Norden - Louis-Ferdinand Céline - E-Book

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Louis-Ferdinand Céline

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Beschreibung

Im Vordergrund dieses Romans steht die Not des Menschen auf der Flucht, des Menschen in der Falle, des Menschen, der, verzweifelt und voller Groll über die Ungerechtigkeit der Welt, kein Vertrauen in die Zukunft hat, der nicht weiß, wovon er sich am nächsten Tag ernähren und ob er diesen Tag überhaupt erleben wird. Die Sprache dieser letzten Eruption des Vulkans Céline ist jener gehetzte und hetzende Argot, jenes «Französisch des 21. Jahrhunderts», dem dieser Autor seinen Platz in der Weltliteratur verdankt. «Eine Schilderung vom Zusammenbruch Nazideutschlands, wie sie in der deutschen Literatur nicht ihresgleichen hat.» (Die ZEIT)

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Louis-Ferdinand Céline

Norden

Roman

Aus dem Französischen von Werner Bökenkamp

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Oh, ja, sagte ...Es ist sehr ...Jahrgang 94 überholt, na ...«Sie halten sich ...In den ganz ...Es ist wohl ...Haine … Beete … Rosen … ...Seit dem Augenblick, ...Frau von Dopf ...Ja, ich gebe ...Ich mit meinen ...Da soll man ...Schlafen … schlafen … aber ...Zugegeben, jeder kann ...Am nächsten Mittag, ...Ich kannte Harras ...Lili hatte bestimmt ...La Vigue ist ...Zum Schlafen braucht ...Da sehe ich ...Nicht immer war ...Comics? … Comics? … ein ...Wir haben uns ...Es handelt sich ...Schließlich hatten wir ...Durchaus nicht das, ...Wir haben ein ...Es scheint, dass ...Nicht dass dieser ...Kracht war wohl ...Ich muss sagen, ...Wir erwarteten mit ...«Na, weißte! … na, ...Ein Tag vergeht … ...La Vigue führt ...Der Fahrplan der ...Der Rittmeister bei ...Selbstverständlich, selbst wenn ...Ich dachte, sie ...«Sag mal, Ferdine, ...Während man bei ...Sie verstehen! … ich ...Von meinem Stroh ...Diese Trauerfeier war ...Sie können sich ...
[zur Inhaltsübersicht]

Oh, ja, sagte ich mir, bald wird alles zu Ende sein … uff! es reicht einem … mit fünfundsechzig Jahren und etzlichem, was kann einen da schon die schlimmste Erz-H-Bombe scheren? … Z-Bombe? … Y-Bombe? … ein Furz! … Lappalien! schrecklich nur das Gefühl, so seine ganze Zeit verloren zu haben und welche Unmasse von Anstrengung für diese grässliche, verfluchte Horde von alkoholischen, schwulen Knechten … was ’n Elend, Madame! … «verkaufen Sie Ihren Groll, seien Sie still!» … in Teufels Namen, einverstanden! … na schön, aber wem? … die Käufer maulen über mich, scheint es … sie lieben und kaufen nur die Autoren, die fast wie sie selbst sind, dazu gerade noch eine kleine farbige Borte … Chef-Bediener, Chef-Arschwisch, Dinglecker, Ausflüsse, Weihwasserbecken, Richtpfähle, Bidets, Fallbeile … da will sich der Leser wiederfinden, sich wie der Nächste, der Bruder fühlen, sehr verständnisvoll, zu allem bereit …

«Schweigen Sie! … schon auf den Galeeren hatten sie zehn Prozent ‹Freiwillige›, Sie gehören zu ihnen!»

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Es ist sehr wohl möglich, niemals zu wählen, und trotzdem seine Meinung zu haben … und sogar mehrere … ein Vorrecht des Alters … von einem bestimmten Zeitpunkt ab liest man keine Artikel mehr … nur noch die Reklame … die sagt einem alles … und die Todesanzeigen … Sie wissen, was die Leute wünschen … und dass sie tot sind … das genügt! … das Übrige: Babbelei … links, Mitte oder rechts! … «geduldete Schnapsbuden» wie früher die «Häuser» für jeden Geschmack … die kleinen Süchte wie die großen …

Man sieht, wie sie den armen Flüchtlingen, Smyrnoten, Bulgaro-Bastaven, Afro-Pollacken unter die Arme greifen, alle so bedauernswert, aber Sie, verdammter Mist? Sie sind nicht mehr vorhanden! … haben Sie’s noch nicht bemerkt? … ausradiert …

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Jahrgang 94 überholt, na klar … da will ich Ihnen aber mal was sagen, man müsste eigentlich von 100 vor Christus stammen! … alles, was wir erzählen, langweilt! … die Theaterstücke, dasselbe Gähnen! und Kinos und Fernsehen … missliche Sache! was Krethi und Plethi und Prominenz wollen: Zirkus! … bluttriefende Todesstöße! … richtiges Röcheln, Foltern, mit der ganzen Arena voll Gedärme! … Keine Seidenstrümpfe, falsche Titten, Seufzer und Schnurrbärte, Romeos, Kameliendamen, Hahnreie … nein! … ein Stalingrad! … Halden von abgehackten Köpfen! Helden mit den Ruten im Mund! man will mit seinem Karren voll Augen von den großen Festspielen zurückkommen … kein Progrämmchen mit Goldschnitt mehr! was Ernstes, Blutrünstiges … keine Pankrations-Schauspiele mehr, und auch noch «geprobte», nein! … der Zirkus wird alle Theater zum Schließen bringen … die vergessene Mode wird Furore machen … die von 300 Jahren vor Christi Geburt! … «Machen Sie’s kurz!» … Sie denken an den Roman! ich beeile mich! … Abendanzug ist vorgeschrieben? aber nein doch! … «Die Vivisektion der Verwundeten!» … da haben wir’s! all die Kunst, jahrhundertelang sogenannte Meisterwerke für nichts und wieder nichts! Betrügereien! Verbrechen!

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«Sie halten sich also für einen Chronisten?»

«Nicht mehr und nicht weniger! …»

«Ganz ohne Hemmungen? …»

«Fordern Sie mich nicht heraus! ich höre noch Frau von Dopf …»

«Ich versichere Ihnen, Monsieur Céline, wenn mein Mann noch gelebt hätte, wir hätten Hitler nie bekommen … dieser Katastrophen-Mann! … Intelligenz ohne Willen führt zu nichts, nicht wahr? … aber Wille ohne Intelligenz? … eine Katastrophe! … das ist Hitler! … meinen Sie doch auch, Monsieur Céline? …»

«Gewiss, Madame, gewiss! …»

Weiß Gott, wie wild gaullistisch, antihitlerisch die Gäste des Simplon in Baden-Baden waren … reif für die Alliierten! … Lothringer Kreuz im Herzen, in den Augen, auf der Zunge … und keine kleinen Pechvögel, kopfscheue, abgeschabte Krämer … nein … alle an großen Luxus gewöhnt, von der Oberkategorie, zwei, drei Zimmermädchen pro Appartement, sonniger Kurbalkon auf die Lichtenthalallee … die Ufer der Oos, dieses Bächlein mit seinem so vornehmen Plätschern, von allen Arten seltener Bäume gesäumt … die ausgesuchteste Lage … silberbelaubte Trauerweiden am Wasser entlang auf zwanzig … dreißig Meter … sorgfältigste Gartenkunst dreier Jahrhunderte … das Simplon nahm nur Gäste aus äußerst guten Familien auf, ehemalige regierende Fürsten oder Ruhrmagnaten … solche Hüttenbesitzer mit hundert … zweihunderttausend Arbeitern … zu der Zeit, von der ich Ihnen erzähle, Juli 44, noch sehr gut und sehr pünktlich versorgt … sie und ihre Leute … mit Butter, Eiern, Kaviar, Marmelade, Lachs, Cognac, Sekt … wellenweise mit Fallschirmen auf Wien, Österreich abgeworfen … direkt von Rostow, von Tunis, von Épernay, von London … die an sieben Fronten und auf allen Meeren wütenden Kriege hindern nicht am Kaviar … die Super-Zermatschung, die Z-Bombe, Steinschleuder oder Fliegenklappe, wird immer die «Delikatessen» der hohen Tafeln verschonen … Da kann man lange warten, bis Krukruzew sich von «Fußlappen» ernährt! Nixon mit Wassernudeln, Millamac mit rohen Karotten … die hohen Tafeln gehören zur «Staatsräson» … Dazu gehörte auch das Simplon mit allem, was man brauchte! … in allen Stockwerken als Küchenjungen verkleidete Mörder, die das Kompott mit Maraschino herumtrugen … eine Frage des Bargelds, da können Sie sich vorstellen, dass diese Leute gewissenlos waren … dass die «Mark-Börse» für zehn, fünfzehn Millionen, auf einmal, auf eine Karte, die Gäste und die Gauner vergnügte … die Hast, dieses Jux-Geld loszuwerden … irgendwas zu kaufen! aber woher der Ramsch? von nebenan! … aus der Schweiz … und durch sie aus dem Orient, aus Marokko … und zu welchen Preisen! … schubkarrenweise Mark! … sehr schön … sehr schön … aber man brauchte noch einen Basar! … da wurde ein ganzes Stockwerk im Simplon hergerichtet … mit seinen echten Händlern! … gelockt, geschniegelt, gebräunt, dazu verschlagen … Jaguarfreundlichkeiten, fangzähniges Lächeln, Vettern von Nasser, Laval, Mendès, Jussef … «immer feste! geliebte Gäste!» … da hätten Sie mal die Magnaten sehen sollen, was die für Devisenladungen heranbrachten! … der Simplon-Basar im vollen Handel! … da liegt des Pudels Kern! ein Buchara fünf Kilo «Schlacht-Bank»! gewogen! … aufgekauft! … morgen werden sie dieselben sehen, in Basaren im Kreml, Russland, im Weißen Haus, USA, mitten in einem neuen Krieg! … zehn, zwanzig Hiroshima täglich, dann wird man feststellen können, das bumst, ein Höllenlärm, mehr nicht! … Milde, Sums, grässliches Knirschen … aber alles, sofern nur Merkur wieder da! … das Wesentliche! … sei es in den russischen Straflagern, in Buchenwald oder in «schlimmsten Zwangsanstalten», oder unter der Atomasche, Merkur ist da! sein Tempelchen? … Sie sind beruhigt! … das Leben geht weiter … Nasser auch und sein Kanal! … und Marmeladen! … und der echte Kaviar aus Rostow! … der letzte übriggebliebene Fallschirm soll sich nur nicht unterstehen, bitteschön, etwas anderes fallen zu lassen als eine große Kiste Chianti, plus geschliffene Schalen, Spiegel, «reines Venedig», besser als alles andere! Nylon-Morgenröcke «Façon Valenciennes»! alles auf den Tisch der «Kommissar»-Damen! … parfümierte Idole, gleichgültig gegenüber dem Foltern, vor den Galgen gähnend … denkt ein bisschen an die «Ratafia-Nylon»-Hemdchen, mit dem letzten Fallschirm! … dass wir das nicht zweimal müssen sagen! nicht immer die langweilige Masche, fünf Provinzen in Staub zu verwandeln! so starke Neutronen zu schmeißen, dass man die Gare Saint-Lazare nicht wiederfindet! … keine Schraube einer Lokomotive! … genug mit eurem Wahnsinn!

Ich versichere Ihnen, in Baden-Baden im Simplon-Hotel, da war was los! … nicht nur die Leute von den Ruhr-Konzernen und den Banken aus Mitteleuropa und dem Balkan, auch verwundete Generale, was von allen Fronten, besonders am Tisch des Gesandten Schulze, des Vertreters der Kanzlei … das alles darbte nicht, Ehrenwort … feinste Verpflegung und allerhand Komplotte, Kabalen und Zeitpläne! … Sie werden mir sagen, das ist erfunden! … durchaus nicht! … getreuer Chronist! … natürlich musste man dabei gewesen sein … die Umstände! das ist nicht allen gegeben … das Ende der Mahlzeiten mit Hammelkeule, mit gewichtigen Geheimnissen und Burgunder … unwiderstehlichen Menüs! … Feinheiten vom Anfang bis zum Ende, Vorspeisen mit Erdbeeren und Schlagsahne … Melba! … Sirup? … mehr? … weniger? … pah! … und all die dienstbeflissenen Kellner, hören zu und notieren alles, Zögern, «Ja», und Seufzer … als feinste Spürnasen der Widerstandsnetze, Kommunisten, «Fifis»[1], Geheimdienst, Wilhelmstraße, tutti frutti … alle mehreren Herren dienend! … ebenso geschickt, vier Mikros auf einmal zu bedienen, wie Fasanen, Langusten mit zwei Soßen und Sellerie mit derselben Hand zu reichen! im selben Augenblick! zwölf Gästen … Geschmeidigkeit, Schweigsamkeit, Genauigkeit! … viele hatten Pétain bedient und Göring im Ritz in Paris … und nicht nur Hermann! alle Nazigrößen und die Baronin Rothschild … für die verratzten, zerlumpten, verkrachten, hirnverbrannten Rassisten! … die Elite ist die Elite, egal wie, egal wo … für die andern die Kundgebungen und die Kacke! Entschließungen, Gegröle, erhobene Fäuste, gesenkte Fäuste, verdrehte Daumen, auf die Knie, hingelegt, in die Scheißhäuser mit der Sippschaft! … ein Ober des Weißen Hauses, Kremls, Vichys oder des Simplon hat so eine Art, einem die Radieschen zu reichen, dass man sich nicht täuschen kann … der «Strolch unteren Ranges», sei es nun Rotkohl oder Blumenkohl, «Borschtsch» oder Fleischbrühe, wird immer den gemeinsamen, betrüblichen Furz haben … den gleichen beim Beaujolais oder beim Wodka! … ganz anders verdaut Windsor, der Kreml, das Élysée! … was fordert die Humanité, die «Intelligenzija» der Verdammten? … ihr Glück, ihre Inbrunst? dieselben Fürze zu haben wie Krukrutschew oder Picasso! … so verdammt zu sein! … ist gar nicht so leicht! … Stil, Traditionen, dicke Teppiche, lautloses Geschirr! … he, ihr Lümmel!

«Könnten Sie, bitteschön, diese Kraftbrühe etwas sämiger …»

«Wie Hoheit belieben!»

So war’s … ebenso mit dem Steinbutt! … man brauchte es nicht zweimal zu sagen!

Selbstverständlich waren Bibici, Brazzaville und La Chaux-de-Fonds[2] früher als wir über die geringsten Stimmungsänderungen, das winzigste Kluckern der Bidets unterrichtet … Sie konnten Stunde für Stunde alle Lautsprecher in den Korridoren alle Sender der Welt schmettern hören und alle Neuigkeiten des Simplon … Sie erfuhren durch Trapezunt, was im Nebenzimmer passierte … die Neuankömmlinge und die Abreisen … Zum Kuckuck! das störte niemand! … der gewaltige, ganz eingeschnürte Balg, «unbeschränkte Vollmachten», der Legationsrat Hans Schulze dachte nur daran, sich zu verdrücken … all seine Gedanken, Sicherheit! … Güter und Familie in Ostbayern … und für uns natürlich der Schlachthof … bestimmt hatte er seinen Geheimdienst! … alle Lakaien, Küchen, Korridore, Ober kamen, Stunde für Stunde, ihm absolut alles zu erzählen … alles, was in den Buden passierte, Bakkarat, gemischte Partys, Koks … für die Krankheiten war ich’s … jeden Morgen zum Bericht! … das ist eine Tatsache, niemand könnte zu behaupten wagen, dass irgendetwas im Simplon-Hotel verborgen blieb … im vorhergehenden Buch habe ich Ihnen von Sigmaringen erzählt – zu einem bestimmten Zeitpunkt, sofern nur «die Nachrichtendienste» funktionieren, sich schön überschneiden, sich häufen … dann geht alles! … das kann Jahrhunderte so weitergehen … Beispiel Rom, Ninive, Byzanz, Babylon … und, näher bei uns, die Sowjets … Sie werden schon sehen, dass wir zwei … drei Jahrtausende überdauern können, die Sowjets und wir, von Verratsprozessen zu rosigen Balletten, von zwischenpolizeilichen Corridas zu blutigen Säuberungen … und Wieder-Reden und Wieder-Wählereien! Hurra! die Pithekanthropheit soll bimsen, und feste … ist nicht umsonst aus den Höhlen rausgekommen … Palaver, Fahndungen, Mikrofilme, und üppiges Leben! Frickeleien von Hosenställen und Mählern! … unserer, der Legationsrat Schulze verlangte nichts anderes … Nachrichten und ein fürstliches Leben … ich habe ihn und seine Familie behandelt, er, seine Büros, seine Erzieherinnen und Kinder nahmen den ganzen «sonnigen Flügel» des Hotels ein … er konnte nichts Besseres wünschen … doch! … in puncto Küche … da war er gar nicht zufrieden! sie verdarben ihm seine Bouillabaisses! … obwohl sie sich Mühe gaben … aber … aber sie taten’s extra! klar! Schulze, der feine Kenner, zehn Jahre Konsul in Marseille! ihm solchen Fraß raufzubringen! Sabotage!

«Herr Doktor, Doktor! Probieren Sie mal dieses Spülwasser! … eine Suppe für die Heilsarmee!»

Zehn Jahre Konsul in Marseille! er ließ den Küchenchef raufkommen … auch aus Marseille! und das redete, und mit einem Akzent! die ganze Wehrmacht flutete zurück, verlor Europa, kann man sagen, ließ zwanzig Armeen im Stich, aber Schulzes Bouillabaisse blieb die Hauptsorge des Simplon-Hotels … und durch Sonderzufuhren! Seeröten, Knoblauch, Safran und kleine Fische von den maurischen Küsten, zwanzig Arten, zur festgesetzten Zeit, frisch im Aquarium, mit dem Flugzeug … man sollte später ja nicht behaupten, man hätte sich im Simplon-Hotel, ob in Krieg oder Frieden, jemals gehenlassen … und trotzdem gab diese Bouillabaisse Anlass zu Kommentaren … ja, zu Verdächtigungen! …

Zugegeben, dass sie in den Küchen, im Keller ein bisschen durchgeschüttelt wurden … unhöfliche Marauders taten, als hätten sie es auf uns abgesehen … taten so! … aber gar nicht! Looping und Pirouette und Servus! … schwirrten ab und bombardierten das Land! … aber unten, in den Küchen konnten sie annehmen, dass was fällig war … die Erde bebte … und die Töpfe … und der geriebene Käse der Bouillabaisse … schließlich und endlich … Schulze und der Küchenchef waren nicht ganz überzeugt, dass nicht ein Küchenjunge schuld war …

Und ich erzähle Ihnen nichts vom Kasino! … unverzeihliches Versäumnis! … das Kasino «Treffpunkt Europas», der ganzen Prominenz … Adel, Botschaften, Theater … lange bevor die «Massen» reisten und Amerika in drei Stunden kam … stellen Sie sich diese Spielsäle vor im «Siebenbürger» Barock, mit himbeerrot-goldenem Samt tapeziert … man erwartet des Grieux … Manon[3] ist «auf Probe» … zehn Manon! … keineswegs reuig! … immer genießerischer! … rot und schwarz … mit Wimpern, Titten, Hüften … und der Büstenhalter, der abschwirrt!

Verkalkte Obersten, leberkranke Räte und kränkliche alte Schachteln herzkrank, bleich … bleich … die keinen roten Heller mehr hatten … und keine Kräfte mehr, um aufzustehen … wegzugehen … es ist Krieg, die Kapelle fehlt … das einzige Geräusch immer dasselbe rrrrr! … des Roulettes … und die Stimme des Kantors trocken … «jeux sont faits!» … Die Junker-Gäste des Simplon machten mal ihre Runde … ziemlich hochnäsig, wie es sich gehört … aber die flüchtigen Kollaborateure, die Damen besonders, klammerten sich zu dritt … viert … an die Stühle … und gieperten nach der Chance …

Die Konditorei des Kasinos war immer vollgepfropft mit Boche-Kriegerwitwen … mitten in ihrer Genesungskur wegen der seelischen Erschütterungen … und immer rein mit den Kremeschnittchen … Liebesknochen und Stollen! … Heidelbeertorten und Schüsseln voll Windbeuteln … eine Lust, ihnen zuzusehen! … ich muss gestehen, wir haben’s ein bisschen ausgenutzt … später haben wir was auszustehen gehabt! … ich hab’s Ihnen erzählt! die Ersatzkuchen in Sigmaringen, mehr Gips als Mehl … nehmen Sie’s mir nicht übel, wenn ich alles etwas durcheinander erzähle … das Ende vor dem Anfang … schöne Geschichte! es kommt ja nur auf die Wahrheit an … Sie werden sich schon zurechtfinden! ich finde mich zurecht! … ein bisschen guter Wille genügt! … Wenn Sie sich ein modernes Bild ansehen, dann haben Sie etwas mehr Mühe! … gar nicht übertrieben, Ihnen die Kriegerwitwen mitten in der Kur zu schildern, Überernährung mit Torten, Teegebäck, Erdbeertörtchen … Kännchen mit sahniger Schokolade … ganz einfach alle Münder voll, überfließend … Schwierigkeiten, wenn sie nach Hause gehen … die Türen mit Windfängen! … die Kellner mussten sie schieben … all diese etwas schläfrigen Damen … sollen sie hier … da stranden … im Park … auf einer Bank … einer andern … rülpsend … träumerisch … noch viele Stunden verdauend …

Die Croupiers dagegen hatten nichts zu lachen … und hatten keine Zeit, Gebäck zu essen! … Zwangsarbeiter der Spielmarken! … «Hierher das Geld! … die Fünf!» … außerdem mussten sie ihre Schüler anlernen, jeder einen … auf dem Schemel neben ihm, ein ausgesuchter Kriegsbeschädigter, Krüppel, und in Uniform … keine Zeit zu verlieren! Rehabilitation eines Schwerverletzten! … er sollte rasch lernen, wie man die Kugel schleudert! … und Zusammenharken! … fünf! drei! vier! «les jeux sont faits!» … die Gewandtheit Fortunas! der harmonische Schwung, die Zügigkeit, das Geld … die tadellose Ankündigung! … die Tradition des Baden-Badener Kasinos ist nicht von gestern! … Berlioz hat dort gespielt und Liszt … und alle Fürsten Romanow … die Narizkin und die Savoyen … Bourbonen und Braganza … wir waren natürlich Eindringlinge, die kein Land in Europa haben wollte … kurz, es war eine Oper, in der komischen Art … als Zuschauer vermögen Sie alles … die Geschichte rollt, spielt sich ab, Sie sind da … ich erzähl’s Ihnen …

Dieselben Croupiers wie in Monte Carlo, genau … alle angeblich «deportiert» … die öligen Tollen, die gleichen … die gebogenen Nasen ebenfalls … die Smokings mit aufgenähten Taschen … wie in Ostende, Zoppot, Enghien … sanfte Fallbeil-Stimmen, «faites vos jeux» … alles in allem eine einzige Neuheit, die Rehabilitation der Krüppel durch die monegassischen Fachleute … das Große Reich dachte an alles … jetzt findet man einige Fehler an ihm! nun! … was man jetzt von den Galliern, von Ludwig XIV., sogar von Félix Faure erzählt! … alle Besiegten sind Schweinehunde! … ich weiß das … nur zu gut …

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In den ganz alten Chroniken heißen die Kriege anders: Völkerwanderungen … ein noch durchaus zutreffender Ausdruck, nehmen wir nur das französische Volk und die französischen Armeen im Juni 40, eine einzige Wanderung von Bergen op Zoom zu den Pyrenäen … den Hintern schon voll Kacke, das Volk und die Armeen … bei den Pyrenäen trafen sie sich alle wieder! … Deutsche und Franzosen! … kämpften nicht, tranken, lagerten sich, schliefen ein … Ende der Wanderung! … und nun führ ich Sie nach Baden-Baden zurück! … Unordnung, Gedankengerümpel! … warum bin ich noch einmal von Montmartre weggegangen? der verfluchte Schiss, vier Jahre später in der Avenue Junot zusammengeschlagen zu werden … oh, welch unrühmliche Geständnisse! alle Freunde und alle Verwandten warteten nur darauf, dass ich geschunden würde, alle einig, alle bereit, raufzuspringen, all meine Möbel rauszuholen, meine Betttücher unter sich zu verteilen, den Rest zu verscheuern … was sie dann auch recht schön gemacht haben, Gottverdammich! da kann man nichts sagen, ich hatte es darauf angelegt … ich hatte mich für sie gekreuzigt! … der liebe Jesus stirbt auch zehntausend Jahre später noch jeden Tag! … eine Lehre, die nicht für alle vergeudet ist! Beweis: Sie brauchen sich bloß die Straßen anzusehen, was da so an motorisierten Hochstaplern vorbeibraust, voll Kaviar, Diamanten, Ferien … nicht für einen Furz opferbereit!

Die französische Armee, da wir schon davon sprechen, die hat 40 ihren Dünnschiss gehabt, den großen Galopp Bergen op Zoom–Bayonne … wir, Lili, ich, Bébert, La Vigue, 44 … Rue Girardon–Baden-Baden … jedem sein schissriges Epos! der zum Tode verurteilte kleine Tintin ist, um die Ehre und seine Haut zu retten, ins Flugzeug nach Lourdes gesprungen … ich will Ihnen hier keine «Parallelbiographien» auftischen … Tintin und ich, das ist zweierlei … seine Chronik bringt auch Milliarden! … meine höchstens ein paar hundert «schwere» Francs … Tintin hat überall seine Statuen, auf meinen Grabstein wird man nicht einmal meinen Namen zu gravieren wagen … schon bei meiner Mutter auf dem Pere-Lachaise hat man das Grab gesäubert, unseren Namen ausgelöscht … so ist das, wenn man sich im gegebenen Augenblick nicht an den richtigen Ort absetzt … stellen Sie sich vor, dass ich mich in La Rochelle der französischen Armee widersetzen musste, die mir unbedingt meinen Krankenwagen abkaufen wollte! er gehörte mir gar nicht! … ich, die Ehrlichkeit selbst, von mir kann man überhaupt nichts kaufen! … der Sanitätswagen meiner Poliklinik in Sartrouville … wo denken Sie hin! … ich habe ihn dorthin zurückgebracht, woher er kam, die verfluchte Rappelkarre! und die beiden mitfahrenden Großmütter, und ihre Fuder Rotspon, und drei Neugeborene … in bestem Zustand, dieser ganze Krempel! wer hat mir den geringsten Dank dafür gewusst? kein Mensch, verdammt noch mal! … bedenken Sie alle Gemeinheiten? mir, ja, mir gegenüber! genug, um ein ganzes Zuchthaus zu füllen! zwanzig Landru, Petiot und Fualdès! … hätte ich den Sanitätswagen verkloppt, für den Preis, den sie mir anboten, die Neugeborenen, die Krankenschwestern und die alten Frauen, dann wäre ich zeitgemäß: ein Held der Résistance, dann hätte ich soon Denkmal: als zum Halali geblasen worden war, ach du dicker Vater! … kein Verbrechen mehr, das man nicht begangen hätte! man kann seine Gurgel gar nicht genug hinhalten, damit sie einem die dreckigen Schlagadern durchschneiden könnten! … Feigling Millionen in den Zuschauerreihen heulen es einem zu! … und das alles wegen meines Ehrgeizes, die Karre dahin zurückzubringen, woher sie kam, weil sie mir gar nicht gehörte! … weil sie Eigentum von Sartrouville war! Eitelkeit! … Hätte ich sie den Deutschen überlassen, dem Franzosenpack, den Fifis, irgendwem, der Badeanstalt, alle waren Käufer, mit Großmüttern und Schwestern und Neugeborenen! wäre ich ein hockgeehrter, glücklicher Rentner, und nicht der olle Strolch in der Scheiße …

Ein kleiner Trost vielleicht, jeden Morgen im Figaro die Todesanzeigen, die Abgänge … «dass der große Kommandeur Heidenbammel in seinem Schloss d’Aulnoy-les-Topines seine Fahrkarte gelöst hat … dass die ganze trauernde Familie, bevor sie zum Notar geht, für die tiefgekühlten Beileidsbezeigungen dankt … usw. …»

Ich habe meine Gründe für den Bezug des Figaro, den «Kurier der Parzen» … ich habe so manche abziehen sehen, die sich so nett vorgenommen hatten, mir das Innere des Schädels aufzufressen … zu den Würmern mit euch, hochmütige Hahnreie! … Servus, trauernde Familie … mit d’Aulnoy-les-Topines am Hals … Schloss und Wäldern … gerbt dem Notar das Fell!

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Es ist wohl möglich, dass dieses ganze Tal der Oos in ein … zwei? … Jahren bloß noch eine Atomrinne ist … dann lohnt es sich, davon zu sprechen! … keine Ordnung in meiner Erzählung.? … Sie werden sich schon zurechtfinden! … Kraut und Rüben? … zum Kuckuck! … ich habe Sie im Hotel Stern verlassen, ohne Ihnen den Schlüssel gegeben zu haben … dazu habe ich keine Zeit gehabt … gerade einige Worte über die schwangeren Frauen … sei’s drum! … das ganze Buch ist bei Gallimard, und denen ist’s auch vollkommen wurscht! … Erinnerungen und Denkwürdigkeiten! … nur in den Ferien erwachen sie! ich werde Sie schon zu den schwangeren Frauen zurückführen … ich hoffe jedenfalls … unsere erste Etappe nach Paris war ja nun Baden-Baden … und das habe ich Ihnen nicht erzählt! … fast, als schämte ich mich dessen! … aber das kann man ebenso gut eingestehen wie Marble Arch oder Times Square! … den Medway oder die Ufer der Oos … Lichtenthalallee! … prominente Promenade der größten Genießer Europas … mindestens dieselben wie in Évian oder Bath! … gut, die Chance treibt ihr Spiel! … das Rad dreht sich, «les jeux sont faits!» … die Chance schmollt einem? … Auswurf des Universums! als Gewinner? … ist einem alles erlaubt! … die schönsten Alleen mit Ihrem Namen! … die Kanzleien an Ihrer Ritze, wer am besten lecken kann, gewinnt! … das Kasino «Es gilt» der Geschichte hat ein Roulette, das nicht mit sich spaßen lässt, dem es schnurz und piepe ist, ob Sie tausendmal recht haben! … setzen Sie doch eine falsche Marke, Sie haben eine! ganz gleich! … wenn sie gewinnt, werden Sie angebetet! … unsere kam uns recht faul vor … ich fragte Frau von Dopf, als wir in der Lichtenthalallee spazieren gingen … die Oos entlang … das murmelnde, glucksende, in allen Farben gesprenkelte Flüsschen … warum man uns hierhin gebracht habe, uns? … die man nicht vorzeigen konnte in diesem Kurort … und in diesem Hotel? …

«Oh, da brauchen Sie nichts zu befürchten, Monsieur Céline, die haben schon ihre Absichten! … Sie werden schon sehen, die große Katastrophe wird planmäßig abrollen … die Armeen des Reichs werden Russland ganz planmäßig räumen! … zehntausend Tote pro Kilometer … bei Frankreich kann ich’s Ihnen noch nicht sagen … noch nicht … aber bestimmt auch soundso viel pro Kilometer … Fürst Metternich sagte mir gestern, in Paris treffe man schon Vergeltungsmaßnahmen … sehen Sie sich vor, Monsieur Céline, unsere Irren sind höchst tückisch, und ritterlich, und methodisch … eine sehr barocke Mischung, nicht? … Sie werden sehen! … das Barock ist eine deutsche Kunst … typisch, nicht wahr? … typisch! … sie werden sich Zeit lassen, Sie werden schon sehen, Monsieur Céline, Sie werden alles erleben … sehen Sie mal, ich, mein eigenes Haus in Potsdam, ich bin ganz sicher, dass es von der Luftwaffe bombardiert worden ist! und nicht von der R.A.F.! … ein Befehl des Irren, mich verschwinden zu lassen, und mein Haus, und die Papiere meines Mannes! … sie sind um zwölf Uhr mittags, zur Zeit des Mittagessens, gekommen … ich war bei meiner Tochter im Grunewald … oh, mein Haus ist nicht mehr da! … ein Trupp aus der Reichskanzlei ist gekommen, um die Trümmer zu durchwühlen! sie haben nichts gefunden! … dem Fürsten Metternich verdanke ich tatsächlich, dass ich noch am Leben geblieben bin, er hat mich um elf Uhr abgeholt … und jetzt, nicht wahr, Baden-Baden! … denken Sie sich, als mein Mann noch lebte, wollten wir hier etwas mieten … eine Villa … so ist das Schicksal! … ich frage mich auch, warum man uns hierhergebracht hat, alle zusammen? oder besser, ich frage mich gar nicht … bestimmt haben Sie bemerkt … die Bomben, die nicht sehr weit vom Hotel fallen … und beim Mittagessen? … so oft, nicht wahr, dass keiner mehr Angst hat … die Welt gewöhnt sich daran … sie glaubt nicht mehr daran! … wenn Sie das Simplon verlassen können, gehen Sie weg, Monsieur Céline! … das Hotel Simplon ist eingeschlafen, und seine Gäste auch! … verzaubert! … nur eine Bombe kann alles aufwecken! … ich scherze, Monsieur Céline … wirklich, dieses Tal ist ein Paradies, Sie wissen es … nirgends auf der Welt sehen Sie solche Bäume, solche Haine … solche Zartheit … vielleicht in Zarskoje-Selo? … allein schon die Weiden, nicht? … keine Blätter, sondern Gold- und Silbertränen, am Lauf der Oos … bezaubernd, ja … und so viele Vögel …»

«Wundervoll, Frau von Dopf!»

«Zur Zeit Max von Badens hatten wir vielleicht mehr Nester … es gab eine Gesellschaft für die Vögel von Lichtenthal … sie hatten ein Gehege für sich, ganz bepflanzt, Miere und Hanf … auch für Zugvögel ein Felsengehege … damals kümmerte man sich um alles …»

Ich wollte sie nicht darauf aufmerksam machen, dass die Vögel wegen Bébert so sehr piepten, und schon weit vor uns, wegen Bébert, der uns als treuer Begleiter nicht verließ! … er blieb uns auf den Fersen … er dachte an die Meisen, Grasmücken, Rotkehlchen … er und die Vögel verstanden einander, in gewisser Weise …

Ich erzähle Ihnen viel von Frau von Dopf, aber ich führe sie Ihnen nicht vor … eine schmächtige alte Dame, ganz in violetten Samt gekleidet … Halbtrauer … oh, aber nicht traurig! immer zum Lachen aufgelegt … gar nicht von den Ereignissen niedergeschlagen, amüsierte sich darüber … «Schmuckstücke, die ich seit meiner Trauer nicht mehr trug» … jetzt hatte sie alle angelegt … drei Halsketten, Ringe und sehr schöne Armbänder … «Eine Einfassung, Monsieur Céline, eine Einfassung! … das ist alles, was ich von meinem Haus wiedergefunden habe! … ich bin lächerlich, nicht wahr? … finden Sie nicht? … eine junge Frau ist kokett, um zu gefallen, eine alte, um reich auszusehen, man muss reich sein oder verschwinden! … sehen Sie, meine Nichten besuchten mich in Potsdam … sie wollten sich bald verheiraten … mein Haus war sehr geräumig, viel zu groß, vier Stockwerke, mein Mann hatte seine Büros darin, viel zu groß für mich … ich wollte eigentlich hier meinen Lebensabend verbringen … ich hätte ihnen mein Haus überlassen … Hitler hat alles geregelt, nicht wahr? … komisch, was? … wo mögen meine Nichten sein? … ich werde sie wohl nie wiedersehen … und ich, was meinen Sie, wo ich enden werde? … im Hotel Simplon? … auch durch eine Bombe? na, bestimmt nicht in der Oos! … niemand hat sich jemals darin ertränken können! … kein Spieler! selbst der größte Pechvogel nicht! … in Monte Carlo kann sich jeder ertränken! im Meer! … die Oos hier ist extra für das Kasino gemacht! … sie plätschert, rieselt, aber sie ertränkt niemals jemanden! … hören Sie? … übrigens, was dabei witzig ist, das Rieseln ist verstellbar, verschieden je nach der Zeit und dem Wetter … wird von einem für die Quellen vom Kasino angestellten Fräulein eingestellt, die Oos darf nicht spritzen, nicht belästigen, nicht ertränken … bezaubern soll sie! … die Behörden des Tals denken an alles … alles soll hier traumhaft sein … Sie werden’s bemerkt haben …»

Das traf für uns nicht ganz zu … für uns, fand ich, war’s gar kein Traum … sondern eine recht miese Wirklichkeit! … wie heute im Jahre 59 … die Bourgeoisie, was strengt die sich an, um sich noch im Jahre 1900 zu wähnen … eine verratzte Maskerade! … sicher, unbestritten, gewisse Reize, großer, veralteter Luxus, sehr gepolstert, beruhigend … süße Zigeunerweisen für jahrhundertelange Schändungen … aber für uns, mein lieber Mann, die gezeichneten Tiere, ist’s Hohn und Spott! … es kommt selten vor, dass das Vieh sich vor dem Schlachthof vergnügt … immerhin gab’s ein hübsches Baudenkmal! das selbst für uns gehetzte Tiere einen Blick lohnte: die russische Kirche … fünf Kuppeln, riesige goldene Zwiebeln, gegen den blauen Himmel … eine Wirkung, dass man sagen muss: sieh da! was für ein herrliches Gebet! … der Pope ist da und wartet … er wartet auf die Rückkehr der Zaren … oder wenigstens irgendeines Großfürsten … zwei waren seit 17 gekommen … aber weder der eine noch der andere ein Stifter … liehen sich nur Ikonen aus, um sie in Rom zu zeigen … der Pope hatte sie nie wiedergesehen … der Pope lebte auch im Simplon, in den Küchen! … er gehörte zum Tal, und in Erwartung besserer Zeiten hatten ihn die Behörden im Hotel untergebracht … von Zeit zu Zeit machte er Führungen durch seine Kirche … Lili, ich, Bébert und Frau von Dopf brachten ihn ein wenig zum Sprechen … bevor wir weiter zum Rosengarten gingen … dort war die Promenade zu Ende … seit den Römern … den ersten Thermen, ist sie da zu Ende … man sollte sich bisschen ausruhen … der Rosengarten lässt keine Strolche zu! keine Würstchen! der Rosengarten bietet sich nur feinen Spaziergängern dar … die Blumen blühen dort seit Tiberius …

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Haine … Beete … Rosen … glühende Pastelle … nicht zu glauben … wir saßen da, auf einer Marmorbank, Frau von Dopf erzählte uns schon wieder von ihren Aufenthalten in China, mit ihrem Mann, dem General und genialen Reorganisator der Armee Maos … und dass der unheilvolle kleine Clown sich keine zwei Monate gehalten hätte … glauben Sie mir, Monsieur Céline … wenn ihr Mann da gewesen wäre!

«Wissen Sie, Monsieur Céline, der Triumph des Teufels war nur möglich, weil die Männer, die ihn kannten, nicht mehr da sind … Sie können sich denken, dass sich da der Adolf austobt! er hat vor niemandem Angst! … höchstens vor einem anderen Teufel …»

In Wirklichkeit dachte ich, dass es immer schlechter aussah … die Frau von Dopf schwafelte, aber ich glaube, ziemlich vernünftig … keine Nachricht mehr von meiner Mutter … von niemandem … ein bisschen durch den Rundfunk … die Errichtung von Barrikaden in Paris … das ganze Personal des Simplon hielt die Verbindung durch Lausanne … die ganze Stadt übrigens … Croupiers, Maniküren, Kaufleute, und der Legationsrat selbst, unser «Führer» … alle der Ansicht, dass «Radio Sottens» bedeutend seriöser sei als «Tele-Göbbels» … Schulze, unser Führer, erklärte sich nicht offen für die Alliierten, aber bei jeder wirklich großen Niederlage ließ er eine große Messe in der Kirche der Thermen lesen, und er und seine Familie nahmen das Abendmahl … nichts dagegen einzuwenden! … da saßen wir nun an diesem zauberhaften Ort und dachten nach, Frau von Dopf zeigte uns zwischen den Rosen die Stelle, wo einige Backsteine hielten noch der «Pavillon der Philosophen» stand … wo Grimm, Madame de Staël, Constant sich jeden Morgen trafen … Frau von Dopf war als kleines Kind bierhergekommen, sie kannte alle Büsche, alle Pfade, alle Irrgänge, die Verzweiflung der Erzieherinnen! …

«Ich kenne auch ein bisschen China … Italien … und Spanien … und Monte Carlo … ich muss sagen, Monsieur Céline, dass ich verwöhnt worden bin … wie man heute nicht mehr verwöhnt wird! … nicht einmal eine Königin! … ich sag’s ohne falsche Scham, es ist vorbei … sogar eine Königin von Gottes Gnaden muss die Meinung ihrer Leute berücksichtigen … die verhätscheltste Milliardärin hat ihren ‹Terminkalender› … den ihr Zimmermädchen sorgfältig auf dem Laufenden hält … die geringsten Launen der gnädigen Frau, große Festessen, Liebhaber, Fehlgeburten, auf den kleinsten Wink … andere Zeiten! … gebrechlicher als Maria Stuart! belauerter als Marie-Antoinette … fest steht, Monsieur Céline, ich bin unwissend, und ich werde dumm … genug ist’s so sterben … Additionen mit mehr als vier Zahlen überlasse ich anderen, das kann ich nicht …»

Ich muss sagen, Lili als Tänzerin fand es auch natürlich, dass ich die Rechnungen nachrechnete …

Wie lächerlich das war! wir vergnügten uns! … und wie schön es war! … warm, aber doch luftig … ein paradiesisches Wetter …

Ich, der ich immer besorgt bin und niemals den Augenblick genießen kann, sah niemand um uns herum, weder unter den Bogen noch auf dem Rasen, und fragte mich, warum dieses Schweigen … besonders um elf Uhr vormittags, wo die Familien ausgingen … bei einem solchen Wetter! … unser Rosengarten duftete unerträglich! … da fragt die sonst so zurückhaltende Lili Frau von Dopf, ob wir nicht bis zur anderen Bank gehen könnten … zu den Platanen, in den Schatten … Frau von Dopf erzählte uns, wie im Simplon, als sie jung verheiratet war, ihr Mann, damals noch Hauptmann, den brasilianischen Botschafter zum Duell gefordert habe, wegen einer Rose! … ja! … einer dunkelroten Rose … die von oben heruntergefallen war … auf ihren Balkon … von den Fenstern des Botschafters! mit Absicht! beschuldigte ihn ihr Mann … nein! … protestierte seine Exzellenz … die Sache war beigelegt worden … durch Vermittlung des Fürsten! …

«Der Fürst Metternich …»

Frau von Dopf hatte noch mehr Erinnerungen … noch manche andere … Achtung! … Achtung! … eine Sirene heult … Achtung! Achtung! … und kurz danach tolles Fanfarengeschmetter! … wird noch einmal ein Sieg angekündigt? … unmöglich! seit mindestens zwei Jahren gab es nur noch Rückschläge … ein Separatfrieden mit Russland? … das konnte sein! … der Lautsprecher war ziemlich weit entfernt … zwischen dem Hotel und dem Rosengarten … ich höre zu … wir hören … es handelte sich nicht um einen Sieg! … Achtung! Achtung! sondern um ein Attentat gegen Hitler! … schöne Bescherung!

«Sie sagen uns nicht, ob er tot ist …»

Frau von Dopf bemerkt es … und sie fügt hinzu:

«Wenn er nicht tot ist, wird’s was Schönes geben …»

Sie brauchen nicht erstaunt zu sein, lieber Leser … zur Zeit des Attentats vermischten sich Fakten, Vorfälle, Verwechslungen, dass man sich heute noch oft in ähnlichen Meinungsverschiedenheiten befindet … widersprüchliche Verschwörungen … am besten ist es, glaube ich, sich einen Bildteppich vorzustellen: oben, unten, quer alle Gegenstände gleichzeitig und alle Farben … alle Motive … alles durcheinander! … wollte ich sie Ihnen flach, aufrecht, liegend vorstellen, wäre das eine Lüge … die Wahrheit von diesem Attentat an gab es nicht mehr die geringste Ordnung in irgendetwas …

Hätten sie ihn umgebracht, hätte Ordnung geherrscht! jetzt, wo er mit heiler Haut davongekommen ist, sehen Sie, wie es mit uns steht! für immer in die Unordnung geraten! … da müssen Sie es schon ganz natürlich finden, dass ich Ihnen vom Hotel Simplon erzähle, in Baden-Baden, nach dem Stern in Sigmaringen … wo wir allerdings sehr viel später waren! … tun Sie Ihr Möglichstes, um sich zurechtzufinden! … Zeit! Raum! Chronik, so gut ich kann! … ich meine! … Maler, Musiker machen, was sie wollen! … umso mehr werden sie gefeiert, mit Milliarden und Ehren bedeckt … Kinos, Boccia-Spielen! … mir, dem Historiker, wollte man verweigern, alles verquer zu nähen? … niedergeschmettert, wie ich seitdem bin? … tolle Schande! … haue ab in Fetzen und Lumpen! … die Meute auf den Fersen! … ein Galgenjammer! … ich grüße Sie, meine Herrschaften … die Würfel sind gefallen? sei’s drum! … los! … ermannen Sie sich! … das Roulette hopst hin und her? … nur Mut … die Kugel ist meschugge? … Zerknirschung! … Blödsinn! … das lahme Attentat ist schuld! …

Ah, meine Herrschaften, natürlich bemerkte ich niemand in diesem «Paradiesgarten»! … weder auf den Bänken noch in den Laubengängen! … die haben sich alle hübsch verdrückt! schon bei den ersten «Achtung! Achtung!», ganz unten in die Keller des Simplon … damit man sie nicht hören und sehen kann … aber da im Schwimmbad, ganz nah, da wurde umso lauter geschimpft! ein Krawall! nicht nur die Lautsprecher, sondern das Publikum! … das ganze Simplon, Personal und Gäste … all denen war Adolf Hitler doch vollkommen schnurz und piepe und das Attentat … ob er nun zerfetzt war oder nicht … «Dein Hintern, du Fose! lass dich doch ficken! in die Soße, du Hure!»

Welchem Popo mochte das wohl gelten? … «dicker Podex»? … wessen? …

«Der Führer ist tot!»

«Was weißt du denn, du Fratz! ins Wasser! … Arsch! unverschämt! … raus! raus!»

Da war was fällig! … und gleich darauf andere Schreie …

«Das ist ihr gutes Recht! Boches! ihr Tölen! ihr beleidigt ein junges Mädchen!»

«Ein junges Mädchen? in die Latrinen mit ihr!» Daraufhin boxt man sich! Peng … Klack!

«Die Leckerin!»

Vom Rosengarten her hörten wir alles … das wuchs sich zu einer richtigen Schlacht aus … der «für», und der «gegen»! … aber wessen Hintern eigentlich? …

«Hau ab! Hau ab, Unglückswurm!»

Das ganze Tal hallt wider …

«Raus mit dir, alte Nutte!»

Eine Frau steigt aus dem Schwimmbad … sie läuft … auf uns zu …

«Madame von Dopf! Madame von Dopf! …»

Wir kennen sie … Mademoiselle de Chamarande! … ihretwegen, ihrer Reize wegen brüllt und schlägt sich das ganze Schwimmbad! und immer feste! … bums! bums! … tolle Knüffe! und noch einen festeren Rums! … aus dem Becken! … und noch einen! … sie schmeißen sich ins Wasser … und da geht’s weiter … Mademoiselle de Chamarande ist da … sie setzt sich neben uns … ganz außer Atem … ihr Badeanzug ist zerfetzt … sie fasst Frau von Dopfs Hand … sie weint …

«Madame! Madame! ich bitte Sie … sie haben mich geschlagen! … sie sind wahnsinnig! sie wollen mich umbringen, weil ihr Führer tot ist! … sie werden kommen, Madame von Dopf! … sie werden alle totschlagen! … sie haben es mir gesagt!»

«Aber nein, mein Kind! … der Führer ist nicht tot! der hat schon ganz andere Sachen erlebt! … bloß ein kleines Attentat! Sie sind zu leicht bekleidet, weiter nichts! … die Männer im Bad sehen zu viel bei Ihnen! … nette Geschichte! Ihr Badeanzug ist zu leicht! bedecken Sie sich und bleiben Sie da! hier! mein Taschentuch! … trocknen Sie Ihre Tränen! Sie weinen sich ja die Augen aus dem Kopf! …»

«Aber mein Bademantel, Madame von Dopf! … sie haben mir meinen zweiten Bademantel entrissen! … gelb und rot! sie wollten ihn mir nicht zurückgeben!»

«Natürlich! ich werde ihn Ihnen holen! mir werden sie ihn schon zurückgeben! …»

«Madame von Dopf, sie sind außer sich! sie toben!»

«Bei mir nicht, mein Kind, das Alter ernüchtert die Verrücktesten … warten Sie nur! sie werden froh sein, mir den Bademantel zurückgeben zu können! gelb und rot, sagten Sie?»

Wir vier bleiben da … tatsächlich! … sie geht hin! … der Sandweg zum Schwimmbad … mit kleinen Schritten … und fast sofort kommt sie mit dem gelb-roten Bademantel zurück.

«Sie haben ihnen nichts gesagt?»

«Natürlich gar nichts, meine Liebe! ziehen Sie sich jetzt an! … wir gehen zum Hotel zurück! … alle zusammen!»

Wir vier gehen in der Tat durch den Auflauf der Ober … kurz vorher haben sie sich geboxt, jetzt sind sie ruhig … nicht einmal ein Murmeln … Frau von Dopf sieht sie an, bleibt stehen …

«Immerhin, Sie sehen ja, sie sind nicht allein schuld, meine Liebe!»

Unser Fräulein hatte wirklich seit ihrer Ankunft vor drei Wochen alles getan, um die Männchen des Schwimmbades außer Rand und Band zu bringen … jeden Tag einen neuen Badeanzug, immer aufreizender … oh, ein prächtiger Hintern, das gebe ich zu … aber was sie alles damit machen konnte! … wackelte toll mit den Hüften … sobald sie im Wasser war, lockten die Flanken … und dann beim Schwimmen … eine Art zu kraulen, dass sie gleich zehn Kruppen auf einmal hatte … in den Schaum patschend … über Wasser, unter Wasser … als wollte sie das ganze Schwimmbad umwühlen … ich meine die Kunden … Friseure, Croupiers, Bademeister … und die Müßiggänger aus unserem Hotel … Offiziere auf Genesungsurlaub … sowieso mit den Nerven am Ende … dieses Attentat auf Hitler hatte die Temperatur steigen lassen … und dann noch die da, mit ihrem Popo! ohne Frau von Dopf wäre sie gelyncht worden … durch ein Wort war die Ruhe wiederhergestellt worden … wir kamen wieder vor dieser Horde von Masseuren, Bademeistern, Köchen vorbei, eine hinterlistige Bande, überall Bücklinge! Mademoiselle de Chamarande war, abgesehen von ihrer bedauerlichen Sucht, ihr Gesäß zur Geltung zu bringen, eine sehr nette Person, ja sogar sehr sympathisch und gebildet … Apothekerin in Barcy-sur-Aude … eine Zufalls-«Kollaborateurin», sie wurde geliebt von einem Anwalt der Miliz und war sehr verliebt in ihn … sie wollten heiraten … ihre Idylle war plötzlich zu Ende gewesen, zwei Tage vor der Landung hatten ihn die Fifis niedergeschossen, den Bräutigam, mitten im Gerichtssaal … sie war geflüchtet, ihr Haus brannte, ihre Apotheke, alles, auch ihre Großmutter … ein SS-Panzer hatte sie im Klee gefunden! … der ganze Maquis suchte sie … sie war mit knapper Not entkommen! … auf dem Bauch im Kugelregen kriechend! … ah, Mademoiselle de Chamarande! … was für Aufregungen! … sie musste schon ein bisschen drollig sein! … bei ihrer Flucht war sie zu all den Familien der Miliz in Gérardmer gestoßen … aber damit nicht genug! … beim Baden hatte sie die ganze Deutsche Botschaft auf dem Rückzug nach Frankfurt erobert … außerdem die Croupiers aus Monte Carlo, die in Stuttgart eine weitere Schule, eine Filiale der hiesigen eröffnen sollten … da sie keine Apotheke, kein Haus, keine Großmutter mehr hatte, nur noch Strolche um sich herum, die sie verfolgten, um sie zu skalpieren, hatte sich das Fräulein, nicht dumm, mehr als liebenswürdig gezeigt gegenüber den Herren der beiden Lager, den gaullistischen Croupiers und den Nazis der Botschaften … vielleicht hatte sie aber ein bisschen zu viel Kruppe für junge und erregbare Leute … besonders im Schwimmbad! … der beste Beweis: Sie haben ja diese Klopperei mit angehört, zwischen den Obern aus Vichy, die heimliche Widerständler im Simplon waren, und den Bewohnern von Baden-Baden, kriegsversehrten Boches, Krüppeln, Irren aus den Lazaretten, die auch ins Schwimmbad kamen, um sich einen «Striptease» au genehmigen … aufgeputscht natürlich alle, auf dem Sprung, uns fertigzumachen, alle legten schon die Pflastersteine bereit, die sie uns an den Hals hängen wollten … sie hatten die Rechnung ohne Frau von Dopf gemacht … wir nutzten die Waffenruhe aus, gingen am Ufer der Oos entlang, da läuft uns jemand entgegen … Fräulein Fischer! … noch eine, die uns gern hat … und die prahlt, sehr bösartig zu sein … die Amerikaner haben sie verprügelt … sie wirft uns alle in einen Topf! … sie ist hässlich mit einer gewissen Note, sie sieht Quasimodo[4] so ähnlich, dass es ihr nur gutgetan haben kann … in Algier ist sie verprügelt worden … im Konsulat … jetzt war sie Schulzes Sekretärin … von der Natur war sie bedient, ihre ganze linke Wange ein großer roter Leberfleck, rote, dichte Haare, Kuhschwanz, ein Auge grau, das andere blau … und schielend … das tat auch seine Wirkung! … sie war stolz darauf! … sie stammte aus dem Harz, dem Hexengebirge … sie sorgte dafür, dass man das an ihrer Umgebung merkte, überall in ihrem Zimmer waren Hexenmalereien und Hexenpuppen … an der Wand, als Nippsachen, als Teller … von der Dellte hängend … alles voll von auf Besen reitenden Hexen … «wissen Sie» … warnte sie uns … «wir gehen alle zum Sabbat!» Sie hielt viel von dieser Sage … sah sich schon den Kessel kochen, mit uns und den Amerikanern darin, ordentlich gesotten und geschunden … in Algier, bei der Landung, hatten die Amis sie durch den Teer geschleift … wir sollten schuld daran sein! allerhand, so was! … da kam sie uns nun so eilig entgegen … was für gute Nachrichten? …

«Herr Doktor! Herr Doktor!»

Also suchte sie mich …

«Der Herr Legationsrat möchte Sie sprechen, Herr Doktor … dringend! … wenn Sie so nett sein wollen?»

«Fräulein Fischer, zu Ihren Diensten! … ich folge Ihnen!»

Zwei Minuten … und ich war bei Schulze …

«Doktor, Sie wissen, was geschehen ist?»

«Oh, ungefähr, Herr Gesandter … ungefähr …»

«Nein, Doktor, Sie wissen es nicht! … aber ich werde es Ihnen sagen! … Sie kennen dieses Hotel! … Sie sind überall gewesen?»

«Ja, beinahe … glaube ich …»

«Dann, bitte … wenn Sie so freundlich sein wollen … ich werde Ihnen einen von meinen Leuten mitgeben … er hat einen besonderen Schlüssel … einen Dietrich … Sie wissen! unnötig, an die Türen zu klopfen … Sie werden öffnen und Patienten finden … seien Sie so gut und nehmen Sie alles Notwendige mit, Sie wissen schon, Ihre Instrumententasche … besonders diese hier! … ich gebe Ihnen die Nummern!»

Er schreibt …

«113 … 117 … 82 … treten Sie ein, ohne zu klopfen! … es wäre möglich, dass sie nicht aufmachen … sagen Sie nicht, dass Sie in meinem Auftrag kommen …»

«Oh, kein Wort, Herr Gesandter!»

«Anschließend, wenn Sie fertig sind … kommen Sie wieder zu mir! … und sprechen Sie mit niemandem über das, was Sie beobachtet haben … niemals! … niemals!»

«Ganz wie das Grab! Das Grab, Herr Gesandter!»

«Also, vielen Dank, Herr Doktor! … wir sehen uns dann nachher … bis gleich …»

Das sind Zimmer, die ich kenne … 117 … vor allem 113 … kein Kunststück! … das stach schon seit Monaten in die Augen, man brauchte sie nur ein bisschen anzusehen … all diese Leute, die großen Tiere des Simplon, die größten Zimmerfluchten, besonders das 117, hatten ihre Hand im Spiel gehabt bei der Verschwörung, und wie! … die Magnaten mit Schubkarren voll Mark … vielleicht hatten sie Selbstmord begangen? … das sollte ich mir nun für den Schulze besehen … ich war nicht scharf darauf … sie waren tot oder besoffen … wenn der Mensch etwas feiert, was Gutes oder Schlimmes, bedudelt er sich, frisst sich voll, bis er platzt … ich nehme meine Spritze, mein Besteck, meine Ampullen … sehen wir mal zu, ob sich da was erhängt hat! sage ich mir, ganz nah beim Zimmer 113! … zuerst! … poch! poch! keine Antwort … der Ober mit dem Dietrich macht auf … eine Frau tritt aus dem Dunkel, eine hübsche Brünette … mit nackter Brust, zerzaust …

«Ah, Sie sind es! Sie, lieber Doktor! … Treten Sie doch ein, bitte, treten Sie ein!»

Ich glaube, von wegen Komplott … was hier vorgeht, ist eher eine Art gemischte Party … wie viel sind es? … fünf, sechs Gestalten regen sich … da im Hintergrund … nicht mein Fall! … diese Frau war ziemlich unnahbar … im Allgemeinen … kaum den Anflug eines Lächelns … jetzt, mit dem offenen Morgenrock, zeigt sie sich viel freundlicher … auf einmal küsst sie mich! … vielleicht möchte sie, dass ich mich beteilige? Kuchen! deswegen bin ich doch nicht gekommen! … ich bin gekommen, um wieder wegzugehen! wie viel sind es? … ich kann’s schlecht erkennen … ein Mischmasch … ich erkenne einen Etagenkellner und einen Major … und eine Maniküre … splitternackt … und fünf … sechs Paare … all das im Dunkeln … sie haben alles zugemacht, sie haben nur eine Kerze, eine einzige … was stellen sie noch an, außer dass sie da aufeinanderliegen? … Zauberei? … es riecht nach Weihrauch … ich sehe besser, ich gewöhne mich daran, wie beim Röntgen … die hübsche Zerzauste küsst mich nicht mehr, sie lässt mich los, sinkt hin, schnarcht sofort … ah, da sehe ich an der Wand ein großes Foto, das Hitlers, verkehrt herum … mit einem Trauerflor … quer über den Rahmen … sie haben wohl seinen Tod gefeiert … warum mir Schulze nahegelegt hatte, niemals zu jemandem davon zu sprechen, ist klar! … ihre Bombe war ein Fiasko gewesen! … und sie knutschten, als hätte es geklappt! … nicht verreckt, der Adolf! … keine Spur! … der glatzköpfige Oberst und der Krümel von Liftboy lagen am Boden … alle beide blau! … sie rülpsen … gleich kotzen sie … die andern auch … ganz und gar nicht ulkig … ulkig war nur Hitler, verkehrt herum, mit dem großen Trauerflor … ich sage zu dem, der den Schlüssel hat «Schon gut! … jetzt Nummer 117!» … ich bemerke noch, dass sie Tische gedeckt haben … drei … vier … mit allem, was dazugehört! ganzen zerlegten Hühnchen … riesigen Kompottschalen … glasierten Früchten … Sahnebaisers … sie können kaum davon probiert haben, so sehr kotzten sie schon … ganze Kisten Champagner … sie hätten für acht Tage gereicht … meine so entgegenkommende Brünette schnarcht schon … sie merkt gar nicht, dass ich weggehe … in den anderen Zimmern geht es bestimmt auch so zu … 214 … 182 … vielleicht feiern sie nicht alle eine Schwarze Messe … vielleicht spielen sie Klavier … ziehen Perlen auf … erbauliche Tätigkeiten … in tragischen Situationen gibt es immer zwei Lager, die einen sehen zu, wie man die Köpfe abschneidet, und die andern gehen angeln … unten, im Salon, wurde Klavier gespielt, ich hörte es … man brauchte nur drei Stock hinunterzufahren … ich sage zu dem Mann mit dem Schlüssel: los! ich hatte mich nicht geirrt … nicht nur in einem Salon! … in zweien … in dreien … großes Familientreffen … oh, aber sehr anständig! Industrielle und rekonvaleszierende Generale … französische Kollaborateure … Väter, Mütter, Kinder mit Hündchen … bestimmt sind sie über das Attentat unterrichtet … aber sie sehen gar nicht besorgt aus … sind ganz bei der Musik! … ich höre … Lieder … Romanzen … gerade singt unser Constantini … er hat eine schöne Stimme, unbestreitbar … Frau von Dopf begleitet ihn, sehr gut, ohne Partitur, das ganze Repertoire … was sie will … alle Opern …

Si vous croyez que je vais dire!

qui j’ose aimer!

die Lieblingsarie Frau von Dopfs … altmodisch vielleicht, aber hübsch … besonders in dem stilvollen Salon, mit Brokat, Samt, Kordeln, Quasten, hohen Lampen, ungeheuren Lampenschirmen …

Si vous croyez …

jetzt Amery! … der Sohn des englischen Ministers … so herkulisch unser Constantini ist, so schmächtig ist Amery … ein Gentleman … Dandy … aber durchaus nicht geziert … schön! da man singt, vorwärts … soll er sich selbst begleiten!

Mademoiselle d’Armentières, parlez-vous?

Mademoiselle d’Armentières!

er hat eher eine tiefe Stimme … er wäre ein «Bass» …

Mademoiselle d’Armentières …

hasn’t been kissed for forty years!

Frau von Dopf wird von der Mademoiselle d’Armentières nicht überfordert … wie sie in die Tasten greift, so allerhand Akkorde anschlägt! … auf dem anderen Flügel! … zur Erschütterung der Familien … die sollen auch singen, die Familien! den Kehrreim … auf Französisch! … und auf Englisch … da sehen Sie mal, wie weit die Verständigung gehen kann …

Aber da hinten sehe ich jemanden, der mir winkt … im Flur … dieser Jemand ist Schulze … nun, ich werde ihm gar nichts erzählen … man redet immer zu viel … ich gehe hin … er führt mich weg … ein Korridor … noch einer … ganz zum Ende des anderen Flügels des Hotels … die «Schreibzimmer» … wo nie jemand hinkommt … noch ein weiterer «Privat»-Salon … er setzt sich … ich auch … es ist an ihm zu sprechen …

«Herr Doktor, all das geht jetzt zu Ende! Sicherlich wissen Sie Bescheid …»

«Keine Ahnung, Herr Gesandter! … ich habe nichts gesehen oder gehört»

«Eine gute Antwort, Doktor! nehmen wir an, das stimmt! … ich dagegen muss Ihnen mitteilen, dass alle Zimmer dieses Hotels heute Nacht geräumt werden müssen … heute Nacht schon! … leer morgen früh sagen wir mittags! … Befehl des Ministers! … keine einzige dieser Personen darf in Baden-Baden bleiben … haben Sie viele Patienten? … ich meine, bettlägerige Patienten?»

«Zwei … vielleicht …»

«Die kommen ins Krankenhaus … Frau von Dopf muss auch weg …»

«Ins Krankenhaus?»

«Wohin sie will! … oder ins Irrenhaus … sie ist verrückt … sie wird heute Abend abgeholt … sagen Sie ihr nichts!»

«Schön, Herr Schulze!»

«Und Sie, Doktor, hier meine Anweisungen … Sie sind der Reichsärztekammer in Berlin zugewiesen … Professor Harras wird sich dort Ihrer annehmen … Sie fahren morgen in aller Frühe ab, mit einem Truppentransport … ich selbst werde Sie zum Bahnhof bringen … sprechen Sie mit niemand darüber! …»

«Ganz bestimmt nicht, Herr Schulze! Darf ich trotzdem meine Frau mitnehmen? … und meine Katze? … und Le Vigan?»

«Gewiss! gewiss!»

«Aber gehen Sie zu niemand, Bitte? … und sagen Sie niemand auf Wiedersehen … Ihre drei Essen für heute Abend lasse ich Ihnen aufs Zimmer bringen … und Reiseproviant … und morgen bei Tagesanbruch halten Sie sich bereit … sagen wir, um fünf Uhr …»

«Jawohl, Herr Gesandter!»

Die andern, die im andern Flügel, ahnen nicht … was sie erwartet … sie sangen immer noch … man hörte sie … leise … sie lauschten einem anderen Künstler … diesmal einem deutschen … eine sehr schöne Stimme …

Vater! … o Vater!

Schumann … ich habe keinen dieser Flüchtlinge von Baden-Baden je wiedergesehen … es ist noch nicht lange her, da habe ich erfahren, dass Amery in London erhängt worden ist … London, möchte man sagen, ist dafür wie geschaffen … für die Harmonika … und fürs Beil auch … dazwischen ein Psalm …

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Seit dem Augenblick, wo wir, ich muss gestehen, ohne Sang und Klang, von den «Särglein»[5] verjagt, unsere Rue Girardon verlassen hatten, kamen wir immer mehr vom Regen in die Traufe … ich sehe, wie Massen leichtsinniger Leute, gemästet mit Alkohol und Zigaretten und mit Zeitungspapier, solche Anzeichen, solche bedrohlichen, missachten! … schlimmer als unter Loubet[6] herumschwänzeln! … vollgestopft, wie sie sind mit den «Courriers du Cœur»! … «l’Art ménager» … «l’Art de guérir» … nette Aussichten! … mechanisierte Affenstoßtrupps! … diplomierte Pithekanthropen! … Moment mal! der rote Faden der Geschichte? … zugegeben! mit euren völlig durchnässten Hominiden-Klamotten würdet ihr weniger dünnscheißen, wenn ihr ein bisschen weniger fräßet … oje! … der rote Faden der Geschichte durch das Loch! … bei den Einzelheiten gibt’s was zu lachen … glucksen wir über die Stöße und Gegenstöße! … prusten wir los wie auf dem Jahrmarkt! … verteufelte Atomiker, von Jahr zu Jahr, durch Mutationen und Mythen hindurch! von der Venus zum Mars und zum Mond … wie weit werden wir noch kommen? wohl bekomms … Gespenster! … Reise von tausend Lichtjahren! … sie werden’s mir glauben, wenn ich’s ihnen sage … ich habe schon einen kleinen Anlauf genommen zu einem ganz geraden, senkrechten Zinksarg bei der Polizei in Kopenhagen … wenn ich ein bisschen aus der Zeit heraus bin … habe ich meine Gründe … Sie können’s ja selbst versuchen … stibitzen Sie etwas! im ersten besten Laden … sie werden auch Ihnen schon Ihre «Raumfahrtkabine» zu kosten geben! … vorwärts! vorwärts! mit ein bisschen gutem Willen! … als banaler Tourist! Sie werden die Welt gesehen haben! … Sie können Ihre Abenteuer erzählen! … und pittoreske … erlebte … mein Achilles, beispielsweise, ist versessen darauf, mein Philanthrop, der aus jedem Alter heraus ist …

«Sind Sie noch nicht fertig? Céline, Sie schulden mir Millionen! … vergessen Sie das nicht!»

Im letzten Monat wurde sein «aus jedem Alter heraus» gefeiert! … dass er schielend und taub geworden war, oder fast, auf seine Gebrechlichkeit, seine Unmäßigkeit, darauf achtete niemand mehr, man sah, wie er gegen die Möbel stieß, sich seit so langer Zeit alle Fragen wiederholen ließ, dass niemand es mehr bemerkte … aber sein «aus jedem Alter heraus» war trotzdem eine rührende Stunde … Abordnungen von Angestellten und Redakteuren, Schuldirektoren, davor Gesangvereine, dahinter drei, vier symbolische Nylonsärge, mit Büstenhaltern und schwarzen Strümpfen geschmückt, über und über verziert mit Strohblumenkränzen, mit breiten Bändern «unserem vielgeliebten Achilles» … einer der Särge war voll Kinderklappern … der andere voll schwerer Francs … der dritte voll Brillen … selbstverständlich ein Monat Urlaub für alle, die nicht schon Urlaub machten …

Da sah ich, dass sein «aus jedem Alter heraus» im Großen und Ganzen geglückt war … die Sondernummer der Revue Compacte[7] «Er ist aus jedem Alter heraus, er wird währen!», hatte ihm ungeheuer wohlgetan, eine starke Gemeinheitsspritze …

«Sie sind noch nicht fertig?»

«Nein, Herr Achilles, noch nicht …»

«Vor allem keine Philosophie! keine intelligenten Bemerkungen! aufgepasst! davon habe ich meine Lager voll! … ich schmeiße das in die Seine! … Schuppen, Lastkähne, Tonnen und aber Tonnen von ‹feinsinnigen Bemerkungen›! über alles handschriftlich oder gedruckt, hochintelligent! sogar sadistische, peitschende, blutende! abgestandene Sachen, Céline! … mein ‹aus jedem Alter heraus› hat mir Spaß gemacht, aber meine ‹Remittenden›! denken Sie daran? … ein Sisyphos müsste diesen Ramsch raufbringen, über den grausamen Berg wälzen, damit er auf die Leser purzelt und sie zerschmettert, diese rülpsenden Monstren – und nicht immer auf mich zurückfällt! verstehen Sie das, Céline! … versuchen Sie’s! denken Sie daran, was für Summen Sie mir schulden! … meiden Sie, meiden Sie die Intelligenz wie die Pest! … gehen Sie nicht so nahe an die Abgründe heran … zum Teufel, holla! ich bin aus jedem Alter heraus, ja! … ganz bestimmt!»

Sie werden also verstehen, dass ich die Kommentare sehr abkürze … trotz seines «aus jedem Alter heraus» und seiner Revue Compacte ist Achilles in großer Gefahr … ich führe Sie schnell nach Baden-Baden zurück! vergessen Sie alles, was ich eben sagte! … müßige Kommentare! … Servus, Jammereien! da sind wir wieder im Simplon … erinnern Sie sich? … nun, eine Überraschung! … kaum waren wir in unser Zimmer raufgekommen … da … poch, poch! klopft’s … Frau von Dopf! … das Licht ist überall aus … sehr schwierig, sich zurechtzufinden … Flure und Umwege … sie hat uns von Zimmer zu Zimmer gesucht … mit einer Kerze in der Hand …

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Frau von Dopf wusste schon, dass wir im Morgengrauen abreisen sollten …

«Ich habe mir erlaubt, an Ihre Tür zu klopfen …»

«O Madame! … Madame! … nach gewissen Anzeichen glaubte ich …»

«Glauben Sie nichts! … Glauben Sie nichts, lieber Herr Doktor! nichts hat mehr Sinn und Verstand! … wir sind alle dem Wahnsinnigen ausgeliefert … Sie auch, Herr Doktor! und Sie, Madame! … dieser Schulze weiß nicht mehr, was er sagt … wen er verraten soll … er weiß es wirklich nicht mehr! … ist er nicht ulkig, Doktor! lächerlich! lächerlich!»

Ich dachte auch an Schulze … er hatte schon was, um uns Angst zu machen … aber andererseits! ein Telefonanruf aus Berlin, und der Legationsrat Schulze, der im Fett saß, war nicht mehr vorhanden! … verdammt möglich, wenn unter den hohen Beamten und Offizieren, die mehr oder weniger in die Verschwörung verwickelt waren, aufgeräumt wurde … Schulze musste eine ganze Menge davon wissen …

Ich bitte Frau von Dopf einzutreten …

«Nein … nein, Herr Doktor, entschuldigen Sie! … aber ich möchte Ihnen nur auf Wiedersehen sagen … Ihnen beiden … ich bin aus meinem Zimmer entwischt, aber Sie kennen ja die Gänge! … mindestens ein Auge an jedem Schlüsselloch! drollig, was! … bestimmt haben sie mich rausgehen sehen! … Sie wissen doch …?»

Sie nennt mir Namen … eine Freundin … eine andere … schon weg …

«Madame Céline, Madame, ich habe nicht mehr viel … wissen Sie … aber ich würde mich freuen, wenn Sie dieses kleine Andenken annehmen würden …»

Ich sehe einen Fächer …

«Ohne jeden künstlerischen Anspruch, verstehen Sie? … hab’s selbst gemalt … alle jungen Mädchen malten damals! … bald wird es keine Farben mehr geben … und alles, alles Gute! … morgen gehen wir auch fort! … alle!»

«Sie gehen fort?»

«Ja, später als Sie, mittags … ich zu den Verrückten … der Fürst ins Krankenhaus … ihre Methode ist es, die einen hierhin … die andern dorthin! … Herr Doktor, trennen wir uns! … wir sind dabei zu komplottieren!»

Sie geht weg … sie hat keine Angst vor den Schlüssellöchern … weit hinten sieht man sie mit ihrer Kerze … dieser Gang ist endlos breit … lang … sie winkt uns zum Abschied! … auf Wiedersehen! … ihr Zimmer liegt ganz am Ende der Etage …

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Ja, ich gebe zu, keinerlei Ordnung! … Sie werden sich schon zurechtfinden, hoffe ich! ich habe Ihnen Sigmaringen gezeigt, Pétain, die Brinon, Restif … gedankenlos, verdammt noch mal! Baden-Baden zuerst! … erst danach, lange danach haben wir den Marschall und die Miliz wiedergetroffen, und den «Stoßtrupp» des «Neuen Europa», der noch mehr oder weniger in der Landschaft oder in den Gräben ist … das «Neue Europa» wird ohne sie entstehen! aber sicher! und mit der Bombe! mit der atomaren! … ich glaub’s Ihnen wie das Einmaleins! … und außerdem mit den Chinesen … wie was Selbstverständliches! … davon finden Sie nichts in Ihrem Leib- und Magenblatt … auch nicht unter der Rubrik «Theater» …

Zurück zu meiner Geschichte … Frau von Dopf nahm Abschied von uns … ihr kleines Andenken, der Fächer … da ist er! … am nächsten Morgen in der Dämmerung klopft, wie vorgesehen, der Schulze … das Hotel schläft … aber wir sind fertig, Bébert in seinem Sack … unsere beiden Koffer, und los! … der Bahnhof … der Legationsrat packt uns rein … ab geht’s! … der Zug pfeift … erst sechs Monate später ging wirklich alles drunter und drüber … der Verkehr wurde für ein, zwei Tage lahmgelegt, nicht mehr … zusammengeflickt und wieder los! … dass Sie bloß den Faden nicht verlieren, bei meiner Art, vorauszueilen … sich nicht mehr auskennen … bei all dem Drunter und Drüber … pflof! dieses Torkeln in den Stunden, Personen, Jahren … ich glaube, tatsächlich, dieses Kunterbunt ist die Folge der Hetzerei und der schlechten Behandlung … zu viele Aufregungen … Schlag auf Schlag … eine ziemlich wohlwollende Person hält mich an und sagt … «Herr Doktor, ich weiß nicht, ob’s stimmt, aber wie Sie so gehen, könnte man meinen, Sie hätten getrunken» … ja, wirklich … aber fast alle Alten … sehen Sie mal die aus Nanterre an! … eine meiner Patientinnen, in meinem Alter, schlingert und schwankt heftig und verhehlt nicht, dass es bei ihr die Flasche ist … sie hält mir die Flasche vor die Stirn … noch ein Wort, und sie spaltet sie mir! … so war’s! … ich bin lange nicht so brutal … Jesses! da vergess ich Sie doch auf dem Bahnsteig … Baden-Baden … ich hielt mich noch durchaus aufrecht, erst in Berlin, vierundzwanzig Stunden später, bemerkte ich, dass ich komisch war … ich fing an zu torkeln … und zu schwanken … es ist selten, dass die Kranken, Großhirn, Kleinhirn, einem den genauen Augenblick angeben können, wo sie schwachsinnig geworden sind … ich, «Berlin-Anhalt» … am Ausgang! … nach dem Bahnsteig … oh, ich habe das Geländer nicht losgelassen … aber ich bin überhaupt nicht mehr gerade gegangen … eine Besorgnis würde das wohl anhalten? … und wenn das so weitergeht! und wie! … ich habe mich nicht sehr gut gepflegt … aber trotzdem … ich hätte mich ein bisschen besser anpassen können … wie die aus Nanterre Entlassenen … da sind die kleinen «Rückstöße» der Traurigkeit, aber das führt weit, bis ins Innere von Paris, bis zum Platz der Nation … aber bleiben wir ernst! … in «Berlin-Anhalt» raus, ich sah mich schon vom Bahnsteig kippen, unter die Puffpuff geraten … im Handumdrehen! ich sage zu Lili: «Ich brauche einen Krückstock!» … natürlich, und wir gehen auf die Suche! … aber wo ihn finden? … wir fragen also … «Gehen Sie doch hierunter! … gehen Sie doch darunter! … Sie finden’s bestimmt!» … danke! und los! Lili hakt mich unter … kein offenes Geschäft, weder Stöcke noch was anderes … wir werden was von der Stadt sehen! … wir fragen noch mal … «Gehen Sie hierhin! … gehen Sie dorthin!» … vor allem sieht man eingedrückte Schaufenster … Holz, das sich geworfen hat … Lockenwickel … Sie finden’s bestimmt? da sind wir am Brandenburger Tor! eine Allee Unter den Linden! … aber keine Linde! … seit Jahrhunderten versuchen sie, die zum Wachsen zu bringen … weiter! … weiter! … noch eine breite Allee … fast völlig in Trümmern, die Hauptstadt Berlin … ich sah nicht viele Geschäfte … außer Rollläden, und alle zwei, drei Schaufenster riesige Haufen von Backsteinen und Regenrinnen und Ziegeln … Halden! sehr alte Frauen lasen alles auf, na ja, sie versuchten’s, schichteten saubere Haufen auf, so eine Art kleiner Burgen am Rande des Gehsteigs … Schutthaushalt … Kinderspielzeuge, Sand, Löcher, Backsteine, für kauzige Großmütter … immer noch sah ich keine Krückstöcke! … vielleicht weiter! haben sie gesagt! wir gehen, noch eine Straßenecke … eine andere … oh, immerhin! … immerhin! da ist’s! …

Tatsächlich ein stattliches Gebäude! … mindestens acht Stockwerke … aber in welchem Zustand! ganze Etagen hängen aus den Fenstern heraus … Schrott … Ramsch, Glaswaren … Kaskaden … in Fetzen … windgeschüttelt … ich verstehe nicht, was die noch zu verkaufen haben können! wir bekommen noch was vom Staub mit … ein Gestöber … dann stürzen wir hinein! … die Bomben haben einen schönen Salat angerichtet! die Abteilungen sind nicht mehr zu sehen … auch nicht die Treppen … Vitrinen … Aufzüge … alles das im Klumpatsch runter ins Untergeschoss … ah, Personal ist noch da! … ganz alte Knacker, die Herren Verkäufer … oh, und sehr freundlich … lächelnd … zwei, drei je Abteilung … Nichts-Abteilungen … unter den Schildern «Seiden» … «Porzellan» … «Anzüge» … aber die Stöcke? … die Krücken? …