Von einem Schloss zum andern - Louis-Ferdinand Céline - E-Book

Von einem Schloss zum andern E-Book

Louis-Ferdinand Céline

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Beschreibung

Dieser autobiographische Roman beginnt in Sigmaringen, wo Céline unter fürchterlichen Bedingungen als Lagerarzt arbeitet, zum Kriegsende aber nach Dänemark weiterflüchten muss. Dort macht man ihm den Prozess. Man schiebt ihn Jahre später nach Frankreich ab. Céline starb 1961 verarmt in seiner Heimat. Die absolute Respektlosigkeit in Célines politischer Abrechnung und seine ausdrucksstarke, exzessive Sprache, die wie eine Bombe in die Welt der Literatur einschlug, machten ihn zu einem der wichtigsten und aufregendsten Autoren des 20. Jahrhunderts.

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Seitenzahl: 593

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Louis-Ferdinand Céline

Von einem Schloss zum andern

Roman

Aus dem Französischen von Werner Bökenkamp

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

VorbemerkungOffen gesagt, hier, ...Trinkwasser? … jä, ...Das alles ist ...Wenn ich an ...Wenn ich auch ...Oh, ja! … ...Jetzt war nicht ...Alle ihre Zeitungen ...Das wird später ...Illusionslos! … sind ...Ich werde jetzt ...Ich möchte gern ...Man muss auf ...Ich gehe also ...Das sah alles ...Bei diesem Fieber ...Dem Norbert Loukoum ...Ja! das versteht ...Vielleicht sollte man ...Der Kopf ist ...Selbstverständlich war es ...Gegen fünf Uhr ...Wie konnte ich ...Es kommt ein ...Ich ahnte es! ...Mein Gott, wie ...Ich durfte annehmen, ...Verflixt, ich hatte ...«Ah, Céline! … ...All diese kleinen ...Ich lasse Lili ...Ich habe Ihnen ...«Ganze Küche und ...Zwei … drei ...Selbstverständlich war die ...Es muss schon ...
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Dieser Roman geht zwar von zeitgeschichtlichen Vorgängen aus und führt zum Teil Personen der Zeitgeschichte in die Handlung ein, ist aber im Übrigen eine dichterische Gestaltung erlebter Zeit, wobei der Autor seiner Phantasie freien Lauf lässt.

[zur Inhaltsübersicht]

Offen gesagt, hier, unter uns – ich ende noch schlimmer, als ich angefangen habe … Oh, ich habe nicht sehr gut angefangen … ich bin, ich wiederhole es, in Courbevoie (Seine) geboren … ich wiederhole es zum tausendsten Mal … nach mancherlei Hin und Her ende ich wirklich sehr schlimm …, es ist das Alter, sagen Sie …, das Alter, natürlich! … mit dreiundsechzig Jahren, nichts zu machen, ist es äußerst schwierig, sich wieder heraufzuarbeiten … sich ’ne neue Kundschaft zusammenzubringen … hier oder da! … Ich vergaß zu sagen … ich bin Arzt … Die Arztkundschaft, unter uns ganz vertraulich, das hat nicht nur mit Wissenschaft und Gewissenhaftigkeit zu tun … sondern vor allem, über allem, mit persönlichem Charme … und wenn der persönliche Charme vorbei ist mit sechzig Jahren … dann sind Sie noch als Schneiderbüste oder fürs Museum gut … vielleicht? … Können noch einige Verrückte, einige Spinner interessieren … aber die Damen? Ein alter Knacker, geschniegelt und gebügelt, parfümiert, bemalt, lackiert? … ’ne Vogelscheuche! Mit Patienten, ohne Patienten, mit Medizin, ohne Medizin – er ekelt sie an! wenn er noch so im Golde schwimmt? … noch gerade geduldet? soso lala! aber der arme Schlucker? … vor die Hunde! Da müssen Sie mal die Patientinnen hören, vor den Türen, in den Läden … man spricht von einem jungen Kollegen … «Oh, stellen Sie sich vor, Madame! Madame! … was für Augen! Was für Augen dieser Doktor hat! … Im Handumdrehen hat er meinen Fall verstanden! Hat mir diese Tropfen verschrieben! Für mittags und abends! … Das sind Tropfen! Phantastisch, dieser junge Arzt! …» Aber warten Sie nur ein bisschen, bis man von Ihnen spricht! … «Griesgrämig, zahnlos, unwissend, buckelig …» Abgetan sind Sie … der Klatsch der Damen gibt den Ausschlag! … Die Männer stümpern die Gesetze zusammen, die Damen befassen sich mit Ernsthaftem: der öffentlichen Meinung! Die ärztliche Praxis wird von den Damen gemacht! Sie haben sie nicht auf Ihrer Seite? … dann können Sie sich aufhängen! … Ihre Damen sind schwachsinnig, dümmer, als die Polizei erlaubt? … desto besser! je beschränkter, sturer, je notorisch dämlicher sie sind, umso unumschränkter herrschen sie! … Packen Sie Ihren Kittel ein und das Übrige! … das Übrige? Man hat mir am Montmartre alles gestohlen! … alles! … Rue Girardon! … ich wiederhole noch mal … ich kann es nicht genug wiederholen! Man tut, als höre man mich nicht … Mancher will mich nicht hören! … obwohl ich doch den Punkt auf das i setze … alles! … Leute, rachsüchtige Befreier sind bei mir eingebrochen und haben alles zum Flohmarkt gebracht! … alles verscheuert! ohne Übertreibung, ich habe Beweise dafür, Zeugen, Namen … alle meine Bücher und Instrumente, meine Möbel und meine Manuskripte! … den ganzen Krempel! … Nichts habe ich wiedergefunden … kein Taschentuch, keinen Stuhl! … Sogar die Wände verkauft! … Die Wohnung, alles! … verramscht! … «Verrückt!», das sagt alles! was denken Sie darüber? Das möchte ich mal hören! … ganz selbstverständlich! Na, das kann Ihnen nicht passieren! So was! Sie haben wohl Ihre Vorsichtsmaßregeln getroffen! … ebenso Kommunist wie der erste beste Milliardär, ebenso Poujadist[1] wie Poujade, ebenso russisch wie alle russischen Salate, amerikanischer als Buffalo Bill! stehen sich ausgezeichnet mit allem, was zählt, mit Loge, Zelle, Sakristei, Gerichtshof! … ein neuer Franzuski wie kein anderer! … der historische Sinn verläuft bei Ihnen mitten durch den Hintern! … Ehrenbruder? … und ob … Henkersknecht? das wird sich finden! … Fallbeillecker? … ei, ei!

Inzwischen habe ich keinen Blutdruckmesser mehr, ich habe mir einen geliehen, um die lästigen Leute abzufertigen, nicht mehr! … Man setzt sie hin, misst ihren Blutdruck … da sie zu viel fressen, saufen und rauchen, liegen sie selten unter 22 … 23 … maximum … Für sie ist das Leben ein Autoreifen! Angst haben sie nur vor ihren Maxima … dem Platzen! dem Tod! bei 25! … da sind sie nicht mehr lustig! skeptisch! Eröffnen Sie ihnen ihre 23 … dann hat man sie gesehen! Und den Blick, den sie Ihnen zuwerfen beim Weggehen! Der reine Hass! ein sadistischer Mörder sind Sie! «Auf Wiedersehn! auf Wiedersehn!»

Na ja, ich mit meinem Blutdruckmesser behandle die Freun-de … sie kamen nur aus Schadenfreude über meine Misere … 22! … 23! Ich habe sie gesehen! alles in allem, ohne Umschweife – ich würde gern meine Praxis aufgeben …, aber schließlich aushalten muss ich ja doch! Diabolikum! bis zum Ruhestand! Nun, vielleicht? oder nicht «vielleicht» die Ersparnisse! im Ganzen! sofort! und vor allem! Zuerst die Heizung! … nie mehr als +5° den ganzen Winter! wir sind’s zwar gewöhnt … abgehärtet! Ich geb’s zu! Nordische Abhärtung! Wir haben da oben vier Winter ausgehalten … fast fünf … bei 25 unter null … in einer Art verfallenem Stall … ohne Feuerung, ganz ohne Feuer, wo die Schweine erfroren … ja! … wir sind also abgehärtet! … das ganze Strohdach flog weg … Schnee und Wind wirbelten darin herum … fünf Jahre, fünf Monate vereist! … Lili, krank, operiert … und glauben Sie ja nicht, dass dieses Kühlhaus kostenlos war! ganz und gar nicht! … ich habe alles bezahlt! Ich habe die Quittungen, von meinem Anwalt unterzeichnet und vom Konsulat beglaubigt … das erklärt Ihnen, warum ich so abgebrannt bin! … die Räuber von der Ostsee auch … die Räuber vom Montmartre wollten mich abstechen, meine Kaldaunen sollten die Rue Lepic runterrinnen … Die Ostseeräuber wollten mich dagegen durch Skorbut zur Strecke bringen … ich sollte meine Knochen in ihrem Gefängnis, dem «Venstre», lassen … das hieß fast zwei Jahre im Bunker, drei zu drei Meter! … dabei haben sie mit der Kälte gerechnet … den Schneestürmen am Großen Belt! … wir haben durchgehalten! fünf Jahre, und dann noch bezahlt! … Bezahlt haben wir dafür! Das betone ich! Was denken Sie, meine Ersparnisse! All meine Autorenrechte! Futsch! im Gestöber! … dazu die Pfändungen des Gerichts! … ein Mordsjux war’s! oh, ich hatte ein klein wenig vorgesorgt! ein kleiner Lichtblick! … meinen Anzug, den einzigen, habe ich behalten – aus dem Jahre 34! Mir schwante was! ich gehöre nicht zum Typ Poujade, der die Katastrophen fünfundzwanzig Jahre später merkt, wenn alles zu Ende ist, vorbei, eingemottet! … spaßeshalber erzähle ich Ihnen das Vorgefühl 34! … dass wir Zeiten entgegengingen, wo man nicht viel Staat machen könnte … ich hatte Avenue de l’Opéra einen Schneider … «Machen Sie mir einen Anzug, aber passen Sie auf, was Besonderes, Solides! … Poincaré! Supergabardin! wie ihn Poincaré trägt!»

Poincaré hatte gerade seine Mode in Umlauf gesetzt! seine Joppe! wirklich ein ganz eigenartiger Schnitt … ich bekam ihn! … Da ist er noch, der Anzug, ganz unverwüstlich! … Der beste Beweis: er hat gehalten durch Deutschland hindurch … das Deutschland von 1944 … unter den Bombenangriffen! und was für welche! und vier Jahre hindurch … in diesem Menschenfrikassee, diesen Feuersbrünsten, Panzern, Bomben! den Unmassen von Trümmern! … er ist etwas verschossen … weiter nichts! und dann noch alle Gefängnisse! … und die fünf Jahre an der Ostsee … ach ja, und zuerst noch, das hätte ich fast vergessen! den ganzen Rückzug nach Bezons-la-Rochelle … und den Schiffbruch bei Gibraltar! da hatte ich ihn schon! … Jetzt sind sie so stolz auf ihren «Nylon»-Anzug, ihre Kleidung Marke «Wachsfigurenkabinett», ihre Atomkimonos … die möchte ich mal sehen! … Meiner ist immer noch da! … zwar abgetragen! … zugegeben! verschlissen! … vierzehn Jahre Abenteuer! … Wir sind auch verschlissen. Es ist nicht meine Art, aus dem Rahmen zu fallen, durch meine Kleidung aufzufallen … wie die Maler … Van Dyck, Rembrandt … Vlaminck … nein! unauffällig, wie irgendwer … denn ich bin Arzt … weißer Kittel … Nylonersatz … sehr korrekt … zu Hause bin ich also sehr anständig angezogen … draußen dagegen sieht’s schon viel schlechter aus, mit meinem Poincaré-Anzug … ich könnte mir zwar einen neuen Anzug leisten! … wenn ich mir noch mehr abknapse … von allem … ich zögere immer … da bin ich ganz wie meine Mutter … Sparen … Sparsamkeit! … trotzdem habe ich einige Schwächen … meine Mutter ist an einem Herzschlag gestorben, auf einer Bank, und außerdem vor Hunger, während ich im Gefängnis war, da im «Vesterfangsel» in Dänemark … ich war also nicht da, als sie starb, ich war bei den «Todeskandidaten», im Pavillon K … 18 Monate habe ich gesessen … die schlimmsten Tauben sind die, welche nicht hören wollen, man muss alles hundertmal wiederkäuen …

Wenn ich von meiner Mutter spreche – trotz ihrer Herzkrankheit, der Erschöpfung, des Hungers, trotz allem ist sie mit der Überzeugung gestorben, es sei nur ein übler Augenblick, aber dass man ihn mit Zuversicht und Entbehrungen überwinden könne, dass alles wieder wie vorher würde, dass der Sou wieder einen Sou, das Viertel Butter fünfundzwanzig Sou kosten würde … ich bin noch von vor 1914, zugegeben … ich schrecke vor leichtsinnigen Ausgaben zurück … und wenn ich die Preise ansehe! … den Preis eines Anzugs zum Beispiel! … bleibt mir die Spucke weg … ich sage mir: nur ein Präsident, ein «Kommissar», ein Picasso, ein Gallimard[2] können sich noch anziehen! … der Preis des Anzugs für einen «Kommissar», in Kalorien umgerechnet, davon könnte ich mindestens ein Jahr leben, arbeiten, die Seine betrachten, in zwei bis drei Museen gehen, das Telefon bezahlen … nur die Verrückten ziehen sich heute noch an! … Kartoffeln, Karotten, natürlich … Nudeln, Karotten … ich will mich nicht beklagen! … man hat Schlimmeres erlebt! … viel Schlimmeres! … und gegen Bezahlung! missverstehen Sie mich nicht! … all meine «Autorenrechte»! … die ganze «Reise ans Ende der Nacht», … nicht nur meine Möbel und meine Manuskripte! … alles ist mir geklaut worden! … mit nackter Gewalt! … nicht nur am Montmartre und in Saint-Malo! … im Süden! … Norden! … Osten! … Westen! … Überall Räuber! … an der Riviera oder in Skandinavien! … dieselbe Bande! … Man braucht nicht zu tifteln, um bei ihnen dies oder jenes herauszufinden … alles, was sie wollen, ist nur, einem den Artikel 75 an den Hintern zu hängen! den großen Freibrief, um einen auszuweiden und Sie als Kaninchenklein zu verkloppen.

Zurück zu meinem Kleinkram! … ich sprach Ihnen von der Speisekarte … was mich betrifft, je weniger ich esse, desto besser ist es … schön! … aber bei Lili ist das etwas anderes! … Lili muss essen … das macht mir Sorge … ihr Beruf bei unserem Essen! … Gewiss, wir leisten uns einen gewissen Luxus: die Hunde … unsere Hunde … bellen! … ist ein Kerl am Gartenzaun, irgendein Stänker oder Mordgeselle, dann lasse ich die Meute los! Wau, wau! weg sind sie! …

– Aber wo wohnen Sie denn? … werden Sie fragen, … stolzer Grande?

– In Bellevue, mein Herr! … auf halber Höhe! in der Gemeinde Bellevue! … Kennen Sie’s? das Seinetal … genau über der Fabrik auf der Insel … nicht weit davon bin ich geboren … ich wiederhole mich … man kann niemals genug wiederholen für die Sturen! Courbevoie an der Seine, Rampe du Pont … manche kotzt es geradezu an, dass es Leute aus Courbevoie gibt … und das Alter auch, ich sag’s noch mal … 1894! … ich käue wieder? Kindisches Geschwätz? … das ist mein gutes Recht! … alle Leute aus dem vorigen Jahrhundert haben das Recht wiederzukäuen! … und Himmelherrgott! zu klagen … alles belämmert und befotzt zu finden! unter anderem, ich muss es aussprechen, dieser ganze fressgierige, versoffene Pöbel, der von der sozialistischen Bande an der Bastille die Schnauze voll hat und vom Tertreplatz … Alle diese Leute kommen her, wo der Pfeffer wächst! … aus Périgord! … dem Balkan! … Korsika! nicht von hier! … Sie haben dort auch gesehen, wie sie Reißaus nahmen … wohin sie auskniffen, rette sich, wer kann? millionenweise liefen sie nach Hause zurück! haste was kannste! und die Armee mit! … in Maulwurfslöcher, ins Grüne! … meine Amme, in Puteaux, Sentier des Bergères … ich sollte vielleicht nicht davon sprechen? … Schwamm drüber!

Ich komme auf Bellevue zurück … bei unserer höchst schmalen Kost … für mich ging’s ja … bei mir ist’s der Kopf … je weniger ich esse, desto besser … ich torkle, gewiss … man kann sagen: Siehste! er ist besoffen! … man sagt es auch … man kriegt’s immer hin, als Säufer, Taugenichts, Faulenzer zu gelten, und außerdem als baufällig … ein bisschen «vorbestraft»! … werden Sie verachtet, so gewöhnen Sie sich nur dran! … aber, wie gesagt, als Greis – je weniger ich esse, umso besser! … aber Lili ist nicht vergreist! sie muss Tanzstunden geben! … nicht sehr einträglich, die Tanzstunden … ohne Heizung! sie tut, was sie kann … und auch ich tue mein Möglichstes … nun, ohne auf die Tränendrüsen zu drücken, es geht ganz und gar nicht! … ganz ehrlich gesagt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen … für uns ist das Leben viel härter als für den letzten Arbeiter von gegenüber, von dort unten, bei Dreyfuß[3] … wenn ich denke, was die alles haben! … «Securitas», Madame! … Versicherung, Urlaub … einen Monat Urlaub … Ich werde bei Dreyfus einen Streik wie in Posen veranstalten? … ich bin der Geprellte! … dass ich nicht mal einen Ausfegerlohn habe? sie verständen es nicht! … Besen bei Dreyfus! Securitas! Urlaub! Versicherung! wenn ich mich auf das Zuchthaus Dreyfus berufen könnte, würde ich geachtet! … wenn ich sage, ich gehöre zum Laden von Gaston, feixt man! … ich habe nur eins voraus! … für die Franzuskis das Kreuz genommen zu haben, ich hätte ganze Mauern voll Plakate verdient, weil ich der vollkommene Verräter bin, der Judenzerfleischer, Verschacherer der Maginotlinie, und Indochinas und Siziliens … Oh, ich mache mir nichts vor … Sie glauben selbst kein einziges Wort davon, aber eins ist sicher, sie wollen mich zu Tode zwacken … Sündenbock der Rassisten von drüben! Rohstoff für die Propaganda …

Aber zurück zu ernsten Dingen! … ich sprach vom Winter in Bellevue … von der Kälte … das ist ’n Vergnügen! … Manche Leute beklagen sich … ich möchte sie mal sehen unter skandinavischen Verhältnissen … am Ostseestrand bei den Stürmen unter einem durchlöcherten Strohdach, das der Wind abreißt! … und 25° nicht nur während eines Wochenendes … fünf Jahre lang, Madame! aus der Zelle kommend, möchte ich mal Loukoums Köpfchen sehen, wenn er das Eis dieses Meeres aufhacken müsste! … und erst Achilles! und seine ganze Mischpoche! … Na, und ganz besonders seine hübschen Jüngelchen zwei Jahre im Kittchen, im «Venstre», und den Artikel 75 am Popo! ihr Gesicht möcht’ ich sehen! … wie gut ihnen das täte! … endlich … endlich … wären sie achtbar … man könnte ihnen die Hand reichen … sie wären endlich einmal über ihre Worte hinweggekommen …

Ich erzählte Ihnen von unten, von der Insel … man muss das schon aussprechen, das, was die Alten interessiert … sie haben weder viele Kriegsbeschädigte noch Eingezogene des Jahrgangs 12! … so geht’s im Leben! das soll kein Vorwurf sein! … wäre ich von Anfang an, seit der Volksschule z.B., etwas versoffen gewesen, dann hätte ich von all dem nichts gespürt, ich wäre jetzt Feger bei Dreyfus … mit Vergünstigungen, Versorgung, Achtung …

Aber reden wir von Medizin! … einige Kranke kommen noch zu mir … gewiss! … Sie können sich nie rühmen, ganz ohne Kranke zu sein … nein, von Zeit zu Zeit … schön! … ich untersuche sie … nicht schlechter als andere Ärzte … und nicht besser … liebenswürdig bin ich! oh, sogar sehr liebenswürdig! und sehr gewissenhaft! … nie eine gefürchtete Diagnose … nie eine aus der Luft gegriffene Behandlung! … seit fünfunddreißig Jahren nie eine leichtsinnige Verordnung! … fünfunddreißig Jahre lang, immerhin, das kann ein Pferd umbringen! … nicht, dass ich mich nicht auf dem Laufenden hielte! … doch, doch! … ich lese alle Prospekte durch … zwei, drei Kilo wöchentlich! … aber ins Feuer damit, alles ins Feuer! mich werden sie nicht wegen «leichtfertiger Verordnung» drankriegen können! … wenn Sie von der alten Ärztevorschrift herkommen … verdammt noch mal! … wo Sie dann hinkommen? … vors Schwurgericht … 10. Kammer? … Nach Buchenwald? nach Sibirien? danke bestens! … als Kabbalist, als gefährlicher Alchimist? … Mir kann man nichts vorwerfen! … höchstens ’ne kleine Masche … nämlich, dass ich nie Geld verlange! … ich kann die Hand nicht ausstrecken … nicht mal für die Sozialversicherung … da bin ich verbohrt! … verrückter Hochmut! der Krämer dagegen, der? … für die Nudeln? … das Päckchen Zwieback? … und den Brennstoff? und sogar das Wasser aus der Leitung? … ich habe mir mehr geschadet, weil ich nie einen Heller von den Patienten genommen habe, als Petiot[4], weil er sie im Ofen geröstet hat … da bin ich nun wieder der große Herr! … der vornehme Herr von der «Rampe du Pont»! … Herr Schweitzer, der Abbé Pierre, Juanovici[5], Lazareff[6], die können sich große Gesten leisten … aber ich, ich wirke doch nur verschroben und anrüchig … besonders seit ich, man weiß nicht, wie, aus dem Bunker rausgekommen bin!

Die Kranken, von denen ich sprach, die letzten, die zu mir kommen, erzählen mir von ihrem Gesundheitszustand, von ihren Leiden … ich höre sie an … nur zu – nur zu … die Einzelheiten … die Umstände … im Vergleich zu dem, was ich, Lili seit zwanzig Jahren eingesteckt haben … mein lieber Mann! … Kinderkram! … und wie man da rausgekommen ist … ewig wie ’n Säugling! … bei einem Drittel, einem Zehntel … würden sie unter den Möbeln rumkriechen, unter allen Möbeln … und vor Entsetzen brüllen! … was ihnen vom Leben bliebe! … wenn ich sie jammern höre, dann kann ich nicht umhin, mir zu sagen: «Du verdammter, verratzter, blödsinniger Idiot, was hast du dir bloß eingebrockt! was für eine Patsche? … was für ein Fimmel?», ich geb’s auf! geb’s der Katze Thomine, da, psss! psss! die ganze Welt ist ihr gleichgültig! Tiere! Menschen! die fetten Ideale! und ob! fett wie Churchill, Claudel, Picasso, Bulganin zusammen! psss! psss! und ihr werdet auch dazugehören! … Kommunist-Kapitalist! Meister, in jeder Art vollfetter Zucht! Rentner-Kommissar! reine Gespenster von 1900 in sehr verbesserter Auflage! … Sagen Sie ihnen, sie sollten mal meine Patienten besuchen, das sollten sie mal versuchen … würde ihnen guttun, sehr gut sogar! und vielleicht etwas weniger Fleisch essen! … zur Beförderung der Verdauung! Dann sollten Sie mal ihren Hass sehen! … Sie haben ihre Götter angetastet! … Mast und Molle! Keine politische Leidenschaft kann da mit! welche Andacht, welche Inbrunst! … aber wer nicht ans Beefsteak glaubt, dem Whisky feind ist? … aufgeschmissen, ausradiert!

Was mich betrifft, so sagte ich Ihnen schon, das Leben, sogar das ganz asketische, ist außerordentlich teuer … wohlverstanden, wenn man von niemand unterstützt wird! einem von keiner Seite geholfen wird! … weder von der Stadt noch von der Sozialversicherung, noch von den Parteien oder der Polizei … im Gegenteil! ja, ganz im Gegenteil! … Alle Leute, die ich kenne, werden unterstützt … sie nassauern alle … soso, lala … ein wenig, ein bisschen mehr … einen großen Umschlag … an der Ecke eines Ganges! wie der Abbé Pierre … wie Boileau … sind alte Kämpfer von diesem oder jenem … des Königs oder der Heilsarmee! … wie Schweitzer, Racine, Loukoum … haben mehrere Eisen im Feuer! … Präpel-brothers! … Pinke-Pinke, bitte schön!

Das wäre höchstens lächerlich, ja … und ich würde nicht so quengeln, wenn man mir von wegen dem Rassenhass nicht alles geklaut hätte! Zehn Jahre lang, jawohl … zehn Jahre nichts als Viechereien, kaum zu glauben! sie schimpfen wegen ihres Suezkanals? … wenn sie ihn noch eigenhändig gegraben hätten, dann dürften sie sich ein bisschen beklagen, ja! aber bei mir ist’s eigenhändige Arbeit, was sie mir Rue Girardon gestohlen haben! … ob sie’s mit ins Paradies nehmen? … vielleicht! … zehn Jahre Viechereien, davon zwei in der Zelle … die dort, die anderen, Racine, Loukoum, Tartre, Schweitzer haben gesammelt, bald hier, bald da … rafften Moneten zusammen und Nobelpreise! … Unsummen! gespreizt, aufgeblasen, wie Göring, Churchill, Buddha! … Vollblütige Kommissare! Zehn Jahre! ja! das fällt mir wieder ein! davon zwei in Haft … den Artikel 75 am Arsch! und der wird gleichgeschaltet? verdammte Saubande von Schriftstellern! niemand horcht auf, so viel ich auch breittrete, aber es ist, als ob ich nach da oben zu einer «Zellen-Party» gefahren wäre, als ob ich den Alkoholikern vom Montmartre extra alles gegeben hätte! Da kann ich lange warten, bis sie mir dort eine Gedenktafel: ‹Hier wurde ausgeplündert …!› anhängen … Ich kenne die Welt, alles, was sie nicht berührt, sie und ihren Wanst, ist nicht vorhanden! … alles schön und gut! ich vergesse nichts! … weder die kleinen Diebstähle noch die großen … auch die Namen nicht, alle … nichts vergesse ich! … wie alle leicht Dämlichen, halte ich mich mit dem Gedächtnis schadlos … was für ein Affentheater das war! … man benutzte die Zeit, als ich im Kittchen saß, mit dem Artikel 75 am Hintern, um alles mitzunehmen! ich habe Nachrichten über meine Räuber, ich halte mich auf dem Laufenden, es geht ihnen glänzend! das Verbrechen hat sich für sie bezahlt gemacht! … der Agent Tartre, zum Beispiel! … in der Deutschenzeit zu meinen Füßen, ist zum Abgott der Jugend geworden, der große, salbaderische Zar! … Aufgedunsen, Kinn, weicher Hintern, Hackfleisch, Brille, Gerüche, alles zusammen! Mischling von Mauriac und Sackbiene! … etwas von Claudel, Gnôme und Rhône[7]! fragwürdige Kreuzungen! … Angeber und die Pest! das Verbrechen macht sich bezahlt! …

Da wir gerade bei der Schönen Literatur sind, will ich von Denoël[8] sprechen … vom ermordeten Denoël … oh, er hatte wohl widerwärtige Neigungen! … wenn es nötig war, verschacherte er einen ganz ohne weiteres, im gegebenen Augenblick, je nach den Umständen … Sie wurden gefesselt, verkauft … auch wenn er’s dann wieder rückgängig machte, sich entschuldigte … doch etwas riss ihn wieder raus: er war für Literatur begeistert … er anerkannte wirklich die Arbeit, achtete die Autoren … ganz anders als Brottin! … Brottin, Achilles, der, das ist der schmutzigste Krämer, ein unerbittlich-engstirniger Scheißer … er denkt an nichts als an seinen Zaster! immer mehr Zaster, und noch mehr! der wahrhaft totale Milliardär! und immer mehr Lakaien um sich herum! … Zungen raus und Hosen runter!

Denoël, der Ermordete, las alles … Brottin, der ist wie Claudel, er sieht nur die «wertvolle» Seite an … die «Lesehefe», das ist der «Pin-Brain-Trust»[9]: Norbert Loukoum, der Präsident! … Ah, stellen Sie sich vor, wie das raucht, sich die Füße wäscht und trompetet, die «Lesehefen» vornimmt! und wie man sich entscheidet, mit Kopf oder Schrift! das gibt einen Autor mehr! zu den tausend und abertausend, von denen der Keller voll liegt! sie werden das Ganze in den Mülleimer schmeißen? … die Müllmänner werden’s bestimmt nicht lesen! … ist mir schnuppe … der Mülleimer! Da schau ich schön aus! … das Leeren des Mülls? ich habe nur zwei Dreckeimer, die auf mich warten! Wenn ich nicht hingehe, wer soll’s dann tun? … Brottin sicherlich nicht! … das Vergnügen ist für mich! immer feste! Kleiner! Loukoum tut’s auch nicht, lieber stürbe er! … das ist jetzt bald vierundsechzig Jahre her, dass ich gute Miene zum «immer feste, Kleiner!» mache! Aber da hat sich nichts geändert … der Mülleimer und «immer feste, Kleiner!» … vom Haus zur Straße runter sind es gut zweihundert Meter … ich trage sie nachts, damit man mich nicht sieht … ich lasse sie an der Straße … aber man klaut sie mir … zehn Mülleimer hat man mir schon geklemmt … na, es sind nicht nur die politischen Säuberungen … ununterbrochen wird geklaut, alles … und überall! Außerdem schade ich mir ungeheuer, dass ich meine Abfälle selbst runterbringe … der beste Beweis – man nennt mich nicht mehr «Docteur», sondern nur «Monsieur» … bald werden sie mich alter Knacker nennen! Darauf warte ich nur noch … ein Arzt ohne Dienstmädchen, ohne Putzfrau, ohne Wagen, und der selbst seinen Müll wegträgt … und der außerdem noch Bücher schreibt … und der im Gefängnis war … stellen Sie sich das mal vor! …

Wenn Sie allerdings mal nachdächten und wenn Sie ein Buch von mir kauften oder zwei, dann hülfen Sie mir.

Genug davon! aber was meinen Hass erregt, mich außer mich bringt … gerade auf dieser Straße! das sind die Autos! … das hört nicht auf! das ist der reine Wahnsinn! … die Jagd nach Versailles! dieser Andrang von Wagen! wochentags! sonntags! als würde das Benzin umsonst verteilt … Wagen mit einer, drei, sechs Personen! … vollgefressene Fettwänste, machen alle blau! … wohin fahren sie alle? … saufen, fressen! und ob! und noch schlimmer! Geschäftsfrühstücke! jnaa, jnaa? Geschäftsessen! jää! ein Jammer für mich, wo man mir doch meine drei Mülleimer gestohlen hat! manche Milliardäre sind wütend, dass ihr Motor nicht platzt, sie bespritzen mich … und meine Mülleimer! … während sie noch von der Ente mit Rübchen rülpsen! Plutokraten, Poujadisten, Kommunisten, rülpsend und furzend über die Autostraße! Die Union der Enten mit Rübchen! 130 Sachen! Das furzt und rülpst mehr für den Frieden der Welt als alle Leute, die zu Fuß gehen! Historische Enten! … Historische Raststätte! Historisches Menü! … Sie kommen so berauscht von der Tafel (von 1900er Trompetenheimer), dass es ein wahres Wunder ist, wenn sie nicht die Aufschüttung durchstoßen, den Ahorn, die Pappel mit umreißen und die Steuerung und das Steuerrad eindrücken! Bum! … zweitausend Pappeln! Verfluchter Verkehrssünder! … was zum Henker! stinkende Bremsen! brennende Bremsen! … und die ganze Autostraße und den Tunnel entlang! Aufgekratzte, betrunkene Kerle, die überholen, doppelt und dreifach, und durchbrausen! welch ein Delirium, was für ’ne Inbrunst! oh, Trompetenheimer 1900! wie das Leben gesteigert wird! … der Abgrund! Ente mit Rübchen! … Tausenddreihundert Wagen, Rad an Rad! Himmel Herrgott nochmal! so blutvolles Fleisch zum Hoppgehen bereit! Ein Druck auf den Gashebel! und der Schlamassel ist da! und die Messe, aber nicht mit Weihwasser! … mit warmem Blut! mit Blut, Kaldaunen, den ganzen Tunnel voll! Wenn ausnahmsweise mal einer davonkommt, kann er sich wirklich nicht rühmen, ob er die andern umgebracht hat oder nicht? … Ein Kreuzzug! kreuzen wir durcheinander, Stromlinienpilger! das wimmelt jede Minute, und dann die Pappeln! das furzt und rülpst und grollt, sternhagelvoll! Ah, Trompetenheimer, Ente nach Hausmacherart! … Die C.R.S.[10], die Verkehrspolizei, beobachtet … brummelt … regt sich auf … fuchtelt mit den Händen in der Luft herum … aus dreißig Meilen im Umkreis sind die Stammgäste gekommen … um alles, alles zu sehen … auf beiden Seiten ist der Straßenrand voll Gaffer! … Mamis, Papis, Tantchen, Gören! sadistische Grasaffen! die Hölle mit 130 Sachen, und die Straßenkreuzer, und die C.R.S. fuchtelt, ganz aufgeschmissen, herum … der Tunnel raucht! Trompetenheimer! der Asphalt flammt!

Oh, wenn ich reich wäre, das sage ich Ihnen, oder einfach «Sozialversicherter», würde ich diesen ganzen Schlamassel, diese ganze Vergeudung von Stickstoff, Brennstoff, Gummi, diese ganze benzinbetriebene Kreuzzügerei, die Ente und die ganze Superbesäufnis mit Bierruhe betrachten! Muttis, Vatis karren zum Teufel! natürlich! recht so! … aber da hapert’s! … man kommt nicht aus! … nein! offen gesagt, es fehlt an allem … Groll, Bitterkeit, Hass erfassen einen … dass alle Schweine einen mit Dreck bespritzen! dass sie bei jeder Raststätte, bei jeder Radumdrehung das Geld zum Fenster rausschmeißen, wovon unsereins einen Monat leben könnte! und ohne sich nach der Decke zu strecken! … ihre masochistische Masche jagt mich nicht ins Bockshorn … ich meine weder Loukoums Korsettgezwänge noch Tartres Eseleien … noch Achilles’ Fischaugen … und der andere auch nicht, Vaillant geheißen! der mich umbringen wollte! … ja, der extra deswegen raufgekommen ist! … das hat er überall erzählt, und geschrieben! … Scheiße, verdammte! ich bin noch da! es ist noch nicht zu spät! er soll nur kommen, ich erwarte ihn! … ich gehe ja nie weg wegen meiner letzten Patienten … noch einen Lenz, zwei oder drei … nachher ist es zu spät … und ich werde eines natürlichen Todes gestorben sein …

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Trinkwasser? … jä, jä! … Kosten Sie mal! … was sagen Sie zu dem Lysol? … Kann man nur mit viel Wein genießen? … Rein? … das ist der reine Hohn, dieses sogenannte, mit Lysol versetzte Trinkwasser! … Untrinkbar, ja! … ach, es gibt noch andere Gründe zum Jammern! … Bestimmt! … meine Situation von oben bis unten! und ich langweilte die Leute mit meinem Stöhnen! … so ’ne Frechheit! … Achilles Brottin hat mir neulich Abend gesagt: «Erheitern Sie doch die Leute! Das konnten Sie mal, können Sie’s denn nicht mehr?» Er war ganz überrascht! «Jeder hat seinen Ärger! Sie sind nicht der Einzige! … ich habe auch welchen, immerhin! … wenn Sie wie ich hundertdreizehn Millionen verloren an den de Beers[11]! wenn Sie ihren Autoren zweihundert Millionen vorgeschossen hätten! … Sie haben natürlich andere Sorgen! Jeder hat seine! Hundertdreizehn Millionen an den de Beers! … vierzig Millionen an den Suez! und hören Sie mal zu! … in zwei Sitzungen! und vierzehn Millionen an den ‹Croix›11! … die ich selbst nach Genf bringen musste! … in meinem Alter … alle die Goldstücke zum Käufer! … Zum Glück half mir mein Sohn! … vierzehn Millionen in Zwanzigfrancstücken! … Stellen Sie sich das mal vor!» Ich überlegte, um es mir vorzustellen. Norbert stellte es sich auch vor … er war da, bei unserer Unterhaltung … Norbert Loukoum, der Präsident seines «Pin-Brain-Trusts» … er fand es auch ganz entsetzlich! … Die Tränen kamen ihm! … Achilles, lieber alter Herr, vierzehn Millionen «Kreuze» herumzuschleppen! … folglich, Céline, Ihr seid nicht vorhanden! … Sie schulden uns ungeheure Summen, und Sie haben nicht mehr den geringsten Schwung! … Schämen Sie sich nicht? wenn Loukoum «Schwung» sagt, das hört sich so komisch an … so ’n trägen, fettigen Mund hat er … das ist das Alter! und außerdem kommen die Wörter wie geschmolzen raus … die «Kloaken»-Aussprache … sie kommen so stoßweise ölig raus … und wie er stoßweise wabbelig jubelt, der Loukoum, Norbert … dass kein Mensch mehr meine Bücher lese! … er, der Präsident des «Pin-Brain-Trusts»! eine Obernull! … Schön! … ich weiß, woran ich bin! … sie hassen mich! das wundert mich nicht! … aber die Freunde! angeblich untröstlich, dass ich in der Medizin nicht wieder hochkomme … eine neue Praxis aufmache! ich sollte doch! … und papperlapapp! … aufopfernd und untadelig, wie ich sei! meine Intuition! meine wunderbaren Kuren! … papperlapapp! … sie warten alle darauf, dass ich verrecke, meine alten Freunde! und was ist des Pudels Kern? … die einen und die andern, alle haben etwas von meinen Manuskripten aufgelesen. Papiere, Zettel, als alles geplündert wurde … auf den Treppen, in den Mülleimern … ganz überzeugt, alles das werde bei meinem Tode einen Wert bekommen! … aber Himmel Herrgott Sakrament, so will ich doch lieber gleich verrecken! …

Ich weiß ganz genau, was man mir geklaut hat, ich hab’ das Inventar im Kopf … «Casse-Pipe»[12], «La volonté du Roi Krogold»12, dazu noch zwei, drei Kladden! … sind zwar nicht für alle verloren! ich weiß das auch! und sage nichts … ich horche herum … und die Freunde … jä, jä! Teufel noch mal, ich warte auch drauf, dass sie verrecken, und sie zuerst! Sie fressen alle viel mehr als ich! soll ihnen doch ein Äderchen platzen! das ist noch ’ne Hoffnung! … sie alle bei Charon wiederzufinden, alle, Feinde, Freunde, mit all ihren Kaldaunen um den Hals gewickelt! Und Charon haut ihnen die Schnauze ein! und wie! … ah, der sadistische Norbert, noch warm serviert! … er und Achilles werden von einem Ohr zum andern aufgeschlitzt! und darauf bestehe ich, dass sie für ihre jetzigen Bemerkungen eine Art Lautsprecher reinkriegen! peng! peng! so! und so! Charon! … alles ist vorgesehen! … oh, dann wird der Achilles nicht mehr an seine Suez denken, auch nicht an seine de Beer oder an seine «Goldkreuze»! Immer rein in die Fresse! Peng! Hübsch werden sie ausschaun in dem Kahn! … und der ganze «Brain-Trust» natürlich mit drin! den Bregen offen und die Augen raushängen! so ist das Regime von Charons Fahrgästen! wenn ich denke, was für’n Mordsgaudi das geben wird! noch viel drolliger als Renault in Fresnes[13]! … wenn nun die Freunde ein bisschen nachsehen kommen, ob ich bald abkratzen werde, dann stell ich’s mir vor, ich feixe, ich sehe sie alle im Styx, wie Charon sie streichelt! Bum! peng! ihre Gaunerei! oh, diese Halunken! schon kommt Loukoums Blütenmund dran! sein weicher, gewundener! … sodass er nur noch au! au! ausstößt! … überlaufende Mundkloake … der wird prima aussehen von einem Ohr zum andern! … Zum Kugeln, der Norbert! und erst der Achilles! mit seinem geilen Fischauge, das ihm hinterm Ohr hängt! … ja, ich sehe es! … oder er hängt es an seine Uhr? oder kreuzweise? als neckischen Anhänger! …

Ich kann Ihnen ganz im Vertrauen sagen, den Freunden schwant gar nichts! … na schön! … sie finden den Fall Renault höchst lustig … wenn’s ihnen Spaß macht! und den Fall Charon? … ja Kuchen! … da sehen sie nichts! … sie leugnen es ab, sie rauchen, rülpsen, sind ganz spöttisch selbstzufrieden und so ziemlich sicher, dank ihrer kleinen Pillen hundert Jahre zu leben! Madame! … und diese tollen Tropfen, Marke Mirador! … ich bin ja nun bestusst, zugegeben! … aber immerhin Radar! ich weiß wo Charon sie anstechen wird! … wie sie auf dem Nacken aussehen werden! ja, zersplissen! ritsch! ratsch! von einem Ohr bis zum andern! … bis dahin kotzen sie mich an, beschwatzen sie mich, faseln sie, machen sich blauen Dunst vor … so selbstsicher sind sie! … mit ihren fünfzehnstöckigen Schränken voll Zäpfchen und Tropfen! … und außerdem, nicht wahr, Aperitiven! und was für ’ne Auswahl … süße und bittere! das ist der vollkommene Optimismus! ha, ha! … eine Ladung Gänseleberpastete, eine Zigarette, zwei Schnäpse, sie werden darauf zurückkommen! … die «Raststätte» im Hause! … die Autobahn im Hause! … und sie finden einen so blass und herunter, so niedergeschlagen und neurasthenisch! … und Ratschläge geben sie einem! … dass Ihre Kuren nichts taugten! erstens, erstens! und der beste Beweis dafür! ihre Frauen raten ab, Sie aufzusuchen! dass Sie die Mägen, die Leber, die Milz in Unordnung brächten! … dass Sie einem ganz allein sämtliche 14. Julis der Welt versalzen könnten … mit Ihrer eigenen Kopfhängerei … und dass man Ihnen die Praxis verbieten sollte! … denn Sie waren ja im Gefängnis, und es wäre wohlgetan, Sie wieder einzusperren! … einerseits haben sie ja recht! … aber ich habe auch nicht unrecht! Tatterig, baufällig, das ist wahr! aber entsetzlich, leidenschaftlich versessen darauf, dass sie vor mir verrecken! alle zusammen! dass sie sich schön in den Beefsteaks rumwälzen, dass sie das Nötige tun, damit sie platzen! und dann rein in die Soße! … in alle Soßen!

Ich denke … ich denke voraus … die beiden anderen sprechen weiter mit mir … Achilles, Loukoum … ich höre ihnen nicht mehr zu! … sie wiederholen sich! «wie komisch Sie früher waren!», ich gebe zu, ich war ziemlich drollig, vielleicht werde ich es wieder … mit einem bisschen «Bankkonto» … wie Achilles, sieh mal an! … genau wie Achilles! … und schon mit einem Hundertstel seines Bankkontos! Halleluja! oder wie sein großer Kastriermeister Loukoum! Blindgänger, alle beide! … aber einen Massel, Himmel Herrgott! … wo’s hinfällt, wo alles hinfällt! … Ehren, Dividenden! Security! … «Familie, Arbeit, Vaterland»[14]? Scheiße! … sie haben gut daran getan, ihn um die Ecke zu bringen! … Verdun, papperlapapp! … ich habe ihn mit seinen sechzehn Lebensmittelkarten in Sigmaringen erlebt, ich spreche aus Erfahrung.

Aber eine Tatsache lässt sich nicht wegleugnen … meine Bücher werden nicht mehr verkauft … das sagen sie wenigstens! … oder fast nicht mehr … ich sei veraltet, ich fasele zu viel! … Schwindelei! Quatsch! abgekartete Sache! … sie wollen nur alles von meiner Witwe aufkaufen! Für’n Butterbrot! und ob! ich bin in dem Alter, zugegeben! aber erst der Norbert! … der sieht sich selbst nicht! … und Achilles, wenn man die Tür aufmacht, muss man ihn festhalten, damit er nicht weggeweht wird! und sein ganzer «Pin-Brain-Trust» mit! das alles ist ein so tolles Gefasel, dass daneben nichts mehr bestehen kann, dass sie nichts mehr verstehen, als ihre Art, hmm! zu machen, und puh! klack! unter sich! in die Hosen scheißen! … ich könnte auch puh! klack! sagen! sehen Sie mal, Christian IV. übrigens hatte auch wahnsinnigen Schiss! Christian IV., König von Dänemark, sein ganzes Leben lang! … in allem und bei allem! wie Brottin! er hat alles versucht und alles verpfuscht … wie Brottin … Brottin im Verlag, Christian IV. in den Königreichen … durch seine Schliche ist er verschüttgegangen! … wie Brottin! ich bin nach da oben gegangen, um das festzustellen, in seinem Königreich … ich habe seine Gefängnisse sondiert … er war nicht mehr da, sondern sein später Nachkomme Christian X., ein gemeiner, falscher, hinterlistiger, stumpfsinniger «Boche» … als wir später aus dem Loch rauskamen, haben wir ihm gegenüber in einer Bodenkammer gewohnt: Kronprinzessgade! da gehört schon Mut dazu, einen solchen Straßennamen zu geben! ich kann sagen, wir kennen ein Stück davon! … Schloss Rosenborg … davon werd’ ich Ihnen erzählen … bis dahin komme ich zu meiner Aktualität zurück! nicht sehr glänzend! zu anderen schwierigen Tagen … besonders wegen Brottin! Brottin, dem blödsinnigen Stümper! dem schmierigen Philatelisten! Brottin mit seinem ganzen «Goncourt»[15], den Keller voller «Goncourts»! voll Zimtromane, als ob er sie ausschisse! Kack! Kack! wenn Sie ihn noch ausgekochter finden, seine Augen noch bratfischiger als gewöhnlich, dann ist er nämlich beim Überlegen, beim Nachdenken, seinen zehntausendunddreizehnten Autor auszukacken, und so was nennt sich König des Verlagswesens!

Charon wird ihn schon aus seinen Gedanken aufstören! und mit dem Ruder, Madamchen! Peng! Peng!

Entschuldigen Sie, dass ich so viel von mir spreche … ich trete die Sache breit … sind’s die Verdrießlichkeiten? … Sie haben auch welche! diese Literaten sind entsetzlich! so geknickt von ihrem Ichichismus! … die Ärzte etwa nicht! einen Quark! und die Klempner? und die Friseure! alles eine Wichse, ja! … kein einziger bescheidener Kerl! … und die Minister! … und der Abbé Pierre, der reinste Film? … ich muss dran denken, wie Charon ihnen ihren Ichichismus austreiben wird! allen! mit dem heiligen Ruder mitten in die Schnauze! Peng! von einem Ohr bis zum andern! … Können Sie sich das vorstellen? Reißt ihnen fast die ganze Birne ab! ja, und die Augen hängen raus! … die Überfahrt ins Jenseits! Dieses G’schpusi mit den Touristen! Peng! Peng! von einem Ohr bis zum andern! ’ne Menge von im Fette sitzenden Leuten zusammen mit einem Sammelsurium von armen Ludern durcheinander! ganz, ganz kleinen Rentnern! … tief schmachtende Kameliendamen, bärtige Staatsbeamte, olympische Sportler und alles das in dem Salat, wo man ihnen das Gesicht entzweihaut! Peng! wenn ich diese Hanswurstiaden erzählte anstatt meiner kleinen Widrigkeiten? … das würde vielleicht meine Auflagen wieder erhöhen? Kramp ist der Meinung … Kramp, der bei Hirsch[16] die Bücher verpackt … in Bezug auf Riecher ist Kramp, ein bisschen weniger doof als Achilles … nicht so unbedingt Pechvogel … er hat wenigstens einen Beruf … er liefert! es ist selten, dass einer etwas tut …

Das muss man sagen … wenn ich zu einer Zelle, einer Synagoge, einer Loge, einer Partei, einem Sprengel, einer Polizei gehörte … ganz gleich welcher! wenn ich die Briefe irgendeines «Eisernen Vorhangs» herauszöge … würde alles in Ordnung gehen! todsicher! zu irgendeinem Zirkus! so wie ihn Maurois führen, Mauriac, Thorez[17], Tartre, Claudel! und der Rest! der Abbé Pierre … Schweitzer … Barnum[18]! schämt sich keiner! und ohne Altersgrenze! Nobelpreis und Großkreuz sind garantiert! Selbst baufällig, mürbe, pisserig, «Ehrenmitglied», «Aushängeschild der Parteien»! Juanovicisten! das klappt! … alles klappt! Man kann sich leisten, was man will, sobald man nur als Clown anerkannt ist! zu irgendeinem Zirkus gehört! … wenn nicht? Weh dir! Ohne Zirkuszelt? Bist’n Doofkopf! Unters Fallbeil mit dir! … Wenn ich bedenke, was für ein schönes «Zelt» ich hatte! … dass Altmann[19], der mich jetzt übelstes Geschmeiß eines geilen, bestochenen Monstrums beschimpft, die Schande Frankreichs, Montmartres, der Kolonien und der Sowjets, vor lauter Begeisterung über die «Reise ans Ende der Nacht» in krankhafte Verzückung geriet, und das nicht nur «in petto», nein, in der «Monde» von Barbusse[20] … zur Zeit, als Madame Triolette[21] und ihr magensäuerlicher Larengon[22] dieses schöne Werk ins Russische übersetzten … weswegen ich mich auch in diesem Russland umsehen konnte! auf meine Kosten! und keineswegs auf Staatskosten wie Gide und Malraux und tutti quanti, Abgeordnete! da sehen Sie, wie ich dastand! das sage ich Ihnen klipp und klar! … ein bisschen besser als der Agent Tartre! kann mich mal, der Salonkommunist … schönes Geschmeiß! Beim Rückzug brauchte man ihn nur anzusehen! Ich ersetzte Barbusse! eisern! die Paläste, die Krim, Securitas! Die UdSSR öffnete mir ihre Arme! ich habe Grund genug, mir auf die Zunge zu beißen! aber vorbei ist vorbei, natürlich! die Geschichte tischt die Gerichte nur einmal auf! sie haben sich schadlos gehalten, wo sie konnten, an dem, was sie gefunden haben! … sechster Aufguss von Zola! Abfälle von Bourget[23]! Tinnef! alles Tinnef! Achilles … Keller voll! … Morgen Lazareff! … Madame! … Tintin! … morgen! ihr Dienstpersonal! das Ganze, irgendein Plakatkleber … hat eine Idee!

Wie Charon sie aufnehmen wird? … The question? Peng! Peng! dessen bin ich sicher!

Aber ich komme zu meiner Sache zurück! von Zeit zu Zeit kommt trotzdem irgendein Hartnäckiger, um mich zu entdecken, im Hintergrund eines Schuppens unter einer Pyramide von unverkauften Exemplaren … oh, ich finde mich schon damit ab … ein Tintenkuli zu sein, den man nicht mehr liest … den der reine, gesäuberte Franzuski ablehnt! … der Arzt, der verdammter als Petiot, verbrecherischer als Bougrat[24] ist! na, ich wäre sogar schon ganz zufrieden! … aber die Futterage? Die Futterage verträgt sich nicht mit der Dialektik! immer nur gegen cash! Loukoum, Achilles und ihre ganze Mischpoche sind von wegen Futterage gesichert! ja, die … daher können sie so überlegen, so philosophisch tun … nehmen Sie ihnen nur den Fresskorb weg, dann sollen Sie diese Stinktiere mal hören! mit dem Fressen gibt’s keinen Aufschub! … «Und Ihr anderes Eisen im Feuer?», möcht ich mal wissen … «die Medizin?», die Kranken meiden mich! Das ist es! ich geb’s zu! unmodern? … freilich! ich sollte die neuen Mittel nicht kennen? Lug und Trug! ich bekomme alle neuen Medikamente! Alle Prospekte lese ich gründlich … was wissen denn meine Kollegen mehr? Nichts! Was lesen sie mehr? Nichts! Und ob ich ein heilsames Fluidum habe! Ich bin ganz gliederlahm davon … vor lauter Wellen und Strömen, die mich durchdringen! … mit einem Viertel von dem, was ich an «neuen Heilmitteln» bekomme, mit einem Zehntel! hätte ich genug, um ganz Billancourt, Issy, und den Rest … und Vaugirard! zu vergiften! Landru[25], wie der sich anstrengen musste, das ist ja geradezu lächerlich! in der Frage «Gutes zu tun» entgeht mir nichts! auch nicht die umwälzenden Fortschritte! … ich wäre nicht wie meine Kollegen, die das Penicillin fünfzig Jahre lang haben eintrocknen, verschimmeln lassen! was anderes als die dolle Dämelei von Suez! oh, heiliger Pankratius, ich … ich kann Sie in null Komma nichts verjüngen! zwanzig, dreißig Jahre mindestens! jeden Neunziger! Das Serum habe ich da! da auf meinem Tisch! ein gleichgeschalteter Pflasterkasten, nicht? seriös, garantiert, gestempelt, von den A.S.[26]zurückgezahlt! eine Ampulle vor jeder Mahlzeit! Sie werden ein Romeo, da ist alles dran! die «Relativität» in Ampullen! … die gebe ich Ihnen! Sie trinken sozusagen die Zeit noch einmal aus! die Runzeln! die Melancholien … die Bitterkeiten! die fliegende Hitze! … Was kann ich jetzt machen? … die Comédie Française, mein Mädelchen! Arnolphe[27] springt seil! … aufgemöbelt! Madeleine Renaud-Minou, Achilles – im Jardin du Luxembourg beim Kasperle! und dann die Académie! … Mauriac, endlich, endlich wieder Chorknabe! … und ödet uns nicht mehr an, wenn er seine verdrängten Komplexe zur Schau stellt! … eine Ampulle vor jeder Mahlzeit! von der Versicherung zurückgezahlt!

Wenn ich Wunderdoktor wäre, dann ginge es schon … das wäre ’ne Masche … und keine dumme! … ich würde aus meiner Praxis Bellevue einen Ort des «Wiederherumzappelns» alter Knacker machen! … ein New-Look-Lourdes, ein Lisieux[28]-ob-der-Seine! verstehen Sie … aber da hapert’s! ich bin nur ein kleiner, ganz bescheidener Arzt … wenn ich reiner Praktiker wäre? könnte ich’s mir erlauben … ich kann’s nicht! … oder «Chiropraktiker»? … nein! auch das nicht!

Zum Nachdenken habe ich Zeit … das Für und Wider zu durchdenken … zu ergründen, was mir am meisten schadet? … mein Anzug vielleicht? meine Latschen? … immer in Puschen? … meine Haare? ich glaube, das Schlimmste ist, dass ich kein Dienstpersonal habe … na, und das Allerschlimmste: «er schreibt Bücher» … sie lesen sie nicht, aber sie wissen es …

Ich werde die Kranken (die wenigen) selbst abholen, ich bringe sie selbst zum Gartenzaun, ich führe sie, damit sie nicht ausgleiten (sie würden mich verklagen), wegen des Lehms und des Drecks! … und auch wegen der Disteln … ich gehe selbst meine «Besorgungen» machen … das bringt einen in Verruf! … ich bringe selbst den Müll hinunter! ja, ich selbst! den Müll bis zur Straße! … stellen Sie sich vor! wie sollte ich da noch ernst genommen werden? «Herr Doktor, Herr Doktor! … sagen Sie mal, für meine Kleine! Kennen Sie das? Spezialtrockenextrakt aus Kabeljauherzfasern? … soll revolutionär sein? Wissen Sie? und die Unterkühlung? was sagen Sie dazu? für Mamas Augen?»

Oh, ich antworte dies oder jenes! das ist alles eine Wichse! … mir werden sie doch nicht glauben! Totales Misstrauen! …

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Das alles ist nicht schlimm! meinen Sie … Millionen sind gestorben, die nicht schuldiger waren als Sie! … sicherlich! … darüber habe ich nachgedacht. Glauben Sie mir, während meiner Spaziergänge durch die Stadt … «sehr gut begleitete» Spaziergänge, und nicht nur einmal! zwanzig-, dreißigmal! durch ganz Kopenhagen von Osten nach Westen … im gut vergitterten Bus, vollgestopft mit bewaffneten Polypen … gar nicht sehr zum Plaudern aufgelegt … die «strafrechtlichen», die «politischen» Touristen, und sehr anständig mit ihren Handschellen … vom Gefängnis bis zum Gericht und wieder zurück! oh, ich kannte die Stadt schon recht gut, aber so, im Polizeiwagen, da sehen die Leute ganz anders aus … das ist’s, was Brottin fehlt, und Norbert auch … obwohl sie ja wie Sträflinge aussehen! … «homo delinquensis» wie selten einer … Lombrosos, wie sie im Buche stehen! … ein richtiges Handschellen-Sightseeing täte ihnen außerordentlich gut! … endlich sähen sie mal die Gesichter all ihrer Leute auf den Cocktails! … deren wahre Natur! und nicht nur die im Bus … nein, die Menge, auf der Straße! … ihre wahren Augen … ihre furchtbaren Komplexe! Papagei- und Schakalvisagen … «Politiigaard», ihr Gerichtshof! brauchen nicht lange herumzuknobeln! politii: Polizei! gaard: Hof! alles kommt aus dem Französischen! … was sie wissen wollten? … ob ich wirklich die Maginotlinie verkauft hätte? … und die Befestigungen von Enghien? … und die Reede von Toulon? die Dänen haben mich in ihrem Käfig gehalten, keine acht Tage, nein, sechs Jahre lang! wollten unbedingt wissen, warum? warum denn? die Franzosen, ganz Frankreich mich zerstückelt haben wollte? ob dieswegen? oder deswegen? … die Dänen waren zu allem bereit, freilich! aber sie wollten doch die Sache durchschauen … sie foltern nicht blindlings, «à la française»! nein, sie durchdenken alles … und während sie beim Überlegen sind, hat man zu warten, sie sind bedächtig … sie foltern nicht so leichthin … aber aufgepasst! das hat auch seine Kehrseite! während sie besonnen, ernsthaft ihre Ermittlungen anstellen, lassen sie einen schön und gut in ihren Zellen verfaulen … da muss man drin gesessen haben! ich wiederhole die Adresse: «Vesterfangsel», Pavillon K, Kopenhagen … Abteilung für zum Tode Verurteilte … Touristen, ’ne kleine Rundfahrt! … «Der Englische Hof» ist allerdings nicht alles … auch nicht die «Kleine Sirene».

Während sie überlegen, ob sie einen ausliefern sollen oder nicht, dreht und wendet man sich hin und her! mit seinen Problemen! Man stört sie nicht hinten in dem Loch! … Tartuffes sind sie! zehnmal so schlimm wie unsere Tartuffes! Protestantische Tartuffes, Hut ab! dass man verreckt, während sie überlegen? gern! diese Puritaner! … sie nehmen sich zwanzig Jahre Zeit zum Überlegen! bis man überhaupt keinen Körper mehr hat … nur noch verfaulte Haut … Schwären … Flechten … Pellagra … und blind ist! ja, natürlich meinen Sie, wie in allen Gefängnissen der Welt! … der Fall Renault steht nicht allein da! … sie kommen ja trotzdem, um einem den Gnadenstoß zu geben! … natürlich! … das Für und das Wider ist genug erwogen … Krack! Krack! in der Nacht … das schwere Tor! … vier Riesen im Kittel! … Schaffen Sie das da weg! «Komm!» Sie hören den Mord! «pip-cell» da hinten! 11! 12! ich spreche aus Erfahrung … der Tartuffe des Nordens hat’s in sich! Molières Tartuffe ist ’n Waisenknabe dagegen! … ich habe oft genug «Hjelp» schreien hören! «Hjelp!», und am nächsten Tag – tot! man sah ihn nicht mehr! …

So was kommt in Fresnes vor? Selbstverständlich! … überall! … Renault? Morgen Cocteau! … morgen Armide … Abbé Maous wird nicht ausgeschlossen! der Herr Doktor Klistier! und sogar Mauriac im Bikini! … «express», wie er sagt … man wird ihn einfangen! Alle werden eingefangen, um Mitternacht in den Kasten!

«Hjelp», das heißt Hilfe! … das haben Sie verstanden! Man steigt in Kopenhagen aus … «Taxi»! … haste dir gedacht, «Englischer Hof»! nein! «Vesterfangsel»! … Sie lassen nicht locker! bestehen drauf! wollen was sehen! wollen dorthin gehen! nicht die «Kleine Sirene»! Wollen was hören! «Komm!», «Hjelp!», weiter nichts! …

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Wenn ich an die Leute denke, die ich von Politik sprechen höre, sehe ich sie schon im Autobus … im richtigen Autobus! vergittert, solide, ganz mit Verbrechern wie unsereins vollgestopft! … keine Kinoverbrecher wie Charlie Chaplin! – nein, so richtig schön mit Handschellen und Zwangsjacken! … von zwölf Maschinenpistolen bewacht! … Denken Sie sich mal den Effekt! die Fußgänger kriegen schwache Knie, schwanken, klammern sich an die Schaufenster … weil ihnen das ja auch passieren könnte! … Ihr Gewissen schlottert! Schiss! Einen Heidenschiss haben sie! … es fällt ihnen was ein! fast immer haben sie irgendwas auf dem Kerbholz, eine kleine Abtreibung hier … einen Diebstahl da … das ist ja keine Schande! ’ne Schande ist nur die Armut, die einzige! … Sehen Sie, ich ohne Wagen, ein Arzt zu Fuß! wie stehe ich da? ein Arzt, selbst ein sehr dämlicher, ist noch nützlich, ein Anruf, und er kommt! … oft gibt es keinen Krankenwagen … und Taxis sind sowieso nie da … sogar der dümmste Arzt hat seinen Wagen! … Selbst bei meinem furchtbaren Ruf als alter Zuchthäusler würde man mich nicht so schusselig, so alt finden, wenn ich einen Wagen hätte … Wagen hin, Wagen her! dass ich nicht lache! da oben, der gehörte mir nicht! … hier habe ich auch keinen! ich erwarte den des Achilles! wenn er mir seine entsetzlichen Abrechnungen zeigen will! … ich sei ihm Unsummen schuldig, meint er! homo delinquensis, sagte ich! … den ganzen Autobus für ihn allein! und verfluchter Saustall! mitsamt seinem ganzen Trust! … Norbert hinterhergehopst – mit Handschellen und Korsett! so sehe ich die Sache an!

Wenn man in ihrer Polizei angekommen war, musste man mindestens noch fünf bis sechs Stunden warten … bis man uns holte … fünf, sechs Stunden musste jeder in einem senkrechten, zugeschlossenen Sarg stehen … in meinem Leben habe ich, das kann ich behaupten, Stunden und Stunden Wache geschoben, als Posten, Aufpasser, in Krieg und Frieden … aber da in diesen senkrechten Kästen der «Politiigaard» in Kopenhagen, nie habe ich mich so befotzt gefühlt … in der Erwartung des Verhörs … von wem? worüber? da hatte ich ’n bisschen zum Nachdenken … dann war’s so weit! sie machten meinen Kasten auf! … sie halfen mir beim Raufgehen … das war nötig! … zwei Bullen … die Wirkung der Krätze, und vom senkrechten Warten … das Büro war im «vierten» … die Bullen halfen mir recht nett … ohne jede Rohheit! ich muss auch gestehen, ich habe alles versucht, um das Schwindelgefühl zu überwinden … um beim Gehen nicht mehr zu wanken … nicht mehr zusammenzubrechen … Heil und Sieg! da schlage ich hin! … das sind die Nachwehen der Pellagra … Sie können in allen «Fachbüchern» lesen, dass man den Skorbut mit ein paar Zitronenscheiben heilen kann, wie gar nichts … Prost Mahlzeit! … ich bin jedenfalls für immer verbogen … man wird mich krumm und buckelig beerdigen! na, schön! … aber dass ich so ’n baufälliger, alter Sack bin, das ist ja noch kein Grund, mich unterwegs zu verlieren! … ich sprach gerade von der Treppe … da sind wir nun im «vierten» … übrigens eine kleine amüsante Bemerkung zu ihrem «Politiigaard» … wie der aufgezogen ist … ein Gewirr von so verschnörkelten Haarnadeln und Korkenziehergängen, dass, wenn einer auskneifen will, er irgendwo und irgendwann sich in einem Hof verfängt, wo die «Verkamisöler» einen erwarten … Spezialbullen … Man wird geschnappt! und rein ins Loch! lohnt sich nicht auszukneifen! für mich schon gar nicht! als Hundertjähriger, der ich schon war! … und alle «Fachbücher» ändern nichts daran! aus ist aus! … und das nordische Gefängnis ist dafür eingerichtet! Sehen Sie, alle, die sich jetzt in Warschau und Budapest Gefahren aussetzen, von denen kommen doch manche in den Bunker! Zwangsläufig! Fragen Sie mal nach zwanzig Jahren, was sie davon denken? wie gesagt, ein Tourist sieht gar nichts, er folgt dem Fremdenführer … Hotel «Englischer Hof», Nyehavn, die kleinen Tätowierten, den «Dicken Turm» … «Sirene» … er ist befriedigt, kommt nach Hause und kann erzählen, was er gesehen hat! … zwei, drei Pferde von Karlsberg, der Brauerei, die im Sommer ihre kleinen Hüte tragen … das ist ein Fremdenverkehr, worin ich mich nicht auskenne! …

Zurück zu meinem Stockwerk! von einem Polypen an jedem Arm hochgewuchtet … kommt man rauf! sie setzen mich! drei Kriminalassistenten verhören mich … der Reihe nach … oh, ohne irgendwelche Grobheit! aber unverändert geisttötend! «Geben Sie zu, Deutschland die Pläne der Maginotlinie ausgeliefert zu haben? …» – «No!», und ebenso ernst wie sie unterschrieb ich. Das Ganze ging auf Englisch vor sich … da können Sie den Rückgang unserer Sprache ermessen … unter Ludwig XIV. oder beispielsweise noch unter Fallières[29] hätten sie’s niemals gewagt … «Do you admit? … do you admit?» … mir auch mal! no! non! und die Unterschrift! ganz ohne Kommentar! Wenn ich erst no! no! gezeichnet hatte, legte man mir wieder die Handschellen an, und sie brachten mich zum Wagen hinunter … und los … durch die ganze Stadt! Ost – West!

So ging das monatelang, und auf einmal konnte ich mich überhaupt nicht mehr rühren … da sind sie denn zu mir gekommen, die drei Kriminalassistenten … unten in mein Loch … um mir dieselbe Frage zu stellen … ich betone: Loch! Stellen Sie sich vor, drei zu drei Meter und sechs Meter tief … ein Schacht … nichts besser, um Grünspan anzusetzen! dabei habe ich Passage Choiseul gewohnt, achtzehn Jahre lang, ich kenne mich schon ein bisschen aus in düsteren Bleiben! … aber das «Venstre», ganz ideal! natürlich, man hatte so ’n kleinen Hintergedanken dabei, dass ich dort verrecke? ohne Aufsehn … ohne Gewalt … um: «er hat nicht durchgehalten!» Sehen Sie, ich will Ihnen mal ein Beispiel suchen: Renault … wie sie’s bei dem angefangen haben! geradezu kindisch überstürzt! mit zwei Jahren unten im Schacht hätten sie ihn hinübergekriegt! und wären ganz beruhigt gewesen! … ich, ich sollte nach fünf, sechs Monaten abkratzen! … voraussichtlich! 75 Prozent kriegsbeschädigt! … fehlgeschossen! … ich habe durchgehalten!

Jetzt, zehn Jahre später, fragt man mich hier in Meudon-Bellevue nichts mehr … man neckt mich ein bisschen … ein ganz klein wenig … ich kümmere mich auch nicht um die Leute! … habe andere Sorgen … das Gas, das Elektrisch, die Kohlen! und die Karotten! … Die Räuber, die mir alles geklemmt, alles auf dem Flohmarkt verkloppt haben, leiden keinen Hunger, die nicht! und auch sonst nichts! das Verbrechen macht sich bezahlt! «Olympische Athleten» an Frechheit! mit ihren Armbinden, Tressen … zehn, zwölf Lebensmittelkarten! Sie wollten mir den Kopf mit dem Messer abschneiden, sie waren auf dem Triumphbogen! Ruhmbedeckt! aber nicht «als unbekannte Soldaten»! … sondern im Neonlicht!

Aber ich habe vielleicht keinen Grund, mich zu beklagen … denn ich lebe noch … und jeden Tag verliere ich Feinde! … an Krebs, an Schlaganfall, an Fresssucht … das freut einen, wie das so abschwimmt! … lassen wir das …! der eine, dann der andere! Es gibt doch noch Freuden in der Natur …

Ach ja, ich erzählte Ihnen von Thomine … Thomine, meiner Katze! Ich hatte sie ganz vergessen! Die Verkalkung entschuldigt ja nicht alles! ich erzählte Ihnen auch von meinen Kranken! … den wenigen, den letzten … wegen meiner Freundlichkeit, meiner Geduld, und weil sie alle sehr alt sind, und weil ich kein Honorar nehme, oh, ganz und gar keins … kommen diese wenigen sehr, sehr Alten noch …

Was meine Sitten betrifft, so stamme ich noch aus dem «Zweiten Kaiserreich» … ich betrachte mich noch als «freien Beruf», wenn ich meine Pauschalsteuer, meine Gewerbesteuer, den Ärzteverband, ein bisschen Heizung und meine Sterbe-Versicherung bezahlt habe, ist Ebbe in der Kasse! … jenau jenommen, bin ick abjebrannt! da schau ich schön aus, als «freier Arzt»! Sie raten mir: «Lassen Sie doch den Achilles bluten! er braucht ja nur ein paar Ihrer Bücher zu verkaufen!», aber verflixt, der wird sich schön hüten! … er schnauzt höchstens, dass ich ihn zugrunde richte! … Stinktier, verdammtes! … er hätte mir solche Summen vorgeschossen! … glaubt er ja selbst nicht, der Achilles! was für ein Pack! … er tut sein Möglichstes, doppeltes, dreifaches Spiel, apokalyptische Pakte! damit man mich nicht kauft! er behält mich in seinem Keller, er begräbt mich! … in tausend Jahren werde ich wieder aufgelegt … aber jetzt in Bellevue bleibt nichts übrig als zu verrecken … «Ach ja, Céline! … der ist in unserem Keller! in tausend Jahren wird er heraufgeholt!» … Kein Mensch wird in tausend Jahren noch Französisch sprechen! Nee, dieser Dussel von Achilles! Hören Sie mal zu, das ist doch wie mit den Klöppelspitzen! … ich habe die Spitzen aussterben sehen, ja, ich persönlich! … Wollen Sie Beweise? Meine Mutter hat nicht einmal ihren Namen auf dem Grab im Père Lachaise … das werd’ ich Ihnen noch erzählen … Marguerite Céline … und das meinetwegen, was für ’ne Schande … dass die Vorüberkommenden drauf spucken könnten …

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