Hellmuth von Mücke - der Mann der "Emden" - Uwe Schulte-Varendorff - E-Book

Hellmuth von Mücke - der Mann der "Emden" E-Book

Uwe Schulte-Varendorff

2,2

Beschreibung

Hellmuth von Mückes Bekanntheitsgrad erfuhr in jüngster Zeit einen neuen, wenn auch überschaubaren Höhepunkt durch die Verfilmung "Die Männer der Emden". Weltweite Berühmtheit hatte er bereits zu Beginn des Ersten Weltkrieges erlangt. Anlass dafür war sein Kommando über einen Landungstrupp des Kreuzers "Emden", mit dem er sich auf abenteuerlichen Wegen quer über den Indischen Ozean und durch die Arabische Halbinsel bis nach Konstantinopel durchschlug. Dieser Kriegsruhm ist aber nur ein Teil der Lebensgeschichte von Hellmuth von Mücke. Die 1920er Jahre sahen ihn zunächst als überzeugten Nationalsozialisten bevor er sich zum Gegner Adolf Hitlers wandelte. Das brachte ihm während der NS-Herrschaft Drangsalierungen ein, sein Ruhm verhinderte jedoch das Allerschlimmste. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges trat von Mücke als konsequenter Gegner der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland auf. Dies ist in Kurzform die überlieferte Version seiner nachmilitärischen Karriere. Die vorliegende Untersuchung versucht hingegen seine wirkliche Rolle sowie seine wahren Überzeugungen und Tätigkeiten in diesen Epochen zu ergründen. Als Ergebnis entsteht das Bild eines Mannes mit einer vielschichtigen Persönlichkeit ohne die bisherige Verklärung.

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Für meine geliebte Mutter

Johanna Schulte-Varendorff geb. Wittwer

1928-2015

Inhalt

Vorwort

Der Marineoffizier – eine steile Karriere

Die „Emden“ – ein Mythos

Der Landungszug – die Geburt eines Kriegshelden

Die Kriegszeit - ein Idol auf dem Abstellgleis

Der Neubeginn – eine Karriere als Nationalsozialist

Die Wandlung – in Gegnerschaft zu Adolf Hitler

Das „Dritte Reich“ – ein Verfemter des NS-Regimes

Die Nachkriegszeit – der Kampf um Anerkennung

Die letzten Jahre – ein überzeugter Pazifist?

Das Fazit – ein Leben voller Widersprüche

Anhang

Abkürzungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweis

Personenregister

Ortsregister

Dank

Zum Autor

Vorwort

Diese Untersuchung befasst sich mit Hellmuth von Mücke, einem Mann, der es zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Seeoffizier der Kaiserlichen Marine des Deutschen Reiches zu großer Bekanntheit, ja sogar zu weltweiter Berühmtheit brachte. Dieser Bekanntheits-grad erfuhr in jüngster Zeit einen neuen, wenn auch überschaubaren Höhepunkt durch den Kinofilm und TV-Zweiteiler „Die Männer der Emden“.

Dieser Ruhm gründete sich zu einem geringeren Teil auf seine Dienststellung als Erster Offizier des deutschen Kleinen Kreuzers S. M. S. „Emden“, der mit seinem Kreuzerkrieg in den ersten Monaten des Ersten Weltkrieges für großes Aufsehen sorgte und die britische Handelsschifffahrt sowie die Versorgungsrouten der Streitkräfte des britischen Empire im Indischen Ozean bedrohte. Vor allem aber war es sein Kommando über einen Landungstrupp der „Emden“, der zunächst Direction Island - zugehörig zu den Keeling Islands (Kokos-Inseln), einer kleinen Inselgruppe im Indischen Ozean - besetzte und die dortige britische Funkstation zerstörte. Nach der zwischenzeitlichen Versenkung der „Emden“ durch den australischen leichten Kreuzer H. M. A. S. „Sydney“ war dem Landungskommando der Rückzug abgeschnitten. In einer abenteuerlichen Reise schlug sich Hellmuth von Mücke mit seinen Männern von den Keeling Islands (heute ein Teil Australiens) über die Hafenstadt Padang an der Westküste Sumatras im neutralen Niederländisch-Indien (heute Indonesien) quer über den Indischen Ozean bis zur Südspitze der Arabischen Halbinsel durch. Anschließend durchzogen sie unter lebensgefährlichen Umständen einen großen Teil der arabischen Wüste bis sie in den gesicherten Hoheitsbereich des mit dem Deutschen Reich verbündeten Osmani-schen Reiches gelangten. Diese herausragende Leistung erfuhr ihre Honorierung in zahlreichen Empfängen und Ehrungen, in denen von Mücke und seine Soldaten zu Helden verklärt wurden.

Der angesprochene Kriegsruhm ist aber nur ein Teil der fast unglaublichen Lebensgeschichte von Hellmuth von Mücke. Diese führte ihn in zahlreichen nur schwer nachzuvollziehenden Wendungen über die Weimarer Republik und das „Dritte Reich“ bis in die Anfangsjahre der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Teil seines Lebens stellt den für den Historiker wissenschaftlich weitaus interessanteren Abschnitt dar.

Hellmuth von Mücke habe sich nach dem für das Deutsche Reich verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Ausscheiden aus der Marine in einer Phase der beruflichen und persönlichen Neuorientierung befunden. Daher habe er aus einer idealistischen Haltung heraus einen Jugendbund gegründet und sei aus dem gleichen Grund der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) beigetreten, um an der Neugestaltung der deutschen Gesellschaft mitzuwirken. Nachdem er aber den verbrecherischen Charakter Adolf Hitlers und seiner Politik erkannt habe, habe er sich vom Nationalsozialismus gelöst und sei zum entschiedenen Hitlergegner und aktiven Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime geworden. Seine eigenen Kriegserfahrungen, der Soldatentod eines seiner Söhne im Rahmen des Zweiten Weltkrieges als Angehöriger der Deutschen Wehrmacht sowie die Tatsache, dass auch dieser Weltenbrand von Deutschland ausgegangen ist, hätten von Mücke dann darüber hinaus zum überzeugten Kriegsgegner und Antimilitaristen gemacht. Dies habe schließlich sogar dazu geführt, dass er in der Frühphase der Bundesrepublik Deutschland als wahrer Pazifist und scharfer Gegner der Wiederbewaffnung aufgetreten sei. Dies ist die überlieferte und weit verbreitete Version seiner nachmilitärischen Karriere, wobei der nationalsozialistische Aspekt in Kurzbiographien oder biographischen Abhandlungen auch gerne mal vollständig unterschlagen oder zumindest nur auf seine Gegnerschaft reduziert wurde und immer noch wird.

Um aber seine wirkliche Rolle sowie seine wahren Überzeugungen und Tätigkeiten in diesen Epochen zu ergründen, muss die Lebensgeschichte Hellmuth von Mückes einer wesentlich eingehenderen Betrachtung unterzogen werden. Auf diesem Weg muss dabei folgenden Fragen nachgegangen werden: War er wirklich nur ein idealistischer Mitläufer der nationalsozialistischen Bewegung? Oder war er nicht doch ein Nationalsozialist aus innerer Überzeugung? Wodurch entstand seine Gegnerschaft zu Hitler und der NSDAP? Wie sah ab 1933 seine ihm zugesprochene Widerstandstätigkeit gegen das NS-Regime aus? War der von ihm nach außen offensiv vertretene Pazifismus in der Bundesrepublik Deutschland seine grundehrliche Überzeugung? Oder führten hierbei andere Beweggründe sein Handeln? Nur die Beantwortung dieser Fragen ermöglicht es, von Mücke als Person der Geschichte in angemessenem Rahmen einzuordnen.

Auch wenn diese Punkte den Hauptteil der vorliegenden Untersuchung einnehmen, so bleibt der übrige Lebensweg des Protagonisten doch bei weitem nicht außer Acht, denn schließlich liegt hierin der Ausgangspunkt für seinen späteren Werdegang. So wird umfassend seine militärische Karriere vor dem Ersten Weltkrieg skizziert. Einen weiteren Schwerpunkt bildet selbstverständlich seine militärische Leistung während der Ersten Weltkrieges, die seinen Ruhm begründete.

Für die Verfolgung seiner Spuren und die Klärung der aufgeworfenen Fragen wurde umfangreiches Aktenmaterial ausgewertet. Als Quellen dienten die einschlägigen Bestände zur Kaiserlichen Marine im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg sowie zur Geschichte der NSDAP im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, welches sich auch für die Verquickung der frühen westdeutschen Friedensbewegung mit Regierungsorganen der Deutschen Demokratischen Republik als grundlegend erwies. Darüber hinaus ließen sich zu Hellmuth von Mückes nationalsozialistischer Karriere kleinere, aber aussagekräftige Bestände des Deutschen Historischen Museums in Berlin, des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte in München, des Staatsarchivs München, des Sächsischen Staatsarchivs in Dresden, des Staatsarchivs Hamburg, des Staatsarchivs Bremen und des Staatsarchivs Osnabrück auswerten. Für seine Rolle in der pazifistischen Bewegung waren auch Archivalien im Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig, im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in München sowie im Bundesarchiv Koblenz von Relevanz. Zudem waren das Landesarchiv Schleswig-Holstein sowie das Kreisarchiv Stormarn in Bad Oldesloe grundlegend für Fragen der Entschädigung von Mückes als NS-Opfer. Umfangreiches Material zu dem von Hellmuth von Mücke gegründeten Jugendbund konnte im Landeshauptarchiv Koblenz, in der Abteilung Rheinland des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen in Duisburg und im Mecklenburgischen Landeshauptarchiv Schwerin ausgewertet werden. Auch im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin ließen sich Überlieferungen von ihm finden. Streuakten konnten im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, im Kreisarchiv Nordfriesland, in der Stadt-und Landesbibliothek Dortmund, in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel sowie in zahlreichen anderen Archiven nachgewiesen werden. Darüber hinaus sind selbstverständlich von Mü-ckes eigene Veröffentlichungen, Kriegserinnerungen von ehemaligen Besatzungsmitgliedern der „Emden“ und des Landungskommandos, Einschätzungen von Zeitgenossen sowie die einschlägige Forschungsliteratur zu den unterschiedlichen Themenkomplexen herangezogen worden. Zudem wurden umfassend zeitgenössische Tageszeitungen der unterschiedlichsten politischen Couleur, besonders unter den Gesichtspunkten seines Austritts aus der NSDAP und seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, ausgewertet und exemplarisch in die Untersuchung einbezogen.

Eine tiefergehende Zusammenarbeit mit dem Sohn meines Protagonisten, Björn von Mücke, scheiterte letztendlich an völlig konträren historischen Auffassungen sowie der Gestaltung und Ausrichtung der vorliegenden Arbeit. Bereits zur Verfügung gestellte Dokumente konnten durch entsprechende Funde in den Archiven ersetzt werden. Persönliche Auskünfte und Einschätzungen von Björn von Mücke, die ohnehin nur mit der gebotenen Vorsicht verwendet worden waren, wurden vollständig entfernt.

Bei der Auswahl des Bildmaterials wurde Wert darauf gelegt, möglichst viele Aufnahmen zu verwenden, die noch nie, nur selten oder nur in zeitgenössischen Publikationen veröffentlicht wurden.

Osnabrück, April 2016

Uwe Schulte-Varendorff

Der Marineoffizier – eine steile Karriere

Kurt Hellmuth von Mücke kam am 25. Juni 1881 in Zwickau als Spross eines sächsischen Adelsgeschlechtes zur Welt, das seinen Stammsitz in Niederrennersdorf bei Herrnhut in der Lausitz hatte. Ein Vorfahr, Christian Siegfried Mücke, war für seine Verdienste als kurfürstlich-sächsischer und königlich-polnischer Leutnant der Artillerie vom letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Franz II., am 8. April 1806 in den Reichsadelsstand erhoben worden. Hellmuth von Mückes Vater, Curt Alexander von Mücke (1851-1886), diente als Berufsoffizier in der sächsischen Armee und erreichte bis zu seinem Tod den Rang eines Hauptmannes. Die Mutter, Luise Alberti (1854-1940), entstammte einer alteingesessenen Bremer Kaufmannsfamilie. Für den weiteren Verlauf des Lebens von Hellmuth von Mücke mit ausschlaggebend war aber mit Sicherheit, dass die männlichen Vorfahren der väterlichen Linie in ihrer überwiegenden Mehrheit als Offiziere oder Staatsbeamte in Diensten der sächsischen Könige tätig waren. Wie für die damalige Zeit üblich, war Hellmuth kein Einzelkind und hatte einen gut ein Jahr älteren Bruder, Kurt Heinrich Alexander Karl (1880-1959) sowie einen knapp zwei Jahre jüngeren Bruder, Friedrich Siegfried Kurt Alexander (1883-1951).1

Zunächst erhielt Hellmuth von Mücke Unterricht in einer Privatschule, bevor er 1888 auf die VII. Bürgerschule in Dresden wechselte. Ab 1891 besuchte er dann das Vitzthumsche Gymnasium in der sächsischen Metropole. Seine schulischen Leistungen waren nach seiner eigenen Aussage sehr durchwachsen. Seine Veranlagung sah er eher auf technischen Gebieten als in einer humanistischen Richtung. Herausragend waren nur seine Leistungen im Sport, besonders im Turnen, worin er eine „1“ auf den Zeugnissen erhielt. Dagegen räumte er freimütig ein, dass seine Noten für Betragen und Fleiß von Beginn an nicht gut waren und im Verlauf seines Schullebens immer schlechter wurden.2 Der frühe Tod des Vaters, der am 24. Dezember 1886 an den Spätfolgen einer im deutschfranzösischen Krieg von 1870/71 erlittenen Verwundung starb, tat hierzu sicherlich sein Übriges. Viele Jahre später bekannte Hellmuth von Mücke in einem Gespräch mit dem Astronomen Hans Hermann Kritzinger, dass das Ableben seines Vaters ein einschneidendes Erlebnis seiner Kindheit gewesen sei. Der große Verlust, der verständlicherweise bei einem kleinen Jungen seine Nachwirkungen hinterließ, wirkte sich ebenfalls schwerwiegend auf die häusliche Situation im Zusammenleben der Familie aus. Es gab häufig Streit mit seinen Brüdern und er selbst wurde wegen eines Straßenkampfes mit anderen Jugendlichen, bei dem er einen selbstgebastelten Sprengkörper warf, von der Gendarmerie gefasst. Darüber hinaus litt er in seiner Jugendzeit bis zu seinem 15. Geburtstag an einer Flechte, die er sich durch eine Impfung seines Hautarztes mit unreiner Lymphe zugezogen hatte. Deren äußeres Erscheinungsbild belastete ihn im Umgang mit Gleichaltrigen zusätzlich.3 Die Gesamtsituation war mit großer Wahrscheinlichkeit auch für die Mutter nicht einfach zu bewältigen. Zudem hatte sie am 5. Juni 1890 ein zweites Mal geheiratet. Der neue Ehemann war Hans Maximilian von Mücke (1852-1917), seines Zeichens Finanzrat bei der Generaldirektion der Sächsischen Staatseisenbahn, und ein Bruder des verstorbenen ersten Gatten. Das neue Familienoberhaupt war also Stiefvater und Onkel in einer Person. Es ist leicht vorstellbar, dass auch diese neue Konstellation vermutlich zu Problemen innerhalb der Familie geführt hat. Um dieser nur schwer erträglichen Situation zu entkommen, verließ, oder anders formuliert, flüchtete Hellmuth von Mücke noch kurz vor dem Abitur aus dem Elternhaus. Um möglichst weit wegzukommen, und vermutlich auch aus einer Abenteuerlust heraus, entschied er sich, in die Kaiserliche Marine einzutreten. Zu diesem Zweck meldete er sich 1898 in der Vorbereitungsanstalt für angehende Seekadetten in Kiel an, wo er dann auch aufgenommen wurde. Um aber Karriere als Marineoffizier machen zu können, war es unumgänglich, das Abitur nachzuweisen. Daher sah sich von Mücke gezwungen, noch einmal für ein halbes Jahr nach Dresden zurückzukehren, um den Schulabschluss nachzuholen. Da er nun ein erstrebenswertes Ziel vor Augen hatte, brachte er auch die nötige Energie und den erforderlichen Fleiß auf. Mit dem bestandenen Abitur in der Tasche stand nun einer Karriere bei der stark expandierenden Kaiserlichen Marine nichts mehr im Wege.4

Hellmuth von Mücke hatte, wie alle anderen Offiziersanwärter auch, für die Aufnahme als Seekadett in die Kaiserliche Marine genau festgelegte Bedingungen zu erfüllen, die strikten Regularien folgten. Eine Kadettenannahmekommission trat am 1. Oktober jeden Jahres zusammen und erst von diesem Datum an durften die Anmeldungen für den Eintritt als Seekadett in die Marine abgegeben werden. Die Pflicht der Kommissionsmitglieder bestand darin, sich genauestens über die Familie des Aspiranten zu informieren und sich zum Beispiel über dessen finanzielle Verhältnisse und seine politischen Ansichten Klarheit zu verschaffen. Erst wenn diese Erkundigungen zur vollen Zufriedenheit der Kommission ausgefallen waren, erhielt der Kandidat die Order, zum nächsten 1. April in Kiel vorstellig zu werden, um ein Eintrittsexamen abzulegen. Bevorzugt wurden aber besonders Anwärter, die aus bekannten und hohen Adelsfamilien abstammten sowie Söhne von verdienten Seeoffizieren. Im Examen, das sich über eine Woche hinzog, waren Prüfungen in den unterschiedlichsten Gebieten abzulegen, beispielsweise in den Fächern Deutsch und Physik. Allerdings traten die wissenschaftlichen Kenntnisse deutlich in den Hintergrund. Stattdessen wurde mehr Wert auf die körperlichen Eigenschaften, die sehr gut sein mussten, gelegt. Diese Auslese führte dazu, dass nur etwa die Hälfte der Aspiranten angenommen wurde.5 Hellmuth von Mücke bestand alle Anforderungen und gehörte somit zu dem auserwählten Kreis, der am 7. April 1900 im neuen Kadettenjahrgang seinen Dienst in der Kaiserlichen Marine begann.6 Die Kadetten waren in ihrer Ausbildung einem harten militärischen Drill unterworfen, der auch von zahlreichen Schikanen geprägt war. Diese Methoden sollten der Abhärtung der zukünftigen Seeoffiziere dienen und sie zu absolutem Gehorsam erziehen. Auf Schulschiffen erlernten die Kadetten die Grundlagen des Seemannsberufes. Dadurch sollten sie umfassende praktische Erfahrungen in allen Bereichen sammeln, um später als Offiziere die Arbeit und die Leistungen der Besatzungsangehörigen angemessen beurteilen zu können.7 Hellmuth von Mücke wurde nach seiner Aufnahme auf die als Schulschiff eingesetzte Kreuzerfregatte S. M. S. „Charlotte“ kommandiert, mit der er nach Ausbildungsfahrten in die Ostsee und nach Norwegen, im Herbst/Winter 1900/1901 eine längere Auslandsreise in das Mittelmeer unternahm.

Abb. 1: Die Kreuzerfregatte S. M. S. „Charlotte“, auf der Hellmuth von Mücke in den Jahren 1900/1901 seine Ausbildung als Seekadett erhielt.

Diese Reise begann am 18. September 1900 in Kiel und führte über Portsmouth, Mogador, Casablanca, Tanger, Palermo und Alexandria nach Korfu. Dort erreichte die „Charlotte“ am 17. Dezember der Befehl, umgehend nach Malaga zu fahren, um sich dort an den Bergungsarbeiten an dem dort am 16. Dezember nach einem Unglücksfall untergegangenen Schulschiffes S. M. S. „Gneisenau“ zu beteiligen. In der Zeit vom 22. Dezember bis 12. Januar 1901 wurden von der Besatzung die letzten Leichen geborgen, an Land beerdigt sowie geheime Unterlagen und Wertgegenstände gehoben. Anschließend übernahm das Schiff die Überführung des deutschen Gesandten für Marokko von Mogador nach Tanger. Nachdem diese Aufgabe erfüllt war, setzte die „Charlotte“ ihre ursprüngliche Reiseroute über Neapel, Livorno, Cadiz und Vigo fort und erreichte am 9. März 1901 über Portsmouth wieder ihren Heimathafen Kiel.8 Am 19. April 1901 wurde Hellmuth von Mücke nach zehn Monaten Gesamtseedienstzeit zum Fähnrich zur See befördert und zum Besuch der Marineschule in Kiel abkommandiert, um sich dort in marinetechnischer Hinsicht wissenschaftlich weiterzubilden. Dazu gehörten spezielle Kurse in den unterschiedlichsten Waffengattungen. Für von Mücke lag der Schwerpunkt in der Ausbildung im Umgang mit der Torpedowaffe. Nach der Absolvierung der Zusatzqualifikation erhielt er sein erstes wirkliches Bordkommando auf dem Linienschiff S. M. S. „Kaiser Friedrich III.“, dem Flaggschiff des I. Geschwaders, mit dem er Flottendienst in der Ostsee und Ausbildungsfahrten unternahm.9 Seine Beurteilungen und die Ergebnisse der Seeoffiziersprüfung fielen insgesamt mit „gut“ bis „sehr gut“ überdurchschnittlich aus, was darauf schließen lässt, dass ihn seine Vorgesetzten als Offizier für sehr geeignet hielten. Nach altem Brauch mussten jedoch vor dem Eintritt in das Offizierskorps der Marine ausgewählte Marineoffiziere in einer Abstimmung darüber entscheiden, ob der zukünftige Leutnant z. S. auch würdig genug sei, in den elitären Kreis aufgenommen zu werden. Diese Zeremonie brachte für Hellmuth von Mücke das erhoffte Ergebnis. Damit stand einer Beförderung nichts mehr im Wege, so dass er am 27. September 1903 zum Leutnant z. S. ernannt wurde.10 Der neue Dienstgrad brachte ihm umgehend eine neue Position ein, denn am 1. Oktober des Jahres trat er den Posten als Wachoffizier auf dem Kleinen Kreuzer S. M. S. „Nymphe“ an. Besonders aufregend war der Dienst auf der „Nymphe“ in der ersten Zeit nicht. Der Kleine Kreuzer fungierte zunächst nur als Wachschiff im Kieler Hafen. Noch eintöniger wurde der Dienst ab dem 15. Dezember 1903, denn ab diesem Tag ging das Schiff für etwa drei Monate zur Generalüberholung in die Kieler Germania-Werft. Die Besatzung wurde während der Werftliegezeit auf ein unbedingt nötiges Minimum reduziert. Der frisch ernannte Leutnant musste hingegen an Bord bleiben und seinen Dienst weiter verrichten. Nach der Wiederindienststellung pendelte S. M. S. „Nymphe“ zwischen einer etwa 14tägigen Fahrt über das Kattegatt in den norwegischen Hafen Arendal, Wachschiff im Kieler Hafen und einem erneuten Werftaufenthalt. Ende April/Anfang Mai 1904 wurde dem Kleinen Kreuzer und seiner Besatzung eine besondere Ehre zuteil. Die „Nymphe“ hatte den Prinzen und späteren König Ludwig von Bayern in Bremerhaven abzuholen, zu einem Kurzbesuch auf die deutsche Hochseeinsel und den Flottenstützpunkt Helgoland zu bringen und ihn dann in Hamburg wieder an Land zu setzen. Anschließend setzte in Kiel wieder der Routinedienst zwischen Wachschiff und Werft ein. Erst im Sommer 1904 wurden einige kurze Ausfahrten in das Ostseegebiet durchgeführt.11 Während seiner Dienstzeit in Kiel trat Leutnant z. S. von Mücke auch dem elitären Kaiserlichen Yacht-Club bei, dem er bis zu dessen Ende angehörte. Damit entsprach er den Erwartungen, die von den höchsten militärischen Stellen, nicht nur der Marine, an Angehörige des Offizierskorps gestellt wurden. Es wurde streng darauf geachtet, dass die Offiziere nur Umgang mit gesellschaftlich ebenbürtigen Personen pflegen sollten. Für den Club soll er auch Preise bei Segelregatten gewonnen haben, wobei es sich allerdings nicht um größere oder prestigeträchtige Wettbewerbe gehandelt haben kann, denn in diesen Siegerlisten taucht der Name von Mücke nicht auf.12

Abb. 2: Der Kleine Kreuzer S. M. S. „Nymphe“, auf dem Leutnant z. S. von Mücke in den Jahren von 1903 bis 1905 in seiner ersten Dienststellung als Seeoffizier als Wachoffizier tätig war.

In seinen bisherigen Dienststellungen muss Hellmuth von Mücke seine Tätigkeiten zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erfüllt haben, so dass er mit Patent vom 14. Juli 1905 zum Oberleutnant z. S. ernannt wurde. Damit verbunden war eine Versetzung zur I. Torpedodivision, die ebenfalls in Kiel stationiert war. Hier konnte er seine Qualifikation als Fachmann im Torpedowesen, die er sich in Kursen auf der Marineschule erworben hatte, endlich praktisch anwenden. Da es sich um eine Schulabteilung handelte, konnte er sein Wissen nun auch weitergeben. In der I. Abteilung fungierte von Mücke als Kompanieoffizier und damit als Stellvertreter des Abteilungskommandeurs, den er unter anderem in Verwaltungsangelegenheiten und bürokratischen Dingen zu entlasten hatte. Zugleich übte er die Funktion als Wachoffizier auf dem Torpedoboot „S 114“ aus. Zwischenzeitlich übernahm er die Position als Erster Offizier auf dem Divisionsboot „D 8“. Nach diesem praktischen Dienst sollte er aber auch im Stabsdient Erfahrung und Kenntnisse sammeln. Aus diesem Grund übernahm er von September 1907 bis September 1908 den Posten als Flaggleutnant im Stab des Befehlshabers der Aufklärungsstreitkräfte, Konteradmiral August von Heeringen, für den er somit als Adjutant tätig war. Dies brachte ihm eine insgesamt sehr gute Beurteilung ein.13 Der Stab hatte sich auf dem Großen Kreuzer (Panzerkreuzer) S. M. S. „Scharnhorst“ eingeschifft. Mit diesem Schiff unternahm von Mücke mehrere Ausfahrten in Nord- und Ostsee. Eine längere Auslandsreise führte die „Scharnhorst“ in der Zeit vom 14. Juli bis zum 14. August 1908 von Kiel über den englischen Kanal und den Golf von Biscaya nach Funchal und wieder zurück nach Kiel.14 Anschließend kehrte der Oberleutnant z. S. für drei Jahre zur I. Torpedodivision zurück, wo er seine Funktion als Kompanieoffizier wieder einnahm. Zeitgleich übte er die Tätigkeit als Flaggleutnant der I. Schulflottille aus. Die bisher von ihm erbrachten Leistungen wurden im Jahre 1909 mit der Verleihung des Königlich-Preußischen Kronenordens IV. Klasse honoriert und führten mit Patent vom 20. April 1910 schließlich zur Beförderung zum Kapitänleutnant.15Aus dieser Zeit stammt eine weitere ordentliche Beurteilung, die allerdings auch einige kritische Zwischentöne aufwies: „Hat Stellung als Flaggleutnant des Flottillenkommandos ausgefüllt. Strafe: Aug.[ust] [19]10. Strenger Verweis, weil er im Jähzorn die einem älteren Offizier schuldige Achtung versagt hat. v. Restorff. Im Allgemeinen einverstanden. Hat als Referent der I. T. [Inspektion des Torpedowesens] ganz zufriedenstellendes geleistet, es aber an der nötigen Gleichmäßigkeit und der Stetigkeit seines Fleißes fehlen lassen. Lans.“16 In dieser Einschätzung zeigte sich bereits ein Wesenszug Hellmuth von Mückes, der im weiteren Verlauf seiner militärischen Karriere und seines Lebens noch deutlicher zu Tage treten und einen nicht unbeträchtlichen Einfluss darauf nehmen sollte. Mit der in der militärischen Hierarchie eingeforderten Demut vor Vorgesetzten und höheren Dienststellen hatte er seine Schwierigkeiten. Er war ein Mensch, der nicht zu allem „Ja und Amen“ sagte, der seine eigenen Ansichten offensiv vertrat und dabei auch keine Rücksichten auf die Empfindlichkeiten von militärischen oder anderen Führern nahm. Darüber wird an einigen anderen Stellen noch in aller Ausführlichkeit eingegangen werden.

Nichtsdestotrotz erhielt Hellmuth von Mücke als Kommandant des Torpedobootes „S 149“, des Flottillenführerbootes, sein erstes eigenes Schiffskommando, das er neben seinen Aufgaben als Kompanieoffizier und Flaggleutnant der I. Schulflottille noch zusätzlich zu bewältigen hatte. Somit war er mit Funktionen und Tätigkeiten so eingedeckt, dass sicherlich neben dem Dienst nicht mehr viel Raum für Freizeit und Erholung blieb. Seine mittlerweile langjährigen Erfahrungen im Umgang mit der Torpedowaffe prädestinierten von Mücke für einen Posten als Referenten in der Inspektion des Torpedowesens, den er vom September 1911 bis September 1912 unter Konteradmiral Wilhelm von Lans ausfüllte. Hierzu sagte eine Beurteilung: „Admiralitätsstellung mangels Praxis auf großen Schiffen und wegen nicht völliger Gesundheit noch nicht ausgestellt. Wird sich später vielleicht zum Admiralitätsoffizier eignen. Als Torpedobootsreferent gut beurteilt.“17 Von Mücke hatte sich im Laufe des Jahres 1910 eine schwere Sehnenverletzung zugezogen. Wie sich dies ereignete ist nicht überliefert, aber sicher ist, dass er eine Zeitlang nur eingeschränkt dienstfähig war.18 Um das angesprochene Defizit in der Admiralstabsausbildung zu beheben, wurde er am 6. Oktober 1912 als Admiralstabsoffizier in den Stab des III. Befehlshabers der Aufklärungsschiffe versetzt. Diese Dienststelle war unmittelbar zuvor neu eingerichtet worden und wurde von Kapitän z. S., ab dem 18. November 1912 Konteradmiral, Felix Funke geleitet, der sich auf dem Schlachtkreuzer S. M. S. „von der Tann“ eingeschifft hatte.19 Das Schiff pendelte während der Dienstzeit von Mückes an Bord bis zum April 1913 ständig zwischen Kiel und Wilhelmshaven. Dieser routinemäßige Flottendienst wurde nur von Werftaufenthalten unterbrochen.20

Abb. 3: Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke, um 1915.

In Frühjahr entschied sich Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke, seiner militärischen Laufbahn eine neue Richtung zu geben. Noch während seiner Dienstzeit als Admiralstabsoffizier bewarb er sich beziehungsweise äußerte er den Wunsch nach einer Auslandsverwendung. Vermutlich lag der Hauptgrund für diesen Schritt in dem eintönigen Routinedienst in den engen Seegebieten der Nord- und Ostsee, dem er entfliehen wollte. Große Auslandsreisen waren eher selten, dagegen lockten bei den deutschen Marineverbänden in Übersee und den Kolonien ein abwechslungsreicher Dienst und ein exotisches Einsatzgebiet. In Aussicht standen zudem schnellere Beförderungen, die durch Beförderungsgutschriften, beispielsweise bei Kampfeinsätzen im Zuge von Aufständen in den deutschen Kolonialgebieten, errungen werden konnten. So hatten zum Beispiel die Kleinen Kreuzer S. M. S. „Cormoran“, S. M. S. „Emden“ und S. M. S. „Nürnberg“ Anfang des Jahres 1911 entscheidend dazu beigetragen, den Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft auf der Karolinen-Insel Ponapé niederzuschlagen.21 Dem Ansinnen von Mückes wurde von Seiten des Admiralstabes entsprochen. Da er sich jedoch die rechte Hand gebrochen hatte, war er zunächst wiederum nicht voll dienstfähig. Zudem war nicht sofort ein entsprechender Posten zu besetzen, so dass er in der Zwischenzeit zunächst der II. Marine-Inspektion in Wilhelmshaven zur Verfügung gestellt und daran anschließend am gleichen Standort vorübergehend als Torpedobootskommandant in der II. Torpedodivision eingesetzt wurde. Schließlich war es aber soweit und der Kapitänleutnant erhielt seinen Marschbefehl nach Tsingtau (heute Qing-dao), um im September 1913 seinen Dienst als Navigationsoffizier auf dem dort stationierten Kleinen Kreuzer S. M. S. „Emden“ anzutreten.22 Damit war er zuständig für die richtige Navigierung, das heißt, die richtige Führung des Schiffes und hatte auch in einem Gefecht die Manöver des Kreuzers zu leiten. Sein neues Kommando konnte von Mücke jedoch erst am 15. Oktober 1913 antreten, da die „Emden“ erst an diesem Tag von einem Einsatz in China wieder in Tsingtau einlief.23 Die ersten Wochen vergingen mit militärischen Übungen und Fahrten im Verband des Ostasiatischen Kreuzergeschwaders unter der Führung von Admiral Maximilian Graf von Spee. Am 11. November trat die „Emden“ als Begleitung des Flaggschiffes des Geschwaders, dem Panzerkreuzer S. M. S. „Scharnhorst“, zu einer ausgedehnten Reise nach Japan an, in der mehrere Häfen angelaufen wurden. Nach Beendigung des Japanbesuches schloss sich bis zum 28. Dezember die Aufgabe als Stationsschiff in Schanghai (Shanghai) an. In der Folgezeit führten Ausfahrten den Kleinen Kreuzer mit von Mücke an Bord zu Beginn des Jahres 1914 unter anderem nach Amoy (heute Xiamen), Hongkong und Futschow (heute Fuzhow). Im Februar 1914 verlegte die „Emden“ wieder nach Tsingtau, um bis etwa Mitte März zur Generalüberholung in die dortige Werft zu gehen, woran sich Manöverfahrten in das Chinesische Meer anschlossen. Am 12. März erfüllte sich für Hellmuth von Mücke der Wunsch nach einer schnelleren Karriere in der Kaiserlichen Marine, denn an diesem Tag wurde er zum Ersten Offizier des Kleinen Kreuzers S. M. S. „Emden“ ernannt.24 Damit war er nicht nur der Stellvertreter des Kommandanten, Fregattenkapitän Karl von Müller, sondern er leitete von nun an den inneren Dienst an Bord, war für die soldatische Ordnung und Disziplin zuständig und regelte die Arbeitsabläufe auf dem Schiff. Nach einem Kurzaufenthalt in Schanghai führte der Kurs der „Emden“ im April/Mai 1914 erneut nach Japan. Daran anschließend folgten von Tsingtau aus Übungen im Geschwaderverband unter anderem mit den Panzerkreuzern S. M. S. „Scharnhorst“ und S. M. S. „Gneisenau“. Im Juni 1914 trafen die routinemäßigen Ablösungen für Teile der Besatzungen aus Deutschland in dem deutschen Flottenstützpunkt ein. Die neuen Crewmitglieder mussten in der Folgezeit auf ihren Gefechtsstationen einexerziert werden, um so schnell wie möglich die volle Einsatzbereitschaft des Kreuzers herzustellen. Als am 20. Juni das Kreuzergeschwader unter von Spee Tsingtau in Richtung der deutschen Südseebesitzungen verließ, war die „Emden“ der einzige verbliebene Kreuzer und damit das kampfstärkste deutsche Schiff in dieser Region. Infolgedessen erhielt Fregattenkapitän Karl von Müller die Stellung als „Ältester Offizier“ der ostasiatischen Station übertragen und war damit von diesem Zeitpunkt an der Befehlshaber der Marinestreitkräfte im Stützpunkt. Im Anschluss an die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gattin Sophie in Sarajewo (Sarajevo) am 28. Juni 1914 erreichten auch den Stützpunkt Tsingtau Nachrichten aus Europa, die immer beunruhigender besagten, dass sich die politische Lage weiter verschärfte. Aus diesem Grund wurden von der Admiralität in Berlin auch für Tsingtau Maßnahmen angeordnet, um auf einen drohenden Kriegsausbruch vorbereitet zu sein. Daher wurde unter anderem das ursprünglich vorgesehene Auslaufen der „Emden“ nach Schanghai abgesagt. Vorsorglich wies der Admiralstab darauf hin, dass auch Großbritannien zu den möglichen Gegnern des Deutschen Reiches zählen könnte. Da die Meldungen über die Kriegsgefahr immer konkreter wurden, entschloss sich Karl von Müller mit der „Emden“ bereits am 31. Juli in See zu gehen, um in Tsingtau nicht möglicherweise von überlegenen gegnerischen Seestreitkräften eingeschlossen zu werden. Dies war der Auftakt zu einer Kriegsunternehmung, die international für große Schlagzeiten sorgte und in Deutschland zu einem Mythos avancierte.

1 Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 17: Genealogisches Handbuch der adligen Häuser, Adelige Häuser B, Bd. III, Limburg an der Lahn 1958, S. 332-338. Der Vater war im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 in der Schlacht bei Sedan als Fähnrich schwer verwundet worden und hatte für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz und die Goldene St. Heinrichsmedaille erhalten. Siehe dazu: BAB, R 9361-V/8432, Mücke, Friedrich von, Lebenslauf des Friedrich von Mücke, Anwärter zur Mitgliedschaft bei der Reichsschrifttumskammer, o. Pag.; Sachsen in großer Zeit. Gemeinverständliche sächsische Kriegsgeschichte und vaterländisches Gedenkwerk des Weltkrieges, hg. vom Vorstand des Königlich Sächsischen Kriegsarchivs Oberst z. D. Hottenroth, Bd. 1, Leipzig 1918, S. 126. Ein Bruder des Vaters, Karl Holm von Mücke, brachte es zum Beispiel während des Ersten Weltkrieges im Bezirkskommando Plauen bis zum Oberstleutnant. Zu ihm und weiteren Verwandten siehe: Ehren-Rangliste des ehemaligen Deutschen Heeres, hg. vom Deutschen Offizier-Bund, Neudruck der Ausgabe Berlin 1926, 2 Bde., Osnabrück 1987, S. 428, 439, 892, 913, 1032, 1297.

2 BAB, R 9361-V/8432, Mücke, Hellmuth von, Lebenslauf des Volks- und Zeitgenossen Hellmuth v. Mücke wahrhaftsgetreu und unter Beachtung des § 7 der Satzung für die Reichsschrifttumskammer erzählt von ihm selbst, o. Pag.

3 Kritzinger, Hans Hermann: Der Pulsschlag der Welt. Schicksalstage des Menschen und Schicksalsjahre der Menschheit, Kempten 1924, S. 8f.

4 BAB, R 9361-V/8432, Mücke, Hellmuth von, Lebenslauf des Volks- und Zeitgenossen Hellmuth v. Mücke wahrhaftsgetreu und unter Beachtung des § 7 der Satzung für die Reichsschrifttumskammer erzählt von ihm selbst, o. Pag.

5 Persius, Lothar: Menschen und Schiffe in der Kaiserlichen Flotte, Berlin 1925, S. 12-15. Zum Offizierskorps der Kaiserlichen Marine siehe zum Beispiel: Herwig, Holger H.: Das Elitekorps des Kaisers. Die Marineoffiziere im Wilhelminischen Deutschland, Hamburg 1977; Scheerer, Thomas: Die Marineoffiziere der kaiserlichen Marine – Sozialisation und Konflikte, Hamburg 1993.

6 Rang- und Quartierliste der Kaiserlich Deutschen Marine für das Jahr 1901, nach dem Stande vom 8. Mai 1901, Berlin 1901, S. 110.

7 Persius, Menschen, S. 26.

8 BA-MA, RM 3/3171, Bl. 29ff, Reiseplan der S. M. S. „Charlotte“ für die Auslandsreise 1900/1901 vom 27. September 1900.

9 Rang- und Quartierliste der Kaiserlich Deutschen Marine für das Jahr 1902, nach dem Stande vom 1. Mai 1902, Berlin 1902, S. 117; Nachtrag zu ebd., nach dem Stande vom 21. Oktober 1902, Berlin 1902, S. 22 und S. 111; BA-MA, RM 2/533, Bl. 448, Auflistung der Fähnriche zur See.

10 BA-MA, RM 2/533, Bl. 98, Ergebnis der Seeoffiziersprüfung. In seiner weiteren militärischen Karriere war Hellmuth von Mücke mehrfach selbst in den Wahlgremien vertreten. Siehe beispielsweise: BA-MA, RM 2/533, Bl. 57-60[R], Anlagen zur Vorschlagsliste der Kaiserlichen Inspektion des Bildungswesens der Marine zum 20. September 1904 betreffend Beförderung der Fähnriche zur See des Jahrgangs 1901 zu Leutnants zur See; BA-MA, RM 2/535, Bl. 217-218, Wahlliste der Marine-Ingenieur-Oberaspiranten zu Marine-Ingenieuren der Marinestation Ostsee vom 11. Oktober 1911.

11 BA-MA, RM 92/449-451, Logbücher Sr. Majestät Kleiner Kreuzer Nymphe für die Zeit vom 29. Oktober 1903 bis zum 4. August 1904; BA-MA, RM 31/1242, Bl. 10ff, Anweisungen zu Reparaturarbeiten für den Kleinen Kreuzer S. M. S. „Nymphe“ auf der Germania-Werft in Kiel; Nagel, Alfred G.: „Nymphe“. Ein Erinnerungsbuch aus sechs Jahrzehnten deutschen Kriegsschiffslebens, Kiel 1926, S. 56.

12 Jahrbuch des Kaiserlichen Yacht-Clubs für das einunddreißigste Clubjahr, Berlin 1918, S. 58 (Mitgliedschaft) und Siegerlisten; Roehle, Reinhard: Emden – Ayesha. Heldenfahrten und Abenteuer deutscher Seeleute im Weltkrieg, nach Berichten von Teilnehmern erzählt, Leipzig/Stuttgart/Berlin 1915, S. 63 (Preise); Wienholdt, A.: S. M. S. „Ayesha“, in: Der Krieg 1914/15 in Wort und Bild, Heft 19, Berlin u. a. 1915, S. 152 (Preise); Persius, Menschen, S. 37f (Umgang). Mitglied im Kaiserlichen Yacht-Club war ebenfalls Manfred von Killinger, der in den 1920er Jahren zu einem Intimfeind Hellmuth von Mückes werden sollte. Siehe Jahrbuch, S. 51. Hellmuth von Mücke gab später selbst an, dass er Preise im Tennis und im Rudern gewonnen habe, ohne diese aber näher zu benennen. Siehe: LASH, 352.3/12703, Bl. 1-23, Schreiben von Hellmuth von Mücke an die Verwaltung des Kreises Stormarn, Kreisdirektor, vom 16. Oktober 1949.

13 BA-MA, RM 2/836, Bl. 71, Beurteilungsbogen zu Hellmuth von Mücke.

14 BA-MA, RM 92/1038-1040, Logbücher Sr. Majestät S. Scharnhorst für die Zeit vom 27. Januar 1908 bis 9. November 1908.

15 BA-MA, MSG 225/8, Mücke, Hellmuth von; Rangliste der Kaiserlich Deutschen Marine für das Jahr 1906, nach dem Stande vom 5. Mai 1906, Berlin 1906, S. 50 und S. 117; Nachtrag zu ebd., nach dem Stande vom 27. Oktober 1906, Berlin 1906, S. 49 und S. 117; Rangliste (Dienstaltersliste) der Kaiserlich Deutschen Marine für das Jahr 1916, nach dem Stande vom 1. Mai 1916, Berlin 1916, S. 27.

16 BA-MA, RM 2/837, Bl. 44, Beurteilungsbogen zu Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke.

17 Ebd. (Zitat); BA-MA, SG 225/8, Mücke, Hellmuth von (Kommando).

18 Kritzinger, Pulsschlag, S. 9.

19 BA-MA, MSG 225/8, Mücke, Hellmuth von; Hildebrand, Hans H.; Röhr, Albert; Steinmetz, Hans-Otto: Die deutschen Kriegsschiffe. Biographien – ein Spiegel der Marinegeschichte von 1815 bis zur Gegenwart, Bd. 2, Herford 1980, S. 40.

20 BA-MA, RM 92/1837-1839, Logbücher Sr. Majestät S. von der Tann für die Zeit vom 28. September 1912 bis 30. Juni 1913.

21 Siehe dazu zum Beispiel: Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee. Der Aufstand auf Ponape gegen die deutschen Kolonialherren 1910/11, Berlin 2010.

22 Kritzinger, Pulsschlag, S. 9 (Handbruch); BA-MA, MSG 225/8, Mücke, Hellmuth von.

23 Zum Folgenden, wenn nicht anders angegeben: BA-MA, RM 3/3407; BA-MA, RM 5/6127.

24 BA-MA, MSG 225/8, Mücke, Hellmuth von.

Die „Emden“ – ein Mythos

Im Stützpunkt Tsingtau traf in der Nacht vom 30. zum 31. Juli 1914 das schon fast erwartete Telegramm des Admiralstabes mit der Nachricht ein, dass Kriegshandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien ausgebrochen waren und es zu politischen Spannungen des Deutschen Reiches mit Großbritannien, Frankreich und Russland gekommen sei.25 Diese Meldung war es letztendlich, die den endgültigen Ausschlag für die Entscheidung Karl von Müllers gab, mit dem Kleinen Kreuzer S. M. S. „Emden“ (3.600 t) in See zu gehen. Er begab sich mit dem Schiff auf eine Warteposition abseits der bekannten Wasserstraßen, um dort die weitere Entwicklung der Ereignisse in Europa in aller Ruhe abzuwarten. Zugleich wurde das Schiff endgültig in Kriegsbereitschaft versetzt, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. In den nächsten Tagen wurden die Befürchtungen des Admiralstabes Gewissheit, dass nicht nur Russland und Frankreich, sondern auch Großbritannien Kriegsgegner sein würden. Der Kommandant hatte sich schon nach dem Erhalt der Nachricht über den Kriegszustand mit dem Zarenreich entschlossen, gegen den Handelsweg Nagasaki - Wladiwostok vorzugehen, um dort russische Handelsschiffe aufzubringen und dadurch feindliche Seestreitkräfte in dieser Region zu binden. Am Morgen des 4. August wurde der russische Dampfer „Rjäsan“ (3.522 BRT) gesichtet und mit mehreren Schüssen vor den Bug zum Stoppen gezwungen. Ein Prisenkommando unter Oberleutnant z. S. d. R. Julius Lauterbach ging an Bord und übernahm das Kommando, um der „Emden“ zur weiteren Verwendung zu folgen. Bei den Passagieren, die sich auf der „Rjäsan“ befanden, handelte es sich nach Ansicht von Hellmuth von Mücke im Übrigen größtenteils um „dicke, russische Jüdinnen.“26 Nachdem noch am gleichen Tag ein überlegenes französisches Geschwader ausgemacht wurde, ohne allerdings glücklicherweise selbst entdeckt zu werden, ließ von Müller den Rückmarsch nach Tsingtau antreten, wo die „Emden“ samt Prise am 6. August wieder eintraf.27 In aller Eile wurde die „Emden“ mit Kohlen und Proviant aufgefüllt, um den Stützpunkt möglichst schnell wieder verlassen zu können. Diese Arbeiten waren „unter der tatkräftigen und sachkundigen Leitung des I. Offiziers, Kapitänleutnant v. Mücke, bis zum Abend beendet“, wie der Kommandant anerkennende vermerkte.28

Abb. 4: Der Kleine Kreuzer S. M. S. „Emden“, der „Schwan des Ostens“, ein Mythos der deutschen Marinegeschichte, um 1914.

Anschließend verließ der Kleine Kreuzer mit seinem zugeteilten Versorgungsschiff „Markomannia“ (4.505 BRT) und dem Hilfskreuzer S. M. S. „Prinz Eitel Friedrich“ (8.797 BRT) den Hafen von Tsingtau. Korvettenkapitän von Müller hatte vom Kommodore des ostasiatischen Kreuzergeschwaders, Admiral von Spee, den Befehl erhalten, zu der dem deutschen Kolonialreich zugehörigen Marianen-Insel Pagan (heute dem Commonwealth der Nördlichen Marianen angehörend) zu gehen. Dort sollte er sich mit dem deutschen Marineverband treffen. Auf dem Marsch dorthin wurden in den folgenden Tagen mehrere japanische Schiffe gesichtet, aber nicht weiter behelligt, da sich das Deutsche Reich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Kriegszustand mit dem Kaiserreich befand. Am 12. August erreichte die „Emden“ die Insel Pagan, wo das Kreuzergeschwader bereits vor Anker lag. Während einer auf dem Flaggschiff S. M. S. „Scharnhorst“ (11.616 t) anberaumten Kommandantensitzung aller versammelten Schiffe machte Karl von Müller den Vorschlag, mit der „Emden“ in den Indischen Ozean entsandt zu werden, um dort die gegnerische Handelsschifffahrt zu stören und alliierte Seestreitkräfte hier zu binden. Diesem Ansinnen gab von Spee nach, so dass von Müller am 14. August den Befehl erhielt, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Von Spee selbst nahm mit seinem Geschwader Kurs auf die Ostküste Südamerikas, um dort den gegnerischen Schiffsverkehr zu bedrohen und Kriegsschiffe der Entente von anderen Schauplätzen abzuziehen beziehungsweise fernzuhalten.29 Der „Emden“ war vom Geschwaderkommodore nur die „Markomannia“ als Versorger, insbesondere mit Kohlen, beigegeben worden. Das erste Ziel des Kreuzers musste sein, das zukünftige Operationsgebiet unbemerkt zu erreichen, um dort möglichst überraschend zuschlagen zu können. Zu diesem Zweck steuerte die „Emden“ zunächst die Palau-Inselgruppe (heute ein eigenständiger Staat) an, die zum deutschen Südseeimperium gehörte, wo am 19. August Kohlen vor der Insel Angaur gebunkert wurden. Noch am gleichen Tag nahm der Kleine Kreuzer wieder Anker auf und nahm Kurs auf die Molukken-Straße. Auf dem Weg dorthin wurden mehrere Handelsschiffe gesichtet, die jedoch nicht angehalten wurden, da es sich um neutrale beziehungsweise japanische Dampfer handelte. Unter keinen Umständen sollte die Anwesenheit des deutschen Kriegsschiffes in diesem Seegebiet verraten werden. An der Insel Timor (Niederländisch-Indien; heute unterteilt in das indonesische Westtimor und den unabhängigen Staat Osttimor) vorbei lief die „Emden“ in die Flores-See ein. Dort traf am 26. August mit dreitägiger Verspätung die Nachricht von der Kriegserklärung Japans an das Deutsche Reich ein. Daher musste nunmehr zwar einerseits mit einem weiteren Gegner gerechnet werden, andererseits durften aber auch von nun an japanische Handelsschiffe aufgebracht werden. Am darauffolgenden Tag war es dann allerdings mit der strikten Geheimhaltung vorbei, denn als die „Emden“ vor der Insel Tana Djam-pea (Tiger-Inseln) ankerte, die zum Kolonialgebiet Niederländisch-Indien (heute Indonesien) gehörte, wurde sie von dem niederländischen Linienschiff „Tromp“ (5.300 t) entdeckt. Karl von Müller wurden vom Kommandanten Kapitän z. S. Wilhelm Umbgrove in einer Besprechung an Bord der „Tromp“ die niederländischen Neutralitätsbestimmungen erläutert. Diese beinhalteten, dass in einem Hafen ein Aufenthalt von 24 Stunden und eine einmalige Kohlenübernahme innerhalb von drei Monaten gestattet seien. Daraufhin gingen der Kleine Kreuzer und sein Versorger wieder in See und nahmen Kurs auf die Lombok-Straße. Um in der vielbefahrenen Seestraße nicht erkannt zu werden, schlug der I. Offizier, Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke vor, zu Tarnungszwecken mit einer Attrappe einen vierten Schornstein vorzutäuschen. Dadurch wurde die Silhouette der „Emden“ so verändert, dass sie dem britischen Leichten Kreuzer „Yarmouth“ (5.250 t) ähnelte. Dieser Vorschlag wurde mit Einverständnis des Kommandanten umgehend in die Tat umgesetzt. Dieses Täuschungsmanöver wurde in der Folgezeit noch mehrfach verwendet. Nach dem Durchfahren der Lombok-Straße hatte die „Emden“ am 28. August 1914 ihr Einsatzgebiet, den Indischen Ozean, erreicht. Am 4. September liefen die deutschen Schiffe den Langini-Hafen auf der Insel Simaloer (heute Indonesien zugehörig) an, die zum niederländischen Kolonialreich gehörte. Noch während der Kohlenübernahme am nächsten Tag erschien eine Pinasse mit einem niederländischen Beamten an Bord, der als Vertreter der niederländischen Regierung verlangte, dass die „Emden“ sobald wie möglich auszulaufen habe. Von Müller sagte dies zu, nicht zuletzt, um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden.

Nachdem man nun im Operationsgebiet angekommen war, hatte Karl von Müller das zweite Ziel umzusetzen, nämlich Handelskrieg im Indischen Ozean zu führen. Diesen Auftrag interpretierte der Kommandant nicht nur dahingehend, dem gegnerischen Handel möglichst viel Schaden zuzufügen, sondern auch dergestalt, eine möglichst weitgehende Beunruhigung unter der indischen Bevölkerung und eine Erschütterung des britischen Prestiges auf dem indischen Subkontinent zu erzielen. Daher beschloss von Müller, zunächst einen Vorstoß in den Golf von Bengalen zu unternehmen, da dort mit einem regen Handelsverkehr gerechnet wurde. Zudem glaubte er, dass die dortige Bevölkerung als besonders geneigt zu Unruhen und Aufständen gegen die britische Herrschaft einzuschätzen sei. Ein sofortiger Erfolg im Handelskrieg stellte sich aber nicht ein, denn auf den zunächst angesteuerten Dampferwegen Colombo (Sri Lanka) – Sabang (Niederländisch-Indien; heute Indonesien zugehörig) beziehungsweise Negapatam (heute Nagapattinam; Südindien) – Sabang wurde keine Beute gesichtet. Dies änderte sich jedoch ab dem 9. September, als die „Emden“ die Route Kalkutta (heute Kolkata) -Colombo entlangkreuzte. Am Abend des gleichen Tages brachte die „Emden“ den griechischen Dampfer „Pontoporos“ (4.049 BRT) auf. Das Schiff lief zwar unter neutraler Flagge, - Griechenland war zu diesem Zeitpunkt noch keiner der kriegführenden Staaten - hatte aber sogenannte Konterbande beziehungsweise Bannware geladen. Dies bedeutete, dass die Ladung für eine der gegnerischen Mächte bestimmt war. Daher wäre eine Versenkung nach den Bestimmungen des internationalen Seekriegsrechtes legitim gewesen. Korvettenkapitän von Müller entschied sich hingegen anders, da die „Pontoporos“ 6.600 t Kohle mit sich führte, die der Kleine Kreuzer dringend gebrauchen konnte. Aus diesem Grund entschloss er sich, den Dampfer als Versorger mitzuführen. Der griechische Kapitän erklärte sich sogar bereit, von nun an unter deutscher Charter zu fahren. Allerdings übernahm aus Sicherheitsgründen ein Prisenkommando unter Oberleutnant z. S. d. R. Lauterbach das Kommando an Bord. An diesem Beispiel zeigte sich das Hauptproblem, mit dem die „Emden“ von Beginn ihrer Kriegsunternehmung zu kämpfen hatte, nämlich die Versorgung mit Kohlen. Ohne diese wäre das Schiff innerhalb kürzester Zeit zur Untätigkeit verdammt gewesen. Die „Emden“ hatte nicht wie die alliierten Seestreitkräfte die Möglichkeit, eigene Stützpunkte anzulaufen, um ihre Vorräte aufzufüllen. Das deutsche Pachtgebiet Kiautschou (heute Jiaozhou) mit seinem Flottenstützpunkt Tsingtau war seit Anfang September 1914 von japanischen Marine- und Landstreitkräften, unterstützt von einem kleinen Kontingent britischer Truppen, unter Verletzung der chinesischen Neutralität sowohl von der Land- als auch von der Seeseite eingeschlossen worden. Nach anfänglichem erfolgreichem Widerstand musste die Besatzung unter Kapitän z. S. Alfred Meyer-Waldeck schließlich am 7. November 1914 kapitulieren. Noch früher waren von japanischen, australischen und neuseeländischen Streitkräften die möglichen Nachschubbasen in den deutschen Südseebesitzungen Deutsch-Neuguinea (heute ein Teil von Papua-Neuguinea) und auf den Marshall-, Karolinen- und Marianen-Inseln sowie Samoa ausgeschaltet oder besetzt worden.30 Daher war die „Emden“ gezwungen, ihre Bestände durch die Kaperung gegnerischer Frachter zu ergänzen.

Bereits am 10. September wurde mit dem britischen Frachtschiff „Indus“ (3.393 BRT) das nächste Opfer aufgebracht und vor der Versenkung Proviant und Material übernommen. Diese Arbeiten standen unter der Aufsicht von Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke in seiner Eigenschaft als I. Offizier. Dieser stellte über die Verteilung des von gekaperten Dampfern übernommenen Proviants auf die Mannschafts- und Offiziersmessen jedes Mal einen Plan auf, der dem Kommandanten zur Genehmigung vorgelegt werden musste. Am 11. September 1914 war der britische Dampfer „Lovat“ (6.102 BRT) die nächste Beute. Deren Besatzung wurde, ebenso wie die der „Indus“ einen Tag zuvor, auf die „Markoman-nia“ übernommen und das Schiff versenkt. Am Abend des folgenden Tages wurde der britische Frachter „Kabinga“ (4.657 BRT) angehalten. Da dessen Ladung für Nordamerika bestimmt war, verzichtete von Müller auf die Versenkung, um mögliche Schadensersatzansprüche der Vereinigten Staaten von Amerika auszuschließen. Stattdessen ließ er die „Kabinga“ mit einem Prisenkommando besetzen, da er beabsichtigte, das Schiff für die Aufnahme von Besatzungen gekaperter Dampfer zu verwenden. Die Erfolgsserie des Kleinen Kreuzers setzte sich auch am 13. September fort. In kurzer Folge waren es die britischen Handelsschiffe „Killin“ (3.544 BRT) und „Diplomat“ (7.615 BRT), die versenkt werden konnten. Die Besatzungen wurden auf die „Kabinga“ eingeschifft. Während dieser Tätigkeiten kam ein weiteres Schiff in Sicht, das sich als der italienische Frachter „Loredano“ (4.076 BRT) entpuppte. In der Rückschau meinte Hellmuth von Mücke in despektierlicher Art und Weise feststellen zu müssen, dass sich die „Loredano“ auch ohne das Setzen der Flagge „durch den allerorts starrenden Schmutz schon von weitem als Italiener kenntlich“ gemacht habe.31 Da Italien sich zu diesem Zeitpunkt noch neutral verhielt und das Schiff keine Konterbande führte, musste die „Loredano“ wieder entlassen werden. Ein weiterer italienischer Dampfer, die „Dandalo“ (4.977 BRT), wurde aus den gleichen Gründen die Weiterfahrt gewährt. Der Kommandant der „Emden“ musste nunmehr befürchten, dass die Anwesenheit des Kleinen Kreuzers auf der Route Kalkutta - Colombo durch das Ausbleiben der versenkten Schiffe in ihren Zielhäfen und durch die Meldungen entlassener Frachter mittlerweile den britischen Behörden bekannt geworden war. Infolgedessen musste von diesem Zeitraum an mit Gegenmaßnahmen gerechnet werden. Aus diesem Grund entschloss sich von Müller, das Einsatzgebiet auf den Dampferweg Madras (heute Chennai; Südindien) – Kalkutta zu verlagern. Hier war am 14. September der britische Frachtdampfer „Trabboch“ (4.028 BRT) die nächste Beute. Anschließend wurde die „Kabinga“ mit allen Besatzungen der bisher versenkten Schiffe nach Kalkutta entlassen. Nur wenige Stunden später konnte der britische Frachter „Clan Matheson“ (4.775 BRT) versenkt werden. Die Besatzung wurde nun wieder von der „Markomannia“ übernommen. In den folgenden zwei Tagen kamen keine weiteren Opfer in Sicht, so dass die Gelegenheit wahrgenommen wurde, auf hoher See Kohlen aus der „Pontoporos“ zu übernehmen. Auch diese Arbeiten lagen in der Verantwortung des I. Offiziers Hellmuth von Mücke, die er nach Auffassung des Kommandanten sehr gut erledigte. Auf der Suche nach neuer Beute kreuzte die „Emden“ in den nächsten Tagen auf den Handelsrouten Singapur – Kalkutta beziehungsweise Rangun (heute Yangon; Myanmar) -Singapur, aber außer dem ohne Konterbande fahrenden neutralen norwegischen Frachter „Dovre“ (1.181 BRT) wurde kein Schiff gesichtet. Die „Dovre“ nahm gegen die Zahlung eines Entgeltes die Besatzung der „Clan Matheson“ an Bord und setzte anschließend ihren Weg nach Rangun fort.

Abb. 5: Fregattenkapitän Karl von Müller, der letzte Kommandant der „Emden“, um 1914.

Fregattenkapitän Karl von Müller hielt nun die Zeit für gekommen, ein von ihm geplantes spektakuläres Unternehmen in die Tat umzusetzen. Er hatte beschlossen, in Madras die dortigen Öltanks der Burma Oil Company durch Beschuss mit den Schiffsgeschützen zu vernichten. Den anzurichtenden Schaden schätzte von Müller in realistischer Weise als eher gering ein. Sein Hauptaugenmerk für die Beschießung lag daher in einer Demonstration der deutschen Macht, um unter der indischen Bevölkerung Aufregung hervorzurufen, den britischen Handel zu beunruhigen und das britische Prestige in dieser Region zu unterminieren. In der Nacht vom 22. zum 23. September stand die „Emden“ unbemerkt vor dem Hafen von Madras und eröffnete für etwa zehn Minuten das Feuer, wobei 130 Schuss abgegeben wurden. Als Erfolg wurde vermerkt, dass zwei große Öltanks in Brand geschossen werden konnten. In seinen Kriegserinnerungen beschrieb Hellmuth von Mücke den Angriff sehr martialisch so: „Im Scheinwerferlicht sahen wir unser Ziel, die hohen, weißen, rotgeränderten Öltanks. Ein paar Granaten hinein, ein kurzes Hochflammen einer bläulich gelben Stichflamme, ein aus den Schußlöchern herausquellender rot brennender Strahl, eine riesige schwere schwarze Wolke, und gemäß dem alten Sprichwort: ‚Die Abwechslung schafft Vergnügen‘, hatten wir diesmal einige Millionen statt nach unten auf den Grund des Meeres nach oben in die Luft geschickt.“32 Zeitungsberichten zufolge, die in den anschließenden Tagen auf gekaperten Dampfern erbeutet wurden, war von Müllers Intention aufgegangen. Angeblich hatte die Beschießung von Madras auch in anderen Städten eine Panik unter der indischen Bevölkerung und eine Flucht wohlhabender Kaufleute aus den Küstenstädten in das Landesinnere verursacht.

Nachdem sich die „Emden“ abgesetzt hatte, steuerte der Kleine Kreuzer zunächst den Dampferweg Kalkutta – Mauritius an, auf dem am 25. September das britische Handelsschiff „King Lud“ (3.640 BRT) das nächste Opfer wurde. Anschließend ließ von Müller den Handelsweg Colombo -Aden anfahren. Hier konnte die „Emden“ den britischen Frachter „Ty-meric“ (3.314 BRT) als Versenkungserfolg verbuchen. Immer wieder aber musste die „Emden“ neutrale Schiffe ziehen lassen, was die Anwesenheit des deutschen Handelsstörers mehr und mehr bekannt werden ließ. Am 26. September lief die britische „Gryfevale“ (4.437 BRT) der „Emden“ in die Arme und wurde zur Aufnahme von Besatzungen gekaperter Handelsschiffe einbehalten. Einen Tag später machte der Kreuzer einen aus seiner Sicht sehr glücklichen Fang. Es handelte sich um den britischen Dampfer „Buresk“ (4.350 BRT), der mit über 7.000 Tonnen Kohle Ladung für die Versorgung der „Emden“ eminent wichtig war. Mit einem Prisenkommando an Bord hatte die „Buresk“ nun zu folgen. Die Erfolge an diesem Tag hielten sogar noch weiter an. Nacheinander konnten die britischen Frachtschiffe „Ribera“ (3.500 BRT) und „Foyle“ (4.147 BRT) aufgebracht und versenkt werden. Die „Gryfevale“ wurde anschließend mit allen Besatzungen nach Colombo entlassen. Karl von Müller hielt es nun für angezeigt, die „Jagdgründe“ erneut zu wechseln, da das Ausbleiben der gekaperten Schiffe die Aufmerksamkeit der alliierten Seestreitkräfte auf dieses Seegebiet richten würde. Zudem war eine erneute Bekohlung dringend geworden. Hierfür war ein ruhiger und abgelegener Ort von Nöten. Die Wahl des Kommandanten fiel daher auf das unter britischem Protektorat stehende Miladum Madulu Atoll (heute der Republik der Malediven angehörend). Das Versorgungsschiff „Markoman-nia“ wurde anschließend zu einem Treffpunkt mit der „Pontoporos“ detachiert, um von dieser Kohlen zu übernehmen. Bei diesem Manöver wurden die beiden Versorger von britischen Kriegsschiffen entdeckt und gekapert und waren insofern für die „Emden“ nicht mehr verfügbar. Der deutsche Handelsstörer kreuzte Anfang Oktober 1914 zunächst auf den Handelsrouten Australien – Aden, Mauritius – Kalkutta und Mauritius – Colombo, allerdings ohne auch nur ein potentielles Opfer zu sichten. Am 9. Oktober lief die „Emden“ die zum Chagos-Archipel zählende Insel Diego Garcia (heute noch immer Großbritannien zugehörig) an, um erneut Kohlen zu übernehmen und kleinere Reparaturen durchzuführen. Hierbei ereignete sich eine Anekdote, die angesichts der globalen Kampfhandlungen mehr als skurril wirkt. Die Bewohner der Insel, darunter ein Brite als Leiter der dortigen Kokosplantagengesellschaft, hatten noch keine Nachrichten über den Ausbruch des Krieges erhalten. Karl von Müller hielt es für angebracht, den Kriegszustand auch weiterhin zu verheimlichen, um die Position der „Emden“ nicht bekannt werden zu lassen. Die Besatzung wurde mit frischen Lebensmitteln versorgt, Höflichkeitsbesuche abgehalten und selbst der Schiffsboden konnte provisorisch gereinigt werden. Da von Müller die Aufenthaltszeit jedoch möglichst kurz halten wollte, ließ er bereits am folgenden Tag wieder Anker auf machen und die Insel Minikoi ( Minicoy, Indien zugehörig) anlaufen, wo die „Emden“ am 16. Oktober eintraf. Hier fand sie sofort in dem britischen Dampfer „Clan Grant“ (3.948 BRT) ein neues Opfer. Die Besatzung wurde nun von der „Buresk“ aufgenommen. Dieser Tag erwies sich als besonders erfolgreich für das deutsche Kriegsschiff. Die nächste Beute war in Gestalt des britischen Schwimmbaggers „Ponrabbel“ (478 BRT) ein ungewöhnliches Seefahrzeug. Der letzte Fang war der britische Frachter „Benmohr“ (4.806 BRT). Die Erfolgsserie der „Emden“ hielt aber auch in den nächsten Tagen weiterhin an und umfasste die britischen Schiffe „Troilus“ (7.562 BRT), „Saint Egbert“ (5.596 BRT), „Exford“ (4.542 BRT) und „Chilkana“ (5.140 BRT). Die Besatzungen aller gekaperten Schiffe wurden an die „Saint Egbert“ übergeben und diese entlassen. Die „Troilus“ und die „Chilkana“ wurden versenkt, während die „Exford“ mit einem Prisenkommando versehen als Trossschiff weiterverwendet wurde. Nach diesen Erfolgen verlegte von Müller das Operationsfeld in das Seegebiet zwischen den Malediven und Ceylon (heute Sri Lanka). Als Zwischenbilanz konnte der Kommandant der „Emden“ zufrieden feststellen, dass bisher 15 britische Frachtschiffe versenkt, zwei weitere aufgebracht und drei andere zur Rückführung der Besatzungen versenkter Prisen wieder entlassen wurden. Dabei hatte sich Fregattenkapitän Karl von Müller, wie auch weiterhin in der noch folgenden Einsatzzeit, strikt an die international anerkannten Seekriegsrechtsbestimmungen gehalten. Die Besatzungen und Passagiere der aufgebrachten gegnerischen Schiffe waren den Umständen entsprechend anständig behandelt worden. Dies wurde nicht nur in internationalen Presseberichten sondern auch von britischer Seite ausdrücklich gewürdigt.33 Mittlerweile hatte die Kaperfahrt der „Emden“ nach Erkenntnissen von Müllers auch zahlreiche Einheiten der alliierten Seestreitkräfte gebunden, darunter den Panzerkreuzer H. M. S. „Hampshire“ (10.850 t), die Kreuzer H. M. S. „Gloucester“ (4.900 t) und H. M. S. „Yarmouth“ (5.250 t) sowie die Hilfskreuzer H. M. S. „Empress of Russia“ (16.810 BRT) und H. M. S. „Empress of India“ (5.934 BRT). Diese versuchten den deutschen Handelsstörer aufzuspüren und zu vernichten, doch der „Emden“ war es bisher immer wieder gelungen, durch das Netz der Verfolger zu schlüpfen.

Abb. 6: Das Operationsgebiet der „Emden“ von August bis November 1914.

Von Müller setzte nun mit dem Überfall auf den Hafen von Penang der gleichnamigen Insel (britische Kolonie; heute Malaysia zugehörig) ein für die „Emden“ risikoreiches Unternehmen in die Tat um. Die Operation sollte zum spektakulärsten Erfolg des Kleinen Kreuzers und zu einem der aufsehenerregendsten Unternehmungen der Kaiserlichen Marine während des Ersten Weltkrieges überhaupt werden. Der Plan sah vor, überraschend in den Hafen von Penang einzudringen und dort vor Anker liegende gegnerische Kriegs- und Handelsschiffe zu vernichten. Als Nebeneffekt sollte der über Singapur laufende Handelsverkehr verunsichert und das Ansehen Großbritanniens unter der Bevölkerung Indiens, Hinterindiens und Malaysias geschädigt werden. Die für diese Operation nötige Handlungsfreiheit verschaffte sich von Müller, indem er die beiden verbliebenen Versorgungsschiffe „Exford“ und „Buresk“ auf Treffpunkte detachierte. Am frühen Morgen des 28. Oktober 1914 drang die „Emden“ unbemerkt bis in den Hafen von Penang ein. Dort wurde der russische Kleine Kreuzer „Schemtschug“ (3.150 t) ausgemacht, sofort mit der Torpedowaffe attackiert und unter konzentriertes Feuer der Schiffsgeschütze genommen. Der Besatzung gelang es aber nur kurzzeitig das Feuer zu erwidern, wobei die „Emden“ allerdings nicht getroffen werden konnte. Nach einem weiteren Torpedotreffer explodierte die „Schemtschug“ und versank in kürzester Zeit. In seinem Erlebnisbericht, in dem man förmlich die Selbstberauschung am Krieg beziehungsweise an der Vernichtung des Gegners spüren kann, beschrieb Hellmuth von Mücke die Versenkung des russischen Kreuzers folgendermaßen: „Auf 200 Meter Abstand flitzte unser erster Torpedo aus dem Steuerbord-breitseitrohr, und gleichzeitig hagelten unsere Breitseiten in das Vorschiff der Schemtschuk, da hinein, wo die Mannschaft schlief. […] Inzwischen hatte unser aus allernächster Entfernung abgegebenes Artillerie-Schnellfeuer auf Schemtschuk verheerend gewirkt. ‚Emden‘ fuhr auf 400 Meter Abstand von Bord zu Bord mit geringer Fahrt an dem feindlichen Kreuzer vorbei. Die Breitseiten hagelten nur so. Nach wenigen Minuten war das Vorschiff zersiebt. […] Ich habe keinen Mann aus dem Vorschiff des Schemtschuk herauskommen sehen. […] Man sah, wie der Kreuzer in der Mitte auseinanderbrach. Bug und Heck schnitten unter. Dann deckte die Sprengwolke alles zu, und als sie sich nach etwa 10-15 Sekunden gesenkt hatte, war von dem Kreuzer nichts mehr zu sehen außer dem Flaggenknopf seines Mastes.“34 Der Kommandant der „Emden“ entschloss sich nach der Versenkung der „Schemtschug“ den Rückzug anzutreten, weil er den Erfolg nicht aufs Spiel setzen wollte. Er musste damit rechnen, bei einem längeren Verbleiben im Hafen auf herbeigerufene überlegene Gegner zu stoßen und selbst der Vernichtung anheimzufallen. Trotzdem fand von Müller die Zeit, die Besatzung antreten und durch den I. Offizier, Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke, die Vernichtung des russischen Kleinen Kreuzers bekannt geben sowie die Männer drei Hurras auf den Kaiser ausbringen zu lassen. Während des Auslaufens wurde der britische Handelsdampfer „Glenturret“ (4.906 BRT) angehalten, jedoch sofort wieder entlassen, da ein weiteres Schiff gesichtet wurde, das als der französische Torpedobootszerstörer „Mousquet“ (303 t) identifiziert werden konnte. Die „Emden“ eröffnete umgehend das Feuer auf den hoffnungslos unterlegenen Gegner, der zwar das Feuer erwiderte, aber wiederum blieb die „Emden“ von Treffern verschont. Nach kurzem, aber intensivem Beschuss versank die „Mousquet“. Die Überlebenden, unter denen sich zahlreiche Verwundete befanden, wurden geborgen und an Bord versorgt. Im Ablaufen wurde ein weiterer Torpedobootszerstörer gesichtet, der sich in großer Entfernung als Fühlungshalter an den deutschen Kreuzer anhängte, um durch Funksprüche feindliche Seestreitkräfte heranzuführen. Auf Grund einer vorübergehenden Witterungsverschlechterung konnte der Verfolger jedoch abgeschüttelt werden. Nun ließ von Müller die Handelsrouten Singapur – Rangun und Sabang – Colombo ansteuern. Auf letzterer wurde am 30. Oktober 1914 der britische Frachter „Newburn“ (3.554 BRT) angehalten und diesem die französischen Gefangenen der „Mousquet“ übergeben. Anschließend nahm die „Emden“ Kurs auf die Insel Simaloer, die als Treffpunkt mit dem Versorger „Buresk“ verabredet worden war. Am 31. Oktober konnte die Begegnung planmäßig vollzogen und in den folgenden Tagen die zusammengeschmolzenen Vorräte aufgefüllt werden. Daraufhin steuerten die beiden Schiffe über die zu Niederländisch-Indien zählenden Inseln Nord-Pageh und Krakatau (beide Inseln heute Indonesien zugehörig) sowie die Sunda-Straße die im Indischen Ozean gelegenen Kokos-Inseln an, wo ein Treffpunkt mit dem zweiten Versorger „Exford“ ausgemacht worden war. Auf dem Anmarsch konnten keine weiteren Handelsschiffe gesichtet werden. Ohne Zwischenfälle fand am 8. November auf der verabredeten Position das Zusammentreffen mit der „Exford“ statt, die von Oberleutnant z. S. d. R. Lauterbach übernommen und zu einer neuen Wartestellung entlassen wurde.

Fregattenkapitän Karl von Müller hatte sich entschieden, ein Kommandounternehmen gegen die Funk- und Kabelstation auf dem zu den Ko-kos-lnseln (Keeling-Inseln; heute australisches Außengebiet) gehörenden und in britischem Besitz befindlichen Eiland Direction Island zu führen.35 Er glaubte, diesen Militärschlag gefahrlos durchführen zu können, da er keinerlei Anhaltspunkte für den Aufenthalt von gegnerischen Seestreitkräften in diesen Gewässern hatte. Die „Buresk“ wurde auf der bisherigen Position zurückgelassen, um dann auf Anweisung nach Durchführung des Unternehmens dem Kleinen Kreuzer zu folgen. Am Morgen des 9. November ankerte die „Emden“ vor Direction Island. Das Landungskorps unter Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke, bestehend aus den beiden Leutnants z. S. Roderick Schmidt und Eugen Gyssling sowie 47 weiteren Männern, wurde ausgeschifft. Der Auftrag lautete, die Kabel-und Funkstation zu zerstören, die hier zusammenlaufenden Kabel nach Australien, Niederländisch-Indien und Mauritius zu zerschneiden und das gesamte Code- und Depeschenmaterial zu erbeuten. Allerdings war die Annäherung der „Emden“ an Land nicht unbemerkt geblieben und die Station konnte noch vor der Besetzung einen entsprechenden Funkspruch absetzen. Von Müller, der sich nach wie vor in Sicherheit wähnte, beorderte nun die „Buresk“ heran, um Kohlen zu übernehmen. Als dann eine Rauchfahne gesichtet wurde, ordnete man diese zunächst dem Versorger zu, was sich jedoch schnell als Irrtum herausstellte, denn der Hilferuf der britischen Station war nicht ungehört verhallt. Stattdessen war er von einem in der Nähe von Australien nach dem Mittleren Osten vorbeifahrenden Geleitzug aufgenommen und der Kreuzer H. M. A. S. „Sydney“ (5.300 t) entsandt worden, um die Lage zu klären. Dieser war es denn auch, der von der „Emden“ gesichtet worden war. Das Landungskorps wurde unverzüglich aufgefordert, zurück an Bord zu kommen. Dieser Befehl konnte aber in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr umgesetzt werden, da von Müller beschleunigt den Anker lichten ließ, um sich dem überlegenen Gegner entgegenstellen zu können. Um der „Sydney“ zuvorzukommen, eröffnete die „Emden“ das Feuer zuerst und konnte auch nach kurzer Zeit die ersten Treffer anbringen, die jedoch nur leichtere Schäden anrichteten. Trotzdem reichte dies aus, um dem australischen Kreuzer das Einschießen zu erschweren. Nachdem das aber geschehen war, kam das durchschlagskräftigere Kaliber der Schiffsgeschütze der „Sydney“ deutlich zum Tragen. Nach und nach fielen auf dem deutschen Kreuzer die Entfernungsmessgeräte, die Befehlsübermittlung, das Ruder sowie auch die ersten Geschütze aus und die Verluste unter der Besatzung stiegen kontinuierlich an. Die „Sydney“ hielt sich außerhalb der Reichweite der letzten schussfähigen Geschütze der „Emden“, so dass diese praktisch wehrlos war. Nach etwas mehr als einer Stunde Gefechtsdauer war das deutsche Schiff auf Grund von Personal- und Munitionsmangels gezwungen, das Artilleriefeuer einzustellen. Der Kommandant entschloss sich, sein Schiff am späten Vormittag auf ein Riff vor North Keeling Islands zu setzen, um der überlebenden Mannschaft die Rettung zu ermöglichen. Schließlich stellte die „Sydney“ das Feuer ein, um zunächst den herangekommenen Versorger „Buresk“ aufzubringen, denn die „Emden“ war ihr als Opfer sicher. Im Angesicht des Kreuzers leitete das deutsche Prisenkommando die Selbstversenkung ein und ging in die Beiboote.36 Diese wurden von der „Sydney“ in Schlepp genommen, die nun wieder die auf dem Riff aufgelaufene „Emden“ ansteuerte. Da eine Kontaktaufnahme durch Flaggensignale scheiterte und die Kaiserliche Kriegsflagge noch wehte, eröffnete die „Sydney“ erneut den Beschuss, durch den es weitere Verwundete und Tote unter der Besatzung gab.37

Abb. 7: Das zusammengeschossene und auf ein Riff gesetzte Wrack des Kleinen Kreuzers S. M. S. „Emden“, Keeling Island, 9. November 1914.

Daraufhin ließ Fregattenkapitän Karl von Müller die Kriegsflagge niederholen und gab den letzten auf der „Emden“ befindlichen Besatzungsmitgliedern die Erlaubnis über Bord springen und sich auf die Insel retten zu dürfen. Die „Sydney“ stellte das Feuer nun endgültig ein und schickte die Beiboote der „Buresk“ zur Hilfeleistung. In Hellmuth von Mückes Erlebnisbericht trug sich das Gefecht allerdings ganz anders zu: „Gleich die ersten Salven der ‚Emden‘ saßen volltreffend in seinem Vorschiff. […]Dann aber schlug eine gutsitzende Salve in das Achterschiff der ‚Emden‘ ein. Die Wirkung des großen Kalibers auf der ungepanzerten ‚Emden‘ war außerordentlich. […] Die schwere Verletzung hielt die ‚Emden‘ aber nicht ab, dem Gegner energisch zu Leibe zu rücken. […] Der feindliche Kreuzer […] zog sich vor unserem Schiff zurück.“ Er behauptete sogar, dass die „Emden“ noch am Abend des 9. November feuernd gesichtet worden sei und die „Sydney“ das Gefecht abgebrochen habe. In einem späteren Bericht an den Admiralstab stellte von Mücke sogar die These auf, dass die „Emden“ letztendlich einem zweiten gegnerischen Kreuzer unterlegen sei.38 In Wirklichkeit hatte die „Sydney“ nach der Ausschaltung des deutschen Kreuzers am 10. November Direction Island angelaufen, um dort nach dem Rechten zu sehen und das vermutete Landungskommando niederzukämpfen beziehungsweise gefangen zu nehmen. Nachdem aber festgestellt worden war, dass das Landungskorps verschwunden war, lief die „Sydney“ zurück zum Wrack der „Emden“, um die Überlebenden, darunter zahlreiche Verwundete, in den nächsten Tagen an Bord zu nehmen.39 Danach ging der Kreuzer auf Kurs Richtung Colombo und gab auf dem Weg dorthin die Leichtverwundeten und Unverwundeten an den Hilfskreuzer H. M. S. „Empress of Russia“ ab. Beide Schiffe erreichten am 15. November 1914 Colombo, wo die Besatzung an Land gesetzt wurde. Die Verwundeten wurden ärztlich versorgt und in der Folge in ein Kriegsgefangenenlager nach Australien verbracht. Die übrige Besatzung, darunter Karl von Müller, ließ man auf Grund einer Anweisung der britischen Admiralität nach Malta einschiffen, das am 6. Dezember 1914 erreicht wurde.40

25 Zum Folgenden, wenn nicht anders angegeben, siehe: BA-MA, RM 92/2370, Bl. 4-46, Bericht von Kapitän z. S. Karl von Müller über die Kriegsunternehmungen des Kleinen Kreuzers S. M. S. „Emden“ von Mitte Juni 1914 bis zum Abschluss der Unternehmung gegen Penang-Hafen, o. Dat. Der Bericht wurde als Grundlage verwendet, da er in militärischer Nüchternheit zeitnah verfasst wurde und ihm somit jegliche literarische Freiheit fehlt. Von Müllers Bericht ist ebenfalls enthalten in: BA-MA, RM 5/2303, Bl. 42-79[R]; BA-MA, RM 92/2370, Bl. 130-169. Zur wissenschaftlichen Literatur und zu den zahlreichen Heldenepen über die „Emden“ siehe die entsprechenden Werke im Literaturverzeichnis.

26 Mücke, Hellmuth von: Emden, Berlin 1915, S. 16.

27 Die „Rjäsan“ wurde in den nächsten Tagen umgerüstet und unter dem Namen S. M. S. „Cormoran“ als Hilfskreuzer der Kaiserlichen Marine in Dienst gestellt.

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