Håkon, ich und das tiefgefrorene Rentier (P.S. Fröhliche Weihnachten) - Katie Volckx - E-Book

Håkon, ich und das tiefgefrorene Rentier (P.S. Fröhliche Weihnachten) E-Book

Katie Volckx

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Beschreibung

Linnéa Lysefjord fühlt sich ganz in ihrem Element, denn Weihnachten steht bevor. Doch das bedeutet längst nicht, dass alles reibungslos verläuft. Vor allem ihre Gefühle für ihren Schwarm Håkon Ertsås, der als Lieferant des Weihnachtshauses, in dem sie angestellt ist, arbeitet, machen ihr schwer zu schaffen. Alles spricht dafür, dass er ihre Zuneigung nicht erwidert und in ihr nur eine besonders gute Freundin sieht. Da hilft nur eins: Überzeugungsarbeit leisten! Doch als es soweit ist und Frau Holle ihr die besten Chancen dafür einräumt, verliert sie sich auf ihren Wegen, verzweifelt auf der Suche nach dem einzig sinnvollen - dem einzig richtigen.

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Det er det du gjør og ikke det du sier

som viser hvem du egentlig er.

Was du machst, und nicht, was du sagst,

Eins

Ich arbeitete wohl am allerschönsten Ort der Welt, und zwar in einem Weihnachtshaus, wobei hierbei der eigentliche Knüller war, dass es ganzjährig geöffnet hatte. Jedenfalls war es für mich der allerschönste Ort der Welt, denn ich liebte Weihnachten. Ich war nicht so versessen darauf wie eine aus der Klapsmühle Entflohene (tatsächlich atmete ich zuweilen auch gern den süßen Duft der aufkeimenden Blätter und Blümchen in der Frühlingszeit tief ein und entspannte mich in der Sommerzeit herzlich gern in der Sonne am oder im Svarttjønna – mein Lieblingssee, rund fünf Kilometer von Trondheim entfernt), aber mein Herz hing an dem Fest der Liebe wie Ernie an Bert oder eben Bert an Ernie.

Meine Vorliebe für Weihnachten traf in meinem Umfeld nicht immer auf viel Gegenliebe. Sie hielten mich stellenweise sogar für verrückt. Da half keine Begründung, nicht einmal die, dass irgendjemand ja den Laden schmeißen musste. Dann hieß es nur: »Vor November und nach Heiligabend will doch niemand etwas von dem ganzen Weihnachtsmist wissen, Linnéa.« Das stimmte so nicht. Das wüsste mein Umfeld auch, wenn sie mich von Zeit zu Zeit in der ›Nicht-Weihnachtszeit‹ im Laden besuchen kämen. Aber dem wollten sie sich nicht stellen. Sie hatten viel zu große Angst vor den anderen ›Verrückten‹, die das Weihnachtshaus im Frühjahr oder mitten im brütend heißen (wie auch immer man hier brütend heiß definierte) Sommer aufsuchten.

Zugegeben, es mochte ein wenig verstörend sein, jedenfalls für diejenigen, die auch schon in der Weihnachtszeit regelmäßig eine Krisenberatung aufsuchten, um diese zutiefst besinnliche Zeit letztendlich unter Aufbietung aller Kräfte irgendwie lebend zu überstehen. Es gab immer irgendwo auf dieser Welt ein, zwei Personen mit querulantischer Persönlichkeitsstruktur. Darum machte ich mir inzwischen nichts mehr daraus, stand drüber und dafür ein und schenkte jedem, der es dringend nötig hatte, ein liebevolles Lächeln; mochte dieser Mensch noch so griesgrämig erscheinen.

Woher meine Vorliebe für Weihnachten rührte, konnte ich mir auch nicht erklären, aber sie war schon immer da gewesen. So weit ich zurückdenken konnte, war meine Vorfreude auf die Weihnachtszeit überschwänglicher als die der anderen gewesen und trieb meine Eltern nahezu in den Wahnsinn; nicht der Geschenke, primär des Festes wegen. Ich hatte Spaß am Backen, tat es möglichst jeden Tag, um den Duft frischer Goro-Waffeln mit Kardamom, Holzapfel-Plätzchen und Kränzchen im Haus zu erhalten. Außerdem hatte ich Spaß daran, das Haus bei guter alter Weihnachtsmusik tunlichst pompös zu verzieren, doch besonders großen Spaß hatte ich an der Planung des Familienfestessens und daran, die Einladungskarten inklusive des Menüplans, der unsere Verwandten schon im Vorfeld ködern sollte, zu gestalten. 

Schon immer umgab ich mich gern mit meiner bemerkenswert großen Familie. Diese fand sich am Heiligen Abend in unserem Haus zusammen. Schon in meiner frühsten Kindheit hatte es sich nach und nach zur Gewohnheit entwickelt, da wir das größte Haus von allen hatten, in dem mit Abstand die meisten Familienmitglieder lebten. Dieses Ritual hatte sich auch nicht geändert, als die ersten von uns ausgezogen waren und in der Umgebung ihr eigenes Haus bezogen hatten.

Zunächst einmal waren da meine Eltern Ane und Johan, die es als Liebespaar schon seit vierzig Jahren gab und seit siebenunddreißig Jahren verheiratet waren. Sie waren knackige fünfzehn Jahre jung gewesen, als Amors Pfeil sie getroffen hatte. Schon mit der ersten Begegnung war ihr Schicksal besiegelt. Sie waren sich über alles einig, insbesondere über die Ehe und über das Kinderkriegen. Sobald beide achtzehn Jahre alt geworden waren, hatten sie das Aufgebot bestellt. Nur mit dem Kinderkriegen hatten sie sich bis nach der Ausbildung Zeit gelassen. Auch wenn sie sich jede Menge Kinder gewünscht hatten und das bedeutet hatte, dass Mami der Kindererziehung wegen nie zum Arbeiten kommen würde, hatte sie großen Wert darauf gelegt, sich beruflich abzusichern. Zwar mochte sie stets an ihre Ehe mit Papi geglaubt haben, jedoch nicht so sehr daran, dass ihm niemals etwas zustoßen könnte. Noch heute war das eines ihrer größten Ängste. Ihre Liebe zueinander verging jedoch nie. Das machte sie zu meinem Vorbild. Sie waren der Grund, aus dem ich an Seelenverwandtschaft auch zwischen Mann und Frau glaubte. Nun, eigentlich nicht nur glaubte; ich wusste, dass es sie gab. Wie könnte ich es nicht wissen, wenn sich dieses Phänomen tagein, tagaus unter unserem Dach direkt vor meinen eigenen Augen abspielte?

Mein Bruder Mikkel war der Erstgeborene, sechsunddreißig Jahre alt, seit sechs Jahren mit seiner Langzeitfreundin Åse verheiratet und stolzer Vater des dreijährigen Jungen Petter. Åse war lange Zeit nicht schwanger geworden. Niemand hatte sich das erklären können, da beide bei bester Gesundheit waren. Schlussendlich hatte sich herausgestellt, dass Åse ihrem Gatten verschwiegen hatte, dass sie die Antibabypille nie abgesetzt und diese weiterhin heimlich eingenommen hatte. Der Grund dafür war kein geringerer als Angst gewesen; Angst davor, in der Erziehung eines Kindes zu versagen. Sie hatte schlichtweg an sich gezweifelt. Als Einzelkind war es für sie vielleicht nicht gleich klar gewesen, wie einfach das eigentlich ging. Doch nachdem wir alle ihr unsere volle Unterstützung zugesichert hatten, hatte die sonst so taffe Frau ihren Mut endlich wiedergefunden.

Erst fünf Jahre später kamen die zweieiigen Zwillinge Toini und Thore zur Welt. Das Mädchen und der Junge erschienen Mami und Papi wie ein Segen, insbesondere, nachdem sie infolge eines Arbeitsunfalls, bei dem sich Papa auf der Baustelle beide Beine gebrochen hatte, eine Zwangspause hatten einlegen müssen und ebendarum wertvolle Zeit für die Fortpflanzung verloren hatten. Es war ihnen noch heute, als hätte Gott sie mit zwei Kindern auf einen Streich für diese Zeit entlohnt. Ganz anders sahen Toini und Thore das. Denn viel zu lange galten sie als eine Einheit, obwohl alles danach geschrien hatte, dass sie gar kein klassisches Zwillingspaar waren. Erstaunlich früh hatte sich das bereits abgezeichnet. Und je älter sie wurden, desto mehr kehrte jeder für sich seine Einzigartigkeit heraus. Bis zu dem einen Tag in ihrer späten Jugend, als Thore sich zu seiner Homosexualität bekannt und sich in den Kerl verknallt hatte, den Toini ihren ersten festen Freund nannte.

Dann war ich geboren worden. Ich war das Mittelkind. In der Familie nannte man mich auch gern Goldschatz, abgeleitet von »Die goldene Mitte«. Ich war neunundzwanzig Jahre alt und fürchtete mich ein wenig vor meinem dreißigsten Geburtstag. Aber der war eh erst im September nächsten Jahres. Das verschaffte mir allerhand Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass die Dreißig so … so … na ja, so erwachsen klang. Dabei fühlte ich mich gar nicht wie eine Erwachsene. Andererseits bedeutete Erwachsensein ja nicht, in der Art eines Spießbürgers leben zu müssen, sondern vielmehr auf eigene Verantwortung leben zu können. Und das konnte ich. Bereits seit meiner Volljährigkeit. Denn wir wurden so erzogen. Außerdem war ich solo – eher unfreiwillig –, kinderlos – so, wie alle anderen auch, außer Mikkel und Synni –, lebte noch immer unter dem Dach meiner Eltern – buchstäblich – und fotografierte in meiner Freizeit für mein Leben gern – dies und das.

Nach mir folgten noch drei Geschwister. Zum einen war da Synni, die nur zwei Jahre jünger war als ich und mir trotzdem schon um Welten voraus war. Seit neun Jahren war sie mit Kjell verheiratet, hatte einen fünfjährigen Sohn mit dem Namen Bjørn und eine dreijährige Tochter mit dem Namen Majah und erwartete bereits ihr drittes Kind, dessen Geschlecht nach wie vor unbekannt war. Nicht, dass es im Ultraschall noch nicht zu erkennen gewesen wäre – immerhin war meine Schwester schon im siebten Monat –; die werdenden Eltern wollten es vorab einfach nicht wissen. Das Geschlecht war für sie völlig unerheblich. Da wurde mir einmal mehr bewusst, dass Synni Mami am ähnlichsten war; nicht nur optisch, eben auch in den Lebenseinstellungen.

Zum anderen war da Fredrik, siebenundzwanzig Jahre alt und Student. Nach seiner dreijährigen Ausbildung als Zerspanungsmechaniker war ihm plötzlich in den Sinn gekommen, dass er mehr vom Leben wollte und dass es dafür im Geldbeutel klingeln musste. Aus diesem Grund hatte er mit vierundzwanzig Jahren ein Ingenieurstudium begonnen, mit welchem er schon bald am Ziel seiner Träume angelangt war. Im Moment absolvierte er zwei Semester fern der Heimat. Genauer in Fredericton, die Hauptstadt der Provinz New Brunswick im östlichen Kanada. Ich hatte gehört, dass Kanadiern die Balance zwischen Freizeit und Beruf äußerst wichtig sei, darum ahnte ich, dass das seine Entscheidung grundlegend beeinflusst und es keiner weiteren Überlegung mehr bedurft hatte. Der einzige Wermutstropfen in seinem Glück war, dass dies das erste, doch hoffentlich auch letzte Weihnachtsfest war, das er nicht mit uns verbringen würde.

Und last but not least war da unser Nesthäkchen namens Yva. Sie war süße zwanzig Jahre alt und quasi ein Verkehrsunfall. Ursprünglich war kein weiteres Kind mehr geplant gewesen, denn mit Fredriks Geburt war Mamis und Papis gewünschte Anzahl von Kindern erreicht worden. Nichtsdestotrotz war Yva als Siebentgeborene ein absolutes Wunschkind, auf das wir uns alle unendlich gefreut hatten. Nur gelegentlich kostete sie uns Nerven – früher noch mehr als heute –, denn sie war fürchterlich verhätschelt worden. Für mich war sie ein universelles Naturgesetz, denn mit Nesthäkchen war es immer dasselbe. Auch sie wohnte im Übrigen noch daheim und brütete ausgiebig über ihre Zukunftspläne. Sie wollte auf gar keinen Fall den gleichen Fehler machen wie Fredrik und Zeit mit einer Ausbildung verplempern. Sie wollte sich sofort in ein Studium stürzen, vorzugsweise ein Auslandsstudium in Australien. Bewusst oder unbewusst eiferte sie Fredrik nach, nur höher, schneller, weiter und unbedingt besser. Nun ja, als Jüngste war sie klar im Vorteil, da sie von uns lernen konnte, vor allem aus unseren Fehlern.

Nun waren es nur noch vierzehn Tage bis Heiligabend und wir steckten mitten in den Vorbereitungen. Mit Wir waren meine Eltern, Yva und meine Wenigkeit gemeint. Hin und wieder, wenn es die Zeit zuließ, beehrten uns auch Åse und Synni, noch seltener Toini, um uns ein wenig unter die Arme zu greifen. Doch meistens waren wir auf uns allein gestellt.

Die Vorbereitungen bestanden im Augenblick zumeist aus Putzen und kleineren Reparaturen. Wenigstens würden der Staub in irgendeiner Ritze, ein wackelnder Stuhl, schief hängende Bilderrahmen, eine durchgeknallte Glühbirne, der verstopfte Abfluss des Waschbeckens in der Gästetoilette, drei verdorrte Zimmerpflanzen und ein unebener Weg zum Haus nicht für Klagen oder gar für gebrochene Glieder sorgen. Alles sollte möglichst perfekt werden, so wie jedes Jahr. Doch dafür musste jedes noch so kleine Detail bedacht werden.

»Wo sind Sie schon wieder mit Ihren Gedanken, Fräulein Lysefjord?« Meine Chefin riss mich aus meiner Trance und deutete mit dem linken Zeigefinger durch das große opulent dekorierte Fenster hinaus auf den Lieferanten, der just mit seinem Kleintransporter auf die Einfahrt fuhr.

»Ojemine, verzeihen Sie, Frau Hæreid. Natürlich kümmere ich mich sofort um die Lieferung.« Und um den Lieferanten, sagte ich zu mir und grinste vorwitzig in mich hinein.

Sie nickte zufrieden. »Ganz recht.«

Mit schnellen Schritten ging ich hinaus zu ihm, den Weg entlang, den ich gleich in der Früh, noch ehe der Rest der Erdbevölkerung aus dem Tiefschlaf erwacht war, in tiefster Dunkelheit mit einer äußerst vorsintflutlichen Schaufel vom Neuschnee befreit hatte, der in der letzten Nacht in rauen Mengen gefallen war. Diese Arbeit hatte mir viel Kraft abverlangt, weshalb ich mich mit reichlich Kaffee wieder reaktivieren musste, ehe ich in der Lage war, die Pforten des Ladens zu öffnen. Kaffee war mein Treibstoff, um den langen arbeitsreichen Tagen standhalten zu können.

Schon beim Entgegenkommen streckte ich ihm meine Rechte zur Begrüßung entgegen, dabei stieg Håkon gerade erst aus dem Wagen. Er war ein Gemütsmensch und strotzte vor Gelassenheit. Er ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Das gefiel mir besonders an ihm, nicht zuletzt, weil ich selbst kaum zu erschüttern war. Obwohl meine krumme Haltung und mein Volkstanz, den ich im Augenblick aufführte, um warm zu bleiben, nicht darauf schließen ließen. Hier draußen herrschten Temperaturen unter dem Gefrierpunkt – minus fünf Grad, um genau zu sein – und ohne meinen dicken Mantel, meine Pudelmütze, meinen Riesenschal und meine Fäustlinge froren sämtliche Körperteile sofort steif.

»Immer die gleiche Komödie mit dir«, lachte er. »Montags, mittwochs und freitags. Lernst du auch mal aus deinen Fehlern, Zuckerpuppe?« Endlich ergriff er meine Hand, die er heute länger nicht wieder hergab. Nicht aus romantischem Anlass, was er nun auch wenig schmeichelhaft quittierte: »Es wundert mich gar nicht, dass du sofort Erfrierungen dritten Grades erleidest. Du hast überhaupt gar kein Fleisch auf den Knochen.« Er hielt meine Hand in die Höhe wie eine saftige Gänsekeule, die ein Marktschreier mit viel Gebrüll unter die Leute zu bringen versuchte. »Sieh dir nur dieses dürre Gerät an, das du Hand nennst.« Er schüttelte sie fleißig durch. »Du holst dir vor Heiligabend noch was Schweres weg, wenn du nicht ein wenig mehr Acht auf dich gibst und nicht aufhörst, hier draußen halb nackt herumzulaufen.«

Ich sah an mir herunter. »Halb nackt, hm?« Immerhin trug ich einen langen, recht dicken schwarzen Strickpullover mit hohem Kragen, Norweger Thermo Leggings und gefütterte Boots. Wenn er das für halb nackt hielt, wollte ich im Sommer besser nicht mit ihm an den Strand gehen. »Seit die offizielle Weihnachtszeit eingeläutet worden ist, hält sich unsere Chefin mehr im Laden auf, als ein Mensch ertragen kann.«

Håkon schlenderte hinter den Wagen, öffnete die Flügeltüren weit zu den Seiten und begann, die Kisten und Kartons mit der neuen Ware für den Transport in den Laden bereit zu stellen, während er meinen Worten hoch konzentriert folgte.

»Ich kann nicht klar denken, wenn man mir auf die Finger guckt, weißt du? Das macht mich total kirre. In ihrer Gegenwart vergesse ich einfach alles. Manchmal sogar, wie ich heiße, ist denn das zu fassen?«

Er wandte sich mir zu und sein Blick ruhte eine kurze Weile auf mir. »Deine Lippen sind schon erschreckend blau angelaufen.«

Ich befeuchtete sie mit meiner Zunge, als könnte das irgendetwas daran ändern. Doch im Prinzip wühlte mich ja nur die Tatsache auf, dass er meine Lippen in Kenntnis genommen hatte. Denn wenn ein Mann das tat, war das für meine Begriffe ein Zeichen dafür, dass seine Gefühle für die Frau in die Tiefe gingen. Es war nicht dasselbe, wie den Busen oder den Hintern einer Frau anzustarren. Zwar gingen seine Gefühle in diesem Zusammenhang ebenfalls in die Tiefe, jedoch bezog sich das vielmehr auf das untere Areal seines Körpers, statt auf sein Herz.

»Und inwiefern steht das im Verhältnis zu dem, worüber ich gerade gesprochen habe?« Mir schien, als wäre er doch nicht so konzentriert gewesen wie zuvor angenommen.

Er widmete sich wieder den Kisten und Kartons, nahm eine heraus, drückte sie mir in die Hände, nahm ebenfalls eine und deutete mit dem Kopf auf den Laden, um mich zum Gehen zu motivieren. Erst dann antwortete er: »Insofern, dass deine Lippen das sichtbare Zeugnis dafür sind, wie schrecklich kirre dich die Anwesenheit der Chefin macht.«

Ich verstand. Denn wäre sie nicht anwesend, hätte ich auch nicht vergessen, meinen Mantel überzuziehen und würde nun keine Erfrierungen dritten Grades erleiden.

Ich war so dumm! So dumm, so dumm, so dumm! Keine besonders attraktive Eigenschaft.

Punkte sammeln! Konnte ich! Nicht!

»Du denkst um tausend Ecken. Da soll noch einer mitkommen«, schob ich lieber jede Schuld auf ihn ab und ließ mir nicht anmerken, wie dumm ich mir also vorkam. Das wäre nämlich bedeutend unattraktiver gewesen.

»Herr Ertsås, es ist mir wie immer eine große Freude, Sie zu sehen«, kam die Chefin uns über beide Backen strahlend entgegen. »Sie wissen ja, wohin mit dem ganzen Kram.«

»Natürlich, Frau Hæreid.« Er watschelte sofort ins Lager.

Und ich watschelte ihm hinterher wie ein treudoofes Entenbaby hinter seiner fürsorglichen Entenmutter.

Als wir in den Laden zurückkehrten, hinderte Frau Hæreid den Lieferanten daran, den Laden zu verlassen, indem sie ihn in ein Gespräch verwickelte. »Ihre Nerven müssen ja ganz blankliegen. Bei dem Verkehrschaos da draußen!«

»Rührend, dass Sie sich sorgen. Aber das müssen Sie nicht. Die Führer der Schneefräsen und -pflüge machen ihre Arbeit hervorragend. Inzwischen sind die Straßen und Wege so gut wie geräumt und man kommt ungehindert durch.«

»Es freut mich sehr, das zu hören. Heute Morgen sah das nämlich noch ganz anders aus. Ich habe den Laden erst eine halbe Stunde später als geplant erreicht. Zum Glück bin ich die Chefin, sonst hätte ich mir eine Menge Ärger eingehandelt«, wieherte sie. In Angelegenheiten wie Pünktlichkeit und Verantwortung war sie streng und wusste, dass sie eine ihrer Angestellten zur Schnecke gemacht hätte, wenn es ihr so ergangen wäre wie der Chefin. Sie hätte keine Ausrede gelten lassen. Nicht eine einzige! Schließlich hätten wir früher aufstehen und losfahren oder einen Hubschrauber chartern können, um das Chaos im weiten Bogen zu umrunden. Zum Beispiel.

»Die Hauptsache ist doch, dass Sie gesund und munter angekommen sind«, schmeichelte Håkon sich ein. Wie immer.

Die Überschwänglichkeit der beiden raubte mir den letzten Nerv. Seit drei Monaten ging das nun so. (So lange arbeitete Håkon bereits für beziehungsweise mit uns.) Der Grund, aus dem ich mir bisher noch keinen Strick genommen hatte, war, dass Frau Hæreid hier in der Regel nur ein- oder zweimal die Woche nach dem Rechten schaute und uns – Susann Jørgensen und mir – ihren zwei Hauptangestellten, ansonsten freie Hand ließ. Sie brachte uns reichlich Vertrauen entgegen. Sie wusste, dass sie das konnte. Wir hatten uns bewährt. Im Großen und Ganzen.

Nur während der Weihnachtszeit schlug sie hier quasi ihr Zelt auf und machte unsere mühsam erarbeitete Routine mit ihrer bloßen Anwesenheit zuschanden. Nicht, weil sie glaubte, dass diese Zeit unsere Kompetenz übersteigen würde und wir, ihr panisch umherrennendes Rudel, eine Hirschkuh nötig hatten, die uns vor katastrophalen Zusammenbrüchen bewahren musste, sondern schlichtweg weil sie hier, nicht anders als wir, das einzigartige Ambiente mit allen Sinnen lebte. Es war die Zeit, in der wir alle nach etwas suchten, das uns das Weihnachtsgefühl eingehend vermitteln konnte. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet als das Weihnachtshaus? Frau Hæreids Weihnachtshaus!

Dennoch machte mir das gestellte Verhältnis zwischen Håkon und Frau Hæreid zu schaffen. Ihre Begegnungen waren immerzu von Gefühlsausbrüchen begleitet und ihre Unterhaltungen furchtbar ausgedehnt.

Andererseits war dies nun die perfekte Gelegenheit, um mir eben meinen Mantel und die Pudelmütze überzuwerfen, denn es warteten noch so einige Kartons und Kisten in dem Transporter darauf, ebenfalls ins Lager verladen zu werden. Außerdem mussten einige große, mittlere und kleine Pakete – zusammengestellt für Kunden aus ganz Europa, die in den letzten drei Tagen über unseren Online-Shop Bestellungen aufgegeben hatten – aus dem Lager in den Wagen und dann zur Poststelle transportiert werden. Und wie es aussah, würde ich diese Arbeit im Alleingang verrichten müssen. Håkon schien das heutige Gespräch mit der Chefin nämlich ganz besonders zu genießen, und auch, dass es ihm die lästige Tätigkeit vom Hals hielt.

Ich hatte es satt, dass die Chefin Håkons Aufmerksamkeit an sich riss. Oder sollte ich besser sagen, dass sie sie mir entriss? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, sie wäre wild auf ihn. Aber ich wusste es besser! Denn sie war fünfundfünfzig Jahre alt und demzufolge stolze dreiundzwanzig Jahre älter als er. Ich wollte gewiss nicht engstirnig erscheinen, doch dieser recht stattliche Altersunterschied ließ sich ja nun mal nicht so einfach ignorieren.

Da wäre ich schon viel mehr für ihn geeignet. Uns trennten nur drei Jahre, waren uns demzufolge ebenbürtig auf jeder erdenklichen Weise. Aber auch optisch durfte ich einiges mehr auf seiner Linie liegen. Zwar machte ich nicht viel her, da ich eher der naturbelassene, unscheinbare Typ war, doch wenigstens war meine Haut noch straff und mein Gesicht unbehandelt. Zudem waren meine Bewegungen fließend, schmerzfrei und verursachten keinerlei Knirschen oder Krachen. Im Bett machte sich das sicherlich bezahlt, also, für den Mann, denn ich war richtig gelenkig. Na gut, der jahrzehntelange Ballettunterricht begünstigte das beträchtlich. Darum zählte ich, was das anging, wohl nicht gerade zu dem Durchschnitt. Aber es konnte ja nicht schaden, das einmal einfließen zu lassen. Andererseits würde Frau Hæreid das ganz bestimmt mit Erfahrung wettmachen. Und was war wohl wertvoller als Erfahrung? Es war ganz gewiss nicht Gelenkigkeit.

Meine Gedanken machten mir Angst.

Doch es gab einen legitimen Grund, der solcherart Gedanken zuließ: Ich mochte Håkon. Sehr. Ich würde nicht sagen, dass ich heillos in ihn verliebt war, aber wenn er jeden Montag und jeden Mittwoch und jeden Freitag den Laden betrat, schlug mir das Herz bis zum Hals. Wir waren mehr als Arbeitskollegen. Stets opferte er eine Viertelstunde seiner kostbaren Zeit für mich – besser gesagt, für einen Kaffee und ein Schwätzchen mit mir –, und das, obwohl er fortwährend einen strengen Zeitplan hatte und schrecklich in Eile war. Seit dem ersten Tag an hatte die Chemie zwischen uns gestimmt. Er hatte sich zu mir an den Verkaufstresen gesetzt, nach einem Kaffee gefragt und sich nicht eine Sekunde gescheut, meine neugierigen Fragen zu beantworten.

Während ich gegenwärtig die Ware hineinbrachte und verräumte, ließ ich unser allererstes Gespräch Revue passieren:

»Woher kommst du, Håkon Ertsås?«

»Aus Trondheim, so wie du, Linnéa Lysefjord.«

»Ich bin dir hier noch nie begegnet.«

»Trondheim ist die drittgrößte Stadt Norwegens und mit rund hundertneunzigtausend Einwohnern nicht gerade das, was man überschaubar nennt. Und du hast allesamt auf dem Schirm? Mit Namen? Macken? Und allem anderen Schnick und Schnack?«

»Selbstverständlich nicht! Aber woher kommt dann dieser Akzent?«

»Ich habe einen Akzent?«

»Ja, unterschwellig.«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Du willst mir ernsthaft weismachen, dass du dir über deinen Akzent nicht im Klaren bist?«

»Ähm, hilf mir bitte auf die Sprünge.«

»Nun, er klingt irgendwie amerikanisch.«

»Oh! Aha! Verstehe!«

»Und?«

»Und, was? Ich bin kein Amerikaner. Ich bin ein waschechter Norweger.«

»Aber wieso dann dieser Akzent?«

»Offenbar habe ich den Akzent in den zehn Jahren meines Aufenthalts in Pensacola unbewusst angenommen.«

»Willst du mich auf den Arm nehmen?«

»Nein, wieso? Pensacola ist eine Stadt in Florida. Und Florida ist ein Bundesstaat der Vereinigten Staaten.«

»Zwar war ich zu Schulzeiten keine Rakete in Geographie, aber das ist mir auch ohne deine Unterrichtung bestens bekannt.«

»Na schön, wo liegt dann das Problem?«

»Dass du eben noch von keinem Akzent wissen wolltest.«

»Das war, bevor du mir erklärt hast, dass er amerikanisch klingt.«

»Du hast zehn Jahre deines Lebens in den Staaten gelebt! Von welchem Akzent hätte deines Erachtens nach die Rede sein sollen?«

»Ich weiß nicht, von einem spanischen?«

»Phü!«

»Ungelogen, davor habe ich anderthalb Jahre in Bilbao gelebt. – Im Übrigen eine überraschend kosmopolitische Stadt, die man unbedingt bereist haben muss.«

»Wow!«

»Ja, wow!«

»Aber zurück nach Pensacola. Was hat dich dazu bewogen, dorthin auszuwandern?«

»Das Bombenwetter, das sich über das gesamte Jahr zieht.«

»Dir gefällt die Kälte Norwegens nicht?«

»Im Winter beziehungsweise zur Weihnachtszeit gefällt sie mir sehr wohl. Aber hier in Trondheim wird es selbst in den Sommermonaten nicht richtig heiß. Ich meine, in Pensacola ist es im Winter so kalt, wie es in Trondheim im Sommer warm ist. Vor Pensacola hatte ich noch nie einen schweren Sonnenbrand. Kannst du dir das vorstellen?«

»Ich versuche es. – Und sonst so?«

»Bitte?«

»Na, Bombenwetter herrscht über das gesamte Jahr auch auf Zypern und in Madagaskar und in Kuba und sogar in Marseille. Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf Pensacola?«

»Du bist ganz schön auf Zack! Dir kann man nichts vormachen, was?«

»Versuch ja nicht abzulenken!«

»In Ordnung. Meine Wahl fiel ausgerechnet auf Pensacola wegen einer Frau.«

»Wegen einer Frau, sieh mal einer an. Wie lernt man eine Frau kennen, die so weit von einem entfernt lebt?«

»Durch das Internet. Eher durch Zufall. Ich bin nicht in einer dieser Singlebörsen angemeldet, falls du das denkst.«

»Du bist jung, gutaussehend und beherrschst die Grammatik. Ich denke nicht, dass du Singlebörsen nötig hättest. Aber da ist eine andere Frage, die sich mir nun aufdrängt.«

»Nur zu, frag mich.«

»War dein Umzug nach Bilbao ebenso auf den Mist einer Frau gewachsen?«

»Ja. Aber die habe ich während meines damaligen Urlaubes auf Ibiza kennen gelernt.«

»Du scheinst eine Schwäche für fremdländische Frauen zu haben!?«

»Vielleicht hast du recht. Aus dieser Perspektive habe ich das noch gar nicht betrachtet.«

»Wer weiß, vielleicht geht die nächste Reise nach Honolulu.«

»Klar! Oder nach Yokohama.«

»Weißt du eigentlich, dass Japaner als emotional verschlossen gelten und unter dem sogenannten Zölibat-Syndrom leiden?«

»Äh, nein.«

»Millionen Japaner sind gar nicht interessiert an einer Beziehung. Ich glaube, die haben es nicht so mit Sex.«

»Ein Jammer!«

»Außerdem ist da ständig der Teufel los. Tsunamis, Taifune, Erdbeben ...«

»Na gut, überredet. Dann lieber nach Schäßburg.«

»Why not? Graf Draculas Urenkelinnen sehnen sich ganz bestimmt auch nach Liebe.«

»Jedoch könnte ich dieses Mal vielleicht auch mein Glück zu Hause finden, wer weiß das schon?«

»Ja, wer weiß das schon! – Und wo wohnst du jetzt?«

»In Bakklandet.«

»Da wohnt Frau Hæreid auch.«

»Ach ja? Tut sie das?«

»Ja, hübscher Stadtteil. Aber da ist immer viel los. Touristen und Studenten wo das Auge hinreicht.«

»In der Tat.«

»Und wirst du nun länger hier bleiben?«

»Nun, ich habe einen Job angenommen. Spricht das nicht für sich?«

»Schon, aber du scheinst ja sehr flexibel zu sein.«

»Natürlich, das Leben ist zu kurz, um immer nur auf einer Stelle zu treten.«

»Ich könnte das nicht – niemals; für das Ungewisse all meine Sicherheit aufgeben.«

»Aber dann verpasst du allerlei Dinge im Leben.«

»Schon klar. Aber mir fehlt es an nichts.«

»Das glaubst du ...«

»Nein, ich weiß es ...«

»... bis du dem, was dir gefehlt hat, begegnest.«

»Aber bis dahin fehlt mir nichts. Und bis dahin werde ich es auch nicht vermissen.«

»Heißt das auch, dass du bereits in festen Händen bist?«

»Ja, das heißt es.«

»Bedauernswert! Aber weißt du was, Linnéa Lysefjord? Du gefällst mir. Ich finde, wir sollten uns künftig öfter die Zeit für eine Tasse Kaffee und ein Gespräch nehmen. Was hältst du davon?«

»Dagegen ist nichts einzuwenden. Rein gar nichts.«

Selbstverständlich hatte ich keinen festen Freund. Ich hatte es nur behauptet, weil mir zu jener Zeit ganz und gar nicht der Sinn nach hartnäckigen Annäherungsversuchen von irgendwelchen Männern stand. Zu jener Zeit hatte ich meinem Exfreund Matias noch immer still hinterhergetrauert, und das, obwohl er mir nicht im Geringsten gutgetan hatte. Doch meine Haltung zu Männern hatte sich mit Håkon fast unmerklich geändert. Gewissermaßen hatte er mich gerettet, ohne es zu wissen.

»Darum mag ich dich so gern, Linnéa«, holte Håkon mich ins Hier und Heute zurück. »Du trägst ein Lächeln auf deinen Lippen, obwohl ich dich die ganze Arbeit allein machen lassen habe.« Er begleitete mich bei meinem letzten Gang aus dem Lager hinaus zum Kleintransporter.

»Nichts für ungut«, erwiderte ich nur, ohne ihm den wahren Grund meiner guten Laune zu nennen. Denn wenn er wüsste, dass ich in der Erinnerung unserer ersten Begegnung geschwelgt hatte, würde das meine wahren Gefühle für ihn offenbaren. Doch ich war noch nicht dazu bereit, ihn von meinem Interesse an ihm wissen zu lassen. Vermutlich würde ich niemals dazu bereit sein, denn ich spürte, dass seine Gefühle für mich hingegen nur brüderlicher Natur waren und er in mir nicht mehr als eine sympathische Kumpeline sah.

Ich verstaute das Paket, schlug die Flügeltüren zu und nickte. »Und nun wartet der Kaffee auf uns.«

Schuldbewusst, beinahe demütig senkte er den Kopf: »Der Plausch mit Frau Hæreid hat viel zu viel Zeit in Anspruch genommen. Ich befürchte, wir müssen den Kaffee heute ausfallen lassen, Zuckerpuppe.«

Meine Enttäuschung konnte ich kaum verbergen. Zwar überwand ich mich zu einem Lächeln, doch es wirkte verkrampft. Ich hasste es, unecht zu sein, nicht auszusprechen, was mich beschäftigte. Andererseits wollte ich ihm auch keine Szene machen. Ich wusste, dass Männer Zicken nicht ausstehen konnten. Männer mochten unkomplizierte Frauen; Frauen, die ihnen alles waren: Eine gute Gespielin, eine gute Freundin, eine gute Köchin, eine gute Putzkraft, eine gute Handwerkerin, eine gute Mutter seiner Kinder … eigentlich alles, was ihnen zugutekam. Als Gegenleistung entfernten die Männer eklige Spinnen und kämpften – sollte es hart auf hart kommen – gegen Löwen, Drachen, den Teufel und andere finstere Mächte. Aber wenn es umständlich und undurchschaubar wurde, kriegten Männer einfach zu viel. Wenn ich eines gelernt hatte, dann, dass Männer nichts so sehr verabscheuten wie Drama.

Trotzdem wies ich Håkon darauf hin: »Das ist bislang noch nie vorgekommen.«

»Darum tut es mir in der Seele weh.« Mit einem charmanten Augenaufschlag bat er mich um Verzeihung. Ihm war die Wirkung seines Blickes bewusst, aus diesem Grund setzte er ihn gern als Waffe ein.

Ich begegnete ihm nur mit einem Lächeln und begab mich wieder in den Laden, bevor es mich peinlich berühren konnte und meine Mauer der Vernunft in sich zusammenstürzen würde.

»Linnéa?«, rief er mir plötzlich nach.

Ich wandte mich rasch um. »Ja?«

Er hatte bereits auf dem Fahrersitz Platz genommen und den Griff zum Zuziehen der Tür in der Hand. »Was hältst du davon, wenn wir einmal aus unserer Routine ausbrechen und uns den Kaffee nach Feierabend in dem Café auf der alten Dockanlage genehmigen würden?«

Ich hielt kurz inne, versuchte, vor Freude nicht übertrieben weiblich zu quietschen oder bewusstlos zu werden. Mein ganzer Körper war gelähmt vor Glück.

Passierte das gerade wirklich oder hatte ich begonnen zu fantasieren? Viel zu lange hatte ich auf diesen Moment gewartet, als ihn nun mir nichts, dir nichts realisieren zu können.

Als mein Freudenkarussell endlich zum Stillstand kam und meine Füße wieder festen Boden berührten, erklärte ich mich einverstanden. Den Jubelschrei konnte ich nur mühsam herunterschlucken. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass er das unterdrückte Zittern in meiner Stimme bemerkte, als ich aus Spaß sagte: »Aber das ist kein Rendezvous, hörst du?«

»Kein Rendezvous, versprochen!« Er grinste spitzbübisch, als würde er längst wissen, wie gern ich ihn hatte.

Zwei

Nun waren wir also einen Schritt weiter. Wir trafen uns zum ersten Mal privat. Und obwohl wir inzwischen sehr vertraut miteinander waren, fühlte sich dieser Moment reichlich neuartig an. Urplötzlich überwog Aufregung meine Freude auf ihn. Urplötzlich hatte ich keine Ahnung, was ich sagen sollte, sobald er hier aufschlug. Urplötzlich wäre ein einfaches Hallo das Dümmste, was ich von mir geben könnte. Und urplötzlich bekam ich Sodbrennen. Üblicherweise trat es bei mir in abnormalen Stresssituationen auf.

Ich hatte nicht geahnt, wie groß der Unterschied zwischen dienstlich und privat wirklich sein konnte. Das Ausmaß überwältigte mich. Leider überwältigte es mich sogar so sehr, dass sich ein Fluchtgefühl in mir ausbreitete und ich mich dazu hinreißen ließ, zu türmen. Anscheinend fühlte sich dieser Moment nicht nur reichlich neuartig, sondern auch reichlich bedrohlich an.

Aber warum denn nur?

Doch Zeit zum Türmen blieb mir nun keine mehr, denn Håkon war pünktlich auf die Sekunde. Mit quietschenden Sohlen hetzte er an den Tisch, an dem ich mich bereits niedergelassen hatte, und ließ sich völlig atemlos auf dem mir gegenüberliegenden Stuhl fallen.

»Gemach!«, lachte ich.

Er wirkte müde und platt, als er seinen Kopf in den Nacken warf und sich mit den Händen über das Gesicht fuhr. »Dieses Lieferanten-Gen in mir kann nicht anders.« Jetzt lachte auch er und entledigte sich seiner Jacke im Sitzen. Etwas unbeholfen wirkte er dabei, weshalb es mich reizte, aufzustehen und ihm zur Hand zu gehen. Aber am Ende hatte er den Kampf mit seiner Jacke auch ohne Unterstützung gewonnen. Kurz darauf hing diese über der Rückenlehne seines Stuhls.

»Hey, ich bin's nur.« Ich lächelte.

»Das ist ja das Verwirrende.«

Ich guckte schief, denn meine Auffassungsgabe war um diese Uhrzeit noch viel schlechter als zur Mitte des Tages.

»Ich verbinde dich praktisch nur mit dem Weihnachtshaus. Da kann man mit seinen Absichten schon mal eine Winzigkeit durcheinander kommen.«

»Du bist verrückt.«

»Aber lustig.«

»Gute Mischung.«

»Finde ich auch.«

Wovor hatte ich mich noch mal gefürchtet? Alles lief wie am Schnürchen. Dank Håkon. Sein Humor war ein Retter in der Not, ganz gewiss. Andererseits gab es mir einmal mehr zu erkennen, dass er mir nur freundschaftlich gesinnt war. Sein Auftreten erschien mir sogar zwanghaft. Setzte er mich etwa nur mit einem lästigen Termin gleich?

Er betrachtete mich eingehend. »Sag mal, warst du noch gar nicht daheim?« Ihm war aufgefallen, dass ich noch immer dieselbe Kleidung wie im Laden trug.

»Nein.«

Leider hatte sich mir die Gelegenheit noch nicht geboten. So war ich mit meinem klapprigen ziegelroten Auto vom Weihnachtshaus direkt ins Café gefahren. Natürlich hätte ich mich vor dem Treffen mit Håkon gern noch ein bisschen aufgehübscht und umgezogen und mir etwas Essbares einverleibt, aber zum Arbeitsende war es bereits achtzehn Uhr gewesen. Nun stank ich wie ein Puma, der scheinbar in einer Parfümerie total durchgedreht war, weil ich mich zuvor eingedieselt hatte, um den schlechten Geruch zu überdecken, und schob Kohldampf. Das Grollen meines Magens war weithin hörbar. Er schrie kläglich nach etwas Festerem als Kaffee.

»Linnéa, das geht so nicht! Hab ich dir nicht erst vorhin gesagt, dass du mehr Acht auf dich geben musst? Du fällst auch so schon völlig vom Fleisch. Du weißt ganz genau, dass ich das auf den Tod nicht ausstehen kann.«

»Ja, ich weiß das ...«

»Warum änderst du dann nichts daran?«, fuhr er mir sofort ins Wort. Offenbar war er mit seiner Standpauke noch nicht fertig gewesen. »Kaffee ist jetzt das Letzte, was du brauchst. Heute essen wir ausnahmsweise mal gemeinsam zu Abend, einverstanden?«

Zwar war die Speisekarte hier recht klein, aber Fritten bekam man ja überall. »Total!« Mit seiner Fürsorge machte er mich gerade zum glücklichsten Menschen der Welt, da diese mir verriet, dass ich für ihn doch nicht nur ein lästiger Termin war.

Wie war ich nur darauf gekommen? Håkon war ein guter Mensch, mit dem Herz am rechten Fleck. Wieso begann ich, ihm Eigenschaften anzudichten, von denen ich wusste, dass er sie gar nicht besaß? Schließlich gab es einen triftigen Grund, aus dem ich mich in ihn verknallt hatte: Er war nicht wie alle anderen Männer! Ich musste mir eingestehen, dass er mich nur deshalb enttäuschen könnte, weil mein Herz an ihm hing und mich daher empfindsamer machte, und nicht, weil er sich mir gegenüber nach Tatsachen mies verhielt.

Er atmete zufrieden auf. »Das ging ja leicht! Dabei habe ich mich innerlich schon darauf eingestellt, auch noch den herzzerreißenden Blick des Gestiefelten Katers aufwerfen zu müssen, um dich zu bekehren.«

»Das bekommst du auch locker mit deinem eigenen Blick zustande, wie du siehst.« Diese Worte führten dazu, dass wir uns tief in die Augen blickten. Vielleicht war es sogar das erste Mal, dass sich unsere Blicke derart eindringlich trafen und wahrnahmen.

Um mich aus dieser verfänglichen Lage zu befreien, killte ich den märchenhaften Moment mit: »Das hier ist aber nach wie vor kein Rendezvous.« Mein Gesicht lief glühend rot an. Mein Puls raste. Verflixt!

»Selbstverständlich nicht! Bei einem Rendezvous würde ich nämlich das Essen bezahlen. Und Fritten und Burger würde es auch nicht geben.«

»Sondern?«

»Etwas, wonach man sich nicht die Zähne putzen müsste. Schließlich hat man bei einem Rendezvous amouröse Absichten. Somit endet es in der Regel immer mit Herumknutschen vor der Haustür der Angebeteten. Verstehst du?«

Ich prustete los. »Klar!«

Schon beim Betreten der Küche am nächsten Morgen hatte Mami mich gebeten, dass ich am Tisch Platz nehmen solle. Für gewöhnlich half ich ihr beim Eindecken. Doch heute war der Tisch bereits eingedeckt.

Was ging hier vor sich? Hatte ich irgendwas nicht mitbekommen? Eine Frage, die ich dringend stellen sollte, denn es schien wichtig zu sein. Doch vor meiner ersten, Lebensgeister erweckenden Tasse Kaffee wagte ich wichtige Fragen lieber nicht zu stellen.

Besagter Kaffee wurde gerade in eine überdimensionale Tasse vor mir eingefüllt. Von Yva! Das war wirklich gruselig. Normalerweise war ich diejenige, die die Jüngste im Bunde bediente. Doch heute war alles anders.

Yva setzte sich mir gegenüber, zog ihren Stuhl unnatürlich dicht an den Tisch heran, legte die Arme vor sich ab, verlagerte ihr Gewicht nach vorn, starrte mich mit weiten, fragenden Augen an und schmunzelte. 

Ich nahm meine Tasse auf und trank um mein Leben. Vielleicht würde mir ja eine Backpfeife aus diesem schlechten Film heraushelfen? 

Erst als ich den Becher geleert und ihn wieder abgestellt hatte, riskierte ich es und wollte wissen: »Hast du ein Gespenst gesehen oder weshalb guckst du so beknackt?«

Auf der Stelle quasselte sie los, als hätte sie nur auf das Startsignal gewartet. »Wer war der Kerl?« Sie setzte ihr niedlichstes Augenklimpern auf. Das tat sie immer, um zu bekommen, was sie wollte.

Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie meine Familie von dem Abendessen mit Håkon wissen konnte, aber da sie es nicht von mir erfahren hatten, stand es mir auch zu, mich dumm zu stellen. »Welcher Kerl?«

»Tu doch nicht so.«

Sowohl Mami als auch Papi, der gerade eben mit seiner morgendlichen Dusche fertig geworden war, gesellten sich zu uns. »Und, wer ist nun dieser geheimnisvolle Typ?«, hakte auch er ohne langes Federlesen nach, nicht wissend, dass Yva bereits dieselbe Frage gestellt hatte und fieberhaft auf die Antwort wartete.

»Linnéa simuliert Ahnungslosigkeit«, zischelte meine kleine Schwester beleidigt. Wetten, dass sie es jetzt zutiefst bedauerte, dass sie mir eine kleine Gefälligkeit erwiesen hatte? Und da der Kaffee bereits in meine Blutbahn gelangt war, konnte sie ihn mir aus Frust nicht mal mehr wieder wegnehmen.

»Woher wisst ihr überhaupt von ihm?«

»Ha!«, kreischte Yva mit einem Mal und schlug mit der flachen Hand so kräftig auf die Tischplatte neben ihrem Teller, dass alles, was sich an Geschirr darauf befand, klirrte. »Hab ich es doch gewusst!«

Nicht nur ich, auch Mami und Papi fuhren heftig zusammen. »Yva, Kleines, nimm dich zusammen. Das ist doch kein Grund, gleich hysterisch zu werden«, rief Papi sie zur Ordnung.

»Wie bitte? Das soll kein Grund sein, hysterisch zu werden?«, drückte sie ihre Verwunderung wohl leiser, dafür unerträglich schrill aus. »Linnéa ist neunundzwanzig, ging gerade mal mit drei Jungs, die spätestens nach zwei Monaten die Biege gemacht haben, weil sie sie nicht rangelassen hat, und du sagst, das sei kein Grund, hysterisch zu werden, wenn sie ein Date mit einem Typen hat? Das hat ein Seltenheitswert!«

»Das hat Intelligenz auch!«, murmelte ich.

»Wie bitte?«, fragte Yva, da sie mich nicht verstanden hatte oder mich nicht hatte verstehen wollen.

»Ich kann es nicht leiden, wenn jemand in der dritten Person über mich redet, obwohl ich anwesend bin.«

»Das habe ich doch nur getan, weil ich auf Papis Gesagtes eingehen wollte.«

»Mag sein, aber ...«

»Du reagierst doch nur so sensibel, weil du in der Kritik stehst.«

»Also stehe ich in der Kritik, weil ich Pech in der Liebe habe und noch nicht verheiratet bin und keine Kinder habe? Ist das als Norm in irgendeinem Gesetz verankert, dass es Kritik überhaupt rechtfertigt, oder was?«

»So hat sie das doch gar nicht gemeint ...«

»Nein, nein, Papi, ich will das jetzt genau wissen: Mal angenommen, ich würde mich dazu entschließen, Nonne zu werden, würde ich somit in gleicher Weise in der Kritik stehen wie jemand, der Steuern hinterzieht oder Kokain schnupft oder Leute abschlachtet – also jemand, der wirklich etwas Schlimmes verbrochen hat? Ich meine, sollte Kritik nicht genau daraus entstehen? Aus etwas Schlimmen?«

»Du übertreibst maßlos«, verteidigte sich Yva. »Man beurteilt einen Mörder nicht, man verurteilt ihn. Es gibt da schon einen Unterschied.«

»Es gäbe dennoch nichts daran zu bemängeln, wenn ich ins Kloster ginge.«

»Was hast du plötzlich mit dem Kloster? Strebst du an, in eines zu gehen?«, war Papi alarmiert.

»Spinnst du? Natürlich nicht!«

»Warum bleibt ihr dann nicht einfach beim Thema?« Genervt warf er sich in die Lehne des Stuhls zurück und strich sich durchs nasse Haar.

Er hatte es leger nach hinten gekämmt. Für sein Alter hatte er bewundernswert volles Haar. Und sowieso war er eine attraktive Erscheinung. Genauer gesagt sah er Harrison Ford zum Verwechseln ähnlich. Schon als kleines Kind hatte ich da einiges durcheinandergebracht. Mami erinnerte sich zu gern an das erste Mal, als ich ›ihn‹ im Fernsehen gesehen hatte, und zwar im ersten Teil von Indiana Jones. Ich war vom Sessel hochgefahren, hatte mir fassungslos die Augen gerieben und vollkommen aufgelöst geschrien: »Da! Papi!« Minutenlang hatte ich mit ausgestrecktem Arm auf den Bildschirm gezeigt und den Mund nicht mehr zubekommen. Ja, ich war fast geplatzt vor Stolz und Euphorie, als ich noch total davon überzeugt gewesen war, dass mein Papi in Wirklichkeit ein gefeierter Hollywood-Star war. Damals hatte ich auch noch geglaubt, Hollywood läge nur eine Stunde Fahrtweg von uns entfernt. (So lange hatte Papi immer mit dem Auto zur Arbeit benötigt.)

»Da du gestern Abend zwei Stunden später als gewöhnlich nach Hause gekommen bist, hat Yva den Schluss gezogen, du wärst mit einem Mann aus«, erklärte Mami mit samtweicher Stimme, um Gas aus der explosiven Stimmung zu nehmen. »Und dass du nach wie vor ohne große sexuelle Erfahrung und praktisch Dauersingle bist, ist doch nur die Wahrheit, so unbequem sie auch sein mag.«

»Ich finde sie ganz und gar nicht unbequem. Ihr macht etwas Negatives daraus, nicht ich! Ich spare mich eben für den Richtigen auf.«

»Wie kannst du wissen, dass Flóki nicht der Richtige gewesen ist? Du hast ihn doch praktisch vergrault, noch ehe er sich beweisen konnte«, hielt Yva mir enttäuscht vor. 

Flóki war mein erster fester Freund gewesen. Mit neunzehn hatte ich ihn kennengelernt. Bald darauf gingen wir miteinander, jedoch mehr als nur lausige zwei Monate. Unsere Beziehung hielt mehr als ein Dreivierteljahr. Und ich hatte ihn weiß Gott nicht vergrault, es sei denn, ein Ehebund war das Furchtbarste, was ein Mann sich nur vorstellen konnte. Dann könnte der Vorschlag, sich trauen zu lassen, ihn eventuell sehr wohl vergraulen. Doch ich war nicht davon ausgegangen, dass es ihn schon allein bei der Vorstellung an eine feste Bindung kalt überlief. Ich hatte ihn noch beschwichtigen wollen, indem ich die Idee widerrufen hatte, doch damit hatte ich bei ihm auch nichts mehr bewirken können. In diesem Moment war ihm nämlich ein für alle Mal klar geworden, an was für Voraussetzungen ich ein gemeinsames Sexualleben geknüpft hatte. Er hatte sich jedoch nur für unverbindlichen Sex interessiert und sich am Ende gegen die Liebe entschieden.

Dass Yva ihn und keinen der anderen beiden erwähnt hatte, resultierte aus dem ungewöhnlich guten Verhältnis zu Flóki. Darum hielten sie noch heute den Kontakt, wenn auch überwiegend schriftlich, da er bereits ein Jahr nach unserer Trennung aus beruflichen Gründen seinen Wohnsitz gewechselt hatte und nicht mehr so ohne Weiteres erreichbar war.

»Ich wusste ja schon immer, dass du nachtragend bist, aber so sehr? Überspannst du nicht doch allmählich den Bogen?«, merkte ich an. »Und überhaupt, wie kommst du plötzlich auf ihn? Er ist Geschichte!«

»Du weißt doch ganz genau, wie gern ich ihn habe.«

»Ja, aber neun Jahre ist eine lange Zeit. Für dich offensichtlich zu wenig, um über ihn hinwegzukommen.«

»Na und?!«

»Dann krall du ihn dir doch, wenn er dir so sehr fehlt.«

»Soll das ein Witz sein? Der ist steinalt!«

»Er ist so alt wie ich«, rief ich empört. Streng genommen war er ein Jahr älter als ich.

»Na, sag ich doch!«

»Könntet ihr eure sinnlose Diskussion auf ein andermal verschieben? Ich würde jetzt gern in aller Ruhe frühstücken«, erklärte Mami und seufzte dramatisch auf.

»Meinetwegen«, tat ich gleichgültig.

Yva fiel es viel schwerer, abzulassen. »Aber wir haben das mit dem Kerl von gestern Abend noch gar nicht geklärt.«

»Das hast du dir selbst zuzuschreiben, wenn du mir lieber Vorträge über mein verkorkstes Leben hältst und alte Kamellen hervorkramst.« Ich schnappte mir eine Scheibe Brot aus dem Füllkörbchen. Wegen des ganzen Geredes an diesem Morgen blieben mir nun nur noch lächerliche zehn Minuten, um das Brot, das hartgekochte Frühstücksei und zwei weitere Tassen Kaffee herunterzuschlingen, bis ich zur Arbeit musste. Für Leute wie Yva oder Papi oder andere Familienmitglieder wäre das überhaupt kein Akt gewesen, aber ich verabscheute Hektik, besonders dann, wenn sie am frühen Morgen stattfand.

»Jetzt sag schon, hast du nun was mit dem am Laufen?«, ignorierte sie einfach die Fakten.

»Er heißt übrigens Håkon und wir sind bloß Arbeitskollegen«, behauptete ich steif und fest, damit sie endlich Ruhe gab.

»Wer soll dir das bitteschön abkaufen?«

Stöhnend platzte ich vom Stuhl, sackte mein mit braunem Käse belegtes Brot und das noch ungeöffnete Ei ein und flüchtete auf den Flur. Dort klemmte ich mir das Brot zwischen die Zähne, um mir meinen Mantel ungehindert überwerfen zu können. Das Ei verstaute ich in der Seitentasche des Mantels und die Mütze, den Schal und die Handschuhe sammelte ich in null Komma nichts einhändig ein. Bis zum Auto waren es schlappe fünfzehn Schritte, und diese würde ich auch locker ohne winterfeste Klamotten am Leib überleben.

»Das ist aber nicht gesund, was du da tust«, rief Mami mir hinterher.

»Gesünder als mit Yva am selben Tisch zu sitzen ist es allemal!«, widersprach ich eher undeutlich, denn meine Zähne steckten noch immer in dem Brot fest.

»Bist du denn heute Abend pünktlich daheim? Wir haben uns nämlich vorgenommen, das Chaos im Keller zu beseitigen.«

Drei