Das Porzellanwerk Stadtlengsfeld - Rolf Leimbach - E-Book

Das Porzellanwerk Stadtlengsfeld E-Book

Rolf Leimbach

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Beschreibung

Das Porzellanwerk Stadtlengsfeld war der einzige Betrieb dieser Art in der Thüringischen Rhön. Er war fast 110 Jahre Arbeitsstätte von zeitweise 700 Beschäftigten. In Zeiten großer Not und wirtschaftlicher Hoffnungslosigkeit gegründet, brachte er neben der aufkommenden Kaliindustrie bescheidenen Wohlstand in viele Familien. Die Geschichte des Porzellanwerkes ist auch ein Spiegelbild deutscher Geschichte. Der erste und zweite Weltkrieg schrieb sich mit vielen Toten in das Geschichtsbuch des Werkes ein. Die schwarzen Jahre der Weltwirtschaftskrise brachten nicht nur den Betrieb, sondern auch viele Familien an den Rand des Ruins. Der Nationalsozialismus vernichtete die Existenzgrundlagen jüdischer Geschäftsleute der Stadt und beutete zahlreiche Ostarbeiter als Zwangsarbeiter im Porzellanwerk aus. Als volkseigener Betrieb war das Porzellanwerk mit der kommunalen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Stadt auf das engste verbunden. Stadtlengsfelder Porzellan wurde in zahlreiche Länder der Erde exportiert. Das Porzellanwerk überstand sieben Konkurse, eine Weltwirtschaftskrise, zwei Weltkriege und eine sozialistische Planwirtschaft. Den erneuten Einstieg in den sogenannten Freien Markt aber überlebte es nicht. Auf der Spielwiese der sozialen Marktwirtschaft haben in Stadtlengsfeld aus der Ferne kommende Investoren, Parteienklüngel, kleinkariertes kommunales Denken und undurchsichtige Machenschaften in diversen Gesellschaften die Würde hunderter Menschen verletzt, zahlreiche Existenzen zeitweise und auch endgültig bedroht, bzw. vernichtet und auch den Glauben an Gerechtigkeit in Freiheit erschüttert.

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Inhalt

Vorbemerkungen

Vorgeschichte

Koch & Schnorr

Die Porzellanfabrik M. Schweizer Stadtlengsfeld 1896 – 1902

Porzellanfabrik Stadtlengsfeld AG (1902 – 1930)

Felda Porzellan und Felda Rhön Porzellan (1930 – 1945)

Die Nachkriegsjahre (1945 - 1949)

Die Jahre in der DDR (1949 – 1966)

Die Jahre in der DDR (1967 – 1989)

Rhön Porzellan GmbH - ein Kampf um das Überleben

Ein Amerikaner aus Hessen

Der Abriss

Die Spur der Verwüstung

Was ist geblieben?

Anhang

Bodenmarken

Vorbemerkungen

Man nehme 25 Teile Quarz, 25 Teile Feldspat und zermahle diese unter Wasserbeigabe feinst. Unter weiterer Wasserzugabe füge man 50 Teile Kaolin hinzu. So erhält man eine formbare, zähe Masse. Bei Zugabe von Elektrolyten wie Soda und Wasserglas lässt sich eine gießfähige Masse (Schlicker) herstellen. Mit der schmiegsamen Masse drehe man nun auf einer Drehscheibe Teller oder Tassen. Den Schlicker aber gieße man in Gipsformen, sodass in deren Innerem Kannen, Vasen oder Dosen entstehen. Die Henkel der Tassen müssen jetzt mit der Hand angesetzt (garniert) werden. Wenn die Stücke getrocknet sind, brenne man sie in einem Ofen etwa 18 – 20 Stunden lang bei einer Temperatur bis maximal 900° C. Danach tauche man die noch porösen und empfindlichen Stücke in ein Bad aus Glasurmasse. Anschließend gebe man die glasierten Artikel nochmals in einen Ofen und brenne sie etwa 30 Stunden bis 1480°C. Nun verziere man die Stücke nach Wunsch mit dem Pinsel oder abziehbaren Bildern. Bei einem nochmaligen Brand von etwa 850°C verbindet sich dieses Dekor fest mit der Glasur des Porzellans.

Nach diesem „Rezept“, welches im Detail verändert sein kann, entsteht Porzellan oder das „weiße Gold“, wie es über Jahrhunderte respektvoll genannt wurde. Aber erst die Erfahrung und die Meisterschaft der an der Herstellung beteiligten Menschen, lässt das „Rezept“ gelingen. Vom Anfang bis zum Ende des Produktionsprozesses lauern viele Schwierigkeiten und mögliche Fehlgriffe. Scherben sind dann das Ergebnis, wenn man diese Tücken und Gefahren nicht beherrscht. Deshalb braucht es Ausdauer, Geduld, fachliche Meisterschaft und auch viel Geld, bis sich an einem Ort die Porzellanherstellung dauerhaft behaupten kann. Aber so zerbrechlich Porzellan sein kann, so unverhofft geht auch manche Firmengeschichte zu Ende. Das ist bitter für die Menschen und zerstörerisch für das Selbstwertgefühl.

In Stadtlengsfeld wurde über 100 Jahre lang Porzellan hergestellt. Die Fabrik war besonders in den Anfangsjahren mit Geburtswehen behaftet. Das Unternehmen stand oft vor dem Aus und einige Male im Aus. Ihre Besitzer mussten sich die Märkte mühsam erobern und sich zugleich den Angriffen der Konkurrenz erwehren. Porzellanfabrikation hatte in Thüringen seit Jahrhunderten Tradition. War es da nicht aussichtslos, am Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Porzellanwerk aufzubauen? Die Voraussetzungen dazu waren auf dem ersten Blick denkbar ungünstig. Rohstoffe und Brennmaterial mussten von weit her beschafft werden. Das verteuerte die Produktion. Der Aufbau leistungsfähiger Verkehrswege steckte noch in den Anfängen. Es gab keine Facharbeiter. Die mussten während der Produktion erst qualifiziert werden, was die Gefahr von Qualitätseinbußen oder Produktionsausfällen beinhaltete. Was also hatte die Gründer des Porzellanwerkes bewogen, ein solches Wagnis einzugehen?

Stadtlengsfeld lag Ende des 19. Jahrhunderts wirtschaftlich am Boden. Dazu hat ganz wesentlich die Brandkatastrophe im Jahre 1878 beigetragen. Sie vernichtete nicht nur das mittelalterliche Stadtbild, sie nahm auch hunderten von Familien die Existenzgrundlage. Viele wanderten aus. Auch erste zaghafte Versuche, Industrie in der Stadt sesshaft zu machen, mussten aufgegeben werden. Vielen der Abgebrannten war es unmöglich, ihr Hauswesen und den Gewerbebetrieb im alten Umfange wieder aufzubauen.

Die Hausweberei, die den meisten Einwohnern der Stadt Lohn und Brot sicherte, war der Konkurrenz des mechanischen Webstuhles nicht gewachsen. Versuche, auch in Stadtlengsfeld die Weberei im größeren Umfang zu mechanisieren, scheiterten.

In den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts war „Tagelöhner“ die häufigste Bezeichnung für die Erwerbstätigkeit1. Diese Menschen waren nicht ständig beschäftigt, wurden nur bei Bedarf eingestellt und jeden Tag entlohnt.

Die miserable wirtschaftliche Lage der meisten Menschen war vielleicht ein sehr gewichtiger Grund, hier im Ort ein Porzellanwerk zu errichten, denn die Arbeitskraft war sehr billig zu haben und milderte die anderen Standortnachteile. Dazu kam ein relativ günstiger Standort. Zudem wurde das Feldatal endlich mit dem Bau einer Eisenbahn verkehrstechnisch an das Eisenbahnnetz Deutschlands angeschlossen. Damit war das Transportproblem für Rohstoffe und Produkte gelöst, auch wenn in Bad Salzungen die Waggons von Normalspur auf Schmalspur (1 m) umständlich umgeladen werden mussten. Die zu bauende Fabrik konnte zudem die Wasserkraft der Felda nutzen, weil ein Mühlgraben zur geplanten Fabrik schon vorhanden war.

Tatsächlich sollen „die Gründe für die Errichtung der Porzellanfabrik nach vorliegendem Gutachten eines schlesischen Industriellen vor allem in den außerordentlich billigen Löhnen, am Brennmaterial (Holz) und der billigen Wasserkraft, die reichlich und billig vorhanden war“2 gelegen haben.

So überstand das Porzellanwerk sieben Konkurse, eine Weltwirtschaftskrise, zwei Weltkriege und eine sozialistische Planwirtschaft. Den erneuten Einstieg in den sogenannten „Freien Markt“ aber überlebte es nicht.

An den Werktätigen des Betriebes hat es nie gelegen. Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise nahmen sie z.B. Lohn- und Gehaltskürzungen von 10 – 15% hin, um weitere Entlassungen zu vermeiden. Den Einstieg in die kapitalistische Marktwirtschaft 1990 bezahlten sie mit massenhaften Entlassungen und monatelangem Lohnausfall.

„Porzelliner“ zu sein, war fast schon ein Status. Die Leute kamen aus allen Orten des Feldatales, großen Teilen des Ulstertales und den angrenzenden Gebieten des Werratales nach Stadtlengsfeld.

Auf dem Gelände der Rasenmühle entstand die Porzellanfabrik Stadtlengsfeld. Quelle: Kommunales Archiv Stadtlengsfeld 2017

1 Schülerbuch für die gesamte Bürgerschule Stadt – Lengsfeld

2 Materialien für den Heimatkundeunterricht, Pädagogisches Kreiskabinett Bad Salzungen, 1974

Vorgeschichte

Im Jahr 1889 begann die Geschichte der Porzellanfabrik. Aber noch immer wirkte die Brandkatastrophe aus dem Jahre 1878 nach. Die Bevölkerungszahl war auf etwa 1200 Einwohner gesunken. Mancherlei Ansätze zur Umstellung der bisherigen häuslichen Betriebe auf industriemäßige Formen hörten auf, da das Geld nun fehlte. So bestanden schon zwei Korkwarenbetriebe, die nun wieder verschwanden. Die Umstellung vom Familienbetrieb zum Mittelbetrieb, den andere Ortschaften in diesen Jahren mit Erfolg durchführten, unterblieb in der Stadt Lengsfeld infolge des Brandes .

Im Statistischen Universal-Handbuch und geographisches Ortslexikon für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Berlin 1880. Hermann I. Meidinger, Hofbuchhandlung werden 13 Händler, ein Architekt, zwei Barbiere, ein Böttcher, zwei Bierbrauer, ein Buchbinder, ein Dachdecker, ein Färber, acht Fleischer, ein Fuhrwerksbesitzer, fünf Gastwirte, vier Glaser, zwei Lohgerber, acht Mühlenbesitzer, sechs Restaurateure, zwei Sattler, drei Schlosser, vier Schmiede, vier Schneider, neun Schuhmacher, ein Stellmacher, fünf Tischler, ein Ziegeleibesitzer, ein Zimmermeister und ein Haarstrumpffabrikant genannt. Es gibt sieben Landwirte, die zwischen 17 und 5 Hektar Land bewirtschaften. Der Großgrundbesitzer Baron Ludwig von Boineburg bewirtschaftet 990 Hektar und Dr. Enders 660 Hektar. Für kurze Zeit bestanden eine Glasfabrik und eine Tuchfabrik.

Diese Beschreibung veranschaulicht das wirtschaftliche Dilemma der Stadt. Es herrschen kleine Familienbetriebe vor, die allzu oft nur „Ein – Mann – Unternehmen“ waren.

Im Jahr 1889 beginnt der Mühlenbesitzer und Maurermeister August Thomas (1850 – 1930) die Rasenmühle zu einer Porzellanfabrik umzubauen. Im Bericht an die Mitglieder des Aufsichtsrates der Porzellanfabrik Stadtlengsfeld AG am 1. Juli 1927 heißt es dazu: „Einleitend sei erwähnt, dass die Errichtung der Anlage als Porzellanfabrik im Jahre 1889 aus einem Mühlbetrieb der Rasenmühle – durch den Maurermeister August Thomas für die Firma Koch und Schnorr erfolgte. Damals wurde der sandsteinerne Mittelbau des Brennhausgebäudes mit einem Ofen gebaut; die Steine stammen aus dem Abbruch der Dermbacher Zuckerfabrik…“.

Abbildung 2: Es gibt aus dem Jahre 1824 eine kaum bekannte Miniaturzeichnung von der Stadt Lengsfeld. Der junge Forstmeister Schmitt hat sie gemalt. Der Betrachter sieht die Stadt vom Fuße des Rückersberges. Etwa in der Mitte links ist an der Felda eine Mühle dargestellt. Die großen Wasserräder sind deutlich zu erkennen. Das ist die erwähnte Rasenmühle. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Abbildung 3: Die Darstellung der Rasenmühle auf einer Karte der Stadt Lengsfeld aus dem Jahr 1823. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Abbildung 4: Bauliche Entwicklung: Von der Rasenmühle (1889) zur Porzellanfabrik (1989). Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Abbildung 5: Die ehemalige Massenmühle mit dem Erbauungsjahr 1899. Quelle: Jähnel, 2013.

Koch & Schnorr 1889 & 1895

Am 20. August 1889 erfolgte die gerichtliche Eintragung der Firma Koch & Schnorr. Die Porzellanfabrik war geboren.

Der Schritt ins Leben war für die Porzellanfabrik mit Schwierigkeiten verbunden. Kaum war der erste Ofen in Betrieb genommen, vernichtete ein Hochwasser im Brennhaus den gesamten Vorrat an Rohkapseln. Schon 1892/93 wurde der zweite Ofen gebaut, dessen Schornstein nach seiner Fertigstellung in sich zusammenbrach. Dabei kam ein 19 Jahre alter Steinmetz ums Leben.

Von 1893 bis 1895 wurde unter Koch & Schnorr Porzellan mit der Bodenmarke „Excelsior“ hergestellt.

Die Produktion führte der damalige Direktor Hegemann ein. Das Porzellan war ausschließlich für den Export bestimmt.

Abbildung 6: Teller der Firma Koch & Schnorr mit der Bodenmarke „Excelsior“. Quelle: G. Andrea, 2017

Abbildung 7, 8 und 9: Teller der Firma Koch & Schnorr mit der Bodenmarke „Excelsior“. Quelle: G. Andrea, 2017

„Excelsior“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „der sehr Erhabene, Ausgezeichnete“. Dieses Porzellan sollte etwas ganz Besonderes sein.

Abbildung 10: Teller der Firma Koch & Schnorr mit der Bodenmarke „Excelsior“. Quelle: G. Andrea, 2017

Dementsprechend aufwändig und teuer war die Produktion (hoher Anteil Handarbeit, Dekor durch Handmalerei). Direktor Hegemann

wollte mit niedrigen Preisen neue Märkte erschließen. Die hohen Produktionskosten aber führten das Porzellanwerk 1895 in die Insolvenz.

Abbildung 11: Porzellan mit dieser Bodenmarke wurde von 1889 bis 1895 hergestellt. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Abbildung 12 und 13 (Seite →): Dekorabteilung und Malstube im Porzellanwerk Stadtlengsfeld um 1900. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Die Porzellanfabrik M. Schweizer Stadtlengsfeld 1896 – 1902

Schon ein Jahr später, 1896, erwachte die Porzellanfabrik zu neuem Leben. Die Familie Frisch aus Zwickau erwirbt das Werk aus dem Konkurs. Die gerichtliche Eintragung erfolgt am 7. Februar des gleichen Jahres.

Bei der Ergänzung der Nachrichten im Turmknauf der evangelischen Kirche 1898 ist dieses Ereignis eine Eintragung wert: „Die Porzellanfabrik, die jetzt unter der Firma: Porzellanfabrik Stadtlengsfeld M. Schweizer, den Herren Karl und Kurt Frisch aus Zwickau gehört und beinahe 200 Arbeiter beschäftigt. Der technische Direktor ist Dr. Heinrich Stein, der kaufmännische Leiter Georg Endler.“

Noch 1896 erfolgte der Bau weiterer Öfen und Gebäude. Doch Karl und Kurt Frisch aus Zwickau war kein Glück beschieden. Im Jahre 1900 zerstörte ein Brand einige Gebäude mit Druckerei, Packerei, Schmelze und Weißlager. Sie wurden unverzüglich und im größeren Umfang wieder aufgebaut.

Abbildung 14: Mitgliederverzeichnis der Betriebskrankenkasse Porzellanfabrik Stadtlengsfeld M. Schweizer. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

1901 geriet das Werk wieder in finanzielle Schwierigkeiten. Im September wurden die Arbeiter ausgesperrt, im Oktober 1902 das Konkursverfahren eingeleitet. Carl Frisch, der alles investiert hatte und nun alles verlor, nahm sich das Leben.

Innerhalb von zwei Jahren beschäftigte das Porzellanwerk nicht weniger als 7 Direktoren. An deren Qualifikation und Arbeit kann es nicht gelegen haben, dass die Fabrik in Verfall geriet, befanden sich doch unter ihnen solche Männer wie Hagemann, Stein, Werner und Grimm, die sich in der Fachliteratur schon einen guten Namen gemacht hatten.

Abbildung 15: Fachwissenschaftliche Publikation des damaligen Direktors der Porzellanfabrik Hans Grimm. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Abbildung 16: Abbildung eines Brennofens aus der Publikation des damaligen Direktors der Porzellanfabrik Hans Grimm. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Abbildung 17: Bodenmarke der Porzellanfabrik M. Schweizer Stadtlengsfeld. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Abbildung 18: Postkarte der Porzellanfabrik Stadtlengsfeld nach 1900. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Abbildung 19: Ortsansicht mit Porzellanfabrik Stadtlengsfeld um 1900. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Porzellanfabrik Stadtlengsfeld AG (1902 – 1930)

Am 13. Juni 1902 wurden die Vermögenswerte aus dem Konkurs durch die Herren Büchner, Seiffert, Reuss und Beckmann übernommen. Für die neue Firma Porzellanfabrik Stadtlengsfeld Aktiengesellschaft blieb Herr Hans Grimm von der vorherigen Firma als Direktor. Interessanterweise geht aus dem Geschäftsbericht des Jahres 1902/03 hervor, dass dem Porzellanwerk eine „Maßstabsfabrik Stadtlengsfeld GmbH“ angegliedert war, deren Produktionsstätte sich auch auf dem Fabrikgelände befand.3

Schon am 2. Juli 1902 ging Grimm in den Ruhestand. Sein Nachfolger wurde Ross, am 27. Januar 1903 Wilhelm Schreiber Geschäftsführer.

Die folgenden Jahre verliefen günstig. Das lassen die Geschäftsberichte der Jahre 1903 bis 1907/08 vermuten. In dieser Zeit wurden zwei neue Öfen gebaut, die Dreherei und Massenmühle vergrößert und neue Maschinen angeschafft. Man plante sogar, 24 Wohnungen für Angestellte und Arbeiter zu bauen.

Am 1. Januar 1907 legte Ross sein Amt als Vorstand der Gesellschaft nieder. Sein Nachfolger wurde Direktor F. Schreiber.

Nun häuften sich wieder schlechte Nachrichten. Eine allgemeine Depression, eine erneute Verteuerung der Rohstoffe sowie Lohnerhöhungen verhinderten Gewinne. Dazu kam, dass es starke Einbrüche im Export auf den nordamerikanischen Markt kam. Viele Porzellanfabriken warfen ihre Produkte auf den Inlandsmarkt, was wiederum zu einem Überangebot und zu einer Verbilligung der Preise führte. Die Produktion wurde erheblich eingeschränkt, weil man nicht „der von manchen Seiten aufgenommenen verderblichen Schleuderei“ folgen wollte.4

Zu allem Überfluss wurde die Fabrik am 4. Februar 1909 von einem starken Hochwasser überflutet. Die Produktion wurde zeitweilig eingestellt und größere Reparaturen mussten durchgeführt werden.

Im Geschäftsjahr 1910/11 drohte fast eine Insolvenz. Herr Ludwig Hermann (Mitglied des Vorstandes) beging Selbstmord. Allerdings ist davon in den Geschäftsberichten nichts vermerkt. Nun machte sich Arbeitermangel, insbesondere Facharbeitermangel bemerkbar. Dieser Mangel wurde durch die aufblühende Kaliindustrie hervorgerufen. In der Umgebung wurden mehrere Schächte abgeteuft und die Produktion von Kalierzeugnissen aufgenommen. Hier zahlte man bessere Löhne. Obwohl genügend Aufträge einliefen, konnte die Produktion aus Mangel an geschultem Personal nicht erhöht werden. Jetzt war man gezwungen, auch in der Porzellanfabrik erheblich höhere Löhne zu zahlen. Das wiederum drückte den Gewinn.

Abbildung 20: Ansicht von Stadtlengsfeld um 1914. Im Vordergrund die Porzellanfabrik. Quelle Archiv R. Leimbach, 2017

Durch die Aufnahme neuer Produkte in das Sortiment verbesserte sich die Situation. Geschirre in Kobaltblau wie die Dekore Strohblume sowie das Zwiebelmuster fanden guten Absatz.

1913 sollen bis zu 400 Arbeiter und Angestellte beschäftigt gewesen sein. Im Geschäftsjahr 1913/14 waren 6 Öfen vorhanden mit denen 252 Brände durchgeführt wurden. Der Gesamtinhalt des gebrannten Porzellans belief sich auf 16.684 m3.5

In dieser Zeit wurden 8 große Massentrommel gekauft und sämtliche Öfen umgebaut. Der Betrieb erhielt eine neue Dampfheizung. Bemerkenswert ist der Kauf einer Prüfanlage bis 200 000 Volt. Wahrscheinlich sollte sie der Prüfung von keramischen Isolatoren dienen. Damals wurden viele Orte an das elektrische Netz angeschlossen, so dass ein großer Bedarf an diesem Artikel bestand.

Abbildung 21: Kaffeekanne mit Zwiebelmuster. Quelle: Archiv R. Leimbach, 2017

Im Jahr 1913 verursachte ein Hochwasser der Felda erneut große Schäden in der Fabrik.

Der erste Weltkrieg kündigte sich an. In den Geschäftsberichten war von einer großen Unbeständigkeit und Unsicherheit der Marktlage sowie politisch schwierigen Zeiten, in denen wirtschaftliche Verluste erfolgen können, die Rede.

So tauchen im Geschäftsbericht 1914/15 die ersten Toten auf, die die Belegschaft zu beklagen hat. Es sind dies „auf dem Felde der Ehre gebliebenen treuen Mitarbeiter Dreher Erich Gottschlich und Maler Willi Gerstung. Es stehen zurzeit 91 Beamte und Arbeiter unter den Fahnen, deren Familien wir wesentliche fortlaufende Unterstützungen zukommen lassen.“6

Die Todesmeldungen häuften sich. In den Geschäftsberichten stehen 18 Belegschaftsmitglieder, die „in treuer Pflichterfüllung den Heldentod für das Vaterland“ fanden. Den Stadtlengsfeldern wurde 1925 ein Denkmal errichtet. Den größten Anteil an den Spenden trug das Porzellanwerk und einige Hauptaktionäre.

1916 suchte ein Hochwasser das Werk erneut heim.

Die befürchteten Verluste durch den Krieg aber fielen aus. „Wir konnten gleichwohl genügend Aufträge und die erforderlichen Betriebsmaterialien beschaffen, sodass der Betrieb ohne Einschränkung der Arbeitszeit mit allen verbliebenen Arbeitskräften durchgeführt werden konnte.“7

„Das Geschäftsjahr 1916/17 gestaltete sich als drittes Kriegsjahr trotz der vermehrten Fabrikationsschwierigkeiten verhältnismäßig rege. Die Nachfrage nach unseren Fabrikaten war recht lebhaft, es konnte nur leider den gestellten Anforderungen bei weitem nicht entsprochen werden, da naturgemäß die Fabrikationseinrichtungen nicht ausgenutzt werden konnten.“8

„Die im Vorjahre berichtete steigende Nachfrage nach Porzellan jeder Art hielt auch im abgelaufenen Geschäftsjahre an. Die Einwirkungen des Krieges, insbesondere Arbeiter- und Kohlemangel hinderten jedoch eine größere Entfaltung der Fabrikation, sodass wir mit den Lieferungen, auch für Heereszwecke, im Rückstand bleiben mussten und einen größeren Bestand an unerledigten Aufträgen mit in das neue Geschäftsjahr nehmen.“9

Der Arbeitskräftemangel machte sich bemerkbar. Der Stellungskrieg im Westen wie im Osten verschlang Menschenmassen. Aus dem Porzellanwerk waren zum Kriegsdienst einberufen:

1914/15

91

1915/16

106

1916/17

121

1917/18

138

Wie aus dem Geschäftsbericht 1917/18 hervorgeht, verdiente das Werk auch an Lieferungen „für Heereszwecke“.

Von 1917 bis 1922 kaufte das Porzellanwerk im Ort viele Grundstücke und Häuser. Mit werkseigenen Wohnungen und Schrebergärten versuchte man das qualifizierte Personal am Ort zu halten.

Nach dem Krieg kam die Revolution, welche die Monarchie in Deutschland beseitigte. Eine neue Partei, die Kommunistische Partei Deutschland wurde gegründet. Sie fand auch in Stadtlengsfeld sehr rasch starken Zulauf. Die KPD – Ortsgruppe war eine der stärksten in der ganzen Region. Sie hatte, wie auch die SPD, in der Belegschaft des Porzellanwerkes zahlreiche Mitglieder und Anhänger.

Streiks in den Kohlegruben und im Verkehrswesen führten dazu, dass die Belieferung mit Kohle fast zum Erliegen kam. Die Produktion ruhte zeitweise.