Tiger Soul - G. A. Aiken - E-Book

Tiger Soul E-Book

G. A. Aiken

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Beschreibung

Actiongeladen, humorvoll und sexy! Als Tiger-Gestaltwandler ist Finn Malone Streitereien gewohnt. Doch er ahnt nicht, was ihn erwartet, als er mit seinen Brüdern einige Honigdachs-Gestaltwandlerinnen aus einem Kampf rettet. Die Honigdachs-Ladys quartieren sich kurzerhand ins Haus der Malones ein, und nur wenig später erkennt Finn sein Zuhause kaum wieder: Die Honigdachse übernehmen die Kontrolle über den Fernseher, verputzen Finns Essen, schlafen auf seinem Sofa … Hieß es nicht immer, Honigdachse seien brutal und rachsüchtig? Von anhänglich und häuslich war nie die Rede. Und wie schaffen sie es, dabei so unglaublich sexy zu sein?

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Seitenzahl: 598

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Michaela Link

© Shelly Laurenston 2021

Published by Arrangement with G. A. Aiken

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Breaking Badger«, Kensington, New York 2021

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Guter Punkt, Sarah Borchart unter Verwendung von Motiven von iStock/Getty Images Plus

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Prolog

1

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3

4

5

6

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Epilog

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Prolog

»He. He, Kleine.«

Wieder ruckte der Sitz nach vorn, und Mads Galendotter tat, was sie während der letzten zehn Minuten getan hatte: Sie konzentrierte sich auf den weiß-rot-blauen Basketball in ihren Händen.

Dies war ihr erster Tag an der Junior High. Später stand noch ein Probespiel für die Basketballmannschaft der Schule an. Sie wusste, dass sie gut genug war, um in die Mannschaft zu kommen, aber zwischen jetzt und dem Probespiel direkt nach der Schule durfte nichts passieren. Sie hatte nicht vor, es zu vermasseln, indem sie sich auf irgendeinen Mist einließ. Auch wenn das genau das war, was ihre Cousinen sich von ihr erhofften.

Sie wussten wirklich, wie sie sie ärgern konnten.

Sie waren zwei Jahre älter als Mads und schon in der neunten Klasse. Von Rechts wegen sollten sie im Bus ganz hinten bei den Neuntklässlern sitzen und die Nerds tyrannisieren wie alle anderen. Aber ihre Cousinen hassten sie ebenso sehr, wie Mads sie hasste. Also hatten sie sich auf den Sitz direkt hinter ihr fallen lassen, und dann war diese arme Kleine auf die Idee gekommen, sich direkt neben Mads zu setzen. Jetzt schikanierten ihre Cousinen anstelle von Mads die Kleine. Denn sie wussten, dass das Mads mehr stören würde, als wenn sie sie direkt in die Mangel nahmen. Verdammt, sie war es gewöhnt, dass sie sie schikanierten, schließlich war sie von Geburt an von ihnen gepiesackt worden. Es ging das Gerücht, dass die beiden, als Mads noch ein Baby war, versucht hatten, sie mithilfe einer streunenden Katze zu ersticken. Wenn ihre Urgroßmutter nicht hereingekommen wäre und sie dabei erwischt hätte, wie sie Mads das kreischende Tier aufs Gesicht drückten …

Also ja, sie war innerlich darauf gefasst, dass ihre Cousinen ihr das gesamte Schuljahr zur Hölle machen würden, bis sie endlich auf die Highschool einige Blocks entfernt wechselten. Aber jetzt hatten sie ein neues Opfer gefunden, das sie quälen konnten. Die arme Kleine neben ihr. Sie war ein süßes Ding – Asiatin, mit Zöpfen und einer richtigen Brotdose. Ihre Eltern hatten ihr kein Mittagessen in einer braunen Papiertüte gegeben wie die anderen Eltern der Junior-High-Schüler. Oder Geld fürs Mittagessen. Schlimmer noch, auf ihrer Brotdose prangte Barbie. Barbie! Sie hätte ebenso gut eine Zielscheibe auf dem Rücken haben können.

»He, Kleine!« Mads’ Cousinen, die Zwillinge waren, stießen noch einmal gegen den Sitz, bevor sie gegen die Rückenlehne traten.

Sowohl Mads als auch die Kleine wurden nach vorn geschleudert.

Mads holte tief Luft. Sie konnte solche Sachen eine Ewigkeit aushalten. Den ganzen Weg bis zum Schultor. Aber wenn sie der Kleinen ins Gesicht sah, würde sie jetzt wahrscheinlich Tränen in ihren Augen aufsteigen sehen. Verdammt, inzwischen konnten der armen Kleinen diese Tränen durchaus bereits lautlos über die Wangen laufen.

Sie sah sich im Bus um. Die anderen waren damit beschäftigt, sich zu unterhalten, die Nerds zu piesacken oder einfach zu beten, dass niemand sie bemerkte. Sie hatten keine Ahnung, was direkt vor ihnen geschah. Zumindest noch nicht. Zumal Mads sich diesen Platz ziemlich weit vorn im Bus ausgesucht hatte in der Hoffnung, dass ihre Cousinen hinten bei den anderen sitzen wollten.

Doch sie waren nicht vollkommen allein.

Nah bei ihnen saßen zwei Mädchen auf der anderen Seite des Mittelgangs. Eine las in einem Buch über Zeitmanagement. Die andere, ebenfalls Asiatin, die viel zu alt schien, um noch in der Junior High zu sein, schaute aus dem Fenster. Auf dem Platz vor ihnen hatte sich ein drittes Mädchen mit langem braunem Haar niedergelassen. Sie saß allein dort, sodass sie sich mit dem Rücken ans Fenster lehnen und die Füße auf den Sitz legen konnte. Sie blätterte in einer Ausgabe der Vanity Fair.

Und es hatte definitiv keinen Sinn, mit der Busfahrerin zu reden. Nicht den geringsten. Mads würde sich gar nicht erst die Mühe machen.

Was bedeutete, dass niemand ihre Cousinen davon abhalten würde, die arme Kleine, die neben ihr saß, zu peinigen, und bis zur Schule war es noch ein ganzes Stück. Ihren Cousinen blieb mehr als genug Zeit, um diesem bedauernswerten Mädchen jahrelangen Therapiebedarf in der Zukunft zu verschaffen.

Wieder ruckte der Sitz nach vorn.

»He, Kleine. Wie heißt du? Sag uns wenigstens das.«

»Ja, genau. Komm schon. Wir wollen einfach nur nett zu dir sein.«

Außerstande, es noch länger zu ertragen – denn ihre Cousinen waren nie »einfach nur nett« –, sah Mads die Zwillinge schließlich über ihre Schulter an und sagte mit so viel Gelassenheit, wie sie aufbringen konnte: »Lasst sie in Ruhe.«

Vier kalte braune Augen richteten sich auf Mads.

»Hast du etwas gesagt, Cousine?« Das kam von Tilda. Sie redete mehr als Gella. Sie redete und Gella schlug zu, eine Partnerschaft, die für beide gut funktionierte.

Es hatte jetzt keinen Sinn mehr, einen Rückzieher zu machen. Zeichen von Schwäche bedeuteten nur, dass sie ihr umso mehr zusetzen würden. Ihre Cousinen knöpften sich immer die Schwächsten vor. Sie konnten nicht anders. Es war eine Instinktsache.

»Ich habe gesagt, ihr sollt sie in Ruhe lassen.«

Gella kicherte und Tilda fragte: »Oder was?«

»Oder ich reiße euch das Gesicht herunter.« Auch diese Antwort war Instinktsache. Jedenfalls für Mads.

Gella bewegte sich ruckartig nach vorn, bereit, sich auf Mads zu stürzen, und Mads war schon fast auf den Füßen, als das Mädchen neben ihr herumwirbelte, sich auf ihren Sitz kniete und Tilda und Gella lieb anlächelte. Sie legte ihre Barbie-Brotdose oben auf die Rückenlehne ihres Sitzes.

Es war eine derart seltsame Entwicklung der Situation, dass Mads sofort aufhörte, sich zu bewegen, und Tilda ihre Zwillingsschwester Gella mit dem Arm zurückhielt.

»Hallo!«, sagte die Kleine mit dem lieben Lächeln. »Ich bin Max.«

Mads’ Cousinen glotzten sie nur an, vollkommen verwirrt von dem, was gerade geschah.

Die ganze Sache war so merkwürdig, dass selbst die drei Mädchen auf der anderen Seite des Mittelgangs sie jetzt beobachteten.

»Wenn ich Geld fürs Mittagessen mithätte, würde ich es euch geben«, fuhr Max fort, »doch ich bin arm. Aber ich kann euch mein Mittagessen geben.«

»Aus deiner kleinen Barbie-Lunchbox da?«, neckte Gella sie grausam.

»Es ist wirklich gut. Es ist mein allerliebstes Lieblingsessen auf der ganzen Welt.«

Gott, dieses arme Kind! Sie war so unschuldig. Ein perfektes Opfer. Mads wusste, dass ihre Cousinen sich nicht mit dem Thunfisch-Sandwich und dem Snickers-Riegel der Kleinen zufriedengeben würden. Die wollten Blut sehen. Aber während Mads der Unterhaltung zwischen ihren Cousinen und dem Mädchen lauschte, sprang ihr »anderes Gehör« an. Es war das Gehör, welches ihre Urgroßmutter ihr »echtes« Gehör nannte. »Das Gehör, das dich all den kleinen vollmenschlichen Bastarden, die du täglich von früh bis spät um dich hast, überlegen macht«, wie sie zu sagen pflegte. Mads nahm ein Geräusch wahr. Ein Geräusch, das aus der Barbie-Brotdose der Kleinen kam. Etwas kratzte gegen das Metall dessen, wovon Mads jetzt klar wurde, dass es eine alte metallene Brotdose war. Eine haltbarere Brotdose als die Dinger aus Plastik, die heutzutage hergestellt wurden.

»Meine Mom gibt mir immer die besten Sachen mit«, versprach die Kleine Mads’ fiesen Cousinen.

Max öffnete die Brotdose und schob die Hand hinein. Mads sah sich erneut im Bus um. Die Einzigen, die sie beachteten, waren die drei Mädchen von der anderen Gangseite.

Als Mads den Blick endlich wieder auf die Kleine richtete, zog diese die Hand heraus. Sie hatte etwas in ihrer geschlossenen Faust, und als Tilda sich mit offenem Mund vorbeugte, um zu sehen, was die Kleine herausgeholt hatte, schob diese Tilda etwas Bräunliches, das sich bewegte, zwischen die Lippen.

Sie versuchte zu schreien, aber die Kleine legte die Hand auf Tildas Gesicht und hielt ihr den Mund zu.

Tildas Augen weiteten sich vor Panik, und sie kratzte und schlug nach der Hand, die sich weiter auf ihr Gesicht presste. Gella gab ein erschrockenes Kichern von sich, während sie versuchte, den Arm des Kindes wegzustoßen, aber die »unschuldige« Kleine ließ sich nicht beirren.

Mads griff sich die Brotdose und öffnete sie. Darin befanden sich mindestens sieben, vielleicht auch zehn Skorpione. Das Mädchen hatte giftige Skorpione in ihrer Barbie-Brotdose!

Einer der Skorpione krabbelte auf Mads’ Hand. Er stach sie sofort, doch Mads blinzelte nicht einmal. Stattdessen und ohne groß darüber nachzudenken, führte sie die Hand zum Mund und zog das Spinnentier mit der Zunge hinein. Sie war noch dabei, zu kauen und herunterzuschlucken, als ihr klar wurde, dass das ein sehr seltsames Verhalten inmitten eines Busses voller vollmenschlicher Kinder war.

Scheiße.

Alles war dermaßen merkwürdig, dass sie vergessen hatte, auf ihre Umgebung zu achten!

Langsam blickte sie über den Gang zu den drei Mädchen, von denen sie wusste, dass zumindest sie das kleine Drama mitgekriegt hatten, das sich gerade abspielte. Sie schauten immer noch zu, aber jetzt wirkten sie einfach neugierig. Und … und hungrig?

Das Mädchen, das allein saß, sah sich schnell um, bevor sie zu ihnen kam und die Hand in die noch immer von Mads festgehaltene Brotdose steckte, um sich ihren eigenen Skorpion herauszunehmen. Ohne auf die Stiche zu achten, die sie jetzt überall an der Hand trafen, stopfte sie sich den Skorpion in den Mund und kaute darauf herum, als sei er eine geröstete Erdnuss. Sie lächelte und Sekunden später folgten die beiden anderen Mädchen ihrem Beispiel.

Mads sah ihnen schockiert zu. Genau wie Mads waren sie alle gestochen worden. Mehrmals. Aber keins der Mädchen zeigte irgendeine Reaktion. Anders als ihre Cousine. Die wurde inzwischen von Krämpfen geschüttelt, während ihr Schaum aus den Mundwinkeln quoll. Sogar ihre Augen rollten in ihren Höhlen nach hinten, sodass nur noch das Weiß darin zu sehen war.

Und die Kleine? Was tat sie? Sie hielt Tilda immer noch den Mund zu. Ignorierte weiterhin die Boxhiebe und Ohrfeigen sowohl von Tilda als auch von Gella. Und sie lächelte immer noch glücklich.

Mann, Mads würde heute Abend, wenn sie nach Hause ging, eine Abreibung kriegen, aber das war ihr egal. Ausnahmsweise einmal unterhielt sie sich königlich! Wie hätte es auch anders sein können, wenn ihre Cousinen mal diejenigen waren, die eine Abreibung … Huch!

Eine große Hand legte sich Mads um die Kehle und hob sie von ihrem Sitz. Sie verlor beinahe die Kontrolle über die immer noch geöffnete Brotdose, aber eins der anderen Mädchen schnappte sie sich und schloss den Deckel, um die verbliebenen Skorpione darin einzusperren.

Mads und die Kleine wurden von den Zwillingen weggerissen und in den vorderen Teil des Busses getragen.

Mads hatte nicht einmal bemerkt, dass der Bus am Straßenrand gehalten hatte, geschweige denn dass die Busfahrerin zu ihnen gekommen war. Sie hätte es merken müssen. Die Busfahrerin war ihre Tante. Und die Zwillinge waren ihre Jungen. Nicht ihre Lieblinge, aber sie mochte sie trotzdem viel lieber als Mads. Ihre Tante öffnete die Tür und warf Mads und die Kleine aus dem Bus. Kurz darauf flogen auch die Mädchen von der Sitzbank auf der anderen Seite des Mittelgangs heraus. Die Asiatin, die eigentlich aussah, als sei sie zu alt für die Junior High, stieg freiwillig aus. Aus welchem Grund auch immer krümmte Mads’ Tante diesem Mädchen kein Haar, obwohl sie mit zehn Zentimeter hohen Absätzen – Absätzen, die höchst unpassend für eine Schülerin waren, die nur um die dreizehn Jahre alt sein konnte – leichte Beute zu sein schien. Glücklicherweise hatte sie sämtliche Rucksäcke und Lunchtüten aller Mädchen mitgebracht und sogar Mads’ Basketball. Eine nette Geste, die Mads zu schätzen wusste.

Der Bus fuhr an und holperte davon, und die fünf Mädchen blieben auf dem Gehsteig zurück, ihre Sachen zu ihren Füßen.

»Ich liebe es, die neuen Busfahrer einzuarbeiten!«, verkündete die Kleine schließlich mit einem breiten Lächeln und warf die Arme hoch, als habe sie tatsächlich etwas gewonnen.

»Weiß sie, dass das nächste Krankenhaus in der anderen Richtung liegt?«, fragte das Mädchen mit dem langen Haar.

Mads schüttelte den Kopf. »Sie bringt sie nicht ins Krankenhaus. Sie hat andere Töchter, die sie lieber mag. Wenn sie es also nicht schaffen«, Mads zuckte die Achseln. »wird sie darüber hinwegkommen.«

Max wischte ihre Besorgnis – sofern welche vorhanden war – mit einer Handbewegung beiseite. »Was für Heulsusen! Die Skorpione sind nicht einmal besonders giftig. Ich habe schon viel gefährlichere gegessen.«

»Centruroides sculpturatus«, stellte das Mädchen, das gelesen hatte, klar, und als alle anderen sie anstarrten, fügte sie nur hinzu: »Borkenskorpion aus Arizona. Zu dieser Art gehören sie. Giftig, aber für eine gesunde, heranwachsende Hyäne wahrscheinlich nicht tödlich.« Sie hielt einen Moment lang inne, bevor sie auf die Armbanduhr an ihrem Handgelenk zeigte und verkündete: »Wir werden zu spät kommen.«

»Ist das eine Minnie-Mouse-Uhr?«, wollte Mads wissen.

Das Mädchen bedeckte die Uhr schnell mit ihrer freien Hand. »Noch, aber ich spare auf eine viel bessere.«

»Wohin kommen wir zu spät?«, fragte Max.

»In die Schule.«

»Bereitet dir das große Sorgen?«

»Es macht mich immer sehr nervös, mich zu verspäten«, erklärte die Leserin. »Ich komme nicht gern zu spät.«

Die Kleine zuckte die Achseln. »Ich mag die Schule nicht. Wir sollten schwänzen! Wir wär’s mit dem Einkaufszentrum?«

»Meinst du nicht, wir fallen auf im Einkaufszentrum?«

»Wir können ja sagen, dass wir zu Hause unterrichtet werden.«

»Ich schwänze nicht«, teilte Mads ihnen mit. »Ich habe heute ein Probespiel für die Basketballmannschaft. Das will ich nicht versäumen.«

»Wie weit ist es denn noch bis zur Schule?«, fragte die andere Asiatin. »Ich habe nicht die richtigen Schuhe an.«

»Wie alt bist du eigentlich?« Mads musste einfach fragen.

»Dreizehn.«

»Wirklich? Du siehst aus wie dreiundzwanzig.«

»Oh.« Sie lächelte liebenswürdig. »Vielen Dank.«

»Wenn wir rechtzeitig in der Schule sein wollen, müssen wir los«, drängte die Leserin und tippte wiederholt auf ihre Armbanduhr. Es wirkte fast ein wenig zwanghaft.

»Wir haben noch, äh, zwanzig Minuten Zeit bis zum Unterrichtsbeginn.«

»Unterwegs kann noch alles Mögliche passieren. Alles Mögliche.« Sie beugte sich vor. »Alles.«

»Was ist mit der Busfahrerin?«, fragte die mit dem langen Haar.

»Was soll mit ihr sein?«, gab Max zurück.

»Du hast immerhin ihre Kinder vergiftet.«

»Nur eins.«

»Sie wird schon nichts sagen«, versicherte Mads ihnen. »Es wäre zu schwer zu erklären, warum ihr Kind eine große Utah-Tarantel überlebt hat.«

»Einen Borkenskorpion aus Arizona.«

»Wir gehen zur Schule«, fuhr Mads fort, ohne die nervige Verbesserung der Leserin zu beachten, »und werden so tun, als sei nichts passiert.«

»Perfekt!«, jubelte Max. »Solange meine Schwester nichts erfährt von diesem … Shit!« Sie senkte den Blick. »Shit, Shit, Shit, Shit, Shit!«

»Was?«, fragte Mads. Sie hatte das Gefühl, als würde ihnen das schlimmste Erlebnis aller Zeiten drohen. Denn dies war das erste Mal, dass die Kleine in ihrer Gegenwart besorgt wirkte.

»Sagt mir eure Namen«, befahl sie. »Schnell.«

»Ich bin Mads.«

»Emily«, stellte die Leserin sich vor. »Aber meine Familie nennt mich Tock.«

»Cass. Künftiger Star auf Bühne und Leinw…«

»Ja, schon gut, schon gut. Was ist mit dir, Supermodel?«

»Gong Zhao. Aus Hongkong.« Als Max nur das Gesicht verzog und den Kopf schüttelte, als sei sie völlig verwirrt über diesen einfachen asiatischen Namen, verdrehte das Supermodel die Augen und seufzte. »Diese Amerikaner. Nenn mich einfach Nelle.«

»Warum?«

»Weil ich es sage. Und Nelle schreibt man mit zwei e. N-e-l-l-e. Kapiert?«

»Schön. Meinetwegen.«

Max zwang sich zu einem breiten Lächeln und drehte sich um, als ein sehr altes, sehr zerbeultes Cabrio tuckernd vor ihnen am Straßenrand anhielt. Der Wagen war vollgestopft mit älteren Mädchen. Es waren Mädchen aller Ethnien, aber Mads wusste aufgrund des Geruchs, dass sie alle derselben Spezies angehörten. Wölfe. Ein schwarzes Mädchen saß verbotenerweise auf der Rückenlehne der Rückbank – wie war es möglich, dass niemand sie angehalten hatte? – und sah Max mehrere Sekunden lang durchdringend an.

»Hey!«, rief Max.

Das Mädchen antwortete nicht. Stattdessen kletterte sie um die Jugendlichen herum, die sich verbotenerweise in dem Auto stapelten, und sprang heraus. Sie war größer als Max, breiter, und bewegte sich wie eine Wölfin, wie ein Raubtier auf der Pirsch. Obwohl sie tatsächlich ein wenig anders roch. Also schon wie eine Hundeartige, aber gleichzeitig auch nicht.

»Was machst du hier, Max?«

»Ich hänge nur ein bisschen mit meinen Freundinnen ab«, antwortete Max geschmeidig.

Das Mädchen baute sich vor ihr auf. »Du hast keine Freundinnen.«

»Autsch«, sagte Cass.

»Also, was hast du angestellt?«, drängte die Jugendliche. »Wen hast du verärgert? Werde ich einen Anruf bekommen? Wird Pop einen Anruf bekommen?«

»Nein.«

Was als Nächstes aus dem älteren Teenager heraussprudelte, war eine panische, fast hysterische Erklärung. »Denn wenn Pop einen Anruf bekommt, wird mich das wirklich aufregen. Es ist ohnehin schon so viel los, und Stevie ist jetzt schon gestresst. Ich musste sie heute Morgen beruhigen, weil sie sich Sorgen wegen der Zulassungstests für die Uni macht, keine Ahnung, warum. Uns allen ist klar, dass sie überragend abschneiden wird, aber du weißt ja, wie Stevie ist, also wenn sie dich bereits rausgeworfen haben …«

»Würdest du bitte damit aufhören! Es ist alles in Ordnung! Wir hängen nur ein bisschen zusammen rum. Ich … und meine Freundinnen.«

Mit zusammengekniffenen Augen lehnte sie sich zurück und musterte Max. »Du und deine Freundinnen?«

»Ja. Ich habe jetzt Freundinnen. Ich bin schließlich auf der Junior High.«

»Welche Art von Freundinnen?«

»Freundinnen eben.«

»Welche Art von Freundinnen, Max?«

Sie zuckte die Achseln. Seufzte. »Honigdachse.«

»Honigdachse. Du hast es geschafft, in dieser Stadt eine Gruppe von Honigdachsen zu finden?«

»Es ist keine Gruppe. Wir saßen nur zufällig im selben Bus.«

»Das kommt mir ziemlich unwahrscheinlich vor.«

»Du lässt es so klingen, als hätte ich das eingefädelt! Ich bin dreizehn! Nicht einmal ich könnte etwas Derartiges arrangieren. Das ist einfach …«

»Glück? Wir sind MacKilligans. Wir haben kein Glück.«

»Ich schon. Und ich habe Freundinnen gefunden, die mich verstehen.«

»Du meinst Freundinnen, die dich in Schwierigkeiten bringen werden.«

»Nein. Sie werden mich nicht in Schwierigkeiten bringen! Ich habe es dir doch schon gestern Abend versprochen, keine Probleme mehr.«

»Hast du Skorpione mit in die Schule genommen?«

»Nein.«

»Wo sind sie denn? Nur für den Fall des Falles habe ich unter deinem Bett nachgesehen, und da waren sie nicht.«

»Ich habe gefrühstückt.«

Mads brauchte eine Sekunde, denn sie sahen sich wirklich nicht ähnlich, aber ihr wurde klar, dass diese Jugendliche die Schwester war, von der Max geredet hatte. Ihre Schwester. Sie waren auch keine Stiefschwestern. Halbschwestern vielleicht, aber definitiv blutsverwandt. Sie hatten die gleichen Schultern. Wie Fullbacks der Detroit Lions.

Die Jugendliche schaute zu Max’ »Honigdachs-Freundinnen«, und das war der Moment, in dem Mads sah, dass Cass die Brotdose mit Max’ restlichen Skorpionen hinter ihrem Rücken versteckte. Sie hätte angesichts dieser Aktion beinahe verwirrt die Stirn gerunzelt. Warum schützte Cass dieses Mädchen? Okay, sie waren alle Honigdachse – na ja, Mads war nur zur Hälfte Honigdachs –, aber sie kannten sich kaum. Warum sollten sie sich in dieses ganze Drama verwickeln lassen?

»Also, ihr kennt euch gut?«, fragte Max’ Schwester.

»Gut genug.«

»Wie heißen sie denn, deine Freundinnen?«, hakte die Jugendliche nach. Es war wie in einem Verhör.

Max deutete nacheinander auf jede Einzelne von ihnen und erinnerte sich korrekt an ihre Namen: »Emily, aber wir nennen sie Tock. Cass. Mads. Nelle. Mit zwei e.«

»Aha.«

Die Jugendliche öffnete einen x-beliebigen Rucksack, der sich als der von Tock erwies, und überprüfte ihre Notizhefte. Sie waren vollkommen leer, daher filzte sie ihr Portemonnaie. Es war schwarz und hatte einen Klettverschluss. Darin befanden sich mehrere Ausweise. Sie fand außerdem mehrere Pässe für verschiedene Länder. Mit einer hochgezogenen Braue wandte sie sich langsam Tock zu. Tock zuckte lediglich die Achseln und fragte: »Was?«

Das Mädchen steckte alles zurück ins Portemonnaie, stand auf und reichte Tock ihren Rucksack.

»Also, was habt ihr, du und deine keinen Ärger machenden Freundinnen, für heute geplant?«, fragte sie. Aber bevor Max mit irgendeiner Lüge antworten konnte, zeigte ihre Schwester mit dem Finger auf Mads. »Sag du es mir.«

Mads blinzelte und antwortete einfach mit der Wahrheit. »Basketball-Probespiel. Heute nach der Schule. Das ist mein Plan.«

»Unser Plan.«

Die Jugendliche ließ den Blick auf ihrer Schwester ruhen. »Siehst du? Du gehst immer zu weit, Max MacKilligan. Denn nicht einmal Stevie würde dir diesen Bullshit abkaufen.«

»Es ist aber wahr.«

»Du? Du erwartest, dass ich glaube, dass du dich um einen Platz in einer Basketballmannschaft bemühst? Du?«

»Warum sagst du das so? Ich kann Basketball spielen.«

»Zunächst einmal bist du ein Zwerg. Und zweitens hasst du Mannschaftssport. Du hasst jeden Sport. Und als Stevie dir mal einen Tennisball zugeworfen hat, hast du ihn zu ihr zurückgeschmettert und damit gedroht, dass sie sämtliche Zähne loswürde, sollte sie je wieder einen Ball in deine Richtung zuwerfen.«

»Sie hat mir diesen Ball hingepfeffert …«

»Das war ein Wurf.«

»Und sie hat angefangen. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich Mannschaftssport nicht mag. Ich brenne darauf, ein Mannschaftssportmädchen zu werden. In der wunderbaren Welt des … ähm …«

»Basketballs«, ergänzte Mads.

»Richtig! Des Basketballs.«

»Nenn mir den Namen eines einzigen Basketballspielers«, stellte ihre Schwester sie auf die Probe. »Irgendeines Basketballspielers.«

Mads, die ihr helfen wollte, solange Max’ Schwester ihr den Rücken zuwandte, hob ein Bein und deutete auf ihren Fuß. Genauer, auf die Nike Air Jordans, die sie trug. Jeder kannte Michael Jordan, oder etwa nicht? Selbst Leute, die nichts über Basketball wussten, kannten diesen Mann. Mads hatte keine Ahnung, warum sie der kleinen Lügnerin zu helfen versuchte, aber jetzt steckte sie genauso tief drin wie Cass, die noch immer die bescheuerte Brotdose hinter ihrem Rücken versteckte.

Und sogar die anderen versuchten jetzt, ihr zu helfen, indem sie auf Mads’ Jordans zeigten und mit den Lippen wieder und wieder den Namen Michael Jordan formten.

Aber der verwirrte Blick auf Max’ Gesicht verriet Mads, dass das Mädchen keine Ahnung hatte, um wen es ging.

Ihre Schwester verdrehte übertrieben die Augen und wandte sich ab, als die Kleine plötzlich mit »James!« herausplatzte.

Ihre Schwester drehte sich um und wartete ab.

»Ähm … La … LaBronnie James.«

»Wer?«

»LeBron James«, korrigierte Mads sie. »Aber nah genug dran.« Als der Teenager sie anstarrte, ließ sie ihr immer noch erhobenes Bein sinken und sagte: »Er spielt bei den Cleveland Cavaliers. Ein ganz anständiger Rookie.«

Zumindest für einen vollmenschlichen Kerl.

»Siehst du, Charlie?« Max schubste ihre Schwester mit einem breiten Lächeln. »Ich liebe Basketball.«

»Wunderbar!« Das ältere Mädchen schubste zurück. »Dann sehen wir uns heute Nachmittag. Beim Probespiel. Ich kann es gar nicht erwarten zu sehen, wie ihr euch alle um einen Platz in der Mannschaft bemüht!«

Ohne ein weiteres Wort stieg Max’ Schwester wieder in das überfüllte Cabrio, lächelte, winkte noch einmal und gab dem Mädchen hinter dem Steuer ein Zeichen loszufahren.

Sobald sie weit genug entfernt waren, warf Tock frustriert die Arme in die Luft. »Warum muss ich zum Probespiel? Ich will nicht Basketball spielen!«

»Du musst mitkommen! Sie erwartet uns alle dort«, sagte Max.

»Sie ist schließlich nicht meine Schwester!« Tock blinzelte, dann fragte sie ein wenig ruhiger: »Sie ist doch deine Schwester, oder?«

»Ja, sie ist meine Schwester. Rassistin!«

Tock presste die Kiefer aufeinander und sah Mads an. Mads musste rasch den Blick abwenden, weil sie sich das Lachen nicht verkneifen konnte. Tock war offenkundig zum Teil schwarz, daher war der Vorwurf ziemlich witzig.

»Und ihr kennt meine Schwester nicht«, fuhr Max fort. »Sie ist verrückt. Wenn wir dort nicht erscheinen, werden wir alle sterben.«

Die Gruppe gaffte Max mehrere Sekunden lang an, dann fragte Cass: »Warum würden wir alle sterben?«

»Ja«, stimmte Nelle ihr zu. »Warum würdest nicht nur du sterben? Du solltest die Einzige sein, die stirbt.«

»Weil sie verrückt ist.«

»Lügst du uns an?«, fragte Tock. »Du scheinst oft zu lügen.«

»Natürlich lüge ich oft. Nur deshalb bin ich noch am Leben. Weil ich lüge.«

»Du lügst deine Schwester an?«

»Ja.« Sie zuckte die Achseln. »Und die Regierung.«

Mads runzelte die Stirn. »Warum belügst du die Regierung? Du bist dreizehn.«

»Du stellst auf jeden Fall eine Menge Fragen.«

»Eigentlich nicht. Aber es ist mir egal, was ihr tut. Ich werde heute zum Basketball-Probespiel gehen und in die Schulmannschaft kommen. Denn ich werde später mal bei der WNBA spielen.«

»Was ist die WNBA?«, fragte Cass.

Mads machte Anstalten zu gehen. »Es ist traurig, dass du eine Vagina hast.«

»Also bekomme ich keine Pluspunkte, weil ich mich an LaBronnie James erinnert habe?«, fragte Max.

Mads wirbelte herum und brüllte Max ins Gesicht: »Er heißt LeBron!« Natürlich blinzelte das andere Mädchen nicht einmal. »Sein Name ist LeBron James. Nicht LaBronnie! Wieso kennst du ihn überhaupt? Ich meine, stimmt schon, er stellt die NBA auf den Kopf, aber du bist offensichtlich kein Fan. Du sagst, du liebst Basketball und kamst nicht mal auf Michael Jordan, den wirklich jeder Mensch auf der Welt kennt.«

»Oh, letzte Woche brauchte ich dringend Geld und habe einen Jungen mit brandneuen Sneakers rumlaufen sehen, von denen ich wusste, dass ich sie für einen wirklich hohen Preis würde verkaufen können. Also habe ich ihn erst danach gefragt, und er hat damit angegeben, dass sie LaBron-« Sie hielt kurz inne, als Mads knurrte, und korrigierte sich. »Dass das LeBron James’ neueste Schuhe seien oder so. Als er sich von seinen Freunden getrennt hatte, habe ich ihn ins Gebüsch gezerrt, ihn verprügelt und ihm seine Schuhe weggenommen.«

Mads schnappte entsetzt nach Luft. »Du hast was getan?«

»Ich brauchte das Geld!«

»Also hast du ein Kind verprügelt?«

»Er war kein Kind. Er war ungefähr siebzehn. Und ich musste mal wieder die Kaution für meinen Vater stellen, aber das darfst du Charlie nicht erzählen, denn wenn sie es herausfindet, dreht sie wieder durch. Doch Stevie war völlig hysterisch. Sie wusste, wenn Charlie herausfinden würde, dass Dad schon wieder im Gefängnis ist, dann würde sie ihn während seiner Haftzeit umbringen lassen.«

Tock verschränkte die Arme vor der Brust. »Deine Schwester würde deinen Vater im Gefängnis umbringen lassen?«

»Sie hat sich ein wenig aufgeregt, als sie herausfand, dass Dad unsere Sozialversicherungsnummern nicht nur benutzt hat, um unsere Identitäten zu stehlen, sondern auch für eine Gaunerei im großen Stil, die ihm zu guter Letzt und typischerweise um die Ohren geflogen ist.«

»War er deshalb im Gefängnis?«

»O nein. Er war im Gefängnis, weil er ein Auto mit einem Baby darin gestohlen hat, das rein zufällig dem Bürgermeister einer Kleinstadt gehört hat. Bedauerlicherweise das Auto und das Baby. Ehrlich, das ist ein ganz gewöhnlicher Tag bei meinem Dad, und normalerweise wäre mir das auch egal. Ich würde ihn im Gefängnis verrotten lassen oder Charlie mit Freuden helfen, einen Burschen anzuheuern, der ihn an den Gitterstäben aufhängt. Beides wäre für mich völlig in Ordnung. Aber Stevie ist wirklich hysterisch geworden, und wenn Stevie hysterisch wird, fängt Charlie an auszuflippen, und wenn sie ausflippt …«

»Okay, okay.« Mads hob die Hände, die Innenflächen nach außen gedreht. Im Grunde war es eine Kapitulation. »Vergiss, dass ich gefragt habe.«

»Hört zu, ihr schuldet mir nichts. Aber wenn ihr heute Vormittag zum Probespiel kommt …«

»Heute Nachmittag.«

»Wie auch immer. Sie muss mich antreten sehen und sehen, wie ich, ich weiß nicht, einen Ball dribbele oder so. Wenn sie dabei ist, wenn ich ausnahmsweise einmal etwas ganz Normales tue, würde mir das Charlie vielleicht vom Hals schaffen, damit ich durch die nächsten paar Tage komme …«

»Bis du die Giftschlangen rausholst?«, witzelte Mads.

Und da war wieder das breite Grinsen. »Ich habe tatsächlich auf dem Grundstück des Rudels ein paar Waldklapperschlangen gefunden. Wenn ihr Interesse habt, könnt ihr zu einem schönen Honigdachs-Essen vorbeikommen.«

»Sie haben sich wahrscheinlich längst davongeschlängelt«, warnte Tock sie.

»Nein. Sie befinden sich in einer Reisetasche unter meinem Bett.«

Max setzte sich in Bewegung, bis sie endlich zu merken schien, dass die anderen Mädchen nicht direkt hinter ihr waren. Sie blieb stehen, und als sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass sie sie wieder einmal alle entsetzt ansahen, weil sie in einem Wolfsrudelhaus eine Tasche mit Giftschlangen unter dem Bett zurückgelassen hatte. Sie breitete die Arme aus und fragte: »Was ist denn jetzt schon wieder?«

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Vierzehn Jahre später …

Die Pranken landeten auf ihrem Brustkorb. Die dazugehörigen Beine legten sich um ihren Körper, und tausend Pfund Sibirischer Tiger rissen sie zurück und stießen sie zu Boden.

Sie hätte sich geärgert und gewehrt, wenn nicht Sekunden später der Himmel von Maschinengewehrfeuer erhellt worden wäre. Nur Zentimeter von der Stelle entfernt, an der sie gelandet waren, rissen Kugeln den Boden auf. Der Tiger rollte sie beide aus der Gefahrenzone, aber die Kugeln kamen näher. Er zog sie fest an sich und schirmte sie mit seinem Tausend-Pfund-Körper ab.

Für einen kurzen, panischen Moment hätte Mads beinahe gekichert. Ihr kam der Gedanke, von einem riesigen Plüschtier beschützt zu werden.

Da sie allerdings nicht als kichernde Irre enden wollte, löste sie sich schnell aus den Armen des Tigers und hangelte sich an seinem Körper hoch, bis sie ihm über die Schulter sehen konnte. Sie war eine nachtaktive Gestaltwandlerin und konnte in der Dunkelheit gut sehen. Als sie ein geeignetes Opfer entdeckte, stützte sie ihr Kurzgewehr auf dem schwarz-weißen Fell des Tigers ab – wo war das Orange? –, zielte und drückte ab. Ihr Gewehr machte kaum Lärm, weil ihr Team immer Schalldämpfer benutzte. Sie hatten den Auftrag, ungesehen aufzutauchen und wieder zu verschwinden, aber so war es heute nicht gelaufen.

Denn man hatte sie, wie Mads langsam klar wurde, erwartet.

Was die Raubkatze mit der Sache zu tun hatte, konnte sie nicht sagen, doch sie hatte auch absolut keine Zeit, um darüber nachzudenken.

Sie suchte sich ein neues Ziel und eröffnete erneut das Feuer. Dann hörte sie, wie ihr Team ebenfalls anfing zu schießen. Außerdem schnalzten mehrere ihrer Leute mit der Zunge, und leise, kehlige Knurrlaute erklangen, die Mads sagten, dass das ganze Team lebte und wohlauf war. Es bedeutete nicht, dass nicht auf ihre Teamkameradinnen geschossen worden war, nur dass sie sich mächtig ins Zeug legten, um ihren Auftrag auszuführen. Mads machte sich keine allzu großen Sorgen. Honigdachse waren schwer totzukriegen.

Doch gerade als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, landete etwas Kleines aus Metall ein paar Schritte von ihr und dem Tiger entfernt auf dem Boden. Mads blieb nur eine flüchtige Sekunde, um sich zu fragen, was das war, bevor ihre Teamkameradin Tock an ihr vorbeipreschte, sie am Arm packte und hochriss. Während sie das tat, schrie sie: »Fünf! Vier!«

Tock zählte einen Countdown herunter. Es war nie gut, wenn Tock anfing zu zählen. Sie hatte ihren Spitznamen bekommen, weil sie geradezu besessen war, was Zeit anging. Eine »Albtraum-Gabe«, witzelte Tocks Vater immer, die in Erscheinung getreten sei, als sich seine Tochter noch in der »Gugu-Gaga-Phase« ihres Säuglingsdaseins befunden habe.

Aber das Zeitmanagement für alle um Tock herum war nicht das einzige Spezialgebiet der Honigdächsin. Sie hatte außerdem ein Faible für Bomben und Sprengstoff. Sie kannte sich bis ins letzte Detail aus, vom primitivsten Exemplar, das irgendein verrückter Bombenleger in seinem Keller gebastelt hatte, bis hin zu Sprengstoffen, die von einer ganzen Armee von Wissenschaftlern für die Regierung entwickelt worden waren. Und weil Tock ein echter Info-Junkie war, wusste sie nicht nur, wie man alle Sprengstoffe der Welt baute, zündete und entschärfte, sondern hatte außerdem notgedrungen gelernt, welchen Schaden sie anrichten konnten. Sie wollte die Bomben verstehen, nicht zuletzt um sicherzustellen, dass sie selbst nie leichtfertig damit umgehen würde. Nie würde sie Bomben einsetzen, nur weil ein Freund mit ihr Schluss gemacht oder eine Cheerleaderin sie zum Weinen gebracht hatte.

Was bedeutete, dass es, wenn Tock aus dem Nichts einen Countdown herunterzuzählen begann, nur einen einzigen Grund haben konnte.

»Lauf!«, brüllte Mads, die sich nicht sicher war, ob der Tiger die verbalen Codes ihres Teams verstand.

Aber sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Immerhin war er ein Tiger. Kurze Sprints lagen dieser Spezies. Er war fast schon an ihnen vorbeigerannt, als er seine menschliche Gestalt annahm und Mads und Tock um die Taille packte. Warum, wusste sie nicht, schließlich waren sie zwei der schnellsten Mädchen ihrer Profi-Basketballmannschaft und selbst mit dem zusätzlichen Gewicht ihrer Ausrü-

Die Raubkatze sprang und riss Mads und Tock mit sich. Tock zählte weiter: »Drei! Zwei!«

Mads bemerkte, dass sich in ihrer Nähe zwei weitere Sibirische Tiger befanden, die ebenfalls einen irrsinnigen Sprung vollführten. Einer hielt eine kreischende Cass fest, die auch auf den Spitznamen Streep hörte. Diesen hatte das Team ihr wegen ihrer dramatischen Einlagen auf dem Spielfeld und auch außerhalb des Platzes verpasst. Und ein noch größerer Tiger hatte Nelle und Max gepackt.

»Eins! Achtung, Deckung!«

Die Explosion war so gleißend, dass sie Mads blendete. Der Tiger-Gestaltwandler, der sie festhielt, drehte sich um die eigene Achse und wurde durch die Luft gewirbelt. Etwas, das Mads kein bisschen gefiel. Obwohl sie inzwischen daran hätte gewöhnt sein sollen. Sie war im Laufe der Jahre von genügend Raubtier-Spielern vermöbelt worden, dass sie dergleichen schon früher erlebt hatte, aber trotzdem, es machte nicht den geringsten Spaß.

Noch im Flug wechselte der Mann erneut seine Gestalt, und der Menschenarm um Mads’ Taille wurde wieder zu einer Pranke. Also kam er auch wie eine Katze auf, als sie beide mehrere Millionen Meilen entfernt – okay, so weit war es nun doch nicht – schreiend auf dem Boden landeten. Er drehte sich so in der Luft, dass er auf allen vier Tatzen landete. Lebendig und stinksauer. Brüllend und fauchend.

Mads dagegen blieb in ihrer menschlichen Gestalt, denn es machte ohnehin keinen Unterschied. Sie knallte auf den Boden, auf den Rücken, von wo aus sie zu den Sternen emporblickte.

Ganz ehrlich, der Aufprall hätte sie eigentlich zerquetschen müssen. Sie hätte nur noch aus gebrochenen Knochen und zerstörten inneren Organen bestehen sollen. Ihr Gehirn nichts als Pudding. Ihr Hinterkopf hätte sich in etwas verwandeln sollen, das nicht einmal ein Puzzle-Meister wieder zusammensetzen konnte.

Aber wie gesagt, sie war ein Honigdachs. Also hatte sie sich bei der Explosion zwar ein wenig den Hintern versengt, und ein paar von ihren Fingern schienen gebrochen zu sein, aber das war ihr auch schon bei ruppigen Basketballspielen auf Straßenplätzen passiert. Ein Auge war tatsächlich aus seiner Höhle gesprungen, und ausgerechnet Streep kroch zu ihr herüber und stieß ein lautes, angewidertes »Igitt!« aus, gefolgt von: »Maaads! Das ist ja sooo ekelig!« Dann drückte sie ihr das Auge kurzerhand wieder rein, bevor sie ihr mit einem Tuch aus ihrer Handtasche den Kopf verband.

Max kam zu ihnen gestolpert. Ihr hing der rechte Arm in einem seltsamen Winkel herunter, genau wie ihr Kiefer, aber auch sie hatte überlebt. Sie erteilte Befehle, doch Mads verstand kein Wort, denn, wie gesagt: Max’ Kiefer – seltsamer Winkel.

»Wie bitte?«, fragte Tock.

Max wiederholte ihre Befehle.

Nelle kam näher, schien aber außerstande zu entscheiden, wo oder wie sie Max’ Kiefer einrenken sollte.

Mads hatte gerade beschlossen, das Problem ihrer Mannschaftskameradin selbst in Ordnung zu bringen, als sie grob beiseitegestoßen wurde und ein Riese von einem Mann angestürmt kam. Zwei andere Männer waren bei ihm und jetzt erkannte sie sie. Die Malone-Brüder. Oder, wie sie auf der Straße genannt wurden, die Schwarzen Malones.

Keane, der Älteste, war gleichzeitig auch der Größte. Und der Furchteinflößendste. Mads konnte sich gut vorstellen, wie er sein Leben in Sibirien inmitten der wenigen dort noch vorhandenen Katzen lebte und alle menschlichen Jäger tötete, die in sein Territorium vordrangen.

Also war sie auch nicht direkt schockiert, als Keane mit seinen riesigen Händen Max’ Kopf packte und ihren Kiefer dorthin zurückdrückte, wo er hingehörte, was aussah, als arbeitete er an einem alten Vergaser. Das Knirschen von Knochen, die mit Gewalt an ihren angestammten Platz zurückgezwungen wurden, ließ alle Dachse vor Überraschung bellen und zischen, und die arme Max hob die Fäuste, bereit für einen Kampf auf Leben und Tod.

Um alle zu beruhigen, schritt Nelle ein und zog die fuchsteufelswilde Max schnell von dem nackten Keane weg, bevor ihre Mannschaftsanführerin ihm mit ihren Krallen den Schwanz abreißen konnte.

Doch anstatt Dankbarkeit für die Unterstützung zu zeigen, brüllte Keane: »Warum seid ihr hier?«

»Müssen wir abhauen?«, fragte Tock, aber niemand beachtete sie. »Ich habe das Gefühl, wir sollten abhauen.«

»Du …« Max nahm sich eine Sekunde Zeit und drehte ihren Kopf mit den Händen zuerst in die eine Richtung und dann in die andere, um zu Ende zu führen, was Keane begonnen hatte. »Du wirkst etwas angespannt«, kriegte sie schließlich ohne weitere Mühe heraus. »Ist alles in Ordnung mit dir, Süßer?«

Mads wand sich innerlich. Sie wusste, dass Max’ freundlicher, beflissener Ton im Kern feindselig war. Es war ein Ton, der die mutige Nelle schnell zwischen den Tiger und die Honigdächsin treten ließ. Obwohl Naturschützer nur eine ihrer beiden Spezies als Spitzenprädator bezeichnen würden, hatte Mads das starke Bedürfnis, die Forschungsergebnisse zu korrigieren. Denn Max MacKilligan war ein Spitzenprädator ganz eigener Art. Sie hätte binnen einer Nacht ein ganzes Ökosystem verändern können, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hätte. Und das mit einem reizenden Lächeln im Gesicht.

Mit dem gleichen Lächeln, das sie jetzt aufsetzte, während sie mit großen Augen zu dem Sibirischen Tiger aufschaute, der wiederum auf sie herabfunkelte.

»Ich werde versuchen herauszufinden, ob wir abhauen sollten«, ließ Tock Mads wissen, bevor sie dorthin zurücklief, wo sie hergekommen waren. Noch im Laufen gab sie Streep ein Zeichen, sie zu begleiten. Die beiden umrundeten den riesigen Krater, den Tocks Sprengstoff in den Boden gerissen hatte, und verschwanden unter den Bäumen, die vom umliegenden Wald übrig geblieben waren.

»Du musst mir sagen, warum ihr hier seid«, befahl der älteste Malone-Bruder Max. Er verschränkte seine gewaltigen Arme vor seiner gewaltigen Brust und hatte dann den Nerv, darauf zu warten, dass Max ihm tatsächlich antwortete.

Mads sah, wie Max’ Lächeln breiter wurde. Sie wusste, dass ein solches Lächeln, zumindest wenn es von Max kam, zu keinem guten Ende führen würde, und hatte das Bedürfnis einzugreifen – sie wusste selbst nicht, warum. Wie Tock schon gesagt hatte, hätten sie wahrscheinlich alle abhauen sollen. Sie sah zum Malone-Bruder zu ihrer Linken. Aber der stand nur da, den Mund aufgerissen, die Augen fest geschlossen, und seine Zunge hing heraus, als koste er die Luft. Es war ein seltsamer Anblick, daher drehte Mads sich zu dem Tiger auf ihrer rechten Seite.

»Das ist sehr unhöflich von deinem Bruder«, sagte sie. »Und wenn er erwartet, von Max MacKilligan eine Antwort zu bekommen, sollte er das Ganze lieber etwas ruhiger angehen.«

Langsam drehte die Raubkatze den Kopf in ihre Richtung, und leuchtend goldene Augen blinzelten langsam, bevor der Tiger antwortete: »Mein Bruder ist unhöflich? Sie hat ihm vor nicht allzu langer Zeit ihre Reißzähne in die Eier gebohrt.«

Mads brauchte einen Moment, um sich an diesen speziellen Kampf zu erinnern. Es hatte im Laufe der Jahre so viele gegeben, mit so vielen Gestaltwandlern und Menschen, dass es ehrlich gesagt schwer war, den Überblick zu behalten. Aber sobald die Erinnerung in all ihrer bösartigen Honigdachs-Pracht zurückkehrte, musste sie gegen den Drang ankämpfen, das Gesicht zu verziehen. Stattdessen zuckte sie die Achseln und sagte warnend: »Dann wird er es diesmal vielleicht etwas ruhiger angehen wollen. Du weißt schon, damit es nicht zu einer Wiederholung kommt.«

Finn grinste kaum merklich. Fast hätte er gekichert. Eine überraschende Reaktion, nachdem er nur Sekunden zuvor bereit gewesen war, die ganze Insel, auf der er sich befand, von der Landkarte zu fegen.

Und er galt als »der Ruhige« unter seinen Brüdern. Der »Vernünftige«, den man aufsuchte, wenn jemand etwas mit der Familie zu klären hatte.

Doch eigentlich hielten sie sich alle ganz gut.

Bisher hatte sein ältester Bruder Max MacKilligan nicht den Kopf abgebissen. Etwas, das ihm in seiner Tigergestalt ein Leichtes gewesen wäre. Der Kopf der Honigdächsin war wirklich winzig und würde nur einen einzigen Biss erfordern. Aber Keane hatte im Laufe der letzten Jahre hart an sich gearbeitet, um nicht ständig den zornigen Tiger rauszulassen. Ihrer Mutter zuliebe.

»Wenn du so weitermachst«, hatte sie ihn vor einigen Jahren gewarnt, »werden wir dich zu meinen Cousinen und Cousins schicken müssen. Und es gibt nur sehr wenige McDonalds in der Steppe, mein Sohn.«

Während ihr Vater »durch und durch Ire« gewesen war, wie er immer gern gesagt hatte, waren die Vorfahren ihrer Mutter Stammesmitglieder aus der mongolischen Steppe. Tiger-Gestaltwandler, deren Ahnen schon lange in dieser Gegend gewesen waren, noch bevor Dschingis Khan überhaupt geboren worden war und Angst und Schrecken unter den Stämmen verbreiten konnte. Und obwohl Finns Eltern und deren Eltern Amerikaner waren, hatten sie nie die Verbindung zu ihren geografischen Wurzeln oder ihrer Herkunft verloren. Und auch nicht zu dem, was sie als Raubkatzen ausmachte.

Sicher, Finns Eltern waren auch menschlich. Aber tief drinnen fühlten sie sich primär als Tiger und erst in zweiter Linie als Menschen. Eine Haltung, die sie an ihre drei ältesten Söhne weitergegeben hatten. Das bedeutete, dass Finn gar nicht anders konnte, als alle um sich herum als eine Art von Beute anzusehen. Nicht zwangsläufig, um sie zu fressen, aber definitiv als etwas, das ihm im Weg stand. Ein Ärgernis. Irritierend. Lästig.

Er betrachtete die Honigdachs-Frau neben sich. Normalerweise hätte er Dachse genauso gesehen, wären da nicht zwei Dinge gewesen. Das Erste war seine kleine Schwester, das Licht seines Lebens und das Licht des Lebens seiner beiden Brüder. Na gut, für ihre Mutter war sie eine Überraschung gewesen. Das Ergebnis einer betrunkenen Nacht, die sie mit einem Honigdachs verbracht hatte, während sie immer noch um ihren Ehemann trauerte. Doch keiner von ihnen konnte diesen Umstand bedauern, da er ihnen Natalie – oder Nat, wie ihre älteren Brüder sie nannten – geschenkt hatte.

Ja, sie war eine Nervensäge. Und sie fand immer einen Weg, irgendeinen Mist anzuzetteln. Und wenn sie keinen Mist anzettelte, verstrickte sie sich auf andere Art in irgendeinen Mist. Doch sie war umwerfend. Klug, witzig, schön und zu gut für diese Welt. Allerdings war sie halb Honigdachs und in keiner Weise ein Beutetier.

Der zweite Grund? Die Art, wie Honigdachs-Gestaltwandler kämpften. Die restliche Gestaltwandler-Welt folgte gewissen Regeln. Wenn man gegen Finns eigene Art kämpfte, beschränkte man sich auf Reißzähne und Krallen. Eine Regel, die unterm Strich für alle gut funktionierte. Wölfe und Hunde mochten nicht die Stärke von Tigern und Jaguaren haben, aber sie hatten für gewöhnlich ein Rudel von Artgenossen im Rücken. Kleinere Katzen wollten vielleicht nicht gegen Löwen und Hyänen kämpfen, aber sie waren schneller als die größeren Gestaltwandler, und mit einem Baum oder einem Gebäude in der Nähe kam keine Löwin an sie heran.

Dann gab es da noch die Bären …

Ehrlich, niemand wollte sich mit Bären anlegen.

Also funktionierte das alles unterm Strich.

Bis auf die Ausreißer. Diejenigen, über die die meisten von ihnen nicht nachdachten. Die Füchse. Die Vielfraße. Die Honigdachse.

Die Füchse waren schlau. Sie hielten sich zu ihrem eigenen Schutz in der Nähe ihrer Feinde, der Bären und Wölfe, auf. Die Vielfraße konnten sich wie kein anderer Gestaltwandler verstecken, weshalb viele in der Gestaltwandler-Welt gar nicht glaubten, dass sie überhaupt existierten. Aber sie existierten. Und waren putzmunter.

Doch die Honigdachse spielten keine Spielchen. Sie versteckten sich nicht. Sie bauten sich vor einem auf und forderten einen heraus, sich mit ihnen anzulegen. Nur zu! Komm doch! Und Regeln waren offenbar etwas für Weicheier. Wenn man sie mit größeren Krallen und Reißzähnen angriff, dann hatten sie Pistolen und Messer und Bomben und die Bereitschaft, all das nicht nur zu benutzen, sondern auch mehrere Häuserblocks um ihre Gegner herum dem Erdboden gleichzumachen, wenn es sein musste.

Nichts hielt einen Honigdachs auf, weil diese Spezies einfach verdammt gemein war. Und trotz des Lächelns auf Max MacKilligans Gesicht erarbeitete sich diese spezielle Dächsin gerade den Ruf, die gemeinste von allen zu sein.

Also ja, vielleicht sollte Keane es etwas ruhiger angehen. Schließlich hoffte er, eines Tages Kinder zu haben. Ohne seine Eier ließ sich das nicht machen.

»Warum bist du hier?«, fragte Max Finns Bruder gerade.

Im selben Moment hörte Finn die Dächsin neben sich murmeln: »Oje.«

»Was?«

»Sie beantwortet eine Frage mit einer Gegenfrage.«

»Na und?«

»Das ist nie ein gutes Zeichen.«

Finn sah die Dächsin an und versuchte es einfach: »Warum seid ihr hier?«

Zu seiner großen Überraschung beantwortete sie seine ruhig gestellte Frage. »Wir haben gehört, dass hier Beute durchgeschleust wird. Wir sind hergekommen, um sie zu befreien.«

Finn runzelte die Stirn. »Ihr habt eine Menge Feuerkraft mitgebracht, um ein paar Affen oder Kaninchen zu befreien, die für Lippenstift-Tierversuche benutzt werden.«

Sie ließ ein sehr leises Schnauben hören. »Menschliche Beute. Für Gestaltwandler.«

Finns Muskeln verkrampften sich vor Überraschung und er knirschte mit den Zähnen. Er musste zugeben, dass ihm vieles in dieser Welt nicht gefiel, aber Menschen wie Afrikanische Büffel zu behandeln, das ärgerte ihn. Dabei hatte er definitiv seine Probleme mit Vollmenschen. Die meisten von ihnen waren in seinen Augen etwas, das er verscheuchte wie Fliegen. Aber genauso wenig, wie er wollte, dass seinesgleichen von Großwildjägern abgeschossen wurde, um ausgestopft in Wohnzimmern aufgehängt zu werden, fand er, dass das auch mit Vollmenschen nicht gemacht werden sollte.

»Keane!«, rief Finn.

Sein Bruder drehte sich nicht um und wandte auch nicht den Blick von Max MacKilligan ab – nicht, dass Finn Keane einen Vorwurf daraus gemacht hätte –, aber er legte den Kopf ein wenig schräg, damit er Finn besser hören konnte.

»Sie sind nicht unseretwegen hier. Lass uns abhauen.«

»Bist du dir sicher?«

»Ich bin mir sicher. Lass uns …«

Finn verstummte. Er hörte etwas von hinten näher kommen und als er sich umdrehte, sah er, wie die beiden Honigdachse, die vor einer Weile weggegangen waren, zurückgestürmt kamen. Die Frau, die den Countdown heruntergezählt hatte, murmelte jetzt etwas Neues vor sich hin.

»Lauft! Lauft, lauft, lauft, lauft!«

Finn verwandelte sich zurück in einen Tiger und lief auf den nahe gelegenen Waldrand zu. Als er dort ankam, stehen blieb und zurückschaute, waren ihm seine Brüder dicht auf den Fersen.

Doch die Honigdachse liefen nicht weg.

Sie luden ihre Waffen nach.

Die Katzen hatten sich verwandelt und waren weg, bevor Mads ihnen sagen konnte, sie sollten verschwinden. Sehr gut, um sie brauchte sie sich also keine Sorgen zu machen.

Streep ging in den Untergrund, und zwar buchstäblich. Der Rest von ihnen lud nach und machte sich bereit für …

Plötzlich trat ein Mann hinter einem Baum hervor. Er trug schwarze Kampfausrüstung, einschließlich eines Helms und einer Nachtsichtbrille. All das für sie? Wusste er, dass sie Honigdachse waren? Nein, nie und nimmer.

Was auch immer der Grund für seine schwere Ausrüstung sein mochte, er setzte sie ein, hob seine Waffe und zielte sofort auf Max und Mads. Er war schnell, aber Mads’ Team war schneller.

Streep sprang dem Schützen aus der Erde heraus auf den Rücken. Die Beine um seine Taille geschlungen hob sie den Arm und fuhr ihre Krallen aus. Knurrend schlug sie sie dem Mann in die Schultern. Er stieß einen gedämpften Schrei aus; seine Knie zitterten, aber es gelang ihm, aufrecht stehen zu bleiben. Durch Streeps Angriff konnte er zwar seine Arme nicht bewegen, aber sein Finger auf dem Abzug war immer noch frei. Nelle packte die Waffe an der Mündung und zog sie nach oben, Sekundenbruchteile bevor er anfing zu feuern. Sie riss den Kopf zur Seite, um nicht angeschossen zu werden, und entwand ihm die Waffe.

Während Nelle sich wegdrehte, fuhr Tock ihre Krallen aus, und Blut spritzte aus der aufgerissenen Kehle des Schützen.

Im selben Moment, als er mit dem Gesicht voraus in den Dreck fiel, witterte Mads weitere menschliche Männer. Sie sah zehn von ihnen, die mit erhobenen Waffen in ihre Richtung gerannt kamen. Die Lippen zusammengepresst ließ sie sich auf ein Knie fallen. Ihr Team stellte sich neben ihr auf und sie wollten gerade das Feuer eröffnen, als sie für einen Moment innehalten mussten. Ihr Plan hatte vorgesehen, die zehn Männer, die auf sie zurannten, mit Kugeln zu durchsieben. Doch dann gingen mehrere von ihnen zu Boden und schreiend wurden sie in die Dunkelheit gezerrt.

Die militärisch ausgebildeten Angreifer drehten sich sofort mit erhobenen Waffen in die andere Richtung. Max bedeutete ihrem Team, sich aus der Schusslinie zu bewegen. Gerade als sie das taten, sahen sie, wie die Raubkatzen wieder aus dem Wald kamen. Sie hatten sich im Bogen herumgeschlichen, sodass sie nun hinter den angreifenden Männern auftauchten.

Tiger griffen ihre Opfer am liebsten von hinten an. Das bedeutete, dass die Männer, die in die entgegengesetzte Richtung schauten, verletzlich waren. Die Katzen wählten ihre Opfer aus und machten sich über sie her … buchstäblich. Jeder der Brüder packte einen Mann im Genick und rannte in den Wald, wie ein Hund, der sich mit seinem Lieblingsspielzeug davonmachte.

Die verbliebenen Männer schossen wild um sich und schrien nach ihren Kameraden. Es waren nur noch vier von ihnen übrig und Max wollte Informationen.

Mads folgte Max zu den hysterischen Männern, und als sie den erreichte, den sie für den Anführer der Gruppe hielt, nickte sie. Mads riss ihm den Helm herunter und drückte ihm eine Pistole Kaliber .45 an den Hinterkopf.

Die anderen Männer brüllten herum, bereit zu schießen, aber Max drohte ihnen nur spielerisch mit dem Finger. »Ts, ts, ts«, sagte sie.

Die Männer legten ihre Waffen nicht nieder, bis sie den Rest von Mads’ Team um sich herum sahen, deren Waffen auf jeden Einzelnen von ihnen gerichtet war. Ohne ein weiteres Wort gaben die Männer auf.

Nachdem sie sie auf die Knie gedrückt hatten, fesselten Tock und Streep die Männer an Handgelenken und Knöcheln mit Kabelbindern, und Max hockte sich vor den Anführer. Sie hielt ihm ein Messer vors Gesicht, aber er sah es nicht einmal. Keiner der Männer sah es. Sie waren zu beschäftigt damit, um sich zu blicken und mit aufgerissenen Augen panisch in die Dunkelheit zu spähen.

Das war pures Entsetzen. Denn sie wussten immer noch nicht, was ihre Kameraden gepackt und weggeschleppt hatte. Sie wussten nur, dass es keine Menschen gewesen waren.

»Hör gut zu«, sagte Max, und als der Mann, mit dem sie redete, sie ignorierte, schnippte sie vor seinem Gesicht mit den Fingern, bis er seine panisch aufgerissenen Augen auf sie richtete. Sie hob eine ihrer Klingen. Sie war Expertin im Umgang mit scharfkantigen Waffen. Also übertrieb sie nicht, als sie ihm sagte: »Ich kann Stücke von dir abschneiden und darauf herumkauen wie auf einer alten Zigarre, bevor du überhaupt mitkriegst, dass sie fehlen. Du könntest mir aber auch einfach sagen, was ich wissen wi-«

Blut spritzte Max ins Gesicht, als weiße Reißzähne sich im Kopf des Mannes versenkten, dem sie gedroht hatte, und ihn ihm von den Schultern rissen.

Die verbliebenen Männer schrien und versuchten verzweifelt wegzukommen, und in ihrer Panik stießen sie gegeneinander.

Doch Max wischte sich lediglich das Blut und die Hautfetzen aus den Augen und seufzte tief, als die Schädeldecke des Mannes ausgespuckt wurde und an ihr vorbeikullerte.

»Das erscheint mir ziemlich aggressiv«, murmelte sie.

Aber immerhin waren die letzten der Männer jetzt bereit zu reden. Tatsächlich waren sie bereit, alles zu offenbaren, was ihr Team wissen wollte.

»Die Malones!«, brüllte einer von ihnen. »Wir sind wegen der Malones hier!«

Max schaute in die Dunkelheit, und Mads wusste, dass sie direkt in die goldenen Augen der Malone-Brüder starrte. Nach einem kurzen Moment nickte sie und konzentrierte sich wieder auf die Vollmenschen.

»Warum?«, drang Max in sie, packte einen der hysterischen Männer und zerrte ihn am Bein hinter sich her. »Warum?«, brüllte sie, als er zu schreien begann.

»Man hat uns nur aufgetragen, sie umzulegen! Ich weiß nicht, warum!«

»Für wie viel?«

»Drei Millionen.«

»Für den ganzen Auftrag?« Er nickte, und Max ließ sein Bein los, sodass er sich wegschleppen konnte. Er würde ohnehin nicht weit kommen.

Sie stand auf und drehte sich zu ihrem Team um.

»Warum hat man dann uns hergelockt?«, fragte Tock.

Max zuckte die Achseln. »Irgendjemand hat Bockmist gebaut?«

»Seltsamer Bockmist«, bemerkte Mads. Sie mochte seltsamen Bockmist nicht. Aber sie war ja auch von Natur aus paranoid. Paranoia steckte ihr in den Knochen. Sie würde nicht sagen, dass sie paranoid zur Welt gekommen war, aber ihre familiäre Situation hatte sie paranoid gemacht. Es war die einzige Möglichkeit für sie gewesen, die ersten Jahre zu überleben.

»Stimmt, aber hier finden wir sowieso nichts mehr heraus. Lasst uns zurückgehen und uns sammeln.«

Alle nickten zustimmend, aber bevor sie sich auf die andere Seite der Insel begeben konnten, hörte Mads, wie sich jemand vom nicht weit entfernten Strand näherte. Sie hielt ihr Team mit einer erhobenen Hand auf. Jede von ihnen hatte ungewöhnlich gute Ohren. Das war der Vorteil, ein Honigdachs zu sein, der die Beute unter der Erde aufspüren musste. Aber Mads’ Gehör wurde durch ihr Hyänengehör noch geschärft, und sie konnte sogar das leiseste Geräusch ausmachen, so sie sich darauf konzentrierte. Wenn ein Vogel den Kopf drehte. Ein Kaninchen in einem hohlen Baum schlief. Oder Schlauchboote an einer Küste entlangglitten, aus denen Männer stumm heraussprangen.

»Was?«, fragte Max.

Die Männer hier, die bereits ausgelöscht worden waren, und die, die noch immer versuchten, sich wegzuschleppen, waren nicht mehr als eine Ablenkung. Damit die Malones und vielleicht auch Mads und ihr Team beschäftigt waren, bis die richtigen Truppen auftauchten.

»Wir müssen hier weg«, entschied Mads. »Sofort.«

»Was willst du mit ihnen machen?«, fragte Tock und deutete mit ihrer Waffe auf die drei verbliebenen Männer. Die versuchten immer noch wegzukriechen, aber sie waren so beschäftigt damit, sich umzuschauen und herauszufinden, was ihre Kameraden getötet hatte, dass sie nicht sehr weit kamen.

»Lauft ihr schon mal los«, befahl Max. Sie hatte noch immer ihr Messer in der Hand. Dann zog sie ein weiteres hervor, weil sie mit zweien schneller arbeiten konnte. Sie drückte die Schultern durch und wandte sich den drei Männern zu, aber sie hatte erst einen Schritt in ihre Richtung gemacht, als eine Pranke aus der Dunkelheit erschien und den Kopf von einem der Männer zerquetschte.

Eine weitere Pranke schnellte vor und riss dem zweiten Mann das Gesicht herunter. Und der dritte wurde schreiend in die Dunkelheit gezerrt. Seine Schreie verstummten binnen Sekunden.

Einige Augenblicke später trabten die Katzen auf sie zu.

»Das war mein Spielzeug«, beschwerte sich Max, als die Brüder an ihr vorbeigingen.

»Lasst uns abhauen«, drängte Mads und lief los in Richtung Hubschrauber, der auf sie wartete, um sie in die Stadt zurückzubringen.

Sie rannten durch die Bäume, aber auf der anderen Seite der kleinen Insel angekommen, fanden sie keinen Hubschrauber vor.

Max ging zu der Stelle, an der der Hubschrauber sie erst zwanzig Minuten zuvor abgesetzt hatte. Sekundenlang stand sie dort, dann wandte sie sich mit irritiertem Gesicht dem Rest ihres Teams und den Katzen zu. »Das verstehe ich nicht. Haben diese Miststücke uns etwa im Stich gelassen?«

»Siehst du sie hier irgendwo?«, fragte Nelle.

»Aber sie sind unser Transportteam. Wie konnten sie uns einfach zurücklassen? Niemand haut einfach ab.«

»Max …«

»Ich meine, ich bin noch nie verlassen worden. Wirklich noch nie.«

»Hat deine Mutter dich nicht verlassen?«, fragte Tock.

»Das war etwas anderes. Man hat sie gegen ihren Willen ins Gefängnis geworfen.«

»Und dein Vater?«

»Er war eigentlich nie da. Ich habe gelernt, mich nicht auf ihn zu verlassen. Aber es ist der Job des Transportteams, hier zu sein. Um uns rauszuholen. Wer verschwindet einfach so?«

Mads musterte die Anführerin ihres Teams und bemerkte schließlich zu den anderen: »Möglicherweise haben wir sie verloren.«

»Die Sache scheint sie echt zu verstören«, pflichtete Nelle ihr bei.

»Seht mal!« Max zeigte auf die Katzen, die gerade an ihr vorbeisprangen und aufs Wasser zuliefen. »Jetzt lassen die uns auch noch im Stich.«

»Das sind Tiger. Sie können von hier aus nach Jersey zurückschwimmen«, erklärte Mads. »Knapp fünf Meilen schaffen sie ohne Probleme. Davon können wir nur träumen. Also sollten wir uns besser schnell etwas einfallen lassen.«

»Wir könnten einen Tunnel graben«, schlug Streep vor.

»Einen Tunnel wohin?«, fragte Mads. »Wir haben keine Ahnung, was zwischen uns und der Stadt liegt. Oder auch nur zwischen uns und Jersey.« Sie schauderte bei dem Gedanken daran, in dieser Höllenlandschaft zu enden. »Jersey.«

»Na schön.« Tock nahm ihre Waffe von der Schulter. »Dann töten wir eben alle.«

»Ich wittere eine Menge verschwitzter Männer«, warf Nelle ein, während sie ebenfalls ihre Waffe zog. »Genug, um jeder Einzelnen von uns aus Versehen in den Kopf zu schießen.«

»Und vergiss nicht, dass wir demnächst ein Spiel haben.«

Das gesamte Team hörte auf mit dem, was sie gerade taten, und sah Mads an. Selbst Max kehrte endlich in die Gegenwart zurück, um sie anzustarren.

»Was?«, fragte Mads. »Wir befinden uns in den Play-offs und sind so nah dran, die Meisterschaften zu erreichen. Das wird aber nichts, wenn wir tot sind.«

»Okay, okay, okay.« Max schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf Tock. »Was hast du dabei?«

Tock zuckte die Achseln. »Genug, um die ganze Insel auszuradieren.«

»Und uns jede Regierungsorganisation auf den Hals zu hetzen, die nach Terroristen sucht«, warf Nelle ein.

»Vor allem wenn du anfängst, Inseln in der Nähe von New York und Jersey in die Luft zu sprengen.«

»Du versuchst nicht einmal zu helfen«, tadelte Max Mads.

Damit lag sie nicht ganz falsch. Mads war dafür bekannt, bei Max’ Devise »Lasst uns alle sofort töten und uns später um die Konsequenzen sorgen« zur Pessimistin zu mutieren. Doch in Wahrheit bevorzugte Mads meist Nelles Prinzip: »Rein, raus, niemand merkt, dass wir da waren, bis ihnen klar wird, dass ihr ganzer Scheiß verschwunden ist.« Denn Nelles Strategie bedeutete, dass Mads nicht zu einem Spiel auf den Basketballplatz humpeln musste. Oder sich Kugeln aus dem Rücken und dem Hals entfernen lassen.

Bei Max’ Plänen wusste Mads nie, wie sie aussah, wenn erst die Nacht vorüber war. Lediglich voller Blutergüsse? Oder durchsiebt von Gewehrkugeln, die einen Hinterzimmer-Gestaltwandler-Arzt erforderten, der ihr die Projektile aus dem Kreuz pulte?

»Sie kommen«, sagte Streep, ließ sich auf ein Knie nieder und hob ihre Waffe. »Also, was immer ihr vorhabt …«

Mit einem Achselzucken nahmen alle ihre Positionen hinter einem Baum oder einem verlassenen Boot ein. Nelle, ihre beste Heckenschützin, kletterte auf einen Baum und versteckte sich zwischen den Blättern, damit sie zuallererst die besten Schützen erledigen konnte.

»Macht euch bereit!«, rief Tock. »Sie werden in fünf Sekunden hier sein, vier, drei …«

Das Dröhnen eines Außenbordmotors veranlasste sie, sich umzudrehen, ihre Waffen nach wie vor erhoben. Das Schnellboot fuhr einen weiten Bogen und wurde knapp vor dem Strand abgestoppt.

»Einsteigen!«, befahl eine der Raubkatzen, die sich jetzt in ihrer menschlichen Gestalt befand und in schwarzen Jogginghosen steckte.

»Huch«, bemerkte Max leise neben Mads. »Sie sind gar nicht abgehauen.«

»Warum starrt ihr mich so an?«, knurrte die Katze. »Bewegt eure Ärsche!«

»Los!«, drängte Mads ihre Mannschaftskameradinnen, den Blick immer noch auf die Männer gerichtet, die sie durch die Bäume auf sie zukommen sah.

Nelle kletterte von ihrem Baum herunter und lief in Richtung Schnellboot. Tock und Streep machten bereits Anstalten, ihr zu folgen, als die ersten Schüsse fielen.

Mads hörte einen gedämpften Aufschrei und wusste, dass eine ihrer Teamkameradinnen getroffen worden war. Und sie wusste, dass es sich um Streep handelte, als diesem Schrei ein »Lieber Gott! Ich sterbe! Ich sterbe!« folgte.

»Hoch mit deinem Arsch, Drama-Queen!«, blaffte Max.

Mads erwiderte das Feuer und mähte einige Männer nieder, die nicht schnell genug in Deckung gingen.

»Mads, lass uns verschwinden!«