Hafenstadt an der Felda - Rolf Leimbach - E-Book

Hafenstadt an der Felda E-Book

Rolf Leimbach

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Beschreibung

Das vorliegende Buch ist ein gemeinsames, drittes Opus von Rolf Schlegel und Rolf Leimbach, die Geschichte des Heimatortes Stadtlengsfeld zu erforschen, aufzuarbeiten und einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen. Der Inhalt basiert auf der Fülle historischen Informationen, persönlichen Lebensläufen sowie Gesprächen mit Zeitzeugen. Die populären Darstellungen zielen auf einen breiten Lesekreis ab, v. a. auf Bürger von Stadtlengsfeld sowie Weilar, Gehaus, Geisa etc., auf Heimatforscher, auf Lehrer und Schüler. Die große Menge der verflochtenen Zusammenhänge, historischer Literatur ist so aufbereitet worden, dass dem interessierten Leser Neuigkeiten und Wissenswertes zugänglich wird. Eintausend Jahre Geschichte eines kleinen Städtchens in der Rhön bieten genügend Stoff für Anekdoten, kuriose Begebenheiten und sachgemäße Information. Die kurzweilig geschriebenen Kapitel zur Historie, Personen, Intrigen sowie Inhalten geben Anlass zum Staunen und Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken! Die souveräne Auswahl der Themen, Sortierung und ihre prägnante Abhandlung lassen Sachverstand und nötiges Einfühlungsvermögen der Autoren erkennen. Dass einst Pläne existierten, einen Schifffahrtskanal durch Stadtlengsfeld zu bauen, dass Lengsfelder in Amerika Klaviere bauten, dass die Boineburger Herren Wurzeln bis ins 10. Jahrhundert hatten, und dass uralte Wege nach Lengsfeld führen, sind nur einige von vielen Enthüllungen zur Geschichte der Heimat.

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Autoren

Prof. Rolf Schlegel, ist Emeritus für Zytogenetik, Genetik und Pflanzenzüchtung, nach über 40 Jahren Erfahrung in Forschung und Lehre. Er ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen und anderen Abhandlungen, Koordinator internationaler Forschungsprojekte und Mitglied mehrerer internationaler Organisationen. Er veröffentlichte bereits erfolgreich fünf Fachbücher in englischer Sprache, herausgegeben von drei amerikanischen Verlagen. Rolf Schlegel diplomierte 1970 auf dem Gebiet der Genetik und Pflanzenzüchtung und promovierte 1973. Die Habilitation (Dr. sc.) folgte 1982. Er war langjährig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem Institut für Genetik und Kulturpflanzenforschung der Akademie der Wissenschaften, in Gatersleben, dem Institut für Getreide- und Sonnenblumenforschung, Dobrich/Varna sowie dem Institut für Biotechnologie der Bulgarischen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften tätig, darüber hinaus an verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen der USA, Brasilien, England, Japan, Russland und anderen Ländern.

Seit geraumer Zeit hat er die Ahnenforschung seines Heimatortes Stadtlengsfeld zur Freizeitbeschäftigung gemacht. Dabei entstand eine Datei von mehr als 30.000 Personeneinträgen aus der mehr als tausendjährigen Geschichte des Ortes. Die Schicksale der Menschen und deren Leben bieten Stoff für eine Vielzahl von Geschichten und historischen Darstellungen. Diese einem breiten Publikum kundzutun, ist eine neue Passion des Autors.

Studienrat i. R. Rolf Leimbach war 47 Jahre Lehrer in Stadtlengsfeld. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für Unterstufenforschung an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR beteiligte er sich an der Weiterentwicklung von Lehrplänen sowie Lehrmaterialien für das Fach Heimatkunde. Seine Publikationen in der Fachzeitschrift „Die Unterstufe“ befassten sich mit methodischem Experimentieren und der Erziehung zur aktiven Fragehaltung. Er veröffentlichte zahlreiche methodische Handreichungen für den Heimatkundeunterricht. Er ist Autor zahlreicher Lehrbücher, Schülerarbeitshefte und Unterrichtshilfen für den Heimatkunde- und Sachunterricht.

Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Schuldienst intensivierte Rolf Leimbach seine heimatkundlichen Forschungen. Er veröffentlichte eine umfangreiche Chronik seiner Heimatstadt, die Geschichte des Porzellanwerkes Stadtlengsfeld, des Schulwesens, des Kaliwerkes Menzengraben sowie der Kirche. Weitere Arbeiten befassen sich mit den Hexenprozessen im 17. Jahrhundert, den Ereignissen des Jahres 1848 in der Stadt Lengsfeld, der Brandkatastrophe 1878 und dem Jahr 1945.

Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Erforschung der einstigen israelitischen Gemeinde im Heimatort, die zu den größten in Thüringen zählte. Rolf Leimbach ist es ein stetiges Anliegen, die facettenreiche Geschichte seiner Heimatstadt vielen Bürgern und Gästen nahezubringen. Deshalb engagiert er sich im Kultur- und Geschichtsverein mit Vorträgen, Führungen und Ausstellungen.

Vorwort

Man muss wohl erst zum älteren Semester gehören, bevor man die Zeit und Muße besitzt, um sich intensiver mit seiner Heimat und seinen Wurzeln zu beschäftigen. Beide Autoren haben neuerdings das Privileg. Obwohl beide in Stadtlengsfeld geboren wurden, aufwuchsen und zur Schule gingen, haben sich ihre Wege durch das Berufsleben verloren. Erst im Jahr 2011 war es soweit, dass sie sich wieder begegneten. Der eine schon länger befasst mit der Geschichte der Rhön, der andere über die Suche nach seinen Ahnen.

Bereits die ersten Gespräche waren von großem Konsens und individueller Begeisterung geprägt. Es brauchte somit nicht allzu lange, um neue Ideen und gemeinsame Pläne zu gebären. Basierend auf dem bereits angehäuften Fundus an geschichtlichen Daten, Personenbeschreibungen, Fotos sowie schriftlichen Belegen bestand die Frage, wie man die Vielzahl von Informationen einem breiteren Publikum, insbesondere aus Stadtlengsfeld nahe bringt.

Eine Möglichkeit sahen die Autoren in monatlichen Kurzgeschichten, die im Lokalanzeiger „Baier-Boten“ veröffentlicht werden. Sehr schnell war aber zu erkennen, dass die schriftstellerische Produktivität der beiden Autoren größer war als man in monatsweisen Publikationen unterbringen kann. Daher rührte der Gedanke, einzelne historische Beiträge in Buchform zu publizieren. Eine solche liegt nun vor. Eine derartige Monographie kann ebenfalls periodisch weitergeführt werden.

Bereits fragmentarische Unterlagen wurden gesichtet, systematisiert und in ein geeignetes Format gestellt. Hinzu kamen eine Vielzahl von persönlichen Kontakten, Recherchen im INTERNET sowie Standesämtern, Kirchenbüchern und alten Gazetten. Das Ergebnis lässt sich sehen. Obwohl es niemals ein Ende gibt, sind bereits mehr als 30.000 Menschen über mehr als tausend Jahre jüngerer Geschichte des Heimatortes in eine elektronische Datenbank eingeflossen. Die dazugehörigen Einzelschicksale bieten Stoff für Generationen.

Die Autoren betrachten ihr Werk als Vermächtnis an die gegenwärtige Generation, Kinder und Enkel. Mögen sie sich ihren Wurzeln bewusst werden, ihren Vorfahren gedenken und die Sammlung eines Tages weiterführen.

Es ist in höchstem Maße interessant zu sehen, woher wir kommen, wie die Geschichte das Wohl und Wehe von Personen beeinflusste sowie Menschen schon immer versuchten, ihre Leben aufzuschreiben und zu dokumentieren.

Nicht die Suche nach LUCA (Last Universal Common Ancestor) trieb uns, sondern die Neugier nach den Wurzeln der Vielzahl von Lengsfelder Bürgern, ihren Familien sowie deren Rolle in der Geschichte. Dabei wird sichtbar wie sich lokale menschliche Populationen vermischen, wie geographische sowie gesellschaftlichen Grenzen überschritten werden, wie Kriege Familien auslöschen, wie Stammbäume enden und andere wachsen oder wie sich Berufe und Namen historisch wandeln.

Deutlich wird zugleich, dass die Mobilität in der Neuzeit immer größer wird und die Familien immer kleiner.

Der dritte Band einer geplanten Serie von „Lengsfelder Geschichten“ ist wiederum eine Auswahl von Artikeln, die entweder bereits anderswo veröffentlicht oder neu erstellt wurden. Es war nicht beabsichtigt, eine exakte geschichtliche Abfolge der Beiträge zu gestalten. Es ging mehr darum, die Zusammenstellung so zu arrangieren, dass eine möglichst große Aufmerksamkeit erzielt wird. Viele Details sind nicht in die Artikel eingeflossen, weil diese das Leseerlebnis gestört hätten. Diese können aber jederzeit bei den Autoren nachgefragt werden. Abbildungen, Schemata und Fotos dienen einem ähnlichen Zweck. Fußnoten und Quellenangaben wurden auf ein Minimum reduziert. Die Referenzen finden sich in einer an das Ende des Buches verlegten Bibliographie.

Die Autoren

Danksagung

Frau Aliza Fuchs-Millman in Tel Aviv (Israel), Herr Carlos Roque Alsina in Paris (Frankreich), Frau Ruth Röcher und Herr Julius Nitsche aus Chemnitz, Frau Hannelore Schmidt aus Vacha, Claudia Maria Greifzu aus Kaltennordheim, Herr Frank Gümbel aus Neidhartshausen, Herrn Udo Stanelle aus Gehaus, Inge Schlegel und Gisela Walter aus Stadtlengsfeld sowie Rudolf Nensel aus Otzbach danken wir für die sehr interessanten Anregungen und kritische Durchsicht des Manuskripts.

Inhalt

Vorwort

Die Boineburger – seit dem Jahr 920

Gold am Baier?

Ökumene zu Lengsfeld

Pianist, Dirigent und Musikpädagoge Theodor Fuchs

Heinrich Lenz baut Klaviere in Amerika

Eine Königin in Stadtlengsfeld

Trachten und Mode der Heimat

Er kann hexen und blaufärben

August Enders – Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung von 1848

Viele Wege führten nach Stadtlengsfeld

Bibliographie

Corrigendum

Die Boineburger – seit dem Jahr 920

Rolf Schlegel

Wer sich mit der Geschichte von Stadtlengsfeld und seinen Ahnen beschäftigt, kommt an dem Namen Boyneburg nicht vorbei. Noch heute wissen die Älteren im Ort, was damit gemeint ist. Die Boyneburger waren Adlige und Besitzer großer Ländereien sowie Wälder im Dreieck zwischen Lengsfeld – Gehaus – Weilar. Sie bestimmten lange Zeit die Geschicke am Ort, sprachen Recht und waren während ihrer Regentschaft nicht immer unumstritten (vgl. Lengsfelder Geschichten I und II).

Woher kamen die Herren von Lengsfeld?

In den Fuldaer und Hersfelder Klosterurkunden kommen schon im 9., 10. und 11. Jahrhundert drei Orte gleichen Namens vor. Sie werden aber nach den Gauen, in denen sie liegen, unterschieden: Lengsfeld im Hessengau, Lengsfeld im Tullifeld und Lengsfeld im Westergau (Thüringen). Später wurde ersteres von seinen Besitzern, den Erbschenken des Stifts Hersfeld, Schenk-Lengsfeld genannt, das andere Kalten-Lengsfeld und das Letztere Stadt Lengsfeld, heute Stadtlengsfeld.

Lengsfeld gehörte im Altertum zum Gau Tulli- oder eher Grabfeld. Schon im Jahr 897 haben die „Äbte von Fulda für und im Namen der Kirche daselbst unter der Oberlehnherrlichkeit des deutschen Kaisers lehnherrlichen Antheil an Lengsfeld gehabt.“ Es werden zwei Namen, Dituwic und Salaman, erwähnt, die ihre Güter zu Lengsfeld im Westergau dem heiligen Bonifacius zu Fulda schenkten. [1]

„Ob die Edlen von Lengsfeld als Ministerialen in ihrem Dienste standen und ihre Angelegenheiten in der Stadt verwalteten, oder ob dieses Geschlecht zu den nobilis gehörte und somit vielleicht einen Theil des Ortes sein Eigen nannte, lässt sich nicht ausfinden“. [7]

Mit dem Schwerte sei dem Feind gewehrt, mit dem Pflug der Erde Frucht gemehrt, frei im Walde grüne meine Lust, schlichte Ehre wohn‘ in treuer Brust, das Geschwätz der Städte will ich fliehen, ohne Not von meinem Heim nicht zieh‘n, so gedeih‘ ein wachsendes Geschlecht, das ist Adels Sitt‘ und altes Recht.

Wappenspruch des Geschlechts der Boineburger, Quelle: [4]

Erst im Jahr 1137 kommt wieder Lengsfeld vor. Es ist eine urkundlich belegte Nennung des Ortes in Form von zwei Adelsnamen liber homo Ludevic de Leingisfeld (= Ludwig von Frankenstein) und Erkenbert de Leingisfeld, die als Zeugen bei einer Schenkung zugegen waren. [8]

Der Stamm der Frankensteiner besaß das Schloss Lengsfeld bis ins Jahr 1308, so zuerst der edle Herr Sibotho von Frankenstein, 1235, dessen Besitz von Fulda als Fuldisches Lehn bezeichnet wurde. Als Frankensteiner Burgmänner kann man mehrere Ritter und Ministerialen ansehen, die sich „von Lengsfeld“ nannten, zunächst Luidger und Gernot 1142, Heinrich 1155 und 1168, die Brüder Heinrich und Volpert (Folcberht) 1160 und 1178 und Reimboldt, 1216. Schließlich kommt noch ein Wetzilo vor, welcher im Jahr 1397 an Tilo von Westheim das Patronatsrecht und zwölf Hufen sowie Höfe in und um Stadt Lengsfeld verkaufte. Diese Güter fielen im Jahr 1440 an Richard von Westhausen, welcher sie im Jahr 1445 an Engelhard von Enzenberg verkaufte. Nach diesem besaß sie Johann von Enzenberg bis ins Jahr 1520. [1]

Bezüglich der Frankensteiner muss man erwähnen, dass der Edelherr Ludwig durch die Kriege zwischen Landgraf Albert und seinen Söhnen, namentlich aber durch die von Kaiser Adolf bewirkte Eroberung und Zerstörung des Schlosses Frankenstein (1295), solche Verluste erlitt, dass er seinen Anteil an Schloss und Stadt Lengsfeld dem Abte Heinrich zu Fulda, einen Grafen von Weilnau, seinem Schwager bzw. Oheim gegen das Schloss Neuhof bei Fulda tauschte.

Überdies verkaufte er dem Abt seinen Teil an den Schlössern Breitenbach und Wallenburg, wie auch sein Allodium1 in Salzungen für 200 Pfund Heller. Dagegen gab ihm der Abt 20 Pfund Heller Einkünfte am Gericht Lengsfeld, wogegen er das Schloss Lengsfeld als Erbburgmann zu schützen versprach.

Das war im Jahr 1308. Zehn Jahre später sah sich Ludwig von Frankenstein durch zunehmende Verlegenheiten genötigt, die im Gericht Lengsfeld liegenden Dörfer Haynan und Waldsachsen (heute Wüstungen, vgl. Lengsfelder Geschichten I) nebst den Gerichten Dermbach, Berka an der Werra, Unternsuhla und Ottershausen um 450 Pfund Pfennige im Jahr 1317 an denselben Abt zu veräußern.

Dieser verpfändete im Jahr 1339 die Hälfte des Schlosses, die Burg und die Stadt Lengsfeld nebst dem Gericht und anderes lebenslänglich an Appel von Reckerodt und dessen Erben, wie auch an Dizel Schade von Leipolds für die Summe von 1.200 Goldgulden. Paul von Herbilstadt und Ditzel von Pferdsdorf erhielten die andere Hälfte von Lengsfeld für 300 Pfund Heller pfandweise und stellten 1355 einen Lehnrevers aus.

Dem Abt von Fulda reichte es nicht, die Bewachung der Burg Lengsfeld den vier Pfandinhabern bzw. Pfandamtmännern zu überlassen, sondern rief noch andere Ritter und Edelknechte, welche als Ministerialen (vgl. Abb. 1) bzw. Beamte die Burg beschützten.

Abbildung 1: Die Ständegesellschaft im Mittelalter; der Holzschnitt von Jacob Meydenbach aus Mainz (1492) zeigt, welche Aufgaben den einzelnen Ständen im Leben zugeordnet waren; an der Spitze stand der König, der für Kriegsdienste etc. Grundbesitz und Ämter an Kronvasallen (links) vergibt; sie besitzen „hohe Lehen“, zu ihnen gehören Herzöge, Grafen, Bischöfe und Reichsäbte; die Kronvasallen konnten „niedere Lehen“ an Aftervasallen (rechts) wie Ritter, Ministerialen oder Äbte vergeben; der unterste Stand war der der Bauern, die gegen Naturalabgaben und Frondienste Land zur Bearbeitung erhielten. Quelle: [5]

Dafür wurden sie mit Gütern und Naturalgefällen (Burglehen) in und um Lengsfeld ausgestattet.

Teile der späteren Boineburgschen sowie Müllerschen Besitzungen (die Kemenate neben der Kirche, das rote Haus, das neue Haus, der Ober- und Unterhof, das Amtshaus) sind aus ehemaligen Burggutshöfen hervorgegangen.

Wurzeln der Boyneburger

Ungeachtet der verschiedensten Schreibweisen des Namens leitet sich der Familienname von dem ursprünglichen Stammsitz her – der Bemelburg oder Bemelburch. Sie befindet sich noch heute (als Ruine) nahe dem hessischen Sontra und unweit von Eisenach (vgl. Abb. 2). Urkundlich wurde sie bereits im Jahr 1107 erwähnt. [3] Der Wortstamm „bemel“ kommt vermutlich über das mittelhochdeutsche Adjektiv „boumin“ vom althochdeutschen Substantiv „boum“, was so viel wie Baum bedeutet. Man kann also annehmen, dass es sich um eine von Wald umgebene oder durch Holzstämme errichtete Burg handelte. Schon Tacitus (50-116) berichtete in seiner „Germania“ von den Chatten (= Hessen) und einem Gebiet um die spätere „Boyneburg“. [9]

Die Familiensaga beginnt im 10. Jahrhundert unter der Herrschaft der Ottonen. Es gab u. a. die Grafen Otto I. sowie Siegfried I. von Northeim, nicht weit von der Boyneburg gelegen. Auf Grund der Bedeutung der beiden Burgen führte die Familie Otto später die Burgenbezeichnungen in ihrem Namen.

Bezeugt ist ein Otto I. von Northeim, Graf der Salzgau sowie Gaugraf in der Germarmark an der Werra, mit Eschwege, Wanfried, Treffurt und Mühlhausen. Otto I. wurde um das Jahr 920 geboren. Über seinen Sohn Siegfried I. von Northeim, dessen Sohn Bernhard von Northeim (genannt Benno) kommt man zu Otto I. von Northeim und Bemeneburg. Letzterer war auch Herzog von Bayern. Er war mit Richenza von Schwaben vermählt. Aus dieser Ehe ging u. a. Heinrich der Fette (1051-1101) hervor. Der wiederum verheiratete eine seiner Töchter, Richenza, mit dem Herzog Lothar III. von Supplinburg (vgl. Abb. 3a).

Der Name war ursprünglich Süpplingenburg. Heinrich V. (1106-1125) übertrug ihm das Herzogtum Sachsen, das Lothar durch die reiche Mitgift seiner Gemahlin, Richenza, erworben hatte. Im Jahr 1125, nach dem Tod Heinrichs V., wurde Herzog Lothar zum König gewählt, anstelle des Neffen des Königs, dem Staufer Herzog Friedrich von Schwaben. Die staufische Seite rebellierte und stellte im Jahr 1127 Konrad III. als Gegenkönig auf.

Nach einem Pilgerzug nach Rom und seiner damit verbundenen Kaiserkrönung im Jahr 1133 verwüstete Kaiser Lothar III. gemeinsam mit seinem Schwiegersohn, Heinrich dem Stolzen, Schwaben und zwang Konrad III. zur Unterwerfung sowie Ablegung des Königstitels. Erst als Lothar III. starb, kam das Geschlecht der Staufer mit Konrad III. (1138-11529 auf den deutschen Königsthron.

Durch diese Heirat rückt das Geschlecht der Boyneburger zeitweise ins Zentrum der Macht Europas, da Lothar III. jahrelang die Welfische Seite im Machtkampf zwischen Staufen (kaisertreu) und Welfen (papsttreu) vertrat.

Abbildung 2: Die Ruinen der Boyneburg bei Sontra (früher: Bemelburch) mit Resten des ehemaligen Bergfrieds. Quelle: [10]

Ebenso bedeutsam wie Lothar III. ist der dritte Sohn von Otto I. von Northeim, Graf Siegfried III. (1050-1107). Er benannte sich erstmals nur noch nach der „Boyneburg", die sein Allodbesitz gewesen sein musste. Im Jahr 1107 kam es zu Streit mit dem König Heinrich V. (um 1081-1125). Die Folge war, dass Heinrich V. die Boyneburg wie auch die Radelburg zerstören ließ. Allerdings baute man sie später wieder auf, nachdem man die Streitigkeiten beigelegt hatte. Siegfried III. wurde neuerlich mit der nun zur Reichsfeste erhobenen Burganlage von Heinrich V. belehnt. Nach Siegfrieds Tod belehnte Heinrich V. auch dessen Sohn, Siegfried IV. von Boyneburg und Homburg (um 1075-1123) mit derselben. [3]

Siegfried IV. fungierte zugleich als Vogt des Klosters Corvey an der Weser. Seinen Halbbruder Heinrich IV. machte er zeitweise zum Abt. Trotz unstetem Lebenswandel und Amtsenthebung kann er zu den Ahnherren der Boyneburger Linie angesehen werden (vgl. Abb. 3a).

Von Heinrich IV. von Corvey angefangen, entwickelte sich die Ahnenfolge über Heimbrod I., zu Conrad I., Heimbrod II., Conrad II., Conrad, Hermann II., Heimbracht III., Hermann III., zu Conrad und schließlich zu Ludwig I. von Boyneburg. Söhne von Heinrich IV. begründeten die sog. ältere Linie der Boyneburger mit Almar I., die mittlere Linie mit Heimbrod I. und die jüngere Linie mit Friedrich (vgl. Abb. 3a).

Barbarossas Lieblingspfalz

Kaiser Friedrich I. Barbarossa (um 1122-1190) bezeichnete die Boyneburg als seine Lieblingsfeste (vgl. Abb. 2). Im Jahr 1156 war er das erste Mal auf der Burg. Sie wurde sogar als kaiserliches Schloss bezeichnet. Barbarossa hielt im Jahre 1166 auf der Burg einen Hoftag und 1188 einen Reichstag ab. Er stiftete im Jahr 1188 sowohl die Burgkapelle als auch die Einkünfte für die Priesterstelle. Im Jahr 1189 brach Kaiser Friedrich Barbarossa von der Boyneburg aus zum dritten Kreuzzug auf, bei dem er am 10. Juni 1190 im heute südosttürkischen Fluss Saleph ertrank.

Die Burg war mit reichsministerialen Burgmannen besetzt, die sich zumindest seit dem Jahr 1138 nach der Burg nannten. Graf Siegfried IV. von Northeim war einer von ihnen. Vom Jahr 1123 an nannte er sich schon „Commes de Boumeneburc“. Die Familie der Boyneburgs teilte sich nach dem 13. Jahrhundert in drei Zweige auf: der schwarze Stedtfelder, der blaue Hohensteiner und der weiße Bemmelberger (Farbe entsprach jeweils dem Wappen).

Abbildung 3a: Auszug aus der mittelalterlichen Stammtafel der Boyneburger Familie ausgehend von den Northeimer Wurzeln bis zu Ludwig I. von Boyneburg-Lengsfeld. Quelle: R. Schlegel, Datenbank, acc. 19.619, 2013

Im Jahr 1292 kamen sie dann alle unter die Oberhoheit der hessischen Landgrafen, nämlich als König Adolf die Burg und die nahe Stadt Eschwege Heinrich I. von Hessen als Reichslehen übertrug. Damit erhob Adolf gleichzeitig Heinrich I. zu einem Reichsfürst.

Das Burgmannengeschlecht mit dem gevierten Schild (vgl. Abb. 4), erscheint erstmals urkundlich im Jahr 1120 mit Bobbo de Bomeneburg.

Fortan nannte es sich von Boyneburg. Dabei erlangte im Jahr 1460 Bobbo die Burg endgültig vom Landgrafen Ludwig II. von Hessen als Erblehen.

In diesem Zusammenhang erstritten sich die Adeligen ein besonderes, seltenes Zugeständnis: Sollte die Generationenfolge mangels männlicher Nachkommen nicht patrilinear2 fortgeführt werden können, konnten die drei Familien von Boyneburg die zur Stammburg gehörigen Güter und Rechte auch an ihre Töchter vererben.

Abbildung 4: Seit 1571 das Wappen des schwarzen Stammes der Boyneburger Familie (Boyneburg zu Stedtefeld); es ist von Schwarz und Silber geviert, auf dem Helm sind zwei von Schwarz und Silber übereckte und geteilte Büffelhörner; die Helmdecken sind schwarzsilbern; durch die Erhebung in den Reichsfreiherrenstand im Jahr 1653 änderte sich das Wappen; anstelle der Büffelhörner erhielt es einen doppelten Reichsadler. Quelle: [10]

Die Boyneburgs von Lengsfeld

Wie zuvor gezeigt, unterschied man den zur „weißen Fahne“ gehörigen Stammbaum von dem der „schwarzen Fahne.“ Die zur schwarzen gehörigen von Boyneburg zu Wildeck und später zu Gerstungen waren weder im Besitz noch im Umkreis der Stammburg geblieben.

Nach den meisten Quellen werden Thiatmarus de Bomeneburg (Thietmar von Boyneburg) mit seinen vier Söhnen und Heinrich IV. mit seinen neun Söhnen als Stammväter aller Boyneburger angesehen. Beide sind Nachkommen von Siegfried III. von Bemeneburg und Homburg (vgl. Abb. 3a). Sie zählten zu den einflussreichsten Männern der damaligen sächsischen Dynastie. Albrecht Freiherr von Boyneburg zu Lengsfeld (1785-1868), der seine Familie als Historiker am detailliertesten nachging, bestätigte das. [11]

Albrecht von Boyneburg-Lengsfeld gab es einem Hermann von Boyneburg, der in einer Northeimer Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1142 vorkommt. Es unterschreibt auch ein Almarus de Boymeneburg (vermutlich Almarus I.). Dessen Sohn Almarus II. unterschreibt als advocatus zusammen mit dem Bruder seines Vaters, ministerialis imperii (= Reichsdienstmann) Henericus, 46 Jahre später (im Jahr 1188) mehrere Urkunden von Kaiser Friedrich I.

Anfang des 13. Jahrhunderts breiten sich Nachkommen von Almarus II. in mehreren Seitenästen in der Region um Sontra, Netra, Wildeck und Hornsberg aus. Im Jahr 1262 bezeichnet sich ein Heinrich von Boymeneburg als „Advokat von Sontra“, unweit der Boyneburg. Er und seine Nachkommen waren wahrscheinlich die Besitzer jenes Amtes. Ihr Schild blieb dabei das Stammwappen der Boyneburger. Um das Jahr 1476 starb mit einem Heinrich, Prior des Augustinerklosters zu Eschwege, diese Linie aus. Daneben gab es einen Conrad von Boymeneburg, der im Jahr 1277 den Namen der Burg Netra trug, am Fuße des Schlosses Boyneburg. Mit einem Nachkommen namens Andreas starb auch diese Linie im Jahr 1588 aus. Desgleichen wird ein Heimbrod, schon im Jahr 1329 gestorben, als Bruder von Conrad und Ludwig von Boyneburg erwähnt.

Um das Jahr 1192 hatten sich unter den Boyneburgern der schwarze und der weiße Stamm gebildet. Ein Bodo I. wurde Stifter des weißen Stammes, Heinrich I. Stifter des schwarzen (vgl. Abb. 3a).

Mit den Enkeln Bodos I., d. h. Bodo III., Bodo IV. und Heinrich, entstanden um das Jahr 1270 drei Hauptzweige der weißen Linie: die weiße Linie vom ältesten Bruder Bodo I., die junge bzw. mittlere Linie vom zweiten Bruder Bodo IV. sowie die jüngste bzw. Hohensteinsche Linie von Heinrich I., Stiefbruder der beiden Bodos. Der weiße, von Bodo II. herkommende Stamm blühte noch in Hessen und Thüringen, während der junge Zweig, von Bodo IV. ausgehend, später erlosch.

Für Stadtlengsfeld ist der Boyneburger Stamm von der schwarzen Fahne bedeutsam, genannt von Boyneburg zu Stedtfeld (vgl. Abb. 4) und die daraus hervorgegangene jüngere Linie, genannt Boyneburg zu Lengsfeld. Sie besteht bis heute. Sein Begründer in Lengsfeld wurde Ludwig I. von Boyneburg, geboren im Jahr 1466.

Ludwig – der erste Lengsfelder Boyneburg

Aus dieser jüngeren Familie entstammte Ludwig jun. von Boyneburg (*um 1500). Es war der im Jahr 1514 gestürzte Führer des ständischen Regiments gegen Landgräfin Anna von Hessen (1485-1525). Ludwig jun. begründete sowohl den auf Altenburg an der Eder beheimateten Familienzweig als auch die Linie zu Lengsfeld auf Henneberger Gebiet (vgl. Abb. 3b). Letztere wurde erst im Jahr 1911 mit dem Namen von Boineburg-Lengsfeld als Freiherren anerkannt. Ein anderer Zweig derselben Linie wurde im Jahr 1859 zu Grafen von Boineburg-Lengsfeld. Das geschah auf Grund einer hessischen Genehmigung zur Aufnahme in den Grafenstand, die an Seitenverwandte im Jahr 1697 verliehenen wurde, aber im Jahr 1717 wieder erlosch.

Auf diese Weise setzten sich nach und nach viele Ritterfamilien in Lengsfeld fest (von Bibra und von Rannenberg 1335, von Buttlar 1357, von Blaufuß 1351, von Wallrabe 1352, von Borsa 1361, von Taft 1444). Im Laufe der Zeit betrieben sie sowohl unter sich als auch mit den Pfandinhabern einen regen An- sowie Verkauf von weiteren Gütern. So erwarb im Jahr 1361 beispielsweise Ditzels Sohn, Berthold von Pferdsdorf, von der Familie Wallrabe die Kemnade3 der Burg Lengsfeld und das Vorwerk mit allem Zubehör, einschließlich der Wüstung Kohlgrube (vgl. Lengsfelder Geschichten I) für 120 Pfund Heller.

Appel von Reckrodt, Ritter und Pfandamtmann, kaufte von Kraft von Buttlar, Burgmann zu Lengsfeld, den Schafhof bei der Kirche zu Lengsfeld um 12 Pfund Heller und im Jahr 1368 von Wallrabe das Dorf Waldsachsen (vgl. Lengsfelder Geschichten I) um für 70 Pfund Heller. [1]

Die Pfandinhaber konnten noch unbeschränkter als die Burgmänner ihr Pfandlehen nutzen. So öffnete Paul von Herbilstadt dem Fürsten Heinrich von Henneberg seinen sechsten Teil am Schloss Lengsfeld, wogegen er im Jahr 1382 von dem Fürsten mit einem Gut im Dorf Maselbach belehnt wurde. Bald danach öffneten4 Burkhardt Schade von Leipods und Hermann von Reckrodt mit ihren Ganerben, dem Landgraf Friedrich von Thüringen, gegen das Versprechen, sie in allen Nöten zu schirmen, im Jahr 1401 ihr Schloss Lengsfeld und ihre andern Burgen. Bei solchen z. T. sehr unterschiedlichen Interessen waren Streitigkeiten der Pfandherren untereinander und mit ihren Untertanen unvermeidlich.

Ganerben waren auch: Apel von Reckrodt und dessen Erben Dizel Schade von Leipolds, Paul von Herbilstadt (ab 1339), Ditzel von Pferdsdorf (ab 1339).

Desgleichen gab es Unzulänglichkeiten im Gerichts- und Polizeiwesen, weshalb Abt Johann von Fulda sich genötigt sah, die Gerichtsbarkeit auf sechs Jahre zu übernehmen. Derselbe setzte im Jahr 1410 einen Amtmann, Kaspar von Buchen, nach Lengsfeld, „der das Gericht schirmen, die Burg und Stadt bauen und bessern, aber auch den Pfandherren mit Eiden zugethan sein solle“. [1] Noch immer unzufrieden mit seinem Einfluss, löste er die Hälfte von Lengsfeld (die Ostseite des Schlosses mit dem alten Turm) von Conrad von Pferdsdorf und seinen Söhnen ein, um sie im Jahr 1419 an Wilhelm von Buchenau zu versetzen.

Hermann von Reckerodt fürchtete um seine Hälfte des Schlosses und räumte im Jahr 1425, um sich zu sichern, dem Grafen Hermann von Henneberg, Landgraf Friedrich von Thüringen und seinen Vettern von Reckrodt und von Mannsbach das Öffnungsrecht ein. Darüber hinaus kaufte er im Jahr 1427 von Götz von Pferdsdorf dessen Burggut in Lengsfeld, Höfe in Nieder-Weilar und einen Hof in Waldsassen (= Waldsachsen, vgl. Lengsfelder Geschichten I) für 150 Gulden. Er versetzte aber im Jahr 1436 vorübergehend gegen 400 Gulden einen Teil von Lengsfeld an den Henneberger Heimlichen Rath Heinrich vom Stein zum Liebenstein und Wilhelm Meisebach, Herr zum Creinberg. Hermanns Nachfolger, Heinrich von Reckrodt, erwarb auch den Anteil von Claus Schade von Leipolds, sodass im Jahr 1446 ein neuer Pfandschaftsbrief ausgestellt werden musste.

Laut Lehnsrevers5 aus dem Jahr 1444, hatte Philipp von Herda, Marschall des Stifts zu Fulda, schon Jahre vorher einen Pfandschaftsbrief aus Gnaden erhalten. Er war mit Elisabeth Gräfin von Weilnau vermählt. [1]

Philipp von Herda kaufte von Röhrich von Buchenau und von seinem Schwager Hermann von Reckrodt das ehemalige Pferdsdorfer Burggut zu Lengsfeld und von dem von Hornsberg mehrere Höfe in Waldsassen (= Waldsachsen, vgl. Lengsfelder Geschichten I) für 132 Gulden. Schließlich erhielt er im Jahr 1454 die an Heinrich vom Stein und Wilhelm Meisebach versetzte, aber wieder eingelöste Hälfte von Lengsfeld für 500 Gulden als Pfandlehn von seinem Schwager in Fulda.