Hathor und Re I - Harry Eilenstein - E-Book

Hathor und Re I E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Das alte Ägypten ist auch noch heute eine faszinierende Kultur – die Pyramiden, die Hieroglyphen, die Pharaonen, die blühende Niloase inmitten der Sahara ... Fast tausend Jahre lang war Ägypten das einzige Königreich auf der Erde, während es ringsum nur einige kleine Stadtstaaten gab. Aber das Alte Ägypten ist nicht nur von historischem Interesse, die ägyptische Religion beschreibt Erlebnisse, die auch noch heute jeder Mensch haben kann wie z.B. die Astralreise, bei der man mit seiner Seele seinen materiellen Körper verläßt und ihn unter sich liegen sieht. Dieses Schweben wurde im Alten Ägypten durch viele Bilder dargestellt – z.B. durch den Horusfalken, der über der Mumie schwebt. Eine solche Astralreise durch den Priester ist auch das Kernstück des ägyptischen Bestattungsrituals, bei dem der Priester die Seele des Verstorbenen zurück in seine Mumie oder Statue holt, damit sie weiterhin ihren Nachkommen mit Rat und Hilfe beisteht. Die ägyptische Religion zeigt auch, wie ein Volk kollektiv in der Geborgenheit der Muttergöttin Hathor ruhen bleibt und trotzdem die Eigenständigkeit erlangt, die der Sonnen- und Königsgott Re darstellt – sowohl ein Vorbild für die Loslösung jedes einzelnen Kindes von den Eltern ohne dabei den Halt in der Familie zu verlieren als auch eine Anregung dafür, wie wir unsere heutige Kultur heilen können, die an der Einsamkeit und dem Mangel an Geborgenheit der Menschen leidet ... Osiris, die Gottheit, mit der sich jeder Ägypter und jede Ägypterin nach ihrem Tod identifizierte, ist das Ideal der Ägypter auch während ihres Leben: auf die Muttergöttin vertrauen, in der eigenen Mitte ruhen und die "Gottheit im eigenen Herzen" kennen, in Besonnenheit und Stärke und in Harmonie leben – und ohne Furcht vor dem Tod.

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Bücher von Harry Eilenstein:

- Handbuch für Zauberlehrlinge (400 S.)

- Der Lebenskraftkörper (230 S.)

- Die Chakren (100 S.)

- Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)

- Blüten des Lebensbaumes

Band 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)

Band 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)

Band 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)

- Eltern der Erde (450 S.)

- Muttergöttin und Schamanen (100 S.)

- Hathor und Re

Band 1: Götter und Mythen im alten Ägypten

Band 2: Ursprünge, Kult und Magie der ägyptischen Religion

- Christus (60 S.)

- Über die Freude (100 S.)

- Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)

- Astrologie (320 S.)

für Osiris

Ich danke

Axel Büdenbender, der mich als Zauberlehrling annahm und mir auf seine abenteuerliche Weise zeigte, daß es Magie gibt,

Frater V.D., der während unseres zweijährigen gemeinsamen Forschens auf seine provokative Art meinen Horizont erweiterte,

Jörg Wichmann, mit dem mich unsere nun schon über zwanzigjährige gemeinsame Suche verbindet,

Gabi Cramer, durch ich viel über die Naturreligionen und über Wicca gelernt habe,

Frater Thot, dem ich aus der Zeit unserer gemeinsamen Suche einige wichtige Erlebnisse verdanke,

Monika Bäppler, die mir gezeigt hat, was Vertrauen ist,

und Professor Elmar Edel, ehemals Leiter des ägyptologischen Seminars der Universität Bonn - ein Professor, wie er im Buche steht.

Übersicht

Band I

I Schöpfung

II Schamanismus

III Fruchtbarkeit

IV Göttin und Gott

V Das Königtum

VI Tiergottheiten

Band II

VII Drei ägyptische Originaltexte

VIII Die Entstehung der ägyptischen Religion

IX Kult und Magie

X Rituale

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I Schöpfung

A Der Ursprung

1. Nun

2. Geb und Nut

3. Geb

4. Nut

- Heka: Kontemplation

B Die Erschaffung der Welt

1. Atum, Skarabäus, Phönix

- Heka: Meditation (Teil 1)

C Die Jahre des Re

D Die Trennung

1. Schu, Hah, Ruti

- Heka: Meditation (Teil 2)

2. Tefnut, Ruti, Mehit

E Die Verbindung

- Heka: Die Mitte

II Schamanismus

A Die Unterwelt

1. Die Legende von Isis und Osiris

2. Osiris

3. Das Fest des Osiris

- Heka: Meditation (Teil 3)

4. Isis

- Heka: Meditation (Teil 4)

B Die Unterweltfahrt

1. Seth

- Heka: Das Krafttier

2. Horus

- Heka: Schutzkreis

3. Thot

- Heka: Traumreise

4. Nephthys

5. Anubis

- Heka: Wille und Imagination

C Die Himmelfahrt

1. Re

- Heka: Invokation

2. Ma'at

- Heka: "Mythologische Familienaufstellung"

3. Apophis

4. Die Geschichte vom schiffbrüchigen Seemann

- Heka: Der Schatten

D Die Fähigkeiten des Schamanen

1. Die Seelenlehre

a) Ka (Ätherkörper)

b) Ba (Astralkörper)

c) Ach (Sternseele)

- Heka: Der Weg zur eigenen Mitte

d) Hike (magische Kraft)

-Heka: Von Innen nach Außen

2. Feuer

- Heka: Verwandlung

E Mythen - Mensch – Magie

F Zusammenfassung

- Heka: Der Lehrer

III Fruchtbarkeit

A Das Urwasser

B Der Schöpfergott

C Die weibliche Kraft

1. Hathor (siehe auch IV A 1.)

2. Seschat-Hor

3. Hesat

4. Schedit

5. Smithis

6. Methyer

7. Schentait

D Die männliche Kraft

1. Min

2. Chnum

3. Apis

4. Mnevis

5. Buchis

E Geburtsgottheiten

1. Thoeris

2. Meschenet

3. Heket

4. Bes

F Das Kind

G Die Fruchtbarkeit der Felder

1. Aker

2. Hapi

3. Thermuthis

4. Napre

H Der Mond

1. Joh

2. Chons

3. Das Mondauge

IV Göttin und Gott

A Die erste und höchste Gottheit

1. Hathor

a) Ehi

b) Sistrum

c) Menat

- Heka: Die Muttergöttin

B Kosmische Gottheiten

C Mutter und Vater

1. Mut

D Fruchtbarkeitsgottheiten

E Jugendliche Gottheiten

1. Bastet

2. Kadeschet

F Todesgottheiten

1. Selket

2. Sokar

G Kriegerische Gottheiten

1. Neith

2. Sachmet

3. Menhit

4. Mehit

5. Schesemtet

6. Onuris

7. Month

8. Sopdu

H Berufsgottheiten

1. Mafdet-Seschat

I Tiergottheiten

(siehe auch VI)

J Zusammenfassung

- Heka: Der Kult einer Gottheit

K Die Rolle der Frau im Alten Ägypten

V Das Königtum

A Der Pharao

B Die Krönung

1. Auswahl

2. Anerkennung

3. Erneuerung

4. Inthronisierung

C Die Entwicklung des Königtums

1. Liste der Pharaonen

2. Inmutef

- Heka: Die Säule

3. Uto/Uräus

4. Nechbet

5. Ptah, Tatenen

- Heka: Der Vatergott

6. Amun

VI Tiergottheiten

- Heka: Die Tiermütter

A Herdentiere

1. Antilope

a) Satis

2. Gazelle

a) Anuket

3. Rind

4. Elefant

5. Widder

6. Giraffe

7. Schwein

8. Ziege

9. Esel

B Katzen

1. Panther

2. Löwe

3. Katze

4. Ichneumon

C Hundeähnliche

1. Hund

a) Chontamentiu

2. Schakal

a) Wepwawet

3. Sethtier

D Vögel und flugfähige Insekten

1. Phönix

2. Reiher

3. Ibis

4. Schwalbe

5. Schwan

6. Falke

7. Geier

8. Adler

9. Skarabäus

10. Heuschrecke

11. Biene/Hornisse

12. Fliege

13. Pelikan

14. Gans

a) Seret

15. Strauß

16. Flamingo

17. Rabe

E Landreptilien

1. Schlange

2. Eidechse

3. Waran

F Wassertiere

1. Fische

a) Hatmehit

2. Krokodil

a) Sobek

3. Nilpferd

4. Frosch

5. Kröte

6. Schildkröte

G Sonstige Tiere

1. Tausendfüßler

a) Sepa

2. Hase

a) Unut

3. Meerkatze

4. Pavian

a) Hezur

5. Skorpion

6. Spitzmaus

Ägypten

Die Stunde vor dem Sonnenaufgang nähert sich ihrem Ende. Es ist noch still am Ufer des Nils, hier, wo sich sein langes Tal zum Delta weitet. Die Priester im Tempel des Re warten schweigend vor dem Obelisken auf dem Urhügel auf die Morgenröte, die Geburt der Sonne, die Neuerschaffung der Welt.

Erst kaum merklich, dann immer rascher färbt sich der Horizont rot vom letzten Kampf der Sonne gegen die Unterweltschlange, von den Geburtswehen der Himmelsgöttin. Da glänzen die ersten Strahlen der Sonne über die Berge im Osten des Niltals, und die Paviane im Dattelpalmenhain, die Frösche am Ufer des Nils, der Ibis im Feld und die Priester im Tempel grüßen die Sonne, und die Herzen der Menschen sind erfüllt von Freude über den Anblick des Goldenen, über die Seelen, die nach ihrem Schlaf in dem Urmeer zu den Erwachenden zurückkehren.

Zu diesem Buch

Ägypten - ein Land voller Geheimnisse. Die Pyramiden stehen nun offen, die Hieroglyphen sind entziffert, aber ist der Schleier wirklich gelüftet worden? Waren die Pharaonen die göttlichen Herrscher des Goldenen Zeitalters oder machthungrige Tyrannen, die ihre Sklaven sich zu Tode arbeiten ließen und mit ihren Schwestern, sogar mit ihrer Mutter Blutschande trieben? Was steckt hinter den Spekulationen und Gerüchten, die sich seit 2.000 Jahren um die Pyramiden ranken?

Diese Fragen brauchen nicht unbeantwortet zu bleiben, denn die Ägypter haben uns viele Bauwerke und ein sehr reichhaltiges Schrifttum hinterlassen: Hymnen und Rituale für Tempel und Grab, Listen über Warenlieferungen und Opfergaben, Märchen, Erzählungen, Satiren, Klagelieder, Abhandlungen über Geometrie, Astronomie, Medizin und noch vieles andere. Das ägyptische Beamtentum, die Schreiber, denen wir diese vielen Inschriften und Papyrusrollen verdanken, hielten ihren Beruf übrigens für den weitaus vornehmsten ...

Vor der Entzifferung der Hieroglyphen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts waren nur die Berichte der Griechen über Ägypten bekannt. Diese waren aber so gut wie alle tendenziell, umgedeutet, neu interpretiert, sehr einseitig oder gar verfälscht oder spöttisch – so bedeutet z.B. das griechische Wort „Obelisk“, mit denen die Griechen die hohen Steinsäulen der Ägypter bezeichnen, wörtlich „Bratspieß“. Zudem ließ sich aus der griechischen Überlieferung durch den damaligen religiösen Synkretismus nur wenig über das "rein Ägyptische" oder gar die Entwicklung der Kultur am Nil sagen.

Der erste gesicherte Zugang zu der Geisteswelt des Alten Ägyptens war die Übersetzung der Hieroglyphen. Aber auch hier mußten nach und nach erst einmal zwei Hindernisse überwunden werden: zum einen war es notwendig, einen Überblick über das vielfältige Schrifttum zu erhalten und dessen Inhalte mit der Kultur der angrenzenden Völker zu vergleichen, um ein Gesamtbild zu erhalten. Zum anderen mußten die Forscher und Forscherinnen lernen, die eigenen ethischen, kulturellen und religiösen Wertmaßstäbe, sowie die eigenen Denkgewohnheiten abzulegen, um für die Wahrnehmung dieser Kultur offen zu sein. Die Fortschritte gingen bei dem ersten dieser beiden Hindernisse naturgemäß wesentlich schneller voran.

Das Ergebnis dieser Arbeit waren in der Regel recht trockene, meist sorgfältige und fast immer sehr langatmige Abhandlungen über einige Details, wodurch viele der an dieser alten Kultur Interessierten eher zurückgeschreckt wurden. Um zu einem Verständnis für das Leben in dem Reich der Pharaonen zu kommen, war das Studium vieler Beschreibungen, Darstellungen und Diskussionen notwendig, das am ehesten dann Früchte trug, wenn man genug Phantasie besaß, um sich aus den vielen Einzelteilen den lebendigen Alltag eines Ägypters ausmalen zu können und selber schon einmal ins heutige Ägypten gereist war.

Es gab auch mehrere Versuche, den Zugang zu diesem Thema zu vereinfachen. Zum einen wurden kommentierte Bildbände herausgegeben und auch einige Abhandlungen mit lebensnahen Zeichnungen versehen wie z.B. das Buch "Ships of the Pharaos" von dem Skandinavier und Spezialisten für normannische Drachenboote Björn Landström (Allen & Unwin, London 1970). Hier kann man sehr gut das Gefühl eines Ägypters beim Anblick der Sonnenbarke während ihrer Prozessionsfahrt auf dem Nil nachvollziehen.

In einer anderen Richtung verlief eine ganze Reihe von Werken, die zwar sehr interessant zu lesen, aber doch auch ziemlich spekulativ waren und die Eigenheiten der ägyptischen Kultur bisweilen hinter frei erfundenen Geheimnissen und Mysterien verbargen. Am fruchtbarsten waren wohl die historischen Romane z.B. über Sinuhe oder Nofretete.

Es gibt auch einige Romane wie "Her-bak" von Ischa-Schwaller de Lubic, in denen verschiedene ägyptische Märchen, Weisheitslehren, Erzählungen und Biographien zu einer fortlaufenden Geschichte, die sozusagen aus original ägyptischen „Puzzlesteinchen“ und linguistischen Betrachtungen bestand, zusammengefaßt wurden und die somit in hohem Maße authentisch sind. Diese Romane ersparen einem zwar nicht das Studium der Fachliteratur, aber sie machen das Thema wesentlich lebendiger.

Daneben gab und gibt es auch eine ganze Reihe von Darstellungen über das alte Ägypten, die fast frei erfunden sind und nicht so sehr nach einer möglichst realistischen Darstellungen des Lebens der alten Ägypter streben, sondern eher danach, eine möglichst sensationelle Geschichte zu verfassen oder eine spektakuläre Entdeckung in die archäologischen Funde hineinzuinterpretieren.

„heka“ - Magie

Den Anstoß zu diesem Buch hat mir unter anderem Mircea Eliades Werk "Schamanismus und archaische Ekstasetechnik" gegeben. Themen und Motive wie die, die er in seinem Werk herauskristallisiert hat (z.B. die heilige Weltmitte, das magische Feuer oder die Unterweltsfahrt), die in vielen Kulturen und Religionen wiederkehren, scheinen mir der geeignetste Ansatzpunkt für die Beschreibung des magisch-religiösen Aspektes der ägyptischen Kultur zu sein, denn die alten Ägypter hatten ein magisches Weltbild, sie lebten in einer mythendurchwobenen Welt, in der die Sonne wirklich ein Gott war, der jeden Morgen von der Himmelsgöttin neu geboren und am Abend von ihr wieder verschlungen wurde. Diese Weltsicht wird nur dann begreiflich, wenn man sie nicht, wie die Ägyptologen es in aller Regel tun, in kleine Aspekte zersplittert und diese weitgehend isoliert betrachtet, sondern die einzelnen mythologischen Themen als Knotenpunkte in einem Gesamtgewebe auffaßt, in dem alle Themen mit allen anderen zusammenhängen. Bei diesem Versuch kann bisweilen auch der Vergleich mit anderen Religionen weiterhelfen.

Ein weiterer, meines Erachtens zum Verständnis des Themas unbedingt notwendiger Ansatzpunkt ist die Beschreibung und Beurteilung der ägyptischen Kultur aus magischer Sicht. Diese Methode ist allerdings sehr umstritten (sofern sie überhaupt ernst genommen wird), was daran liegt, daß die Bewertung der Magie fast ausschließlich von der eigenen Erfahrung abhängt, also im Gegensatz zum "objektiven" Studium der ägyptischen Religion und Sprache rein subjektiver Natur ist. Bei dem Streit um die Realität der magisch-mystischen Erlebnisse stehen sich hier auf der einen Seite eine lebhafte Phantasie, Schwärmerei und kritiklose Verehrung alles Ägyptischen und auf der anderen Seite trockenes Gelehrtentum gegenüber.

Es würde zwar das Gewicht dieses ohnehin schon recht dicken Buches um ein Beträchtliches erhöhen, wenn ich nun alle Versuche, die "Realität der Magie" zu beweisen oder zu widerlegen, darstellen würde, aber es würde nicht weit führen, da es eben eine Frage der persönlichen Erfahrung ist. Ich halte es für ein gerechtfertigtes Vorgehen, auch die persönlichen magischen und religiösen Erfahrungen in die Beurteilung einer fremden Religion miteinzubeziehen – zumal man diese Erlebnisse auch in vielen historischen Schriften wiederfindet.

Angenommen, jemand habe häufig telepathische Erlebnisse und findet in einer der klassischen Yogaanleitungen nun die Beschreibung von Erfahrungen, die den seinen gleichen. Warum sollte er dann daran zweifeln, daß die indischen Yogis die Telepathie gekannt haben? Es ist meiner Meinung nach sogar legitim, wenn der Betreffende dann den Schluß zieht, daß auch den Alten Ägyptern solche Erlebnisse bekannt gewesen sein müssten. Die weiterführende Frage ist dann, ob und wie sich diese Erfahrungen in der ägyptischen Literatur niedergeschlagen haben, was unter anderem davon abhängt, ob sie, wie z.B. vor dem Hintergrund der meisten indianischen Kulturen als etwas Selbstverständliches oder, wie aus dem Blickwinkel des Materialismus, als etwas Unmögliches bzw. Außergewöhnliches erscheinen.

Ein sehr wichtiges Beispiel eines solchen magisch-religiösen Erlebnisses ist die sogenannte Astralreise. Bei ihr erlebt ein Mensch, wie er aus seinem eigenen Körper austritt und seinen eigenen Körper unter sich liegen sieht. Diese Erfahrung, die bei Nahtod-Erlebnissen, bei der Entstehung von Traumata, im Traum und auch gezielt in Meditationen auftreten kann, ist offenbar zu allen Zeiten und in allen Kulturen gemacht worden und hat dazu geführt, daß man die Seele überall als Vogel, Mensch mit Flügeln o.ä. dargestellt hat – eben weil man sich bei der Astralreise als fliegend oder schwebend erlebt und offenbar zu diesem Zeitpunkt nicht in seinem Körper ist, sondern eben in etwas anderem, vereinfacht gesagt also in seiner Seele.

Nach meiner Meinung ist der subjektive Standpunkt, der auch die eigenen Erfahrungen miteinbezieht, nicht nur gerechtfertigt, sondern auch der ehrlichste und der einzige, den man vor sich selber vertreten kann. Die Schlußfolgerungen aus den eigenen Erfahrungen sollten aber als solche erkenntlich sein - nicht, weil sie minderwertig wären, sondern um die Beschreibungen und Argumentationen so klar wie möglich zu halten und es dem Leser zu erleichtern, sie nachzuvollziehen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Die Neigung der abendländischen Kultur, stets objektiv sein zu wollen und das subjektive Erleben abzuwerten, führt zwar zu einem Anwachsen des Sachwissens, aber auch zu einem Mangel an Tiefe und persönlicher Teilnahme, es sei denn, daß an ihre Stelle als Ersatz die fanatische Verteidigung einer wissenschaftlich "objektiven" These tritt.

Da meines Erachtens der Wert einer fremden Kultur, eines Symbols oder einer Mythe für eine bestimmte Person in erster Linie daran gemessen werden kann, inwieweit diese Mythe oder dieses Symbol für sie erlebte Realität, Teil ihrer Psyche und Ausdrucksmöglichkeit ihrer Persönlichkeit wird, habe ich den einzelnen Abschnitten dieses Buches Anregungen für Meditationen, Trancereisen, Rituale usw. beigefügt.

Unter der Bezeichnung "Heka: ..." finden sich in den folgenden Kapiteln eine Reihe von allgemeinen Beschreibungen einzelner spirituell-magischer Methoden wie Kontemplation, Meditation, Zentrierung, Invokation und Ähnliches, die dann entsprechend den eigenen Interessen und Neigungen angewandt werden können.

Ich hoffe, daß sie dem einen oder anderen helfen werden, einen Zugang zu der alten Kultur am Nilufer und vielleicht auch noch zu einem bisher unbekannten Bereich der eigenen Psyche zu finden.

Wenn das Studium einer Religion rein akademisch bleibt, hat man das Wesentliche, aus dem heraus diese Religion einst entstanden ist, sehr wahrscheinlich nicht erfaßt – und kann letztlich auch nicht die Früchte dieses Baumes ernten.

Quellenangaben

Auf die Angabe von Belegstellen habe ich verzichtet, da sie den Text unübersichtlich hätten werden lassen und sich die gewünschten Detailinformationen zu einem großen Teil sowohl im "Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte" von Bonnet als auch in dem "Lexikon der Ägyptologie" unter den betreffenden Stichworten finden lassen. Zudem findet sich im Literaturverzeichnis am Ende dieses Buches eine Aufstellung der wichtigsten für dieses Buch benutzten Werke mit einer kurzen Angabe ihres Inhaltes. Es finden sich dort auch einige weiterführende Werke zu spezielleren Themen.

Mein eigener kreativer Anteil an diesem Buch ist vor allem die Zusammenschau der verschiedenen Details, das Entwerfen größerer mythologischer Bilder und die Schlußfolgerungen aus diesen Bildern. Die Grundlagen dafür verdanke ich vor allem der umfangreichen Bücherei des ägyptologischen Seminars der Universität Bonn.

I Die Schöpfung

I A Der Ursprung

I A 1. Nun

Nach der Vorstellung der Ägypter gab es zu der Zeit, als diese Welt noch nicht entstanden war, nur ein unendliches, leeres, finsteres Wasser: das Urmeer Nun. Meist wird es einfach als das Urelement Wasser, manchmal aber auch personifiziert als der Gott Nun dargestellt. Er hat eine rein menschliche Gestalt und trägt manchmal zwei hohe Federn als Krone. Meistens trägt er jedoch gar kein Kennzeichen. Sein Name leitet sich von der Verdoppelung des Wortes "nu", das "Wasser" bedeutet, ab; "nunu" wurde dann zu "Nun" verkürzt - die Verdoppelung ist in vielen alten Sprachen eine häufige Form der Betonung, der Substantivierung von Verben und Adjektiven und generell des Erhebens der Wortbedeutung auf eine höhere Ebene.

Dieses Urwasser, das die Ägypter ursprünglich wohl weder als weiblich noch als männlich aufgefaßt haben, wurde von ihnen in vier Aspekte gegliedert und in der Gestalt von vier Götterpaaren dargestellt: die Achtheit des Anfangs. Im Laufe der Entwicklung sind zwei dieser Gottheiten, Nun und Amun, zu Stellvertretern der gesamten Achtheit geworden.

Achtheit UrgötterUrgöttinnenQualität1. PaarNunNaunetUrwasser2. PaarHuHauketräumliche Unendlichkeit3. PaarKuhKauketFinsternis4. Paarmehrere Varianten, die alle die e Leere bezeichnenAmunAmaunetVerborgenheitNiauNiautNichts, VerneinungGerehGerhetMangelTenemu(unbekannt)Verschwinden

Die vier Götter dieser Achtheit haben die Gestalt von Fröschen und die vier Göttinnen in der Regel die Gestalt von Schlangen, da man glaubte, daß diese Tierarten ohne Zeugung aus dem Schlamm geboren würden. Manchmal werden auch die vier Urgötter als ein Stier und die vier Urgöttinnen als eine Kuh aufgefaßt, wobei dann diese "Urkuh" mit den Göttinnen Hathor und Nut so gut wie identisch ist. Diese Darstellungsweise erklärt sich daraus, daß das Rind für die Ägypter das Sinnbild der Fruchtbarkeit und der Zeugungskraft war, durch die die Welt erschaffen wurde.

In diesem Urwasser, das sowohl räumlich als auch zeitlich keinen Anfang und kein Ende hat, war die Welt vor ihrer Schöpfung als Möglichkeit verborgen. Nachdem sie Realität wurde, erhob sich die Erde aus dem Nun und wurde von ihm umgeben. Auch der Himmel war ein Teil des Urmeeres, aus dem auch der Nil, das Grundwasser, der Regen und der Nebel stammen.

Der Ursprung dieser Vorstellung ist zumindest dreifach:

1. Die älteste Wurzel ist die Erinnerung an die Zeit im Fruchtwasser im Bauch der eigenen Mutter, die man durch Meditationen und ähnliche Methoden wieder erlangen kann, sowie das Erlebnis, daß alle Wesen aus dem Wasser kommen: die Säugetiere aus dem Fruchtwasser, die Reptilien und die Vögel aus dem Ei, und die Amphibien und die Fische aus den Flüssen und dem Meer.

2. Die zweitälteste Wurzel ist die weltweit verbreitete Vorstellung, daß die Unterwelt im „Tiefen Wasser“ liegt, in der dann die Ahnen und die Götter leben. Diese Vorstellung ist dann später auf den Himmel übertragen worden, wodurch der Himmel zum Himmelsmeer wurde.

3. Die drittälteste Wurzel dieses Bildes stammt aus dem Beginn des Ackerbaus und beruht auf dem jedes Jahr wiederkehrenden Erlebnis des Auftauchens des fruchtbaren Ackerlandes aus der Nilflut.

Da die Muttergöttin, die alle Lebewesen gebiert, eben eine Göttin ist, die Wasser des Jenseits auch als Göttin aufgefaßt wurden und auch die Nilflut eher von Göttinnen als von Göttern verursacht wurde, kann man das Urmeer als ein Bild der Göttin auffassen, auch wenn der Gott Nun männlich ist. Die Göttin (Nut, Hathor) als das Große Wasser ist das deutlich ältere Bild.

Die folgende Hymne an Nun ist kein ägyptisches Original, besteht aber ausschließlich aus ägyptischen Redewendungen und Vorstellungen. Der Stil ist allerdings nicht ganz so zeitlos und ruhig wie die meisten ägyptischen Texte.

Es gibt zwar Namen, Umschreibungen und Bilder für Nun, aber da er wie die meisten kosmischen Götter keinen Kult besessen hat, sind auch keine Hymnen an ihn verfaßt worden. Auch bei den anderen ägyptischen Göttern gibt es mit Ausnahme der Sonnengottheiten nur selten Anrufungen oder beschreibende Texte in der Art wie z.B. die orphischen Hymnen an die griechischen Götter.

Da aber bei einer Meditation über eine Gottheit oder ein Symbol eine kurze vorhergehende Anrufung nach meiner Erfahrung sehr hilfreich ist und auch die Konzentration während der Meditation erhöht, habe ich eigene Hymnen mit möglichst rein ägyptischem Inhalt und, soweit es mir möglich war, auch ägyptischem Stil beigefügt. Noch sinnvoller ist es natürlich, wenn der oder die Meditierende selbst eine kurze Anrufung schreibt oder improvisiert und sie im Laufe der Zeit durch eigene Erfahrungen mit der Gottheit oder dem Symbol ergänzt.

Die folgende Hymne ist also weder als die einzig richtige Anrufung noch als ein Kunstwerk, sondern in erster Linie als Meditationshilfe gedacht. Sie ist gewissermaßen "Gebrauchslyrik".

Nun, Du bist der Älteste der Götter

Du warst vor der Erschaffung der Welt

Die Götter kennen Dich als das Urwasser in Deinem Namen Nun

Die Götter preisen dich als die Unendlichkeit in Deinem Namen Hu

Die Götter ehren Dich als die Finsternis in Deinem Namen Kuh

Die Götter sehen Dich als Leere in Deinem Namen Gereh

In Deiner Dunkelheit lag der Urhügel

bevor der erste Tag anbrach

In Deiner Stille war Nefertem verborgen

bevor der Lotus erblühte

In Deinen Wassern ruhen die Seelen

bevor die Sonne sie von ihrem Schlaf erweckt

Gib' uns Nahrung als Hapi, der Nil

Gib' dem Korn Trank als Wasser in der Erde

Gib' den Pflanzen Leben als Überschwemmung

Erster des Anfangs

Selbsterschaffener

Endloses Wasser

I A 2. Geb und Nut

Die zweite Vorstellung, die den Gegenpol zu dem "Schlaf des Nun" bildet, ist die Auffassung des Zustandes vor der Schöpfung als die ekstatische geschlechtliche Vereinigung des Erdgottes Geb mit der Himmelsgöttin Nut, die zu dieser Zeit noch nicht durch den Luftgott Schu getrennt worden waren.

Beide sind wie Nun kosmische Götter, aber sie haben viel weitgehender auf die religiösen Vorstellungen der Ägypter eingewirkt, da sie als Erde und Himmel wesentlich faßbarer als das Urwasser des Nun waren.

I A 3. Geb

Der Name dieses Gottes bedeutet "Erde" und er ist im Kern seines Wesens auch der Erdboden. Er ist allerdings kein Fruchtbarkeitsgott wie z.B. Osiris oder Min; ihm gehören die Erde, ihre Erze, ihre Edelsteine, der Ackerboden, das Korn, das Wasser, der Weihrauch, die Salben und anderes mehr, was auf die eine oder andere Weise mit der Erde zusammenhängt.

Seine Stellung innerhalb der Kosmologie hat sich im Laufe der Zeit durch kultpolitische Einwirkungen gewandelt. Ursprünglich galten Geb und Nut als Eltern der Sonne, wurden aber später zu deren Enkeln. Trotzdem hat sich die Vorstellung der Geburt der Sonne durch Nut zu allen Zeiten erhalten können, was sicher in dem Erlebnis des Sonnenaufgangs und dessen Gleichsetzung mit der Wiedergeburt der Seelen im Jenseits begründet ist. In On, was "Himmelspfeilerstadt" (Kairo) bedeutet und das die Griechen Heliopolis ("Sonnenstadt") nannten, einem der religiösen Zentren Ägyptens, gab es ab dem Mittleren Reich folgende Götterhierarchie, die sich auch auf die Kulte fast aller anderen Städte ausgewirkt hat:

Aus dem Urmeer entstand Atum, der sich in die Achtheit differenzierte bzw. diese erschuf. Die Kinder Atums sind Schu und Tefnut, die miteinander Geb und Nut zeugten, die wiederum die Eltern zum einen der Sonne und zum andren von Isis, Osiris, Nephthys, Seth und Horus sind. Das Kind von Isis und Osiris ist Horus; das Kind von Nephthys und Osiris ist Anubis, während Thot dem Scheitel des Seth entsprang, nachdem dieser unwissentlich den Samen des Horus verschluckt hatte. Der Pharao ist der Nachkomme des Horus – seine Ahnenreihe ist also: Atum – Schu – Geb – Osiris – Horus – Pharao.

Geb wurde als Vater des Totengottes Osiris und durch die Verbindung seines Elementes, der Erde, mit dem Grab auch zu einem Gott, der die Toten beschützt und sie im Jenseits richtet. Durch seinen Sohn Osiris hat der "Göttervater" Geb in der Spätzeit auch Züge eines Fruchtbarkeitsgottes erhalten. Er nahm zum Teil andere Erdgötter wie Aker, Tatenen und Pega, den man auch die ausgebreiteten Arme des Geb nannte, in sich auf.

Als Krone trägt Geb entweder die ober- und unterägyptische Krone (Göttervater) oder die Hieroglyphe für die Silbe Geb, eine Gans (Personifizierung des Erdelementes).

Geb besaß als Heiligtum in On eine offene Fläche, auf der ihm zu Ehren jedes Jahr wie auch auf den Feldern der Bauern die Zeremonie des Erdhackens stattfand, die auch bei jeder Tempelgründung, jedem Kanalbau und anderen Erdarbeiten durchgeführt wurde. Sie sollte dazu dienen, die durch den Hackstock oder die Schaufel verletzte Erde wieder zu versöhnen.

Bei diesem Ritual zogen schwarze Rinder den Pflug, während der Vorleseprieseter (wörtlich: "Halter der Festrolle") durch das Rezitieren von Sprüchen die Erde besänftigte und um Gedeihen und Fruchtbarkeit bat und ein Knabe Gerste, Flachs, Spelt und Emmer aussähte. Die Zeremonie wurde später durch Einbeziehen der Osirismythe erweitert: Die Aussaat des Korns entsprach dem Tod des Osiris, wobei die Ziegen, die die Saat in die Erde traten, Seth, den Mörder des Osiris, darstellten. Ihr Kot war das "Blut des Seth", das dieser während seines Kampfes mit Horus, dem Sohn des Osiris, verlor und das nun die Erde düngte und sie zur Wiedergeburt des Totengottes bzw. dem Keimen der Saat beitrug. Die überlieferten Ritualtexte wenden sich aber alle an Osiris als den Fruchtbarkeitsgott und nicht an Geb.

Der folgende Text ist wieder als Anregung für ein Erdritual oder als Konzentrationshilfe für die Meditation über Geb gedacht, und soll keine Rekonstruktion des Textes des Vorlesepriesters sein, obwohl sich sein Inhalt auf ägyptisches Gedankengut beschränkt.

Als die Sonne noch nicht den Tag erhellte

Als der Mond noch nicht das Nachtmeer durchfuhr

Hattest du schon Deine Augen geöffnet, Geb!

Als noch keine Berge das Land säumten

Als noch kein Nil das Land durchfloß

Warst Du schon erwacht, Nut!

Es war noch kein Stein

Es war noch keine Pflanze

Es war noch kein Tier

Da lagt ihr vereint beisammen!

Göttervater! Erster der Könige!

In Dir ist alles verborgen

Du gibst alles Gute den Menschen

aus Dir quillt das Wasser empor

auf Dir sprießt das Korn

Du gibst uns Kupfer und Lapislazuli

Du gibst uns Weihrauch und Salbe

König der Toten im Jenseitsgericht

Öffne Deinen Leib

damit der Tote aus seinem Grab hervortreten kann

nähre die Saat

damit das Korn aus der Tiefe emporsprießen kann

Geb, Du bist der Vater der Götter und Göttinnen

Geb, Du bist der Ernährer der Pflanzen und Tiere

Geb, verleihe mir ein langes Leben

dann will ich Dir Weihrauch verbrennen

und Lotusblüten opfern

Praktischer Zugang: Geb

Die Möglichkeiten, mit der Erde in Kontakt zu treten, sind alle ebenso schlicht und einfach wie effektiv: sich des längeren in einer Höhle aufhalten, Bergwanderungen, Traumreisen ins Erdelement, sich mit dem Rücken auf die Erde legen und sich vorstellen, selber Erde zu werden und daß sich die Grenze zwischen Körper und Erde auflöst, und versuchen, die Erze, die Felsen, die Mineralien und die Kristalle in der Tiefe zu spüren ...

I A 4. Nut

Der Name dieser Göttin, die die Personifizierung des Himmels ist, stellt die Femininbildung ("-t") zu "Nu" dar, das "Urmeer", "Wasser" und "Flut" bedeutet und ist mit dem Namen der Göttin Neith und dem Namen der unterägyptischen Krone ("Net") eng verwandt. Nut heißt demnach in etwa "Göttin des himmlischen Urmeeres". Sie war aber auch mit den Wassern, die die Erde umgeben und in denen die Welt ruhte, identisch.

In einem ägyptischen Text heißt es von ihr: "Die ganze Erde liegt unter ihr und alle Dinge sind von ihren Armen umfangen." Sie ist die Mutter der Sonne, denn sie gebärt den Sonnengott Re am Morgen und verschlingt ihn abends wieder; also ist "ihr Hinterteil im Osten, ihr Kopf im Westen". Umgekehrt ist es mit den Sternen, die für die Ägypter die Seelen der Toten waren: "Sie gehen (morgens) ein in ihren Mund (Westen) und kommen (abends) wieder hervor aus ihrer Scheide (Osten)".

Nut, die "Sonnenmutter", die die Griechen der Rhea gleichsetzten, wurde als nackte Frau dargestellt, die im Osten mit den Füßen und im Westen mit den Händen auf der Erde ruht. Seltener wird sie als Kuh (siehe "Hathor") oder als "Sau, die ihre Ferkel frißt" dargestellt. Durch dieses Gebären und Verschlingen hat sie eine lichte und eine dunkle Seite.

Sowohl ihr lichter als auch ihr dunkler Aspekt finden sich in Nut als Totengöttin wieder. Der Wunsch des Toten ist es, als Stern (=Seele) oder gar als Sonne wiedergeboren zu werden. So bittet er Re, Nut zu schwängern, um in dessen Samen, in dem er das vollständige Kind schon vorhanden glaubte, von der Himmelsgöttin wiedergeboren zu werden und ein ewiges Leben als Stern (oder als Sonne) zu erhalten. Dabei spielte auch der Gedanke mit, daß der Tote als Sohn der Nut zu Osiris wurde, der ebenfalls ein Kind der Himmelsgöttin war, und somit zu einem "Gerechtfertigten" wurde, dem das Tor zum paradiesischen Jenseits offen stand.

Die geflügelte Nut, die ihre Schwingen durch die Verbindung zu der Geiergöttin Nechbet erhielt, wurde zu einem beliebten Schmuck und magischen Schutzsymbol des Sarges, wobei sie, die Stelle der Geiergöttin einnehmend, ihre Arme/Flügel behütend über der Brust des Toten kreuzte – der Tote ruhte dann symbolisch in ihr.

Man faßte den Sarg selber als Nut auf, in dem der Tote wie in ihrer Gebärmutter lag und auf seine (Wieder-) Geburt wartete. In der Frühzeit der ägyptischen Kultur war es üblich, die Toten in ein Kuhfell zu hüllen, um sie symbolisch in den Bauch der Muttergöttin zu legen. Die Himmelsgöttin Nut und auch die Himmelsgöttin Hathor hatten oft die Gestalt einer Kuh. Der mit Nut identifizierte Sarg, auf dem diese Göttin auch fast immer abgebildet wurde, war also die „versteinerte“ Variante des früheren Brauches des Einhüllens der Toten in ein Kuhfell.

Auf ihrem Leib, den man sich auch als ein großes Meer dachte, fuhren die Sonnenbarke und die Mondbarke. Der Ansatzpunkt zu der Verbindung von Nut, "die die Götter gebar", mit Isis liegt in der Betonung der Mutterschaft.

Wenn Nut nicht in ihrer typischen "Himmels-Haltung", sondern aufrecht stehend dargestellt wird, trägt sie wie Geb ihr Schriftzeichen, den "nu"-Topf als Kopfschmuck.

Die Bedeutung der Nut im Totenkult wird in den Pyramidentexten besonders deutlich, die ja die Ritualtexte für die Bestattung des Pharaos und die Zaubersprüche für ihn im Jenseits waren. Die folgenden Sätze sind verschiedenen Sprüchen entnommen:

Sohn des Königs: “O Nut, ergreife diese Hand! Schu, hebe ihn zum Himmel empor!”

König: “Nut die Große hat ihre Arme für mich geöffnet.”

Spruch der Göttin Nut: “Der König ist mein geliebter Sohn, mein Erstgeborener auf dem Thron des Geb, mit dem Geb sehr zufrieden ist und dem er sein Erbe im Beisein der Große Neunheit der Götter gegeben hat.“

Nut: “Ich hülle all Deine Schönheit in diese meine Seele (=Sarg) ein.“

Nut: “O König, ich habe Dir Deine Schwester Isis gegeben, damit sie Dich hält und Dir Dein Herz für Deinen Körper gibt. O König, ich habe Dir Deine Schwester Nephthys gegeben, damit sie Dich hält und Dir Dein Herz für deinen Körper gibt.”

Sohn des Königs: “Nephthys hat Deine Glieder für dich geheilt, als du zu Deiner Mutter Nut in ihrem Namen Sarkophag gegeben wurdest, als sie Dich in ihrem Namen Sarg umarmt hat, und als Du zu ihr in ihrem Namen Grab gebracht wurdest.“

Außer dem folgenden Text, für den das gleiche wie für die vorigen Anrufungen gilt, kann auch der erste Teil der Geb-Hymne verwendet werden. Die "Fünf Götter" sind die Kinder der Nut: Osiris, Isis, Nephthys, Seth und Horus; Aton ist die Sonnenscheibe; und die Sykomore ist der heilige Maulbeerfeigenbaum, als den sich die Ägypter den Weltenbaum oft vorstellten.

Himmelsgöttin, blaue Flut

Du hast Re geboren und die Sterne in Dir verborgen

Totengöttin, schwarze Nacht

du hast den Seelen neues Leben geschenkt und den Aton verschlungen

Du gibst das Licht dem Tag

und Schatten den Toten

Göttermutter

Sonne und Mond sind Deine Söhne

die Fünf Götter sind Deine Kinder

und die Seelen der Toten lebten nicht ohne Dich

Bereite mir einen Platz in der Sonnenbarke

in Deinem Namen Hathor

Rechtfertige mein Herz in der Halle des Osiris

in Deinem Namen Nut

Gib mir Schatten und Wasser an Deinem Baum im Jenseits

in Deinem Namen "Herrin der Sykomore"

Die folgenden Zeilen sind alles Zitate aus den Pyramidentexten, in denen der König zu Nut aufsteigt. Sie veranschaulichen gut die Göttin als die Mutter im Jenseits:

546: „Ich bin Nut, die diesem Osiris dem König helfen wird, zu mir aufzusteigen; gebt ihn mir, damit ich ihn umarmen kann.“

427: „O Nut, bedecke mit dir selber Deinen Sohn Osiris, den König, damit du ihn vor Seth verbirgst; beschütze ihn, o Nut. Bist du gekommen, damit du deinen Sohn beschützen kannst? -Ich bin wirklich gekommen, damit ich diesen großen beschützen kann.“

Vergleich: Nun, Nut

Wie in den meisten Mythologien (und auch in der astronomischen Urknalltheorie) wird die Existenz der Ursubstanz als schon ewig vorhanden vorausgesetzt, sei es als Urflut, die biblischen "dunklen Wasser", über denen der Geist Gottes schwebte, oder der Gegensatz Feuer (Muspelheim) und Wasser bzw. Eis (Niflheim) bei den Germanen, das Chaos bei den Griechen oder die Energie bei den heutigen kosmologischen Theorien.

Das häufige Bild des Urwassers weist sowohl auf das Meer hin, in dem das Leben auf der Erde entstanden ist, als auch auf die Wasser der Gebärmutter, in denen der Embryo heranwächst. Als nicht allzu präzises Gleichnis könnte man das Urwasser als den Leib der Mutter und evtl. auch als das kollektive Unterbewußtsein auffassen, und das Urmeer mit dem in ihm ruhenden "Keim der Welt" mit der schwangeren Frau und dem Es der Psyche in der Psychologie von Freud vergleichen.

In der abstrakteren Darstellungsweise der Kabbala, der hebräischen Mystik, ist dieses Urmeer das Ain Soph Aur, die drei Schleier, die das Nichts, das aber positiv als die Möglichkeit zu allem aufgefaßt wird, verbergen: Ain - Nichts; Ain Soph - das Grenzenlose; Ain Soph Aur - das grenzenlose Licht. In Tibet wird dieses Licht durch den Vajra, den "Donnerkeil" symbolisiert, der in den tibetisch-buddhistischen Vorstellungen und Meditationen eine zentrale Rolle spielt. Dies uranfängliche Licht, das in dem Weltbild der Kabbala aus dem Nichts hervorgeht, ist in der ägyptischen Mythologie der Sonnengott, der aus dem Meer auftaucht und von der Göttin geboren wird.

Einige Züge des Urmeers und Parallelen zu Nut lassen sich in Binah, der dritten Sephirah (Emanation) des kabbalistischen Lebensbaumes wiederfinden. Sie wird als Shekinah, die Göttin des Meeres, des Schweigens und der Dunkelheit personifiziert und hat zwei Aspekte: die lichte, fruchtbare Göttin Aima und die dunkle, unfruchtbare Göttin Ama. Ama bedeutet wörtlich Mutter und das "i" wird in der kabbalistischen Deutung als der Embryo in ihrem Leib aufgefaßt. Aima entspricht Nut, die die Sonne am Morgen gebiert, und auch der Eva der biblischen Genesis; Ama entspricht Nut, die die Sonne am Abend wieder verschlingt, und auch der Lilith in der jüdischen Fassung der biblischen Genesis.

Es findet sich zwar auch bei den Ijo am Nigerdelta eine Himmelsgöttin mit dem Namen Tamuno, die zugleich Schöpferin und Mutter aller Dinge ist, aber ansonsten ist außer in der ägyptischen und zum größten Teil auch den mesopotamischen Religionen fast immer der Himmel ein Gott und die Erde eine Göttin. Dies liegt vor allem daran, daß der Regen als der die Erde befruchtende Same des Himmelsgottes aufgefaßt wird. In der ägyptischen und der mesopotamischen Kultur, von der noch sehr alte schriftliche Überlieferungen erhalten sind, zeigt sich in diesen Vorstellungen noch eine ältere Phase der religiösen Weltanschauung (siehe: „Die Himmelfahrt").

Praktischer Zugang: Nun, Nut

Abgesehen von Meditationen über die beiden Gottheiten bieten sich durch die Parallele "Nun -Urmeer - Uterus" hypnotische Rückführungen in den vorgeburtlichen Zustand an. Weiterhin kann man versuchen, seine Körperenergie, seine einzelnen Zellen, den ursprünglichen Lebenstrieb, das Es zu spüren, aus dem alle Handlungen und das ganze Streben genährt wird. Hierzu kann man evtl. über das Bild "(man selber als) Kind im Ei (Aura, Gebärmutter)" meditieren oder sich vorstellen, sich selbst in einem großen, dunklen, endlosen Meere aufzulösen und selber Wasser zu werden. Diese Meditationen helfen auch, körperliche und psychische Verkrampfungen zu lockern.

Für Nut bietet sich folgende Meditation an, die in ihrer Wirkung denen über Nun weitgehend gleicht: in einer sternklaren Nacht, in der der Mond am Himmel steht, aber noch nicht so voll und hell ist, daß er die Sterne überstrahlt, und in der evtl. noch ein oder zwei der Planeten zu sehen sind, legt man sich an einem stillen Ort mit dem Rücken auf die Erde und entspannt sich. Dann fühlt man seinen Körper, die Wärme und den Atem und das Pochen des Blutes in ihm. Nun lenkt man die Aufmerksamkeit auf den Boden, auf dem man liegt, auf die Bäume in der Nähe und schrittweise immer weiter, wobei man sich auf die Größe des Betrachteten und die eigene Kleinheit und Kurzlebigkeit konzentriert: Körper, Boden unter sich, Bäume, Land, Erdkugel, Luft, Mond, Venus oder Jupiter (falls zu sehen), Leere bis zu den Sternen, Sterne, Andromedanebel (andere Galaxie - falls zu sehen), Leere zwischen den Galaxien, Dunkelheit, Schweigen, Leere ...

Das Urwasser entspricht bei den indischen Elemente-Tattwas Akasha, dem schwarzen Ei, das den Ursprung und die Quintessenz darstellt. In dieses Symbol kann man in diesem Zusammenhang Traumreisen unternehmen.

Das Erlebnis der Auflösung im Urmeer kann man durch verschiedene Methoden, von Entspannungsübungen wie Autogenem Training bis hin zum Verlieren des Körpergefühls im Samadhi-Tank (ein großes, mit warmem Salzwasser gefülltem Behälter, in dem man in völliger Dunkelheit und Stille reglos schwimmt), versuchen zu erreichen. Die Entspannung allein wird allerdings nicht zu diesem Erlebnis führen, wenn nicht die Hingabe an die Göttin, die Bereitschaft, sich loszulassen, hinzukommt. Eine sehr freundliche, traditionelle Methode, um zu diesem Erlebnis des "Von der Muttergöttin getragen werdens" zu gelangen, ist die Schwitzhütte, der spirituelle Vorläufer unserer heutigen Sauna, die von den Völkern des nördlichen Asiens, Europas und Amerikas zum Wiederfinden des Urvertrauens benutzt wurde und zum Teil noch wird. Das Erlebnis in einer solchen Schwitzhütte ist es, wieder im Bauch von Mutter zu sein und von ihr getragen zu werden und alle Anstrengung loslassen zu können.

Dabei wird man erleben können, daß Nut nicht nur aus mythologischen und kultpolitischen Gründen zu einer Totengöttin geworden ist, denn die Auflösung der eigenen Starre ist fast immer mit einer Angst verbunden, die mit dem zu tun hat, vor dem diese Starre einen schützen soll, d.h. mit dem, was diese Starre einst verursacht hat. Diese Starre und diese Angst, deren Wurzel die Angst vor dem Tod ist, kann sich durch Weinen oder Hingabe auflösen, was in der Schwitzhütte, da sie einen sicheren Rahmen bietet und man dort bereits mitten in dem Gefühl der Geborgenheit ist, sehr freundlich und "weich" vonstatten geht.

... am Anfang war Stille und Geborgenheit.

Vergleich: Geb und Nut

Die Vereinigung von Nut (Himmel) und Geb (Erde) stellt in gewisser Weise auch eine Urflut dar, da die Himmelswasser und die Erde vereint zu einem Bild für den fruchtbaren Schlamm der alljährlichen Nilüberschwemmungen werden, aus denen die "schlammgeborenen" Urgötter in der Gestalt von Fröschen und Schlangen hervorkriechen.

Anthropozentrisch kann man die Vereinigung von Nut und Geb als Zeugung des Embryos, der mythologisch der Welt entspricht, deuten.

Auch in der Bibel findet sich das Bild von Wasser und Erde am Anfang der Zeit: Am Anfang trennte Gott, "der Geist (auf hebräisch bedeutet Ruach sowohl Geist als auch Luft), der über den Wassern schwebte", Wasser und Erde und schuf so das Meer, die Flüsse und das feste Land. Dem "Luftgeist" entspricht bei den Ägyptern der Luftgott Schu, der Himmel und Erde trennte.

Dies Motiv muß die Bibel aber nicht aus Ägypten übernommen haben, da man es in ähnlicher Form auch in Mesopotamien, Indien, Japan, Zentralamerika usw. findet. Es scheint also ein Ausdruck der allgemeinen menschlichen Erfahrung zu sein.

Die Symbolik der Vereinigung der Gegensätze am Anfang der Zeit findet sich in vielen Kulturen. In Indien z.B. in der Vereinigung von Shiva und Shakti und in Tibet in der Vereinigung von Buddha Vajradhara und seiner Gefährtin Prajnaparamita oder von Milarepa mit Tashi-Tseringma. Bei den Sumerern gibt es neben der Vorstellung von der Urflut, die als die Göttin Tiamat dargestellt wird, auch das Bild der Vereinigung des Himmelgottes An mit der Erdgöttin Nammu bzw. der älteren Vorstellung der Vereinigung der Himmelsgöttin Inanna mit dem Erdgott Enki.

Solche Ahnenreihen wie die, die mit Nun beginnt und dann über Atum, Schu, Osiris und Horus zu der langen Reihe der Pharaonen führt, sind bei frühen Kulturen sehr weit verbreitet und lassen sich z.B. auch in den langen Ahnenreihen in der Bibel wiederfinden, in der z.B. Marias Abstammung von Adam und Eva beschrieben wird.

Praktischer Zugang: Geb und Nut

Dieses Thema ist von der Rolle von Vater und Mutter für jedes Kind sowie durch die große Bedeutung der Sexualität geprägt. Der größte Teil der Psychologie beschäftigt sich mit diesen beiden Aspekten des menschlichen Lebens.

In spiritueller Hinsicht kann man die verschiedensten Traumreisen zu diesem Thema unternehmen, über die dritte Tarotkarte "Die Herrscherin" meditieren, die die Fruchtbarkeit darstellt, den 14. Pfad des kabbalistischen Lebensbaumes betrachten und vieles anderes mehr, wobei das direkteste und intensivste Kennenlernen dieser Symbolik und dieser Kräfte und Gottheiten sicher das Tantra-Yoga ist.

... am Anfang war Ekstase!

Das folgende ist ein Beispiel für eine einfache Zeremonie, die allerdings kein ägyptisches Original ist, da Rituale, die die Sexualität konkret miteinbeziehen, aus Ägypten nicht bekannt sind. Die Struktur der folgende Zeremonie stammt aus dem indischen Tantra und die Gottheiten aus Ägypten.

Der Grundgedanke von Ritualen dieser Art ist die Wiederholung der Weltschöpfung. So sollte z.B. auch die "Heilige Hochzeit" zwischen dem sumerischen König und der Hohepriesterin der Göttin Inanna dieses Urzeitgeschehen wiederholen und dadurch den Menschen, den Tieren und den Äckern die Fruchtbarkeit sichern. Solche Rituale finden sich, meist allerdings nur in symbolisch-andeutender Form u.a. auch in den modernen Kulten der Neuheiden, Hexen und des Wicca.

Ein solches Ritual hat offensichtlich nur dann einen Sinn, wenn einem die verwendeten Symbole und die angerufenen Gottheiten wirklich etwas sagen und bedeuten, wenn sie Teil der eigenen Weltanschauung und der eigenen Psyche geworden sind. Insofern ist es sehr zu empfehlen, den folgenden Ritualvorschlag den eigenen Anschauungen und dem eigenen Stil entsprechend umzugestalten und auszubauen. Daraus ergibt sich auch, daß man dieses Ritual erst dann zur Verbindung mit Nut und Geb benutzen sollte, wenn man über diese beiden Gottheiten schon eine Zeit lang meditiert hat und dadurch einen Kontakt zu ihnen erhalten hat.

1. Einen Schutzkreis ziehen und durch Verspritzen von Wasser reinigen sowie mit Weihrauch weihen. (Vorher baden; evtl. mit Duftenden Ölen einreiben)

2. Je ein Ankh, die Hieroglyphe für "Leben" in jede Himmelsrichtung imaginieren, also sich bildhaft vorstellen. Stattdessen können auch die vier Horussöhne (siehe Kapitel II A) oder die vier Schutzgöttinnen (Siehe Kapitel IV F 1. "Selket") um Hilfe geben und in den vier Richtungen imaginiert werden.

3. Auf zwei sich am Kreisrand gegenüberstehenden Altären vor einem Bild oder einer Statue der Nut auf dem einen Altar bzw. des Geb auf dem anderen Altar oder vor einer Schale mit Erde bzw. einer Schale mit Wasser je eine Kerze und Weihrauch entzünden.

4. Die Frau liest vor dem Nut-Altar einen Text über Nut vor oder improvisiert eine Anrufung, betet schweigend zu der Göttin und identifiziert sich so weit wie möglich mit ihr. Dann führt der Mann dasselbe für Geb vor dessen Altar durch.

5. Die Vereinigung von Nut/Frau und Geb/Mann. Dabei gibt es drei Möglichkeiten:

a) Symbolische Vereinigung wie in den meisten Beltane-(Walpurgis)-Jahreszeitenfesten in dem heutigen Hexenkult: der Mann senkt seinen Stab in den Kelch der Frau.

b) Geschlechtliche Vereinigung, wobei man versuchen sollte, die Verbindung zu Nut bzw. Geb zu wahren und den Orgasmus möglichst lange hinauszuzögern, damit man die Qualitäten von Nut und Geb und ihrer Vereinigung wahrnehmen kann. Dabei kann es helfen, wenn der Mann innerlich ständig den Namen "Geb" spricht und die Frau den Namen "Nut". Ebenfalls hilfreich ist es, sich dabei in die Augen zu sehen und sich auch der Gottheit bewußt zu bleiben, mit der die/der andere verbunden ist. Um dies zu unterstützen, kann man auch "in dem anderen" die betreffende Gottheit ansprechen - entweder improvisiert oder mit Texten aus dem Alten Ägypten.

Es ist offensichtlich, daß ein solches Ritual nur durchführbar ist, wenn man sich nicht nur körperlich vertraut ist, sondern auch noch möglichst ähnliche spirituelle Vorstellungen und Erfahrungen hat. Wie bei fast allem ist auch hier Übung förderlich.

c) Der Mann sitzt im Lotussitz oder einfach mit gekreuzten Beinen, die Frau sitzt auf ihm und umschlingt ihn mit ihren Beinen und Armen, wobei sich beide vereinen, so wie es auf den indischen Darstellungen von Shiva und Shakti zu sehen ist. Beide konzentrieren sich wie unter b) beschrieben vor allem auf die Verbindung zu Nut und Geb und beobachten, was sie erleben.

Beide lassen ihre Energie in den anderen strömen, wobei es möglichst nicht zum Orgasmus kommen sollte, da sonst die sexuelle Spannung beendet wird und diese Kraft im Körper, in der Psyche und in den Chakren (Organe des Astralkörpers) nicht wirken kann. Um diese Wirkung auch nach der Zeremonie noch zu erhalten und sich verfestigen zu lassen, sollte man auch nach dem Ritual einen Orgasmus noch so lange vermeiden, bis sich das Erlebnis "gesetzt" und die Energien verteilt und beruhigt haben, was mindestens eine Stunde dauern wird.

Der Energieaustausch und Energiefluß kann dabei durch eine Atemübung verstärkt werden, bei der immer der eine ausatmet, während der andere einatmet und umgekehrt:

MannFraueinatmen und sich dabei vorstellen, durch das Geschlechtsorgan die Energie des anderen aufzunehmen und den Rücken empor zum Scheitel zu führen, während man dabei den Unterkörper etwas zurückziehtausatmen und sich dabei vorstellen, die Energie an der Vorderseite des Körpers hinab und durch das Geschlechtsorgan in den Körper des anderen strömen zu lassen, während man dabei den Unterkörper etwas vorschiebtausatmen und sich dabei vorstellen, die Energie an der Vorderseite des Körpers hinab und durch das Geschlechtsorgan in den Körper des anderen strömen zu lassen, während man dabei den Unterkörper etwas vorschiebteinatmen und sich dabei vorstellen, durch das Gechlechtsorgan die Energie des anderen aufzunehmen und den Rücken empor zum Scheitel zu führen, während man dabei den Unterkörper etwas zurückzieht

6. Dank an Nut und an Geb.

7. Dank an das Ankh bzw. die vier Horussöhne oder die vier Schutzgöttinnen.

8. Das Ritual ausklingen lassen; Schweigen.

9. Öffnen des Kreises.

- - -

Das Urmeer Nun ist die Versenkung, während die Vereinigung von Nut und Geb die Ekstase ist; diese beiden sind die Gegensätze, die beiden Extreme menschlicher Erfahrung, die beiden Sprünge ins Ungewisse, ins Jenseits, in den Ursprung - in die Quelle der Schöpfung.

Heka: Kontemplation

Die Kontemplation ist die einfachste Methode, um angelesenes Wissen zu vertiefen. Man könnte sie mit der schönen Redewendung "über etwas brüten" umschreiben, wobei es dabei aber wichtig ist, daß dies nicht verbissen, sondern in einer entspannten Grundhaltung geschehen sollte. Dies kann sowohl bei der Fahrt zur Arbeit in der Straßenbahn als auch etwas komfortabler im Urlaub abends auf der Terrasse mit Blick aufs Meer bei einem Glas kühlem Traubensaft geschehen.

Der technische Vorgang besteht darin, daß man sich ein Thema wählt und dann schaut, was einem alles zu diesem Thema einfällt und alle Ideen und Erinnerungen zu diesem Thema miteinander verbindet. Im Gegensatz zu dem sonst üblichen Denken, daß entweder locker von einem Thema zum nächsten hüpft, oder das diszipliniert einen Faden verfolgt, um zu einem konkreten Ergebnis zu kommen, verläuft das Denken hier in vielen Schlaufen, die immer wieder zum Ursprungsthema zurückkehren. Dadurch werden wie von selber aus den Gedanken und abstrakten Konzepten zunehmend bildhafte, lebendigere Vorstellungen, die sich mit dem eigenen Leben verweben. Die Vorstellungen zu dem ausgewählten Thema erhalten dadurch eine zunehmende Tiefe.

Man verfolgt bei einer Kontemplation alle Fäden, die von dem betreffenden Thema fortführen und kehrt immer wieder zu dem Ausgangspunkt zurück und verfolgt dann eine andere Assoziationskette. Dabei wird man auch viele Querverbindungen zwischen diesen einzelnen Fäden entdecken, sodaß schließlich ein Geflecht, ein Netz aus Bildern, Begriffen, Konzepten, Erinnerungen, Gedanken, Zusammenhängen und ähnlichem entsteht, die gewissermaßen die Aura oder den Körper des betrachteten Themas darstellen, das selber wiederum das „Herz“ dieses Geflechts aus Bildern und Begriffen ist.

Bevor man eine Kontemplation beendet, ist es sinnvoll, die gefundenen Themen, Qualitäten und Zusammenhänge zu ordnen, den zentralen Begriff oder das zentrale Bild zu suchen und dann alle übrigen Bilder und Begriffe wie in einem Mandala um den zentralen Begriff herum anzuordnen, sodaß das Ganze schließlich ein organisches Gebilde wird, in dem man von dem Zentrum aus quasi von selber zu allen seinen Aspekten gelangt. Dieses zentrale Bild bzw. diesen Begriff kann man dann später als Mantra, also als ständig wiederholtes Wort in der Meditation benutzen.

Um sich die Konzentration auf das Thema zu erleichtern und nicht in ganz andere Bereiche abzuschweifen, ist es hilfreich, den Beginn und das Ende der Kontemplation durch eine passende symbolische Handlung zu kennzeichnen wie z.B. durch das Entzünden und Löschen einer Kerze. Um sich leichter auf das ausgewählte Thema ausrichten zu können, kann man vorher einen auf das ausgewählte Thema beziehenden Text zu Beginn der Kontemplation laut vorlesen - es hilft wirklich. Dazu eigenen sich u.a. auch die den einzelnen Abschnitten in diesem Buch beigefügten Anrufungen.

Es kann auch eine gute Unterstützung sein, sich das Wort dessen, worüber man kontempliert, auf einen Zettel zu schreiben und vor sich hinzulegen oder ein Bild oder eine Statue dieses Themas vor sich hinzustellen. Manchmal kann es auch hilfreich sein, wenn man die einzelnen Bilder, Gedanken und Assoziationsketten, die man bei der Kontemplation entdeckt, kurz auf einem großen Zettel notiert, bevor man den nächsten Faden verfolgt, da man so leichter die Übersicht behalten kann – aber das ist eine Stilfrage.

Die meisten therapeutischen Gespräche sind, technisch gesehen, Kontemplationen, wobei der Therapeut die Aufgabe hat, die Aufmerksamkeit des Patienten zu stützen und ab und zu Anregungen zu geben, in welche Richtung der Patient einmal blicken könnte. Solche Gespräche gibt es auch häufig zwischen guten Freunden.

In dem Zusammenhang dieses Buches ist es naheliegend, die einzelnen Gottheiten und die mythologischen Bilder wie die Geburt Atums aus der Nilflut oder die Geburt des Re durch Nut als Thema für solche Kontemplationen zu wählen.

I B Die Erschaffung der Welt

Es gibt in der ägyptischen Mythologie wenigstens sieben verschiedene Grundtypen von Schöpfungsmythen, die sich auf verschiedene Art miteinander verwoben haben. Wenn man versucht, sie nach ihrer Urtümlichkeit bzw. vom Konkreten/Einfachen hin zum Abstrakten/ Entwickelten hin zu ordnen, ergibt sich nachstehende Reihenfolge:

1.Der Urhügel: Am Anfang der Zeit tauchte die Erde als Hügel aus dem Nun empor. Er wurde in Heliopolis (On) als Atum, der Urgott der Götterneunheit dieses Ortes verehrt und hieß "der hohe Sand in On". Atum galt somit als Schöpfer, Allvater und Erster der Götter.

Es gab aber mehrere Orte, die für sich beanspruchten, daß der Urhügel in ihrem Tempelbezirk läge und die betreffende Stadt somit die älteste (und wichtigste) sei.

a) On: der Urgott Atum als Schöpfer;

b) Hermopolis: Flammeninsel, der Ibisgott Thot als Schöpfer;

c) Hermonthis (Theben): der Falkengott Month, später der Luft- und Sonnengott Amun-Re als Schöpfer;

d) Esne: der Widdergott Chnum als Schöpfer

e) Memphis: der Erdgott Tatenen, der dem Handwerkergott Ptah gleichgesetzt wurde, als Schöpfergott; hier wurde der Grabhügel des Osiris als Urhügel angesehen;

f) Karnak: der Luft- und Sonnengott Amun als Schöpfer;

h) Philae (Inseltempel): wie Abydos.

Da der Urhügel in der Mitte der Welt liegt und die Verbindung zwischen Himmel und Erde, Göttern und Menschen ist, steht zumindest symbolisch jeder Tempel auf diesem Urhügel - was entsprechend dem Wesen der ägyptischen Anschauungen, die in mythologischer Hinsicht auf dem "sowohl als auch" und nicht auf dem "entweder - oder" beruhen, kein Widerspruch ist. Wenn in jedem der Tempel die Götter anwesend sind, ist jeder Tempel auch eine Verbindung zu den Göttern und folglich steht er auf dem Urhügel ...

Nach ägyptischer Auffassung sind die Beziehungen von Sonnenaufgang, Jahresanfang, Geburt und morgendlichem Erwachen nicht nur Analogien, sondern eine Wiederholung des ersten Sonnenaufganges, also gewissermaßen identisch mit ihm. In einer Art "magischer Zeit" erlebten die Ägypter bei jedem Sonnenaufgang, jedem Jahresanfang und jeder Geburt die Welterschaffung aufs Neue. Die Zeit läuft sozusagen nicht nur linear von einem Ereignis zum nächsten, sondern sie macht "Kreise", in denen sie zyklisch zu vergangenen Ereignissen zurückkehrt und eins mit ihnen wird.

Entsprechend gilt dies auch für den Ort, sodaß es für die Ägypter durchaus kein Widerspruch ist, daß es mehrere Urgötter und Urhügel gibt: die betreffenden Orte, Zeiten und Gottheiten sind ihrem Wesen nach miteinander identisch.

In Hermopolis wurde die Vorstellung des Urhügels und des Sonnenaufganges zu der Flammeninsel verbunden, die sich aus dem Nun erhebt und von der aus die Sonne aufsteigt. Diese "Insel des Aufflammens" ist die Morgenröte. Auf ihr kämpft Re gegen die Unterweltsschlange Apophis. Durch die Gleichsetzung des Toten mit Re wird sie auch zum Ort der Auferstehung.

3. Das Ei: Das Ei als Symbol der Schöpfung und des Ursprungs wurde mit dem Urhügel verbunden, auf dem dann Schilf wuchs und in dessen Mitte das Ur-Ei in einem Nest lag. Aus ihm stieg der Horus-Falke als Himmelsgott und Sonne (Re-Harachte) empor. Der Schöpfergott ist hier nicht mehr die Schöpfung und der Urhügel selber wie Atum, sondern als Herrscher und Himmelsgott und als erstgeborenes Wesen nur ein Teil von der Schöpfung: das Ei auf der Insel. An die Stelle des Falken tritt oft der Phönix, eine Reiherart, wobei dann allerdings das Bild des Eies in der Regel fehlt und die Insel oft die Flammeninsel ist: der Phönix steigt in den Flammen des Morgenrots wiedergeboren nach dem nächtlichen Tod in der Unterwelt in den Himmel empor.

4. Der Lotus: Der Lotus, der aus der Tiefe des Nun emporsteigt und sich öffnet, entspricht dem Urhügel. Auf der geöffneten Blüte sitzt Nefertem, das Sonnenkind. Das Bild hat also die gleiche Struktur wie der Mythos von Heliopolis: der Sonnengott Re auf dem Urhügel.

5. Die Hand: Der Gott der Handwerker, Ptah, schuf die Welt auf einer Töpferscheibe. Aus dieser Gegenüberstellung von Schöpfer und Schöpfung darf man allerdings nicht schließen, daß Ptah außerhalb der Schöpfung steht; er ist genauso ein Teil der Welt wie alle anderen Götter auch. Das Bild scheint jünger zu sein als das des Urhügels.

So wie Ptah die Welt formte, so erschafft auch der Widdergott Chnum jedes Lebewesen auf seiner Töpferscheibe. Wie bei der täglichen Neuerschaffung der Welt zur Zeit des Sonnenaufganges spielt auch hier die "magische Zeit" eine Rolle: die Schöpfung geschieht hier und jetzt - jedes Kind und jedes Tier wird von ihm zusammen mit einer Göttin (die Geburtsgöttin Heket, die Löwengöttin Tefnut oder die Göttermutter Neith) vor seiner Geburt im Leib seiner Mutter geformt. Die Bedeutung des Widdergottes Chnum als Schöpfergott liegt in seiner Zeugungskraft begründet.

6. Das Wort: Das abstrakteste Konzept läßt sich bei Thot, in der älteren Ptah-Mythe (die der Töpfersymbolik vorausging) und seltener auch bei Amun finden: die Erschaffung der Welt durch das Wort. Auch hier wird die Gottheit nicht als von ihr isoliert, sondern als Teil von ihr gedacht. Am schöpferischen Wort sind drei Dinge beteiligt: der Entschluß und der kreative Wille im Herzen (Sia), das Wort selber auf der Zunge bzw. in der Kehle (Hu) und schließlich die magische Kraft (Hike), die alle drei auch als Götter personifiziert worden sind.

7. Der Luftgott Schu: Die Luft/Schu trennt Himmel/Nut und Erde/Geb. Diese Mythe wird in einem der folgenden Kapitel ausführlich dargestellt.

I B 1. Atum, Skarabäus und Phönix

Später trat an die Stelle des Onanierens die Vereinigung mit der Göttin Jusas, die als eine Form der Hathor galt und den Kultnamen "Gotteshand" (des onanierenden Atum) und "Herrin der Vulven" trug. Vermutlich kam hier die ursprüngliche Mythe wieder zum Durchbruch, in der eine Göttin, die das Urmeer bzw. den Himmelsozean darstellte, die Sonne und die Götter gebar (Nut oder Hathor) und in der Atum vielleicht nur der erste der von der Göttin geborenen Götter oder eine Personifizierung des fruchtbaren Landes oder des Urhügels war.

Zusammen mit dem Skarabäus-Sonnen-Urgott Chepre (auch Kephera geschrieben) wurde er mit dem Urhügel identifiziert. Der Käfergott wurde aber schon früh nur noch als eine Erscheinungsform des Atum aufgefaßt. Größere Bedeutung erlangte er als das das Herz schützende Amulett, das bei keiner Bestattung fehlen durfte, da das Herz als der Sitz der Seele angesehen wurde.