Schwalben über meiner Heimat - Christa Bohlmann - E-Book

Schwalben über meiner Heimat E-Book

Christa Bohlmann

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Beschreibung

Das Schwalbenpaar Wolfgang und Grete kehrte mit den Kindern Tim, Tom, und Marie nach langem Rückflug aus Afrika in ihre Heimatstadt Bassum zurück. Wie auch in den Jahren zuvor, wollen sie wieder bei Annette und Wilfried wohnen. Hier fühlten sie sich geborgen und sie sind sehr dankbar, weil Annette schon zweimal Grete vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Der kluge Wolfgang erklärt den Kindern, was die Stadt Bassum so lebens- und liebenswert macht. Das Buch beinhaltet dreierlei: eine Fabel mit den Akteuren Wolfgang und Grete, wahre Erlebnisse mit Schwalben von und mit Annette und Wilfried und Wissenswertes über das Bassum von heute.

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Foto Alfred Rozenvalds

Vorwort

Nachdem ich bereits einige Bücher mit Kindheitserinnerungen aus meiner Heimat Bassum und Osterbinde geschrieben hatte, lag es mir am Herzen, etwas über das heutige Bassum zu schreiben. Über meine liebens- und lebenswerte Heimatstadt gibt es viel zu berichten, denn da findet man so einiges, was Bassum einzigartig macht. In der heutigen Zeit wird der Begriff „Heimat“ allerdings häufig von Andersdenkenden missbraucht.

So überlegte ich, wer wohl an meiner Stelle von Bassum berichten könnte. Einige Ideen hatte ich bereits verworfen, dann entschied ich mich nach reiflicher Überlegung für ein Schwalbenpaar, das nach der Winterpause wieder die Heimatstadt Bassum erreicht:

Grete und Wolfgang mit ihren Kindern aus der letzten Brut Tim, Tom und Marie.

Nun musste so ein Schwalbenpaar ja auch irgendwo heimisch sein, aber wo? Ich klapperte in Gedanken die Bauernhöfe aus der Umgebung ab, um irgendwo nachzufragen, ob „meine Schwalben“ bei den Besitzern wohnen dürften. Dann hatte ich einen Geistesblitz, denn es fiel mir mein Cousin Wilfried ein, der mit seiner Frau Annette am Stadtrand von Bassum auf einer Hofstelle wohnt.

Auf meine Frage, ob die Schwalben bei ihm wohnen dürften, erhielt ich zunächst keine Antwort. Stattdessen fragte Wilfried seine Frau:

„Annette, Christa will ein Buch über Schwalben schreiben. Dürfen die bei uns wohnen?“

Ich hörte einen Jubelschrei von Annette

„Jaaaaaa!“

Wilfried erzählte, dass seit vielen Jahren Rauchschwalben auf der Hofstelle heimisch sind – im Pferde- und Hühnerstall und in der Diele. Er berichtete von Rettungsaktionen junger und erwachsener Schwalben. Annette erklärte sich bereit, ihre Schwalben-Erlebnisse aufzuschreiben. Schon nach einigen Tagen hatte ich ein paar Seiten mit handschriftlichen Aufzeichnungen bekommen.

Aber so einfach schien es doch nicht zu sein, denn ich wusste zu wenig vom Leben der Schwalben und musste mich erst kundig machen.

Entstanden ist somit eine Liebeserklärung an meine Heimatstadt Bassum, eine Fabel mit den Hauptakteuren Grete und Wolfgang, dem erdachten Schwalbenpaar, gespickt mit den wahren Erlebnissen von Wilfried und Annette.

Auch in diesem Buch wurde ich von lieben Menschen unterstützt, die ich, weil mir alle sehr am Herzen liegen, in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt habe:

Ein herzliches Dankeschön an Alfred für die wunderschönen Schwalbenfotos.

Ein besonderer Dank an Annette und Wilfried, ihre „Schwalben-Erlebnisse“ haben das Buch sehr bereichert.

Danke Eckhard, für deine technische Unterstützung.

Ich danke Heinz für seine Geduld und sein Verständnis.

Petra, herzlichen Dank für dein Korrekturlesen und die Fotos.

Ich danke Rosi, die wieder als Lektorin tätig war.

Einem, dessen Fotos ebenfalls im Buch zu finden sind, kann ich nicht mehr danken, meinem Sohn Andreas.

„Endlich sind wir wieder in unserer Heimat, liebste Grete!“

„Wie? Sind wir schon in Bassum?“, fragte Grete.

Wolfgang, Gretes Mann, der fast alles wusste, klärte auf:

„Nein, mein Schatz, so schnell geht das nicht. Schau nach unten, da siehst du den Bodensee. Das heißt, wir haben unsere Heimat Deutschland erreicht. Wenn du magst, können wir uns jetzt etwas erholen, immerhin haben wir schon 6000 Kilometer nonstop hinter uns. Von Afrika ist nichts mehr zu sehen.

„Frag die Kinder, vielleicht wollen die mal zwischenlanden.“

„Okay“, Wolfgang drehte eine Runde und schaute sich nach seinen Schwalbenkindern um: nach seinen Söhnen Tim und Tom und seiner jüngsten Tochter Marie.

Er fand seine Familienmitglieder bald aus dem Schwarm der heimkehrenden Zugvögel heraus.

„Wie ist es? Rast machen? Oder habt ihr noch die Kraft zum Weiterfliegen? Immerhin sind es noch fast 1000 Kilometer bis nachhause.“

„Von mir aus können wir gerne zwischendurch landen. Meine Flügelansätze tun verflixt weh. Ich glaub, ich hab Arthrose“, jammerte Tom.

„Okay, dann folgt mir“, schlug der Schwalbenvater vor.

Elegant landeten alle Fünf auf dem First eines Daches. Sie hatten sich viel zu erzählen.

Es war ein sonniger Tag im April und die Mücken tanzten in der Sonne über dem Wasser. Welch ein Schmaus für die ausgehungerten Schwalben.

Sie plauderten noch über dies und das, was sie auf ihrem Flug aus Afrika gesehen oder erlebt hatten. Ihre Empfindungen waren durchaus unterschiedlich.

Dann aber drängte Wolfgang zum Weiterflug.

„Jetzt fliegen wir erst über Baden-Württemberg, dann über Hessen und sind bald endlich in unserer Heimat, in Niedersachsen.“

Marie verdrehte die Augen, denn der Vater sprach zum zweiten Mal von der Heimat.

Das sollte er ihr später mal erklären.

Der Schwarm, mit dem sie geflogen waren, war längst weg. Aber die Fünf schlossen sich einem anderen Schwarm rückkehrender Zugvögel an, die auch wie sie, den Norden als Ziel hatten. Ja, der Norden! Ein kalter Wind wehte ihnen entgegen und erschwerte ihren Flug.

Während des Fluges hielt Wolfgang wieder seinen Aufklärungsunterricht:

„Gleich verlassen wir das Bundesland Hessen und überfliegen bei Hann. Münden die Grenze zu Niedersachsen. Da, seht ihr die beiden Flüsse, die zu einem zusammenfließen? Das sind die Fulda aus dem Westen und die Werra aus dem Osten.

An dem Zusammenfluss entsteht die Weser, die bis zur Nordsee fließt. Wir brauchen nur die Weser im Auge zu behalten und biegen kurz hinter Hoya in den Landkreis Diepholz ab, in unsere Heimat.“

Was der Vater doch alles wusste! Die Kinder waren immer wieder erstaunt, obwohl es manchmal auch nervte, wenn er ihnen sein Wissen aufzwingen wollte. Er musste ein besonders gutes Gedächtnis haben, denn sein Wissen war ihm von seinen Vorfahren vermittelt worden. Ob der Vater noch einmal den Flug ins Winterlager schaffen würde?

Immerhin war er bereits sieben Jahre alt und somit fast ein Schwalbengreis. Er war ein kluger und schöner Vater aus der Familie der Rauchschwalben. Tim, Tom und Marie waren die Kinder von Wolfgang und Grete aus der zweiten Brut des letzten Jahres. Zu den Kindern der vorherigen Generationen war der Kontakt längst nicht mehr so intensiv. Die flatterten schon lange durch ihr eigenes Leben. Und sie, diese Kids, würden schon bald ihr eigenes Nest bauen. Tim und Tom hatten auf dem Flug bereits geflirtet und einigen Schwalbenmädchen den Kopf verdreht. Entschieden hatten sie sich noch nicht für die Schwalbe ihres Lebens. Marie hatte das Werben von Harald bereits erhört.

Für ihn wollte sie nur zu gern die Eier ausbrüten. Aber noch war es nicht soweit.

Wolfgang forderte zum Weiterflug auf und erklärte Grete und den Kindern den Weg. Sie alle behielten die unter ihnen fließende Weser im Auge und flogen über Höxter und Bodenwerder nach Hameln. Wolfgang berichtete über den Lügenbaron Münchhausen, der in Bodenwerder geboren wurde und dort lange seinen Wohnsitz hatte. Es folgten in Hameln die Erzählungen über den legendären Rattenfänger, der die Stadt der Sage nach im Jahr 1284 von der Rattenplage erlöst hatte. An der Porta Westfalica machten sie kurz Halt und umflogen das Kaiser-Wilhelm-Denkmal.

„Hier, hier könnten wir doch bleiben“, riefen die Kinder begeistert. Es ist doch wunderschön hier.“

„Ihr habt ja Recht. Hier ist es wirklich wunderschön. Aber das werden viele andere Schwalbenpaare genauso finden und sich hier niederlassen. Im Sommer, besonders an den Wochenenden, wird es hier Besucherströme geben. Das würde viel zu unruhig für uns sein.

Foto Andreas Bahrs

Glaubt mir und fliegt mit uns weiter nach Bassum, in unsere wunderschöne Heimat.

Ich kann es kaum erwarten, wieder da zu sein.“

Und Grete nickte zustimmend.

So flogen sie gemeinsam weiter nach Minden. Auch hier fielen ihnen die vielen schönen Fachwerkhäuser ins Auge, die ihnen schon in den anderen Städten an der Weser aufgefallen waren. Wolfgang konnte wieder sein Wissen preisgeben. Er zeigte den Kleinen das Wasserstraßenkreuz in Minden, wo der Mittellandkanal in einer fast 400 Meter langen Trogbrücke über die Weser geführt wird. Entgegen der Weser mit dem Süd-Nord-Verlauf sahen sie den Mittellandkanal, der vor vielen Jahren in West-Ost-Richtung erbaut wurde. Natürlich war auch die berühmte Schachtschleuse Thema in Wolfgangs Bericht.

Der Flug ging in Richtung Nienburg, wobei die Schwalben sich weiter nach dem Weserverlauf richteten.

„Nienburg erkenne ich leicht an dem historischen Wasserturm. So einen findet man sonst nicht. Und seht euch die wunderschönen Fachwerkhäuser an. Mal schauen, ob das Storchennest mitten in der Innenstadt wieder bewohnt ist.“

Wolfgang war mit seinen Erklärungen ganz in seinem Element. Dann wurde es für die Kleinen spannend, denn Wolfgang berichtete von der Staustufe bei Drakenburg. Zu sehen war ein Wehr, eine integrierte Schleuse und ein Wasserkraftwerk. Seit Betriebsbeginn im Jahr 1955 können die Schiffer über den Schleusenkanal ihre Fahrt erheblich verkürzen. Durch den Kanal wurde die Passage der großen Schiffe möglich.

„Ihr könnt erkennen, dass der Kanal schnurgerade verläuft, die Weser fließt in diesem Bereich dagegen sehr bogenreich. Wir nehmen jetzt auch den kurzen Weg über den Kanal bis Hoya.“

Lange konnte Wolfgangs Schnabel nicht still stehen: „Der kleine Ort da unten heißt Balge, der nächste Schweringen. Zwischen beiden Ortschaften könnt ihr den Zusammenfluss von Weser und Kanal sehen. Mit dem Bau des Kanals haben die Menschen der Natur ein richtiges Schnippchen geschlagen.“ In Hoya verwies Wolfgang auf die große Weserbrücke, den Segelflughafen, das große Grafenschloss und auf den weißen Qualm der Papier- und Kartonfabrik. Und er warnte:

„Hütet euch vor einem Zusammenprall mit einem der Segelflieger. Das könnte gefährlich für euch werden. Also keine Kunstflüge veranstalten, hört ihr.“

Der Vater konnte es nicht lassen, seine Kinder auf die Gefahren hinzuweisen. Dabei wusste er genau, dass er sie loslassen musste, es würde nicht lange dauern, bis sie selbst Schwalbeneltern wären. Aber so gab er ihnen gutes Rüstzeug mit auf den Weg. Grete schwieg meistens, aber sie war sehr stolz über das Wissen ihres geliebten Mannes.

Tim flüsterte Tom leise zu: „Pass auf, gleich sagt er wieder ‚bald sind wir in unserer Heimat’. Wetten dass?“

Und damit sollte Tim Recht haben.

„Haltet euch westwärts. Wir fliegen jetzt in Richtung Bruchhausen-Vilsen. Uns fehlt nun die Weser als Orientierungspunkt.“

Es dauerte nicht lange, bis sie Bruchhausen-Vilsen erreicht hatten. Zusammen mit seiner Familie flog der Vater zunächst zum Kurpark und sie hörten Stimmen der Spaziergänger:

„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer!“

„Was meinen die damit?“, wollte Marie wissen.

Dieses Mal gab Mutter Grete die Erklärung dazu: „Also, kehrt eine einzelne Schwalbe aus dem Süden zurück, hat das noch keine Aussagekraft zum Wechsel der Jahreszeiten.

Erst wenn viele unseresgleichen am Himmel zu sehen sind, kann man davon ausgehen, dass der Sommer im Anmarsch ist.“ Wie fein sich die Mutter doch ausdrücken konnte.

Im Kurpark blühten die Blumen in den schönsten Farben um die Wette. Elegant fingen die fünf Insektenfresser im Flug ihre Nahrung. Der Tisch war hier sozusagen reichlich gedeckt.

„Hier ist es so schön, hier möchte ich bleiben“, Tom war sich seiner Sache sicher.

Sein Bruder Tim schloss sich an. „Ich auch!

Wo in der Welt mag es schöner sein?“

„In Bassum, in unserer Heimat natürlich!“

„Du immer mit deiner Heimat. Was bedeutet eigentlich Heimat?“

„Die einen sagen so, die anderen so. Heimat ist da, wo ich geboren bin. Heimat ist da, wo ich gerne lebe, wo ich zuhause bin. Ich denke da an meine Familie und meine Freunde und ich bin vertraut mit dem Ort. Ja, ich gebe zu, dass ich Heimweh habe, wenn ich im Winter im Süden bin. Wir haben es gut, denn wir sind vogelfrei. Bei den Menschen ist das anders, denn seit ewigen Zeiten mussten viele fliehen oder sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Sie mussten sich eine neue Heimat suchen, was oft nicht so einfach war.

Ich schlage vor, ihr bleibt mit uns ein paar Tage in Bassum, denn da seid auch ihr geboren. Dann könnte ihr selbst entscheiden, wo ihr euer Nest bauen wollt.“ Vater Wolfgang hatte gesprochen, hatte er sie überzeugen können?

Sie überflogen Neubruchhausen und erreichten Osterbinde, einen Ortsteil von Bassum.

Plötzlich wurde Wolfgang ganz aufgeregt:

„Seht da auf der rechten Seite kurz nach dem Sportplatz: Könnt ihr das schneeweiße Fachwerkhaus sehen? Das ist der Hof von Makowka. Der wird aber nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. Platz um Nester zu bauen gibt es da noch reichlich. Wenn ich dieses Haus aus der Ferne sehe, weiß ich, dass ich meine Heimat Bassum erreicht habe.“