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Beschreibung

«Es liest sich, als wäre einer der ganz Großen auferstanden, um sein Werk um ein wesentliches Kapitel zu ergänzen.» (Der Spiegel) Flandern im Herbst 1914. Gleich zu Beginn des Kriegs wird der junge Soldat Ferdinand schwer verwundet. Unter furchtbaren Bedingungen operiert, kommt er halb tot ins Militärkrankenhaus, wo eine Krankenschwester ihn pflegt, die ihn sexuell so anzieht wie er umgekehrt sie. Das Rauschen im Ohr raubt Ferdinand den Schlaf, viel schlimmer aber sind die Bilder im Kopf. Zurück im Leben, freundet er sich mit dem Zuhälter Bébert an und gibt sich zügellosem Vergnügen hin. Er überlistet den Tod, befreit sich von dem Schicksal, das ihm bestimmt war.  Die betäubende Gleichzeitigkeit von Kriegsgrauen, Naturschönheit, menschlicher Verrohung, Zynismus und Liebessehnsucht macht die Einzigartigkeit dieses Buches aus. Ein unvergesslicher Roman über die Hölle, die die Menschen sich gegenseitig bereiten. - Im Sommer 2021 ereignete sich eine literarische Sensation: Tausende Manuskriptseiten Célines tauchten wieder auf. Sie waren 1944 aus seiner Wohnung in Montmartre, während er in Nazideutschland Unterschlupf suchte, entfernt worden. «Krieg» ist das erste Buch aus diesem Konvolut.  - Diese kritische Ausgabe ist übersetzt auf der Grundlage der französischen Pléiade-Ausgabe (der hochangesehenen, unter strengen Editionsrichtlinien erarbeitete Reihe von Werkausgaben des Verlages Gallimard) und mit einem Vorwort von Niklas Bender sowie einer editorischen Notiz des Übersetzers versehen. - Platz 1 der französischen Bestsellerliste. 200.000 verkaufte Exemplare - «Die größte literarische Sensation, die Frankreich erlebt hat.» Frankfurter Allgemeine Zeitung - «Ein abgründiges, explosives, empörtes Buch, das niemals versucht, den Dreck in Gold zu verwandeln, und dennoch daraus nicht weniger macht als einen wahren Schatz.» L'Observateur - «Ein kurzer, lebendiger, tragischer und schlüpfriger Text, der sich einreiht in die Meisterwerke des Autors. Ein Ereignis.» Le Monde des Livres - «Ein ungeschliffener Diamant.» Le Point

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Seitenzahl: 198

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Louis-Ferdinand Céline

Krieg

Roman

 

 

Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel

 

Herausgegeben von Pascal Fouché

Mit einem Vorwort von Niklas Bender 

Über dieses Buch

«Ein äußerst seltener Fall in der Literatur­geschichte – eine Sensation.» Niklas Bender, FAZ 

Flandern im Herbst 1914. Gleich zu Beginn des Kriegs wird der 20-jährige Soldat Ferdinand schwer verwundet. Unter furchtbaren Bedingungen operiert, kommt er halb tot ins Militärkrankenhaus, wo eine Krankenschwester ihn pflegt, die ihn sexuell so anzieht wie er umgekehrt sie. Das Rauschen im Ohr raubt Ferdinand den Schlaf, viel schlimmer aber sind die Bilder im Kopf. Zurück im Leben, freundet er sich mit dem Zuhälter Bébert an und gibt sich zügellosem Vergnügen hin. Er überlistet den Tod und befreit sich von dem Schicksal, das ihm bestimmt war. 

Die betäubende Gleichzeitigkeit von Kriegsgrauen, Naturschönheit, menschlicher Verrohung, Zynismus und Liebessehnsucht macht die Einzigartigkeit dieses Buches aus. Ein unvergesslicher Roman über die Hölle, die die Menschen sich gegenseitig bereiten.

Vita

Louis-Ferdinand Céline (eigentlich Louis Ferdinand Destouches), geboren 1894 in Courbevoie, meldete sich freiwillig zum Ersten Weltkrieg und wurde verwundet, studierte Medizin, war Armenarzt in einer Pariser Vorstadt, bevor er als Romancier und Essayist bekannt wurde. Seine bekanntesten Werke: «Reise ans Ende der Nacht», «Tod auf Raten», «Guignol’s Band I/II». War wegen antisemitischer Pamphlete umstritten, floh gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nach Dänemark und wurde in Abwesenheit wegen Kollaboration zum Tode verurteilt, später rehabilitiert. Céline starb 1961 in Meudon.

Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, lebt in Berlin. Er übersetzt u. a. auch Jean Echenoz, Édouard Louis, Jon Fosse, Tomas Espedal und Tarjei Vesaas. Ausgezeichnet wurde er mit dem Jane Scatcherd-Preis, dem Paul-Celan-Preis des Deutschen Literaturfonds und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (zusammen mit Frank Heibert).

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel «Guerre» bei Éditions Gallimard, Paris.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Guerre» Copyright © 2022 by Éditions Gallimard, Paris

"Guerre" herausgegeben von Pascal Fouché

Lektorat Hans-Ulrich Müller-Schwefe

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01674-3

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Ein Vorwort von Niklas Bender

Die Weltliteratur hat ihre Krimi-Szenen: Im Sommer 1944 wurde in die Wohnung des Dr. Destouches, bekannt unter dem Schriftstellernamen Louis-Ferdinand Céline, gelegen 4, rue Girardon, eingebrochen. Céline befand sich seit dem 17. Juni 1944 auf der Flucht: Mit seiner Frau Lucie («Lucette») und Kater Bébert war er nach Deutschland aufgebrochen, Reiseziel Dänemark, wo er vorausschauend seine in Gold konvertierten Einnahmen hinterlegt hatte. Elf Tage zuvor waren die Alliierten in der Normandie gelandet, das Kriegsende nahte, Céline fürchtete wegen seiner Hetzschriften um Freiheit und Leben. Die Flucht sollte sich schwierig gestalten: Nach Aufenthalten in Baden-Baden, Kränzlin und vor allem Sigmaringen, Exil der Vichy-Regierung, sowie einer Irrfahrt durch ein apokalyptisch anmutendes Deutschland kam Céline im März 1945 in Kopenhagen an. Frankreich sollte er erst 1951 wiedersehen.

Kurz nach Célines Abreise brachen Résistance-Kämpfer in seine Wohnung ein, beziehungsweise sie brachen sie auf, um sie zu nutzen – diese Nuance deutet schon zwei radikal verschiedene Versionen der Ereignisse an. Nach seiner Rückkehr wird Céline beteuern, dass die Résistance die zurückgelassenen Manuskripte entwendet oder zerstört habe, ein unersetzbarer Verlust. Von einem Schloß zum andern(1957), der Erfolg der Nachkriegsjahre, klagt gleich auf der zweiten Seite: «Man hat mir am Montmartre alles gestohlen! … alles! … rue Girardon! … ich wiederhole nochmal … ich kann es nicht genug wiederholen! Man tut, als höre man mich nicht …» Er hält fest, was da verschwunden ist: «Ich weiß ganz genau, was man mir geklaut hat, ich hab’ das Inventar im Kopf … ‹Casse-Pipe›, ‹La volonté du Roi Krogold›, dazu noch zwei, drei Kladden! …» Die Jeremiaden wurden nicht ernst genommen: Célines Romane mischen biografische Fakten mit Fiktion, in Briefen oder Interviews neigte er zu Übertreibungen, Verzerrungen, Ausbrüchen – die Rede vom Diebstahl wurde als bildreiches Lamento gesehen. Da Céline auf der falschen Seite von Geschichte und Moral stand, interessierte sich in der Tat niemand dafür. Für Céline hingegen stellte die Entwendung Höhe- und Endpunkt seiner Vertreibung aus Montmartre, seinem Pariser Lieblingsviertel, und aus Frankreich dar.

Jahrzehntelang schien das Thema erledigt. Am 6. August 2021 dann berichtete Le Monde von einer unglaublichen Entdeckung: Jean-Pierre Thibaudat, ehemaliger Theaterkritiker der Zeitung Libération, war seit gut fünfzehn Jahren im Besitz einer Kiste voll Céline-Handschriften, die er geordnet und transkribiert hatte. Die Texte wollte er dem Institut Mémoires de l’édition contemporaine (IMEC) übergeben, wo literarische Nachlässe verwahrt werden. Er kontaktierte die Rechte-Inhaber François Gibault und Véronique Robert-Chovin, die nicht zu Célines Familie gehören: Colette (1920 bis 2011), Célines Tochter aus erster Ehe, und ihre Kinder hatten das Erbe ausgeschlagen, es war daher Witwe Lucette zugefallen, die es nach Gutdünken vermachte. Gibault ist ein Céline-begeisterter Anwalt, der eine wichtige Biografie verfasst hat, Chovin ist Psychologin, die mit Lucette die Tanz-Leidenschaft teilte.

Experten der Pariser Nationalbibliothek bestätigen: Die gut 6000 Seiten sind waschechter Céline – eine literarische Sensation. Wie war Thibaudat an die Manuskripte gekommen? Warum trat er so spät an die Öffentlichkeit? Die zweite Frage ist leicht zu beantworten: Erst 2019 war Witwe Lucette im biblischen Alter von 107 Jahren gestorben. Es war Thibaudat zur Bedingung gemacht worden, ihren Tod abzuwarten, um zu verhindern, dass sie die Unterlagen ‹säubern› könne; darunter sind nämlich auch Fotos, Briefe, die Scheidungsdokumente zu Célines erster Ehe mit Édith Follet – sowie ein antisemitisches Dossier.

Der Weg der Manuskripte ist weniger leicht aufzuklären. Bereits zum Besitzerwechsel gibt es mindestens zwei Versionen. Céline verdächtigte diverse Personen, bezichtigte aber vor allem die Résistance: «Mein Bewohner [«occupant»: Für Céline sind Résistance-Kämpfer Besatzer; N. B.] in der rue Girardon hat in den Müll geworfen – die handschriftliche Fortsetzung von Guignol’s – und noch drei weitere angefangene Romane! Es ist ein besagter Morandat, Freund von de Gaulle» (Brief vom 4. September 1947). Die Rede ist von Yvon Morandat (1913 bis 1972), der Célines Wohnung mit seiner Frau bis 1946 bewohnt hatte: ein Gewerkschaftler und Widerstandskämpfer. Am 25. August 1944 befreite das Paar im Alleingang das Hôtel de Matignon, Sitz des Premierministers, eine so filmreife Szene, dass Jean-Paul Belmondo und Marie Versini sie in BrenntParis? (1966) nachspielten. Später brachte Morandat es bis zum Staatssekretär. Célines Diebstahl- oder Zerstörungsthese stehen Thibaudats Erklärungen gegenüber: Morandat habe Célines Habseligkeiten und Manuskripte sicher verwahren wollen. Tatsächlich hat Morandat Céline nach seiner Rückkehr kontaktiert, ihn auf ein Möbellager hingewiesen, für das nur die Rechnung zu begleichen gewesen sei, ihn über seine Texte informiert. Céline witterte eine Falle, wollte nicht zahlen; offensichtlich gefiel er sich in der Opferrolle und ging davon aus, dass Morandat sowieso nur Skizzen aufbewahrt habe. So blieben die Manuskripte im Morandat-Besitz, wurden Thibaudat dann um das Jahr 2004 übergeben (hier ist die Angabe vage), mit ebender Auflage, sie nicht vor Lucettes Ableben zu publizieren.

 

Der Manuskript-Krimi ist Teil eines Lebens, das Skandalromane hervorgebracht hat und selbst einem gleicht. Louis-Ferdinand Destouches wird am 27. Mai 1894 in Courbevoie geboren und wächst in Paris auf. Seine Eltern Ferdinand, genannt Fernand Destouches, Versicherungsangestellter, und Marguerite Guillou, Nippeshändlerin, lassen ihrem einzigen Kind zwar eine gute Spracherziehung zuteilwerden (Aufenthalte in Deutschland und England), seine Schuldbildung beenden sie jedoch schon 1907, nach dem Ende der siebenjährigen Grundschule. Sie schicken ihn in die Lehre – für Céline eine Erfahrung sozialer Gewalt, die ihm die wahre Lebenslektion scheint. Bürgerssöhnen, die eine lange Schulbildung genießen, spricht er, der Autodidakt, die zentrale Initiationserfahrung ab; hier wie in der Moral ist er kleinbürgerlich geprägt. Céline engagiert sich 1912 bei den Kürassieren und wird nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in die erste Flandernschlacht geschickt. Am 27. Oktober 1914 wird Quartiermeister Destouches in Poelkapelle bei Ypern doppelt verletzt, durch eine Granatenexplosion (Gehirnerschütterung, Splitterwunde) sowie durch einen Querschläger (Verletzung des rechten Arms). Die lebenslangen Folgen: Der Arm bleibt teilgelähmt, Céline leidet an Drehschwindel und Pfeifgeräuschen. Das Vaterland ist dankbar, Céline wird mit einer Militärmedaille ausgezeichnet und als Held gefeiert.

Nach der Genesung dient ihm ein London-Aufenthalt, wo er in der Passabteilung des Konsulats arbeitet, als zweite Schule des Lebens: Im Kontakt mit dem Rotlicht-Milieu streift Céline sittliche Skrupel ab und entwickelt eine Vorliebe für Tänzerinnen; er ehelicht inoffiziell Suzanne Nébout, ein Animiermädchen. In der Folge arbeitet er in den ehemals deutschen, nun französischen Kolonien Zentralafrikas und als Hygiene-Didaktiker für die Rockefeller-Stiftung. 1918 lässt er sich in Rennes nieder und heiratet – offiziell diesmal – Édith Follet, bürgerliche Tochter eines Arztes; 1920 wird Tochter Colette geboren, Célines einziges Kind. In den Jahren 1919 bis 1921 absolviert er unter den für ehemalige Frontkämpfer reservierten Bedingungen das Medizinstudium in Rennes, ist anschließend Famulant seines Schwiegervaters. Die Studien schließt er mit einer medizinhistorischen Arbeit zum Hygieniker Ignaz Semmelweis ab, dessen revolutionäre Erkenntnisse zur Vermeidung des Kindbetttods verkannt wurden – eine tragische Figur, mit der Céline sich identifiziert. Céline hält es nicht in der Bretagne, auch wenn die Region seine Wahlheimat bleiben wird; die Ehe mit Édith wird 1926 geschieden. Nach einer Zwischenstation beim Völkerbund und einer Liaison mit der amerikanischen Tänzerin Elizabeth Craig wird Céline Armenarzt im Pariser Vorort Clichy, eine Tätigkeit, die er fünfzehn Jahre lang mit Überzeugung ausüben wird.

Nach diversen Versuchen fängt Célines Schriftsteller-Laufbahn im Jahr 1929 an: Er beginnt die Arbeit an Reise ans Ende der Nacht. Nächtlich ist auch die Niederschrift der Irrfahrten Bardamus, tagsüber praktiziert Céline als Arzt. 1932 erscheint der Roman im jungen Verlag Robert Denoël und wird ein Skandalerfolg; knapp verpasst er den Prix Goncourt, erhält den Prix Renaudot. Seine Innovationskraft liegt in einer anarchisch-episodenhaften Erzählweise ohne Tabus sowie im originellen Stil: Céline nähert das stark kodifizierte Literaturfranzösisch dem gesprochenen Wort an, mischt Umgangssprachliches oder sogar Argot darunter, scheut weder Wiederholungen noch Satzabbrüche; die berühmten Auslassungspunkte werden sein Markenzeichen. Céline baut auf Vorgängern wie den Naturalisten Émile Zola (Der Totschläger, 1877) und Octave Mirbeau (Tagebuch einer Kammerzofe, 1900) auf, weitet die stilistische Neuerung aber auf die gesamte Erzählerrede aus. Er sieht sich in Konkurrenz zur Suche nach der verlorenen Zeit (1913–1927) des kultivierten, großbürgerlichen Ästheten Marcel Proust (für Céline: «Pups-Proust»): Dessen lange, komplexe Satzfügungen sind raffinierte Instrumente, um feine Bewusstseinsphänomene einzufangen – Célines emotionale Literatur nutzt Sprache ganz anders, wie später ausgeführt wird.

Politisch kann das Publikum Céline schlecht einordnen: Die Nähe zu Das Feuer (1916) von Henri Barbusse etwa, eine Inspirationsquelle, legt eine linke Position nahe. Spätestens das Pamphlet Mea culpa (1937) klärt die Frage durch heftige Kritik an der Sowjetunion, die Céline auf einer Reise kennengelernt hatte. Sein zweiter Roman Tod auf Raten (1936) erhält nicht dieselbe Anerkennung wie das Debüt – eine gigantische Enttäuschung und ein Wendepunkt in Leben und Werk; es folgen die antisemitischen Pamphlete. 1937 trifft Céline die Ballett-Tänzerin Lucie Almansor, die sein weiteres Leben teilen wird. Auch Guignol’s Band (1944) bringt den Erfolg nicht zurück.

Es folgt die Flucht nach Dänemark. Nach einigen Monaten wird Célines Aufenthalt in Kopenhagen publik, der Autor am 17. Dezember 1945 inhaftiert; bis Juni 1947 muss er im Gefängnis Vestre Fængsel einsitzen. Anschließend lebt er unter rustikalen Bedingungen in einer Dachwohnung und auf einem Landsitz an der Ostsee; aus dieser Zeit stammt ein Großteil sowohl des Briefwechsels als auch der Fotos, die Lucette macht. Aus der Ferne muss er zusehen, wie der junge Jean-Paul Sartre, der vor dem Exil um seine Gunst geworben hatte, ihn nun der Käuflichkeit durch den Feind beschuldigt. Währenddessen wird sein Fall vor französischen Gerichten verhandelt: Céline wird mit einem Jahr Gefängnis, 50000 Francs Geldstrafe sowie «nationaler Unwürdigkeit» belegt; die Hälfte seines Besitzes wird konfisziert. Célines Anwalt Jean-Louis Tixier-Vignancour nutzt die Regelung, dass ehemalige Kriegsinvaliden mit einer Verurteilung von nicht mehr als drei Jahren Gefängnis amnestiert werden können – und behilft sich des Tricks, seinen Klienten unter seinem Taufnamen Destouches zu vertreten. Am 1. Juli 1951 kann Céline nach Frankreich zurückkehren; er ist ein gebrochener Mann, der sich keines Vergehens bewusst ist.

Die verbleibenden Jahre wird Céline zurückgezogen in Meudon, südwestlich von Paris, verbringen. Nach dem Tod seines Verlegers Denoël, 1945 auf offener Straße erschossen, wechselt er zu Gallimard, der ihm hervorragende Konditionen bietet. Céline arbeitet an seinem Comeback, das erst mit Von einem Schloß zum andern (1957) gelingt, einem Roman zum Exil in Sigmaringen – erneut ein Skandalthema, weil man die Kollaboration vergessen möchte; zugleich erscheint das auf den Stil konzentrierte Schreiben in Zeiten des Nouveau Roman aktuell wie nie. Norden (1960) knüpft an den Erfolg an. Céline stirbt am 1. Juli 1961, kurz nach Abgabe des Manuskripts von Rigodon (posthum 1969), in Meudon an einer Aneurysmaruptur.

 

Das dunkelste Kapitel dieses bewegten Lebens sei schon deshalb angesprochen, weil es eng mit der Geschichte des Krieg-Manuskripts zusammenhängt. In den Jahren vor der Sensationsentdeckung wurde in Frankreich Célines Antisemitismus diskutiert und wissenschaftlich aufgearbeitet, besonders von Alice Yaeger Kaplan, Annick Duraffour und Pierre-André Taguieff. In Deutschland scheint er – vermutlich, weil Céline nicht zum Mord aufrief und seinen Hass literarisch stilisierte – nicht immer ernst genommen worden zu sein. Dabei liegt seine volle Tragweite zutage: als lebenslange Grundhaltung, die sich in den späten 1930er-Jahren zu virulentem Hass entwickelte und Céline auch nach Kriegsende nicht verließ.

Schon Célines Vater war Antisemit, Leser der populistisch-antisemitischen Zeitung La Patrie. Seinem Sohn gab er die Zeitschriften Lectures pour tous und Je sais tout zu lesen, populärwissenschaftliche Magazine, die wie selbstverständlich nationalistisch, fremdenfeindlich und rassistisch waren; Briefe des jungen Céline bezeugen, dass er deren Gedankengut übernommen hat. Das frühe Theaterstück L’Église (entstanden 1927) zeigt im dritten Akt einen Völkerbund, der von Juden beherrscht wird – der Antisemitismus ist Teil einer Satire; in den Briefen manifestiert er sich eher beiläufig. Wie viele Antisemiten hat Céline jüdische Bekannte; er unterstützt seinen deutschen Übersetzer Isak Grünberg. Erst Ende der 1930er-Jahre wird er zum aggressiven Überzeugungstäter: Céline schreibt die relativ schlechte Aufnahme von Tod auf Raten jüdischen Strippenziehern zu und hat Angst vor einem neuen Krieg. Er verfasst antisemitische Pamphlete – L’École des cadavres (1938), Bagatelles pour un massacre (1937; dt. Die Judenverschwörung in Frankreich), das meistverkaufte (ca. 75000 Exemplare), sowie Les Beaux Draps (1941). Die Texte stehen in der Tradition von Arthur de Gobineau und Élie Faure, entwickeln vor allem jedoch die Vulgata im Geiste der Protokolle der Weisen von Zion. Céline kopiert massiv, hat keinen Originalitätsanspruch, seiner eigenen Aussage nach betreibt er «einfache Vulgarisierung, heftig, stilisiert». Man mag ihm zugutehalten, dass er Pazifist ist und nichts mehr fürchtet als einen weiteren Krieg; Kriegstreiberei ausgerechnet den Juden zuzuschreiben, ist freilich absurd. Céline verwendet geläufige Klischees wie den Wunsch nach Weltherrschaft oder die mangelnde Kreativität, versetzt sie mit Beschimpfungen aus den Bereichen Tierwelt, Pathologie, Exkremente. Seine Fantasien analsexueller Unterwerfung der ‹Arier› grenzen an Psychopathologie und erklären die gemischte Aufnahme durch die Nationalsozialisten. Céline wirft Maréchal Pétain («Bédain» in den Pamphleten – ‹bédaine›: ‹Wanst›) vor, nicht hart genug gegen die Juden vorzugehen.

Es hat Versuche gegeben, den Antisemitismus der Pamphlete zu relativieren oder ‹konstruktiv› ins Werk einzubinden. Mindestens vier Argumente sprechen dagegen. Das biografische Argument: Das lebenslange Wettern gegen und die ‹wissenschaftliche› Dokumentation über Juden belegen Eifer, Beharrlichkeit und eine tiefe Überzeugung, die Céline rational zu rechtfertigen sucht. Das systematische: Célines Antisemitismus ist Teil eines rassistischen Weltbilds, das die ‹französische Rasse› mit anderen vergleicht und fördern will. Das moralische: Das Delirante, mitunter grotesk Komische der Pamphlete – der kürzlich verstorbene Philippe Sollers behauptete, sie machten ihn lachen – darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Céline todernst ist, auch wenn er die Juden ‹nur› ausweisen möchte. Schließlich das literarische Argument: Sie sind eilig geschrieben, zeugen nicht von Célines üblicher Arbeit am Text; das aber bedeutet, dass ihre Sprache Emotionen nicht kanalisiert – Célines literarisches Grundaxiom –, sondern überschießen lässt. Bei allen sonstigen stilistischen Ähnlichkeiten mit den Romanen: Bewunderer, die den Antisemitismus als literarische Pose im Geiste sonstiger Céline-Exzesse entschuldigen, übersehen diesen zentralen Unterschied. Ein weiterer ist, dass Célines Romanfiguren eben nicht rassistischen Klischees entsprechen.

Céline sucht 1938/39 die Nähe zu antisemitischen Publizisten wie Henry-Robert Petit (Begründer der Zeitschrift Au pilori) oder ‹Wissenschaftlern› wie dem Anthropologie-Professor George Montandon. Später knüpft er Kontakte mit den Besatzern, hat Umgang mit Größen wie Karl Epting (Leiter des Deutschen Instituts), Gerhard Heller (Propagandastaffel, Organisator der Deutschlandreise französischer Intellektueller 1941) und dem Elsässer Hermann Bickler (Leiter des Sicherheitsdienstes, zentraler Organisator der Kollaboration), sowie Künstlern wie dem NS-Bildhauer Arno Breker. Auch wenn manche Begegnung schwierig war – Ernst Jünger beschreibt Céline nach einem Treffen am 7. Dezember 1941 als Psychopathen, der die Juden geschlachtet sehen möchte, ein unglaubwürdiger Bericht, den er später relativiert –, zieht Céline Vorteile daraus: Dank Eptings Hilfe erhält sein Verleger Papier-Sonderrationen, was Denoël Gewinn und Céline die Verbreitung seiner Werke sichert.

Den letzten Schritt hat er nie gemacht: Kollaboration im engeren Sinne, etwa durch offizielle Funktionen oder Ämter unter Vichy, kann man Céline nicht nachweisen. Er hat es vermieden, kompromittierende Artikel zu veröffentlichen; journalistisch nimmt Céline grundsätzlich nur in Leserbriefen Stellung. Diese relative Zurückhaltung steht in krassem Kontrast zu Bekenntnissen wie «Ich bin Rassist und Hitlerianer» oder: «Ich hasse den Juden, die Juden, das Judentum, absolut, grundsätzlich, instinktiv, auf jede Art. Ein perfekter Hass.» Dieser Leserbrief von 1937 war sogar dem späteren Kollaborateur Robert Brasillach zu heiß, um ihn in seinem rechtsextremen Blatt Je suis partout zu veröffentlichen. Das ändert nichts daran, dass die Nachkriegs-Justiz auf damaliger Rechtsgrundlage Céline wenig vorwerfen konnte. Was man juristisch nicht zu fassen bekommt, ist längst nicht gerechtfertigt: Célines Pamphlete haben den Judenhass geschürt, die zeitgenössische Rezeption lässt das erkennen. Céline ist mit seiner Zeit eins, und der Céline-Experte Émile Brami schließt: «Die Zeit der Besatzung ist sicherlich der beste Teil von Célines Leben.».

Dass Céline unverbesserlich ist, beweist er nach Kriegsende. Die Vernichtungslager sind für ihn wahlweise eine Erfindung oder das Resultat jenes Krieges, den die Juden selbst provoziert hätten – im Grunde seien sie an der eigenen Vernichtung schuld, so das zynische Argument. Zwar wendet sich sein späterer Rassismus primär gegen Asiaten, aber er sieht die Juden erneut an den Schaltstellen der Kultur und der Medizin. Politisch und moralisch ist Céline ein Problemfall. Man muss ihm misstrauen – und denjenigen, die ihn verklären.

 

Zum Glück bleibt das Werk – auch wenn die Trennung schwerfällt, so unmittelbar baut es auf Célines Erlebnissen auf. Wie sein Leben steht es im Zeichen der Weltkriege: Die Romane der ersten Schaffensphase sind auf den einen, die vier Romane der zweiten auf den anderen ausgerichtet. In dieser zentralen Hinsicht ist Krieg spannend: Es ist jener Céline-Text, der den Erfahrungen an und hinter der Front am ausführlichsten Gestalt gibt. Krieg vertieft das, was in Reise ans Ende der Nacht nur in einer absurden Episode aufscheint, und füllt die dortige Lücke zwischen Verwundung und Genesung in Pariser Krankenhäusern.

Krieg beginnt unvermittelt (der Anfang fehlt, die erste Seite ist mit der Nummer zehn versehen) mit der Verletzung in der Nähe von Ypern, auf den Schlachtfeldern Belgiens: «Ich habe dann wohl noch einen Teil der folgenden Nacht so dagelegen. Das linke Ohr fest an den Boden geklebt mit Blut, den Mund auch. Zwischen beiden gewaltiger Lärm.» Ferdinand schleppt sich erst allein, dann mithilfe eines englischen Soldaten aus der Kampfzone. Er kommt in eine zum Lazarett umfunktionierte Kirche und dann ins Feldkrankenhaus von Peurdu-sur-la-Lys. Schauplatz des restlichen Romans ist dieses Frontstädtchen, das den Verlust patriotischer Werte im Namen trägt. Denn obwohl die Lys ein realer Fluss ist, der bei Hazebrouck fließt, kann man die Bestandteile des Ortsnamens wörtlich übersetzen mit «Verloren-auf-der-Lilie»: Die Blume symbolisiert dann Frankreich und die Unschuld, «Peurdu» verschachtelt ‹perdu›, ‹verloren›, mit ‹la peur›, ‹die Angst›. Tatsächlich wird diese Ferdinand nicht mehr verlassen: «Der Krieg hat mich im Kopf erwischt», lautet das heute schon legendäre Resümee des Romans.

Das Krankenhaus ist kein Ort der Schonung: Aline L’Espinasse, eine sadistische Krankenschwester, lässt Ferdinand eigenartige Pflege angedeihen, er wird katheterisiert und brutal masturbiert. Nach der Schockbehandlung lernt er Bébert kennen, dessen Name (vermutlich aus Versehen) in der Folge zu Cascade Gontran und Julien Boisson wechselt. Céline-Leser kennen den Namen Cascade (‹Wasserfall›) aus Guignol’s Band: Dort gibt es eine Cascade entsprechende Figur, die aber Farcy Raoul heißt, während deren Londoner Onkel (zu dem Ferdinand in Krieg am Ende aufbricht) den Namen Cascade trägt. Wie auch immer der Name, in Krieg ist Cascade für Ferdinand das, was in der Reise Robinson für Bardamu darstellt: ein radikaleres Alter Ego, ein Lehrmeister in Sachen Anarchismus und Amoralität.

Amoralisch ist Cascade: Die Wunde am Fuß hat er sich selbst zugefügt, um dem Gemetzel zu entkommen. Dass die Rechnung nicht aufgeht, dafür sorgt seine junge Frau Angèle: Cascade lässt die rothaarige Schönheit aus Paris kommen und ihr Gewerbe ausüben, das älteste der Welt. Im Frontstädtchen mangelt es nicht an Kundschaft, die im Café «L’Hyperbole» (‹Die Übertreibung›) – womit uns der Autor eines seiner wesentlichen Stilmittel ans Herz gelegt hätte – abgeschleppt wird; Céline malt mit Genuss deftige Genre-Szenen. Als Ferdinand eine Militärmedaille verliehen bekommt, reisen seine Eltern an: Man begeht den Anlass bei Monsieur Harnache, einem Kollegen von Ferdinands Vater, dessen großbürgerlicher Lebensstil die verklemmten Eltern beindruckt.

Die Feier ist von grandioser Absurdität: Während oben distinguiert parliert wird, ziehen auf der Straße Truppen vorbei, rücken die Einschläge näher. Der Evidenz zum Trotz passt der Krieg nicht ins moralisierende Koordinatensystem: «Es genügte, stets seine Pflicht zu erfüllen, wie mein Vater es sein Leben lang immer getan hatte. Mehr nicht. Sie konnten diese grässliche Welt, eine Folter ohne Ende, nicht begreifen.» Die Zerstörung schleicht sich dennoch ein, der stark alkoholisierte «Tanz der Gefühle» mündet in einen Streit zwischen Cascade und Angèle, im Laufe dessen sie ihn denunziert.

Wenige Tage später wird Cascade verhaftet und als Deserteur exekutiert. Ferdinand ist durch den Tod des Kameraden zwar getroffen, tut sich aber mit Angèle zusammen, die er begehrt. Sie nehmen englische Offiziere aus, Angèle findet einen reichen Beschützer und geht nach England, Ferdinand folgt wenig später – Startschuss für Folgeroman London, der sich ebenfalls unter den wiederentdeckten Manuskripten befindet.

 

Wie stark Krieg auf Célines Erlebnissen aufbaut, zeigt die von Henri Godard besorgte kritische Ausgabe: Reales Vorbild von Peurdu-sur-la-Lys ist Hazebrouck, die Abläufe decken sich mit Célines Verwundung und Krankenhauskarriere. Als Modell der Krankenschwester L’Espinasse kann man Alice David annehmen, mit der Céline angeblich eine Liaison, sicher aber einen Briefwechsel hatte; einzelne Ärzte, die Familie Harnache usw. haben ebenfalls leicht identifizierbare Vorbilder. Selbst Cascade mag einer realen Begegnung entstammen: Godard vermutete in seiner Biografie (vor dem Fund des Manuskripts), dass Céline während eines seiner Krankenhausaufenthalte bei einem Anarchisten in die Lehre gegangen sein muss.

Mit Krieg werden mehr als ein paar Lücken in Célines literarischer Selbstverwandlung gefüllt. Der Roman kondensiert zwei zentrale Erfahrungen: die traumatische Verletzung sowie die Entlarvung des Lebens als über den Krieg hinaus andauerndes Gemetzel. Reise ans Ende der Nacht schildert die Verletzung äußerst knapp, das Fronterlebnis wird vor allem indirekt, in seinen traumatischen Folgen sowie in Sprachbildern, transportiert. Krieg hingegen betont die zentrale Bedeutung der Weltkriegserfahrung durch eindrückliche Bilder: «Irgendwann auf einmal ist die Straße regelrecht an mir hochgestiegen, ganz sachte, ein wahrer Kuss, könnte ich sagen, bis auf Augenhöhe, und ich habe mich draufgelegt wie in ein weiches Bett mit meinem gewaltigen Bombardement im Kopf und allem.» Die Harnache-Szene zeigt explizit, wie das Kampfgeschehen die Zivilgesellschaft mit ekelerregender Krassheit zersetzt: «Der Menschheit war ich nichts mehr schuldig, jedenfalls nicht derjenigen, an die man mit zwanzig glaubt mit Skrupeln so fett wie Kakerlaken, die zwischen sämtlichen Gehirnen und Dingen rumwuseln.»

Passagen wie diese zeigen, dass Céline eine zwiespältige Beziehung zu Gewalt und Emotion hat. An beiden leidet er sein Leben lang: Die körperlichen Spuren seiner Verletzung ist er nicht wieder losgeworden, und seine Affektausbrüche erzeugen heftigen Gegenhass. Dennoch oder gerade deswegen sind sie ihm literarisch ein unverzichtbarer Treibstoff: Célines Romane sind Kriegsmaschinen und Emotionstanker. Im Pseudo-Interview Entretiens avec le Professeur Y