buch! wir steuern direkt in eine Katastrophe hinein! Hat weder Hand noch Fuß!»

Ich sollte ihm den ‹König Lear› bringen, da würde er nur Massaker finden.

Was sieht er denn im Leben?

Und dann gibt sich das … alle gewöhnen sich daran … und alles renkt sich ein … bis zum nächsten Mal!

Jedes Mal ist es derselbe Zungenschlag! Da wird gezetert, und dann beruhigt man sich. Sie mögen nie, was man ihnen bietet. Das bekommt ihnen nicht! oder es ist zu lang! das langweilt sie! irgendetwas ist immer! es ist niemals recht! und dann auf einmal sind sie ganz darauf versessen! Sehen Sie mal zu!

Ändern Sie etwa das Temperament! Es ist voller Launen! ich rechne damit, dass es ein gutes Jahr dauert, bis sich das abklärt … bis jeder sein kräftiges Wort gesagt hat, seine Galle verspritzt, seinen Kokolores ausgequatscht, ausgespien hat … Dann tritt Schweigen ein … und hundert-, zweihunderttausend kaufen es … ganz heimlich … lesen es … zanken sich herum … zwanzigtausend lobhudeln es, lernen’s auswendig … dann wird man ins Panthéon versetzt!

In allen Fällen dasselbe Szenario.

‹Tod auf Kredit› wurde, man sollte sich daran erinnern, von einem jener Sperrfeuer aufgenommen, wie man es nicht oft erlebt hat, derartig heftig, gehässig und bösartig! Das ganze Aufgebot, die Elite der Kritik, verdammt vollzählig, Pfaffenknechte, Freimaurer, Juden, alte Knacker und alte Schachteln, Brillenschlangen, Tuschler, Athleten, Federfuchser, die ganze Kohorte stand da, verstört und geiferte!

Das Halali!!

Und dann gibt sich das, und sehen Sie, zurzeit wird ‹Tod auf Kredit› höher eingeschätzt als die ‹Reise›. Es verschlingt uns sogar unser ganzes Papier! Es erregt Skandal!

So geht das nun …

Ja, aber da sind die vielen «Scheiße» drin! Die unanständigen Wörter. Das ist es ja gerade, was die Leserschaft anlockt!

«Oh! Ich sehe, worauf Sie hinauswollen. Das ist leicht gesagt! Man muss sie an die richtige Stelle setzen! Versuchen Sie’s doch mal! Scheißt nicht jeder richtig, der’s will? Das wäre zu einfach!

Ich setze Sie ein bisschen ins Bild, führe Sie in die Kulissen, damit Sie sich keine Gedanken machen … anfangs machte ich mir auch welche … jetzt nicht mehr … aus Erfahrung …

Es ist ja ulkig, man sabbelt, erhitzt sich da ringsum … Es wird über die drei Pünktchen diskutiert oder auch nicht … ob das heißt, die Leute verkoksen … und dann noch dies und das … wie er sich gebärdet! … sein Getue … usw. und papperlapapp! … und die Kommata! aber niemand fragt mich, was ich denke! … und man zieht Vergleiche … Ich bin nicht neidisch, das können Sie mir glauben! … herrje! wie schnurz und piepe mir das ist! Umso besser für die anderen Bücher! … Aber ich persönlich kann sie einfach nicht lesen! Ich finde sie im Entwurf steckengeblieben, nicht geschrieben, totgeboren, weder verfasst noch zu verfassen, da ist kein Leben drin … es ist nichts damit los … oder aber die haben alles phrasenhaft erlebt, ganz scheußlich schwarz, ganz schwerfällig in der Tinte, tote Phrasendrescherei, tote Rhetorik! Oh, wie traurig das ist! aber jeder nach seinem Geschmack!

Zum Teufel mit dem Krüppel! Werden Sie sich sagen … ich sehe Ihnen mein Gebrechen nach, Sie werden keine einzige Zeile mehr lesen! Und da wir bei den Geheimnissen sind, werd ich Ihnen noch ein anderes verraten … ein abscheuliches, schreckliches! … wirklich absolut unheilvoll … ich will es lieber gleich mit Ihnen teilen! … es hat ja mein Leben in ganz falsche Bahnen gelenkt …

Ich muss Ihnen gestehen, mein Großvater, Auguste Destouches seines Namens, der machte in Rhetorik, der war sogar Lehrer dafür am Gymnasium in Le Havre und ein glänzender, um 1855.

Das heißt, ich nehme mich schrecklich in Acht! Da ich eine ererbte Neigung dazu habe! Ich besitze alle Schriften Großvaters, seine Papierbündel, seine Kladden, ganze Schubladen voll! Jesses, das macht einem zu schaffen! Er schrieb die Reden des Präfekten, ich versichere Ihnen, in einem unheimlichen Stil! Seine Adjektive immer treffsicher, er verstand sich auf blumigen Stil! Nie ein falscher Ton! Schaumschlägerei und Rankenwerk! Ein Sohn der Gracchen! Die Sentenzen und alles! In Versen wie in Prosa! Er trug alle Medaillen der Académie française davon.

Ich bewahre sie voller Rührung auf.

Er ist mein Vorfahr! Ich kenn sie ja ein bisschen, die Sprache, und nicht erst seit gestern wie so viele! Ich sag es gleich! und zwar in ihren Feinheiten!

Ich habe all meine «Effekte», meine «Litoten» und meine «treffsicheren Ausdrücke» innerhalb des Kindbetts ausgemerzt … Nein, ich will nichts mehr davon wissen! Ich würde mich eher kaltmachen! Mein Großvater Auguste ist dieser Meinung! Er sagt es mir von da oben, er haucht es mir ein, vom Himmel her …

«Kind, keine Phrasen! …»

Er weiß, was nottut, damit die Sache läuft!

Ja, ich bin absolut unbeugsam! Wenn ich in die «Perioden» zurückfiele! … Drei Punkte! … zehn! zwölf Punkte! Zu Hilfe! Nichts mehr, wenn es sein müsste! So bin ich eben!

Der Jazz hat den Walzer verdrängt, der Impressionismus hat das «Zwielicht» ausgelöscht, man wird im Telegrammstil schreiben oder überhaupt nicht mehr!

Die Erschütterung ist alles im Leben!

Man muss sich daran erfreuen!

Die Erschütterung ist alles im Leben!

Nach dem Tod kann’s sie nicht mehr geben!

An euch ist es, das zu verstehen! Lasst euch erschüttern! «All Ihre Kapitel bestehen doch nur aus Krawallen!» Welcher Einwand! Was für eine Dusseligkeit! Aber Achtung! Die Albernheit! Gebündelt! Schwatzen wir drauflos! Lasset euch erschüttern, Gott verdammt! Ratata! Springt! Bebt! Platzt aus euren Panzern! wimmelt, ihr Krabben! Reißt euch auf! Findet die Ergriffenheit, verfluchte Scheiße! Das Fest ist da! Endlich! Etwas! Erwachen! Los nur, heil! schofele Roboter! Scheiße! Stellt euch um oder sterbt!

Ich kann nichts mehr für euch tun!

Küsst die, welche ihr möchtet! Wenn es noch Zeit ist! Auf euer Wohl! Wenn ihr am Leben seid! Das Übrige kommt ganz von selbst! Glück, Gesundheit, Grazie und Spaß! Befasst euch nicht so viel mit mir! Lasst eurem kleinen Herzen freien Lauf.

Es wird alles das erfüllen, was ihr hineinlegt! Donner oder Flötenton! wie in der Hölle, wie im siebenten Himmel!

[zur Inhaltsübersicht]

Bravum! Wravum! … Ein großer Schutthaufen! … Die ganze Straße am Ufer bricht zusammen! … Orléans stürzt ein und im Grand Café ein Donnergrollen … Ein Tischchen segelt durch die Luft! … Ein Marmorvogel! … Kreiselt, zersplittert das Fenster gegenüber in tausend Scherben! … Das ganze Mobiliar wird weggeschaukelt, aus den Fensterkreuzen geschleudert, in einem Feuerregen zerstreut! … Die stolze Brücke mit zwölf Bogen torkelt, purzelt mit einem Schlag in den Schlick! Der Schlamm des Flusses spritzt auf! … wirbelt, verdreckt die Menge, die aufschreit, erstickt, sich zur Brüstung schiebt! … Sieht sehr übel aus!

Unser Töfftöff macht schlapp, klappert, verquer zwischen drei Lastern eingeklemmt, rutscht weg, rülpst, der ist hops! Die lahmarschige Mühle! Seit Colombes kündigt er uns an, dass er nicht mehr weiterkann! Mit hundert asthmatischen Beschwerden … Er ist für leichten Dienst geschaffen … nicht für höllische Hetzjagden! … Die ganze Masse Mensch auf unseren Fersen meckert, dass er nicht vorwärtsgeht … eine verkommene Unheilsbande seien wir! … Das ist zu bedenken! … Die zweihundertachtzehntausend Laster, Panzer und Handwagen in der Panik angehäuft, verschmolzen übereinander drängend, um als Erster mit seinem Hintern kopfüber an die einstürzende Brücke zu kommen, verfangen sich, schlitzen sich auf, zerquetschen sich, haste was, kannste … Nur ein Fahrrad entwischt daraus und ohne Lenkstange! …

Sieht wirklich schlimm aus! … Die Welt bricht zusammen! … «Vorwärts, ihr bremsenden Luder! Tempo, ihr Schisser, ihr trüben Rüpel!»

Noch ist nicht alles gesagt! Nicht vollbracht! Es bleibt noch was zu tun! … Wendung!

Der Pioniermajor bereitet seinen Streich vor! Noch ein Himmelkreuzdonnerwetter! Er befestigt die Lunte am kleinen Ende! … Ein Satan ist er! … Aber plötzlich blitzt sein Gerät auf und verzischt ihm zwischen den Fingern! … Die ganze Meute stürmt darauf, begießt es, entreißt es, trägt es in wilden Sätzen weg … Die Kolonne fährt an, alle Motoren knattern, krachen in einem ohrenbetäubenden Lärm! … Furchtbare Flüche und Lästerungen! … Alles! Die Knochen! Der Krempel! Die Panzer! stürzt sich in die Kanonen mit zermalmenden und schrappenden Raupen, die mit einem Furier am Steuer alle Hindernisse niederwalzen! Eine Sarabande der Todesängste, ein Jahrmarkt mit Kriechverrenkungen unter dem Gedonner! … Wo der Gummimensch triumphiert! Ah, es lebe der kosmische Übeltäter, der skrupellose Junggeselle mit dem Korkenzieherrad, der gepanzerte Lümmel! …

Der «Fritz» befeuert uns entsetzlich, hält sich da oben ganz hoch am Himmel! Der Halunke! Aus seiner Kiste belästigt er uns! Er besprengt uns aus höchster Höhe, hüllt uns ein, überdröhnt uns! … Eine Mordswut, tolle Salven und rasende Schüsse! Ringsherum Abpraller. Er bepladdert uns, reißt in den Tod! Und dann versetzt er uns ins Schaukeln, legt einen Tanz, eine Farandole hin, tobt wie verrückt, wogend rings um uns herum! Wir sind verdammt, bestimmt! Granaten! Drei gewaltige! … Und Schlag auf Schlag! … Ein Fieberwahn! … Die Erde erstirbt drunter und drüber, ohnmächtig, erbebt, stöhnt in der Ferne, so weit das Ohr reicht … bis zu den kleinen, sanften Hügeln dort hinten! Platze, Echo! Platze, Knallbonbon! Kein Irrtum möglich. Alles verschlimmert sich! … Werden zu Brei zerquetscht, sterben! … einen Wanzentod! … in erstickenden Schwefeldämpfen! in Salpetersäure zusammengepresst, in verheerenden Explosionen! Der Mistkerl ist rasend! Da oben tobt er! … Er hat es auf unser Verderben abgesehen! Das schreckliche Flugzeug! Es bedient uns noch! Und drei Loopings! Und es hagelt wieder! … In der Atmosphäre riecht’s brenzlich! Überall auf den Pflastersteinen Einschüsse! Die Dame, die einen im Rücken abgekriegt hat, umarmt einen dort liegenden Hammel, windet sich mit ihm unter eine Wagenachse, kriecht und verkrampft sich … etwas weiter … verzerrt das Gesicht, sinkt hin, schlingert kreuzweise! … stöhnt … rührt sich nicht mehr! …

Die Ambulanz, unser Gnadenschiff, versagt auf den dicksten Pflastersteinen, rutscht weg, schlottert, ganz meschugge, verliert alle Muttern, hinein in eine Herde, bleibt stehen mitten zwischen Ochsen, Hengsten, Geflügel … ein Panzer prallt gegen sein Hinterteil! … «Bruang!» Durch den Rückprall zerstückelt sie zwei Dreiräder, eine Nonne, einen Polizisten … Die Absolution ist fällig! … Und all das auf der Brücke! … Und da wird das arme Auto durch den Luftdruck der Torpedos zwanzig Meter weiter geschleudert! Mit einem entsetzlichen Schwung! Und dann noch zwei Schritt und zwei Rülpser … Da kugelt sie uns dann in den Strudel des Massakers hinein … Die Menge holt uns wieder ein … drückt uns zusammen … eingepfercht ins «Rette sich, wer kann» … Man hebt uns hoch, presst uns wild zusammen! … Unser Fahrzeug gerät aus den Fugen! … Ein Aufstieg über die Köpfe hinweg! Da oben über der Menge thronend … Bruang! … Ein harter Knallerballer, und wir purzeln! Ein «Zwölftonner» voller Eisenbahner schnappt uns von hinten! … Ah! Wir haben’s geschafft! Hochgeschwemmt, den Fluten entrissen! Mitten im Wirrwarr zerschmettert uns alles! Die Ambulanz verliert ihre Vorderräder! … Die Dünung zersprengt uns! … Jetzt kommt ein Kinderwagen an die Reihe, der über die Köpfe fortgetragen wird! Ein kleiner Soldat hat es sich darin bequem gemacht! Sein Bein hängt in Fetzen heraus … matschig … Er ist ein Dreckspatz, dieser kleine Landser! Er winkt uns ganz spitzbübisch zu … man amüsiert sich gut mit ihm! Zusammen in der Luft schwebend! wo’s brodelt und sprudelt! … Das Aas im Himmel zürnt uns … Es kommt wieder … erwischt uns wieder wie das leibhaftige Donnerwetter! … wie auf einer Rutschbahn, knatternd, alle seine Blitze schleudernd … Der Rohling enthauptet uns! … Der Lümmel! … Reißt uns fort in seinem Bauch! innerhalb seines mörderischen Getöses! … Steigt wieder auf zu den Wolken, ganz klein! … wendet da oben an der Decke! eine Fliege! …

Wer liegt denn da tot im Rinnstein? Man rennt hinein, stößt an, es ist weich! … Da ist ein Bauch, weit offen, und der Fuß, das Bein umgedreht, nach innen gewandt … Ein Akrobat des Todes, der da niedergeschmettert wurde!

Plump! Plump! Zum Nachdenken keine Zeit! Zweimal knallt es, dumpf, enorm … Jetzt bekommt der große Fluss was ab, stromabwärts! … Das glatte Wasser schluckt zwei riesige Geschosse! … es spritzt wie zwei rauschende Blütenkelche empor! … zwei wunderbare Blumen eines Wasservulkans! … Alles fällt zurück … sprudelt auf die Brücke … man wird erdrückt unter dem Guss, durchnässt, platt gedrückt von dem Wirbel … und dann fängt das Feuer wieder an … Geschützfeuer macht uns jetzt fertig … die ganze Brüstung ist voller Splitter … Das muss wohl aus der Ecke der Wölkchen, direkt über der Kirche kommen! … Wahrscheinlich ein Aufklärungsflug … andere himmlische Kräfte wollen unseren Untergang! … Ihnen sind Menschen, Vieh oder Sachen scheißegal! … Sind entweder Franzosen oder Deutsche! … Die Situation wird bedenklich … Ich fühle, wie meine erhitzten Klamotten klatschnass sind … es herrscht äußerste Verwirrung! … Eine weinende Mutter auf der Brüstung will sich sofort mit ihren drei kleinen Kindern in den Abgrund stürzen! … Sieben Arbeiter des Pariser Verkehrsunternehmens halten sie zurück, treten dazwischen … mutige, kaltblütige, aufopfernde Leute … Zuerst essen sie ihren Schinken und ihre Sülze auf! … Wenn sie sie berühren, stößt sie Schreie aus! so schrill, so grässlich, dass alle anderen Geräusche übertönt werden! Man ist gezwungen, sie anzusehen! … Eine Granate! Wrang! schlägt in der Brücke ein! Der Hauptbogen birst, zerknallt … ein Riesenloch wird in der Straßendecke aufgerissen, ein Abgrund … ein Krater, wo alles hineinstürzt! … Die Leute verschwinden darin. Kollern in ätzenden Dämpfen … in einem Orkan von Staub! … Man bemerkt einen Oberst, der Zuaven, glaube ich, der sich in dem Katarakt herumschlägt … er bricht unter der Last der Toten zusammen! … Kippt ganz nach unten … «Es lebe Frankreich!», schreit er schließlich … unter dem Leichenhaufen überwältigt! … andere Überlebende klammern sich an die Wände des Abgrunds, mit zerfetzten Kleidern, sie machen gewaltige Anstrengungen, fallen zurück, sie kotzen, sind kaputt … sie sind überall verbrannt worden … Da taucht ein ganz nacktes Baby vorn auf einem brennenden Laster auf. Es ist geröstet, gar gekocht … «Gott verdammt! … Gott verdammt! … Verdammte Scheiße! Das darf doch nicht sein!» … Das sagt der schweißgebadete Pater, der danebensteht … er sagt das … Dann sucht er was zu trinken! … Er ruft mich an, ob ich was habe … Feldflasche? Feldflasche?

Der Klamauk ist noch nicht zu Ende, ein anderer Erzengel bepfeffert uns, flitzt mit Vollgas aus dem Himmel … mit seinen Verwüstungen macht er uns fertig … Man ist so zusammengepfercht, dass man sich nicht mehr rühren kann … Die Brücke dröhnt … schwankt auf ihrem Bogen! … Und dann tick-tack! … Rums! Rums! Das ist die Musik des großen Massakers! Der Himmel wettert vor Wut gegen uns! … Darunter das Wasser … Und der Abgrund! Alles zerplatzt! …

Alles, was ich ihnen erzähle, ist wahr … da gab’s noch sehr viel mehr … Aber meiner Erinnerung ist die Puste ausgegangen! Zu viele Leute sind drübergelaufen … wie über die Brücke … über die Erinnerungen … wie über die Tage! Zu viele schlachtgrölende Leute! Und dann noch der Rauch … Und ich bin wieder unter den Wagen getaucht … Ich erzähl’s Ihnen, wie’s mir in den Sinn kommt … Unten zur Schleuse hin gab’s einen Bombenspaß bis zur Rampe in Orléans! Dort wurde toller getanzt, hundertmal toller als auf der anderen in Avignon[2]! in der Schmiede des Himmelkreuzdonnerwetters! Und brumm! und zimm! und heilige Maria! und tot und tot! in dem orkandurchtobten Ball! … Sieh mal einer an! … Keine Bedeutung! Die Welt hat sich dort sogar umgestülpt wie ein alter Regenschirm, kreuzlahm, weich! … Er ist in den Zyklonen umhergewogt! … Was soll’s! … Wrrub! … Und Bing! … Bravum! Ich habe ihn über das Grand Hôtel fliegen sehen! Er flitzte ganz schön! Ich habe gesehen, wie er dahinsegelte, schaukelte, ganz irrlichternd … da oben in den Wolken! … Die Musspritze und der Brückenbogen! Sie kreiselten in der Bö … zusammen! zwischen den mörderischen Flugzeugen, die Geschosse verspritzen … Wraap! … Hüa! … Wraap! … Hüa! Wroong! … Das ist ungefähr der Lärm, den ein richtiger explodierender Torpedo macht … der gewaltigste! … Im Innern eines schwarzen und grünen Vulkans! … Noch eine Bombe streicht über uns weg! explodiert sofort im Strom … Der Luftdruck wirft uns um … Da drehen sich einem die Gedärme um … Das Herz schlägt bis zum Hals hinauf … wie ein Lämmerschwanz … eine Schande ist es, dieser Schiss … man kriecht … unter die Wagenkästen mit drei … vier … fünf Beinen … die Arme überall durcheinander … gebrochen, verschmolzen in dem Tatterich! … in diesem Brei von Panik der Wurmmenschen im «Rette sich, wer kann»! Zusammengesackt, hingewälzt, rülpsend sieht man sich geschüttelt, ausgetilgt, verkümmert von neuem hingeschmissen! Und purzelt! Ein Motor fängt Feuer! Man klettert auf einen Berg von Verwundeten … Sie stöhnen schnarrend unter unseren Schritten! … Kotzen … Schwein muss man haben! Man wird verwöhnt! … taucht auf, verblüfft, lächelnd … Da ist noch einer, der uns angreift! Er schießt auf uns zu, eine Todestrommel! Zerreißt die Wolken mit Schnellfeuer … Seine Feuerzüngelchen schnellen überall hervor! … Ich sehe alle Flammen auf uns gerichtet … Er ist grau und schwarz! und verrucht vom Kopf bis zum Schwanz! Er sucht uns … schießt wieder, seine Wut auslassend, aus dem Himmel hervor! … Er verhext uns! … Verdammt uns! Wir fallen in die Knie … Flehen die Jungfrau Maria an! … mit großen, inbrünstigen Bekreuzigungen! … Gott Vater … den Borias! das Arschloch! … Erbarmen! Wer zieht uns raus in unserer gluckernden Hose … Das ist der Zusammenbruch der Geister! … Er hört nicht auf, uns zu beschießen, eine Salve nach der andern, jener Wüterich! im siebten Himmel schwebend! … er wibbelt … schwingt sich auf … schaukelt … Nähert sich in seinem Zyklon … Ffrruur! er gleitet noch! … wirbelt drüber und drunter … es knistert, man sieht ihn nicht mehr … er behext uns! … Eine Bekreuzigung! und drei … vier … fünf! Das vereitelt die Gräueltaten … die mörderischen Grausamkeiten nicht! … Nichts wird beschworen! Er gibt uns noch Saures mit dem Rückenwind! … Was werden wir nicht alles erlebt, durchgemacht haben! … Er behagelt uns … schmettert uns nieder im Sturzflug! … Mit mörderischen Prallschüssen … Auf das Blech trommelt es! Die Hilfeflehenden werden ohnmächtig und stürzen hin … Die Menge überschlägt sich! … Die Kolonne sackt ab … die Brüstung birst! Die Schlange der Lkw ist drüber und drunter, kippt, kollert hinunter in die Fluten …

Ah, ich bin noch verschont geblieben! … Ein furchtbarer Schlag für mich, dass ich wieder davonkomme! … So geht’s schon seit 22 Jahren! Das kann nicht immer so weitergehen! … Ich stemme mich mit Lisette, einer kleinen, gar nicht ängstlichen Freundin … zwischen die Räder der Ambulanz … von da sieht man die ganze Kavalkade … alles! … wirklich alles! Wie sich das in allen Richtungen überschlägt … Man sieht auch Largot, den Friseur, seit Bezons verlässt er uns nicht mehr, er folgt uns mit seinem Drahtesel … seit Juvisy ist er besoffen: Er wollte einen Deutschen umbringen, aber davon spricht er nicht mehr seit Étampes … Er lehnt sich an die Brüstung … Er drückt eine Oma in seine Arme … bei jeder Explosion umarmt er sie … Im Knattern der Motoren … Eine Alte mit überall weißen Haaren … Sie blutet am ganzen Kopf … Er ist zärtlich mit ihr, der Largot … beugt sich über sie … trinkt ihr Blut … Er hat das Gefühl für Respekt verloren … aber er ist hartnäckig, gierig …

«Boah! … Das ist Rotspon!», kündigt er an … «Boah! … ein guter.» … obendrein feixt er noch! … Sie aber gar nicht! Sie schließt die Augen, die Oma … wackelt mit dem Kopf … Sie wird von dem Gedonner gewiegt! … von den Gewittern, die uns erschüttern! Largot ruft mich noch an … Sag mal, Ambulanz: Das ist doch Rotspon! Rotspon! Hee! Makadam! …

So nennt er mich. Auch mitten in dieser Katastrophe sind mir seine Manieren peinlich … Ich mag die plumpe Vertraulichkeit nicht … all diese besoffenen Typen ringsum ekeln mich an … Ich selbst fühle mich ganz wunderlich im Kopf … Doch ich bin nicht betrunken! … Ich trinke niemals … Mein Verstand taumelt einfach … unter den Schlägen der Umstände … ganz einfach … der Ereignisse, die zu mächtig sind … Und Raums! da geht es wieder los! … Es fängt wieder an, brutal, mit entsetzlichem Getöse! … Ein phantastischer Sprengschlag! … drei Granaten auf einmal, eine Garbe! … dass es Himmel und Erde zerschmettern könnte! … man die Elemente nicht mehr erkennt! einem die Schädeldecke abreißt! und dann die Seele und die Augäpfel! und die Lungen mit einem heftigen, grässlichen Stich zermanscht … von vorn nach hinten erdolcht! aufgespießt wie ein Huhn. Und dieser Klamauk! … die tausend zum Sturm auf die Rampe einsetzenden Motoren! … die wilden Karren beim Aufprall! beim Vorrücken! Die Menge in Klump! und das Geplärr der Zertrampelten! die Geschundenen dieser irrsinnigen Kolonne! … die Angebufften unter der Fuhre! … und der Raupenschlepper mit hundertzwanzigtausend zerstampfenden Zähnen! um den Leidensweg aufzuwühlen! unter seinem Bauch mit dreihunderttausend Ketten, die mit beweglichen Stahlgliedern gespickt sind … Kaldaunen mit kreischenden Ringen … außerdem aus seiner Krone schielend … weithin mit seinem ganzen dicken Kanonen-Kopf, um einen umzulegen! … aus der Ferne, wenn er einen erblickt, uns auflauernd … wenn man wie toll die Straße runterrutscht! … verstört das schändliche Schauspiel dieser monströsen Rappeligkeit fliehend! Ah! dieser Panzer, «Der Grauen Säende» … der kommt mir gerade recht! das Modell Nostradamus! da hat man wirklich keine Überlebenschance, vor Verzagtheit bebend! … unter den mechanischen Pestbeulen der dieselbetriebenen Drangsal! … Aber die Welterschütterung wird von Musik begleitet … nichts könnte den Veitstanz stoppen … Es ist der Himmelkreuzdonnerwetter-Ball! … Und hunderttausend Tote werden aufgereiht liegen, umschwirrt von tausend piependen, piepsenden Vögeln, die die Lüfte durchschießen …

Und dann kommt eine andere Litanei mit sanften Klängen und dumpfem Gedröhn … von ganz hinten her … von den Hügeln … das grollt wie Echo der Artillerie … Luftsprünge könnte man nicht machen, so sehr ist der ganze Körper wie mit niederträchtigem, angstlähmendem Blei belastet! … aber der Rhythmus reißt einen mit … der Brückenboden voller Granaten wippt mit einem … man muss ebenfalls auf den Brocken von Leuten und Tieren herumstapfen … zerstückelt von den Fahrzeugen … dann noch in Stürmen von Panik eigroß geschrumpft … Ah! In diesem Sog des Stumpfsinns plötzlich ein Fall von Rebellion … Mit einem Schwung verlässt da Brigitte, die Frau des Staatsanwalts Sacagne, ihren Wagen, entringt sich den angstvollen Ermahnungen, schürzt ein für alle Mal den Rock und springt auf die Brüstung, und von dort grölt sie über die Menge hinweg durch den ganzen Aufruhr Worte des Zorns und Schimpfreden! …

«Brigitte! … Brigitte! … ich flehe Sie an! bitte kommen Sie zurück … zu Ihrem lieben Mann! Nehmen Sie doch Vernunft an! … Ich gebiete es Ihnen! Ich mahne Sie! …»

Verdammte Scheiße! Sie sind Luft für mich!

«Meine Herren, meine Damen! meine Frau ist geistesgestört! Sie ist schwanger! Bei der ganzen Aufregung! Ich bin der Staatsanwalt Sacagne aus Montargis an der Côte d’Or! …»

«Scheiße! He da, Kümmelspalter! Du heulst uns die Ohren voll! Zum Kuckuck mit deiner Schlampe! Wagon! …»

So nannte ihn die Menge … Und das machte die Sache nicht besser! … Erschöpft fällt er auf die Leute zurück! Gerade in diesem Augenblick wird alles wieder Feuer, Donner und Blitze! … der Himmel zerreißt innen und ringsum … Ein Blitzschlag zerschmettert, zermalmt die Fahrbahn … Ah! Es war Zeit! … das ganze Gewühl zerstiebt, die Leute, die Bogen, die Wagen, der kochende Fluss zerstäubt … Das ist die Hölle! … Die Flammen hüllen uns ein, wir werden in den Raum gewirbelt! … Ich werde weggeschwemmt und mit einem Karren voll Pflaumen, dem kleinen Foxterrier, der nicht mehr bellt, einer Nähmaschine und einer gusseisernen, krummen, zackigen Panzerfalle … soweit ich sehen konnte! … Wir verlassen uns auf halbem Luftweg! Das Eisen preschte mehr nach rechts, zu den Schleusen hin und das ganze Zeug und die Pflaumen! … Ich, der kleine Fox und der Karren, wir sind eher nach links abgetrieben, in einer anderen Salve von Granaten … zu den Pappeln … zum Speicher hin … in beträchtlicher Höhe … und voller Schwung … Höher sah ich jetzt nur noch die Wolken … sieh mal einer an, das war schon ein Schauspiel … dort mitten im Himmel! in der Bläue! … eine märchenhafte Vision … eine abgehackte Hand auf den goldglänzenden Lämmerwölkchen … und die blutete tropfenweise … eine weiße Hand und ringsumher Schwärme von Vögeln … ganz roten … aus diesen Wunden quellend, flatterten sie herum … die Finger wie Sterne funkelnd … am Rand des Raums verstreut … in langen, zarten Schleiern … hell und anmutig … die Welten wiegend … huschten an einem vorbei und an unseren verklärten Augen … einschmeichelnd … alles entrückt uns … alles wogt in Träumen … alles gibt sich hin … den Festen im Palast der Nächte …

[zur Inhaltsübersicht]

Sehr schön gesagt! … Sehr schön! Sie drücken es gut aus! … Was man auch sagen und tun mag! die fixe Idee bleibt da, grau, beharrlich, erdrückender, rührt bei jedem Schritt einen neuen Zweifel auf … Nichts wird bestätigt, nichts leuchtet auf! … Ein großer Wust von Schrecken und Schatten!

Ist das denn alles?

Fisimatenten! Die Hölle durchqueren, um dort nur ein bisschen mehr Durst zu bekommen!

Kapriolen!

So ein Trunkenbold am Anfang Juni

Übergeschnappt verirrt sich im August

Unter eine Kanone

Taucht auf im Delirium Mitte September!

Mitten im Bistro.

Ermordet einen «Fritz» beim Billard.

Als Rache für Flandern!

Sofort tobt wieder alles los.

Der Krieg ist wieder fällig.

Nun schaudert man wieder

Wiehert, nach Pirouetten gierend.

Unter den Stahlgewittern!

In der Kampfbahn stampfend! Und Horrido,

Bei glänzender Gesundheit!

Fackeln in der Hand!

Die Flabbe zum Sterben erwartet einen

Man hat den Zauber getrunken!

Ist wieder hops und verdammt!

Ah! Diese grässliche Konjunktur!

Ah! die verhexte Schindluderei!

Die Sterne stehen richtig für das Jahrhundert!

Alle Almanache sind zu verkaufen!

Kein einziger ehrlicher Okkultist mehr da!

Es ist höchste Zeit, dass ich mich damit befasse!

Gottverdammt!

Seit der Messe in Orléans habe ich entsetzliche Zweifel an Jeanne d’Arc! …

Das war ein böses Glockenspiel …

Bei allem, was man anpackt, gibt’s Fehlschläge …

Ich habe in Paris Sainte-Geneviève gesehen …

Ich war bei der Messe für Reynaud …

Die Kapellen waren voller Juden …

Die hatten ihre Kanister voller Benzin …

Und ich sage nie etwas in Unkenntnis …

Man

wird die Freimaurer verfolgen?

Ausgezeichnet! Fein für den Anfang …

Aber wenn sie sich an den lieben Freunden vergreifen?

Wenn sie an den Manen des Tempels rühren?

Aus mit den Scherzen! …

In einem teuflischen Röhrchen wird man ein Pulver entdecken!

Ich sag’s nicht ohne Emotion voraus …

Ich alarmiere! Ich alarmiere! Notsignal!

Die Hölle brät nicht an einem Tag …

Man braucht Öl und Wissen.

Wer weiß?

Man braucht Kollaborationen …

Sie haben alles auf der Straße gesehen …

Die ganze Welt wimmelte dort herum!

Und welch toller, wütender, kreuzigender,

phantastischer Andrang!

Martyriumsverfallene!

Sie haben doch all diese Fahrzeuge gesehen?

Die Szenerie für Eingeweihte?

Ist man erst einmal eingeweiht, bleibt man nicht da über den Abgründen schlotternd stehen … um sich bei lebendigem Leib verflüchtigen zu lassen, zu zerstäuben, ein schmächtiger Spielball im Wind! Gottverdammt! Zum Teufel mit den Zaghaften! Tod den Blödianen! Die Zeit zu wackeren Taten ist da! Zu Lehren, harten Trafalgar-Gefechten! Der rettende Glaube! Keiner, der sich fallen lässt, wird nicht sofort wundgeschlagen! Zerhackt! mit Schande ausgeblutet!

Wenn die Tapferen sich zu erkennen geben, die Rechten, die Echten, die Unerbittlichen, die Löwenherzen, dann kann man sagen, dass es raucht! dass es auf dem Holzhaufen flammt. Alles geht dabei drauf! außer ein bisschen Liebe, Blümchen, gemeinen Zweifeln! So wie sie sind! Bei der Ausrottung des Zaubers! Kein Erbarmen! In qualvollem Verweilen einer nach dem anderen im Gänsemarsch vor Gericht zu erscheinen … Das ist die Heimsuchung! scheelen Blicks und verdrossen … bei den Erinnerungen … Murrend und feige … furchtbar in Lügen verstrickt …

Ich weiß das nur zu gut! …

Unverfrorene, stolze Geheimniskrämer … anmaßend oder niederträchtig oder stumm – einer nach dem anderen … alle unheilvoll verpestet müssen entschlammt werden unter der Folter. Mondgift und Verfluchungen … Gifte, schwarze Botschaften … Märtyrerhammel! …

Soll doch jeder dem Satan am Zeug flicken! ihn hetzen, stellen, töten, ausscheiden und in seinem Herzen das Lied, das verklungene, wiederfinden … das zärtliche Geheimnis der Liebchen … oder er mag tausend Tode erleiden und dann in tausend Qualen wieder auferstehen! Zu grässlicher Erstickung, tausend lustvollen Schindereien und grimmigen Wundkrämpfen, im kochenden Pech festgeklebt, mit glühenden Zangen gezwackt, mit zerfetzten Muskeln, und so einen ganzen Tag und drei Monate planschend, eine Woche lang in einem fettigen und heißen Kessel, zischende Schlangen an aufgeblähte Kröten geklammert, aussätzig, klebrig, giftgelb, gieriges Saugen von Salamandern, widerliche Vampire an den Leibern der Verdammten, in euren Gedärmen strampelnd, um euren Schmerz zu beleben, in Fetzen von zerquetschtem Fleisch, zerfressen noch von züngelndem Feuer, so tausend und abertausend Jahre lang stillt euren Durst nur der Schlauch voll Essig, voll Vitriol von solcher Schärfe, dass eure Zunge abpellt, anschwillt, platzt! und fallen dem qualvollen Tod anheim, heulend über die zerborstene Hölle! Tag für Tag! und so über ewige Zeiten.

Da seht ihr, dass damit nicht zu spaßen ist.

[zur Inhaltsübersicht]

Man ist mit den guten Ratschlägen der Eltern ins Leben getreten. Sie haben in der Existenz nicht standgehalten. Man ist in Kuddelmuddel geraten, von denen eins scheußlicher als das andere war. So gut es ging ist man aus diesen verhängnisvollen Katastrophen herausgekommen, ziemlich schief und krumm, wie eine schleimige Krabbe im Krebsgang, aber ohne die Beine. Manchmal hat man ganz schön gefeixt, um gerecht zu sein, sogar in der Scheiße, aber immer von Besorgnissen geplagt, dass die Schweinereien wieder anfangen würden … Und immer haben sie wieder angefangen … vergessen wir das nicht! Man spricht oft von Illusionen, die die Jugend verderben. Meine Jugend war ohne Illusionen verdorben! Das ist auch noch ’ne Geschichte …

Wie gesagt … Das war von vornherein so. Man war klein, von Geburt an doof, der Herkunft nach vollkommen aufgeschmissen.

Als Sohn eines reichen Pflanzers in Kuba, Havanna, zum Beispiel, wäre alles ganz hübsch verlaufen, aber man ist bei den Kamuffeln zur Welt gekommen, in einem ganz verrotteten Winkel, also muss man wegen der Kaste leiden, und diese Ungerechtigkeit zerrüttet einen, das krankhafte Zetern, das die armen Leute mit Patzern, ihren Klapprigkeiten, ihren eitrigen Makeln von Höllenbewohnern angeben lässt, dass es zum Speien ist, sie anzuhören, so gemein und hartnäckig sind sie. Monat für Monat, das ist seine Natur, büßt der unfreiwillig Aufgeschmissene auf der Folterbank «Pro Deo» seine schändliche Geburt ab, mit seiner Stammrolle, seinem Wahlzettel, seinem aufgeblasenen Gesicht stramm gefesselt. Bald ist es der Krieg! Bald der Frieden! Wieder Krieg! Der Triumph! Dann der Zusammenbruch! Das ändert nichts am Kern der Sache! Er ist in allen Rückschlägen beschupst. Der Hanswurst des Universums, das ist er … Niemandem würde er seine Stelle überlassen, er schwänzelt vor allen Henkern, steht allen Miststücken des Universums zur Verfügung! Alle Welt trampelt auf seinem Balg herum, hackt auf sein Elend ein, verwöhnt wird er. Auf unsere Missgeschicke habe ich alle Orkane der Windrose losstürmen, zusammenströmen sehen, bei unseren Katastrophen, auf unsere kläglichen Reste die Chinesen, die Moldoren, die Smyrner, die Botriaken, die Marsupianer, die Gletscher-Schweizer, die Maskagoten, die Großberber, die Vanuteden, die Schwarzen von überall, die Juden aus Lourdes, glücklich die ganze Bande, schön traktiert, gemästet wie die Verrückten! um uns gemeinen Ärger zu machen, und gar nichts, um uns zu verteidigen. Der allerliebste François, ein Süffel, ein vollgepfropfter Knacker, plumpst in matschigen Reden in die Menschenrechte, im Gießbach des Vergessens, Leib und Seele verrückt gemacht vom Ekel des Gehorsams, sich sein Erbe klemmen zu lassen, seine lieben Ersparnisse, sein Schätzchen, den Gipfel seiner Schwärmereien, und es nützt ihm nie etwas, sich abzumühen, ernst die Stirn zu runzeln, es wäre ehrlicher, zum Schindluder zu werden und faulenzend unter sich zu pissen, denn es ist immer gekotzt wie geschissen, er ist in allen Masematten angeschmiert, er liegt nicht im Rennen, er ist gut für einen verschütteten Grabstein. Außerdem hat er in der Verworfenheit der Welt alles verwirrt, dass man es sogar satthat, ihn zu zerstückeln, ihn noch mehr zu vernichten, er ist überall geächtet! Das Stinktier des Universums! Servus! Noch ein bisschen Ungerechtigkeit, und er verabscheut sich, kotzt sein Schicksal aus … Das sind grausame Proteste.

Die Revolution in den Seelen … man muss ein bisschen die Ernüchterungen verstehen … Alle haben auf ihm in seiner unterwürfigen Stellung herumgeprügelt. Das ganze Universum hat sich an François’ Nulpe oder Nutte gütlich getan, bis zum Augenblick, wo alles bei ihm versagt, von Grund auf abrutscht! Dann breitet sich die schlimmste Verpestung aus, und die Erbittertsten entfernen sich … er bleibt mit aufgesperrtem Mund auf der Schlachtbank liegen … verfault, zerfetzt, nicht mehr zum Ansehen: Es entströmt ein solcher Gestank, dass die größten Mieslinge erwägen, Ausflüchte zu suchen, um dem ein Ende zu machen!

Es gibt Dinge, die sie nicht sehen! Die aber wesentlich sind! Oh! là, là! Nur langsam! Am Grunde der Jauche verborgen, der Löcher des Körpers! der Eingeweideschau! Könnte man es ahnen? Allein die Eingeweihten mit geschlossenen Augen flüstern es sich zu … dass die Messe noch nicht beendet ist! … dass alles noch nicht gesagt ist! … weit davon entfernt! … dass für Weissagungen noch was übrig bleibt! dass man uns nicht so gemütlich auf dem Haufen verfaulen lassen wird! … dass uns noch bevorsteht, alles mit Eiter und farbenfrohen Wundbränden, prächtigem, rotglühendem Brokat zu überziehen! … mit dünnen Häutungen … bevor man lebendig wird zum Tanz, befreite, schwerelose, transparente Menuette! die nichts mehr wiegen in den Wellen, flüchtig, wirbelnd, beflügelt, bezaubernd hin und her, ganz schelmisch und verstohlen und freudevoll! freundlich der Welt mit ihrem Geheimnis, hingegeben der wiedererstandenen Magie! in Blumen und Schaumgestöbern! … leichter noch kreiselnd – im Rosenwind! Alle Sorgen in Musik besänftigt … zerstiebend fortgetragen in den luftigen Spielräumen! Zephire!

[zur Inhaltsübersicht]

Natürlich werd ich Ihnen nicht alles sagen. Sie waren zu gemein mir gegenüber. Das hieße, Ihnen einen zu großen Dienst leisten. Sie sollen doch noch ein bisschen zu kosten bekommen … Das ist keine Rache oder Abreibung, nichts weiter als ein Gefühl der Vorsicht, ein geheimer Vorbedacht. Mit den Vorahnungen ist nicht zu spaßen, die Indiskretion kann das Leben kosten! Ich verrate Ihnen ein klein bisschen davon, das kann angehen. Ich mache eine kleine Anstrengung, das ist in Ordnung, aber ich wende meinen ganzen Charme nicht auf. Zu musikalischen Klängen, den kleinen Tieren, der Harmonie der Träume, den Katzen, ihrem Schnurren steh ich bestens. Das ist ja so weit ganz prächtig. Ein Genuss, nicht mehr, sonst beschwindle ich mich, schachere, rege mich auf, bringe mich zur Geltung, tue mich wichtig, aus ist es! Zum Teufel mit jedem Prestige! Ich falle auf die Nase, stolpere überall, sinke hin, proklamiere mich zum Kaiser, die Staatsanwaltschaft fahndet nach mir, findet mich, ich stehe da, vollkommen doof, alle überfallen, zerstückeln mich, das ist der Gewaltstreich des Napoleon.

Und ich spiele auf niemanden an! Soll mich verstehen, wer will! Bin unter keinem guten Stern geboren! «Auf Wachposten» ist mein Taufname, ich kenne die mich betreffenden Orakel! Ich irre mich nicht oft in den Träumen, aber unter der trügerischen Bedingung, dass ich mein Ohr schön an die Erde drücke und voller Verdächtigungen bin! Klar!

Dass ich versage und in den Untergrund abrutsche! Ah! welch eine jämmerliche Überzeugung! «Lass dich nicht versuchen!» Man bedenke, dass ich die Hexen gesehen habe! Auf der Heide! den Wiesen und Flüssen! und dann noch an vielen anderen Orten! … auf den Felsen! in den Abgründen! mit ihren Besen und der Eule! Und die Eule, die versteh ich am besten … Sie steckt mir immer: «Kumpel, aufgepasst! Du wirst zu viel reden!» … Das stimmt in gewissem Sinn, mein gutes Herz regt sich und plagt mich! lässt mich wild drauflosreden. Eine erbärmliche Entschuldigung! Die Zinker treten auf den Plan … Und sofort kommt der Gegenschlag! Verhöhnungen, Schikanen, Grausamkeiten, dämonische Machenschaften, Überschüttung mit Dreckfluten, damit ich verstört verrecke, verschlungen von der Schande, dem Abscheu der anständigen Leute, der Juden und der Erpresser, der Legionäre! Niedertracht! Abgefeimte Kabale! Ich kann meine Feder nicht mehr einsetzen. Ob das nun im Strafverfahren ist, unter den Schlägen von bösartigen Begründungen, oder im Vorzimmer der Vorgesetzten, ich finde mich augenblicklich erschüttert, weggeätzt, stinkig verdorrt, auf der Stufe von verpestenden Larven, allen guten Absichten zum Trotz, verabscheut, lebendig geschunden, etwas nicht mehr Erzählbares, verstohlen zwischen Salpeterdämpfen und heißer Asche Zermatschtes, und der Beweis dafür ist, sogar die Leute von meiner Richtung, die sozusagen auf meinen Zuschauerrängen sitzen, haben Bedenken bei meinem Fall, Skrupel, darüber zu reden, das raut ihnen ein bisschen das Gesicht auf, sie schweigen lieber … Es wäre jammerschade, wenn sie sich kompromittierten, weil ich sie meinerseits auch anstinke … Daher ist man sich in dieser Hinsicht einig … man begreift einander, ohne sich angehört … ohne sich im mindesten beraten zu haben.

Das ist Anstand, ja sogar Takt.

[zur Inhaltsübersicht]

Ich habe einen wahren Mordskerl gekannt, zwar gegen Ende seines Abenteuers, aber immerhin noch ziemlich in Form, ja sogar in gewissem Sinn in glänzender. Seinen Namen habe ich nie genau gewusst. Er hatte nämlich zu viele Ausweise. Na ja, man nannte ihn Borokrom wegen seiner chemischen Kenntnisse, der Bomben, die er, anscheinend, in seiner Jugend fabriziert hatte. Das waren Gerüchte, die Legende. Ganz zuerst lächelte ich über ihn, ich hielt mich damals für einen Schlaumeier, später bin ich mir über das Gewicht des Mannes klargeworden, seinen Wert unter einer konformistischen Außenseite, und auch über meine Dusseligkeit. Wenn er nichts mehr zu tun hatte, spielte er hinreißend Klavier, ich meine unsere kleinen Beschäftigungen. Er war zwanzig Jahre vor mir in London angekommen, um einen «Job» als Chemiker anzunehmen, er sollte bei «Wickers» im Laboratorium der Nitrate arbeiten. Alle seine Diplome hatte er in Sofia, dann in Petersburg bekommen, aber er hatte kein Zeitgefühl, das hat ihm einen üblen Streich gespielt, er konnte nicht mehr angestellt werden, und dann trank er wirklich zu viel, sogar für englische Verhältnisse. Bei der «Wickers National Steel Ltd.» hatten sie ihn nicht lange behalten, drei Monate schlicht um schlicht und dann gefeuert, wahrscheinlich auch wegen seines Benehmens, das wirklich sehr anfechtbar war, wegen seiner vielen Flecken überall, dem schiefen Blick. Er verkehrte mit allem möglichen Pack, seine Freunde waren zweifelhafte Typen … noch schlimmer als er …

Am Wochenende hatte er zu Hause immer Streit mit seiner Zimmerwirtin. Die Polizei, der er gut bekannt war, ließ ihn ziemlich in Ruhe. Er gehörte eben zu den Strolchen, und damit basta.

In dieser Beziehung ist England bequem, sie belästigen einen niemals wirklich, sogar schlecht aufgetakelt, selbst zweideutig, unter der Bedingung einer stillen Übereinkunft, dass man nicht um die Mittagszeit vor Drury Lane den Jack spielen kommt oder gegen fünf Uhr vor dem Savoy. Es gibt Etiketten, weiter nichts. Der Pakt über das, was sich schickt. Ein richtiger Jack, das heißt der Tod. Es gibt Momente für den «Strand», andere für «Trafalgar» und sonst überall wie’s einem beliebt! … Man muss die englischen Teckel kennen, sie mögen weder Gewalt noch Skandale, sie schonen die Haut wie Vater und Mutter, es genügt, sie nicht zu provozieren, sie nicht am helllichten Tag zu reizen, es genügt im Grunde, sie in Frieden zu lassen. Selbst wenn sie Haftbefehle mit Foto die ganzen Taschen voll hätten, würden sie die Dinge nicht zum Schlimmsten treiben, wenn man nicht den Querkopf spielt, schön die Distanz wahrt, nicht zu oft einen anderen Anzug anzieht, um die Zuschauer zu verblüffen, weder die Tapeten noch die Stätten des Verderbens wechselt. Es gibt eine Etikette, eine dezente, geziemende Art für die richtigen Strolche, das ist die Hauptsache! Bloß nicht die Tradition zerrütten! Wenn man eine launische, streitsüchtige, wetterwendische Miene aufsetzt, mal in diesem «Pub», dann in einem andern, wenn man nicht ungefähr zur gewohnten Zeit zum Billard erscheint, dann braucht man nicht überrascht zu sein, die Spitze fallen über einen her, sie werden auf einmal scharf und durchtrieben, man erschwert ihnen die Überwachung, sie haben die Schnauze voll von diesem Gehabe, sie werden fuchsteufelswild, drohen einen vor Wut zu schnappen. Alles Wetterwendische macht sie rasend, besonders in puncto Kleidung … Das war der Fall bei Borokrom, der gewöhnlich eine pflaumenfarbene Melone, nie etwas anderes, auf seinem dicken Dez trug, seine Uniform. Damit spielte er Klavier, um sein Brot zu verdienen zwischen dem Elephant und dem Castle, den beiden Endstationen des «Mile-End». Nachdem er von «Wickers Strong» geschasst war, blieb nichts anderes übrig. In allen «Pubs» entlang des «Commercial», bald in diesem, bald in jenem … aber immer auf der Flussseite. So nannten sie die Themse. Er war bekannt, sympathisch, sehr munter mit den Fingern, aber sehr ernst durch sein Gesicht, gesittet wie ein Papst. Das lohnte sich, besonders am Samstag. Er nahm so an die drei Pfund ein zwischen acht Uhr und Mitternacht und die Stout, die nahrhafte, dicke, sahnige, nach Belieben, dank der spendablen Gäste. Und dann der krächzende Gesang, das Trinklied, das gehört zum stolzen Brauch, mit Wiederholungen durch die um das Klavier gedrängten Saufbrüder.

Yeep! oye di oye! oye!

Yop! oye di oye!

Das sind die ersten englischen Wörter, die ich auswendig gewusst habe, «oye di oye»! Das hallte in schallenden Echos auf der nächtlichen Straße draußen, wo die kleinen Kinder warteten, mit dem platten Schnorchelchen gegen das Fenster gequetscht, damit ihre Eltern Schluss machten mit dem Biersuckeln, der Freude, dem Lebensglück; so besoffen waren sie, dass die Teckel hereinkamen, um sie mit heftigen Stockschlägen hinauszuwerfen, sie sollten doch woanders kotzen gehen. Wir befanden uns im La Vaillance, dem feinsten Pub des «Lane», dem, der sieben massive Theken hat mit elfenbeingeschnitzten Galionsfiguren und kupfernen Raupengeländern. Ein prächtiges Werk. Und das Bildnis des «Conqueror»; auf der ganzen Höhe in einem kolossalen Goldrahmen und mit Sirenen geschmückt. Da befanden wir uns nun, als der Zwischenfall sich ereignete und die Schlägereien begannen. Da trat der Sergeant Matthew vom Yard ein, auf der «Seite der Sandwichs», in dem Abteil der Dandys, er kündigte vor sich hin pfeifend an und mit «Good Day Dames»! Er war nicht im Dienst, im Anzug wie wir alle, er trällerte mit den anderen, hatte einen kleinen in der Krone, war daher freundlich … Plötzlich! Was fällt ihm denn ein? … er bleibt jäh stehen, starr … vor Boro … mit seinem steifen Hut! ah! das benimmt ihm den Atem! ah, diese Chuzpe! … Der da geschäftig in seine Musik vertieft, auf seinen Klimperkasten tippend, in schrillen Kadenzen, in Schnulzensequenzen, im nebelhaften Charme, den die hiesigen Volksweisen haben, das hebt mancherlei Sorgen auf, lässt einen scherbeln zum Tirili! … ding! … dändän! don! don! … jupheidi, preste! aufgekratzte Triller und Arpeggios! mit seinen dicken, dreckigen Wurstfingern … und es war wirklich eine Hexerei, wie er die Stimmung verzauberte mit Gaukeleien, die neckisch aus dem großen Klavier herausklangen … die letzten schnulzigen Schlager … ganz reizvoll mit einem lachenden und einem weinenden Auge … wie der unbestimmte Geschmack der Orangenmarmelade, die zugleich süß und bitter ist … So sind die englischen Volksweisen helldunkel – Daran erinnere ich mich recht gut … Er stand ganz verdutzt da, platt wie ein Pfannkuchen, der Sergeant Matthew, vor dem neuen Hut des Mannes, den er auf dem Kieker hatte. Dabei blieb ihm die Spucke weg … das Lächeln erstarrte auf seinen Lippen. Er traute seinen Augen nicht! …

Er tritt heran … er will besser sehen … beurteilen. Er nähert sich dem Klavier … und mir nichts dir nichts, hatsch, bricht der Zorn los! Er schickt sich an, den Künstler zu beschimpfen …

Wo hatte er sich angewöhnt, in dieser dreckigen Bar eine «Bombe» zu tragen! So was hatte man noch nie erlebt! Er musste ja verrückt sein! … Tatsächlich! Wo glaubte er denn, sich zu befinden? Beim Derby? Im Oberhaus? Das sei eine Schmähung und Wichtigtuerei von einem so verkommenen Ausländer … Einem Einwanderer der schlimmsten Sorte! Der Notenpopanz, Blindgänger, Vagabund! Es sei eine verdammte Unverschämtheit, die Gentlemen nachzuäffen! Ein unglaubliches Verbrechen! Er wolle ihn hier hopsnehmen, wenn er das nicht sofort abnehme! … Und noch ’ne Menge anderen Kokolores und blutrünstige Drohungen, er war außer sich! …

Boro hing an seinem «Deckel» … Er war ein Geschenk von einer Frau … Der Sergeant Matthew wägte, als er Streit suchte, seine Worte nicht mehr ab … Erstens ging ihn das einen feuchten Kehricht an! Boro hatte durchaus das Recht, sich ein Sofa, einen Drachen, eine Babywaage als Hut aufzusetzen, und umso mehr einen Zylinder! Das ging niemand was an als seine Wenigkeit! … Aber der andere war nicht dieser Meinung, er brauste immer mehr auf. Der heftige Krawall brach aus … Entsprechend nahm die Sache eine schlimme Wendung … ein Krawall! … Kampffieber! Um den Schnaps herum dampfte es … Der ganze Krempel wird geschüttelt, schwankt, fliegt in die Luft, so toll startet die aufgewühlte Menge eine Tobe, grölt, aufgeputscht, kotzt den Matthew an! Eng umdrängt, kriegt’s der Matthew mit der Angst zu tun – ich erzähl’s, wie’s war –, nimmt seine Trillerpfeife aus seinem Täschchen … Ah! das entfesselt alles! Sie stürzen sich drauf! … Er soll nicht pfeifen! … Keine Verstärkungen! Die Polizei verrecke! Umgestoßen, am Boden hingestreckt, Matthew ist bepflastert mit Besoffenen, die grölen, lustig, trampeln drauf, in einem Haufen bis zum Kronleuchter … tummeln sich wohlig. Sieg Heil! Der Reigen der Stiefel trampelt drauf … Auf sein Wohl! … For he is a jolly good fellow! …

Er sagte nichts mehr, der darunter, er war hin … Ich wartete an der Tür, bis sie ihn ganz fertiggemacht hatten! … Ich wäre lieber woanders gewesen … Wenn die Bullen anscheesten, würden sie alle aufgreifen? … Ich sah schön aus mit meinen Flebben! … meiner Ausmusterung, meinen ausradierten Stempeln! Oh, là, là! Du meine Güte! … Ich hatte gewisse Schwierigkeiten mit den Leuten des Konsulats …

«Hau doch ab!», von unten rauf steckte es mir der Boro … so unter dem Haufen rauf … und deutet zum Spital hin! … auf der anderen Seite der Straße! …

«London Hospital», wohlbekannt, Mile End Road … Da machten wir alle unsere Treffs, dafür hatten wir unsere Gründe, der Zulauf war günstig, ein ständiges Kommen und Gehen … eine Überwachung unmöglich … Besonders an der Tür der «Eintretenden», wo das Gedränge nicht aufhörte … Tag und Nacht hin und her … Alle Busse fahren durch «Mile End». Ich bezog also Stellung dort gegenüber, genau unter der blauen Gaslaterne … Der Boro, der war korpulent, aber sehr wendig in den Krawallen … Er kannte die Masche, wie man sich aus der Klemme zieht … behende, wenn er wollte … Raus! Hoppla! er braucht nicht lange, um mich einzuholen! … Wie eine dicke, geschmeidige Katze … Er schlüpft zwischen den Boxern durch, durch das Unwetter, den furchtbaren Orkan der Kloppe. In allen Gastzimmern der La Vaillance wird toll vertobakt! eine Tobsucht von Irrsinnigen! Ich gewahre es von gegenüber! … Das birst, schlägt auf die Wände, die Fensterscheiben zersplittern, fallen in Scherben auf die Straße! Was für ein Wirbel! Ein unverschämter Krach, so ohrenbetäubend, dass er den Lord-Maire wecken könnte! … Die Frauen kreischen am lautesten! und die kleinen Kinder im Dunkeln! die die Familienväter erwarten … «Mami! … Mami!» Sie fühlen sich schon als Waisen!

Boro, der humpelnd bei mir ankommt, hat einen heftigen Knaller bekommen, au, au! mitten in die linke Kniescheibe! er blutet … wir sehen sein Knie im Lampenschein an … was das heißt, in Massaker zu geraten! Er hatte seinen Hut verloren, die «Bombe» der Zornesausbrüche! … Das hatte sich wirklich gelohnt! Wir haben uns gesagt, dass wir nicht mehr ins La Vaillance zurückkommen wollten, in die dreckige Baracke! die beschissene Nahkampfdiele! sogar mit seinen Mahagonischnitzereien, den berühmten Theken, den Raupenornamenten, oh, là, là! das war ja grauenhaft! Es sei wirklich ein schräges Lokal! Faul! Kriminell! Wo man die Freunde ramponierte! wo die Spitze sich wie Schweine aufführten!

Das war ernsthaft unsere Meinung.

[zur Inhaltsübersicht]

Nehmen wir mal an, dass Sie von Piccadilly kämen … Sie gehen hinunter nach Wapping … Ich muss Sie hinführen … Sonst würden Sie es nicht finden … Wenn man aus dem Tub kommt, ist es links … zwischen den Kühlhäusern … eine Mauer aus Backstein, zu beiden Seiten Einfamilienhäuser, im Gänsemarsch … wie die Wochentage … da ist kein Ende … das fängt immer wieder an … eine unendliche Reihe … eine grenzenlose Häuserflucht … Kein Aus-der-Reihe-Tanzen … alle einstöckig … eine kleine Tür zur Straße … mit einem Kupferhammer … die gleichen Straßen und dann wieder die gleichen Straßen … Querwege und so weiter … Plymouth Street … Blossom Avenue, Orchard Alley … Neptune Commons … Unmengen von derselben Art … All das schön in Reih und Glied, recht ordentlich … Manche Leute meinen, das sei traurig … Das hängt von den Tagen, den Jahreszeiten ab … Mit einem kleinen Sonnenstrahl wird das zur Spielzeugschachtel, man gibt sich Mühe … Da ist Elend … das ist das eine … da blühen überall an den Fenstern Geranien … das heitert einen auf … Monoton wirken die Backsteine … klebrig … überall vom Rauch beschmutzt … von Dunstsickerungen, Teerablagerungen … Der dortige Geruch ist tückisch, nach feuchtem Schwefel, nach klammem Tabak, was einem in die Haut dringt, einen einhüllt … auch nach Honig … All das fällt einem ein, und man kann es nicht erklären, wenn man auch davon redet … und das märchenhafte Schauspiel der Kinder? Das bleibt im Gedächtnis haften! …

Beim ersten Lächeln der Sonne – man muss die Stellen kennen – platzt alles heraus und wirbelt herum … Luftsprünge! Sarabanden! Eine Kirmes der Wildfänge von einem Ende zum andern von Wapping! Von Freitreppen zu Vorbauten wird herumgepurzelt! schnellfüßig, ein Tempo! … Kleine Mädchen und Jungen! haste, was kannste! um die Wette! In hundert ausgelassenen und putzigen Spielen … Die Kleinsten ganz in der Mitte … Hand in Hand … im Reigen tanzend … niedliche Knirpse des Nebels … unheimlich erfreut über einen regenlosen Tag … munterer, himmlischer und behänder spielend als Traumengelchen! … Und rundherum drangsalieren angemalte Banditen zum Spaß die Mädchen … belästigen Passanten … diese kreischenden Monster.

«Policeman! Policeman! don’t touch me! I have a wife and a family!»

Andere Schelme gehen zum Sturmangriff über! packen die Mädchen an den Zöpfen! …

How many children have you got?

Five and twenty is my lot!

Darauf nimmt die Runde es gellend mit ganz falschen Stimmen wieder auf … die heiseren, wilden Schlingel … Und dann noch jenes ungestüme, das paarweise getanzt wird …

«Dancing Dolly had no sense!

She bought a fiddle for eighteen pence!»

Und noch so viele hübsche, muntere, komische und galante Songs, die in meiner Erinnerung tändeln … Alle um die Jugend zu beflügeln … Und alles spielt sich in diesen Gassen ab, sobald das Wetter ein bisschen besser wird … ein bisschen weniger kalt, ein bisschen weniger dunkel über dem Wapping-Viertel zwischen «Poplar» und den «Chinesen». Dann schmilzt der graue Trübsinn in der Sonne häufchenweise dahin … Ich habe davon eine Menge gesehen, die solche Traurigkeiten schmolzen, tatsächlich tropften ganze Gehsteige voll in die Gosse …

Keckes, springlebendiges Mädchen mit goldenen Muskeln! Bei strotzender Gesundheit! … hüpft launig von einem Ende zum andern unserer Kümmernisse! Ganz am Anfang der Welt mussten die Feen wohl ziemlich jung gewesen sein, um nur Narreteien zu veranstalten … Damals war die wundervolle Erde launisch und mit Kindern bevölkert, die ganz ihren Spielen und Tändeleien, Taumeleien und Lappalien hingegeben waren! Gelächter zerflattert … Freundentänze! … hinreißende Reigen!

Ich erinnere mich, als wär’s gestern gewesen, ihrer Schelmereien … ihrer ausgelassenen Farandolen längs dieser Elendsstraßen an diesen kummervollen Hungertagen …

Dank sei ihrer Erinnerung! Hübsche Frätzchen! Wildfänge in matter Sonne! Elend! Ihr werdet euch immer für mich aufschwingen, so nett herumzutollen, als lachende Engel im Dunkel des Alters, so wie einstmals in euren Gassen, sobald ich die Augen schließe … im schlappen Augenblick, wo alles sich verwischt … so wird durch euch der Tod noch ein klein bisschen tänzerisch sein … eine aushauchende Musik des Herzens … Lavender Street! Daffodil Place! … Grumble Avenue! Klamme Elendspassagen … Nie beständig schönes Wetter, tanzt der Reigen und die Farandole in den nebligen Schächten zwischen Poplar und Leeds Barking. Kobolde der Sonne, leichte, zerzauste Schar, von einem Schatten zum andern gaukelnd! … Kristallfacetten eures Lachens … ringsherum funkelnd … und eure neckende Kühnheit … von einer Gefahr zur andern! … Erschreckte Mienen bei dem entgegenkommenden schweren Brauereiwagen! … stampfende Füchse, die das Echo brechen! dichtbehaarte, gewaltige Pferdefesseln … von der Firma «Guiness und Co.» von einem Schreck zum andern! … Traummädchen! flinker als Grasmücken im Wind! tummelt euch! … kreiselt in den Gassen! im Nebeldunst … im Erbsbrei! … Warwick Commons! Cariban Way, wo der scheue Stadtstreicher herumstrolcht … die Gossen entlang herumschnüffelnd … von Furcht eingehüllt! … und der Straßensänger, der falsche, rußbeschmutzte Neger, in Harlekinlumpen … hier, da, überall herumlungernd … mit der Gitarre in der Faust … schwindsüchtiger Stimme … von einem Dunst … von einem Nebel zu andern … mit einem kranken Fuß den gefährlichen Sprung nach hinten hampelnd für einen Penny, für zwei Pence! … drei Hustenanfälle hintereinander! er spuckt ein bisschen rot und geht weiter dem Grau der Wolken entgegen … in unabsehbaren Straßen verloren … und dann immer noch weiter so viele Bruchbuden … Hollyborn Street … Falmouth Cottage … Hollander Place … Bread Avenue! … Ganz plötzlich ertönt Alarm, von weit hinten! … vom Ende der Dächer … das Heulen des Schiffs! … Ganz am anderen Ende! Achtung, Strolche zum Empfang! Achtung, Glotzer und Gaffer! Krätzebefallene, schielende Scheusale des Missgeschicks! Kohlenbunkerratten! Verdrehte Stummelhalunken! Schlapparmige Faulaxe! Kranflöhe! Stinkendes Schauermannsgelichter! Der Geist des Wassers ruft euch an! … Hört ihr seine erlesene Stimme! Auf, ihr Schindluder und Dampf gemacht! … Alle an die Gaffel des Brückenboots! Alle Alter! … jeder Herkunft! … ekelhafte Rassen! Verratzte der vier Welten! Schwarze, Weiße, Gelbe, Braune! Lumpe jeder Pelle! Klar! Alles Giftzwerge! Jede Art von Laster! Höflich mit Verbeugung! … Aber bitte schön! … Wer aufmuckt und versagt und kneift in diesem Augenblick … Weh dem! weicht beim Setzen des Tauwerks! inbrünstig mit scharfen Kiekern … Bestraft gehört er! mit dem Tau! … sei er auch noch so besoffen … Ingrimm beiseite! … Männer an eure Posten! Schiffsjungen der Seile! Umgehauen vom wunderbaren Schauspiel des gefährlichen Anlegens, vom subtilen Wunder! dass der dicke Werkballen noch gerade rechtzeitig fällt! auf die Höhe des Kais! am Ende des Taus! stöhnt stopp! Knirscht, zerquetscht, zwischen Mauer und Ladeluke … was für ein Augenblick! ein ganz kleiner Haken dabei! ein Fädchen zu viel! Und das Schiff reißt auf und birst! … wer dabei nicht beim Zuschauen außer Atem gerät … ist nichts weiter als ein jämmerlicher Saukerl, ein Mistbauer, Kuh-Arschloch! unheilbar und hoffnungslos! muss ohne Federlesen ertränkt werden! stante pede! nicht in den Wellen, das wäre Lästerung, sondern unter Fluten von Unrat, hunderttausend Müllwagen voll fader Jauche! So ist es! Ein Lied ohne Worte! …

«Schande über ihn! Schande über seine verfluchten, biestigen Komplicen! Das Tor sei für immer vor diesem Schindaas zugeschlagen. Skandal im Palast der Seefahrer! Malesche den Hunden!»

Sehr gut gesagt! Hierher! Ich gehe Ihnen voraus … Gehen wir schnell! Sputen wir uns! Noch zwei Sackgassen und dann ein völlig verlassener Markt … und weiter eine ausgebrannte Ruine … und dann ein winziger Platz, in der Mitte eine Laterne, drei verkommene Häuser, sind unbedenklich abrissreif, eins, das noch leidlich erhalten ist, ist das Geschäft «North Pole», wo Tom Tackett meine Moneten behielt, er bewahrte sie mir Tag für Tag auf, in den Wochen, als ich ein bisschen mal hier, mal da anschaffte … auf den Docks, wegen meines Arms, meines Beins bei leichten Lenzen … Bei den Jahrmarktsspielen mit Boro, um mir kleine Einkünfte zu verschaffen für die notwendigsten Dinge … zwei Windfänger, Schuhbesohlen, einen reinwollenen Sweater. Die Vorsorge selbst hatte Tom Tackett alles in seinem Laden, er nahm meine Piepen in Aufbewahrung, ich selber hatte nichts behalten, ich kaufte am Monatsende ein. «Ship Chandlers», das war seine Masematte, die ganze Seemannsausrüstung, alles Nötige für die Mannschaft, für den Kapitän. Messer, so ’ne tollen Stiefel und Laternen, Windlichter in allen Farben und dann ein bisschen krumme Würfel und Salzlake, an die man sich erinnert, die ich heute noch nicht verdaut habe.