Himmelsglück auf Erden - Carmen Paul - E-Book

Himmelsglück auf Erden E-Book

Carmen Paul

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Beschreibung

Carmen Paul ist auch von dem Schlaganfall auf wunderbare Weise geheilt worden. Nach und nach wurde sie in verschiedene afrikanische Länder eingeladen, um ihre beeindruckend-mitreißende Geschichte zu erzählen. So beschreibt sie verschiedene Menschen und einige ihrer Reisen auf den schwarzen Kontinent, der ihr Herz erobert hat. Damit erklärt sie, warum es nun den Hilfsverein "la Chajim" gibt.

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Carmen Paul

Himmelsglück auf Erden

Gottes Wege mit mir in die Welt

Autorin: Carmen Paul

Titel: HIMMELsglück auf ERDEN - Ebook

Satz und Cover: Martin Korpowski

1. Auflage 2022 © martonius - www.martonius.org

ISBN-13 Ebook: 978-3-949073-06-9

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers bzw. nur in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Copyright in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise, sei es elektronisch oder mechanisch, durch Fotokopie, Aufzeichnung oder anderweitig, egal für welchen Zweck, reproduziert, auf einem Datensystem gespeichert oder übertragen werden.

Inhalt

1. Vorwort

2. Schlaganfall

3. Tauziehen mit Gott

4. Menschen wie Du und ich

~ Jonas aus Haiti

~ Steven aus Uganda

~ Annett und ihre fünf Schätze

~ Arif aus Pakistan

~ Manoel Messias und seine Frau Ray

~ Paul aus Ghana

5. Afrika

~ Senegal Juni 2019

~ Und noch einmal Senegal

~ Ghana 2020

~ Accra - Abreise mit gewaltigen Hindernissen

~ Kenia

6. Vivien

7. La Chajim - zum Leben

1. Vorwort

Carmen Paul – zwei Worte. Zwei Powerfrauen. Zwei grundver-schiedene Powerfrauen – eine irdische und eine irgendwie himmlische.

Die irdische Powerfrau nahm die Kraft aus sich selbst, hat sich hochgearbeitet, geschuftet ohne Rücksicht auf Verluste, die Dollarzeichen immer im Auge. So ist sie – wie man landläufig sagt – sehr reich an Luxus geworden und hat somit automatisch aus Zeitgründen auf gute Beziehungen keinen großen Wert legen können. Als ihre Tochter reiten wollte, hat sie auch die Liebe zu Pferden entdeckt und bald hatten sie – logisch - drei eigene Pferde.

Auf einem gemeinsamen Ausritt am Ostermontag 2000 mitten im Wald passierte der unerwartet-schreckliche Unfall: Carmen wird von ihrem eigenen Pferd ins Gesicht getreten, wirbelt durch die Luft und landet mit dem Kopf auf dem einzigen Stein weit und breit. Genickbruch. Blut überall, das Gesicht zerstört, sie ist nicht mehr zu erkennen. Die Tochter reitet in den Funkbereich und holt so Hilfe. Nach bereits einer halben Stunde kommt der Notarzt dort mitten im Wald an.

Im Krankenhaus bekommt sie eine Überlebenschance bis Mittag. Trotzdem kommt – man weiß bis heute nicht, wer den bestellt hat – ein Hubschrauber und bringt sie nach Dresden in die Klink, wo sie über Stunden operiert wird. Ihr Gesicht wird mit unglaublichen 56 Schrauben und einer Stange im Kopf wieder zusammengebastelt.Carmen sieht derweilen der Operation zu, sie ist außerhalb ihres kaputten Körpers dort auf dem Op-Tisch. Dann ist sie im Himmel. Sie berichtet eindrucksvolle Erlebnisse aus dem Himmel und vom Treffen mit ihrem Retter Jesus. Es war sehr schön dort – voller, also ganz voller Liebe und wunderbarer Musik. Dort kann man es gut und gerne ewig aushalten, es ist ein herrliches Zuhause. Doch Jesus schickt sie zurück auf die Erde. Was für ein Schock!

Carmen bekommt noch im Himmel bestimmte Bilder gezeigt, die alle in der Zukunft liegen und auch wirklich nach und nach in ihrem weiteren Leben zur spannenden und überwältigenden Realität werden: ein Haus an der Ostsee, eine ausländische Familie, ihre Tochter im Talar mit Kind und Mann, ein Hof voller Menschen in alten Kleidern, ein Wohnzimmer mit 6 alten Menschen, eine rote Kirche mit grüner Tür, eine rosa-hellblaue Moschee ...

In ihrem Buch „Pferdefuß und Himmelsglück“ beschreibt Carmen sehr genau, wie unschön die Rückkehr auf die Erde in ihren Körper war. Jahrelang wollte sie zurück nach Hause. Jahrelang konnte sie keine Musik hören, weil die Musik im Himmel mit Abstand so viel schöner war – die armen Schlagersternchen und Popgiganten. Carmen hat sich mit dem Zuspruch Jesu, dass er immer bei ihr sein wird, wieder ins Leben zurückgekämpft, denn ihre Festplatte war erst einmal gelöscht: Sie hat zunächst niemanden erkannt und musste wie ein Kleinkind alles von Grund auf neu lernen: wie geht das mit dem Essen, wozu sind Beine überhaupt da, warum stinken andere Leute so, wenn sie von draußen (vom Rauchen) kommen und so weiter.

Ich lernte Carmen bei einer Veranstaltung in Leipzig kennen, als sie die Sprecherin und ich der Techniker war. So hat Gott uns zusammengeführt und ein paar Monate später hat sie dieses Buch in meinem Tonstudio vorgelesen, aus dem das Hörbuch „Pferdefuß und Himmelsglück“ entstanden ist. Durch diese Arbeit kenne ich jedes Wort ihrer Geschichte und wir sind gute Freunde geworden. Ich durfte auch ihre wunderbare Tochter Nicole und ihren Mann Dieter kennenlernen, die jeder ihr eigenes Kapitel des Buches für das Hörbuch eingelesen haben.

So lernte ich diese zweite Powerfrau Carmen kennen, die nichts mehr aus eigener Kraft machen muss, die inzwischen in die ganze Welt geleitet wird, die ohne festes Einkommen doch so viel reicher als vorher beschenkt ist und versorgt wird von unserem guten Gott. Und das Erstaunliche ist, wie sie all diese Gnade weiter verschenken kann an die Zuhörer ihrer Vorträge, an die deutschen, französischen und englischen Buchleser und an die Buchhörer, die von ihren überzeugenden Geschichten inspiriert werden, nach dem Himmel zu streben, nach dem Ewigen. Sie hat ihren Teil des Himmels mit auf die Erde gebracht und kann nur deshalb den Wunsch nach Zuhause zurückstellen.

Seit Jahren öffnen sich für Carmen immer neue Türen. Sie ist inzwischen oft mit ihren Vorträgen auch in afrikanischen Ländern wie Ghana, Senegal, Elfenbeinküste oder Kenia unterwegs und begeistert ihre Zuhörer. Viele Menschen hat sie unterstützt, bis es 2021 höchste Zeit wurde, einen Verein zu gründen, um diese Hilfe auf mehrere Schultern zu verteilen. Dazu gehören ein Schulbau in Ghana, ein Kinderheim in Senegal, Schülerhilfe in der Elfenbeinküste, Unterstützung einer Kinderkirche in Pakistan oder Hilfe zur Selbsthilfe bei einem Projekt mit vierzig Witwen in Kenia. Der Verein heißt „laChajim „– das ist hebräisch und bedeutet „zum Leben“.

In diesem vorliegenden Buch werden nun alle überraschend-spannenden Entwicklungen der letzten drei Jahre beschrieben, anknüpfend an ihrem ersten Buch, als sie einen Schlaganfall erlitt. Es ist so erstaunlich, was Gott in dieser Zeit noch alles geschenkt hat und wie wunderbar sich die Dinge weiterentwickelt haben.

IHM sei Lob und Ehre dafür und Carmen und ihrer Familie Dank für alle Bereitschaft und Zur-Verfügung-Stellen für Gottes Pläne. Bleib gesegnet, Carmen und bleib ein Segen für alle, jetzt besonders für die Leser.

Martin Korpowski, Verleger bei www.martonius.org

In diesem Buch möchte ich von den vielen, kleinen und auch größeren Wundern erzählen, aber auch von Wunden und Schleifwunden, die ich mit unserem Herrn erlebt habe. Nicht immer ist alles ganz easy abgelaufen, weil wir so oft denken, wir wissen es viel besser als Er.

Eure Carmen Paul

2. Schlaganfall

Wie schnell rutscht einem mal ein Wort raus und man denkt sich eigentlich nichts weiter dabei. So wie zum Beispiel: „Ich glaub mich trifft der Schlag!“. Das so was Dahergesagtes aber auch mal tatsächlich wahr sein kann, merkt man manchmal erst hinterher.

Am Morgen, am sehr frühen Morgen des 1. November 2007 wurde ich munter und mir war mehr als nur hundeübel. Ich hatte Kopfschmerzen wie noch nie in meinem Leben. Mir war so übel, dass ich ständig einen Brechreiz spürte. Das Aufstehen fiel mir unglaublich schwer und ich konnte mich nur auf den Beinen halten, weil ich mich an der Wand entlang hangelte. Das fehlte mir nun auch noch, gerade heute! Ich sollte heute zu einer Reha fahren wegen meines Diabetes und jetzt das! Zum Zahnarzt musste ich auch noch am Vormittag und mittags dann nach Schmalkalden, weil mich von da jemand mitnahm in diese Reha-Klinik nach Bad Kissingen.

Fast zwei Stunden dauerte an diesem Tag meine Morgentoilette. Alles ging furchtbar langsam, der Kopfschmerz wurde unerträglich! Ständige Schweißausbrüche begleiteten das ganze Dilemma auch noch. Sehr, sehr langsam kam ich gegen neun Uhr beim Zahnarzt an, der mich dann während der Behandlung immer wieder fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Meine Antwort war: „Ich weiß auch nicht, was los ist“ hat er nicht hinterfragt. Noch langsamer als auf dem Hinweg kam ich dann gegen Mittag bei mir zu Hause an, mit dem ständigen Hintergedanken „Ich kann nicht mehr!“.

Meine Reha-Sachen hatte ich schon alle im Auto verstaut und so setzte ich mich rein und fuhr los nach Schmalkalden. Zu dieser Zeit merkte ich, dass meine ganze rechte Körperhälfte nicht richtig reagierte. Mein Arm war ziemlich kraftlos und ich hatte das Gefühl, mein Bein hinterher zu schleifen. Das hatte zur Folge, dass ich auf der Straße über den Rennsteig kaum um die Kurven kam, die dort mitunter ziemlich eng und scharf sind. Die letzte scharfe Kurve wurde mir dann fast zum Verhängnis und ich zuckelte ab da im zweiten Gang bis nach Schmalkalden, um dort mein Auto im Hof unseres Pastors abzustellen. Ich quälte mich nach oben und gab den Schlüssel ab, setzte mich bei einem Freund ins Auto und es ging los nach Bad Kissingen. Bevor ich losfuhr, fragte mich noch eine Krankenschwester, ob alles mit mir in Ordnung sei. Wie beim Zahnarzt ein paar Stunden vorher kam nach meiner Antwort „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist“ nichts mehr. Der Freund, der das Auto fuhr, war ebenfalls Krankenpfleger und das auf einer Intensivstation, auf der man Tag für Tag Menschen mit einem Schlaganfall einlieferte. Unterwegs mussten wir mehrfach anhalten, weil ich mich übergeben musste und so dauerte die Anreise ziemlich lange.

Der Arzt, der mich in der Klinik dann begrüßte, hat mich erst einmal mächtig runtergemacht, weil ich so spät kam und er schon lange Feierabend hätte. Auch er untersuchte mich, allerdings sehr oberflächlich, so dass auch er nullkommanichts von dem mitbekam, was wirklich mit mir los war. Er war damit der vierte im Bunde, dem nichts Gravierendes an mir auffiel, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt definitiv schon sehr stark im Laufen und Sprechen beeinträchtigt war.

Man zeigte mir mein Zimmer und ich fing an, meine Sachen auszupacken, was allerdings nicht lange dauerte, denn ich konnte irgendwann gar nichts mehr an mir bewegen. Gegen 22 Uhr rief ich per Klingel die Nachtschwester und bat um ein Schmerzmittel. Die diensthabende Ärztin kam noch dazu, sah mich an und rannte los. Sie rief einen Krankenwagen, der mich dann in der Nacht in das nächste Krankenhaus brachte, da sie erkannte, dass ich einen Schlaganfall hatte. An mir lief irgendwie alles ab, als ob es an mir vorbeilaufen würde. Ich hatte das Gefühl, als stehe ich daneben und schaue zu. Fast wäre ich auf der Intensivstation des jungen Mannes gelandet, der mich ja in die Reha-Klinik gebracht hatte. Später musste ich darüber oft lächeln, wenn ich daran dachte. Vier medizinisch komplett ausgebildete Menschen haben einfach nicht erkannt, dass ich einen Schlaganfall hatte. Das nenne ich schon echt verrückt.

In den sehr frühen Morgenstunden des 2. November wurde ich also in eine Neurologische Intensivstation gebracht und dort eingehend untersucht, fast 24 Stunden nach dem eigentlichen Schlaganfall. Ich hatte irgendwann mal gelesen, dass die ersten drei Stunden nach einem Schlaganfall sehr wichtig sind.

Nachdem der Bereitschaftsarzt festgestellt hatte, dass ich einen Schlaganfall hatte, kam ich an die Geräte, die mich stark an meinem Unfall erinnerten. Und da kam oder besser wohl brach alles in mir zusammen und ich fragte ständig: Warum, Gott? Warum? Ich war zu nichts mehr in der Lage, weder zum Trinken noch zum Essen und ich wollte nur noch meine Ruhe haben, niemanden sehen und niemanden hören.

Damals kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass Gott es genauso haben wollte, wie es gekommen war. Aber dagegen hatte ich mich doch recht stark gewehrt und gefragt, warum Gott das so wollte!? Dass ich nicht laufen, nicht richtig sprechen, also auch nicht predigen kann, nicht Gitarre spielen, eben einfach nichts mehr tun kann. Warum sollte Er mir so etwas antun? Ja, gerade mir, die doch schon so viel Schweres hinter sich hatte und nun noch das. Irgendwann habe ich gemerkt -und das war eine heftige Erkenntnis, dass ich mich ständig selbst bedaure. Ich Arme, ausgerechnet ich! Es hat eine ganze Weile gebraucht, um das zu erkennen und zu begreifen, dass ich mich in meinem Selbstmitleid so wohl fühlte und eben gar nicht mehr anders konnte, als mich selbst zu bedauern. Bei den Aufgaben, die ich in meiner Gemeinde hatte, war das so von heute auf morgen auch gar nicht möglich zu begreifen. Ein Arzt in Hildburghausen hatte wohl gewisse Erfahrungswerte, als er mir eines Tages sagte: „Wahrscheinlich werden sie in eine Depression fallen, aber ich bin mir sicher, dass es nicht zu lange dauern wird und sie finden den Weg dort heraus, ganz allein.“

Er wusste ja nicht, dass ich nicht alleine, sondern Jesus immer und überall bei mir war. Aber das wusste ich in dem Moment, als es am schlimmsten war, auch nicht mehr. Erst als mir klar wurde, dass Gott eine gewaltige Notbremsung in meinem Leben vollzogen hat, war mir klar, dass Er ja schon die ganze Zeit dabei war.

Noch klarer wurde es mir, als die Ärzte immer wieder ihre Ver-wunderung aussprachen, dass es so glimpflich abgegangen ist und dass man das, was an Mangel sichtbar war, noch wegtrainieren würde. Da war ich mir Anfangs allerdings nicht so sicher. Das Einzige, was ich in dieser Zeit tat, war, mich am Rockzipfel Jesu festzuhalten. Für mehr hat es damals einfach nicht gereicht. Allerdings war das nicht das Einzige, was ich erleben musste und rein menschlich betrachtet kam es tatsächlich noch schlimmer.

Die ersten Tage in Hildburghausen lag ich am Tropf. Warum ich trotzdem so einen Flüssigkeitsmangel hatte, weiß ich nicht, aber es hatte zur Folge, dass meine Nieren nicht so wollten wie gewünscht. Am vierten Abend hatte ich so schlimme Schmerzen - und ich bin bestimmt keine Zimperliese - dass ich bitterlich geweint habe. Es war so schlimm, dass die Ärzte auf der Intensivstation dachten, ich hätte Nierenversagen. Darum brachte man mich umgehend in eine Spezialklinik nach Coburg. Dort stellten die Ärzte fest, dass ich eine Nierenkolik katte. Nach drei Tagen Behandlung wurde ich wieder nach Hildburghausen gebracht, um dort eine weitere Woche behandelt zu werden.

Im Dezember durfte ich in eine Reha-Klinik nach Bad Urach. Ich hatte gebeten, in die Nähe von Göppingen zu kommen, da Nicole dort ihr Praktikum machte. So konnte sie dann dementsprechend nahe bei mir sein und mein Auto für ihr Praktikum nutzen, denn meine Autofahrzeit war ja erst einmal vorbei.

In den ersten Tagen meiner Reha war ich ziemlich down, wollte nicht aufstehen, nichts tun, am liebsten in Ruhe gelassen werden. Nicole kam mich so oft besuchen, wie sie konnte. Bei einem ihrer ersten Besuche brachte sie mir ein Lied mit, welches ich unbedingt lernen sollte. Was habe ich mich aufgeregt und gewehrt, dieses Lied zu lernen und noch dazu zu singen! Aber sie ließ sich doch tatsächlich auf keine meiner Diskussionen ein und sang es mir einfach vor. Sie kannte mich eben doch sehr gut. Bei der zweiten Strophe dachte ich: ´Was singt sie da? Da geht es ja um mich - um meine Fragen, meine Ängste, meinen Kummer!´Das Lied musste ich unbedingt lernen und schon bei der dritten Strophe sang ich mit. Wir haben es dann zwei, dreimal gesungen und schon saß es. Vielleicht kennen es einige von euch, hier ist der Text dieses Liedes:

Ich bin bei Dir

1. Ich bin bei Dir, wenn die Sorge Dich niederdrückt,

Wenn Dein Leben Dir sinnlos scheint, dann bin ich da,

Ich bin bei Dir, auch wenn Du es nicht glauben kannst,

Auch wenn Du es nicht fühlen kannst, ich bin Dir nah.

Refrain: Und ich hab’ alles in der Hand, kenn’ Dein Leben sehr genau,

Ich weiß um alles, was Du brauchst, Tag für Tag.

Hab keine Angst, ich liebe Dich, Du kannst meinem Wort vertrau’n,

und Du wirst seh’n wie ich Dich führe, Schritt für Schritt.

2. Hab keine Angst, Wenn Du nachts nicht mehr schlafen kannst,

Wenn Du grübelst, was vor dem ist, Du hast doch mich.

Hab keine Angst, auch wenn and’re Dir zugesteh’n,

Wenn Du meinst, dass Du wertlos bist, ich liebe Dich.

Refrain: Und ich hab’ alles in der Hand.....

3. Oh, welch ein Tag, wenn Dein Leben sein Ziel erreicht,

Wenn wir uns gegenüber steh’n, und Du bist hier.

Oh, welch ein Tag, wenn die Trauer der Freude weicht,

Und dann war, was verwirrend schien, der Weg zu mir.

Refrain: Dann wirst du staunend mit mir seh’n,

Alles Ende und Beginn, mir war nicht einer Deiner Tage unbekannt,

Und Du wirst glauben und verstehen, alles hatte seinen Sinn,

und Du wirst seh’n, ich hatte alles in der Hand, in der Hand.

Dieses Lied war für mich der Hammer, die Rettung, mein Anker, mein Jesus. Aber das Lied brauchte doch Gitarrenbegleitung - nur woher nehmen? Mit meiner noch immer gelähmten rechten Seite war das unmöglich. Als Nicole mit mir das Lied zum dritten Mal sang, kam leise die Neurologin rein und hörte zu. Bei unserem Gespräch über Gitarrenbegleitung meinte sie, dass sie noch eine Gitarre zu Hause hätte, mit der niemand mehr spielen würde - die könnte sie mir mitbringen. Am übernächsten Tag kam Nicole wieder und die Ärztin hatte auch die Gitarre mit. Nicole stimmte sie und spielte los und es war - wie ich es mir dachte - mit Gitarrenbegleitung ein noch viel schöneres Lied, als es so schon war. Als Nicole weg war, stand die Gitarre in Sichtnähe an der Wand und ich starrte sie an. Irgendwie kroch Wut in mir hoch. Wut darüber, das nichts klappen wird - egal, was ich jetzt auch versuchen würde. Wut auf den Schlaganfall. Wut auf Gott, der es zugelassen hat. Doch fast zeitgleich sah ich Bilder aus meinen letzten beiden Jahren. Predigerseminar im Fernstudium. Ein vollkommen neuer Job in Siloah und manchmal dieser unmögliche Stress. Fast jedes Wochenende predigen, wenn ich frei hatte. Alle möglichen anderen Dinge wie Pfadfinder, Seelsorgegespräche und so weiter. Ich kam mir vor wie Hiob, der Gott sein Leid klagt und Gott ihn dann fragt, wo er denn war, als Gott diese Erde geschaffen hat? Und so weiter! Ja, Gott hat mir einen sehr deutlichen Spiegel vor die Nase gehalten! Und ich glaube doch erkannt zu haben, was er von mir erwartete: nämlich Buße tun für meinen Lebenswandel, ohne einen Funken Rücksicht auf mich selbst zu nehmen und in die Ruhe zu kommen - in seine Ruhe. In seinem Namen einfach nichts tun, nichts aus mir heraus und nichts, was andere von mir erwarten, einfach nur das, was ER wollte für mich - seine RUHE! Und genau das habe ich getan. Es dauerte nicht so lange und seine Ruhe zog in mir ein, fiel vom Kopf ins Herz und ich nahm irgendwann in diesen Tagen die Gitarre in die Hand und? Nichts ging, man konnte nichts hören, weil es einfach nicht ging. Am liebsten hätte ich die Gitarre in die Ecke geworfen oder wäre auf ihr herumgetrampelt! Aber selbst das ging ja nicht! Ich hatte weder die Fähigkeit noch die Kraft, mich richtig zu bewegen. Das trieb mir die Tränen in die Augen, was dann zu einem befreienden Weinen wurde - ein Weinen, weil man begreift, das man von sich aus nichts, absolut nichts kann - egal was man auch immer versucht. Nichts geht, gar nichts. Ich nehme mal an, dass diese Beschreibung meines Zerbruchs so einigen ganz bekannt vorkommt. Der Augenblick, an dem man erkennt, wie hilflos oder sogar unfähig man ist, auch nur irgendetwas zu tun. Man fühlt sich, als würde man in einem Kessel voller Leim stecken und immer tiefer darin versinken. Ich weiß heute, dass so ein Zerbruch wirklich nötig ist, gerade bei Menschen und Machern wie ich einer war. Denn erst dann lässt man los, beugt sich vor Gott und gibt sich ganz und gar in seine Hand, indem man sich völlig ausliefert. Als ich das verinnerlicht hatte, griff ich noch einmal zur Gitarre und tatsächlich kamen die ersten halbwegs geraden Töne heraus. Nun übte ich jeden Tag, sooft ich nur konnte. Viel machen konnte ich bei dieser Reha sowieso nicht. Bei Strombehandlungen wurde wir so schwindlich, dass ich fast vom Hocker fiel, so dass man mich dann per Trage und Fahrstuhl auf mein Zimmer brachte. Was mir gut bekam, waren die Massagen. Und eben weil ich nicht viele Behandlungen vertrug - wie z.B. auch die Wärmebehandlung mit Fango, was ich keine zwei Minuten aushielt - bekam ich mehr Massagen als üblich.

Durch die intensiven Massagen, besonders Schultern und den Hals hoch, verlor ich endlich diese fürchterlichen Kopfschmerzen. Es war erstaunlich, welche großen Fortschritte ich trotz der wenigen Behandlungen machte. Dann waren die ersten drei Wochen meiner Reha fast vorbei und ich bekam, wie viele andere dort, eine handfeste Erkältung, bei der ich zu nichts mehr in der Lage war. Das hatte zur Folge, dass ich eine Verlängerung der Reha um zwei Wochen bekam. Nach einer guten Woche kroch ich endlich wieder aus dem Bett und spielte wieder so oft es ging Gitarre. Ich fing an, mit der Gitarre nach vorn zum offenen Bereich zu gehen und Lieder zu singen. Jeden Tag kamen immer mehr Leute zusammen, die mir zuhörten oder auch mitsangen, wenn sie die Lieder kannten.

Natürlich war auch das neu gelernte Lied dabei, was dann die Schwestern und Ärzte hörten. Durch die Musik, und es war alles Lobpreismusik, waren nach drei oder vier Tagen so viele Menschen um mich, dass ich mindestens eine Stunde gespielt und gesungen habe, bis sie mich endlich gehen ließen. An einem dieser Tage kam der Stationsarzt und bat mich, ihm noch einmal das israelische Lied vorzusingen, welches ich draußen für die Patienten gesungen hatte. Er war ganz fasziniert über das hebräisch und meinte, wenn er könnte, würde er meine Reha noch einmal zwei Wochen verlängern und das ich den Patienten guttun würde. Da gab es nämlich noch etwas, was ich für einzelne Patienten tat. Die Schwestern kamen und baten mich doch mal in dieses oder jenes Zimmer zu gehen, um dem Patienten dieses eine Lied vorzuspielen und zu singen. Dabei ging es nur immer um das Lied „Ich bin bei Dir“. Eines Tages kam ich in das Zimmer einer Frau, nur ein paar Jahre älter als ich, die durch eine Hirn-OP und das Entfernen eines Tumors nichts mehr konnte. Wirklich nichts. So lag sie nur im Bett und niemand konnte wirklich helfen. Die Entwicklung ab dem ersten Tag mit diesem Lied war wie ein Wunder! Bereits nach drei Tagen versuchte sie, mit dem Rollstuhl bis zu meinem Zimmer zu kommen. Jeden Tag kam irgendetwas dazu, was wieder ging. Jeden Tag habe ich ihr das Lied vorgesungen. Schritt für Schritt lernte sie alles wieder, was nötig war - sogar das Laufen. Und das Schönste war: sie hat mit dem Malen angefangen. Jahre später habe ich erfahren, dass sie eine eigene Ausstellung in ihrem Heimatort gemacht hat. Es gibt sogar einen Kalender, für den sie die Bilder zur Verfügung gestellt hat; ihre selbst gemalten Bilder, wovon NIEMAND im Geringsten geglaubt hatte, dass sie so etwas irgendwann mal machen könnte. Das Lied aber ist immer unsere Verbindung geblieben. Als ich sie Jahre später mal besuchte, hing dieser Liedtext eingerahmt über ihrem Bett.

Zurück zum Stationsarzt. Als er sagte, er würde mich so gerne noch zwei Wochen dabehalten, haben wir beide nicht geahnt, wie schnell das Wirklichkeit werden sollte.

Am Abend brachte die Schwester die Nachtration an Tabletten, die ich natürlich auch brav nahm. Ein paar Stunden später wurde ich wach, weil ich zur Toilette musste. Ich wollte das Licht anmachen, aber die Lampe schien kaputt zu sein. Oder war vielleicht der Strom weg? Es war so stockdunkel, dass ich mich am Bett entlang zur Wand, dann zur Tür tastete und nach draußen ging, um der Schwester zu sagen, dass ich schlecht Luft bekäme und mein Licht im Zimmer nicht geht.