Haarscharf - Christa Bohlmann - E-Book

Haarscharf E-Book

Christa Bohlmann

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Beschreibung

Renate aus Paderborn und Waltraud aus Bielefeld, beide gerade im Ruhestand, haben sich erfolgreich um eine Wohnung in der neuen Senioren-Wohngemeinschaft in Bassum-Osterbinde bemüht. Beide kannten sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Zunächst eitel Sonnenschein in der sechsköpfigen WG, doch dann taucht Heiratsschwindler Bernhard auf, der schon mal der einen und mal der anderen den Kopf verdreht hat. Bald liefern die Frauen sich einen harten Konkurrenzkampf, doch dann beschließen sie: Der muss weg! Endgültig weg meinen sie damit. Gisela Koch, die bereits nach Miss-Marple-Manier zwei Morde aufgeklärt hat, vermutet das Schlimmste und geht der Sache auf den Grund. Dabei gerät sie gehörig in Gefahr und kommt Haarscharf mit dem Leben davon.

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Vorwort

Seitdem ich mich in meinen Büchern „Bittersüß“ und „Apfelgrün und blutrot“ mit Mordgeschichten befasste, habe ich immer wieder betont, dass ich niemals über die Planung oder Ausführung eines Mordes schreiben könnte. Aber man soll eben niemals „nie“ sagen, denn im Buch „Haarscharf“ kommt alles anders.

Wenn ich mit dem Schreiben eines Buches anfange, lege ich sozusagen „den roten Faden“ fest und kann mir das Ende meiner Geschichte schon vorstellen. Will sagen, dass es wieder ein Happy End geben wird. Aber dann trieben die Gedanken manchmal Schabernack mit mir und verleiteten mich, genauer auf einen Mordfall und einen weiteren Mordversuch einzugehen. Ein ganz neues Terrain für mich, das muss ich gestehen.

Zunächst geht es noch recht beschaulich für meine Titelheldin Gisela Koch und ihre Freunde zu, doch dann kommt es ganz dicke und die Gute gerät in große Gefahr. Haarscharf kommt sie mit dem Leben davon. Auch in diesem Buch klärt Gisela Koch einen heimtückischen Mordfall auf, der in Bassum begangen wurde.

Die Handlung und die Akteure sind frei erfunden. Dennoch findet sich der Leser in Osterbinde und Bassum wieder, denn er trifft auf reale Personen, Straßen und Geschäfte.

Ein herzliches Dankeschön an mein Helferteam, das mich bei der Korrektur, bei der Covergestaltung bei der technischen Umsetzung unterstützt hat.

Einen besonderen Dank an Brigitte, die auf meinen Wunsch hin wieder in Alfreds Kamera geschaut hat. Danke euch beiden.

Haarscharf

Anton Winkler war ganz gerührt, als er die Glückwünsche zu seinem 63. Geburtstag von seiner Mitbewohnerin Gisela Koch und deren Lebensgefährten Martin Jansen in Empfang nahm und er verdrückte sogar ein Tränchen der Rührung.

Schon zum zweiten Mal konnte er im Kreise seiner Mitbewohner aus der kleinen, aber feinen Senioren-Wohngemeinschaft in Osterbinde, einem Ortsteil von Bassum, diesen Tag begehen.

Vor fast zwei Jahren hatte das Schicksal diese drei Menschen zusammengeführt und es dabei allzu gut mit ihnen gemeint. Sie wohnten im Hause des Ehepaars Lindemann, das vor Jahren ein großes Anwesen von ihrem Arbeitgeber geerbt hatte. Eine Senioren-WG war die ideale Lösung für den großen Wohnraum, den die Lindemanns nicht alleine nutzen konnten.

Eben weil das Zusammenleben so harmonisch verlief, war Herr Lindemann bald auf die Idee gekommen, eine große, nicht mehr benötigte Lagerhalle abzureißen, um dort ein neues Gebäude für eine weitere Senioren-Wohngemeinschaft entstehen zu lassen. Bis auf einige Innenarbeiten war das Haus bereits fertig gestellt, es fehlten lediglich die passenden Mieter. Die Lindemanns hatten die Suche danach vertrauensvoll in die Hände von Gisela Koch gelegt, denn ihr trauten sie die richtige Menschenkenntnis zu. Gerade sie hatte schon bei der Suche nach ihren Mitbewohnern das richtige Näschen bewiesen. Seit gut zwei Wochen bot Gisela die Wohnungen im Internet und in den hiesigen Zeitungen an.

Gisela Koch hatte bis zu ihrem 60. Lebensjahr in Bremen gelebt und gearbeitet. Ihre erste Station in Bassum war das „Immergrün“, eine Anlage für betreutes Wohnen, gewesen.

Vor fast zwei Jahren war sie nach Osterbinde gezogen, und das war auch gut so.

Seitdem Gisela in Bassum wohnte, hatte sie schon zweimal einen Mörder überführen können. Ohne ihr Zutun wären beide Verbrechen vermutlich nie aufgeklärt worden, weil sie vertuscht werden sollten. Doch dank ihrer Cleverness und ihrer Hartnäckigkeit hatte die sympathische Gisela unmöglich Scheinendes möglich gemacht.

Unterstützt wurde Gisela bei der Aufklärung des ersten Mordfalls durch Kalle Korn, dem in Syke wohnenden Ehemann ihrer Nichte Gaby.

Im zweiten Fall unterstützte sie tatkräftig Martin Jansen, Giselas Lebensgefährte und Mitbewohner. Mit von der Partie war auch, im Rahmen seiner Möglichkeiten, der gute Anton. Der allerdings war nahezu blind, doch auch er hatte mit guten Ideen zum Erfolg beigetragen.

Gisela wurde von allen im Haus verehrt, von Martin sowieso, denn er liebte seine Gisela von ganzem Herzen. Von Anton, dessen Rentnerdasein ohne Gisela ganz schön trist verlaufen wäre, denn sie brachte Schwung in sein Leben. Herr und Frau Lindemann bewunderten Giselas Fein- und Taktgefühl, über das sie auch noch im Ruhestand verfügte. Ihr Berufsleben hatte sie als rechte Hand des Chefs in der Anwaltskanzlei von Herrn von Horn verbracht.

Ohne es zu wollen war Gisela die heimliche Chefin im Hause Lindemann, denn alle sahen anerkennend zu ihr auf und trauten ihr einiges zu.

In der Woche, in der sie den zweiten Mord aufgeklärt hatte, war es ganz schön turbulent zugegangen und alle waren froh, als wieder ruhigere Zeiten angebrochen waren. Alle, bis auf Gisela, die sich schon wieder nach etwas „Action“ sehnte. Es müsste ja nicht gleich wieder ein Mordfall sein, der sie fesselte, doch es könnte aber nicht schaden, denn dann verliefe das Leben etwas bunter und abwechslungsreicher.

In Syke hatte es Nachwuchs gegeben, und das machte Oma Gaby mächtig stolz und glücklich. Ihre Schwiegertochter Nadine und ihr Sohn Michael waren hingerissen von dem kleinen Bündel Mensch, das auf den Namen Mateo hören sollte. Gisela, Martin und Anton waren froh, dass sie die Glückseligkeit mit den Sykern teilen durften.

Gisela las gründlich die Briefe, Mails und WhatsApps in denen sich Interessenten über die geplante Senioren-Wohngemeinschaft informierten. Das neue Haus der Lindemanns hielt fünf Wohnungen bereit, zwei unten und drei in der oberen Etage. Jede war mit einem eigenen Bad und einer kleinen Küche ausgestattet und um die 70 qm groß. Unten gab es einen geräumigen Gemeinschaftsraum, eine großzügige Küche, einen Raum mit Sportgeräten für körperliche Aktivitäten und Platz für fünf Waschmaschinen und Wäschetrockner. Das Ehepaar Lindemann hatte versucht, an alles zu denken, was das Wohnen so angenehm wie möglich machte. Später sollte ein überdachter Laubengang eine Verbindung zwischen beiden Häusern herstellen.

Die neuen Wohnungen waren in der Tat exklusiv und hatten somit auch ihren Preis. In den Angeboten hatte Gisela bereits dezent daraufhingewiesen, dass diese Wohnungen nicht für „n Appel und n Ei“ zu mieten waren.

So las Gisela das Schreiben von der 68-jährigen Annegret Schiffer aus der Sulinger Gegend, deren Mann vor gut einem halben Jahr verstorben war. Ihr machte es Angst, jetzt allein auf dem Bauernhof zu leben. Keiner ihrer vier Kinder wollten damals den Hof übernehmen. Alle wohnten zu weit entfernt, um regelmäßig nach der Mutter sehen zu können. Frau Schiffer versuchte bereits seit Monaten, einen Käufer oder einen Pächter für das große Anwesen zu finden. Nach diesen Angaben sollte es bei ihr nicht an den Finanzen scheitern. Also kam diese Dame in die engere Wahl und wurde demnächst zu einem Gespräch geladen.

Vielversprechend war auch die Mail einer Frau Renate Hartmann aus Paderborn, die als Laborantin in einer Klinik gearbeitet hatte. Sie zeigte Mut für eine massive Veränderung ihrer Lebensumstände, obwohl sich ein „alter Baum“, wie sie schrieb, schlecht verpflanzen ließ.

Interessant war auch das Schreiben eines Herrn Bartels aus Hoya, der für sich und seine Frau ein neues Domizil suchte. Nachdem das Ehepaar ihr Geschäft aufgegeben hatte, sahen sie ihre Zukunft in einer Senioren-WG. Auch sie waren noch auf der Suche nach einem Käufer oder Pächter für ihr Wohn- und Geschäftshaus. Allerdings war Herr Bartels bereits 79 Jahre alt, seine Frau fünf Jahre jünger. Somit wären sie die ältesten Mieter, aber Gisela wollte sich die beiden einmal ansehen und zog auch sie in die engere Wahl. Weshalb nicht auch ein Ehepaar?

Der nächste Kandidat, der die gründliche Vorauswahl durch Gisela bestanden hatte, war Hans Meyerholz, ein 65-jähriger Förster aus dem Raum Bruchhausen-Vilsen. Durch sein Bewerbungsschreiben gehörte er zu den Kandidaten und wurde später zu einem Gespräch geladen.

Einige Bewerber konnte Gisela getrost gleich aussortieren, denn die Alters-, Standes- und Bildungsunterschiede waren zu groß. Die einen verwechselten die Senioren-Wohngemeinschaft mit einem Altenheim oder einer Anlage für betreutes Wohnen. Gisela suchte im Auftrag des Ehepaars Lindemann Senioren, die noch in der Lage waren, selbst für sich zu sorgen. Sicher würden die Lindemanns im Notfall Hilfe leisten, sollte jedoch ein Pflegefall eintreten und sich die Mitglieder der Wohngruppe nicht selbst helfen können, so sollte ein Pflegedienst beauftragt werden.

Nach den Plänen der Lindemanns sollte vor allem alleinstehenden Menschen das Leben durch gemeinsame Unternehmungen bunter gestaltet werden.

Das Schreiben von Werner Bauermann, einem ehemaligen Sportlehrer aus Wildeshausen, fand Giselas interessant. Sein Brief war humorvoll verfasst und das ließ auf eine intelligente Frohnatur schließen. Auch ihn wollte Gisela demnächst gern persönlich kennenlernen.

Gisela hatte nicht erwartet, dass sich doch einige Bewerber aus größerer Entfernung meldeten. Zu ihnen gehörte auch Waltraud Schmedes aus Bielefeld, welche die letzten Wochen ihres Arbeitslebens als Verwaltungsangestellte vor sich hatte. Ihr Schreiben schien ehrlich und seriös und Gisela gesellte es zu den anderen der potentiellen Mieter.

Die Drei: Gisela, Martin und Anton hatten sich auf einen gemütlichen Fernsehabend gefreut, denn es sollte einen neuen „Tatort“ im Fernsehen geben. Genau das war nach Giselas Geschmack, denn sie meinte von sich, dass sie immer noch im lernfähigen Alter sei. Vielleicht könnte sie, was die Recherchen im Verbrechensfall betraf, noch etwas dazu lernen. Der erste TV-Mord war gerade passiert, das erste Schlückchen Wein war genossen, als Giselas Smartphone die Ankunft einer Mail ankündigte. Um die beiden Männer nicht zu stören, verzog Gisela sich mit einem schnellen „Tschüßi“ in ihr eigenes Reich, um sich dort am Schreibtisch der neuen Nachricht zu widmen. Ein Herr Weymann aus Syke hatte sein Interesse wortreich bekundet. Der sah freundlich aus, wie Gisela auf dem anhängenden Foto erkennen konnte. So hatte Gisela erfahren, dass er seit 8 Jahren verwitwet war und allein lebte. Mit seinen 82 Jahren gehöre er noch lange nicht zum alten Eisen und er teilte mit, dass er des Alleinseins müde sei. Eine Senioren-WG wäre genau das Richtige für ihn, denn da hätte man Zeit und Gelegenheit zum Diskutieren.

Hörte sich alles recht vernünftig an, doch dann las Gisela erschrocken weiter. Er schrieb von der Angst, auf die Straße zu gehen, auf der es nur noch vor Kanaken und Flüchtlingen wimmelt. Dann schimpfte er über die Kanzlerin und lobte die in seinen Augen gute politische Zeit von vor gut 75 Jahren, in der es ausschließlich gute Deutsche gab.

Na, das hätte ja noch gefehlt – so ein rechtes Früchtchen in der neuen WG! Und weil Gisela hoffte, dass der liebe Gott auch mal eine Notlüge gestattet, schrieb sie zurück, dass man sich bereits für die passenden Mieter entschieden habe.

Das war ja alles gut und schön, aber doch etwas voreilig, denn die Anzeigen würden noch einmal in den Wochenendausgaben der hiesigen Zeitungen erscheinen.

Sollte sich dieser Mensch noch einmal melden, ließe sich dieses Problem sicherlich lösen.

Martin und Anton hatten sich abgesprochen: Beim Erscheinen von Gisela wollten sie sich über ihre geliebte und geschätzte Mitbewohnerin unterhalten und so tun, als hätten sie Giselas Rückkehr nicht gehört. Die blieb mucksmäuschenstill in der Tür stehen, als sie hörte:

„Du weißt ja, was sie macht, das macht sie gründlich.“

„Auch wenn sie sich dabei überschätzt und sich vielleicht übernimmt, sie muss ihr Ding machen – aber perfekt, bitteschön!“

„Immerhin hat sie mit ihrer Hartnäckigkeit aber schon zwei Mörder zur Strecke gebracht. Woher hat sie bloß diesen Instinkt?“

„Und diese Zielstrebigkeit?“

„Man könnte richtig Angst vor ihr bekommen.“

„Angst doch nicht! Aber Respekt!“

„Ach, wenn ich sie doch nur nicht so lieben würde. Mir bleibt immer die Sorge, es könne ihr etwas zustoßen! “

„Im Grunde ist es ja auch Lindemanns Sache, sich um die passenden Mieter zu kümmern. Aber sie hat sich nur zu gerne bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen.“

„Vergiss nicht, dass sie dafür ein ganz glückliches Händchen hat, denn sonst wären wir Drei nicht zusammen gekommen.“

Das war der Augenblick, in dem Gisela sich in das Gespräch einmischte:

„Ihr seid mir zwei Schmeichler. Ich habe euch schon eine ganze Weile zugehört.“

„Das war uns klar, aber so weißt du doch, wie wir über dich denken.“

Martins Augenzwinkern konnte Gisela sehen, Anton konnte es lediglich vermuten.

Erst nach Ende des Tatorts berichtete Gisela von der seltsamen Mail des Herrn Weymann aus Syke. Dadurch hatten sie noch ausreichend Gesprächsstoff für den Rest des Abends.

Gisela war der Meinung, dass es richtig sei, die bislang ausgewählten Bewerber erst einmal in Augenschein zu nehmen. Selbstverständlich lag die Entscheidung letztendlich in Händen des Ehepaars Lindemann. Morgen wollte sie den Lindemanns diesen Vorschlag unterbreiten und wenn die einverstanden waren, sollten die Interessenten nacheinander zum Gespräch und zur Besichtigung der fast fertigen Räume am übernächsten Wochenende eingeladen werden.

„Dann hätten wir doch zwischendurch ein paar Tage Zeit für einen Kurzurlaub. Was meint ihr?“, schlug Martin vor.

Zunächst stutzte Gisela, denn der Vorschlag kam ziemlich überraschend. Immerhin – ein paar Tage Luftveränderung konnten sicher nicht schaden. Wohlwollend nahm Martin Giselas zustimmendes Kopfnicken wahr, die dann meinte: „Sei ehrlich, mit dem Gedanken befasst du dich doch schon länger, oder? Hast du dir auch schon ein Ziel ausgesucht?“

„Erst mal hören, was Anton dazu sagt“, antwortete Martin.

Der war natürlich sofort Feuer und Flamme für die willkommene Abwechslung.

„Als ich jung verheiratet war, haben wir mal Urlaub im Weserbergland gemacht und der ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben. Wir waren in Bückeburg und in Detmold. Blomberg fand ich reizvoll und auch Bad Meinberg. Das ist ja schon Ewigkeiten her und ich würde mir diese Ecke gern mal wieder ansehen. Ist ja auch gar nicht weit. Was meint ihr?“

Die Entscheidung wurde noch am selben Abend getroffen und im Grunde war Gisela froh, etwas Abstand zur Mietersuche zu bekommen.

Die Lindemanns waren mit Giselas Vorschlag einverstanden und die machte sich gleich an die Arbeit und verschickte die Einladungen zum gegenseitigen Beschnuppern mit den möglichen Mietern. Derweil packte Martin seinen Koffer und auch den von Anton. Gisela wollte er später gern dabei behilflich sein, allein traute er sich das nicht zu.

Nun ging es um die Frage, ob sie vorab ein Quartier buchen sollten oder ob sie sich spontan vor Ort entscheiden sollten.

Sie entschieden sich für das Letztere und fuhren schon am nächsten Tag los. Auf ihrem Programm standen allerlei Sehenswürdigkeiten, die sie sich in Erinnerung bringen oder die sie erstmalig besichtigen wollten.

Es war Ende April und die gelben Rapsblüten auf den riesigen Feldern in der sanfthügeligen Landschaft des Weserberglands bestimmten das Bild. Leider konnte Anton sie nicht sehen, doch der typische Geruch der rapsschwangeren Luft blieb ihm nicht verborgen.

Nachdem sie „Die Pforte nach Westfalen“, Porta Westfalica, passiert hatten, verweilten die Drei ein paar Stündchen in Rinteln und fuhren nach Hameln, wo sie sich für ein schönes Hotel im Fachwerkstil entschieden. Das war ein strammes Programm für den Anreisetag und so waren sie froh über ihr gutes Quartier. Abends wurde das Gesehene und Erlebte erst einmal verdaut und Gisela und Martin erklärten Anton das, was er selbst nicht sehen konnte.

Sie sollten froh sein, dass sie sich am ersten Tag schon so viel vorgenommen hatten, denn am nächsten Tag machte der April seinem Namen alle Ehre: Immer wieder gab es kräftige Regenschauer, die ihnen die Lust an den geplanten Stadtbummeln nahm. So ließen sie es ruhig angehen und schmiedeten Pläne für die nächsten Tage.

Gisela wollte gern zum Hermannsdenkmal und Martin hatte Lust, die Externsteine zu besichtigen und zu besteigen. Diese markante Sandstein-Felsformation hatte er noch aus seiner Schulzeit in Erinnerung. Sie zogen eine Dampferfahrt auf dem Schieder-See in Erwägung und überlegten, ob sie dem Safaripark in Stukenbrock einen Besuch abstatten sollten. Der Teutoburger Wald hatte so viel zu bieten und war doch nur gut 150 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt. Trotz des Regens waren sie sich einig, dass es hier noch viel zu ergründen gab.

Die beiden Männer merkten aber, dass Gisela nicht ganz bei der Sache war. In Gedanken befasste sie sich zwischendurch immer wieder mit der Mietersuche. Martin und Anton gaben ihr Bestes, um Gisela davon abzulenken und ihr den Kurzurlaub schmackhaft zu machen. Nur zu gut kannten sie Giselas Art, sich in einer Sache zu verbeißen. So wie im letzten Jahr, als sie einen Mörder überführte und eine Autoschieberbande auffliegen ließ.

Gleich nach dem Mittagessen entschlossen sie sich, doch noch den Safaripark zu besuchen. Da könnten sie im Auto bleiben, um die wilden Tiere anzusehen. Sollte es doch regnen!

Giraffen, Löwen und Tiger waren anscheinend auch keine Regenfreunde und hatten sich meist in ihren Höhlen und Grotten verkrümelt. Verschiedene Affenarten konnten von den drei Freunden beobachtet werden und sie erschraken, als der Vogel Strauß mit seinem harten Schnabel gegen die Frontscheibe pochte. Martin beantwortete geduldig Antons Fragen, bis dessen Wissensdurst gestillt war. Bei besserem Wetter hätten sie diesen Trip richtig genießen können.

Gisela riss sich mächtig zusammen, um „ihren Jungs“ nicht die Laune zu verderben. So sehr sie sich auch bemühte, ihre Gedanken schweiften immer wieder ab und sie war in Gedanken in Osterbinde auf Mietersuche.

Am nächsten Tag kam es noch dicker: Es war trübe und ein leichter Nieselregen reduzierte die Urlaubsstimmung der Drei. Dennoch machten sie sich nach dem Frühstück auf den Weg in Richtung Bad Pyrmont. Der historische Kurpark mit dem Palmengarten, der als einer der schönsten Parks in Europa gilt, fand als erstes das Interesse der Urlauber. Sie bestaunten die große Fontäne und das Lortzing Denkmal. Wie sehr bedauerten sie, dass das Wetter gerade jetzt verrückt spielte und ihnen die Laune vermieste. Plötzlich fiel Giselas Blick auf ein Werbeschild für die Hufeland-Therme. Wie dumm, dass sie keine Badesachen dabei hatten. Sich in der Therme verwöhnen lassen, das könnte doch für das Schietwetter entschädigen. Als Gisela auch noch ein Geschäft entdeckte, in dem Bademoden angeboten wurden, gab es keinen Halt mehr. Doch das musste sie erst einmal ihren beiden Begleitern schmackhaft machen.

„Anton, wie ist das mit dir, kannst du schwimmen?“, fragte Gisela interessiert.

„Na klar! Ich muss nur einen an meiner Seite haben, damit ich die Spur halten kann.“

So leicht hatte sie es sich nicht vorgestellt, sie hatte mit einem größeren Aufwand an Überredungskunst gerechnet. Der Besitzer des kleinen Fachgeschäfts konnte sich freuen, denn in kurzer Zeit konnte er drei Duschtücher, zwei Badehosen, einen Badeanzug und drei Paar Badelatschen verkaufen. Da sie ausreichend gefrühstückt hatten, versäumten sie keine Zeit und steuerten die Therme direkt an. Sogar Wasser-Shiatsu wurde angeboten.

Nachdem sie ausreichend geschwommen waren, entspannten sie nacheinander genüsslich beim Wasser-Shiatsu. Anton wandte sich in der Wartezeit an Gisela: „Ich bin so unsagbar froh, dass wir uns so gut verstehen und dass ich zu euch gehören darf. Ich fühlte mich so sicher , weil Martin neben mir schwamm. Wie einsam wäre mein Leben doch, hättest du dich nicht für mich als Mitbewohner entschieden. Ich danke Gott jeden Tag dafür.“ Gisela freute sich über Antons Worte und bestätigte ihm, dass sie ihre Entscheidung nie bereut hatte. Nachdem alle Drei das halbe Stündchen Anwendung hinter sich hatten, wurde es Zeit für einen kleinen Snack. Als Nachtisch gönnten sie sich nochmals Entspannung, dieses Mal in der Meersalzgrotte.

Die Drei waren die einzigen Gäste in der Grotte und ließen die Seeluft auf sich wirken. Bequem lagen sie auf ihren Liegen und dösten vor sich hin. Ein leises Schnarchen war von Zeit zu Zeit aus Antons Richtung zu hören. Plötzlich schreckte Gisela, wie von der Tarantel gestochen hoch. Sie erschrak sich selbst, legte sich wieder hin und tat so, als sei nichts geschehen. Zu spät, denn den Männern war Giselas Reaktion nicht verborgen geblieben.

„Was ist mein Hummelchen? Wadenkrampf? Oder hast du schlecht geträumt?“, wollte Martin wissen. Er zeigte sich damit wieder sehr besorgt um sein Hummelchen, wie er Gisela liebevoll nannte.

„Alles gut – wir haben noch 10 Minuten. Erzähle ich euch gleich, wenn wir wieder draußen sind. Psst jetzt!“

„Und? Was war denn?“ Martin wollte es gleich erfahren.

So ein bisschen druckste Gisela herum, denn sie zweifelte inzwischen selbst an ihrer Spontan-Idee aus der Grotte.

„Mir ist klar geworden, dass sowohl Paderborn und Bielefeld hier gerade um die Ecke liegen. Da könnten wir doch mal die beiden Interessentinnen besuchen. Mal sehen, wie sie ticken und wie sie wohnen. Frau Lindemann gibt uns bestimmt die Adressen der beide Damen durch, wenn wir sie anrufen.“

Wie abgestimmt hörte sie Martin und Anton zugleich: „Gisela! Urlaub!“

Durch die Betonung der beiden Wörter hatte sie unschwer eine Abfuhr erkennen können.

Das Wetter schien am nächsten Tag etwas besser zu werden und deshalb entschlossen sie sich, Detmold zu erkunden. Gisela war entzückt von der Lippischen Rose, die fast jeden Fachwerk-Giebel zierte. Diese Rose mit fünf roten Blütenblättern, fünf gelben oder sogar goldenen Kelchblättern und in der Mitte dem gleichfarbigen Butzen, war früher das Wappenzeichen der Edelherren zur Lippe, wie Gisela im Internet erkundet hatte.

Martin schwärmte von den prächtigen Fachwerkhäusern und er beschrieb sie Anton in allen Einzelheiten.

Nachdem sie das Detmolder Schloss und den angrenzenden Schlosspark besichtigt hatten, meldete sich der Hunger.

„Was sind eigentlich Pickert? Kennst du die?“, fragte Martin. Dank Smartphone und Internet konnte Gisela fast jede Frage spontan klären.

„Das ist eine Lippische Spezialität. Pickert, das sind Kartoffelreibekuchen, die mit Mehl zubereitet werden. In der Regel wird dazu Zuckerrübensirup oder Leberwurst gereicht.“ Bei Leberwurst verzog Gisela gleich ihr Gesicht, denn diese Kombination konnte sie sich nicht vorstellen.

„Dann ist das wohl eine Mischung zwischen Pfannkuchen und Kartoffelpuffer. Ist bestimmt ziemlich fettig, oder?“

Sie fanden ein Restaurant, das diese Spezialität auf der Werbetafel anbot.

Als Anton bestellte: „ Ich nehm dann bitte drei Pickert“, sah er nicht, wie die Kellnerin die Augen verdrehte. Sie klärte auf, indem sie die Größe eines Pickerts beschrieb. Einer, tellergroß, sollte demnach sicher ausreichend für eine Mahlzeit sein. Martin bestellte sich Sirup und auch Leberwurst dazu, denn er wollte feststellen, ob ihm die süße oder die herzhafte Variante besser schmeckt.

Die Drei fanden das Essen lecker und sie wussten nur zu gut, dass sie gerade eine Kalorienbombe verspeist hatten.

Frisch gestärkt steuerte Martin das Hermanns-Denkmal an.

Anton hörte Martin interessiert zu, der ihm das große Denkmal zu Ehren des Cheruskerfürsten Arminius beschrieb. Was er nicht sehen konnte und auch nicht wusste, las er von der Info-Tafel ab. So erfuhr auch Anton, dass diese Kolossalstatue im Jahr 1875 von dem Architekten Ernst von Bandel erbaut wurde. Anton staunte über die Gesamthöhe des Denkmals von 53 m, wobei die Figurhöhe 26 m beträgt. Die Kupferplatten, mit denen die Figur belegt ist, ließ die Figur grün erscheinen. Gisela war etwas unpässlich nach dem mächtigen Pickert, dass sie nur stumm zugehört hatte. Erst als Martin las, dass das nach oben gereckte Schwert eine Höhe von sieben Metern hatte, gab sie wieder ein Lebenszeichen von sich. Gisela und Martin genossen aus der Höhe die Aussicht auf die vor ihnen liegende Landschaft, in der das Gelb der Rapsfelder die Farbe bestimmte.

Bald danach brachen sie auf, denn sie hatten noch die Besichtigung der Externsteine geplant, die sich nicht weit entfernt in die Höhe streckten.

Unterwegs fuhr Martin eine Tankstelle an, denn es wurde Zeit, den Tank zu füllen. Auf dem Tankstellengelände kam ihnen ein roter Skoda entgegen, der an der vordersten Zapfsäule hielt. Als Martin aussteigen wollte, hielt Gisela ihn mit einem energischen „Halt! Stopp!“ zurück. Verwundert schaute Martin Gisela an, die aufgeregt auf den Wagen zeigte.

„Da ist was nicht in Ordnung!“, schrie sie. Und dann: „Wo ist der Knopf für die Innenverriegelung?“ Martin sah jetzt auch, dass die zwei Männer, die aus dem Wagen gestiegen waren, beide Türen weit geöffnet ließen. Sie hasteten auf den Eingang zu. Einer der beiden rief und es klang irgendwie zynisch: „Halt, erst mal volltanken.“

Auch während des Tankvorgangs blieben die beiden vorderen Türen geöffnet.

Anton fühlte die Aufregung, wagte in diesem Moment aber nicht, nach der Ursache zu fragen. Es war wohl wieder mal Giselas Bauchgefühl, dass sie zum Smartphone greifen ließ.

Für alle Fälle machte sie Fotos von den Männern, vom Auto und natürlich auch vom Kennzeichen. Die beiden verschwanden hastig im Verkaufsraum.

„Ach komm, was du wieder hast. Du siehst doch, sie bezahlen jetzt. Ich tanke jetzt.“

Wieder hielt Gisela ihren Martin am Ärmel fest.

Weil sich das Licht teilweise in den Schaufensterscheiben spiegelte, war die Sicht in das Innere des Verkaufsraums kaum möglich.

„Da, hast du gesehen? Der Größere hat sich gerade eine Maske übers Gesicht gezogen!“

Jetzt gab es keinen Halt mehr für Gisela und sie wählte die 110.

„Weg hier! Bloß weg hier!“, schrie jetzt auch Martin.