Kein großer Bahnhof mehr - Rolf Leimbach - E-Book

Kein großer Bahnhof mehr E-Book

Rolf Leimbach

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Beschreibung

Das vorliegende Buch ist ein gemeinsames, zehntes Opus von Rolf Leimbach und Rolf Schlegel zur Geschichte ihres Heimatortes Stadtlengsfeld. Viele Ereignisse und Personen wurden berücksichtigt, aufgearbeitet und auf die vorliegende Weise einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Der Inhalt basiert auf einer Fülle historischer Daten, auf persönlichen Lebensläufen sowie auf Gesprächen mit Zeitzeugen. Die populären Darstellungen zielen auf einen großen Leserkreis ab, v. a. auf Bürger von Stadtlengsfeld, Weilar, Gehaus, Kaltennordheim oder Geisa, auf Heimatforscher, auf Lehrer und Schüler. Eintausend Jahre Geschichte eines kleinen Städtchens in der Rhön bieten genügend Stoff für Anekdoten, kuriose Begebenheiten und Intrigen. Sie sind Anlass zum Staunen und Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken! Die souveräne Auswahl der Themen, Sortierung und ihre prägnante Abhandlung lassen Sachverstand und nötiges Einfühlungsvermögen der Autoren erkennen. Dass Stadtlengsfeld etwas mit dem berüchtigten Sheriff von Nottingham in England zu tun hat, dass es einen Lehrer Günther gab, der als wandelndes Lexikon im Ort galt, dass hier einst Dienst- und Gebrauchshunde ausgebildet wurden, Lengsfelder Auswanderer in Kalifornien Geschichte schrieben, die heimische Feuerwehr, eine westfälische Holzfirma, das Porzellanwerk und der Bahnhof der Feldabahn vielen Bürgern in Erinnerung blieben sowie Lengsfeld mit Strom aus Weilar versorgt wurde, sind nur einige von vielen Enthüllungen, die dieser Band enthält.

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Autoren

Studienrat i. R. Rolf Leimbach war 47 Jahre Lehrer in Stadtlengsfeld. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für Unterstufenforschung an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR beteiligte er sich an der Weiterentwicklung von Lehrplänen sowie Lehrmaterialien für das Fach Heimatkunde. Seine Publikationen in der Fachzeitschrift - Die Unterstufe - befassten sich mit methodischem Experimentieren und der Erziehung zur aktiven Fragehaltung. Er veröffentlichte zahlreiche methodische Handreichungen für den Heimat-kunde-Unterricht. Er ist Autor zahlreicher Lehrbücher, Schüler-Arbeitshefte und Unterrichtshilfen für den Heimatkunde- und Sachunterricht. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Schuldienst intensivierte Rolf Leimbach seine heimatkundlichen Forschungen. Er veröffentlichte eine umfangreiche Chronik seiner Heimatstadt, die Geschichte des Porzellanwerkes Stadtlengsfeld, des Schulwesens, des Kaliwerkes Menzengraben sowie der Kirche. Weitere Arbeiten befassen sich mit den Hexenprozessen im 17. Jahrhundert, den Ereignissen des Jahres 1848 in der Stadt Lengsfeld, der Brandkatastrophe 1878 und dem Jahr 1945. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Erforschung der einstigen israelitischen Gemeinde im Heimatort, die zu den größten in Thüringen zählte. Rolf Leimbach ist es ein stetiges Anliegen, die facettenreiche Geschichte seiner Heimatstadt vielen Bürgern und Gästen nahezubringen. Deshalb engagiert er sich im Kultur- und Geschichtsverein mit Vorträgen, Führungen und Ausstellungen.

Prof. Rolf Schlegel ist Emeritus für Zytogenetik, Genetik und Pflanzenzüchtung nach über 50 Jahren Erfahrung in Forschung und Lehre. Er ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen und anderen Abhandlungen, Koordinator internationaler Forschungsprojekte und Mitglied mehrerer internationaler Organisationen. Er veröffentlichte bereits erfolgreich fünf Fachbücher in englischer Sprache, herausgegeben von drei amerikanischen Verlagen. Rolf Schlegel diplomierte 1970 auf dem Gebiet der Genetik und Pflanzenzüchtung und promovierte 1973. Die Habilitation (Dr. sc.) folgte 1982. Er war langjährig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem Institut für Genetik und Kulturpflanzenforschung der Akademie der Wissenschaften in Gatersleben, dem Institut für Getreide und Sonnenblumen-Forschung, Dobrich/Varna, sowie dem Institut für Biotechnologie der Bulgarischen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften tätig; darüber hinaus an verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen der USA, Brasilien, England, Japan, Russland und anderen Ländern. Seit geraumer Zeit hat er die Ahnenforschung seines Heimatortes Stadtlengsfeld zur Freizeitbeschäftigung gemacht. Dabei entstand eine Datei von mehr als 51.000 Personeneinträgen aus der mehr als tausendjährigen Geschichte des Ortes. Die Schicksale der Menschen und deren Leben bieten Stoff für eine Vielzahl von Geschichten und historischen Darstellungen. Diese einem breiten Publikum kundzutun, ist eine neue Passion des Autors.

Vorwort

Man muss wohl erst zum älteren Semester gehören, bevor man die Zeit und Muße besitzt, um sich intensiver mit seiner Heimat und seinen Wurzeln zu beschäftigen. Beide Autoren haben neuerdings das Privileg. Obwohl beide in Stadtlengsfeld geboren wurden, aufwuchsen und zur Schule gingen, haben sich ihre Wege durch das Berufsleben verloren. Erst im Jahr 2011 war es soweit, dass sie sich wieder begegneten. Der eine schon länger befasst mit der Geschichte der Rhön, der andere über die Suche nach seinen Ahnen.

Bereits die ersten Gespräche waren von großem Konsens und individueller Begeisterung geprägt. Es brauchte somit nicht allzu lange, um neue Ideen und gemeinsame Pläne zu gebären. Basierend auf dem bereits angehäuften Fundus an geschichtlichen Daten, Personenbeschreibungen, Fotos sowie schriftlichen Belegen bestand die Frage, wie man die Vielzahl von Informationen einem breiteren Publikum, insbesondere aus Stadtlengsfeld nahebringt.

Am Anfang sahen die Autoren die Möglichkeit, monatliche Kurzgeschichten im Lokalanzeiger „Baier-Bote“ zu veröffentlichen. Sehr schnell war aber zu erkennen, dass die schriftstellerische Produktivität der beiden Autoren größer war als man in monatsweisen Publikationen unterbringen kann. Daher rührte der Gedanke, einzelne historische Beiträge in Buchform zu publizieren. Es sind bereits neun Bände erschienen. Der zehnte Band liegt nun auch vor.

Bereits fragmentarische Unterlagen wurden gesichtet, systematisiert und in ein geeignetes Format gestellt. Hinzu kamen eine Vielzahl von persönlichen Kontakten, Recherchen im INTERNET sowie Standesämtern, Kirchenbüchern und alten Gazetten. Das Ergebnis lässt sich sehen. Obwohl es niemals ein Ende gibt, sind bereits die Daten von mehr als 51.000 Menschen über mehr als tausend Jahre jüngerer Geschichte des Heimatortes in eine elektronische Registratur eingeflossen. Die dazugehörigen Einzelschicksale bieten Stoff für Generationen.

Die Autoren betrachten ihr Werk als Vermächtnis an die gegenwärtige Generation, Kinder und Enkel. Mögen sie sich ihren Wurzeln bewusst werden, ihren Vorfahren gedenken und die Sammlung eines Tages weiterführen. Es ist in höchstem Maße interessant zu sehen, woher wir kommen, wie die Geschichte das Wohl und Wehe von Personen beeinflusste sowie Menschen schon immer versuchten, ihr Leben aufzuschreiben und zu dokumentieren.

Nicht die Suche nach LUCA (Last Universal Common Ancestor) trieb uns, sondern die Neugier nach den Wurzeln der Vielzahl von Lengsfelder Bürgern, ihren Familien sowie deren Rolle in der Geschichte. Dabei wird sichtbar wie sich lokale menschliche Populationen vermischen, wie geographische sowie gesellschaftlichen Grenzen überschritten werden, wie Kriege Familien auslöschen, wie Stammbäume enden und andere wachsen oder wie sich Berufe und Namen historisch wandeln. Deutlich wird zugleich, dass die Mobilität in der Neuzeit immer größer wird und die Familien immer kleiner.

Der zehnte Band der Serie von „Lengsfelder Geschichten“ ist wiederum eine Auswahl von Artikeln, die entweder bereits anderswo veröffentlicht oder neu erstellt wurden. Es war nicht beabsichtigt, eine exakte geschichtliche Abfolge der Beiträge zu schaffen.

Die Zusammenstellung wurde so arrangiert, dass sie eine möglichst große Aufmerksamkeit erzielt. Viele Details sind nicht in die Artikel eingeflossen, weil diese das Leseerlebnis gestört hätten. Diese können aber jederzeit bei den Autoren nachgefragt werden. Abbildungen, Schemata und Fotos dienen einem ähnlichen Zweck. Fußnoten und Quellenangaben wurden auf ein Minimum reduziert. Die Referenzen finden sich in einer an das Ende des Buches verlegten Bibliographie.

Die Autoren

Danksagung

Die Autoren möchten Prof. Udo Rindelhardt (Dresden), Manfred Wolfram, Peter Funk, Wolfgang Kaiser (Stadtlengsfeld), Julia Beez (Gotha) und Robyn Schrumpf und Tyler Schleicher (USA) für die sehr interessanten Anregungen und Hilfe danken.

Frau Dr. Gisela Schlegel (Gatersleben) sind wir sehr für die kritische Durchsicht des Manuskripts verbunden.

Inhalt

Vorwort

01 Der Sheriff von Nottingham und Stadtlengsfeld

02 Frag‘ doch mal den Lehrer Günther!

03 Dienst- und Gebrauchshunde aus Stadtlengsfeld

04 Des Autors frühe Wurzeln und die Masbacher Höfe

05 Die Schrumpfs in Kalifornien

06 Mildred Schrumpf – Erfinderin der Brownies in Amerika?

07 Wer baute die „steinerne Treppe“ am Baier?

08 Grubenholz von Schnepper & Isphording aus Stadtlengsfeld

09 Johannes – ein Haudegen unter den Lengsfelder Handschumachers

10 Retten – Löschen – Bergen – Schützen Feuerwehr in Stadtlengsfeld

11 Porzellanfabrik Stadtlengsfeld – Arbeitsplätze für die Rhön

12 Die Bahnhöfe der Feldabahn in Stadtlengsfeld

13 Öko-Strom aus Weilar

Bibliographie

Der Sheriff von Nottingham und Stadtlengsfeld

Rolf Schlegel

Wer kennt nicht die Geschichten über Robin Hood aus dem Sherwood Forest. In ihnen ist der Sheriff von Nottingham der Hauptgegner von Robin Hood, dem Rebell.

Der Sheriff wird im Allgemeinen als ungerechter Tyrann dargestellt, der die Bevölkerung von Nottinghamshire misshandelt und sie unerschwinglichen Steuern unterwirft. Robin Hood kämpft gegen ihn und stiehlt von den Reichen und dem Sheriff, um den Armen zu geben.

Die Personen und Episoden um Robin Hood sind nicht verbürgt – die Sheriffs von Nottingham sehr wohl.

Der Hohe Sheriff ist das älteste weltliche Amt unter der britischen Krone (vgl. Abb. 1). Früher war der Hohe Sheriff der Hauptstrafverfolgungsbeamte in der Grafschaft. Man könnte sagen der Friedensrichter. Doch im Laufe der Jahrhunderte wurden die Sheriffs im Zusammenhang mit ihren Posten an einen anderen Ort verlegt. Vielerorts wurden die Ämter vollends abgeschafft. Heute ist Funktion des Sheriffs meist nur noch zeremoniell Art. Der High Sheriff wechselte jeden März.

In den Jahren von 1068 bis 1567 gab es den High Sheriff von Nottinghamshire, Derbyshire und den Royal Forests. Ab 1568 wurden separate Ernennungen für den High Sheriff von Nottinghamshire und für den High Sheriff von Derbyshire vorgenommen.

Nottinghamshire liegt an dem alten römischen Fosse-Weg. Es gab dort auch römische Siedlungen wie die spätere Stadt Mansfield. Die Grafschaft wurde um das 5. Jahrhundert von den Angelsachsen besiedelt und wurde Teil des Königreichs Mercia.

Hinweise auf sächsische Siedlungen gibt es noch in Oxton bei Nottingham und Tuxford östlich von Sherwood Forest. Der Name Nottinghamshire wird erstmals 1016 erwähnt. Bis 1568 war diese Grafschaft verwaltungstechnisch mit Derbyshire unter einem einzigen Sheriff verbunden.

Was hat Stadtlengsfeld mit Robin Hood und Nottingham zu tun?

Unter den zahlreichen Sheriffs von Nottingham, die der Krone dienten, waren um das Jahr 1633 Robert Mellish of Ragnall, ab 21. Dezember 1691 Edward Mellish of Blyth Hall, im Jahr 1717 Joseph Mellish of Blyth sowie um 1764 Charles Mellish of Ragnall. [1]

Aus dieser Folge von Sheriffs namens Mellish ist nicht schwer zu erkennen, dass ein solches bedeutsames Amt nicht selten in der Familie weitergegeben wurde. Im Zusammenhang mit unserer Geschichte interessiert der Robert Mellish (1598-1662). Er war mit Mary Saunderson (1608-1668) aus Blyth verheiratet. Sie hatten u. a. den Sohn Reason Mellish (1627-1696), verheiratet mit Ann Matham aus Bullington.

Abbildung 1: Zeitgenössische Darstellung des Sheriffs von Nottingham. Quelle: [2]

Abbildung 2: Tyler J. Schrumpf (1977-). Quelle: T. Schrumpf, 2019

Die beiden hatten unter mehreren Kindern den Charles Reason Mellish (1670-1713), verheiratet mit Elizabeth Bostock (1670-1742) aus Harthill. Ihre Tochter, Elizabeth Mellish (1691-1781), brachten den unehelichen Sohn Thomas Mellish zur Welt (1744-1780). Er wurde in York (England) geboren. Elizabeth heiratete später Thomas Condon aus York (England). Zusammen mit Thomas, ihrem Kind wanderten sie nach Neuschottland im Osten des heutigen Kanada aus.

Thomas Mellish mit seiner Frau Jane Douglas (1758-1854), die aus Louisburg (Kanada) stammte, hatten sie eine Tochter, Mary Mellish (1777-1841), verheiratete Mary Enman.

Die Enmans hatten u. a. eine Tochter Elizabeth Enman (1818-1901). Sie heiratete in Kanada den aus England stammenden John Robert Horne (1815-1888). Eine ihre Töchter, Emily Horne (geb. 1865) heiratete den Canadier George A. Kay (geb. 1855). Einer der Söhne, Hanford James Kay (1886-1966), heiratete die Winnifred Appleton Marshall (1883-1965) aus Lawrencetown (Kanada).

Noch kleines bisschen Geduld, gleich sind wir am Ziel!

Die Letzteren übersiedelten nach Massachusetts (USA). Ihre zweite Tochter, Virginia Appleton Kay (geb. 1919) war mit dem US-Amerikaner Robert Kimpthorne Jones (1920-2005) vermählt. Das Paar hatte einen Sohn, Kenneth Jones (geb. 1946) und eine Tochter, Marjorie Elaine Jones (geb. 1949). Marjorie Elaine Jones heiratete schließlich 1968 in Wayland, Massachusetts (USA) den David Reid Schleicher (geb. 1947), der aus Fort Collins, Colorado (USA) stammte. Einer ihrer Söhne, Tyler David Schleicher (geb. 1977) besuchte unlängst Stadtlengsfeld.

Hier treffen sich der Sherriff von Nottingham und Stadtlengsfeld.

Dass der Name „Schleicher“ sehr deutsch klingt, macht den Leser sofort stutzig. Der Name geht aus der mittelhochdeutschen Übernahme "slichaere" hervor, was so viel wie "der einen Schleichweg wandelt, d. h. Schleicher" bedeutet. Varianten des Namens wie Slicher (um 1147) oder Sleycher (um 1329) finden bereits früh Erwähnung. Er kommt besonders häufig im Südwesten Thüringens vor.

Es ist in der Tat ein deutscher Familienname und eine dieser Familien stammt sogar aus Stadtlengsfeld. Das war der Grund für den Besuch von Tyler Schleicher, während einer Dienstreise in Stadtlengsfeld nach seinen Wurzeln zu suchen.

Peter Reukauf aus Stadtlengsfeld traf durch Zufall den Tyler Schleicher auf dem Friedhof. Da er sich mit den Stadtlengsfelder Ahnen und der englischen Sprache etwas schwertat, verwies er Tyler Schleicher an Rolf Leimbach, den Ortschronisten, und an mich, den Genealogen. Aus dieser Liation entspann sich eine längere Geschichte, die es wert war, aufgeschrieben zu werden.

Frag‘ doch mal den Lehrer Günther!

Rolf Leimbach & Rolf Schlegel

Wenn es bei Otto Günther in der Rothäuser Straße 7 von Stadtlengsfeld (Abb. 1 und 8) an der Wohnungstür klingelte, suchten besonders in den Herbsttagen Pilzsammler bei ihm Rat. Sie wollten Gewissheit, ob die gesammelten Pilze unbedenklich verzehrt werden konnten. Die Auskünfte des „Lehrer Günther“ waren unfehlbar und dieser Ruf zeugt von der hohen Achtung, die ihm die Stadt entgegengebrachte. Auf die Auskünfte von Otto Günther war einfach Verlass. Das jedenfalls sind die wichtigsten Assoziationen, die sich noch heute mit dem Namen Otto Günther unter den älteren Einwohnern verbinden. Seine Worte wählte er immer sehr bedächtig und bestimmt, was die Ratsuchenden mit Geduld ertrugen.

Abbildung 1: Otto Günther 1951. Quelle: K. Günther, 2019

Wer war dieser Mann, dessen Wirken in Stadtlengsfeld im Laufe der Jahre immer undeutlichere Konturen annimmt und somit in Gefahr gerät, sehr zu Unrecht vergessen zu werden?

Herkunft, Schule und Studium

Abbildung 2: Otto Günther als Student 1911 (3.v.l.). Quelle: K. Günther, 2019

Otto Günther wurde am 6. November 1891 in Essbach, im damaligen Kreis Ziegenrück, geboren. Um das Jahr 1911 besuchte er ein Lehrerseminar (wahrscheinlich in Schleiz). Verheiratet war er mit Lina Wiebel (1900-1977). Aus der Ehe gingen die Söhne Siegfried (1928-2006) und Wolfgang (1930-) hervor (vgl. Abb. 1-5).

Seine Lebensspur findet sich in den 30er Jahren als Lehrer in Dietlas wieder. Nach mündlicher Übermittlung soll er von dort an die Volksschule nach Stadtlengsfeld versetzt worden sein, weil er der NSDAP nicht gewogen war.

Ein ihm als Lehrer nahegelegt Eintritt in die NSDAP hätte für Otto bedeutet, sich selbst zu verleugnen. Denn es gibt eine Aussage seines Enkels, wonach sein Opa ein Freimaurer war. Dies sei ein Grund dafür gewesen, wonach er während der NS-Zeit Schikanen und Maßregelungen zu erdulden hatte.

Freimaurer? Bis in die Gegenwart verbinden Menschen diesen Begriff mit etwas mystischem. Was bewog ihn, Mitglied in einem „Geheimbund“ zu werden?

Abbildung 3: Otto Günther 1913. Quelle: K. Günther, 2019

„Die Freimaurerei, auch Königliche Kunst genannt, versteht sich als ein ethischer Bund freier Menschen mit der Überzeugung, dass die ständige Arbeit an sich selbst zu einem menschlicheren Verhalten führt. Die fünf Grundideale der Freimaurerei sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Sie sollen durch die praktische Einübung im Alltag gelebt werden.

Die Freimaurer organisieren sich in sogenannten Logen… Nach ihrem Selbstverständnis vereint die Freimaurerei Menschen aller sozialen Schichten, Bildungsgrade und Glaubensvorstellungen…

Freimaurer haben sich der Verschwiegenheit und insbesondere dem Grundsatz verpflichtet, freimaurerische Bräuche und Logenangelegenheiten nicht nach außen zu tragen....

Dies soll intern den freien Ideen- und Meinungsaustausch ermöglichen…“ [1]

Wir wissen nicht, wann und wo Otto Günther der Freimaurerei frönte und welcher Loge er damals angehörte.

Das ist auch nicht sehr wichtig. Man muss, auch als Chronist nicht jedes Detail einer Biografie an das Tageslicht zerren, nur um Aufmerksamkeit zu erregen.

Abbildung 4: Otto Günther (m.) Anfang der 1970er Jahre in der Rothäuser Straße mit Ehefrau Lina Wiebel (l.) und Schwägerin (r.). Quelle: K. Günther, 2019

Interessant sind aber schon die Beweggründe für einen solchen Schritt. Vielleicht fand Otto Günther sie in der Überzeugung der Freimaurer, dass die ständige Arbeit an sich selbst zu einem menschlicheren Verhalten führt. Vielleicht war er angetan von den Grundidealen der Freimaurer: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Als Freimaurer war in der NS-Zeit Otto Günthers Beruf als Lehrer in Gefahr. Die Freimaurerei war im Dritten Reich verboten, weil sich ihre Mitglieder der Verschwiegenheit nach außen verpflichtet fühlten. So etwas war der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) natürlich suspekt.

Der Lehrer

In Stadtlengsfeld fand er Kontakt zum Rhönklub1, was seinen Interessen als Lehrer für Biologie und Geschichte entsprach.

Sehr wahrscheinlich stand Otto Günther in Stadtlengsfeld der Ortsgruppe des Rhönbundes vor, denn er hatte mit dem Verbot des Rhönklubs 1945 die Hinterlassenschaften des Stadtlengsfelder Vereins der Beschlagnahme wegen zu übergeben.

Abbildung 5: Otto Günther Anfang der 1970er Jahre mit seinen Enkeln Dieter (r.) und Klaus (l.). Quelle: K. Günther, 2019

Otto Günther wurde nach der Kapitulation Hitlerdeutschlands nicht aus dem Schuldienst entlassen. Er gab am 30. Dezember 1945 in seinem Aufnahmeantrag in die SPD an, dass er ab 1933 politisch verfolgt wurde. Seine Maßregelung bestand darin, dass er als Schulleiter entfernt worden sei, weil er ein Gegner der NSDAP war. Er war kein Mitglied dieser Partei. Als Begründung für seine antifaschistische Einstellung schrieb er, schon vor 1933 mit der SPD sympathisiert zu haben.

In Stadtlengsfeld wurde der Schulbetrieb am 1. Oktober 1945 nach einer halbjährlichen Unterbrechung wieder aufgenommen. Zuvor musste die Schule inhaltlich, personell und auch materiell umgestaltet werden. Grundlage für die Umgestaltung der Schule in der sowjetischen Besatzungszone war unter anderem der gemeinsame Aufruf der KPD und SPD. In ihm hieß es:

„… Die entscheidende Voraussetzung und die wichtigste Garantie für eine wirkliche Demokratisierung der Schule ist ein demokratischer Lehrkörper, ist ein neuer Typ des demokratischen, verantwortungsbewussten und fähigen Lehrers.

Die Erzieher unserer Jugend werden ihre großen, die Zukunft unseres Volkes bestimmenden Aufgaben nur erfüllen, wenn sie gewillt und befähigt sind, die heranwachsende junge Generation zu bewussten Trägern des Wiederaufbaues und der Schaffung eines neuen, friedlichen, demokratischen

Abbildung 6: Mitteilung des Schulleiters Otto Günther an das Kreisbildungsamt Eisenach über die Unterrichtsaufnahme und Lehrkräfte an der Volksschule Stadtlengsfeld am 6. 10. 1945. Quelle: [2]

Deutschland heranzubilden...“

In den Unterlagen des Stadtarchivs zu den Ereignissen aus jenen Jahren wird dazu knapp bemerkt: „Was die schulischen Verhältnisse anbelangte, wurde auch bei uns die Entnazifizierung des Lehrerapparates vorgenommen. Es wurden Neulehrer in Kurzlehrgängen ausgebildet. In Stadtlengsfeld waren es anfangs zehn Neulehrer. Auch war der völlige Neubeginn der Schule infolge Fehlens der erforderlichen Lehr- und Unterrichtsmittel äußerst schwierig.“

An diesem Prozess war Otto Günther ganz maßgeblich beteiligt. In den Dokumenten, die an das Schulamt in Eisenach gerichtet waren und die Otto Günther als Schulleiter der Volksschule in Stadtlengsfeld unterschrieb, wurde berichtet, wie Lehr- und Lernmaterialien mit nationalsozialistischem Gedankengut aussortiert wurden. Schiefertafeln wurden bestellt, da Schreibhefte nicht zu bekommen waren. Die Schule kümmerte sich um Holzsandalen und Pausenbrötchen für bedürftige Kinder. In vielen Familien fehlten der Vater und Ernährer, der an der Front des 2. Weltkrieges gefallen war.

Welche Lehrer in Stadtlengsfeld am 6. 10. 1945 den Unterricht wieder aufnahmen, wird aus o.g. Schriftstück ersichtlich (Abb. 6). Unvergessen sollte seine Ansprache als Schulleiter zu Eröffnung der Schule nach dem 2. Weltkrieg bleiben.

„Ansprache des Schulleiters zur Wiedereröffnung der Volksschule Stadtlengsfeld am 1. Oktober 1945.

Liebe Jungen und Mädel! Liebe Eltern! Liebe Kollegen!

Der heutige Tag bringt uns die Wiedereröffnung der Schule. Er ist für uns alle, für Lehrer, Kinder und Eltern von großer Bedeutung, von so großer Bedeutung, dass ich sagen möchte: Wir legen heute den Grundstein zu einem Neubau der deutschen Erziehung.

Seit mehr als einem halben Jahre musste unsere Schule geschlossen bleiben. Wie oft sind in den vergangenen Wochen und Monaten Eltern und - ein gutes Zeichen! - auch Kinder an mich herangetreten mit der Frage: „Herr G., wann beginnt denn die Schule wieder?“

Abbildung 7: Otto Günther (m.) 1951 als Direktor der Pädagogischen Fachschule für Kindergärtnerinnen. Quelle: K. Günther, 2019.

Ich musste immer wieder vertrösten. Heute werden es alle Eltern, alle, auch die, die noch in der Vergangenheit leben sollten, Marschall Shukow und der russischen Militärverwaltung Dank wissen, dass unsere Kinder wieder geordneten Unterricht erhalten können.

Wenn wir nun morgen, liebe Kinder und liebe Kollegen, die alten Klassenräume wieder betreten, so werden wir nicht da fortfahren können, wo wir vor der Schließung aufhörten. Dazu liegt zu viel und zu gewaltiges Geschehen hinter uns. Wir haben den furchtbarsten aller Kriege erlebt.

Wir haben ihn verloren. Wir haben den größten Zusammenbruch erlebt, den die Weltgeschichte jemals gesehen hat.