Honey Badgers - G. A. Aiken - E-Book
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G. A. Aiken

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Beschreibung

Heiß, heißer Honigdachts - Die mitreißende Gestaltwandler-Reihe von Bestseller-Autorin G. A. Aiken Als Grizzly-Gestaltwandler war Berg Dunn schon in vielen ungewöhnlichen Situationen. Doch dass eine hübsche, nackte Frau wie aus dem Nichts auf seinem Balkon auftaucht, findet selbst er merkwürdig. Und dann fordert die Unbekannte auch noch von ihm, dass er ihr seine beste Pistole überlässt! Berg findet heraus, dass sie eine Honigdachs-Gestaltwandlerin ist, und verliert sein Herz an sie. Doch Charlie Taylor-MacKilligan muss ihre kleinen Schwestern vor ihrem mordlustigen Vater beschützen und es passt ihr gar nicht, dass Berg sich plötzlich als ihr Aufpasser aufspielt. Immerhin sind Honigdachse Überlebenskünstler! Aber Berg ist unverschämt sexy, das muss Charlie zugeben. Vielleicht jagt sie ihn nicht fort – wenn er denn mit ihr mithalten kann. Der Buchserien-Hit für Fans der "Lions"-Reihe und der "Wolf Diaries"  Nicht nur bei den "Honey Badgers" ist leidenschaftliche Literatur angesagt. G.A. Aikens Erotic Fantasy-Reihen um Gestaltwandler, Gefühle und Gefahren haben sich bereits weit über 500.000 Mal in Deutschland verkauft. Diese Romane für Frauen lassen Ihnen keine Wahl – jede Seite zieht Sie tiefer in ihren Bann!

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Entdecke die Welt der Piper Fantasy:www.piper-fantasy.deÜbersetzung aus dem Amerikanischen von Michaela Link© Shelly Laurenston 2018Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Hot and Badgered« bei Kensington, New York 2018© Piper Verlag GmbH, München 2019Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Umschlagabbildung: Guter Punkt, unter Verwendung von Shutterstock und IstockSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Sechzehn Jahre später

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

 

Für meine kalifornische Familie, die mich die wahre Bedeutung von Schwestern gelehrt hat.Ich hab euch lieb.

Prolog

Charles Taylor war bis zu diesem Moment nicht klar gewesen, wie schnell das Leben eines Mannes auf den Kopf gestellt werden konnte.

In der einen Sekunde hatte er zwei verrückten Frauen zugehört, die er seit Jahren kannte und die versuchten, ihn dazu zu überreden, das Rudel eines jungen, arroganten Wolfs zu übernehmen, den sie alle hassten. In der nächsten klingelte es an der Tür … und alles veränderte sich. Für immer.

Er hatte die Tür des Haupthauses des Rudels geöffnet und seine zwölfjährige Enkelin mit ihren beiden Halbschwestern davor stehen sehen.

Die anderen beiden waren nicht seine Enkelinnen. Seine Tochter hatte den Nachwuchs ihres nutzlosen Exfreunds aufgenommen, weil sie eben so war, seine Carlie. Sie hatte diese Mädchen zu sich genommen und sie großgezogen, als seien es ihre eigenen Kinder. Ohne zu fragen. Ohne Vorbehalte. Und weil es in Carlies Augen das Richtige war.

Als Charles also die Tür öffnete und diese drei Mädchen davor stehen sah, schmutzig, voller blauer Flecke und mit einem verletzten Ausdruck in den Augen … wusste er Bescheid. Er wusste, dass sein kleines Mädchen tot war. Er wusste es und war am Boden zerstört.

Aber was sollte er machen? Er musste tun, was seine Tochter gewollt hätte: die drei Mädchen aufnehmen. Sie großziehen, auch die beiden, die nicht nur nicht von seinem Blut, sondern nicht einmal zu einem Bruchteil Wolf waren. Die Mittlere war ein reinblütiger Honigdachs, wie ihr idiotischer Vater und ihre kriminelle Mutter, die nach einem schiefgegangenen Juwelenraub eine langjährige Haftstrafe in einem bulgarischen Gefängnis absaß.

Die zweite war halb Honigdachs und halb Tiger. Charles’ Rudel hielt nichts von Katzen. Nicht einmal ein ganz klein wenig. Sie tolerierten schon die Hauskatzen nicht, die durch ihr Viertel in Wisconsin stromerten. Was also würden sie mit diesem kleinen Mädchen mit den großen Augen machen, das den Gestank von Katze verströmte?

Die Mädchen hatten jedoch eins, das für sie sprach: Sie waren jung. Die Älteste zwölf, die Mittlere elf und die Kleinste noch keine acht.

Als die beiden Wölfinnen, vor denen Charles sich gerade gerettet hatte, die Mädchen sahen, schnappten sie nach Luft und führten die Kinder sofort ins Wohnzimmer.

»Was ist passiert?«, fragte Lotti Charles’ Enkelin. »Wo ist eure Mama?«

Seine Enkelin schaute zu ihm hoch, und wieder sah er die Antwort in ihren Augen. Die Antwort, die ihm schon in dem Moment, als er die Haustür geöffnet hatte, klar geworden war.

»Meine Tochter ist tot«, sagte er ausdruckslos und versuchte dabei immer noch zu verarbeiten, was genau das bedeutete.

Lotti und Jane verstummten, und ihre Hände verharrten auf den leichten Mänteln, die die Mädchen für den Marsch von Connecticut nach Wisconsin getragen hatten, um das Rudel ihrer Mutter zu erreichen. Mitten im Winter.

Entsetzt sahen die beiden Wölfinnen zuerst Charles und dann einander an.

»Besorgen wir … besorgen wir euch Mädchen etwas zu Essen«, stotterte Jane. »Ihr müsst halb verhungert sein.«

Lotti stand auf und sagte leise zu Charles: »Wir haben vielleicht ein Problem … mit zwei von ihnen.«

»Wenn ich hier das Feld räumen muss, werde ich das tun.« Er dachte an seine Tochter und daran, wie sie so eine Situation gehandhabt hätte. »Doch ich werde sie nicht voneinander trennen.«

Lotti legte Charles eine Hand auf die Brust. »Ich gehe und rede mit ihm.«

Er nickte und hockte sich vor seine Enkeltochter, um ihr aus dem Mantel zu helfen, aber bevor er eine Chance dazu bekam, war Lotti schon wieder zurück. »Er will mit ihnen reden. Allein.«

Stirnrunzelnd schaute Charles über seine Schulter zu seiner alten Freundin hinüber. »Was?«

Sie zuckte die Achseln.

»Das kannst du vergessen«, sagte er. Er würde seine traumatisierte Enkelin und ihre Schwestern nicht dem Bullshit dieses Idioten aussetzen.

»Wir werden mit ihm reden«, verkündete seine Enkelin plötzlich und klang dabei sehr … erwachsen. Sie sah vielleicht aus wie ein kleines Mädchen, aber das war sie nie wirklich gewesen. Carlie hatte zu sagen gepflegt: »Meine Tochter war schon bei der Geburt vierzig.« Und als Charles jetzt den entschlossenen Ausdruck auf dem niedlichen Kindergesicht sah, glaubte er jedes Wort davon.

Seine Enkelin stand auf und gab ihren Schwestern ein Zeichen.

»Wo ist er?«, fragte sie die verblüffte Lotti.

»Hinterm Haus. Im Garten. Ich zeige euch …«

»Wir werden ihn schon finden.«

Während das mittlere Mädchen die Hand der Jüngsten hielt, schob Charles’ Enkelin die beiden sanft vor sich her, und die drei gingen ganz allein durchs Haus.

Das war der Moment, in dem Jane knurrte: »Das gefällt mir nicht.«

Charles gefiel es auch nicht. Es gefiel ihm ganz und gar nicht.

 

Betsey lag der Länge nach auf einem der hohen Äste des großen Baums im Garten des Rudels und tat ihr Bestes, leise zu sein.

Sie kam hier heraus, um in Ruhe gelassen zu werden. Sie war zu alt, um mit den anderen Welpen herumzuhängen, und zu jung, um ihre Zeit mit den Erwachsenen zu verbringen. Mit sechzehn zählte sie die Tage, bis sie aufs College gehen und von hier verschwinden konnte.

Sie liebte ihre Mom, die für ihr einziges Kind getan hatte, was sie konnte. Aber Betsey hatte nie ganz zum Rudel gehört, weil sie keine reinblütige Wölfin war, sondern halb Wölfin, halb Schwarzbärin. Ihr Vater war ein One-Night-Stand gewesen, über den ihre Mutter immer noch nicht hinweg war. Aber ein Bär unter Wölfen zu sein, stellte eine Herausforderung dar.

Als Betsey noch klein gewesen war, war die Situation zumindest erträglich gewesen – bis Billy Lewis das Rudel als Anführer übernommen hatte. Jetzt betete Betsey, dass sich nichts zwischen sie und die Stipendien stellen würde, die es ihr ermöglichen sollten, auf ein College in einem anderen Bundesstaat zu gehen und sich ein neues Leben aufzubauen.

Bis dahin würde sie, wenn sie nicht gerade in der Schule war, in Bäumen sitzen und hoffen, dass niemand sie bemerkte.

Wie zum Beispiel Billy Lewis, der auf einer der Bänke im Garten des Rudels saß und wie Richard der Dritte über sein Reich schaute. Aber ein so schwacher Wolf würde nicht bemerken, dass Betsey auf einem Baum saß und ihn beobachtete, es sei denn, der Wind drehte plötzlich und er witterte sie.

Sie sah zu, wie drei kleine Mädchen in den Garten kamen. Nach allem, was sie mit angehört hatte, als Lotti herausgekommen war und mit Billy geredet hatte, war die Mutter dieser Kinder getötet worden. Irgendwie hatten die Mädchen es dann durch das halbe Land bis ins Haus des Rudels geschafft. Wirklich bemerkenswert. In diesem Alter hätte Betsey keine fünf Sekunden ohne ihre Mutter überstanden. Doch diese Mädchen …

Billy hatte auf ein »Gespräch unter vier Augen« mit den Welpen bestanden, und das verhieß nichts Gutes. Billy mochte Leute, die er »Halbblüter« nannte, nicht. Ein beleidigender Ausdruck von einem beleidigenden Idioten.

Leider hatte auch Betsey so ein »Gespräch unter vier Augen« mit Billy über sich ergehen lassen müssen. Es war zwar nicht annähernd so unheimlich, wie es klang, aber es war definitiv grausam. Billy hatte ihr erklärt, dass sie an ihrem achtzehnten Geburtstag verschwinden musste, ganz gleich, was in ihrem Leben oder im Leben ihrer Mutter geschah. Wenn ihre Mutter nicht glücklich darüber war, konnte sie ja mit ihrem Kind gehen, aber das wäre dann Betseys Sache.

Es war ein Furcht einflößender Gedanke, da Betsey wusste, wie sehr ihre Mutter ihr Rudel liebte. Es zu verlassen, und sei es für ihre einzige Tochter, wäre zu schwer für sie. Betsey würde das niemals von ihr verlangen. Also hatte sie nach diesem »Gespräch unter vier Augen« ihre Anstrengungen in der Schule verdoppelt und angefangen, Kurse auf College-Niveau zu belegen. Sie hatte vor, mit siebzehn ihren Abschluss zu machen. Glücklicherweise war sie schlau genug, um das zu schaffen.

Aber sie wusste nichts über die kleinen Mädchen, die gerade in den Garten kamen und dort mit Billy allein gelassen wurden. Sie wusste nur, dass ihr Schicksal Betsey das Herz brach, denn ganz gleich, in was für einer Situation die Mädchen sich befanden, Billy Lewis würde das alles egal sein. Selbst der Tod ihrer Mutter, die ein ehemaliges Rudelmitglied (und die Tochter des Betamännchens) war, würde ihn kaltlassen. Außerdem sah er im Auftauchen der Mädchen vielleicht die Chance, auf die er gewartet hatte, um Charles Taylor loszuwerden. Charles war ein Wolf der alten Schule, den sich die Erwachsenen im Rudel dringend als Alphatier wünschten, ob er den Job nun haben wollte oder nicht.

Doch Betsey wusste, dass Charles seine Enkelin niemals dem grausamen System von Pflegefamilien und staatlichen Heimen überlassen würde. Das war schon für irgendein Durchschnittskind nicht unbedingt gut und erst recht nicht für einen Gestaltwandler. Und für einen Gestaltwandler-Hybriden … aus dem Stoff, wie übel solche Situationen enden konnten, bestanden Albträume.

Trotzdem, zwei der Mädchen wegzuschicken, nur weil sie keine Blutsverwandten und keine Wölfe waren … Konnte Billy wirklich so grausam sein?

Wem machte Betsey etwas vor? Natürlich konnte er so grausam sein!

Die drei Mädchen standen jetzt vor Billy und er schaute sie selbstgefällig an, die Mundwinkel leicht hochgezogen, einen herzlosen Ausdruck in den Augen.

Wenn Betsey geglaubt hätte, dass sie sich davonschleichen konnte, ohne entdeckt zu werden, hätte sie es getan. Sie wollte das nicht mitansehen.

»Ich höre, ihr Mädchen habt eine schlimme Zeit hinter euch, was?«

Die Mädchen starrten Billy an, sagten jedoch nichts. Aber die Mittlere winkte ihm plötzlich zu. Wie zur Begrüßung. Überraschenderweise – und daher umso ärgerlicher – antwortete Billy mit einem Augenzwinkern und deutete mit dem Finger auf das Mädchen. Eine Geste, die er »sexy« fand.

Igitt.

Er sprach weiter: »Hört mal, das mit Carlie tut mir leid. Ich habe sie immer gemocht. Eine seltsame Wölfin, aber unterhaltsam. Versteht ihr?«

Natürlich verstanden sie das nicht! Das waren Kinder! Idiot!

Billy beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und faltete die Hände vor dem Bauch.

Sein »aufrichtiger« Gesichtsausdruck.

»Ich weiß, das wird für euch schwer zu verstehen sein, aber … du darfst bleiben«, sagte er zu der Ältesten, einem entzückenden braunhäutigen Mädchen mit Unmengen gelocktem Haar und einem hübschen Gesicht. »Aber ihr zwei nicht. Ich weiß«, fuhr er fort, »ich weiß, dass das hart zu hören ist. Aber ihr könnt genauso gut gleich lernen, wie die reale Welt funktioniert.«

Irgendetwas sagte Betsey, dass diese Mädchen bereits wussten, wie die reale Welt funktionierte.

Während Billy weiterschwafelte, drückte das mittlere Mädchen seine jüngere Halbschwester neben Billy auf die Bank und ging unvermittelt weg.

Sie näherte sich den Büschen und Blumen, die an die Gartenmauer gepflanzt worden waren, den Kopf gesenkt, als suche sie nach etwas.

Während sie suchte, redete Billy mit Charles’ Enkelin. Genau wie bei ihrem Großvater gab das Gesicht des Mädchens nichts preis. Es war leer. Teilnahmslos.

Die mittlere Schwester, eine sehr kleine Asiatin mit schwarzem Haar und einer weißen Strähne darin, hob etwas hoch und kehrte zu ihren Schwestern zurück. Gemeinsam sahen sie Billy an, bis er bemerkte, dass das mittlere Mädchen etwas in der Hand hielt.

Sein Grinsen verwandelte sich in ein breites Lächeln. Betsey war noch nie jemandem begegnet, der es so genoss wie Billy, das Schlimmste in anderen zu Vorschein zu bringen. Das galt sogar für verzweifelte Kinder, die gerade ihre Mutter verloren hatten. »Ist der für mich, Schätzchen? Du willst den großen, bösen Wolf mit diesem kleinen Stein schlagen?« Er beugte sich vor, und seine Stimme wurde sehr hart. Härter, als Betsey sie je zuvor gehört hatte. »Wenn du dieses Ding nach mir wirfst, Kleine, wirst du mit dem ersten Bus bei der nächsten Pflegeeltern-Vermittlungsstelle landen. Vielleicht wirst du dich ja nach einigen Jahren mit deiner Loser-Mom im Gefängnis treffen. Ihr könnt dann ein Mutter-Tochter-Wiedersehen hinter Gittern feiern.«

Wenn Billy gehofft hatte, die Kleine zum Weinen zu bringen, scheiterte er damit. Sie weinte nicht. Sie blinzelte nur ganz langsam und starrte ihn weiter an.

Dann drehten die beiden älteren Mädchen sich ohne ein Wort zueinander.

Charles’ Enkelin nickte knapp. Die mittlere Schwester holte aus und schwang mit einer für ein Kind gewaltigen Kraft die Faust mit dem Stein darin.

Ihre Knöchel trafen ihr Ziel und Betsey blinzelte erschrocken, als sie etwas in dem Gesicht des ältesten Mädchens brechen hörte, kurz bevor es zu Boden ging.

Die Jüngste schaute bei dem Geräusch auf, aber ihr Gesichtsausdruck blieb immer noch passiv. Billy dagegen fuhr erschrocken zurück.

»Was um alles in der …?«

Während er herauszufinden versuchte, was los war, packte das mittlere Mädchen seine linke Hand – und jetzt verstand Betsey das seltsam getimte Winken von vorhin – und legte sie auf die Bank. Sie hob den Stein und ließ ihn fest herunterkrachen – auf Billys Knöchel.

Als Billy vor Schmerz aufheulte, warf die mittlere Schwester den Stein in den Garten. Dann brachen sie und die Jüngste wie auf ein unhörbares Stichwort hin in eine Flut von dramatischen Tränen aus. Es war die Sorte Schluchzen, die die Aufmerksamkeit jeder Wölfin in einem Zwanzig-Meilen-Radius erregen musste.

Alle Erwachsenen aus dem Haus erschienen im Garten. Und was sahen sie?

Zwei kleine Mädchen, die hysterisch schluchzten. Ein anderes kleines Mädchen, das sich den blutenden, gebrochenen Kiefer hielt, während es tapfer versuchte, nicht zu weinen, und Billy … mit aufgeschlagenen Knöcheln.

Die Knöchel des mittleren Mädchens waren ebenfalls zerschrammt und blutig, aber es drückte seine kleine Schwester dicht an sich und hatte die Hand zur Faust geballt und an die Seite des Kindes gepresst, sodass keiner der Erwachsenen es sah.

Charles ging durch die Erwachsenen hindurch, bis er in der Mitte vor ihnen stand. Betsey hatte den älteren Wolf noch nie so erlebt. Er war immer der Gelassene gewesen. Der Vernünftige. Er war der große Friedensstifter des Rudels und sorgte dafür, dass die kleine Gruppe sich in keine Streitereien gegen größere und gemeinere Rudel verstrickte, die sie unmöglich gewinnen konnte.

Aber jetzt war Charles fuchsteufelswild. Seine braunen Augen verengten sich, er atmete schwer und sein ganzer Körper versteifte sich, während ihn alle paar Sekunden ein kleines Beben durchlief. Und während der ganzen Zeit schaute er auf Billy hinab.

Billy, der mit den Augen die Gruppe der vor ihm Stehenden absuchte und keine Freunde sah, schüttelte den Kopf und hob die Hände, die Innenflächen nach außen gedreht.

»Einen Moment mal, ich habe nicht … das war ich nicht!«

Aber da er die Hände auf diese Weise erhoben hatte, sahen alle nur das Blut, das zwischen seinen Fingern hervorquoll und langsam an seinem Handgelenk herunterlief.

Verzweifelt zeigte Billy auf das mittlere Mädchen. »Sie war das!«

Wie ein Mann sahen die Erwachsenen alle die kleine Asiatin an, die ihre Schwester im Arm hielt. Und für einen Sekundenbruchteil sah Betsey, wie sich das Gesicht des mittleren Mädchens auf eine Weise verhärtete, die ein wenig zu erwachsen war für ein so kleines Kind. Doch die Erwachsenen bemerkten es nicht, denn das jüngste Mädchen, das immer noch herzzerreißend schluchzte, behielt ihr Gesicht direkt vor dem ihrer Schwester. Mit Absicht? Betsey glaubte das eigentlich nicht. Sie schien zu jung zu sein, aber nach allem, was passiert war …

»Ich war das nicht!«, beharrte Billy. »Sie war es! Ich würde niemals ein Kind schlagen! Nie und nimmer!«

Mit einem abscheulichen Knurren, das aus tiefster Kehle kam, beugte Charles sich vor, packte Billy an seiner Lederjacke und riss ihn von der Bank.

Die Erwachsenen zerrten Billy weg und ließen die Mädchen allein.

Die Älteste zog das jüngste Mädchen auf ihren Schoß, die Arme locker um ihre Taille gelegt. Das mittlere Mädchen kam näher und bettete den Kopf an den Arm seiner Schwester. Für einen kurzen Moment sahen die Mädchen so jung aus, wie sie waren, aber sie wirkten auch ziemlich mitgenommen. Das Leben war bereits hart zu ihnen gewesen, dabei sah die Älteste so aus, als sei sie noch keine dreizehn.

Charles kam in den Garten zurück. Er runzelte die Stirn und hatte Blut an den Händen. Er ging zu den Mädchen und funkelte auf sie herab, wie es so seine Art war. Betsey war sich sicher, dass er keine Ahnung hatte, wie er auf Leute wirkte, die nicht wussten, was in seinem Kopf vorging. Aber die drei Schwestern erwiderten seinen Blick, ohne zu blinzeln.

Seufzend wandte er sich ab. Betsey wusste, dass er versuchte, herauszufinden, was er als Nächstes tun sollte. Was er mit den beiden Mädchen machen sollte, die nicht von seinem Blut waren. Die in keiner anderen Weise mit ihm verwandt waren als der, dass seine Tochter sie als ihre eigenen Kinder angenommen hatte. Aber bevor er weggehen konnte, beugte das jüngste Mädchen sich vor und ergriff seinen Zeigefinger, den sie mit ihren kleinen Fingern fest drückte.

Und so hatte Charles plötzlich drei Enkelinnen statt nur einer.

Er bückte sich und nahm die Kleinste auf den Arm.

»Kommt, beschaffen wir euch ein Zimmer und etwas zu essen«, schlug er vor, obwohl es klang wie der Befehl eines Feldwebels.

Die Älteste legte ihrem Großvater eine Hand auf den Unterarm und das mittlere Mädchen, das noch nicht so groß war wie seine ältere Schwester, klammerte sich an die Kette, mit der er sein Portemonnaie an seiner Jeans befestigte.

Gemeinsam und schweigend gingen sie zurück ins Haus.

Betsey wartete ein paar Minuten, bevor sie den Baumstamm herunterrutschte und sich in einen Menschen verwandelte. Sie zog ihre Sachen an und ging um das Gebäude herum, um durch die Vordertür ins Haus zu gelangen.

Als sie um die Garage herumkam, wartete das mittlere Mädchen auf sie. Betsey wusste, dass sie auf sie wartete.

Betsey erstarrte mitten im Schritt und schaute mit leicht geöffnetem Mund auf das Kind. Eine Zeitspanne, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, sah das Mädchen zu ihr hoch, dann legte es mit einem kaum merklichen Lächeln den Zeigefinger an die Lippen und machte: »Pst.«

Ohne ein weiteres Wort drehte es sich um und ging weg. Daraufhin nahm Betsey sich vor, ein paar weitere Kurse auf College-Niveau zu belegen, damit sie noch früher als geplant aufs College gehen konnte. Zum Beispiel nächste Woche …

Kapitel 1

Sechzehn Jahre später

Was hatte sie sich nur dabei gedacht, den »Ritt der Walküren« als Klingelton zu nehmen? Wenn dieser Mist einen um sechs Uhr morgens weckte, war das einfach nur grausam. Richtig grausam.

Und wie immer hatte sie sich das selbst zuzuschreiben. Sie hatte auf ihr Beruhigungsmittel verzichtet, damit sie sich mit zwei süßen Italienern betrinken konnte, die sie dann jedoch in den Wind geschossen hatte, sobald der erste mit dem Kopf auf den Tisch geknallt war.

Charlie Taylor-MacKilligan schlug mit der Hand gegen den Nachttisch neben ihrem Bett und suchte blind nach ihrem verdammten Telefon. Als sie es fand, war sie erleichtert. Sie hatte nicht vor, in absehbarer Zeit das Bett zu verlassen. Nicht so verkatert, wie sie gerade war. Aber dieser verdammte Klingelton musste einfach aufhören.

Irgendwie schaffte Charlie es, die richtige Stelle auf ihrem Telefondisplay zu berühren, sodass sie den Anruf tatsächlich entgegennahm, ohne auch nur den Kopf vom Kissen zu heben, in dem sie das Gesicht vergraben hatte, oder die Augen zu öffnen.

»Was?«, knurrte sie.

»Raus«, kam die Antwort. »Du musst sofort rauskommen.«

Ihren Kater vergessend, hatte Charlie das Zimmer schon halb durchquert, als die Tür eingetreten wurde. Charlie drehte sich um und rannte zu den Schiebetüren aus Glas, die sie in der Nacht zuvor offen gelassen hatte. Gerade hatte sie es auf den Balkon geschafft, als etwas Heißes sich in ihre Schulter bohrte, Fleisch und Muskeln durchtrennte und sich in ihren Knochen grub. Die Wucht des Hiebs ließ sie mit dem Kopf voraus über das Geländer fliegen.

 

»Was denkst du?«, fragte der Gestaltwandler-Schakal.

Berg Dunn, der in einem Clubsessel in seiner Hotelsuite in Mailand saß, betrachtete den Mann, der ein schwarzes Jackett hochhielt.

»Was denke ich worüber?«, fragte Berg.

»Das Jackett. Für meine Show heute Abend.«

Berg zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht.«

»Du musst doch eine Meinung haben.«

»Habe ich nicht. Ich habe glücklicherweise keine Meinung dazu, was ein erwachsener Mann, der nicht ich bin, anziehen sollte.«

Der Schakal seufzte. »Du bist zu nichts zu gebrauchen.«

»Ich habe die Aufgabe, deine verrückten Fans daran zu hindern, dich aufzuspüren und dir das Fleisch von den Knochen zu reißen. Das war’s. Das ist alles, was ich tun soll. Ich habe nie gesagt, dass ich dir in Sachen Mode weiterhelfen würde.«

Der Schakal verdrehte die Augen, legte das Jackett aufs Bett und starrte es an. Als erwarte er, dass es tatsächlich zu ihm sprechen würde.

Berg hätte sich gerne über diesen lächerlichen Job beklagt, aber wie konnte er das, wenn es der beste war, den er seit Jahren gehabt hatte? Einem sehr reichen, sehr höflichen Schakal auf Schritt und Tritt zu folgen, damit dieser für schreiende Fans in fremden Ländern Klavier spielte, war die coolste Nummer aller Zeiten.

Von allem nur das Beste: Jets. Essen. Frauen. Nicht dass Berg die Sache mit den Frauen allzu oft ausgenutzt hätte. Er wusste, dass die meisten nur versuchten, über ihn an Cooper Jean-Louis Parker heranzukommen. Coop war derjenige, der jeden Abend rausging, auf die Steinway-Klaviere einhämmerte, Dinge mit den Fingern tat, die selbst Berg faszinierend fand, und all diese entzückenden weiblichen Wesen mit seinem attraktiven Schakal-Aussehen betörte.

Berg war nur der Mann, an dem sie vorbeimussten, damit sie an das Musikgenie herankamen. Und im Gegensatz zu einigen seiner Freunde gehörte es nicht zu Bergs Lieblingsbeschäftigungen, sich von schönen Frauen benutzen zu lassen.

Es war erträglich, aber nicht seine Lieblingsbeschäftigung.

»Ich kann mich nicht entscheiden«, gestand der Schakal schließlich.

»Ich weiß, wie schwer es ist, zwischen einem schwarzen Jackett und einem anderen schwarzen Jackett zu wählen. Welches passt denn zu deinem schwarzen Rollkragenpullover?«

»Es ist nicht einfach ein anderes schwarzes Jackett, du Bauer. Es ist der Unterschied zwischen reinem Schwarz und Anthrazit.«

»Wir müssen einen Zug erwischen«, rief Berg Coop ins Gedächtnis. »Also, könntest du das beschleunigen …?«

Beide Gestaltwandler fuhren zusammen und richteten den Blick auf den Balkon vor dem Zimmer, durch dessen offene Türen die frische Morgenluft hereinwehte.

Wieder mal ein verrückter weiblicher Fan, der versuchte, in Coops Zimmer einzudringen? Einige dieser Frauen, alles Vollmenschen, waren zu jeder Verrücktheit bereit, nur auf die Chance hin, im Bett des »Maestro« zu landen.

Seufzend erhob sich Berg und ging durch das große Zimmer auf die Glasschiebetüren zu. Es sah aus, als würde er schon wieder einer bedauernswerten Frau das Herz brechen müssen.

Aber er blieb stehen, als er sie sah. Eine braunhäutige Frau, splitternackt. Was an und für sich nichts Ungewöhnliches war. Die Frauen, die versuchten, sich in Coops Zimmer zu schleichen – ganz gleich, in welchem Land sie sich befanden –, waren häufig nackt.

Was Berg wie angewurzelt stehen bleiben ließ, war die Tatsache, dass dieser Frau Blut aus der Schulter lief. Blut von einer Schussverletzung.

Berg bedeutete Coop, zurückzutreten. »Geh ins Badezimmer«, befahl er.

»Oh, ich bitte dich. Ich will sehen, was …«

»Es ist mir egal, was du willst. Geh ins …«

Sie hörten auf, sich zu streiten, als sie den Mann in schwarzer Militärmontur sahen, der mit einem Gewehr, einer Handfeuerwaffe und mehreren Messern bewaffnet war. Er rutschte in großer Geschwindigkeit an einem Seil herunter und landete auf dem Geländer ihres Balkons.

Berg legte eine Hand auf die Waffe, die er in einem Holster an seiner Seite trug, und stellte sich vor Coop.

»Geh ins Badezimmer, Coop«, befahl er mit leiser Stimme.

»Wir müssen ihr helfen.«

»Tu, was ich dir sage, und ich werde ihr helfen.«

Der Mann in Schwarz ließ sich auf den Balkon fallen, packte die bewusstlose Frau am Arm und rollte ihren schlaffen Körper herum.

»Jetzt, Coop. Los.«

Berg trat vor, die Waffe bereits in der Hand. Der Mann auf dem Balkon zog seine Pistole und drückte den Lauf an den Kopf der Frau.

Berg zielte mit seiner 45er und brüllte: »Hey!«

Der Mann schaute hoch und hob die Waffe. Ihre Blicke trafen sich, die Finger auf den Abzügen ihrer Pistolen. Beide Männer musterten sich gegenseitig. Und das war der Moment, in dem die Frau sich bewegte. Schnell. So schnell, dass Berg wusste, dass sie kein Vollmensch war, was sofort alles veränderte.

Die Frau packte die Hand mit der Pistole ihres Angreifers und drückte sie zur Seite, damit er seine Aufgabe nicht zu Ende bringen konnte. Mit ihrer freien Hand boxte sie dem Mann wiederholt ins Gesicht.

Blut quoll aus seiner zerschmetterten Nase über seine Lippen. Seine Augen wurden glasig.

Ohne das Handgelenk des Mannes loszulassen, stand die Frau auf. Sie war groß. Vielleicht eins achtzig, eins fünfundachtzig. Mit breiten, starken Schultern, Armen und insbesondere Beinen. Wie eine viel zu groß geratene Turnerin.

Sie packte ihren Angreifer mit einer Hand an der Kehle und hob ihn ohne große Anstrengung über das Balkongeländer. Dann ließ sie ihn los und fuhr aus ihrer rechten Hand die längsten Krallen aus, die Berg je gesehen hatte.

Nachdem sie sich von dem Angreifer abgewandt hatte, schlug sie mit den Krallen nach dem Seil, an das der Mann sich noch klammerte. Berg wand sich ein wenig angesichts der verzweifelten Schreie des Mannes, während er in die Tiefe stürzte.

Das war der Moment, in dem die Frau Berg sah. Ihre Krallen – die aus überraschend kleinen Händen kamen – waren immer noch ausgefahren. Ihr Blick konzentrierte sich auf ihn und sie zog ein ganz klein wenig die Schultern hoch. Sie machte sich für einen Angriff bereit. Um den Mann zu töten, der sie als Gestaltwandler outen konnte, vermutete Berg. Sie hatte noch nicht die Zeit gehabt, um zu verarbeiten, dass er selbst auch einer war. Außerdem trug er eine Waffe, was keine guten Absichten vermuten ließ.

»Alles okay«, sagte Berg schnell und steckte seine Waffe wieder ins Holster. »Alles okay. Ich tue Ihnen nichts.«

»Ja«, meldete Coop sich hinter ihm zu Wort. »Wir wollen nur helfen.«

Berg stieß frustriert den Atem aus. »Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass du ins Badezimmer gehen sollst.«

»Ich wollte sehen, was passiert.« Coop trat neben Berg. »Wir sind auch Gestaltwandler«, erklärte er und ließ sein gottverdammtes betörendes Lächeln sehen. Als sei das hier der richtige Zeitpunkt für so etwas!

Aber die Frau verdrehte nur in stummem Ärger die Augen und trat vollends in den Raum. Sie ging direkt an Berg und Coop vorbei zur Zimmertür.

»Warten Sie«, rief Berg. Als sie sich zu ihm umdrehte und fragend eine Augenbraue hochzog, rief er ihr ins Gedächtnis: »Sie sind nackt.«

Er ging zu seiner bereits gepackten Reisetasche und zog ein schwarzes T-Shirt heraus.

»Hier«, sagte er und reichte es ihr.

Sie warf sich das T-Shirt über und er sah, dass er ihr eins seiner liebsten Band-T-Shirts von einem Fishbone-Konzert gegeben hatte, bei dem er vor Jahren zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern gewesen war.

»Ihre Schulter«, erinnerte Berg die Frau und beschloss, kein Theater wegen des T-Shirts zu machen. Vor allem, da sie darin so süß aussah.

Sie schüttelte den Kopf und machte noch einen Schritt in Richtung Tür. Doch ein Krachen aus dem Wohnzimmer der Suite veranlasste Berg, mit einer Hand den Arm der Frau zu packen und mit der anderen Coop quer durchs Schlafzimmer ins Bad zu schieben.

Berg stellte sich dem neuen Eindringling entgegen und zog die Frau hinter sich.

Zwei Pistolenschüsse trafen Berg im unteren Bereich seiner Brust – der Mann hatte abgedrückt, ohne Berg ganz zu sehen, und er hatte einen Menschen von normalerer Größe erwartet.

Was Berg einiges verriet. Offensichtlich hatte er es mit einem Vollmenschen zu tun. Mit einem bestens ausgebildeten Vollmenschen. Einem Exsoldaten wahrscheinlich.

Einem Exsoldaten mit dem Befehl, zu töten.

Wenn der Mann die Frau hätte entführen wollen, hätte er verdammt noch mal dafür gesorgt, dass er wusste, wen oder was er vor sich hatte, bevor er abdrückte. Aber er wusste es nicht. Er schaute nicht nach, weil es ihm egal war. Alle im Raum sollten sterben.

Dieses Wissen – diese Einsicht – tat nichts anderes, als Berg zu ärgern.

Wer lief herum und versuchte, eine nackte, unbewaffnete Frau zu töten?, wollte die analytische Seite in ihm wissen.

Doch der Grizzly-Anteil von ihm scherte sich darum kein bisschen. Er wusste nur, dass er angeschossen worden war. Und auf einen Grizzly zu schießen, ohne ihn sofort zu töten … das war immer eine außerordentlich schlechte Idee.

Ein Knurren kroch aus Bergs Kehle und die Muskeln zwischen seinen Schultern wuchsen zu einem gesunden Grizzlybuckel. Er schaffe es nur noch mit knapper Not, sich nicht ganz zu verwandeln, aber sein Grizzlybärenzorn brach aus ihm heraus und sein Brüllen ließ die Fenster klirren. Die Badezimmertür hinter ihm schlug zu. Jetzt war der Schakal vernünftig genug, sich zu verstecken.

Der Eindringling wich rasch zurück, weil er begriff, dass irgendetwas nicht stimmte, ohne es ganz zu verstehen. Und deshalb rannte er nicht weg.

Er hätte es lieber tun sollen.

Mit einem einzigen Schritt war Berg direkt vor ihm, riss ihm die Waffe aus der Hand und wirbelte den Mann herum, sodass er ihn an der Kehle zu fassen bekam. Er tat das, weil gerade zwei weitere Männer in Kampfausrüstung durch die Eingangstür, die sie nur Sekunden zuvor eingetreten hatten, in die Suite eindrangen.

Mit der Waffe des Mannes schoss Berg jedem der beiden Neuankömmlinge zweimal in die Brust. Sie trugen Schutzwesten, sodass er sich keine Sorgen machte, dass er sie getötet haben könnte.

Nachdem er beide Angreifer unschädlich gemacht hatte, konzentrierte Berg sich wieder auf den Mann, den er immer noch festhielt. Er wirbelte ihn herum, weil er ihn fragen wollte, was zur Hölle hier vor sich ging. Er war jetzt gelassener. Er konnte vernünftig sein.

Aber als der Mann sich wieder zu ihm umdrehte, verspürte Berg ein kleines Zwicken in der Seite. Er schaute langsam nach unten … und entdeckte ein Kampfmesser, das aus seinem Fleisch ragte.

Zuerst war er angeschossen, jetzt mit einem Messer verletzt worden.

Sein Grizzlyzorn kochte wieder hoch. Als der Eindringling – der seinen Fehler schnell erkannte – versuchte, sich aus Bergs Umklammerung freizukämpfen, während er verzweifelt um sein Leben bettelte, umfasste Berg mit beiden Händen das Gesicht seines Angreifers und drückte zu … bis der Kopf des Mannes wie ein Pickel aufplatzte.

Es waren das Blut und die Knochen, die ihm ins Gesicht flogen, die Berg wieder ins Hier und Jetzt zurückholten. Er schaute auf seine Hände voller Hirnmasse herunter.

»Oh, Scheiße«, murmelte er. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.«

Die anderen Eindringlinge, die den Schmerz von den Schüssen ignorierten, rappelten sich hoch und rannten aus der Suite. So weit weg von Berg, wie sie nur konnten.

Jemand berührte ihn am Arm. Er drehte sich ein Stück weit und sah die Frau. Sie hob die Hände und belohnte ihn mit einem sanften Lächeln.

Da beruhigte er sich endlich. »Scheiße«, sagte er noch einmal und streckte ihr die Hände entgegen.

Sie trat näher, umfasste seine Handgelenke und sah sich die Klinge genau an, die immer noch aus seiner Seite ragte. Dann untersuchte sie die Wunden an seiner Brust. Anders als die Eindringlinge hatte er keine Schutzweste angehabt. Die Kugeln hatten ihn zwar getroffen und waren in seinen Körper eingedrungen, doch er war ein Grizzly. Selbst wenn er seine menschliche Gestalt hatte, musste man schon größere Waffen mitbringen, wenn man ihn mit ein oder zwei Schüssen niederstrecken wollte.

Berg genügte ein Blick auf die Frau, um zu wissen, dass sie ihm helfen wollte. Sie würde es versuchen. Doch war sie in größerer Gefahr als er und sie musste weg von hier.

»Gehen Sie«, sagte er zu ihr und sie runzelte die Stirn. »Im Ernst. Gehen Sie.«

Er löste sich von ihr, trat zu seiner Reisetasche, hielt inne, um sich an einem Handtuch das Blut von den Händen zu wischen, holte eine 45er Ruger heraus und reichte sie ihr. »Nehmen Sie die hier.«

Ihre Augen verengten sich wieder und sie schaute zu ihm hoch.

»Ich habe das Gefühl, dass Sie die Waffe dringender brauchen als ich«, drängte er. »Aber gehen Sie.«

Sie nahm die Waffe, zog das Magazin heraus, vergewisserte sich mit einer Hand, dass die Waffe ungeladen war, bevor sie das Magazin wieder hineinsteckte und eine Patrone in die Kammer schob.

Ja. Die Frau wusste, wie sie mit seiner 45er umgehen musste. Vielleicht besser als er selbst.

Sie drückte mit ihrer freien Hand seinen Unterarm, dann schlüpfte sie mit einem Nicken zur Tür hinaus und verließ die Suite.

»Kann ich jetzt rauskommen?«, fragte Coop aus dem Badezimmer. Bevor Berg verneinen konnte, stand der Schakal auch schon hinter ihm.

»Nun …«, murmelte Coop, »das war interessant.«

»Das kannst du laut sagen.«

»Du blutest.«

»Ja. Und bitte hör auf, an dem Messer herumzuspielen.«

Coop nahm die Hand vom Griff der Klinge und versuchte, zerknirscht zu wirken. »Entschuldige. Tut es weh?«

Berg musterte ihn stirnrunzelnd und Coop nickte. »Ich werte diesen funkelnden Blick mal als ein Ja. Vielleicht sollte ich an der Rezeption anrufen.« Er ging zum Telefon auf dem Nachttisch neben dem Bett. »Glaubst du, wir erwischen unseren Zug noch?«, fragte der Schakal.

Langsam drehte Berg sich zu Coop um und bemerkte: »Du bist an das reale Leben nicht gewöhnt, nicht wahr?«

»Nicht wirklich. Warum?«

»Das hier wird hohe Wellen schlagen.« Als Coop den Kopf schief legte wie ein verwirrter Schnauzer, fügte Berg hinzu: »Jemand ist gewaltsam in das Hotelzimmer eines großen Penis eingedrungen.«

»Das heißt Pianist.«

»Ja. Habe ich doch gesagt.« Nein. Hatte er nicht. »Wie dem auch sei, wir müssen unsere Geschichten absprechen. Und wir sollten das Mädchen da heraushalten.«

»Oh.« Coop dachte einen Moment lang nach, den Hörer lose in der Hand. Schließlich sagte er: »Ich rufe zuerst meine Schwester an.«

»Warum?«

»Wenn irgendjemand das regeln kann, dann ist es Toni.« Coop ächzte. »Aber sie wird böse auf dich sein. Du weißt schon, weil du es zugelassen hast.«

»Du bist am Leben, oder nicht?«

»Ja, und ich bin dir ziemlich dankbar. Ich mache dich auch überhaupt nicht für die Sache hier verantwortlich. Aber meine Schwester ist nicht so … aufgeschlossen. Darauf solltest du dich innerlich einstellen.«

»Ich bin mir sicher, ich werde mit einer Schakalin fertig.«

Coop nahm sein Handy, um seine Schwester anzurufen, und kicherte: »Ja, klar. Natürlich wirst du das.«

Berg schaute zu der offenen Schlafzimmertür und fragte: »Glaubst du, ich werde sie je wiedersehen?«

»Das Mädchen, das nie hier war?«, fragte Coop zurück. Er zuckte die Achseln, während er darauf wartete, dass am anderen Ende der Leitung jemand an den Apparat ging. »Wenn du die Liste der ›meistgesuchten Personen‹ des FBI im Auge behältst … sicher! Denn sehen wir den Tatsachen ins Auge: Das ist eine Frau, der der Ärger zu folgen scheint wie ein hilfloser Welpe.«

 

Charlie ignorierte den Aufzug und suchte die Treppe. Sie lief nach unten zur Tiefgarage. Während sie weiter die Waffe des freundlichen Riesen hielt, öffnete sie vorsichtig die Tür. Sie spähte durch den Spalt, sah niemanden und lief daraufhin auf den Ausgang zu.

Sie fädelte sich durch die teuren Autos hindurch, hielt sich geduckt und bewegte sich schnell. An einem Parkdiener vorbei flitzte sie hinaus aus der Tiefgarage. Charlie ging die Straße entlang und wich einer überraschenden Anzahl von Leuten aus, die so früh schon unterwegs waren. Sie hatte gerade die Ecke erreicht, als ein Mann in schwarzer Militärausrüstung und schusssicherer Weste vor sie trat. Sie hoben beide gleichzeitig ihre Waffen und Charlie war bereits dabei, abzudrücken, als ein Lamborghini auf den Bordstein zuschoss und den Mann rammte. Die Kugeln beider Waffen verfehlten ihr Ziel, aber jetzt lag ihr Angreifer auf dem Boden und schrie vor Schmerz, während das Beifahrerfenster heruntergelassen wurde und Charlie das vertraute – und, wenn man die Umstände bedachte, schockierend beiläufige – »Hey, Arschgesicht« hörte.

Die zierliche Asiatin mit dem blau gefärbten Kurzhaarschnitt grinste sie an. Sie waren Schwestern, aber das würde man nie erraten, wenn man sie anschaute.

Max MacKilligan fragte: »Hast du mich vermisst?«

»Kannst du einfach losfahren?« Charlie setzte sich auf den Beifahrersitz. »Aber sei vorsichtig. An deinem Kühlergrill klebt noch ein Mensch.«

»Hätte ich ihn dich erschießen lassen sollen? Was für eine Schwester wäre ich denn dann?«

»Eine, die ich nicht in einem italienischen Gefängnis besuchen muss.«

Kichernd legte Max den Rückwärtsgang ein und Charlie versuchte, das kurzlebige Betteln und das langgezogene Knirschen zu ignorieren, das unter dem Wagen zu hören war, als sie abfuhren. Charlie wusste, dass ihre Schwester sich absichtlich die Zeit nahm, um noch einmal rückwärts über den Schützen zu fahren. Max »Kill it Again« MacKilligan war für ihre Rachsucht bekannt.

Als sie endlich durch den frühmorgendlichen Mailänder Verkehr fuhren, zeigte Max nach unten. »Schau neben deine Füße.«

Charlie tat es und fand ein Kästchen. Sie öffnete es und stieß einen erleichterten Seufzer aus.

»Danke«, sagte sie und setzte die Sonnenbrille auf. Plötzlich konnte sie wieder scharf sehen. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich ihre normale Brille vom Nachttisch zu nehmen, bevor sie flüchten musste, und sie hatte sich schon seit einigen Monaten nicht mehr ihr Rezept für die Kontaktlinsen abgeholt. Sie vergaß es immer wieder. Also war während der letzten fünfzehn Minuten alles verschwommen gewesen. Selbst der hilfreiche Riese war nur ein großer, verschwommener Fleck gewesen. Sie hätte ganz dicht an sein Gesicht gehen müssen, um ihn identifizieren zu können. Aber er hatte sich süß angehört. Und so nett!

»Besser?«, fragte Max sie.

»Viel besser. Ich kann jetzt sehen, wer versucht, mich umzubringen.« Sie schaute zu Max hinüber und wand sich sofort bei dem Anblick, der sich ihr bot. »Oh, wow. Sie haben dich wirklich windelweich geschlagen.«

»Entschuldige mal«, erwiderte Max entrüstet. »Diese Schnittwunden und Blutergüsse habe ich nicht wegen der Männer, die da waren, um mich zu töten. Um diese Säcke habe ich mich mit meinem üblichen Elan gekümmert.«

»Aha. Wie ist es denn dann passiert?«

»Warum müssen wir darüber reden? Unser Leben ist in Gefahr.«

Charlie betrachtete ihre Schwester ein paar Sekunden lang, bevor sie drauflos riet: »Wieder Eichhörnchen?«

»Die haben angefangen!«

»Es ist doch schön zu sehen, dass sich nichts geändert hat, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.« Charlie sah aus dem Fenster, aber sie musste den Blick abwenden. Ihre Schwester fuhr so schnell, dass ihr davon irgendwie übel wurde. »Was ist mit Stevie?«

»Ich warte auf Neuigkeiten von ihrem Boss.«

»Von ihrem Boss?«

»Sie geht nicht an ihr Handy und ihre Assistenten haben keine Ahnung, wo sie ist.«

»Befindet sie sich immer noch in der Schweiz?«

Max zuckte die Achseln. »Vielleicht. Und hör auf, mich so anzufunkeln.«

»Wie schwer ist es, eine einzelne Frau im Auge zu behalten? Sechs Monate ich und sechs Monate du. Das war unsere Abmachung.«

»Warum sind wir immer noch für sie verantwortlich?«

»Weil sie unsere Schwester ist und wir sie lieben und wenn wir nicht auf sie aufpassen, lässt sie sich mit den falschen Leuten ein und zerstört die Welt. Willst du das?«

»Immer stellst du mir diese Frage und immer bist du enttäuscht von meiner Antwort.«

Charlie seufzte. »Nun, wir müssen sie finden.«

»Ich weiß.«

»Sie ist in genauso großer Gefahr wie wir.«

»Ich weiß.«

»Sie haben uns ausgebildetes Militär auf den Hals gehetzt.«

»Ich weiß.«

»Und ich weiß, dass dieses Auto gestohlen ist.«

»Natürlich ist es gestohlen.«

»Nun, das scheint ein Problem zu sein, da wir Cops hinter uns haben.«

»Schnall dich an.«

»Oh Gott.« Charlie legte den Sicherheitsgurt an. »Wir werden sterben, bevor wir überhaupt bei ihr sind.«

»Hör auf zu jammern. Du weißt doch, wie schwer es ist, uns zu töten.«

»Schwer zu töten bedeutet nicht, dass wir nicht bei tragischen Autounfällen Körperteile verlieren können. Und es wird uns wahrscheinlich nicht gelingen, unsere kleine Schwester zu retten, wenn wir beide im Gefängnis sitzen … ohne Beine.«

»Woher hast du nur diese Idee, dass wir die Beine verlieren könnten?«

»Es könnte passieren!«

Max schaltete einen Gang herunter und fuhr beim Abbiegen schwungvoll um einen Pick-up-Truck herum, wobei sie dessen vorderen Kotflügel nur knapp verfehlte.

»Ich verstehe nicht, warum du dir unbedingt über etwas Sorgen machen willst, das vielleicht passiert und vielleicht auch nicht«, bemerkte Maxie beiläufig, als eine Gruppe von Nonnen ihr aus dem Weg sprang. Ihre panischen Schreie entsetzten Charlie. »Wenn du deine Beine verlierst, werde ich dir einen Rollstuhl mit einem Ferrarimotor besorgen, der in vier Sekunden von null auf hundert beschleunigt. Wäre das nicht toll?«

Die Hände gegen das Armaturenbrett gepresst, gestand Charlie: »Ich hätte meine Beine lieber an meinem Körper befestigt.«

»Das ist so engstirnig. Was ist mit bionischen Beinen?«

»Schulkinder«, warnte Charlie.

»Bionische Beine wäre so cool.«

»Schulkinder!«

»Ich sehe sie. Beruhig dich.«

Der Wagen hielt an – irgendwie – und Max wartete geduldig, bis die Kinder und ihre Lehrer die Straße überquert hatten. Aus dem Nichts begann Max, ein Lied der Fernsehserie »H. R. Pufnstuf« zu pfeifen. Charlie hatte keine Ahnung, warum, aber sie gab ihrer Mutter die Schuld. Sie hatte diesen Scheiß geliebt und ihre Kinder gezwungen, sich die Wiederholungen anzusehen, als sie noch zu klein gewesen waren, um sich dagegen zu wehren.

Sobald die Kinder sicher aus dem Weg waren, trat Maxie wieder aufs Gaspedal und donnerte die Straße entlang. Immer noch vor sich hinpfeifend.

»Wir brauchen einen neuen Wagen«, eröffnete Charlie ihrer Schwester, als die Cops sie wieder eingeholt hatten.

»Was gibt es an diesem hier auszusetzen?«

»Eine Menge.«

Maxies Telefon klingelte und sie ließ es sich nicht nehmen, eine Hand vom Lenkrad zu nehmen, um den Anruf entgegenzunehmen.

»Aha. Ja, klar. Okay. Vielen Dank, Sir.«

Sie beendete das Gespräch und sah Charlie an.

»Was ist?«, drängte Charlie, als ihre Schwester nichts sagte.

»Sie brauchte eine Pause.«

»Eine Pause? Sie brauchte eine Pause? Was bedeutet das?«

»Du weißt, was das bedeutet, Charlie.«

»Weiß ich das?« Charlie dachte einen Moment lang nach, dann verdrehte sie die Augen. »Oh, ich bitte dich! Schon wieder?«

»Du kennst sie doch. Aber hey! Zumindest ist sie noch in der Schweiz. Wir werden im Handumdrehen dort sein.«

»Aber sie ist in einer Nervenheilanstalt! Keiner Ferienanlage!«

»Für sie sind alle Nervenheilanstalten Ferienanlagen. Außerdem könnte es schlimmer sein«, erwiderte Max fröhlich. »Das alles könnte so viel schlimmer sein!«

Charlie schüttelte den Kopf. »Mann, ich wüsste wirklich nicht, wie.«

Kapitel 2

Der schwarze SUV, ein Mercedes-Benz AMGG63, bremste vor der Klinik für geistige Gesundheit und Rehabilitation.

Normalerweise kamen nur die wohlhabendsten europäischen Adligen hierher. Die meisten Amerikaner wussten nicht einmal von der Existenz der Klinik, aber Charlies kleine Schwester hatte eine Gabe – sie konnte hochkarätige Nervenheilanstalten überall auf der Welt aufspüren. Und sie alle schienen die gleichen Annehmlichkeiten zu bieten wie eine Kurklinik: Fünf-Sterne-Köche, die die Mahlzeiten zubereiteten, und Gruppentherapien, etwas, das Charlies Schwester offensichtlich gefiel.

Die erste Klinik, in die Stevie Stasiuk-MacKilligan sich in ihrem Leben hatte einliefern lassen, war irgendwo in Malibu und kostete einen Tausender am Tag. Doch sie bezahlte nie auch nur einen Cent. Darum kümmerte sich das Labor, in dem sie ein »Praktikum« machte. Das Labor war auch die Erklärung dafür, warum sich niemand bemühte zu fragen, warum eine damals noch Vierzehnjährige sich ohne ein Elternteil oder einen Vormund in Sichtweite in eine psychiatrische Klinik in Malibu einliefern konnte.

Und was entdeckten diese brillanten und kostspieligen Psychologen über die Jahre hinweg bei Stevie? Genau das, was Charlie bereits wusste: Dass ihre Schwester ein übernervöses Wunderkind war, das unter extremen Panikattacken litt, wie jedes verlassene Kind es tun würde.

Stevies Mutter, eine sibirische Tigerin aus einer sehr wohlhabenden Familie, war eines Tages vor Carlie Taylors Tür aufgetaucht und hatte sie gebeten, für »einige Stunden« auf die fünfjährige Stevie aufzupassen. Charlies Mom, eine Wölfin, die es nie gelernt hatte, zu irgendjemandem Nein zu sagen (außer zu Charlies Großvater), stimmte zu. Nach drei Tagen erklärte sie Charlie und Max, dass es so aussehe, als würde ihre kleine Schwester bleiben. Ob das nicht großartig sei?

Damals fand Charlie das überhaupt nicht großartig. Es war schlimm genug, dass sie bereits eine der ausrangierten Gören ihres Vaters aufgenommen hatten; jetzt hatten sie zwei. Aber Ersteres war zumindest nachvollziehbar gewesen, weil Max’ Mutter wegen eines bewaffneten Raubüberfalls in einem bulgarischen Gefängnis einsaß. Sie konnte sich nicht um ihr Kind kümmern. Aber die Tigerin … sie war einfach weggegangen und hatte ihre eigene Tochter zurückgelassen.

Natürlich ließ Stevie sich davon nicht beirren. Ihrer Meinung nach gab es so viele Dinge im Universum, um die sie sich Sorgen machen musste, dass die Tatsache, dass ihre Mutter sie zurückgelassen hatte, nicht wichtig genug schien, um einen Groll zu hegen.

Also tat Charlie das für sie. Sie war sehr gut im Grollhegen. Man brauchte nur ihren idiotischen Vater zu fragen.

Charlie traf sich mit ihrer Schwester vor dem SUV.

»In Ordnung«, begann Charlie. »Du weißt ja, wie das läuft.«

Max nickte und erwiderte tonlos: »Reingehen. Alle umbringen. Stevie rausholen.«

Charlie schloss kurz die Augen, nahm sich einen Moment Zeit, um durchzuatmen und zu versuchen, die Schultern zu entspannen. Als sie das Gefühl hatte, dass sie nicht herumbrüllen würde, sagte sie: »Nein, so läuft es nicht.«

»Könnte es aber.«

»Könnte, tut es aber nicht. Es läuft so, dass wir reingehen, ich das Reden übernehme und du nicht auf Stevie rumhackst.«

»Sie ist zu empfindlich.«

»Aber nur weil du das bereits weißt, wirst du nicht auf ihr herumhacken.«

Max lächelte. »Was ist, wenn ich es aber machen will?«

»Dann werde ich ihr diesmal erlauben, dir ein Auge auszukratzen. Und du wirst dann eine Augenklappe tragen … und wir können dich Einauge McGee nennen.«

Lachend ging Max zur Eingangstür, dicht gefolgt von Charlie.

Als sie eintraten, schauten sie einander an. Stevie hatte wirklich den Bogen raus, wenn es darum ging, wunderschöne Kliniken für psychisch Kranke zu finden.

Hier gab es weißen Marmor und wunderschöne weiße Möbel. Vor weißen Sofas lagen atemberaubende und teure orientalische Teppiche. Couch- und Beistelltische aus weißem Marmor standen darauf. Deckenhohe Fenster zeigten die bemerkenswerte Schönheit der Schweizer Landschaft, die das Gebäude umgab.

»Ihr macht Witze«, murmelte Max und starrte zu den kathedralenartigen Decken empor. »Ich glaube, ich fühle mich psychisch krank, denn ich könnte etwas Valium und eine Massage gebrauchen.«

»Hör auf damit.« Charlie packte Max am Arm und zog sie zur Anmeldung, die nicht weiß war, sondern aus durchsichtigem Glas bestand und tipptopp sauber war. Die atemberaubende Frau, die auf der anderen Seite in einem weißen Hemd und einem engen weißen Rock saß, entblößte perfekte weiße Zähne.

»Hallo. Sprechen Sie Englisch?«, fragte Charlie auf Deutsch.

»Ja«, antwortete sie sofort. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich würde gern meine Schwester besuchen. Stevie MacKilligan.«

»Nehmen Sie doch bitte Platz. Ich verständige ihren Arzt.«

»Danke.«

Charlie ging zu einem der Sofas, aber es war so weiß, dass sie ihren alles andere als sauberen Leib nicht darauf niederlassen wollte. Max hatte ein zusätzliches Paar Jeans und knallrote Keds in Charlies Größe dabeigehabt – sie hatten immer Ersatzkleidung füreinander. Daher spazierte Charlie jetzt nicht nur mit einem T-Shirt bekleidet herum, aber sie hatte keine Zeit für eine Dusche gehabt. Stattdessen hatten sie nur einen kurzen Stopp an einer Tankstelle gemacht, wo Charlie sich das Blut abgewaschen hatte und sich von Max die Schulter verbinden ließ, damit die Schusswunden ohne größere Probleme heilen konnten.

Für Charlie wäre nichts demütigender gewesen, als von diesem strahlend weißen Sofa aufzustehen und einen beklagenswerten Fleck zu hinterlassen. Aber Max schien damit kein Problem zu haben. Sie drehte sich um und ließ sich auf das Sofa fallen, als gehöre es ihr.

Max machte sich sowieso um nichts solche Sorgen wie Charlie, was Charlie beunruhigte. Sie wusste, dass Max tollkühn sein konnte, auch wenn es gar nicht notwendig war. Doch Max gelang es irgendwie immer, sich aus jeder Situation, in die sie sich hineinmanövriert hatte, auch wieder herauszuwinden. Und wenn sie sich nicht herauswinden konnte, griff sie, ohne lange zu fackeln, frontal an.

So waren sie, die Honigdachse.

Max zog einen kleinen Beutel Erdnüsse mit Honigkruste aus der Gesäßtasche ihrer Jeans und fing an zu knabbern, wobei sie nach jeder Handvoll, die sie sich in den Mund steckte, die Hände an der weißen Couch abwischte.

»Mann.«

Max schaute auf. »Was?«

»Du bist so ein Ferkel.«

»Na und?« Max lächelte dieses entzückende, aber trotzdem abstoßende Lächeln. »Wir müssen das Sofa ja nicht sauber machen.«

»Mann.«

Charlies Schwester verdrehte die Augen, schob das fast leere Beutelchen zurück in ihre Jeans und wischte sich die Hände aneinander ab. Dann deutete sie auf eine Stelle hinter Charlie, und als Charlie sich umdrehte, sah sie einen Mann auf sich zukommen. Er trug einen weißen Kittel und hielt ein Klemmbrett in der Hand. Außerdem hatte er eine goldene Rolex am Arm und Gucci-Lederschuhe an den Füßen.

Der Arzt hatte einen kostspieligen Geschmack.

Lächelnd streckte Charlie ihm sofort die Hand hin.

»Meine Damen«, begrüßte der Arzt sie und umfasste Charlies Hand. Er wollte auch Max die Hand schütteln, aber Max starrte ihn nur an, bis er die Hand zurückzog. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, vom Sofa aufzustehen.

»Sprechen Sie Englisch?«, fragte Charlie.

»Natürlich«, antwortete der Arzt. »Ich bin Doktor Gärtner. Ich bin der Leiter der Klinik. Kommen Sie. Lassen Sie uns in meinem Büro weiterreden.«

Er führte Charlie und ihre Schwester durch einen breiten Flur, in dem man durch weitere große, prächtige Fenster einen Blick auf den Hof vor dem Gebäude hatte.

»Ihr Zentrum ist wunderschön«, bemerkte Charlie im Gehen.

»Ah, danke«, sagte er auf Deutsch, dann korrigierte er sich und sprach wieder Englisch. »Vielen Dank, meine ich. Wir sind sehr stolz darauf.« Er führte sie in ein großes Büro mit weißen Ledersesseln und Sofas und noch mehr Fenstern, die weitere beeindruckende Aussichten boten.

Kein Wunder, dass ihre Schwester hierhergekommen war, um sich eine Pause zu gönnen. Es war viel besser als jedes Wellnesshotel, in dem Charlie je gewesen war.

»Bitte. Nehmen Sie Platz«, bot der Arzt mit einem Lächeln an. Charlie bemerkte sofort, dass der Mann bis auf eine Lampe, eine Schreibunterlage und ein Telefon nichts auf seinem Schreibtisch liegen hatte.

Maxie ließ sich auf einen Sessel fallen und schwang die Beine hoch, um sie auf den gläsernen Schreibtisch des Mannes zu legen, bevor Charlie sie wieder herunterstieß. Mit einem warnenden Blick auf ihre grinsende Schwester setzte Charlie sich ganz vorne auf die Kante ihres Sessels. Ihr wurde langsam klar, dass sie Max im Auto hätte lassen sollen.

»Also, wie kann ich den Damen helfen?«

»Wir würden gern unsere Schwester sehen.«

»Ah, unser liebes Fräulein MacKilligan.«

»Doktor MacKilligan«, korrigierte Charlie ihn gewohnheitsmäßig. Als Max sie mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah, rief sie ihrer Schwester ins Gedächtnis: »Sie hat hart an ihrer Dissertation gearbeitet.«

»Stimmt, stimmt.« Gärtner lächelte immer noch. »Sie ist eine unserer Lieblingspatientinnen hier. Bei unseren Gruppensitzungen ist sie immer sehr hilfreich.«

Max schnaubte, aber Charlie beugte sich schnell vor, um die Aufmerksamkeit des Arztes weiter auf sich zu lenken. »Ich bin so froh, dass sie hier ist und die Hilfe bekommt, die sie braucht, Doktor Gärtner. Aber wir würden sie wirklich liebend gern für ein paar Minuten sehen.«

»Ich bin mir sicher, dass wir etwas arrangieren können … in einigen Wochen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es zu … ähm … früh im Heilungsprozess für ein Treffen mit den Angehörigen. Verstehen Sie?«

Bevor Charlie ihm auf die denkbar höflichste Weise erklären konnte, dass sie das nicht verstand, schlug Max mit der Faust auf den teuer aussehenden Glasschreibtisch und verkündete: »Arschloch, wir wollen sofort unsere Schwester sehen!«

»Max!«, blaffte Charlie und sah ihrer Schwester streng in die Augen. »Könntest du mich das regeln lassen, Schätzchen? Danke.« Charlie wandte sich wieder an den Arzt und zuckte hilflos die Achseln. »Tut mir so leid. Wir hatten eine Menge Stress und …«

»Da bin ich mir sicher. Aber Sie verstehen schon, dass das ein Teil des Problems ist, nicht wahr?«

Charlie schüttelte den Kopf. »Wie meinen Sie das?«

»Fräulein MacKilligan …«

»Doktor.«

»… kann sich diese Art Stress von außen, die Sie und ihre Schwester mitbringen, nicht leisten. Wir nähern uns einem Durchbruch. Aber Sie beide …«

Blinzelnd fragte Charlie: »Sie sagen, dass wir« – und sie deutete mit dem Zeigefinger zwischen sich selbst und Max hin und her – »der Grund für Stevies Probleme sind? Ist es das, was Sie uns sagen wollen?«

»Ihre Schwester liebt sie«, betonte Doktor Gärtner. »Aber Sie beide sind … und es tut mir leid, dass so unverblümt auszudrücken … ein schrecklicher Umgang für sie.«

Max schnalzte mit der Zunge und sah Charlie an. »Darf ich ihn jetzt schlagen?«

»Nein.« Nicht dass Charlie nicht versucht gewesen wäre, Max auf den trefflichen Doktor loszulassen, aber auch wenn dieses Gebäude vielleicht aussah wie ein Wellness-Hotel, war es das nicht. Es war eine Nervenheilanstalt. Mit sehr großen Pflegern.

Charlie versuchte es noch einmal. »Ich verstehe Ihre Besorgnis, Herr Doktor. Wirklich. Aber wenn ich nur drei Minuten allein mit meiner Schwester sein könnte, würde ich absolut …«

»Nein«, sagte der Arzt energisch auf Deutsch, wenn auch mit einem selbstgefälligen Lächeln auf dem Gesicht, von dem Charlie sich verzweifelt wünschte, es ihm herunterzuschlagen.

Der Arzt stand auf. »Aber ich werde ihr mitteilen, dass Sie hier waren, wenn ich den Zeitpunkt für richtig halte. Wir bereiten dann ein kontrolliertes Treffen zwischen Ihnen dreien vor. Sehr bald.«

Charlie hätte sich am liebsten über den Schreibtisch gebeugt und dem guten Doktor die Nase abgerissen, aber sie hatte keine Chance dazu. Sie war viel zu beschäftigt damit, Max festzuhalten und sie zurückzuzerren, bevor die Dächsin den Glastisch überwinden und sich um Gärtners Körper schlingen konnte wie eine Python. Charlie stand auf und zog Max hinter sich her, ihr Griff fest auf dem harten Rücken ihrer Schwester.

»Nun«, sagte Charlie und zerrte ihre knurrende Schwester mit sich, »wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören, Herr Doktor. Ich bin mir sicher, Sie haben meine Nummer in Ihren Unterlagen.«

»Natürlich.«

Charlie ging zur Glastür und öffnete sie. Sie schob ihre Schwester hinaus und zischte eine Warnung, als Max sich umdrehte, um wieder in das Büro des Arztes zurückzukehren.

Als sie zur Vorderseite des Gebäudes gingen, schaute Charlie sich um und sah mehrere Pfleger, die ihnen folgten, um sich davon zu überzeugen, dass die beiden Frauen das Gebäude verließen, ohne großen Wirbel zu machen.

Sobald sie draußen waren – die Pfleger standen an den Türen und hinderten sie daran, wieder hereinzukommen –, blieben Charlie und Max vor der Beifahrertür des SUV stehen und sahen sich an.

»Darf ich jetzt reingehen und alle umbringen?«, fragte Max.

»Nein.«

»Du und deine halbhündische Moral. Sie kommt einem immer in die Quere.«

»Ich weiß, du arbeitest hart daran, ein Soziopath zu werden, aber lass es bleiben.«

»Soziopathie liegt im Auge des …«

»… forensischen Psychologen, der für die Staatsanwaltschaft arbeitet?«

 

Berg wurde in das nächstgelegene Krankenhaus geschickt, um seine Wunden untersuchen zu lassen, aber die Cops vor Ort stellten klar, dass es ihnen nicht gefiel, was Berg und Coop ihnen zu verkaufen versuchten. Die Ermittler wussten, dass die beiden etwas verbargen, sie waren sich nur nicht sicher, was genau das war.

Es half, dass Coop nicht einfach nur Coop war, sondern Cooper Jean-Louis Parker, Meistermusiker und ehemaliges Wunderkind. Die italienischen Behörden konnten sie nicht unbegrenzt unter Druck setzen, vor allem, da sie bereits die Konsequenzen dafür tragen mussten, dass Jean-Louis Parker in ihrer Stadt angegriffen worden war. Jeder Nachrichtendienst – sogar in den Vereinigten Staaten! – berichtete über den Angriff und was dem allseits beliebten amerikanischen Maestro widerfahren war.

Der erste Arzt, der in den Behandlungsraum gekommen war, war ein Vollmensch gewesen, und nachdem er Bergs Wunden untersucht hatte, war er unvermittelt gegangen. Einige Minuten später kam eine Ärztin herein. Sie war älter, mit unglaublich langen Beinen und einem starken, schlanken Körper. Eine Gepardin. Ihre Nase zuckte einmal und sie grinste Berg an.

»Sie haben meinen Kollegen beunruhigt«, sagte sie mit einem entzückenden Akzent auf Englisch. »Er dachte, Sie nähmen Steroide, weil Sie so kräftig sind. Dann hat er gesehen, dass Ihre Wunden bereits zu heilen beginnen …« Sie wusch sich die Hände, trocknete sie ab und zog sich Handschuhe über. »Er hatte vor, Tests zu machen und Sie über Nacht stationär aufzunehmen. Ich habe ihm gesagt, das sei nicht nötig.« Sie grinste und entblößte für einen Moment ihre Reißzähne. »Ich bin der Boss, also muss er auf mich hören. Er hasst es«, fügte sie achselzuckend hinzu, »aber aus irgendeinem Grund scheine ich ihm Angst zu machen.«

Sie beugte sich vor, untersuchte die Wunde in Bergs Seite und drückte an seinem Fleisch herum. Es tat höllisch weh, aber das würde er einer Katze gegenüber nie zugeben.

»Die Verletzung heilt bereits. Es hat keinen Sinn, noch mehr zu tun.« Sie richtete sich auf und betrachtete eingehend die Schusswunden an seiner Brust. »Die verheilen auch, aber ich werde sie noch einmal öffnen müssen, um die Kugeln herauszuholen. Wir wollen schließlich nicht, dass die Haut darüberwächst. Das könnte zu einer Infektion und Fieber führen.« Sie drückte ihm das Handgelenk auf die Stirn. »Gut. Bisher haben Sie kein Fieber. Ich beeile mich. Sie brauchen keine Vollnarkose, bevor ich anfange, oder?«

»Eine örtliche Betäubung wäre … Auuu!«

»Seien Sie nicht so ein großes Bärenbaby«, befahl sie, während sie sich daranmachte, mit sterilisierten Metallinstrumenten in Bergs Fleisch herumzuwühlen.

Berg biss die Zähne zusammen, während sie arbeitete, und wartete darauf, dass es vorbeiging, als die Tür zum Behandlungszimmer aufgerissen wurde.

»Was machen Sie da mit meinem Bruder?«, verlangte eine weibliche Version seiner selbst zu erfahren. »Ich habe ihn draußen wimmern gehört!«

»Ich helfe seinem großen, blöden Bärenarsch«, erwiderte die Ärztin, bevor sie hinter sich schaute … und dann nach oben. Ihre Hände kamen zum Stillstand und ein leises Knurren entwich ihrer Kehle.

»Das ist meine Schwester. Britta«, erklärte Berg, wohl wissend, dass allein die Größe seiner Schwester die Gepardin nervös machte. Grizzlybärinnen waren unter den Gestaltwandlern am gefürchtetsten. Nicht nur beschützten sie geradezu psychotisch die Ihren – egal ob blutsverwandt oder nicht –, sie waren außerdem genau wie die Männchen leicht zu erschrecken. Eine einzige falsche Bewegung konnte einen Gestaltwandler einen Arm kosten. Oder gleich den ganzen Kopf. »Und meine Schwester wird jetzt friedlich sein. Friedlich, weil es mir gut geht.«

Die Ärztin schien das zu akzeptieren, bis auch noch ein männliches Spiegelbild Bergs hereinkam und, nachdem er die Tür hinter sich zugeknallt hatte, wortlos in die Runde funkelte.

Berg seufzte. »Und das ist mein Bruder. Dag. Wir sind Drillinge.«

»Ihre arme Mutter.« Die Ärztin deutete auf die andere Seite des Raums. »Sie beide, da hinüber.«

Britta blaffte ärgerlich: »Sie kommandieren mich nicht heru…«

»Britta … bitte.« Berg bettelte fast. »Hier wird gerade mit Instrumenten in meiner Brust herumgewühlt. Denk einen Moment daran, bevor du noch etwas sagst.«

Mit einem Nicken zog Britta sich sofort in die Ecke des Raums zurück, aber Dag – der wie immer nichts mitbekam – beugte sich vor und sah zu, wie die Ärztin versuchte, die Kugel auszugraben.

Berg wusste, dass sein Bruder nur neugierig war. Medizinische Vorgänge hatten ihn schon immer fasziniert. Aber das bedeutete nicht, dass die Gepardin Verständnis dafür haben würde. Tatsächlich fing sie gerade an, ein wenig zu schwitzen. Und es war kühl im Raum.

Aber bevor Berg seinen Bruder mit einem Knurren warnen konnte, kam Britta zurück, packte Dag am Arm und zerrte ihn in die Ecke.

Konnte eine Gepardin es mit drei Bären aufnehmen? Mit Daumen, dem Zugriff auf tödliches, chirurgisches Besteck, einer medizinischen Ausbildung und rasender Schnelligkeit bestand definitiv eine Möglichkeit dazu. Warum also das Risiko eingehen, wenn sie auf ihre eigene katzenhafte Weise nur versuchte, Berg zu helfen?

»Du weißt, was gerade los ist, nicht wahr?«, fragte Britta aus der Ecke. »Coops Schwester ist dabei, sich einen Privatjet zu organisieren, um herzukommen.«

»Coop sagte schon, dass das passieren könnte.«

»Keine Sorge. Ich werde mich um sie kümmern«, versprach Britta. Dann zeigte sie plötzlich auf Berg. »Wenn die Katze fertig ist …«

»Ich habe Namen, breitärschige Bärin.«

»… werdet ihr beiden, du und Dag, Coop nach Rom und dann zurück in die Staaten bringen müssen.«

»Coop will das Konzert trotz allem stattfinden lassen?«